∞
∞Zueignung
1Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!
2Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
3Versuch’ ich wohl euch diesmal fest zu halten?
4Fühl’ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
5Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
6Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
7Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
8Vom Zauberhauch der euren Zug umwittert.
9Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
10Und manche liebe Schatten steigen auf;
11Gleich einer alten, halbverklungnen Sage,
12Kommt erste Lieb’ und Freundschaft mit herauf;
13Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
14Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
15Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
16Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
17Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
18Die Seelen, denen ich die ersten sang,
19Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
20Verklungen ach! der erste Wiederklang.
22Ihr Beyfall selbst macht meinem Herzen bang,
23Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
24Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
25Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
26Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
27Es schwebet nun, in unbestimmten Tönen,
28Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
29Ein Schauer faßt mich, Thräne folgt den Thränen,
30Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich;
31Was ich besitze seh’ ich wie im weiten,
32Und was verschwand wird mir zu Wirklichkeiten.
∞
∞Vorspiel auf dem Theater
∞Director,
Theaterdichter, lustige Person
∞Director
33Ihr beyden die ihr mir so oft,
34In Noth und Trübsal, beygestanden,
35Sagt was ihr wohl, in deutschen Landen,
36Von unsrer Unternehmung hofft?
37Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
38Besonders weil sie lebt und leben läßt.
39Die Pfosten sind, die Breter aufgeschlagen,
40Und jedermann erwartet sich ein Fest.
41Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,
42Gelassen da und möchten gern erstaunen.
43Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;
44Doch so verlegen bin ich nie gewesen;
45Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
46Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
47Wie machen wir’s? daß alles frisch und neu
48Und mit Bedeutung auch gefällig sey.
49Denn freylich mag ich gern die Menge sehen,
50Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
51Und mit gewaltig wiederholten Wehen,
52Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt;
53Bey hellem Tage, schon vor Vieren,
54Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
55Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthüren,
56Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
57Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
∞Dichter
59O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
60Bey deren Anblick uns der Geist entflieht.
61Verhülle mir das wogende Gedränge,
62Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
63Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
64Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
65Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen
66Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
67Ach! was in tiefer Brust uns da
entsprungen,
68Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
69Mißrathen jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
70Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
71Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen
72Erscheint es in vollendeter Gestalt.
73Was glänzt ist für den Augenblick geboren,
74Das Ächte bleibt der Nachwelt unverloren.
∞Lustige
Person
75Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.
76Gesetzt daß ich von Nachwelt
reden wollte,
77Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
78Den will sie doch und soll ihn haben.
79Die Gegenwart von einem braven Knaben
80Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.
81Wer sich behaglich mitzutheilen weiß,
82Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
83Er wünscht sich einen großen Kreis,
84Um ihn gewisser zu erschüttern.
85Drum seyd nur brav und zeigt euch musterhaft,
86Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
87Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
88Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.
∞Director
89Besonders aber laßt genug geschehn!
90Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
92So daß die Menge staunend gaffen kann,
93Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
94Ihr seyd ein vielgeliebter Mann.
95Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
96Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
98Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
99Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
100Solch ein Ragout es muß euch glücken;
101Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
102Was hilft’s wenn ihr ein Ganzes dargebracht,
103Das Publikum wird es euch doch zerpflücken.
∞Dichter
104Ihr fühlet nicht wie schlecht ein solches Handwerk sey!
105Wie wenig das den ächten Künstler zieme!
106Der saubern Herren Pfuscherey
107Ist, merk’ ich, schon bey euch Maxime.
∞Director
108Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt;
109Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
110Muß auf das beste Werkzeug halten.
111Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
112Und seht nur hin für wen ihr schreibt!
113Wenn diesen Langeweile treibt,
114Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
115Und, was das allerschlimmste bleibt,
116Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
117Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
118Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
119Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
120Und spielen ohne Gage mit.
121Was träumet ihr auf eurer Dichter-Höhe?
122Was macht ein volles Haus euch froh?
123Beseht die Gönner in der Nähe!
124Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
125Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
126Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
127Was plagt ihr armen Thoren viel,
128Zu solchem Zweck, die holden Musen?
129Ich sag’ euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,
130So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren,
131Sucht nur die Menschen zu verwirren,
132Sie zu befriedigen ist schwer – –
133Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?
∞Dichter
134Geh hin und such dir einen andern Knecht!
135Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
136Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
137Um deinetwillen freventlich verscherzen!
138Wodurch bewegt er alle Herzen?
139Wodurch besiegt er jedes Element?
140Ist es der Einklang nicht? der aus dem Busen dringt,
141Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt.
142Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
143Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
144Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
145Verdrießlich durch einander klingt;
146Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
147Belebend ab, daß sie sich rythmisch regt?
148Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe?
149Wo es in herrlichen Accorden schlägt,
150Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
151Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?
153Auf der Geliebten Pfade hin?
154Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
155Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
156Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
157Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.
∞Lustige
Person
158So braucht sie denn die schönen Kräfte
159Und treibt die dicht’rischen Geschäfte,
160Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
161Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
162Und nach und nach wird man verflochten;
163Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
164Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
165Und eh man sich’s versieht ist’s eben ein Roman.
166Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
167Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
168Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
169Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.
170In bunten Bildern wenig Klarheit,
171Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,
172So wird der beste Trank gebraut,
173Der alle Welt erquickt und auferbaut.
174Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte
175Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
176Dann sauget jedes zärtliche Gemüthe
177Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung;
178Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,
179Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.
180Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
181Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
182Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,
183Ein Werdender wird immer dankbar seyn.
∞Dichter
184So gieb mir auch die Zeiten wieder,
185Da ich noch selbst im Werden war,
186Da sich ein Quell gedrängter Lieder
187Ununterbrochen neu gebar,
188Da Nebel mir die Welt verhüllten,
189Die Knospe Wunder noch versprach,
190Da ich die tausend Blumen brach,
191Die alle Thäler reichlich füllten.
192Ich hatte nichts und doch genug,
193Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
194Gieb ungebändigt jene Triebe,
195Das tiefe schmerzenvolle Glück,
196Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
197Gieb meine Jugend mir zurück!
∞Lustige
Person
198Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls
199Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
200Wenn mit Gewalt an deinen Hals
201Sich allerliebste Mädchen hängen,
202Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
203Vom schwer erreichten Ziele winket,
205Die Nächte schmausend man vertrinket.
206Doch ins bekannte Saitenspiel
207Mit Muth und Anmuth einzugreifen,
208Nach einem selbgesteckten Ziel
209Mit holdem Irren hinzuschweifen,
210Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
211Und wir verehren euch darum nicht minder.
212Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
213Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
∞Director
214Der Worte sind genug gewechselt,
215Laßt mich auch endlich Thaten sehn;
216Indeß ihr Complimente drechselt,
217Kann etwas nützliches geschehn.
218Was hilft es viel von Stimmung reden?
219Dem Zaudernden erscheint sie nie.
220Gebt ihr euch einmal für Poeten,
221So kommandirt die Poesie.
222Euch ist bekannt was wir bedürfen,
223Wir wollen stark Getränke schlürfen;
224Nun braut mir unverzüglich dran!
226Und keinen Tag soll man verpassen,
227Das Mögliche soll der Entschluß
228Beherzt sogleich beym Schopfe fassen,
229Er will es dann nicht fahren lassen,
230Und wirket weiter, weil er muß.
231Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
232Probirt ein jeder was er mag;
233Drum schonet mir an diesem Tag
234Prospecte nicht und nicht Maschinen.
235Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,
236Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
237An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
238An Thier und Vögeln fehlt es nicht.
239So schreitet in dem engen Breterhaus
240Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
242Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.
∞
∞Prolog im Himmel
∞Die drey Erzengel treten
vor.
∞Raphael
243Die Sonne tönt, nach alter Weise,
244In Brudersphären Wettgesang,
245Und ihre vorgeschriebne Reise
246Vollendet sie mit Donnergang.
247Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,
248Wenn keiner sie ergründen mag.
249Die unbegreiflich hohen Werke
250Sind herrlich wie am ersten Tag.
∞Gabriel
251Und schnell und unbegreiflich schnelle
252Dreht sich umher der Erde Pracht;
253Es wechselt Paradieses-Helle
254Mit tiefer schauervoller Nacht;
255Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
256Am tiefen Grund der Felsen auf,
257Und Fels und Meer wird fortgerissen
258In ewig schnellem Sphärenlauf.
∞Michael
259Und Stürme brausen um die Wette
260Vom Meer aufs Land vom Land aufs Meer,260 aufs Land‸ bis aufs ] A auf’s Land, bis auf’s B
auf’s Land‸ bis auf’s B.a
(IV a)
261Und bilden wüthend eine Kette
262Der tiefsten Wirkung rings umher.
263Da flammt ein blitzendes Verheeren
264Dem Pfade vor des Donnerschlags.
265Doch deine Boten, Herr, verehren
266Das sanfte Wandeln deines Tags.
∞Zu Drey
267Der Anblick giebt den Engeln Stärke
268Da keiner dich ergründen mag,
269Und alle deine hohen Werke
270Sind herrlich wie am ersten Tag.
∞Mephistopheles
271Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
272Und fragst wie alles sich bey uns befinde,
273Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst;
274So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
275Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
276Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
279Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,
280Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.
281Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem
Schlag,
282Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
283Ein wenig besser würd’ er leben,
286Nur thierischer als jedes Thier zu seyn.
287Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden,
288Wie eine der langbeinigen Cicaden,
289Die immer fliegt und fliegend springt
290Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
291Und läg’ er nur noch immer in dem Grase!
292In jeden Quark begräbt er seine Nase.
∞Der
Herr
293Hast du mir weiter nichts zu sagen?
294Kommst du nur immer anzuklagen?
295Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
∞Mephistopheles
296Nein Herr! ich find’ es dort, wie immer, herzlich
schlecht.
297Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
298Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.
∞Mephistopheles
300Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.
301Nicht irdisch ist des Thoren Trank noch Speise.
302Ihn treibt die Gährung in die Ferne,
303Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
304Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,
305Und von der Erde jede höchste Lust,
306Und alle Näh’ und alle Ferne
307Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
∞Der
Herr
308Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient;
309So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen.
310Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
311Daß Blüt’ und Frucht die künft’gen Jahre zieren.
∞Mephistopheles
312Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren!
313Wenn ihr mir die Erlaubniß gebt
314Ihn meine Straße sacht zu führen.
∞Mephistopheles
318Da dank’ ich euch; denn mit den Todten
319Hab’ ich mich niemals gern befangen.
321Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;
322Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
∞Der
Herr
323Nun gut, es sey dir überlassen!
324Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
325Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen,
326Auf deinem Wege mit herab,
327Und steh’ beschämt, wenn du bekennen mußt:
328Ein guter Mensch, in seinem dunkeln Drange,
329Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
∞Mephistopheles
330Schon gut! nur dauert es nicht lange.
331Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
332Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
333Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.
334Staub soll er fressen, und mit Lust,
335Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.
∞Der
Herr
336Du darfst auch da nur frey erscheinen;
337Ich habe deines gleichen nie gehaßt.
338Von allen Geistern die verneinen
339Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
340Des Menschen Thätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,
341Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
342Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,
343Der reizt und wirkt, und muß, als Teufel, schaffen.
344Doch ihr, die ächten Göttersöhne,
345Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
346Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
347Umfaß’ euch mit der Liebe holden Schranken,
348Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
349Befestiget mit dauernden Gedanken.
∞Der Himmel schließt, die
Erzengel vertheilen sich,
∞
∞Der Tragödie Erster Theil
∞
∞Nacht
∞In einem hochgewölbten, engen, gothischen Zimmer, Faust unruhig auf seinem Sessel am Pultevor 354 Zimmer, ] Zimmer‸ 1 H.5
Zimmer, S
Zimmer‸ A B B.a
(I c, II a)
∞Faust
354Habe nun, ach! Philosophie,
355Juristerey und Medicin,
356Und leider auch Theologie!
357Durchaus studirt, mit heißem Bemühn.
358Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
360Heiße Magister, heiße Doctor gar,
361Und ziehe schon an die zehen Jahr,
362Herauf, herab und quer und krumm,
363Meine Schüler an der Nase herum –
364Und sehe, daß wir nichts wissen können!
365Das will mir schier das Herz verbrennen.
366Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,
367Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
368Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
369Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
370Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,
371Bilde mir nicht ein was rechts zu wissen,
373Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
374Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,
375Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt.
376Es möchte kein Hund so länger leben!
377Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
378Ob mir durch Geistes Kraft und Mund378 mir‸ bis Mund‸ ] A mir‸ bis Krafft und Mund‸ 1 H.5
mir, bis Mund‸ S
mir, bis Mund, B B.a
(IV a)
379Nicht manch Geheimniß würde kund;
380Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß,380 mehr‸ bis Schweiß, ] A mehr‸ bis Schweis‸ 1 H.5
mehr, bis saurem Schweiß, S
mehr, bis Schweiß, B B.a
(IV a)
383Im Innersten zusammenhält,
384Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,
385Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.
386O sähst du, voller Mondenschein,
387Zum letztenmal auf meine Pein,
388Den ich so manche Mitternacht
389An diesem Pult herangewacht:
390Dann über Büchern und Papier,390 Dann‸ bis Papier, ] S A Dann‸ bis Bücher und Papier‸ 1 H.5
Dann‸ bis Bücher und Papier, S
Dann, bis Papier, B B.a
(IV a)
391Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!
392Ach! könnt’ ich doch auf Berges-Höh’n,
393In deinem lieben Lichte gehn,
394Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
395Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
396Von allem Wissensqualm entladen,
397In deinem Thau gesund mich baden!
398Weh! steck’ ich in dem Kerker
noch?
399Verfluchtes, dumpfes Mauerloch!
400Wo selbst das liebe Himmelslicht
401Trüb’ durch gemahlte Scheiben bricht.
403Den Würme nagen, Staub bedeckt,
404Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,
405Ein angeraucht Papier umsteckt;
406Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
407Mit Instrumenten vollgepfropft,
408Urväter Hausrath drein gestopft –
409Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
410Und fragst du noch, warum dein
Herz
411Sich bang’ in deinem Busen klemmt?
412Warum ein unerklärter Schmerz
413Dir alle Lebensregung hemmt?
414Statt der lebendigen Natur,
415Da Gott die Menschen schuf hinein,
416Umgiebt in Rauch und Moder nur
417Dich Thiergeripp’ und Todtenbein.
419Und dieß geheimnißvolle Buch,
420Von Nostradamus eigner Hand,
421Ist dir es nicht Geleit genug?
422Erkennest dann der Sterne Lauf,
423Und wenn Natur dich unterweist,
424Dann geht die Seelenkraft dir auf,
425Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
426Umsonst, daß trocknes Sinnen hier426 Umsonst, ] S A Umsonst‸ 1 H.5
Umsonst! B B.a
Umsonst, 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(IV a)
427Die heil’gen Zeichen dir erklärt,
428Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,
429Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
∞Er schlägt das Buch
auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.
430Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
431Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
432Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück
433Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
434War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?
435Die mir das innre Toben stillen,
436Das arme Herz mit Freude füllen,
437Und mit geheimnißvollem Trieb,
438Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen.
439Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
440Ich schau’ in diesen reinen Zügen
441Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
442Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:
443„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
444„Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
445„Auf bade, Schüler, unverdrossen,
446„Die ird’sche Brust im Morgenroth!“
∞Er beschaut das
Zeichen.
447Wie alles sich zum Ganzen webt,
448Eins in dem andern wirkt und lebt!
449Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
450Und sich die goldnen Eimer reichen!
451Mit segenduftenden Schwingen
452Vom Himmel durch die Erde dringen,
454Welch Schauspiel! aber ach! ein
Schauspiel nur!
455Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?
456Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
457An denen Himmel und Erde hängt,
458Dahin die welke Brust sich drängt –
459Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so
vergebens?
∞Er schlägt
unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen
des Erdgeistes.
460Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
461Du, Geist der Erde, bist mir näher;
462Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,
463Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,
464Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,464 Muth, bis wagen, ] S A B.a Muth‸ bis wagen‸ 1 H.5
Muth‸ bis wagen, B
(IV c)
465Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
466Mit Stürmen mich herumzuschlagen,
467Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,
468Es wölkt sich über mir –
469Der Mond verbirgt sein Licht –
470Die Lampe schwindet!
471Es dampft! – Es zucken rothe Strahlen
472Mir um das Haupt – Es weht
473Ein Schauer vom Gewölb’ herab
474Und faßt mich an!
475Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.
476Enthülle dich!
477Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!
478Zu neuen Gefühlen
480Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
∞Er faßt das Buch
und spricht das Zeichen des Geistes geheimnißvoll aus. Es zuckt
eine röthliche Flamme, der Geist
erscheint in der Flamme.
∞Geist
486Du flehst erathmend mich zu schauen,
487Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn,
488Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
489Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen
490Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
491Wo ist die Brust? die eine Welt in sich erschuf,
492Und trug und hegte; die mit Freudebeben
493Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben.
494Wo bist du, Faust? deß Stimme mir erklang,
495Der sich an mich mit allen Kräften drang?
496Bist Du es? der, von
meinem Hauch umwittert,
497In allen Lebenstiefen zittert,
498Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!
∞Geist
501In Lebensfluthen, im Thatensturm
502Wall’ ich auf und ab,
504Geburt und Grab,
505Ein ewiges Meer,
506Ein wechselnd Weben,
507Ein glühend Leben,
508So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
509Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
∞Verschwindet
∞Faust
∞zusammenstürzend
514Nicht dir!
515Wem denn?
516Ich Ebenbild der Gottheit!
517Und nicht einmal dir!
∞Es klopft.
518O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –
519Es wird mein schönstes Glück zu nichte!
520Daß diese Fülle der Gesichte
521Der trockne Schleicher stören muß!
∞Wagner im Schlafrocke und der
Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich
unwillig.
∞Wagner
522Verzeiht! ich hör’ euch declamiren;
523Ihr las’t gewiß ein griechisch Trauerspiel?
525Denn heut zu Tage wirkt das viel.
526Ich hab’ es öfters rühmen hören,
527Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.
∞Wagner
530Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
531Und sieht die Welt kaum einen Feyertag,
532Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
533Wie soll man sie durch Überredung leiten?
∞Faust
534Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,
535Wenn es nicht aus der Seele dringt,
536Und mit urkräftigem Behagen
537Die Herzen aller Hörer zwingt.
538Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
539Braut ein Ragout von andrer Schmaus,
540Und blas’t die kümmerlichen Flammen
541Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!
542Bewund’rung von Kindern und Affen,
543Wenn euch darnach der Gaumen steht;
544Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
545Wenn es euch nicht von Herzen geht.
∞Faust
548Such’ Er den redlichen Gewinn!
549Sey er kein schellenlauter Thor!
550Es trägt Verstand und rechter Sinn
551Mit wenig Kunst sich selber vor;
552Und wenn’s euch Ernst ist was zu sagen,
553Ist’s nöthig Worten nachzujagen?
554Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
555In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
556Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
557Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!
∞Wagner
558Ach Gott! die Kunst ist lang;
559Und kurz ist unser Leben.
560Mir wird, bey meinem kritischen Bestreben,
561Doch oft um Kopf und Busen bang’.
562Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
563Durch die man zu den Quellen steigt!
564Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,
565Muß wohl ein armer Teufel sterben.
∞Faust
566Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,566 Pergament, ] S A B.a Pergament‸ 1 H.5
Pergament‸ B
(IV c)566 heilge ] A heil’ge S
heil’ge B B.a
(IV a)
567Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
568Erquickung hast du nicht gewonnen,
569Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
∞Wagner
570Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,570–571 Ergetzen, bis versetzen; ] S A B.a Ergözzen‸ bis versezzen. 1 H.5
Ergetzen‸ bis versetzen, B
(IV c)
571Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
572Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,572 schauen, ] S A B.a schauen‸ 1 H.5
schauen‸ B
(IV c)
573Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
∞Faust
574O ja, bis an die Sterne weit!
575Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
576Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
577Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
578Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
579In dem die Zeiten sich bespiegeln.
580Da ist’s dann wahrlich oft ein Jammer!
581Man läuft euch bey dem ersten Blick davon.
582Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
583Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,
584Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,
585Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
∞Faust
588Ja was man so erkennen heißt!
589Wer darf das Kind beym rechten Namen nennen?
590Die wenigen, die was davon erkannt,
591Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,
592Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
593Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.593 gekreuzigt ] 1 H.5 S gekreutzigt A B 1 H.1 C.1 12
gekreuzigt B.a
gekreuzigt C.3 12
(II a)
594Ich bitt’ euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
595Wir müssen’s dießmal unterbrechen.
∞Wagner
596Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
597Um so gelehrt mit euch mich zu besprechen.
598Doch Morgen, als am ersten Ostertage,
599Erlaubt mir ein’ und andre Frage.
600Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen,
601Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen.
∞ab
∞Faust
∞allein
602Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
603Der immerfort an schaalem Zeuge klebt,603 schaalem ] A schaalen 1 H.5
schalem S
schalem D.1 B B.a
(IV a)
604Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,
606Darf eine solche Menschenstimme
hier,
607Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
608Doch ach! für dießmal dank’ ich dir,
609Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
610Du rissest mich von der Verzweiflung los,
611Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
612Ach! die Erscheinung war so Riesen-groß,
613Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
614Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich
schon
615Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,
616Sein selbst genoß, in Himmelsglanz und Klarheit,
617Und abgestreift den Erdensohn;
618Ich, mehr als Cherub, dessen freye Kraft
619Schon durch die Adern der Natur zu fließen
620Und, schaffend, Götterleben zu genießen
622Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
623Nicht darf ich dir zu gleichen mich
vermessen.
624Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen;
625So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.
626In jenem sel’gen Augenblicke
627Ich fühlte mich so klein, so groß,
628Du stießest grausam mich zurücke,
629Ins ungewisse Menschenloos.
630Wer lehret mich? was soll ich meiden?
631Soll ich gehorchen jenem Drang?
632Ach! unsre Thaten selbst, so gut als unsre
Leiden,
633Sie hemmen unsres Lebens Gang.
635Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;
636Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
637Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
638Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
639Erstarren in dem irdischen Gewühle.
640Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem
Flug,
641Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
642So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
643Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
644Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
645Dort wirket sie geheime Schmerzen,
646Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
647Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
648Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind
erscheinen,
649Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
651Und was du nie verlierst das mußt du stets
beweinen.
652Den Göttern gleich’ ich nicht! zu
tief ist es gefühlt;
653Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt;
654Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
655Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
656Ist es nicht Staub? was diese hohe
Wand,
657Aus hundert Fächern, mir verenget;
658Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,
659In dieser Mottenwelt mich dränget?
660Hier soll ich finden was mir fehlt?
661Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
662Daß überall die Menschen sich gequält,
663Daß hie und da ein Glücklicher gewesen? –
664Was grinsest du mir hohler Schädel her?
665Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret,
666Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,666 leichten ] A B B.a mon Gö 1 H.1 leichten C.1 12 C.3 12
lichten konj Hartung (III *)
667Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.
668Ihr Instrumente freylich, spottet mein,
669Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel.
670Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel seyn;
671Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die
Riegel.
672Geheimnißvoll am lichten Tag
673Läßt sich Natur des Schleyers nicht berauben,
674Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
675Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit
Schrauben.
676Du alt Geräthe das ich nicht gebraucht,
677Du stehst nur hier, weil dich mein Vater
brauchte.
678Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
679So lang an diesem Pult die trübe Lampe
schmauchte.
682Was du ererbt von deinen Vätern hast
684Was man nicht nützt ist eine schwere Last,
686Doch warum heftet sich mein Blick auf
jene Stelle?
687Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
688Warum wird mir auf einmal lieblich helle?
689Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz
umweht.
690Ich grüße dich, du einzige
Phiole!
691Die ich mit Andacht nun herunterhole,
692In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst.
693Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
694Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,
695Erweise deinem Meister deine Gunst!
696Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
697Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
698Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach.
699Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewiesen,
700Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen,
701Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
702Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten
Schwingen,
703An mich heran! Ich fühle mich bereit
704Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,
705Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit.
706Dieß hohe Leben, diese Götterwonne!
707Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
708Ja, kehre nur der holden Erdensonne
709Entschlossen deinen Rücken zu!
710Vermesse dich die Pforten aufzureißen,
712Hier ist es Zeit durch Thaten zu beweisen,
713Daß Mannes-Würde nicht der Götterhöhe weicht,
714Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,
715In der sich Phantasie zu eigner Quaal verdammt,
716Nach jenem Durchgang hinzustreben,
717Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
718Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen
721Hervor aus deinem alten Futterale,
722An die ich viele Jahre nicht gedacht.
723Du glänztest bey der Väter Freudenfeste,
724Erheitertest die ernsten Gäste,
725Wenn einer dich dem andern zugebracht.
726Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
727Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
728Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,
729Erinnert mich an manche Jugend-Nacht,
730Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
731Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht
zeigen,
732Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.
734Den ich bereitet, den ich wähle,
735Der letzte Trunk sey nun, mit ganzer Seele,
736Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
∞Er setzt die Schale an den
Mund.
∞Chor der
Engel
∞Faust
742Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,
743Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
744Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon
745Des Osterfestes erste Feyerstunde?
746Ihr Chöre singt ihr schon den tröstlichen Gesang?
747Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
748Gewißheit einem neuen Bunde.
∞Chor der
Weiber
∞Chor der
Engel
∞Faust
762Was sucht ihr, mächtig und gelind,
764Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
765Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube;
766Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
767Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben,
768Woher die holde Nachricht tönt;
769Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
770Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
771Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß
772Auf mich herab, in ernster Sabathstille;
773Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,773 ahndungsvoll ] A J.2 ahnungsvoll B B.a
(IV a)
774Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
775Ein unbegreiflich holdes Sehnen
776Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,
777Und unter tausend heißen Thränen,
778Fühlt’ ich mir eine Welt entstehn.
779Dieß Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
780Der Frühlingsfeyer freyes Glück;
781Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
782Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
783O! tönet fort ihr süßen Himmelslieder!
784Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!
∞Chor der
Jünger
∞
∞Vor dem Thor
∞Spaziergänger aller
Art ziehen hinaus
∞Vierter
814Nach Burgdorf kommt herauf, gewiß dort findet ihr
815Die schönsten Mädchen und das beste Bier,
816Und Händel von der ersten Sorte.
∞Fünfter
817Du überlustiger Gesell,
818Juckt dich zum drittenmal das Fell?
819Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.
∞Erste
822Das ist für mich kein großes Glück;
823Er wird an deiner Seite gehen,
824Mit dir nur tanzt er auf dem Plan.
825Was gehn mich deine Freuden an!
∞Schüler
828Blitz wie die wackern Dirnen schreiten!
829Herr Bruder komm! wir müssen sie begleiten.
830Ein starkes Bier, ein beizender Toback,
831Und eine Magd im Putz das ist nun mein Geschmack.
∞Bürgermädchen
832Da sieh mir nur die schönen Knaben!
833Es ist wahrhaftig eine Schmach,
834Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben,
835Und laufen diesen Mägden nach!
∞Zweyter
Schüler
∞zum ersten
836Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwey,
837Sie sind gar niedlich angezogen,
838’s ist meine Nachbarin dabey;
839Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.
840Sie gehen ihren stillen Schritt
841Und nehmen uns doch auch am Ende mit.
∞Erster
842Herr Bruder nein! Ich bin nicht gern genirt.
843Geschwind! daß wir das Wildpret nicht verlieren.
844Die Hand, die Samstags ihren Besen führt,
∞Bürger
846Nein, er gefällt mir nicht der neue Burgemeister!
847Nun, da er’s ist, wird er nur täglich dreister.
848Und für die Stadt was thut denn er?
849Wird es nicht alle Tage schlimmer?
850Gehorchen soll man mehr als immer,
851Und zahlen mehr als je vorher.
∞Bettler
∞singt
852Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,852–859 Die Verse sind in allen Drucken nicht eingerückt; in Q wurden sie ebenso wie die Verse 949–980 eingerückt. (VII)
853So wohlgeputzt und backenroth,
854Belieb’ es euch mich anzuschauen,
855Und seht und mildert meine Noth!
856Laßt hier mich nicht vergebens leyern!
857Nur der ist froh, der geben mag.
858Ein Tag den alle Menschen feyern,
∞Andrer
Bürger
860Nichts bessers weiß ich mir an Sonn- und Feyertagen,
861Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrey,
862Wenn hinten, weit, in der Türkey,
863Die Völker auf einander schlagen.
864Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
865Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
866Dann kehrt man Abends froh nach Haus,
867Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.
∞Dritter
Bürger
868Herr Nachbar, ja! so laß ich’s auch geschehn,
869Sie mögen sich die Köpfe spalten,
870Mag alles durch einander gehn;
871Doch nur zu Hause bleib’s beym Alten.
∞Alte
∞zu den
Bürgermädchen
872Ey! wie geputzt! das schöne junge Blut!
873Wer soll sich nicht in euch vergaffen? –
874Nur nicht so stolz! es ist schon gut!
875Und was ihr wünscht das wüßt’ ich wohl zu schaffen.
∞Bürgermädchen
876Agathe fort! ich nehme mich in Acht
877Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen;
878Sie ließ mich zwar, in Sanct Andreas Nacht,
∞Die
Andre
880Mir zeigte sie ihn im Krystall,
881Soldatenhaft, mit mehreren Verwegnen;
882Ich seh’ mich um, ich such’ ihn überall,
883Allein mir will er nicht begegnen.
∞Soldaten
∞Faust
903Vom Eise befreyt sind Strom und Bäche,
904Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
905Im Thale grünet Hoffnungs-Glück;
906Der alte Winter, in seiner Schwäche,
907Zog sich in rauhe Berge zurück.
908Von dorther sendet er, fliehend, nur
909Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
910In Streifen über die grünende Flur;
911Aber die Sonne duldet kein Weißes,
912Überall regt sich Bildung und Streben,
913Alles will sie mit Farben beleben;
915Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
916Kehre dich um, von diesen Höhen
917Nach der Stadt zurück zu sehen.
918Aus dem hohlen finstren Thor
919Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
920Jeder sonnt sich heute so gern.
921Sie feyern die Auferstehung des Herrn,
922Denn sie sind selber auferstanden,
923Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
924Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
925Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
926Aus der Straßen quetschender Enge,
927Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
928Sind sie alle ans Licht gebracht.
929Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
930Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
931Wie der Fluß, in Breit’ und Länge,
932So manchen lustigen Nachen bewegt,
933Und, bis zum Sinken überladen,
934Entfernt sich dieser letzte Kahn.
935Selbst von des Berges fernen Pfaden
936Blinken uns farbige Kleider an.
937Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
938Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
939Zufrieden jauchzet groß und klein:
940Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s seyn.
∞Wagner
941Mit euch, Herr Doctor, zu spazieren
942Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
943Doch würd’ ich nicht allein mich her verlieren,
944Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
945Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben,
946Ist mir ein gar verhaßter Klang;
947Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
948Und nennen’s Freude, nennen’s Gesang.
∞Bauern
∞unter der Linde
∞Tanz und
Gesang
949Der Schäfer putzte sich zum Tanz,949–980 nicht eingerückt A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12 eingerückt Q
(VII)
950Mit bunter Jacke, Band und Kranz,
951Schmuck war er angezogen.
952Schon um die Linde war es voll
953Und alles tanzte schon wie toll.
954Juchhe! Juchhe!
955Juchheisa! Heisa! He!
956So ging der Fiedelbogen.
957Er drückte hastig sich heran,
959Mit seinem Ellenbogen;
960Die frische Dirne kehrt sich um
961Und sagte: nun das find’ ich dumm!
962Juchhe! Juchhe!
963Juchheisa! Heisa! He!
964Seyd nicht so ungezogen.
965Doch hurtig in dem Kreise ging’s,
967Und alle Röcke flogen.
968Sie wurden roth, sie wurden warm
969Und ruhten athmend Arm in Arm,
970Juchhe! Juchhe!
971Juchheisa! Heisa! He!
972Und Hüft’ an Ellenbogen.
∞Alter
Bauer
981Herr Doctor, das ist schön von euch,
982Daß ihr uns heute nicht verschmäht,
983Und unter dieses Volksgedräng’,
984Als ein so Hochgelahrter, geht.
985So nehmet auch den schönsten Krug,
986Den wir mit frischem Trunk gefüllt,
987Ich bring’ ihn zu und wünsche laut,
988Daß er nicht nur den Durst euch stillt;988 stillt; ] Das Semikolon fehlt in manchen Exemplaren von A. (VII)
989Die Zahl der Tropfen, die er hegt,
990Sey euren Tagen zugelegt.
∞
Das Volk sammelt sich im Kreis
umher
∞Alter
Bauer
993Fürwahr es ist sehr wohl gethan,
994Daß ihr am frohen Tag erscheint;
995Habt ihr es vormals doch mit uns
997Gar mancher steht lebendig hier,
998Den euer Vater noch zuletzt
999Der heißen Fieberwuth entriß,
1000Als er der Seuche Ziel gesetzt.
1001Auch damals ihr, ein junger Mann,
1002Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
1003Gar manche Leiche trug man fort,
1004Ihr aber kamt gesund heraus,
1005Bestandet manche harte Proben;
1006Dem Helfer half der Helfer droben.
∞Er geht mit Wagnern
weiter.
∞Wagner
1011Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann!
1012Bey der Verehrung dieser Menge haben!
1013O! glücklich! wer von seinen Gaben
1014Solch einen Vortheil ziehen kann.
1015Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
1016Ein jeder fragt und drängt und eilt,
1017Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
1018Du gehst, in Reihen stehen sie,
1019Die Mützen fliegen in die Höh’;
1020Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
1021Als käm’ das Venerabile.
∞Faust
1022Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
1023Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
1024Hier saß ich oft gedankenvoll allein
1025Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
1026An Hoffnung reich, im Glauben fest,
1027Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
1028Dacht’ ich das Ende jener Pest
1029Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
1030Der Menge Beyfall tönt mir nun wie Hohn.
1031O könntest du in meinem Innern lesen,
1032Wie wenig Vater und Sohn
1033Solch eines Ruhmes werth gewesen!
1034Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
1035Der über die Natur und ihre heilgen Kreise,
1036In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
1037Mit grillenhafter Mühe sann.
1038Der, in Gesellschaft von Adepten,
1039Sich in die schwarze Küche schloß,
1040Und, nach unendlichen Recepten,
1041Das Widrige zusammengoß.
1042Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer,
1043Im lauen Bad, der Lilie vermählt
1044Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer,
1045Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
1046Erschien darauf, mit bunten Farben,
1047Die junge Königin im Glas,
1048Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
1049Und niemand fragte: wer genas?
1050So haben wir, mit höllischen Latwergen,
1051In diesen Thälern, diesen Bergen,
1052Weit schlimmer als die Pest getobt.
1053Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,
1054Sie welkten hin, ich muß erleben
1055Daß man die frechen Mörder lobt.
∞Wagner
1056Wie könnt ihr euch darum betrüben!
1057Thut nicht ein braver Mann genug;
1058Die Kunst, die man ihm übertrug,
1059Gewissenhaft und pünctlich auszuüben.
1060Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
1061So wirst du gern von ihm empfangen;
1062Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
1063So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.
∞Faust
1064O! glücklich! wer noch hoffen kann
1065Aus diesem Meer des Irrthums aufzutauchen.
1066Was man nicht weiß das eben brauchte man,
1067Und was man weiß kann man nicht brauchen.
1068Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut,
1069Durch solchen Trübsinn, nicht verkümmern!
1070Betrachte wie, in Abendsonne-Glut,
1071Die grünumgebnen Hütten schimmern.
1072Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
1073Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
1074O! daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
1075Ihr nach und immer nach zu streben.
1076Ich säh’ im ewigen Abendstrahl
1077Die stille Welt zu meinen Füßen,
1078Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Thal,
1079Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
1080Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
1081Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
1082Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
1083Vor den erstaunten Augen auf.
1085Allein der neue Trieb erwacht,
1086Ich eile fort ihr ew’ges Licht zu trinken,
1087Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,
1088Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
1089Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
1090Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
1091Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
1093Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
1094Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
1095Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
1096Wenn über schroffen Fichtenhöhen
1097Der Adler ausgebreitet schwebt,
1098Und über Flächen, über Seen,
1099Der Kranich nach der Heimat strebt.
∞Wagner
1100Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
1101Doch solchen Trieb hab’ ich noch nie empfunden.
1102Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt,
1103Des Vogels Fittig werd’ ich nie beneiden.
1104Wie anders tragen uns die Geistesfreuden,
1105Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
1106Da werden Winternächte hold und schön,
1107Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
1108Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen;
1109So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.
∞Faust
1110Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,
1111O lerne nie den andern kennen!
1112Zwey Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
1113Die eine will sich von der andern trennen;
1114Die eine hält, in derber Liebeslust,
1115Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
1116Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust,
1117Zu den Gefilden hoher Ahnen.
1118O giebt es Geister in der Luft,
1119Die zwischen Erd’ und Himmel herrschend weben,
1120So steiget nieder aus dem goldnen Duft
1121Und führt mich weg, zu neuem buntem Leben!
1122Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!
1123Und trüg’ er mich in fremde Länder,
1124Mir sollt’ er, um die köstlichsten Gewänder,
1125Nicht feil um einen Königsmantel seyn.
∞Wagner
1126Berufe nicht die wohlbekannte Schaar,
1127Die, strömend, sich im Dunstkreis überbreitet,
1128Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
1129Von allen Enden her, bereitet.
1130Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
1131Auf dich herbey, mit pfeilgespitzten Zungen;
1132Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
1133Und nähren sich von deinen Lungen;
1134Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
1135Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,
1136So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,
1137Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
1138Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
1139Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen,
1140Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
1141Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
1142Doch gehen wir! ergraut ist schon die Welt,
1143Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
1144Am Abend schätzt man erst das Haus. –
1145Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?
1146Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?
∞Faust
1152Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
1153Er um uns her und immer näher jagt?
1154Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
1155Auf seinen Pfaden hinterdrein.
∞Wagner
1156Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel,
1157Es mag bey euch wohl Augentäuschung seyn.
∞Wagner
1160Ich seh’ ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,
1161Weil er, statt seines Herrn, zwey Unbekannte sieht.
∞Wagner
1163Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
1164Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
1165Er wedelt. Alles Hunde Brauch.
∞Wagner
1167Es ist ein pudelnärrisch Thier.
1168Du stehest still, er wartet auf;
1169Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;
1170Verliere was, er wird es bringen,
1171Nach deinem Stock ins Wasser springen.
∞Wagner
1174Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
1175Wird selbst ein weiser Mann gewogen.
1176Ja deine Gunst verdient er ganz und gar
1177Er, der Studenten trefflicher Scolar.
∞Sie gehen in das
Stadt-Thor.
∞
∞Studirzimmer
∞Faust
∞mit dem
Pudel
hereintretend
1178Verlassen hab’ ich Feld und Auen,
1179Die eine tiefe Nacht bedeckt,
1181In uns die bessre Seele weckt.
1182Entschlafen sind nun wilde Triebe,
1183Mit jedem ungestümen Thun;
1184Es reget sich die Menschenliebe,
1185Die Liebe Gottes regt sich nun.
1186Sey ruhig Pudel! renne nicht hin und wieder!
1188Lege dich hinter den Ofen nieder,
1189Mein bestes Kissen geb’ ich dir.
1190Wie du draußen auf dem bergigen Wege,
1191Durch Rennen und Springen, ergetzt uns hast,
1192So nimm nun auch von mir die Pflege,
1193Als ein willkommner stiller Gast.
1194Ach wenn in unsrer engen Zelle
1195Die Lampe freundlich wieder brennt,
1196Dann wird’s in unserm Busen helle,
1197Im Herzen, das sich selber kennt.
1198Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
1199Und Hoffnung wieder an zu blühn,
1200Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
1201Ach! nach des Lebens Quelle hin.
1202Knurre nicht Pudel! Zu den heiligen Tönen,
1203Die jetzt meine ganze Seel’ umfassen,
1204Will der thierische Laut nicht passen.
1205Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen
1206Was sie nicht verstehn,
1207Daß sie vor dem Guten und Schönen,
1208Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;
1209Will es der Hund, wie sie, beknurren?
1210Aber ach! schon fühl’ ich, bey dem besten
Willen,
1211Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
1212Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
1213Und wir wieder im Durste liegen?
1214Davon hab’ ich so viel Erfahrung.
1215Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,
1216Wir lernen das Überirdische schätzen,
1217Wir sehnen uns nach Offenbarung,
1218Die nirgends würd’ger und schöner brennt,
1219Als in dem neuen Testament.
1220Mich drängt’s den Grundtext aufzuschlagen,
1221Mit redlichem Gefühl einmal
1222Das heilige Original
1223In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.
∞Er schlägt ein
Volum auf und schickt sich an.
1224Geschrieben steht: „im Anfang war das Wort!“
1225Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter
fort?
1226Ich kann das Wort
so hoch unmöglich schätzen,
1227Ich muß es anders übersetzen,
1228Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
1229Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.
1230Bedenke wohl die erste Zeile,
1231Daß deine Feder sich nicht übereile!
1233Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft!
1234Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
1235Schon warnt mich was, daß ich dabey nicht
bleibe.
1236Mir hilft der Geist! auf einmal seh’ ich Rath
1237Und schreibe getrost: im Anfang war die That!
1238Soll ich mit dir das Zimmer theilen,
1239Pudel, so laß das Heulen,
1240So laß das Bellen!
1241Solch einen störenden Gesellen
1242Mag ich nicht in der Nähe leiden.
1243Einer von uns beyden
1244Muß die Zelle meiden.
1245Ungern heb’ ich das Gastrecht auf,
1246Die Thür’ ist offen, hast freyen Lauf.
1247Aber was muß ich sehen!
1248Kann das natürlich geschehen?
1249Ist es Schatten? ist’s Wirklichkeit?
1250Wie wird mein Pudel lang und breit!
1251Er hebt sich mit Gewalt,
1252Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
1253Welch ein Gespenst bracht’ ich ins Haus!
1254Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
1255Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
1256O! du bist mir gewiß!
1257Für solche halbe Höllenbrut
1258Ist Salomonis Schlüssel gut.
∞Geister
∞auf dem Gange
1259Drinnen gefangen ist einer!
1260Bleibet haußen, folg’ ihm keiner!
1261Wie im Eisen der Fuchs,
1262Zagt ein alter Höllenluchs.
1263Aber gebt Acht!
1264Schwebet hin, schwebet wieder,
1265Auf und nieder,
1266Und er hat sich losgemacht.
1267Könnt ihr ihm nützen,
1268Laßt ihn nicht sitzen!
1269Denn er that uns allen
1270Schon viel zu Gefallen.
∞Faust
1277Wer sie nicht kennte
1278Die Elemente,
1279Ihre Kraft
1280Und Eigenschaft,
1281Wäre kein Meister
1282Über die Geister.
1283Verschwind’ in Flammen
1284Salamander!
1285Rauschend fließe zusammen
1286Undene!
1287Leucht’ in Meteoren-Schöne
1288Silphe!
1290
Incubus! incubus!
1291Tritt hervor und mache den Schluß.
1292Keines der Viere
1293Steckt in dem Thiere.
1294Es liegt ganz ruhig und grins’t mich an,
1295Ich hab’ ihm noch nicht weh gethan.
1296Du sollst mich hören
1297Stärker beschwören.
1298Bist du Geselle
1299Ein Flüchtling der Hölle?
1300So sieh dies Zeichen!
1301Dem sie sich beugen
1302Die schwarzen Schaaren.
1303Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
1310Hinter den Ofen gebannt
1311Schwillt es wie ein Elephant,
1312Den ganzen Raum füllt es an,
1313Es will zum Nebel zerfließen.
1314Steige nicht zur Decke hinan!
1315Lege dich zu des Meisters Füßen!
1316Du siehst daß ich nicht vergebens drohe.
1317Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
1318Erwarte nicht
1319Das dreymal glühende Licht!
1320Erwarte nicht
1321Die stärkste von meinen Künsten!
∞Mephistopheles
∞tritt, indem der
Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender
Scholastikus, hinter dem Ofen hervor
1322Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?
∞Mephistopheles
1328Für einen der das Wort so sehr verachtet,
1329Der, weit entfernt von allem Schein,
1330Nur in der Wesen Tiefe trachtet.
∞Faust
1331Bey euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
1332Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
1333Wo es sich allzudeutlich weis’t,
1334Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.
1335Nun gut wer bist du denn?
∞Mephistopheles
1335Ein Theil von jener Kraft,
1336Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
∞Mephistopheles
1338Ich bin der Geist der stets verneint!
1339Und das mit Recht; denn alles was entsteht
1340Ist werth daß es zu Grunde geht;
1341Drum besser wär’s daß nichts entstünde.
1342So ist denn alles was ihr Sünde,
1343Zerstörung, kurz das Böse nennt,
1344Mein eigentliches Element.
∞Mephistopheles
1346Bescheidne Wahrheit sprech’ ich dir.
1347Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
1348Gewöhnlich für ein Ganzes hält;
1349Ich bin ein Theil des Theils, der Anfangs alles war,
1350Ein Theil der Finsterniß, die sich das Licht gebar,
1351Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
1352Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
1353Und doch gelingt’s ihm nicht, da es, so viel es
strebt,
1354Verhaftet an den Körpern klebt.
1355Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön,
1356Ein Körper hemmt’s auf seinem Gange,
1357So, hoff’ ich, dauert es nicht lange
1358Und mit den Körpern wird’s zu Grunde gehn.
∞Faust
1359Nun kenn’ ich deine würd’gen Pflichten!
1360Du kannst im Großen nichts vernichten
1361Und fängst es nun im Kleinen an.
∞Mephistopheles
1362Und freylich ist nicht viel damit gethan.
1363Was sich dem Nichts entgegenstellt,
1364Das Etwas, diese plumpe Welt,
1365So viel als ich schon unternommen
1366Ich wußte nicht ihr beyzukommen,
1367Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand,
1368Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
1369Und dem verdammten Zeug, der Thier- und
Menschenbrut,
1370Dem ist nun gar nichts anzuhaben,
1371Wie viele hab’ ich schon begraben!
1372Und immer zirkulirt ein neues, frisches Blut.
1373So geht es fort, man möchte rasend werden!
1374Der Luft, dem Wasser, wie der Erden
1375Entwinden tausend Keime sich,
1376Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
1377Hätt’ ich mir nicht die Flamme vorbehalten;
1378Ich hätte nichts apart’s für mich.
∞Faust
1379So setzest du der ewig regen,
1380Der heilsam schaffenden Gewalt
1381Die kalte Teufelsfaust entgegen,
1382Die sich vergebens tückisch ballt!
1383Was anders suche zu beginnen
1384Des Chaos wunderlicher Sohn!
∞Mephistopheles
1385Wir wollen wirklich uns besinnen,
1386Die nächstenmale mehr davon!
1387Dürft’ ich wohl diesmal mich entfernen?
∞Faust
1388Ich sehe nicht warum du fragst.
1389Ich habe jetzt dich kennen lernen,
1390Besuche nun mich wie du magst.
1391Hier ist das Fenster, hier die Thüre,
1392Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.
∞Faust
1396Das Pentagramma macht dir Pein?
1397Ey sage mir, du Sohn der Hölle,
1398Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
1399Wie ward ein solcher Geist betrogen?
∞Mephistopheles
1400Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen;
1401Der eine Winkel, der nach außen zu,
1402Ist, wie du siehst, ein wenig offen.
∞Faust
1403Das hat der Zufall gut getroffen!
1404Und mein Gefangner wärst denn du?
1405Das ist von ohngefähr gelungen!
∞Mephistopheles
1406Der Pudel merkte nichts als er hereingesprungen,
1407Die Sache sieht jetzt anders aus;
1408Der Teufel kann nicht aus dem Haus.
∞Mephistopheles
1410’s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
1411Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
1412Das erste steht uns frey, beym zweyten sind wir
Knechte.
∞Faust
1413Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
1414Das find’ ich gut, da ließe sich ein Packt,
1415Und sicher wohl, mit euch ihr Herren schließen?
∞Mephistopheles
1416Was man verspricht, das sollst du rein genießen,
1417Dir wird davon nichts abgezwackt.
1418Doch das ist nicht so kurz zu fassen,
1419Und wir besprechen das zunächst;
1420Doch jetzo bitt’ ich, hoch und höchst,
1421Für diesesmal mich zu entlassen.
∞Mephistopheles
1424Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück,
1425Dann magst du nach Belieben fragen.
∞Faust
1426Ich habe dir nicht nachgestellt,
1427Bist du doch selbst ins Garn gegangen.
1428Den Teufel halte wer ihn hält!
1429Er wird ihn nicht sobald zum zweytenmale fangen.
∞Mephistopheles
1430Wenn dir’s beliebt, so bin ich auch bereit
1431Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben;
1432Doch mit Bedingniß, dir die Zeit,
1433Durch meine Künste, würdig zu vertreiben.
∞Mephistopheles
1436Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen,
1437In dieser Stunde mehr gewinnen,
1438Als in des Jahres Einerley.
1439Was dir die zarten Geister singen,
1440Die schönen Bilder die sie bringen,
1441Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
1442Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
1443Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
1444Und dann entzückt sich dein Gefühl.
1445Bereitung braucht es nicht voran,
1446Beysammen sind wir, fanget an!
∞Geister
1447Schwindet ihr dunkeln
1448Wölbungen droben!
1449Reizender schaue,
1450Freundlich, der blaue
1451Äther herein!
1452Wären die dunkeln
1453Wolken zerronnen!
1454Sternelein funkeln,
1455Mildere Sonnen
1456Scheinen darein.
1457Himmlischer Söhne
1458Geistige Schöne,
1459Schwankende Beugung
1460Schwebet vorüber.
1461Sehnende Neigung
1462Folget hinüber;
1463Und der Gewänder
1464Flatternde Bänder
1465Decken die Länder,
1466Decken die Laube,
1467Wo sich für’s Leben,
1468Tief in Gedanken,
1469Liebende geben.
1470Laube bey Laube!
1471Sprossende Ranken!
1472Lastende Traube
1473Stürzt in’s Behälter
1474Drängender Kelter,
1475Stürzen in Bächen
1476Schäumende Weine,
1477Rieseln durch reine,
1478Edle Gesteine,
1479Lassen die Höhen
1480Hinter sich liegen,
1481Breiten zu Seen
1482Sich ums Genügen
1483Grünender Hügel.
1484Und das Geflügel
1485Schlürfet sich Wonne,
1486Flieget der Sonne,
1487Flieget den hellen
1488Inseln entgegen,
1489Die sich auf Wellen
1490Gauklend bewegen;
1491Wo wir in Chören
1492Jauchzende hören,
1493Über den Auen
1494Tanzende schauen,
1495Die sich im Freyen
1496Alle zerstreuen.
1498Über die Höhen,
1499Andere schwimmen
1500Über die Seen,
1501Andere schweben;
1502Alle zum Leben,
1503Alle zur Ferne
1504Liebender Sterne
1505Seliger Huld.
∞Mephistopheles
1506Er schläft! So recht, ihr luft’gen, zarten
Jungen!
1507Ihr habt ihn treulich eingesungen!
1508Für dies Concert bin ich in eurer Schuld.
1509Du bist noch nicht der Mann den Teufel fest zu
halten!
1510Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten,
1511Versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
1512Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten
1513Bedarf ich eines Rattenzahns.
1514Nicht lange brauch’ ich zu beschwören,
1515Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich
hören.
1516Der Herr der Ratten und der
Mäuse,
1517Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse,
1518Befiehlt dir dich hervor zu wagen
1519Und diese Schwelle zu benagen,
1520So wie er sie mit Öl betupft –
1521Da kommst du schon hervorgehupft!
1522Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich
bannte,
1523Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
1524Noch einen Biß, so ist’s geschehn. –
1525Nun Fauste träume fort, bis wir uns wiedersehn.
∞
∞Studirzimmer
∞Faust.
Mephistopheles
∞Mephistopheles
1532So gefällst du mir.
1533Wir werden, hoff’ ich, uns vertragen;
1534Denn dir die Grillen zu verjagen
1535Bin ich, als edler Junker, hier,
1536In rothem goldverbrämten Kleide,
1537Das Mäntelchen von starrer Seide,
1538Die Hahnenfeder auf dem Hut,
1539Mit einem langen, spitzen Degen,
1540Und rathe nun dir, kurz und gut,
1541Dergleichen gleichfalls anzulegen;
1542Damit du, losgebunden, frey,
1543Erfahrest was das Leben sey.
∞Faust
1544In jedem Kleide werd’ ich wohl die Pein
1545Des engen Erdelebens fühlen.
1546Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
1547Zu jung, um ohne Wunsch zu seyn.
1548Was kann die Welt mir wohl gewähren?
1549Entbehren sollst du! sollst entbehren!
1550Das ist der ewige Gesang,
1551Der jedem an die Ohren klingt,
1552Den, unser ganzes Leben lang,
1553Uns heiser jede Stunde singt.
1554Nur mit Entsetzen wach’ ich Morgens auf,
1555Ich möchte bittre Thränen weinen,
1556Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
1557Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,
1559Mit eigensinnigem Krittel mindert,
1560Die Schöpfung meiner regen Brust
1561Mit tausend Lebensfratzen hindert.
1562Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
1563Mich ängstlich auf das Lager strecken,
1564Auch da wird keine Rast geschenkt,
1565Mich werden wilde Träume schrecken.
1566Der Gott, der mir im Busen wohnt,
1567Kann tief mein Innerstes erregen,
1568Der über allen meinen Kräften thront,
1569Er kann nach außen nichts bewegen;
1570Und so ist mir das Daseyn eine Last,
1571Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.
∞Faust
1574Die blutgen Lorbeern um die Schläfe windet,1574 blutgen ] A blut’gen D.1
blut’gen B B.a
(IV a)1574 Lorbeern ] A Lorber’n B
Lorbern B.a
(IV a)
1575Den er, nach rasch durchrastem Tanze,
1576In eines Mädchens Armen findet.
1577O wär’ ich vor des hohen Geistes Kraft
1578Entzückt, entseelt dahin gesunken!
∞Faust
1583Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
1584Ein süß bekannter Ton mich zog,
1585Den Rest von kindlichem Gefühle
1586Mit Anklang froher Zeit betrog;
1587So fluch’ ich allem was die Seele
1588Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt,
1590Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt!
1591Verflucht voraus die hohe Meinung,
1592Womit der Geist sich selbst umfängt!
1593Verflucht das Blenden der Erscheinung,
1594Die sich an unsre Sinne drängt!
1595Verflucht was uns in Träumen heuchelt,
1596Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
1597Verflucht was als Besitz uns schmeichelt,
1598Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
1599Verflucht sey Mammon, wenn mit Schätzen
1600Er uns zu kühnen Thaten regt,
1601Wenn er zu müßigem Ergetzen
1602Die Polster uns zurechte legt!
1603Fluch sey dem Balsamsaft der Trauben!
1604Fluch jener höchsten Liebeshuld!
1605Fluch sey der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
1606Und Fluch vor allen der Geduld!
∞Geisterchor
∞unsichtbar
1607Weh! weh!
1608Du hast sie zerstört,
1609Die schöne Welt,
1610Mit mächtiger Faust,
1611Sie stürzt, sie zerfällt!
1612Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
1613Wir tragen
1614Die Trümmern ins Nichts hinüber,
1615Und klagen
1616Über die verlorne Schöne.
1617Mächtiger
1618Der Erdensöhne,
1619Prächtiger
1620Baue sie wieder,
1621In deinem Busen baue sie auf!
1622Neuen Lebenslauf
1623Beginne,
1624Mit hellem Sinne,
1625Und neue Lieder
1626Tönen darauf!
∞Mephistopheles
1627Dies sind die kleinen
1628Von den Meinen.
1629Höre, wie zu Lust und Thaten
1630Altklug sie rathen!
1631In die Welt weit,
1632Aus der Einsamkeit,
1633Wo Sinnen und Säfte stocken,
1634Wollen sie dich locken.
1635Hör’ auf mit deinem Gram zu spielen,
1636Der, wie ein Geyer, dir am Leben frißt;
1637Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen
1638Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
1640Dich unter das Pack zu stoßen.
1641Ich bin keiner von den Großen;
1642Doch willst du, mit mir vereint,
1643Deine Schritte durchs Leben nehmen;
1644So will ich mich gern bequemen
1645Dein zu seyn, auf der Stelle.
1646Ich bin dein Geselle
1647Und, mach’ ich dir’s recht,
1648Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!
∞Faust
1651Nein nein! der Teufel ist ein Egoist
1652Und thut nicht leicht um Gottes Willen
1654Sprich die Bedingung deutlich aus;
1655Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.
∞Mephistopheles
1656Ich will mich hier zu
deinem Dienst verbinden,
1657Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
1658Wenn wir uns drüben
wieder finden,
1659So sollst du mir das Gleiche thun.
∞Faust
1660Das Drüben kann mich wenig kümmern,
1661Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
1662Die andre mag darnach entstehn.
1663Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
1664Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
1665Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
1666Dann mag was will und kann geschehn.
1667Davon will ich nichts weiter hören,
1668Ob man auch künftig haßt und liebt,
1669Und ob es auch in jenen Sphären
1670Ein Oben oder Unten giebt.
∞Mephistopheles
1671In diesem Sinne kannst du’s wagen.
1672Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
1673Mit Freuden meine Künste sehn,
1674Ich gebe dir was noch kein Mensch gesehn.
∞Faust
1675Was willst du armer Teufel geben?
1676Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
1677Von deines Gleichen je gefaßt?
1678Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast
1679Du rothes Gold, das ohne Rast,
1680Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
1681Ein Spiel, bey dem man nie gewinnt,
1682Ein Mädchen, das an meiner Brust
1683Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
1684Der Ehre schöne Götterlust,
1685Die, wie ein Meteor, verschwindet.
1686Zeig mir die Frucht die fault, eh’ man sie bricht,
1687Und Bäume die sich täglich neu begrünen!
∞Mephistopheles
1688Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
1689Mit solchen Schätzen kann ich dienen.
1690Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran
1691Wo wir was Gut’s in Ruhe schmausen mögen.
∞Faust
1692Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen;
1693So sey es gleich um mich gethan!
1694Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
1695Daß ich mir selbst gefallen mag,
1696Kannst du mich mit Genuß betrügen;
1697Das sey für mich der letzte Tag!
1698Die Wette biet’ ich!
∞Faust
1698Und Schlag auf Schlag!
1699Werd’ ich zum Augenblicke sagen:
1700Verweile doch! du bist so schön!
1701Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
1702Dann will ich gern zu Grunde gehn!
1703Dann mag die Todtenglocke schallen,
1704Dann bist du deines Dienstes frey,
1705Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
1706Es sey die Zeit für mich vorbey!
∞Faust
1708Dazu hast du ein volles Recht;
1709Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
1710Wie ich beharre bin ich Knecht,
1711Ob dein, was frag’ ich, oder wessen.
∞Mephistopheles
1712Ich werde heute gleich, beym Doctorschmaus,
1713Als Diener, meine Pflicht erfüllen.
1714Nur eins! – um Lebens oder Sterbens willen,
1715Bitt’ ich mir ein Paar Zeilen aus.
∞Faust
1716Auch was geschriebnes forderst du Pedant?
1717Hast du noch keinen Mann, nicht Mannes-Wort gekannt?
1718Ist’s nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
1719Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
1720Ras’t nicht die Welt in allen Strömen fort,
1721Und mich soll ein Versprechen halten?
1722Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
1723Wer mag sich gern davon befreyen?
1724Beglückt wer Treue rein im Busen trägt,
1725Kein Opfer wird ihn je gereuen!
1726Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
1728Das Wort erstirbt schon in der Feder,
1729Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
1730Was willst du böser Geist von mir?
1731Erz, Marmor, Pergament, Papier?
1732Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
1733Ich gebe jede Wahl dir frey.
∞Mephistopheles
1734Wie magst du deine Rednerey
1735Nur gleich so hitzig übertreiben?
1736Ist doch ein jedes Blättchen gut.
1737Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.
∞Faust
1741Nur keine Furcht, daß ich dieß Bündniß breche!
1742Das Streben meiner ganzen Kraft
1743Ist g’rade das was ich verspreche.
1744Ich habe mich zu hoch gebläht,
1745In deinen Rang gehör’ ich nur.
1746Der große Geist hat mich verschmäht,
1747Vor mir verschließt sich die Natur.
1748Des Denkens Faden ist zerrissen,
1749Mir ekelt lange vor allem Wissen.
1750Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
1751Uns glühende Leidenschaften stillen!
1752In undurchdrungnen Zauberhüllen
1753Sey jedes Wunder gleich bereit!
1754Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit
1755In’s Rollen der Begebenheit!
1756Da mag denn Schmerz und Genuß,
1757Gelingen und Verdruß,
1758Mit einander wechseln wie es kann;
1759Nur rastlos bethätigt sich der Mann.
∞Mephistopheles
1760Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
1761Beliebt’s euch überall zu naschen,
1762Im Fliehen etwas zu erhaschen;
1763Bekomm euch wohl was euch ergetzt.
1764Nur greift mir zu und seyd nicht blöde!
∞Faust
1765Du hörest ja, von Freud’ ist nicht die Rede.
1766Dem Taumel weih’ ich mich, dem schmerzlichsten
Genuß,
1767Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
1768Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
1769Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
1770Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
1771Will ich in meinem innern Selbst genießen,
1772Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
1773Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
1774Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
1775Und, wie sie selbst, am End’ auch ich zerscheitern.
∞Mephistopheles
1776O glaube mir, der manche tausend Jahre
1777An dieser harten Speise kaut,
1778Daß von der Wiege bis zur Bahre
1779Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
1780Glaub’ unser einem, dieses Ganze
1781Ist nur für einen Gott gemacht!
1782Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
1783Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
1784Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
∞Mephistopheles
1785Das läßt sich hören!
1786Doch nur vor Einem ist mir bang’;
1787Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
1788Ich dächt’, ihr ließet euch belehren.
1789Associirt euch mit einem Poeten,
1790Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
1791Und alle edlen Qualitäten
1792Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
1793Des Löwen Muth,
1794Des Hirsches Schnelligkeit,
1795Des Italiäners feurig Blut,
1796Des Nordens Dau’rbarkeit.
1797Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
1798Großmuth und Arglist zu verbinden,
1799Und euch, mit warmen Jugendtrieben,
1800Nach einem Plane, zu verlieben.
1801Möchte selbst solch einen Herren kennen,
1802Würd’ ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
∞Faust
1803Was bin ich denn? wenn es nicht möglich ist
1804Der Menschheit Krone zu erringen,
1805Nach der sich alle Sinne dringen.
∞Mephistopheles
1806Du bist am Ende – was du bist.
1807Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
1808Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
1809Du bleibst doch immer was du bist.
∞Faust
1810Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
1811Des Menschengeist’s auf mich herbeygerafft,
1812Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
1813Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
1814Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
1815Bin dem Unendlichen nicht näher.
∞Mephistopheles
1816Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
1817Wie man die Sachen eben sieht;
1818Wir müssen das gescheidter machen,
1819Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
1820Was Henker! freylich Händ’ und Füße
1821Und Kopf und H — — die sind dein;
1822Doch alles was ich frisch genieße,
1823Ist das drum weniger mein?
1824Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
1825Sind ihre Kräfte nicht die meine?
1826Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
1827Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
1828Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
1829Und g’rad’ mit in die Welt hinein!
1831Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
1832Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
1833Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
∞Mephistopheles
1834Wir gehen eben fort.
1835Was ist das für ein Marterort?
1836Was heißt das für ein Leben führen,
1837Sich und die Jungens ennuyiren?
1838Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
1839Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
1841Darfst du den Buben doch nicht sagen.
1842Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
∞Mephistopheles
1844Der arme Knabe wartet lange,
1845Der darf nicht ungetröstet gehn.
1846Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
1847Die Maske muß mir köstlich stehn.
∞Er kleidet sich
um.
1848Nun überlaß es meinem Witze!
1849Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
1850Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
∞
Faust ab
∞Mephistopheles
∞in Faust’s langem
Kleide
1851Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
1852Des Menschen allerhöchste Kraft,
1853Laß nur in Blend- und Zauberwerken
1854Dich von dem Lügengeist bestärken,
1855So hab’ ich dich schon unbedingt –
1856Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
1857Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
1858Und dessen übereiltes Streben
1859Der Erde Freuden überspringt.
1860Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
1861Durch flache Unbedeutenheit,
1862Er soll mir zappeln, starren, kleben,
1863Und seiner Unersättlichkeit
1864Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
1865Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
1866Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
1867Er müßte doch zu Grunde gehn!
∞Ein Schüler tritt auf
∞Mephistopheles
1872Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
1873Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
1874Habt ihr euch sonst schon umgethan?
∞Schüler
1875Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an!
1876Ich komme mit allem guten Muth,
1877Leidlichem Geld und frischem Blut;
1878Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
∞Schüler
1881Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
1882In diesen Mauern, diesen Hallen,
1883Will es mir keineswegs gefallen.
1884Es ist ein gar beschränkter Raum,
1885Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
1886Und in den Sälen, auf den Bänken,
1887Vergeht mir Hören, Seh’n und Denken.
∞Mephistopheles
1888Das kommt nur auf Gewohnheit an.
1889So nimmt ein Kind der Mutter Brust
1890Nicht gleich im Anfang willig an,
1891Doch bald ernährt es sich mit Lust.
1892So wird’s euch an der Weisheit Brüsten
1893Mit jedem Tage mehr gelüsten.
∞Schüler
1894An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
1895Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
∞Schüler
1898Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
1899Und möchte gern, was auf der Erden1899–1900 gern, bis ist, ] A B.a gern, bis den Himmel ist, S
gern‸ bis ist‸ B
(IV c)
1900Und in dem Himmel ist, erfassen,
1901Die Wissenschaft und die Natur.
∞Mephistopheles
1902Da seyd ihr auf der rechten Spur;
1903Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.
∞Schüler
1904Ich bin dabey mit Seel’ und Leib;
1905Doch freylich würde mir behagen
1906Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib,1906 Zeitvertreib, ] A B.a Zeitvertreib‸ S
Zeitvertreib‸ B
(IV c)
1907An schönen Sommerfeiertagen.
∞Mephistopheles
1908Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
1909Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
1910Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
1911Zuerst Collegium Logicum.
1912Da wird der Geist euch wohl dressirt,
1913In spanische Stiefeln eingeschnürt,
1914Daß er bedächtiger so fort an
1915Hinschleiche die Gedankenbahn,
1917Irlichtelire hin und her.1917 Irlichtelire ] S A B.a Irrlichtelire 1 H.5
Irrlichtelire B
(II b*)
1918Dann lehret man euch manchen Tag,
1919Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
1920Getrieben, wie Essen und Trinken frey,
1922Zwar ist’s mit der Gedanken-Fabrik
1923Wie mit einem Weber-Meisterstück,
1924Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
1925Die Schifflein herüber hinüber schießen,
1926Die Fäden ungesehen fließen,
1927Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
1928Der Philosoph der tritt herein,
1929Und beweis’t euch, es müßt’ so seyn:
1930Das Erst’ wär’ so, das Zweyte so,
1931Und drum das Dritt’ und Vierte so;
1932Und wenn das Erst’ und Zweyt’ nicht wär’,
1933Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
1934Das preisen die Schüler aller Orten,
1935Sind aber keine Weber geworden.
1936Wer will was lebendig’s erkennen und beschreiben,
1937Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
1938Dann hat er die Theile in seiner Hand,
1939Fehlt leider! nur das geistige Band.
1940Encheiresin naturae nennt’s die
Chimie,
1941Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
∞Mephistopheles
1943Das wird nächstens schon besser gehen,
1944Wenn ihr lernt alles reduciren
1945Und gehörig klassificiren.
∞Mephistopheles
1948Nachher, vor allen andern Sachen
1949Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
1951Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
1953Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
1954Doch vorerst dieses halbe Jahr
1955Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
1956Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
1958Habt euch vorher wohl präparirt,
1959Paragraphos wohl einstudirt,
1960Damit ihr nachher besser seht,
1961Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
1962Doch euch des Schreibens ja befleißt,
1963Als dictirt’ euch der Heilig’ Geist!
∞Schüler
1964Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!
1965Ich denke mir wie viel es nützt;
1966Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
1967Kann man getrost nach Hause tragen.
∞Mephistopheles
1970Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
1971Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
1972Es erben sich Gesetz’ und Rechte
1973Wie eine ew’ge Krankheit fort,
1974Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
1975Und rücken sacht von Ort zu Ort.
1976Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
1977Weh dir, daß du ein Enkel bist!
1978Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
1979Von dem ist leider! nie die Frage.
∞Schüler
1980Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
1981O glücklich der! den ihr belehrt.
1982Fast möcht’ ich nun Theologie studiren.
∞Mephistopheles
1983Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
1984Was diese Wissenschaft betrifft,
1985Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
1986Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
1988Am besten ist’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
1989Und auf des Meisters Worte schwört.
1990Im Ganzen – haltet euch an Worte!
1991Dann geht ihr durch die sichre Pforte
1992Zum Tempel der Gewißheit ein.
∞Mephistopheles
1994Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich
quälen;
1995Denn eben wo Begriffe fehlen,
1996Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
1997Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
1998Mit Worten ein System bereiten,
1999An Worte läßt sich trefflich glauben,
2000Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
∞Schüler
2001Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
2003Wollt ihr mir von der Medicin
2004Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
2005Drey Jahr’ ist eine kurze Zeit,
2006Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
2007Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
2008Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.
∞Mephistopheles
∞für sich
2009Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2010Muß wieder recht den Teufel spielen.
∞Laut
2011Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
2012Ihr durchstudirt die groß’ und kleine Welt,
2013Um es am Ende gehn zu lassen,
2014Wie’s Gott gefällt.
2015Vergebens daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
2016Ein jeder lernt nur was er lernen kann;
2017Doch der den Augenblick ergreift,
2018Das ist der rechte Mann.
2019Ihr seyd noch ziemlich wohlgebaut,
2020An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
2021Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
2022Vertrauen euch die andern Seelen.
2023Besonders lernt die Weiber führen;
2024Es ist ihr ewig Weh und Ach
2025So tausendfach
2026Aus Einem Puncte zu curiren,
2027Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
2029Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
2030Daß eure Kunst viel Künste übersteigt;
2031Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach allen
Siebensachen,
2032Um die ein andrer viele Jahre streicht,
2033Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
2034Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
2035Wohl um die schlanke Hüfte frey,
2036Zu seh’n, wie fest geschnürt sie sey.
∞Schüler
2040Ich schwör’ euch zu, mir ist’s als wie ein Traum.
2041Dürft’ ich euch wohl ein andermal beschweren,
2042Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
∞Schüler
2044Ich kann unmöglich wieder gehn,
2045Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen.
2046Gönn’ eure Gunst mir dieses Zeichen!
∞Er schreibt und
giebt’s.
∞Macht’s ehrerbietig zu und empfiehlt sich.nach 2048 ehrerbietig ] ehrbietig 1 H.5
ehrerbiethig S
ehrerbietieg A D.1
ehrerbietig B
ehrerbiethig B.a
(I a)
∞Mephistopheles
2049Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muhme der
Schlange,
2050Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähnlichkeit
bange!
∞Faust tritt auf
∞Mephistopheles
2051Wohin es dir gefällt.
2052Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
2053Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
2054Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
∞Faust
2055Allein bey meinem langen Bart
2056Fehlt mir die leichte Lebensart.
2057Es wird mir der Versuch nicht glücken;
2058Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken,
2059Vor andern fühl’ ich mich so klein;
2060Ich werde stets verlegen seyn.
∞Mephistopheles
2061Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
2062Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
∞Mephistopheles
2065Wir breiten nur den Mantel aus,
2066Der soll uns durch die Lüfte tragen.
2067Du nimmst bey diesem kühnen Schritt
2068Nur keinen großen Bündel mit.
2069Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
2070Hebt uns behend von dieser Erde.
2071Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
2072Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf!
∞
∞Auerbachs Keller in Leipzig
∞Zeche
lustiger Gesellen
∞Frosch
2073Will keiner trinken? keiner lachen?
2074Ich will euch lehren Gesichter machen!
2075Ihr seyd ja heut wie nasses Stroh,
2076Und brennt sonst immer lichterloh.
∞Siebel
2081Zur Thür hinaus wer sich entzweyt!
2082Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreyt!
2083Auf! Holla! Ho!
∞Brander
2092Ein garstig Lied! Pfuy! ein politisch Lied!2092 politisch Lied! ] A B B.a politisch Lied, 1 H.5
politisch Lied‸ S
(II a*)
2093Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen
2094Daß ihr nicht braucht für’s Röm’sche Reich zu
sorgen!
2095Ich halt’ es wenigstens für reichlichen Gewinn,
2096Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
2097Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
2098Wir wollen einen Papst erwählen.
2099Ihr wißt, welch eine Qualität
∞Siebel
2108Ja, singe, singe nur, und lob’ und rühme sie!
2109Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
2110Sie hat mich angeführt, dir wird sie’s auch so
machen.
2112Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
2113Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
2114Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
2115Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
2116Ist für die Dirne viel zu gut.
2117Ich will von keinem Gruße wissen,
2118Als ihr die Fenster eingeschmissen!
∞Brander
∞auf den Tisch
schlagend
2119Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
2120Ihr Herrn gesteht, ich weiß zu leben,
2121Verliebte Leute sitzen hier,
2122Und diesen muß, nach Standsgebühr,
2123Zur guten Nacht ich was zum Besten geben.
2124Gebt Acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
2125Und singt den Rundreim kräftig mit!
∞Er singt.
∞Brander
∞Brander
∞Siebel
2150Wie sich die platten Bursche freuen!
2151Es ist mir eine rechte Kunst,
2152Den armen Ratten Gift zu streuen!
∞Altmayer
2154Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
2155Das Unglück macht ihn zahm und mild;
2156Er sieht in der geschwollnen Ratte
2157Sein ganz natürlich Ebenbild.
∞Mephistopheles
2158Ich muß dich nun vor allen Dingen
2159In lustige Gesellschaft bringen,
2161Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
2162Mit wenig Witz und viel Behagen
2163Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
2164Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
2165Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
2166So lang’ der Wirth nur weiter borgt,
2167Sind sie vergnügt und unbesorgt.
∞Brander
2168Die kommen eben von der Reise,
2169Man sieht’s an ihrer wunderlichen Weise;
2170Sie sind nicht eine Stunde hier.
∞Frosch
2171Wahrhaftig du hast Recht! Mein Leipzig lob’ ich mir!
2172Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.
∞Frosch
2174Laßt mich nur gehn! bey einem vollen Glase,
2175Zieh’ ich, wie einen Kinderzahn,
2176Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
2177Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
2178Sie sehen stolz und unzufrieden aus.
∞Mephistopheles
∞zu Faust
2181Den Teufel spürt das Völkchen nie,
2182Und wenn er sie beym Kragen hätte.
∞Siebel
2183Viel Dank zum Gegengruß.
∞Leise, Mephistopheles von der Seite ansehendvor 2184 ansehend ] ansehend. S
ansehend‸ A
ansehend. D.1
ansehend. B B.a
(VIII)
2184Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß?
∞Mephistopheles
2185Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?
2186Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
2187Soll die Gesellschaft uns ergetzen.
∞Frosch
2189Ihr seyd wohl spät von Rippach aufgebrochen?
2190Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht
gespeis’t?
∞Mephistopheles
2191Heut sind wir ihn vorbey gereis’t;
2192Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
2193Von seinen Vettern wußt’ er viel zu sagen,
2194Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
∞Er neigt sich gegen
Frosch.
∞Altmayervor 2195 Altmayer leise ] Altmayer‸ leise. S
Altmayer. leise‸ A
Altmayer‸ leise. D.1
Altmayer‸ leise. B
Altmayer‸ (leise). B.a
(VIII)
∞leise
2195Da hast du’s! der versteht’s!
∞Mephistopheles
2197Wenn ich nicht irrte, hörten wir
2198Geübte Stimmen Chorus singen?
2199Gewiß, Gesang muß trefflich hier
2200Von dieser Wölbung wiederklingen!
∞Mephistopheles
∞Mephistopheles
∞Brander
2219Vergeßt nur nicht dem Schneider einzuschärfen,
2220Daß er mir auf’s genauste mißt,
2221Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
2222Die Hosen keine Falten werfen!
∞Mephistopheles
∞Chorus
∞Mephistopheles
2245Ich tränke gern ein Glas, die Freyheit hoch zu
ehren,
2246Wenn eure Weine nur ein Bißchen besser wären.
∞Mephistopheles
2248Ich fürchte nur der Wirth beschweret sich,
2249Sonst gäb’ ich diesen werthen Gästen
2250Aus unserm Keller was zum Besten.
∞Frosch
2252Schafft ihr ein gutes Glas, so wollen wir euch
loben.
2253Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;
2254Denn wenn ich judiciren soll,
2255Verlang’ ich auch das Maul recht voll.
∞Mephistopheles
∞nimmt den
Bohrervor 2260 nimmt bis Bohrer / zu Frosch ] nimmt bis Bohrer. / Zu Frosch. S
nimmt bis Bohrer‸ / zu Frosch‸ A
nimmt bis Bohrer. / zu Frosch‸ D.1
nimmt bis Bohrer. / Zu Frosch. B
(nimmt bis Bohrer, zu Frosch). B.a
(VIII)
∞zu Frosch
2260Nun sagt, was wünschet ihr zu schmecken?
∞Altmayer
∞zu Froschvor 2263 zu Frosch ] zu Frosch. S
zu Frosch‸ A
zu Frosch. D.1
zu Frosch. B
(zu Frosch). B.a
(VIII)
2263Aha! du fängst schon an die Lippen abzulecken.
∞Frosch
2264Gut! wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein
haben.
2265Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.
∞Mephistophelesvor 2266 Mephistopheles indem bis bohrt ] Mephistopheles‸ / indem bis bohrt. S
Mephistopheles. / (indem bis bohrt.) A
Mephistopheles. / indem bis bohrt. D.1
Mephistopheles, / indem bis bohrt. B
Mephistopheles‸ / (indem bis bohrt). B.a
(VIII)
∞indem er an dem
Platz, wo Frosch sitzt, ein Loch in den
Tischrand bohrt
2266Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu
machen!
∞Mephistopheles
∞zu Brandervor 2268 zu Brander ] zu Brander. S
(zu Brander)‸ A
zu Brander. D.1
zu Brander. B
(zu Brander). B.a
(VIII)
2268Und ihr?
∞Mephistopheles bohrt, einer hat indessen die Wachspfropfen gemacht und verstopft.vor 2270 Wachspfropfen ] S Wachspropfen A D.1
Wachspfropfen B B.a
(II a)nach 2269 MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft ] MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft. S
MEPHIsTOPHELES. / (bohrt, bis verstopft.) A
MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft. D.1
MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft. B
MEPHIsTOPHELES / (bohrt, bis verstopft). B.a
(VIII)
∞Brander
2270Man kann nicht stets das Fremde meiden,
2271Das Gute liegt uns oft so fern.
2272Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
2273Doch ihre Weine trinkt er gern.
∞Siebelvor 2274 Siebel / indem bis nähert ] Siebel‸ / indem bis nähert. S
Siebel. / (indem bis nähert.) A
Siebel. / indem bis nähert. D.1
Siebel, / indem bis nähert. B
Siebel‸ / (indem bis nähert). B.a
(VIII)
∞indem sich Mephistopheles seinem Platze nähert
2274Ich muß gestehn, den sauren mag ich nicht,
2275Gebt mir ein Glas vom echten süßen!
∞Altmayer
2277Nein, Herren, seht mir in’s Gesicht!
2278Ich seh’ es ein, ihr habt uns nur zum Besten.
∞Mephistopheles
2279Ey! Ey! Mit solchen edlen Gästen
2280Wär’ es ein Bißchen viel gewagt.
2282Mit welchem Weine kann ich dienen?
∞Nachdem die Löcher alle gebohrt und verstopft sind,vor 2284 Nachdem bis sind, ] S (Nachdem bis sind,) A
Nachdem bis sind, D.1
Nachdem bis sind, B
(Nachdem bis sind.) B.a
(VIII)
∞Mephistopheles
∞mit seltsamen Geberdenvor 2284 mit bis Geberden ] mit bis Geberden. S
(mit bis Geberden)‸ A
mit bis Geberden. D.1
mit bis Geberden‸ B
(mit bis Geberden). B.a
(VIII)
2284Trauben trägt der Weinstock!
2285Hörner der Ziegenbock;
2286Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
2287Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
2288Ein tiefer Blick in die Natur!
2289Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
2290Nun zieht die Pfropfen und genießt!
∞Allevor 2291 Alle / indem bis läuft ] Alle‸ / indem bis läuft. S
Alle. / (indem bis läuft)‸ A
Alle. / indem bis läuft. D.1
Alle‸ / indem bis läuft. B
Alle‸ / (indem bis läuft). B.a
(VIII)
∞indem sie die
Pfropfen ziehen, und jedem der verlangte Wein in’s Glas
läuft
2291O schöner Brunnen, der uns fließt!
∞Sie trinken wiederholt.vor 2293 Sie bis wiederholt. ] D.1 Sie bis wiederhohlt. S
(Sie bis wiederholt.) A
Sie bis wiederholt. B
(Sie bis wiederhohlt.) B.a
(VIII)
∞Alle
∞Siebel
∞trinkt unvorsichtig,
der Wein fließt auf die Erde, und wird zur Flamme.vor 2299 Siebel‸ / trinkt bis Flamme. ] S Siebel. / trinkt bis Flamme. A D.1
Siebel‸ / trinkt bis Flamme. B
Siebel‸ / (trinkt bis Flamme). B.a
(VIII)
2299Helft! Feuer! helft! die Hölle brennt!
∞Mephistopheles
∞die Flamme
besprechend
2300Sey ruhig, freundlich Element!
∞zu dem
Gesellenvor 2301 zu bis Gesellen ] Zu bis Gesellen. S
zu bis Gesellen. A D.1 B
Zu bis Gesellen. D.2
(Zu bis Gesellen.) B.a
(VIII)
2301Für dießmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.
∞Altmayer
∞zieht einen Pfropf
aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen.vor 2311 Altmayer / zieht bis entgegen. ] Altmayer‸ / zieht bis entgegen. S
Altmayer. / zieht bis entgegen‸ A
Altmayer. / zieht bis entgegen. D.1
Altmayer‸ / zieht bis entgegen. B
Altmayer‸ / (zieht bis entgegen). B.a
(VIII)
2311Ich brenne! ich brenne!
∞Sie ziehen die Messer und
gehn auf Mephistopheles los.
∞Mephistopheles
∞mit ernsthafter
Geberdevor 2313 mit bis Geberde ] mit bis Geberde. S
mit bis Geberde‸ A
mit bis Geberde. D.1
mit bis Geberde. B
(mit bis Geberde). B.a
(VIII)
2313Falsch Gebild und Wort
2314Verändern Sinn und Ort!
2315Seyd hier und dort!
∞Sie stehn erstaunt und
sehn einander an.
∞Er faßt Siebeln bey der Nase. Die andern thun es wechselseitig und heben die Messer.nach 2319 bey ] 1 H.5 S bei A D.1
bey B B.a
(II a)
∞Mephistopheles
∞wie obenvor 2320 wie oben ] wie oben. S
wie oben‸ A
wie oben. D.1
wie oben. B
(wie oben). B.a
(VIII)
2320Irrthum, laß los der Augen Band!
∞Er verschwindet mit
Faust, die Gesellen fahren aus einander.
∞Altmayer
∞Altmayer
2324Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
2325Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!
∞Altmayer
2329Ich hab’ ihn selbst hinaus zur Kellerthüre –
2330Auf einem Fasse reiten sehn – –
2331Es liegt mir bleyschwer in den Füßen.
∞Sich nach dem Tische
wendendvor 2332 Sich bis wendend ] Sich bis wendend. S
(Sich bis wendend.) A B.a
Sich bis wendend. D.1
Sich bis wendend. B
(VIII)
2332Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?
∞
vor 2465 Die Hexe wird in A
B C.1 12 C.3 12 nicht als Auftritt markiert (S
unterscheidet typographisch nicht zwischen Auftritten und
Sprecherangaben).
(I c)
∞Hexenküchevor 2337 Hexenküche ] Hexenküche. S Hexenküche‸ A Hexenküche. D.1 Hexenküche. B B.a (VIII)
∞ Auf einem
niedrigen Herde steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem
Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich
verschiedne Gestalten. Eine
Meerkatze sitzt bey dem Kessel und schäumt ihn, und
sorgt daß er nicht überläuft. Der
Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich.
Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrath
ausgeschmückt.
∞Faust.
Mephistopheles
∞Faust
2337Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
2338Versprichst du mir, ich soll genesen,
2339In diesem Wust von Raserey?
2340Verlang’ ich Rath von einem alten Weibe?
2341Und schafft die Sudelköcherey
2342Wohl dreyßig Jahre mir vom Leibe?
2343Weh mir, wenn du nichts bessers weißt!
2344Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
2345Hat die Natur und hat ein edler Geist
2346Nicht irgend einen Balsam ausgefunden?
∞Mephistopheles
2347Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
2348Dich zu verjüngen, gibt’s auch ein natürlich Mittel;2348 Dich
] 1 H.2 Dich S
Doch
A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II a, II c)2348 verjüngen, ] S A B.a verjüngen‸ B
(IV c)
2349Allein es steht in einem andern Buch,
2350Und ist ein wunderlich Capitel.
∞Mephistopheles
2351Gut! Ein Mittel, ohne Geld
2352Und Arzt und Zauberey, zu haben:
2354Fang’ an zu hacken und zu graben,
2355Erhalte dich und deinen Sinn
2356In einem ganz beschränkten Kreise,
2357Ernähre dich mit ungemischter Speise,
2358Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht für
Raub,
2359Den Acker, den du ärndest, selbst zu düngen;2359 ärndest ] A erndest S
ärntest B
erntest B.a
(IV a)
2360Das ist das beste Mittel, glaub’,
2361Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen!
∞Faust
2362Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht
bequemen,
2363Den Spaten in die Hand zu nehmen,
2364Das enge Leben steht mir gar nicht an.
∞Mephistopheles
2368Das wär’ ein schöner Zeitvertreib!
2369Ich wollt’ indeß wohl tausend Brücken bauen.
2370Nicht Kunst und Wissenschaft allein,
2371Geduld will bey dem Werke seyn.
2372Ein stiller Geist ist Jahre lang geschäftig,
2373Die Zeit nur macht die feine Gährung kräftig.
2374Und alles was dazu gehört
2375Es sind gar wunderbare Sachen!
2376Der Teufel hat sie’s zwar gelehrt;
2377Allein der Teufel kann’s nicht machen.
∞Die Thiere
erblickend
2378Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
2379Das ist die Magd! das ist der Knecht!
∞Zu den Thieren
2380Es scheint, die Frau ist nicht zu Hause?
∞Die
Thiere
∞Faust
∞Mephistopheles
2388Nein, ein Discours wie dieser da,
∞Zu den Thieren
2390So sagt mir doch, verfluchte Puppen!
2391Was quirlt ihr in dem Brey herum?
∞Thierevor 2390, 2390–2393 Die Bühnenanweisung und die vier nachfolgenden Verse sind in S nicht enthalten.
(VII)vor 2392 Thiere ] A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12 Die Thiere konj Schröer (III *)
2392Wir kochen breite Bettelsuppen.
∞Der
Kater
∞macht sich herbey und
schmeichelt dem Mephistopheles
2394O würfle nur gleich,
2395Und mache mich reich,
2396Und laß mich gewinnen!
2397Gar schlecht ist’s bestellt,
2398Und wär’ ich bey Geld,
2399So wär’ ich bey Sinnen.
∞Indessen haben die jungen
Meerkätzchen mit einer großen Kugel gespielt und rollen sie
hervor.
∞Der
Kater
2402Das ist die Welt;
2403Sie steigt und fällt
2404Und rollt beständig;
2405Sie klingt wie Glas;
2406Wie bald bricht das?
2408Hier glänzt sie sehr,
2409Und hier noch mehr,
2410Ich bin lebendig!
2411Mein lieber Sohn,
2412Halt dich davon!
2413Du mußt sterben!
2414Sie ist von Thon,
∞Der
Kater
∞holt es
herunter
2417Wärst du ein Dieb,
2418Wollt’ ich dich gleich erkennen.
∞Er läuft zur Kätzinn
und läßt sie durchsehen.
2419Sieh durch das Sieb!
2420Erkennst du den Dieb,
2421Und darfst ihn nicht nennen?
∞Er nöthigt den
Mephistopheles zu sitzen.
∞welcher diese Zeit
über vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald genähert, bald sich von ihm entfernt
hat
2429Was seh’ ich? Welch ein himmlisch Bild
2430Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
2431O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
2432Und führe mich in ihr Gefild!
2433Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
2434Wenn ich es wage nah’ zu gehn,
2435Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! –
2436Das schönste Bild von einem Weibe!
2437Ist’s möglich, ist das Weib so schön?
2439Den Inbegriff von allen Himmeln sehn?
2440So etwas findet sich auf Erden?
∞Mephistopheles
2441Natürlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
2442Und selbst am Ende Bravo sagt,
2443Da muß es was gescheidtes werden.
2444Für dießmal sieh dich immer satt;
2445Ich weiß dir so ein Schätzchen auszuspüren,
2446Und selig wer das gute Schicksal hat,
2447Als Bräutigam sie heim zu führen!
∞Faust sieht immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in dem Sessel dehnend und mit dem Wedel spielend,
fährt fort zu sprechen.vor 2448 immerfort ] immerfort S
immmerfort A
immerfort D.1
immerfort B B.a
(I a)
2448Hier sitz’ ich wie der König auf dem Throne,
2449Den Zepter halt’ ich hier, es fehlt nur noch die
Krone.
∞welche bisher
allerley wunderliche Bewegungen durch einander
gemacht haben, bringen dem Mephistopheles eine Krone mit
großem Geschrey
2450O sey doch so gut,
2451Mit Schweiß und mit Blut
2452Die Krone zu leimen!
∞Sie gehn ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie in zwey Stücke, mit welchen
sie herumspringen.vor 2453 herumspringen ] A B B.a herum springen S
(II a*)
2453Nun ist es geschehn!
2454Wir reden und sehn,
∞Mephistopheles
∞in obiger
Stellung
2463Nun, wenigstens muß man bekennen,
2464Daß es aufrichtige Poeten sind.
∞Der Kessel, welchen die Kätzinn bisher außer Acht gelassen, fängt an überzulaufen; es entsteht eine große Flamme, welche zum Schornstein hinaus schlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme mit entsetzlichem Geschrey herunter gefahren.vor 2465 außer ] S ausser A D.1
außer B B.a
(II a)vor 2465 große ] S grosse A D.1 B
große B.a
(II a)vor 2465 Schornstein ] A B B.a Schorstein S
(II a*)vor 2465 hinaus schlägt ] A B hinausschlägt S
hinausschlägt B.a
(II a*)
∞Die
Hexe
2465Au! Au! Au! Au!
2466Verdammtes Thier! verfluchte Sau!
2467Versäumst den Kessel, versengst die Frau!
2468Verfluchtes Thier!
∞Faust und
Mephistopheles erblickend
2469Was ist das hier?
2470Wer seyd ihr hier?
2471Was wollt ihr da?
2472Wer schlich sich ein?
2473Die Feuerpein
2474Euch in’s Gebein!
∞Sie fährt mit dem
Schaumlöffel in den Kessel, und spritzt Flammen nach Faust,
Mephistopheles und den Thieren. Die Thiere winseln.
∞Mephistophelesvor 2475 Mephistopheles ] Mephistopheles, S
Mephistopheles. A
D.1
Mephistopheles, B
Mephistopheles‸ B.a
(VIII)
∞welcher den Wedel,
den er in der Hand hält, umkehrt, und unter die Gläser und
Töpfe schlägt
2475Entzwey! entzwey!
2476Da liegt der Brey!
2477Da liegt das Glas!
2478Es ist nur Spaß,
2479Der Tact, du Aas,
2480Zu deiner Melodey.
∞Indem die Hexe voll
Grimm und Entsetzen zurücktritt.
2481Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du!
2482Erkennst du deinen Herrn und Meister?
2483Was hält mich ab, so schlag’ ich zu,
2484Zerschmettre dich und deine Katzen-Geister!
2485Hast du vor’m rothen Wamms nicht mehr Respect?
2486Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
2487Hab’ ich dieß Angesicht versteckt?
2488Soll ich mich etwa selber nennen?
∞Die
Hexe
2489O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
2490Seh’ ich doch keinen Pferdefuß.2490/2492 Seh’ bis kommst ] S B Sah’ bis kamst A
Seh’ bis dieß Mahl kommst B.a
(IV b)
2491Wo sind denn eure beyden Raben?
∞Mephistopheles
2492Für dießmal kommst du so davon;
2493Denn freylich ist es eine Weile schon,
2494Daß wir uns nicht gesehen haben.
2495Auch die Cultur, die alle Welt beleckt,
2496Hat auf den Teufel sich erstreckt;
2497Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
2498Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
2499Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,
2500Der würde mir bey Leuten schaden;
2501Darum bedien’ ich mich, wie mancher junge Mann,
2502Seit vielen Jahren falscher Waden.
∞Die
Hexe
∞tanzend
2503Sinn und Verstand verlier’ ich schier,
2504Seh’ ich den Junker Satan wieder hier!
∞Mephistopheles
2507Er ist schon lang’ in’s Fabelbuch geschrieben;
2508Allein die Menschen sind nichts besser dran,
2509Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.
2510Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
2511Ich bin ein Cavalier, wie andre Cavaliere.
2512Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
2513Sieh her, das ist das Wapen, das ich führe!
∞Die
Hexe
∞lacht unmäßig
2514Ha! Ha! Das ist in eurer Art!
2515Ihr seyd ein Schelm, wie ihr nur immer war’t!
∞Mephistopheles
∞zu Faust
2516Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
2517Dieß ist die Art mit Hexen umzugehn.
∞Mephistopheles
2519Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
2520Doch muß ich euch um’s ält’ste bitten;
2521Die Jahre doppeln seine Kraft.
∞Die
Hexe
2522Gar gern! Hier hab’ ich eine Flasche,
2523Aus der ich selbst zuweilen nasche,
2524Die auch nicht mehr im mind’sten stinkt;
2525Ich will euch gern ein Gläschen geben.
∞Leise
2526Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt,
2527So kann er, wißt ihr wohl, nicht eine Stunde leben.
∞Mephistopheles
2528Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;
2530Zieh deinen Kreis, sprich deine Sprüche,
∞Die Hexe mit seltsamen Geberden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein; indessen
fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und machen Musik. Zuletzt bringt
sie ein großes Buch, stellt die Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und
die Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zu treten.vor 2532 Hexe ] Hexe‸ S
Hexe. A D.1
Hexe‸ B B.a
(VIII)
∞Faust
∞zu
Mephistopheles
2532Nein, sage mir, was soll das werden?
2533Das tolle Zeug, die rasenden Geberden,
2534Der abgeschmackteste Betrug
2535Sind mir bekannt, verhaßt genug.
∞Mephistopheles
2536Ey Possen! Das ist nur zum Lachen;
2537Sey nur nicht ein so strenger Mann!
2538Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
2539Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
∞Er nöthigt Fausten in den
Kreis zu treten.
∞mit großer Emphase
fängt an aus dem Buche zu declamiren
2541Aus Eins mach’ Zehn,
2542Und Zwey laß gehn,
2543Und Drey mach’ gleich,
2544So bist du reich.
2545Verlier’ die Vier!
2546Aus Fünf und Sechs,
2547So sagt die Hex’,
2548Mach’ Sieben und Acht,
2549So ist’s vollbracht:
2550Und Neun ist Eins,
2551Und Zehn ist keins.
2552Das ist das Hexen-Einmal-Eins!
∞Mephistopheles
2554Das ist noch lange nicht vorüber,
2555Ich kenn’ es wohl, so klingt das ganze Buch;
2556Ich habe manche Zeit damit verloren,
2557Denn ein vollkommner Widerspruch
2558Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie für
Thoren.
2559Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
2560Es war die Art zu allen Zeiten,
2561Durch Drey und Eins, und Eins und Drey
2562Irrthum statt Wahrheit zu verbreiten.
2563So schwätzt und lehrt man ungestört;
2564Wer will sich mit den Narr’n befassen?
2565Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte
hört,
2566Es müsse sich dabey doch auch was denken lassen.
∞Faust
2573Was sagt sie uns für Unsinn vor?
2574Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
2575Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor
2576Von hundert tausend Narren sprechen.
∞Mephistopheles
2577Genug, genug, o treffliche Sibylle!
2578Gib deinen Trank herbey, und fülle
2579Die Schale rasch bis an den Rand hinan;
2580Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:
2581Er ist ein Mann von vielen Graden,
2582Der manchen guten Schluck gethan.
∞Die Hexe mit vielen Ceremonien, schenkt den Trank in eine Schale; wie sie Faust an den Mund
bringt, entsteht eine leichte Flamme.vor 2583 Hexe ] Hexe‸ S
Hexe. A D.1
Hexe‸ B B.a
(VIII)
∞Mephistopheles
2583Nur frisch hinunter! Immer zu!
2584Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
2585Bist mit dem Teufel du und du,
2586Und willst dich vor der Flamme scheuen?
∞Die Hexe lös’t den
Kreis
∞Faust tritt heraus
∞Mephistopheles
∞zur Hexe
2589Und kann ich dir was zu Gefallen thun;
2590So darfst du mir’s nur auf Walpurgis sagen.
∞Mephistopheles
∞zu Faust
2593Komm nur geschwind und laß dich führen;
2594Du mußt nothwendig transpiriren,
2595Damit die Kraft durch inn- und äußres dringt.
2596Den edlen Müßiggang lehr’ ich hernach dich schätzen,
2597Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
2598Wie sich Cupido regt und hin und wieder springt.
∞
∞Straße
∞Faust. Margarete vorüber
gehend
∞Sie macht sich los und
ab.
∞Faust
2609Beym Himmel, dieses Kind ist schön!
2610So etwas hab’ ich nie gesehn.
2611Sie ist so sitt- und tugendreich,
2612Und etwas schnippisch doch zugleich.
2613Der Lippe Roth, der Wange Licht,
2614Die Tage der Welt vergess’ ich’s nicht!
2615Wie sie die Augen niederschlägt,
2616Hat tief sich in mein Herz geprägt;
2617Wie sie kurz angebunden war,
2618Das ist nun zum Entzücken gar!
∞Mephistopheles tritt auf
∞Mephistopheles
2621Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
2622Der sprach sie aller Sünden frey;
2623Ich schlich mich hart am Stuhl vorbey,
2624Es ist ein gar unschuldig Ding,
2625Das eben für nichts zur Beichte ging;
2626Über die hab’ ich keine Gewalt!
∞Mephistopheles
2628Du sprichst ja wie Hans Liederlich,
2629Der begehrt jede liebe Blum’ für sich,
2632Geht aber doch nicht immer an.
∞Faust
2633Mein Herr Magister Lobesan,2633 Lobesan ] A B B.a Lobesan 1 H.5
lobesan S emend Carrière
(II a*)
2634Laß er mich mit dem Gesetz in Frieden!
2635Und das sag’ ich ihm kurz und gut,
2636Wenn nicht das süße junge Blut
2637Heut’ Nacht in meinen Armen ruht;
2638So sind wir um Mitternacht geschieden.
∞Mephistopheles
2639Bedenkt was gehn und stehen mag!
2640Ich brauche wenigstens vierzehn Tag’
2641Nur die Gelegenheit auszuspüren.
∞Faust
2642Hätt’ ich nur sieben Stunden Ruh,
2643Brauchte den Teufel nicht dazu,
2644So ein Geschöpfchen zu verführen.
∞Mephistopheles
2645Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos;
2647Was hilft’s nur g’rade zu genießen?
2648Die Freud’ ist lange nicht so groß,
2649Als wenn ihr erst herauf, herum,
2650Durch allerley Brimborium,
2651Das Püppchen geknetet und zugericht’t,
2652Wie’s lehret manche welsche Geschicht’.
∞Mephistopheles
2654Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß.
2655Ich sag’ euch, mit dem schönen Kind
2656Geht’s ein- für allemal nicht geschwind.2656 ein- für allemal ] einvorallmal 1 H.5
ein- vor allemal S
ein-für allemal A D.1
ein- für allemal B B.a
(I c)
2657Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
2658Wir müssen uns zur List bequemen.
∞Faust
2659Schaff’ mir etwas vom Engelsschatz!
2660Führ’ mich an ihren Ruheplatz!
2661Schaff’ mir ein Halstuch von ihrer Brust,
2662Ein Strumpfband meiner Liebeslust!
∞Mephistopheles
2663Damit ihr seht, daß ich eurer Pein
2664Will förderlich und dienstlich seyn;
2665Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
2666Will euch noch heut’ in ihr Zimmer führen.
∞Mephistopheles
2667Nein!
2668Sie wird bey einer Nachbarinn seyn.
2669Indessen könnt ihr ganz allein
2670An aller Hoffnung künft’ger Freuden
2671In ihrem Dunstkreis satt euch weiden.
∞ab
∞Mephistopheles
2674Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssiren!
2675Ich kenne manchen schönen Platz
2676Und manchen alt vergrabnen Schatz,
2677Ich muß ein Bißchen revidiren.
∞ab
∞
∞Abend
∞Ein kleines
reinliches Zimmer
∞ihre Zöpfe flechtend und aufbindend
2679Wer heut der Herr gewesen ist!
2680Er sah gewiß recht wacker aus,
2681Und ist aus einem edlen Haus;
2682Das konnt’ ich ihm an der Stirne lesen –
2683Er wär’ auch sonst nicht so keck gewesen.
∞ab
∞Mephistopheles. Faust
∞ab
∞Faust
∞rings
aufschauend
2687Willkommen süßer Dämmerschein!
2688Der du dieß Heiligthum durchwebst.
2689Ergreif mein Herz, du süße Liebespein!
2690Die du vom Thau der Hoffnung schmachtend lebst.
2691Wie athmet rings Gefühl der Stille,
2692Der Ordnung, der Zufriedenheit!
2693In dieser Armuth welche Fülle!
2694In diesem Kerker welche Seligkeit!
∞Er wirft sich auf
den ledernen Sessel am Bette.
2695O nimm mich auf! der du die Vorwelt schon
2697Wie oft, ach! hat an diesem Väter-Thron
2698Schon eine Schaar von Kindern rings gehangen!
2699Vielleicht hat, dankbar für den heil’gen Christ,
2700Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
2701Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
2702Ich fühl’, o Mädchen, deinen Geist
2703Der Füll’ und Ordnung um mich säuseln,
2704Der mütterlich dich täglich unterweis’t,
2705Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten
heißt,
2706Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
2707O liebe Hand! so göttergleich!
2708Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
∞Er hebt einen
Bettvorhang auf.
2709Was faßt mich für ein Wonnegraus!
2710Hier möcht’ ich volle Stunden säumen.
2711Natur! Hier bildetest in leichten Träumen
2712Den eingebornen Engel aus;
2713Hier lag das Kind! mit warmem Leben
2714Den zarten Busen angefüllt,
2715Und hier mit heilig reinem Weben
2716Entwirkte sich das Götterbild!
2717Und du! Was hat dich hergeführt?
2718Wie innig fühl’ ich mich gerührt!
2719Was willst du hier? Was wird das Herz dir
schwer?
2720Armsel’ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
∞Mephistopheles
2731Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
2732Ich hab’s wo anders hergenommen.
2733Stellt’s hier nur immer in den Schrein,
2734Ich schwör’ euch, ihr vergehn die Sinnen;
2735Ich that euch Sächelchen hinein,
2736Um eine andre zu gewinnen.
2737Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.
∞Mephistopheles
2738Fragt ihr viel?
2739Meint ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
2740Dann rath’ ich eurer Lüsternheit2740–2741 Lüsternheit‸ bis Tageszeit, ] S A B.a Lüsternheit‸ bis TagesZeit‸ 1 H.5
Lüsternheit, bis Tageszeit‸ B
(IV c)
2741Die liebe schöne Tageszeit,
2742Und mir die weitre Müh’ zu sparen.
2743Ich hoff’ nicht daß ihr geitzig seyd!
2744Ich kratz’ den Kopf, reib’ an den Händen –
∞Er stellt das Kästchen
in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu.
2745Nur fort! geschwind! –
2746Um euch das süße junge Kind
2747Nach Herzens Wunsch und Will’ zu wenden;
2748Und ihr seht drein,
2749Als solltet ihr in den Hörsal hinein,
2750Als stünden grau leibhaftig vor euch da2750 stünden grau ] 1 H.5 B stünd’ S A
standen grau B.a
(IV b)
2751Physik und Metaphysika!
2752Nur fort! –
∞ab
∞Margarete
∞mit einer
Lampe
2753Es ist so schwül, so dumpfig hie,
∞Sie macht das
Fenster auf.
2754Und ist doch eben so warm nicht drauß’.
2756Ich wollt’, die Mutter käm’ nach Haus.
2757Mir läuft ein Schauer über’n ganzen Leib –2757 über’n ganzen Leib ] B B.a am ganzen Leib 1 H.5
über’n Leib S A
(IV b)
2758Bin doch ein thöricht furchtsam Weib!
∞Sie fängt an zu singen,
indem sie sich auszieht.
2759Es war ein König in Thule
2760Gar treu bis an das Grab,
2761Dem sterbend seine Buhle
2762Einen goldnen Becher gab.
2767Und als er kam zu sterben,
2768Zählt’ er seine Städt’ im Reich,
2769Gönnt’ alles seinem Erben,2769 seinem ] S 1 H.9 A B D.2 B.a
seinen 1 H.5 1 H.7 1 H.8
seinen J.1
seinen D3 D4 (II b*)
2770Den Becher nicht zugleich.
2771Er saß beym Königsmahle,
2772Die Ritter um ihn her,
2773Auf hohem Väter-Saale,
2774Dort auf dem Schloß am Meer.
2775Dort stand der alte Zecher,
2776Trank letzte Lebensgluth,
2777Und warf den heiligen Becher
2778Hinunter in die Fluth.
2779Er sah ihn stürzen, trinken
2780Und sinken tief ins Meer,
2781Die Augen thäten ihm sinken,
2782Trank nie einen Tropfen mehr.
∞Sie eröffnet den
Schrein, ihre Kleider einzuräumen, und erblickt
das Schmuckkästchen.
2783Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
2784Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
2785Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne seyn?
2786Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand,
2787Und meine Mutter lieh darauf.
2788Da hängt ein Schlüsselchen am Band,
2790Was ist das? Gott im Himmel! schau,
2791So was hab’ ich mein’ Tage nicht gesehn!2791 mein’ Tage ] S A B B.a mein Tage 1 H.5
mein Tage konj Schröer (II b*)
2792Ein Schmuck! Mit dem könnt’ eine Edelfrau
2793Am höchsten Feiertage gehn.
2794Wie sollte mir die Kette stehn?
2795Wem mag die Herrlichkeit gehören?
∞Sie putzt sich
damit auf und tritt vor den Spiegel.
2796Wenn nur die Ohrring’ meine wären!
2797Man sieht doch gleich ganz anders drein.
2798Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
2799Das ist wohl alles schön und gut,
2800Allein man läßt’s auch alles seyn;
2801Man lobt euch halb mit Erbarmen.
2802Nach Golde drängt,
2803Am Golde hängt
∞
∞Spazirgangvor 2805 Spazirgang ] A Spatziergang S Spaziergang B Spatziergang B.a (IV a)
∞Mephistopheles
2809Ich möcht’ mich gleich dem Teufel übergeben,
2810Wenn ich nur selbst kein Teufel wär’!
∞Mephistopheles
2813Denkt nur, den Schmuck für Gretchen angeschafft,
2815Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,
2816Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen:
2817Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
2818Schnuffelt immer im Gebetbuch,
2819Und riecht’s einem jeden Möbel an,
2820Ob das Ding heilig ist oder profan;
2821Und an dem Schmuck da spürt sie’s klar,
2822Daß dabey nicht viel Segen war.
2823Mein Kind, rief sie, ungerechtes Gut
2824Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.
2825Wollen’s der Mutter Gottes weihen,
2826Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
2827Margretlein zog ein schiefes Maul,
2828Ist halt, dacht’ sie, ein geschenkter Gaul,
2829Und wahrlich! gottlos ist nicht der,
2830Der ihn so fein gebracht hierher.
2831Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
2832Der hatte kaum den Spaß vernommen,
2833Ließ sich den Anblick wohl behagen.
2834Er sprach: So ist man recht gesinnt!
2835Wer überwindet der gewinnt.
2836Die Kirche hat einen guten Magen,
2837Hat ganze Länder aufgefressen,
2838Und doch noch nie sich übergessen;
2839Die Kirch’ allein, meine lieben Frauen,
2840Kann ungerechtes Gut verdauen.
∞Mephistopheles
2843Strich drauf ein Spange, Kett’ und Ring,2843 Kett’ und Ring ] S Kett und Ring 1 H.5
Kett’ und Ring’ A B B.a
(II a)
2844Als wären’s eben Pfifferling’,
2845Dankt’ nicht weniger und nicht mehr,
2846Als ob’s ein Korb voll Nüsse wär’,
2847Versprach ihnen allen himmlischen Lohn –
2848Und sie waren sehr erbaut davon.
∞Mephistopheles
2849Sitzt nun unruhvoll,
2850Weiß weder was sie will noch soll,
2851Denkt an’s Geschmeide Tag und Nacht,
∞Faust
2853Des Liebchens Kummer thut mir leid.
2854Schaff’ du ihr gleich ein neu Geschmeid’!
2855Am ersten war ja so nicht viel.
∞Faust
2857Und mach’, und richt’s nach meinem Sinn!
2858Häng’ dich an ihre Nachbarinn.
2859Sey Teufel doch nur nicht wie Brey,
2860Und schaff’ einen neuen Schmuck herbey!
∞Faust ab
∞Mephistopheles
2862So ein verliebter Thor verpufft
2863Euch Sonne, Mond und alle Sterne
2864Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
∞ab
∞
∞Der Nachbarinn Haus
∞Marthe
∞allein
2865Gott verzeih’s meinem lieben Mann,
2866Er hat an mir nicht wohl gethan!
2867Geht da stracks in die Welt hinein,
2868Und läßt mich auf dem Stroh allein.
∞Sie weint.
2871Vielleicht ist er gar todt! – O Pein! – –
2872Hätt’ ich nur einen Todtenschein!
∞Margarete kommt
∞Margarete
2874Fast sinken mir die Kniee nieder!
2875Da find’ ich so ein Kästchen wieder
2876In meinem Schrein, von Ebenholz,
2877Und Sachen herrlich ganz und gar,
2878Weit reicher als das erste war.
∞Marthe
2885Komm du nur oft zu mir herüber,
2886Und leg’ den Schmuck hier heimlich an;
2887Spazier’ ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
2888Wir haben unsre Freude dran;
2889Und dann gibt’s einen Anlaß, gibt’s ein Fest,
2890Wo man’s so nach und nach den Leuten sehen läßt.
2891Ein Kettchen erst, die Perle dann in’s Ohr;
2892Die Mutter sieht’s wohl nicht, man macht ihr auch was
vor.
∞Es klopft.
∞
Mephistopheles tritt auf
∞Mephistopheles
2897Bin so frey g’rad’ herein zu treten,
2898Muß bey den Frauen Verzeihn erbeten.
∞Tritt ehrerbietig vor
Margareten zurück
∞Mephistopheles
∞leise zu ihr
2901Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
2902Sie hat da gar vornehmen Besuch.
2903Verzeiht die Freyheit die ich genommen,
∞Margarete
2907Ich bin ein armes junges Blut;
2908Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:
2909Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.
∞Mephistopheles
2910Ach, es ist nicht der Schmuck allein;
2911Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
2912Wie freut mich’s, daß ich bleiben darf.
∞Mephistopheles
2914Ich wollt’ ich hätt’ eine frohere Mähr’!
2916Ihr Mann ist todt und läßt Sie grüßen.
∞Margarete
2921Ich möchte drum mein’ Tag’ nicht lieben,2921 mein’ Tag’ ] S A B B.a mein tag 1 H.5
mein Tag konj Schröer (II b*)
2922Würde mich Verlust zu Tode betrüben.
∞Mephistopheles
2925Er liegt in Padua begraben
2926Bey’m heiligen Antonius,
2927An einer wohlgeweihten Stätte
2928Zum ewig kühlen Ruhebette.
∞Mephistopheles
2930Ja, eine Bitte, groß und schwer;
2931Laß Sie doch ja für ihn dreyhundert Messen singen!
2932Im übrigen sind meine Taschen leer.
∞Marthe
2933Was! nicht ein Schaustück? Kein Geschmeid’?
2934Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels
spart,
2935Zum Angedenken aufbewahrt,
∞Mephistopheles
2937Madam, es thut mir herzlich leid;
2938Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
2939Auch er bereute seine Fehler sehr,
2940Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.
∞Margarete
2941Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
2942Gewiß ich will für ihn manch Requiem noch beten.
∞Mephistopheles
2943Ihr wäret werth, gleich in die Eh’ zu treten:
2944Ihr seyd ein liebenswürdig Kind.
∞Mephistopheles
2951Ich stand an seinem Sterbebette,
2952Es war was besser als von Mist,
2953Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ,2953 halbgefaultem ] A B B.a halb gefaulten 1 H.5
halb gefaultem S
(II a*)
2955Wie, rief er, muß ich mich von Grund aus hassen,
2956So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
2957Ach! die Erinnerung tödtet mich.
2958Vergäb’ sie mir nur noch in diesem Leben! –
∞Mephistopheles
2962Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
2963Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
2964Ich hatte, sprach er, nicht zum Zeitvertreib zu
gaffen,
2965Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,
2966Und Brot im allerweit’sten Sinn,
2967Und konnte nicht einmal mein Theil in Frieden essen.
∞Mephistopheles
2970Nicht doch, er hat recht herzlich dran gedacht.2970 recht ] 1 H.5 euch S A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II b)
2971Er sprach: Als ich nun weg von Malta ging,
2972Da betet’ ich für Frau und Kinder brünstig;
2973Uns war denn auch der Himmel günstig,
2974Daß unser Schiff ein Türkisch Fahrzeug fing,
2975Das einen Schatz des großen Sultans führte.
2976Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
2977Und ich empfing denn auch, wie sich’s gebührte,
2978Mein wohlgemess’nes Theil davon.
∞Mephistopheles
2980Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
2981Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
2982Als er in Napel fremd umher spazirte;2982 spazirte ] A spazierte 1 H.5
spatzierte S
spazierte B
spatzierte B.a
(IV a)
2983Sie hat an ihm viel Lieb’s und Treu’s gethan,
2984Daß er’s bis an sein selig Ende spürte.
∞Marthe
2985Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!
2986Auch alles Elend, alle Noth
2987Konnt’ nicht sein schändlich Leben hindern!
∞Mephistopheles
2988Ja seht! dafür ist er nun todt.
2989Wär’ ich nun jetzt an eurem Platze;
2990Betraurt’ ich ihn ein züchtig Jahr,
2991Visirte dann unterweil’ nach einem neuen Schatze.
∞Marthe
2992Ach Gott! wie doch mein erster war,
2993Find’ ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
2994Es konnte kaum ein herziger Närrchen seyn.
2995Er liebte nur das allzuviele Wandern,
2996Und fremde Weiber, und fremden Wein,
2997Und das verfluchte Würfelspiel.
∞Mephistopheles
2998Nun, nun, so konnt’ es gehn und stehen,
2999Wenn er euch ungefähr so viel
3000Von seiner Seite nachgesehen.
3001Ich schwör’ euch zu, mit dem Beding
3002Wechselt’ ich selbst mit euch den Ring!
∞Mephistopheles
∞für sich
3004Nun mach’ ich mich bey Zeiten fort!
3005Die hielte wohl den Teufel selbst beym Wort.
∞zu Gretchen
3006Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?
∞Marthe
3008O sagt mir doch geschwind!
3009Ich möchte gern ein Zeugniß haben,
3011Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
3012Möcht’ ihn auch todt im Wochenblättchen lesen.
∞Mephistopheles
3013Ja, gute Frau, durch zweyer Zeugen Mund
3014Wird allerwegs die Wahrheit kund;
3015Habe noch gar einen feinen Gesellen,
3016Den will ich euch vor den Richter stellen.
3017Ich bring’ ihn her.
∞
∞Straße
∞Faust.
Mephistopheles
∞Mephistopheles
3027In kurzer Zeit ist Gretchen euer.
3028Heut’ Abend sollt ihr sie bey Nachbar’ Marthen sehn:3028 Nachbar’ ] A B B.a Nachbaar 1 H.5
Nachbars S
(VII)
3029Das ist ein Weib wie auserlesen
3030Zum Kuppler- und Zigeunerwesen!
∞Mephistopheles
3033Wir legen nur ein gültig Zeugniß nieder,
3034Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder
3035In Padua an heil’ger Stätte ruhn.
∞Mephistopheles
3037Sancta Simplicitas! darum ist’s
nicht zu thun;
3038Bezeugt nur ohne viel zu wissen.
∞Mephistopheles
3040O heil’ger Mann! Da wär’t ihr’s nun!
3041Ist es das erstemal in eurem Leben,
3042Daß ihr falsch Zeugniß abgelegt?
3043Habt ihr von Gott, der Welt und was sich d’rin
bewegt,
3044Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,
3045Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben?
3046Mit frecher Stirne, kühner Brust?
3047Und wollt ihr recht in’s Innre gehen,
3048Habt ihr davon, ihr müßt es g’rad’ gestehen,
∞Mephistopheles
3051Ja, wenn man’s nicht ein Bißchen tiefer wüßte.
3052Denn morgen wirst in allen Ehren3052 wirst‸ bis Ehren‸ ] 1 H.5 S A wirst, bis Ehren, B B.a
(IV a)
3053Das arme Gretchen nicht bethören,
3054Und alle Seelenlieb’ ihr schwören?
∞Mephistopheles
3055Gut und schön!
3056Dann wird von ewiger Treu’ und Liebe,
3057Von einzig überallmächt’gem Triebe –
3058Wird das auch so von Herzen gehn?
∞Faust
3059Laß das! Es wird! – Wenn ich empfinde,
3060Für das Gefühl, für das Gewühl
3061Nach Namen suche, keinen finde,
3062Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
3063Nach allen höchsten Worten greife,
3064Und diese Gluth, von der ich brenne,
3065Unendlich, ewig, ewig nenne,
3066Ist das ein teuflisch Lügenspiel?
∞
∞Garten
∞ Margarete an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles auf und ab spazirendvor 3073 spazirend ] A spazierend 1 H.5
spazierend B
spatzierend B.a
(IV a)
∞Margarete
3073Ich fühl’ es wohl, daß mich der Herr nur schont,
3074Herab sich läßt, mich zu beschämen.
3075Ein Reisender ist so gewohnt
3076Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen,
3078Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.
∞Er küßt ihre
Hand.
∞Margarete
3081Incommodirt euch nicht! Wie könnt ihr sie nur
küssen?
3082Sie ist so garstig, ist so rauh!
3083Was hab’ ich nicht schon alles schaffen müssen!
3084Die Mutter ist gar zu genau.
∞Gehn vorüber
∞Mephistopheles
3086Ach, daß Gewerb’ und Pflicht uns dazu treiben!
3087Mit wie viel Schmerz verläßt man manchen Ort,
3088Und darf doch nun einmal nicht bleiben!
∞Marthe
3089In raschen Jahren geht’s wohl an,
3090So um und um frey durch die Welt zu streifen;
3091Doch kömmt die böse Zeit heran,
3092Und sich als Hagestolz allein zum Grab’ zu
schleifen,
∞Marthe
∞Gehn vorüber
∞Margarete
3096Ja, aus den Augen aus dem Sinn!
3097Die Höflichkeit ist euch geläufig;
3098Allein ihr habt der Freunde häufig,
3099Sie sind verständiger als ich bin.
∞Faust
3102Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
3103Sich selbst und ihren heil’gen Werth erkennt!
3104Daß Demuth, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
3105Der liebevoll austheilenden Natur –
∞Margarete
3106Denkt ihr an mich ein Augenblickchen nur,
3107Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben.
∞Margarete
3109Ja, unsre Wirthschaft ist nur klein,
3110Und doch will sie versehen seyn.
3111Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken
3112Und nähn, und laufen früh und spat;
3113Und meine Mutter ist in allen Stücken
3114So accurat!
3115Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat;
3117Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
3118Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
3119Doch hab’ ich jetzt so ziemlich stille Tage;
3120Mein Bruder ist Soldat,
3121Mein Schwesterchen ist todt.
3122Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Noth;
3123Doch übernähm’ ich gern noch einmal alle Plage,
3124So lieb war mir das Kind.
∞Margarete
3125Ich zog es auf, und herzlich liebt’ es mich.
3126Es war nach meines Vaters Tod geboren.
3127Die Mutter gaben wir verloren,
3128So elend wie sie damals lag,
3129Und sie erholte sich sehr langsam, nach und nach.
3130Da konnte sie nun nicht d’ran denken
3131Das arme Würmchen selbst zu tränken,
3132Und so erzog ich’s ganz allein,
3133Mit Milch und Wasser; so ward’s mein.
3135War’s freundlich, zappelte, ward groß.
∞Margarete
3137Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
3138Des Kleinen Wiege stand zu Nacht
3139An meinem Bett’, es durfte kaum sich regen,
3140War ich erwacht;
3141Bald mußt’ ich’s tränken, bald es zu mir legen,
3142Bald, wenn’s nicht schwieg, vom Bett’ aufstehn,
3143Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn,
3144Und früh am Tage schon am Waschtrog stehn;
3145Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,
3146Und immer fort wie heut so morgen.
3147Da geht’s, mein Herr, nicht immer muthig zu;
3148Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh.
∞Gehn vorüber
∞Marthe3149–3152 Ergänzung in der Vorlage für A. Die Verse finden sich noch nicht in 1 H.5 S, sie sind in 1 H.10 auch eigenhändig überliefert.
3149Die armen Weiber sind doch übel dran:
3150Ein Hagestolz ist schwerlich zu bekehren.
∞Marthe
3153Sagt g’rad’, mein Herr, habt ihr noch nichts
gefunden?
3154Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?
∞Mephistopheles
3155Das Sprichwort sagt: Ein eigner Herd,
3156Ein braves Weib, sind Gold und Perlen werth.
∞Gehn vorüber
∞Faust
3166Und du verzeihst die Freyheit, die ich nahm?
3167Was sich die Frechheit unterfangen,
3168Als du jüngst aus dem Dom gegangen.
∞Margarete
3169Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
3170Es konnte niemand von mir übels sagen.
3171Ach, dacht’ ich, hat er in deinem Betragen
3172Was freches, unanständiges gesehn?
3173Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
3174Mit dieser Dirne g’rade hin zu handeln.
3175Gesteh’ ich’s doch! Ich wußte nicht was sich
3176Zu eurem Vortheil hier zu regen gleich begonnte;
3177Allein gewiß, ich war recht bös’ auf mich,
3178Daß ich auf euch nicht böser werden konnte.
∞Sie pflückt eine
Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach
dem andern.
∞Faust
∞Sie rupft und
murmelt.
∞Margaretevor 3183 Margarete fährt fort ] Margr: fährt fort) 1 H.5
Margarethe fährt fort. S
Margarete fährt fort‸ A
Margarete fährt fort. D.1
Margarete fährt fort. B
Margarethe (fährt fort). B.a
(VIII)
∞fährt fort
3183Liebt mich – Nicht – Liebt mich – Nicht –
∞Faust
3184Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
3185Dir Götter-Ausspruch seyn. Er liebt dich!
3186Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
∞Faust
3188O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
3189Laß diesen Händedruck dir sagen,
3190Was unaussprechlich ist:
3191Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
3192Zu fühlen, die ewig seyn muß!
3193Ewig! – Ihr Ende würde Verzweiflung seyn.
3194Nein, kein Ende! Kein Ende!
∞Margarete drückt ihm die
Hände, macht sich los und läuft weg. Er steht einen Augenblick
in Gedanken, dann folgt er ihr.
∞
∞Ein Gartenhäuschen
∞Margarete springt herein, steckt
sich hinter die Thür, hält die Fingerspitze an die Lippen, und
guckt durch die Ritze.
∞Er küßt sie.
∞ihn fassend und den Kuß zurück gebendvor 3206 zurück gebend ] S A zurückgebend 1 H.5
zurückgebend B B.a
(IV a)
3206Bester Mann! von Herzen lieb’ ich dich!
∞
Mephistopheles klopft an
∞Faust und Mephistopheles
ab
∞Margarete
3211Du lieber Gott! was so ein Mann
3212Nicht alles alles denken kann!
3213Beschämt nur steh’ ich vor ihm da,
3214Und sag’ zu allen Sachen ja.
3215Bin doch ein arm unwissend Kind,
3216Begreife nicht was er an mir find’t.
∞ab
∞
∞Wald und Höhle
∞Faust
∞allein
3218Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
3219Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
3220Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
3221Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
3222Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
3223Vergönnest mir in ihre tiefe Brust,
3224Wie in den Busen eines Freund’s, zu schauen.
3225Du führst die Reihe der Lebendigen
3226Vor mir vorbey, und lehrst mich meine Brüder
3227Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
3228Und wenn der Sturm im Walde braus’t und knarrt,
3229Die Riesenfichte, stürzend, Nachbaräste
3230Und Nachbarstämme, quetschend, nieder streift,
3231Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert;
3232Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
3233Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
3234Geheime tiefe Wunder öffnen sich.
3235Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
3236Besänftigend herüber; schweben mir
3237Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch,
3238Der Vorwelt silberne Gestalten auf,
3239Und lindern der Betrachtung strenge Lust.
3240O daß dem Menschen nichts
Vollkomm’nes wird,
3241Empfind’ ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
3242Die mich den Göttern nah’ und näher bringt,
3243Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
3244Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,
3245Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts,
3246Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
3247Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
3248Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
3249So tauml’ ich von Begierde zu Genuß,
3250Und im Genuß verschmacht’ ich nach Begierde.
∞Mephistopheles tritt auf
∞Mephistopheles
3251Habt ihr nun bald das Leben g’nug geführt?
3252Wie kann’s euch in die Länge freuen?
3253Es ist wohl gut, daß man’s einmal probirt;
∞Mephistopheles
3257Nun nun! ich laß’ dich gerne ruhn,
3258Du darfst mir’s nicht im Ernste sagen.
3259An dir Gesellen unhold, barsch und toll,
3260Ist wahrlich wenig zu verlieren.
3261Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
3262Was ihm gefällt und was man lassen soll,
3263Kann man dem Herrn nie an der Nase spüren.
∞Mephistopheles
3266Wie hätt’st du, armer Erdensohn,
3267Dein Leben ohne mich geführt?
3268Vom Kribskrabs der Imagination
3269Hab’ ich dich doch auf Zeiten lang curirt;
3270Und wär’ ich nicht, so wär’st du schon
3271Von diesem Erdball abspazirt.
3272Was hast du da in Höhlen, Felsenritzen
3273Dich wie ein Schuhu zu versitzen?
3274Was schlurfst aus dumpfem Moos und triefendem
Gestein,
3275Wie eine Kröte, Nahrung ein?
3276Ein schöner, süßer Zeitvertreib!
3277Dir steckt der Doctor noch im Leib.
∞Faust
3278Verstehst du, was für neue Lebenskraft
3279Mir dieser Wandel in der Öde schafft?
3281Du wärest Teufel g’nug mein Glück mir nicht zu
gönnen.
∞Mephistopheles
3282Ein überirdisches Vergnügen!
3283In Nacht und Thau auf den Gebirgen liegen,
3285Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen,
3287Alle sechs Tagewerk’ im Busen fühlen,
3288In stolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
3290Verschwunden ganz der Erdensohn,
3291Und dann die hohe Intuition –
∞Mit einer
Geberde
3292Ich darf nicht sagen wie – zu schließen.
∞Mephistopheles
3293Das will euch nicht behagen;
3294Ihr habt das Recht gesittet pfuy zu sagen.
3295Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,
3296Was keusche Herzen nicht entbehren können.
3297Und kurz und gut, ich gönn’ Ihm das Vergnügen,
3298Gelegentlich sich etwas vorzulügen;
3299Doch lange hält Er das nicht aus.
3300Du bist schon wieder abgetrieben,
3301Und, währt es länger, aufgerieben
3302In Tollheit oder Angst und Graus.
3303Genug damit! dein Liebchen sitzt dadrinne,
3304Und alles wird ihr eng’ und trüb’.
3305Du kommst ihr gar nicht aus dem Sinne,
3306Sie hat dich übermächtig lieb.
3307Erst kam deine Liebeswuth übergeflossen,
3308Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt;
3309Du hast sie ihr in’s Herz gegossen,
3310Nun ist dein Bächlein wieder seicht.
3311Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen,
3312Ließ es dem großen Herren gut,
3313Das arme affenjunge Blut
3314Für seine Liebe zu belohnen.
3315Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
3316Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn
3317Über die alte Stadtmauer hin.
3318Wenn ich ein Vöglein wär’! so geht ihr Gesang
3320Einmal ist sie munter, meist betrübt,
3321Einmal recht ausgeweint,
3322Dann wieder ruhig, wie’s scheint,
3323Und immer verliebt.
∞Faust
3326Verruchter! hebe dich von hinnen,
3327Und nenne nicht das schöne Weib!
3328Bring’ die Begier zu ihrem süßen Leib
3329Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!
∞Mephistopheles
3330Was soll es denn? Sie meint, du seyst entfloh’n,
3331Und halb und halb bist du es schon.
∞Faust
3332Ich bin ihr nah’, und wär’ ich noch so fern,
3333Ich kann sie nie vergessen, nie verlieren;
3334Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,
3335Wenn ihre Lippen ihn indeß berühren.
∞Mephistopheles
3336Gar wohl, mein Freund! Ich hab’ euch oft beneidet
3337Um’s Zwillingspaar, das unter Rosen weidet.
∞Mephistopheles
3338Schön! Ihr schimpft und ich muß lachen.
3339Der Gott, der Bub’ und Mädchen schuf,
3340Erkannte gleich den edelsten Beruf,
3341Auch selbst Gelegenheit zu machen.
3342Nur fort, es ist ein großer Jammer!
3343Ihr sollt in eures Liebchens Kammer,
3344Nicht etwa in den Tod.
∞Faust
3345Was ist die Himmelsfreud’ in ihren Armen?
3346Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
3347Fühl’ ich nicht immer ihre Noth?
3348Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehaus’te?
3349Der Unmensch ohne Zweck und Ruh?
3350Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus’te
3351Begierig wüthend nach dem Abgrund zu.
3352Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,
3353Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
3354Und all ihr häusliches Beginnen
3355Umfangen in der kleinen Welt.
33563356–3357 zwei Verse 1 H.5
∞Und ich, der Gottverhaßte, hatte nicht genug,
S A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II b)Und ich, der Gottverhaßte,3357Hatte nicht genug,
3358Daß ich die Felsen faßte
3359Und sie zu Trümmern schlug!
3360Sie, ihren Frieden mußt’ ich untergraben!
3361Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!
3362Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen,
3363Was muß geschehn, mag’s gleich geschehn!
3364Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen
3365Und sie mit mir zu Grunde gehn!
∞Mephistopheles
3366Wie’s wieder siedet, wieder glüht!
3367Geh’ ein und tröste sie, du Thor!
3368Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
3370Es lebe wer sich tapfer hält!
3371Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
3372Nichts abgeschmackters find’ ich auf der Welt,3372 abgeschmackters ] S A Abgeschmackters B B.a
(IV a)
3373Als einen Teufel der verzweifelt.
∞
∞Gretchens Stube
∞
∞Marthens Garten
∞Margarete.
Faust
∞Faust
3418Laß das, mein Kind! du fühlst, ich bin dir gut;
3420Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
∞Margarete
3422Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
3423Du ehrst auch nicht die heil’gen Sacramente.
∞Margarete
3424Doch ohne Verlangen.
3425Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
3426Glaubst du an Gott?
∞Faust
3426Mein Liebchen, wer darf sagen,
3427Ich glaub’ an Gott?
3428Magst Priester oder Weise fragen,
3429Und ihre Antwort scheint nur Spott
3430Über den Frager zu seyn.
∞Faust
3431Mißhör’ mich nicht, du holdes Angesicht!
3432Wer darf ihn nennen?
3433Und wer bekennen:
3434Ich glaub’ ihn.
3435Wer empfinden?
3436Und sich unterwinden
3437Zu sagen: ich glaub’ ihn nicht.
3438Der Allumfasser,
3439Der Allerhalter,
3440Faßt und erhält er nicht
3441Dich, mich, sich selbst?
3442Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?
3443Liegt die Erde nicht hierunten fest?
3444Und steigen freundlich blickend
3445Ewige Sterne nicht herauf?
3446Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir,
3447Und drängt nicht alles
3448Nach Haupt und Herzen dir,
3449Und webt in ewigem Geheimniß
3450Unsichtbar sichtbar neben dir?
3451Erfüll’ davon dein Herz, so groß es ist,
3452Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
3453Nenn’ es dann wie du willst,
3454Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
3455Ich habe keinen Nahmen
3457Name ist Schall und Rauch,
3458Umnebelnd Himmelsgluth.
∞Margarete
3459Das ist alles recht schön und gut;
3460Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
3461Nur mit ein Bißchen andern Worten.
∞Faust
3462Es sagen’s aller Orten
3463Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
3464Jedes in seiner Sprache;
3465Warum nicht ich in der meinen?
∞Margarete
3466Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen,
3467Steht aber doch immer schief darum;
3468Denn du hast kein Christenthum.
∞Margarete
3471Der Mensch, den du da bey dir hast,
3472Ist mir in tiefer inn’rer Seele verhaßt:
3473Es hat mir in meinem Leben
3474So nichts einen Stich in’s Herz gegeben,
3475Als des Menschen widrig Gesicht.
∞Margarete
3477Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
3478Ich bin sonst allen Menschen gut;
3479Aber, wie ich mich sehne dich zu schauen,
3480Hab’ ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
3481Und halt’ ihn für einen Schelm dazu!
3482Gott verzeih’ mir’s, wenn ich ihm Unrecht thu’!
∞Margarete
3484Wollte nicht mit seines Gleichen leben!
3485Kommt er einmal zur Thür herein,
3486Sieht er immer so spöttisch drein,
3487Und halb ergrimmt;
3488Man sieht, daß er an nichts keinen Antheil nimmt;
3489Es steht ihm an der Stirn’ geschrieben,
3490Daß er nicht mag eine Seele lieben.
3491Mir wird’s so wohl in deinem Arm,
3492So frey, so hingegeben warm,
3493Und seine Gegenwart schnürt mir das Inn’re zu.
∞Margarete
3495Das übermannt mich so sehr,
3496Daß, wo er nur mag zu uns treten,
3497Meyn’ ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.3497 Meyn’ ] A Meyn 1 H.5
Mein’ S
Mein’ B B.a
(IV a)3497 liebte dich ] A B B.a liebte dich 1 H.5
liebte dich S
(II a*)
3498Auch wenn er da ist, könnt’ ich nimmer beten,
3499Und das frißt mir in’s Herz hinein;
3500Dir, Heinrich, muß es auch so seyn.
∞Faust
3502Ach kann ich nie
3503Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen,
3504Und Brust an Brust und Seel’ in Seele drängen?
∞Margarete
3505Ach wenn ich nur alleine schlief!
3506Ich ließ dir gern heut Nacht den Riegel offen;
3507Doch meine Mutter schläft nicht tief,
3508Und würden wir von ihr betroffen,
3509Ich wär’ gleich auf der Stelle todt!
∞Faust
3510Du Engel, das hat keine Noth.
3511Hier ist ein Fläschchen! Drey Tropfen nur
3512In ihren Trank umhüllen
3513Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.
∞Margarete
3517Seh’ ich dich, bester Mann, nur an,
3518Weiß nicht was mich nach deinem Willen treibt,
3519Ich habe schon so viel für dich gethan,
3520Daß mir zu thun fast nichts mehr übrig bleibt.
∞ab
∞
Mephistopheles tritt auf
∞Mephistopheles
3522Ich hab’s ausführlich wohl vernommen.
3523Herr Doctor wurden da katechisirt;
3524Hoff’ es soll Ihnen wohl bekommen.
3525Die Mädels sind doch sehr interessirt,
3526Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
3527Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben auch.
∞Faust
3528Du Ungeheuer siehst nicht ein,
3529Wie diese treue liebe Seele
3530Von ihrem Glauben voll,
3531Der ganz allein
3532Ihr selig machend ist, sich heilig quäle,
3533Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.
∞
∞Am Brunnen
∞Gretchen und Lieschen mit Krügenvor 3544 Lieschen ] Lieschen‸ S
Liesgen‸ 1 H.5
Lieschen. A D.1
Lieschen‸ B B.a
(VIII)
∞Lieschen
3546Gewiß, Sibylle sagt’ mir’s heute!
3547Die hat sich endlich auch bethört.
3548Das ist das Vornehmthun!
∞Lieschen
3551So ist’s ihr endlich recht ergangen.3550–3551 In 1 H.5 bilden die beiden Repliken einen
antilabischen Vers:
(II d*)
3552Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
3553Das war ein Spaziren,3553 Spaziren ] A gespazieren 1 H.5
Spatzieren S
Spazieren B
Spatzieren B.a
(IV a)
3554Auf Dorf und Tanzplatz Führen,
3555Mußt’ überall die erste seyn,
3556Curtesirt’ ihr immer mit Pastetchen und Wein;
3557Bild’t sich was auf ihre Schönheit ein,3557 Bild’t ] S A B B.a Bildt 1 H.5
Bild’t’ konj Holland (III *)
3558War doch so ehrlos sich nicht zu schämen
3559Geschenke von ihm anzunehmen.
3560War ein Gekos’ und ein Geschleck’;
3561Da ist denn auch das Blümchen weg!
∞Lieschen
3562Bedauerst sie noch gar!
3563Wenn unser eins am Spinnen war,
3564Uns Nachts die Mutter nicht hinunterließ;3564 hinunterließ ] A B n’abe lies 1 H.5
hinunter ließ S
hinunter ließ B.a
(II a*)
3565Stand sie bey ihrem Buhlen süß,
3566Auf der Thürbank und im dunkeln Gang
3567Ward ihnen keine Stunde zu lang.3567 Ward ] Ward 1 H.5 S
Ward’ A B B.a 1 H.1
Ward C.1 12 C.3 12
(I b)
3568Da mag sie denn sich ducken nun,
3569Im Sünderhemdchen Kirchbuß’ thun!
∞Lieschen
3571Er wär’ ein Narr! Ein flinker Jung’
3572Hat anderwärts noch Luft genung.
3573Er ist auch fort.
∞Lieschen
3574Kriegt sie ihn, soll’s ihr übel gehn.
3575Das Kränzel reißen die Buben ihr,
3576Und Häckerling streuen wir vor die Thür!
∞ab
∞nach Hause
gehend
3577Wie konnt’ ich sonst so tapfer schmählen,
3578Wenn thät ein armes Mägdlein fehlen!3578 Wenn thät ] B Wen thät 1 H.5
Sah ich S A
Wenn thät’ B.a
(IV b)
3579Wie konnt’ ich über andrer Sünden
3580Nicht Worte g’nug der Zunge finden!
3581Wie schien mir’s schwarz, und schwärzt’s noch gar,
3582Mir’s immer doch nicht schwarz g’nug war,
3583Und segnet’ mich und that so groß,
3584Und bin nun selbst der Sünde bloß!
3585Doch – alles was dazu mich trieb,
3586Gott! war so gut! ach war so lieb!
∞
∞Zwinger
∞In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkrüge davor
∞steckt frische Blumen in die Krüge
3596Wer fühlet,
3597Wie wühlet
3598Der Schmerz mir im Gebein?
3599Was mein armes Herz hier banget,
3600Was es zittert, was verlanget,
3601Weißt nur du, nur du allein!
3602Wohin ich immer gehe,
3603Wie weh, wie weh, wie wehe
3604Wird mir im Busen hier!
3605Ich bin ach kaum alleine,
3606Ich wein’, ich wein’, ich weine,
3607Das Herz zerbricht in mir.
3608Die Scherben vor meinem Fenster
3609Bethaut’ ich mit Thränen, ach!
3610Als ich am frühen Morgen
3611Dir diese Blumen brach.
∞
∞Nacht
∞Straße vor
Gretchens Thüre
∞Valentin
∞Soldat, Gretchens
Bruder
3621Wo mancher sich berühmen mag,
3622Und die Gesellen mir den Flor
3623Der Mägdlein laut gepriesen vor,
3624Mit vollem Glas das Lob verschwemmt,
3625Den Ellenbogen aufgestemmt;3625 aufgestemmt; ] A aufgestemmt‸ 1 H.5 1 H.12
aufgestemmt‸ B B.a
(II a*)
3628Und streiche lächelnd meinen Bart,
3629Und kriege das volle Glas zur Hand
3631Aber ist eine im ganzen Land,
3632Die meiner trauten Gretel gleicht,
3633Die meiner Schwester das Wasser reicht?
3634Top! Top! Kling! Klang! das ging herum!
3635Die einen schrieen: er hat Recht,
3636Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht!
3637Da saßen alle die Lober stumm.
3638Und nun! – um’s Haar sich auszuraufen
3639Und an den Wänden hinauf zu laufen! –
3640Mit Stichelreden, Naserümpfen
3641Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
3642Soll wie ein böser Schuldner sitzen,
3643Bey jedem Zufallswörtchen schwitzen!
3644Und möcht’ ich sie zusammenschmeißen;
3645Könnt’ ich sie doch nicht Lügner heißen.
∞Faust.
Mephistopheles
∞Faust
3650Wie von dem Fenster dort der Sakristey
3651Aufwärts der Schein des ewigen Lämpchens flämmert
3652Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
3653Und Finsterniß drängt ringsum bey!
3654So sieht’s in meinem Busen nächtig.
∞Mephistopheles
3655Und mir ist’s wie dem Kätzlein schmächtig,
3656Das an den Feuerleitern schleicht,
3658Mir ist’s ganz tugendlich dabey,
3659Ein Bißchen Diebsgelüst, ein Bißchen Rammeley.
3660So spukt mir schon durch alle Glieder
3661Die herrliche Walpurgisnacht.
3662Die kommt uns übermorgen wieder,
3663Da weiß man doch warum man wacht.
∞Mephistopheles
3666Du kannst die Freude bald erleben,
3667Das Kesselchen herauszuheben.
3668Ich schielte neulich so hinein,
3669Sind herrliche Löwenthaler drein.
∞Mephistopheles
3676Es sollt’ euch eben nicht verdrießen
3677Umsonst auch etwas zu genießen.
3678Jetzt da der Himmel voller Sterne glüht,
3679Sollt ihr ein wahres Kunststück hören:
3680Ich sing’ ihr ein moralisch Lied,
3681Um sie gewisser zu bethören.
∞Singt zur
Zither
∞Valentin
∞tritt vor
3698Wen lockst du hier? beym Element!
3699Vermaledeyter Rattenfänger!
3700Zum Teufel erst das Instrument!
3701Zum Teufel hinter drein den Sänger!
∞Mephistopheles
∞zu Faust
3704Herr Doctor nicht gewichen! Frisch!
3705Hart an mich an, wie ich euch führe.
3706Heraus mit eurem Flederwisch!
3707Nur zugestoßen! ich parire.
∞Mephistopheles
3711Nun ist der Lümmel zahm!
3712Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden:
3713Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrey.
3714Ich weiß mich trefflich mit der Polizey,
3715Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.
∞Valentin
3722Ich sterbe! das ist bald gesagt
3723Und bälder noch gethan.
3724Was steht ihr Weiber, heult und klagt?
3725Kommt her und hört mich an!
∞Alle treten um
ihn.
3726Mein Gretchen sieh! du bist noch jung,
3727Bist gar noch nicht gescheidt genung,
3728Machst deine Sachen schlecht.
3729Ich sag’ dir’s im Vertrauen nur:
3730Du bist doch nun einmal eine Hur’;
3731So sey’s auch eben recht.
∞Valentin
3733Laßt unsern Herr Gott aus dem Spaß.
3734Geschehn ist leider nun geschehn,
3735Und wie es gehn kann, so wird’s gehn.
3736Du fingst mit Einem heimlich an,
3737Bald kommen ihrer mehre dran,
3738Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
3739So hat dich auch die ganze Stadt.
3740Wenn erst die Schande wird
geboren,
3741Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
3742Und man zieht den Schleyer der Nacht
3743Ihr über Kopf und Ohren;
3744Ja, man möchte sie gern ermorden.
3745Wächst sie aber und macht sich groß,
3746Dann geht sie auch bey Tage bloß,
3747Und ist doch nicht schöner geworden.
3748Je häßlicher wird ihr Gesicht,
3750Ich seh’ wahrhaftig schon die
Zeit,
3751Daß alle brave Bürgersleut’3751 Bürgersleut’‸ ] A Bürgersleut‸ 1 H.12
Bürgersleut’, B B.a
(IV a)
3753Von dir, du Metze! seitab weichen.
3754Dir soll das Herz im Leib verzagen!
3755Wenn sie dir in die Augen sehn.
3756Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
3757In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!
3758In einem schönen Spitzenkragen
3759Dich nicht beym Tanze wohlbehagen!
3760In eine finstre Jammerecken
3762Und wenn dir denn auch Gott verzeiht,
3763Auf Erden seyn vermaledeyt!
∞Valentin
3766Könnt’ ich dir nur an den dürren Leib
3767Du schändlich kupplerisches Weib!
3768Da hofft’ ich aller meiner Sünden
3769Vergebung reiche Maß zu finden.
∞Valentin
3771Ich sage, laß die Thränen seyn!
3772Da du dich sprachst der Ehre los,
3773Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
3774Ich gehe durch den Todesschlaf
3775Zu Gott ein als Soldat und brav.
∞stirbt
∞
∞Dom
∞Amt, Orgel und Gesang
∞Böser
Geist
3776Wie anders, Gretchen, war dir’s,
3777Als du noch voll Unschuld
3778Hier zum Altar trat’st,
3779Aus dem vergriffnen Büchelchen
3780Gebete lalltest,
3781Halb Kinderspiele,
3782Halb Gott im Herzen!
3783Gretchen!
3784Wo steht dein Kopf?
3785In deinem Herzen,
3786Welche Missethat?
3787Bet’st du für deiner Mutter Seele? die3787–3788
3787Betest du für deiner Mutter Seel
3788Die durch dich sich in die Pein hinüberschlief.
1 H.5
(VII)3788Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief.3788 hinüberschlief ] A B hinüberschlief 1 H.5
hinüber schlief S 1 H.13
hinüber schlief B.a
(II a*)
3790– Und unter deinem Herzen
3791Regt sich’s nicht quillend schon,
3792Und ängstet dich und sich
∞Gretchen
3794Weh! Weh!
3795Wär’ ich der Gedanken los,
3796Die mir herüber und hinüber gehen
3797Wider mich!
∞Orgelton
∞Böser
Geist
3800Grimm faßt dich!
3801Die Posaune tönt!
3802Die Gräber beben!
3803Und dein Herz,
3804Aus Aschenruh’
3805Zu Flammenqualen
3806Wieder aufgeschaffen,
3807Bebt auf!
∞Gretchen
3808Wär’ ich hier weg!
3809Mir ist als ob die Orgel mir
3810Den Athem versetzte,
3811Gesang mein Herz
3812Im Tiefsten lös’te.
∞Gretchen
3816Mir wird so eng’!
3817Die Mauern Pfeiler3817 Mauern Pfeiler ] 1 H.5 Mauern-Pfeiler S 1 H.13 A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II b)
3818Befangen mich!
3819Das Gewölbe
3820Drängt mich! – Luft!
∞Böser
Geist
3821Verbirg dich! Sünd’ und Schande3821 Verbirg ] Verbirgst 1 H.5
Verbirg S 1 H.13
Verbirg’ A B B.a
(I b)
3823Luft? Licht?
3824Weh dir!
∞Chor
3825
Quid sum miser tunc dicturus?
3826
Quem patronum rogaturus?
3827
Cum vix justus sit securus.
∞Böser
Geist
3828Ihr Antlitz wenden
3829Verklärte von dir ab.
3830Die Hände dir zu reichen,
3831Schauert’s den Reinen.
3832Weh!
∞Sie fällt in
Ohnmacht.
∞
∞Walpurgisnacht
∞Harzgebirg
∞Gegend von
Schirke und Elend
∞Faust.
Mephistopheles
∞Mephistopheles
3835Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
3836Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.
3837Auf diesem Weg sind wir noch weit vom Ziele.
∞Faust
3838So lang’ ich mich noch frisch auf meinen Beinen
fühle,
3839Genügt mir dieser Knotenstock.
3840Was hilft’s daß man den Weg verkürzt! –
3841Im Labyrinth der Thäler hinzuschleichen,
3842Dann diesen Felsen zu ersteigen,
3843Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt,
3844Das ist die Lust, die solche Pfade würzt!
3845Der Frühling webt schon in den Birken
3846Und selbst die Fichte fühlt ihn schon,
3847Sollt’ er nicht auch auf unsre Glieder wirken?
∞Mephistopheles
3848Fürwahr ich spüre nichts davon!
3849Mir ist es winterlich im Leibe,
3850Ich wünschte Schnee und Frost auf meiner Bahn.
3851Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe
3852Des rothen Monds mit später Gluth heran!
3853Und leuchtet schlecht, daß man bey jedem Schritte,
3854Vor einen Baum, vor einen Felsen rennt!
3855Erlaub’ daß ich ein Irrlicht bitte!
3856Dort seh’ ich eins, das eben lustig brennt.
3857He da! mein Freund! darf ich dich zu uns fodern?
3858Was willst du so vergebens lodern?
3859Sey doch so gut und leucht’ uns da hinauf!
∞Irrlicht
3860Aus Ehrfurcht, hoff’ ich, soll es mir gelingen
3861Mein leichtes Naturell zu zwingen,
3862Nur Zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.
∞Mephistopheles
3863Ei! Ei! er denkt’s den Menschen nachzuahmen.
3864Geh er nur g’rad’, in’s Teufels Nahmen!
3865Sonst blas’ ich ihm sein Flacker-Leben aus.
∞Irrlicht
3866Ich merke wohl, ihr seyd der Herr vom Haus,
3867Und will mich gern nach euch bequemen.
3868Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll,
3869Und wenn ein Irrlicht euch die Wege weisen soll,
3870So müßt ihr’s so genau nicht nehmen.
∞Faust,
Mephistopheles, Irrlicht
∞im
Wechselgesang
3871In die Traum- und Zaubersphäre3871–3911 Die Verse stehen in 1 H.14 A B B.a 1 H.1 linksbündig, in C.1 12 C.3 12 sind sie eingerückt.
(VII)
3872Sind wir, scheint es, eingegangen.
3873Führ’ uns gut und mach’ dir Ehre!
3874Daß wir vorwärts bald gelangen,
3875In den weiten, öden Räumen.
3876Seh’ die Bäume hinter Bäumen,
3877Wie sie schnell vorüber rücken,
3878Und die Klippen, die sich bücken,
3879Und die langen Felsennasen,
3880Wie sie schnarchen, wie sie blasen!
3881Durch die Steine, durch den
Rasen
3882Eilet Bach und Bächlein nieder.
3883Hör’ ich Rauschen? hör’ ich Lieder?
3884Hör’ ich holde Liebesklage,
3885Stimmen jener Himmelstage?
3886Was wir hoffen, was wir lieben!
3887Und das Echo, wie die Sage
3888Alter Zeiten, hallet wieder.
3889Uhu! Schuhu! tönt es näher,
3890Kauz und Kibitz und der Häher,
3891Sind sie alle wach geblieben?
3893Lange Beine, dicke Bäuche.
3894Und die Wurzeln, wie die Schlangen,
3895Winden sich aus Fels und Sande;
3896Strecken wunderliche Bande,
3897Uns zu schrecken, uns zu fangen;
3898Aus belebten, derben Masern
3899Strecken sie Polypenfasern3899 Strecken ] 1 H.14 Stecken A B B.a
Strecken vorschl Gö 1 H.6
Stecken : Strecken
G 1 H.1
Strecken C.1 12 C.3 12
(II a)
3900Nach dem Wandrer. Und die Mäuse
3901Tausendfärbig, schaarenweise,
3902Durch das Moos und durch die Heide!
3903Und die Funkenwürmer fliegen,
3904Mit gedrängten Schwärme-Zügen,
3905Zum verwirrenden Geleite.
∞Mephistopheles
3912Fasse wacker meinen Zipfel!
3913Hier ist so ein Mittelgipfel,
3914Wo man mit Erstaunen sieht,
3915Wie im Berg der Mammon glüht.
∞Faust
3916Wie seltsam glimmet durch die Gründe3916 glimmet ] 1 H.14 glimmert A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II a)
3917Ein morgenröthlich trüber Schein!
3918Und selbst bis in die tiefen Schlünde
3919Des Abgrunds wittert er hinein.
3920Da steigt ein Dampf, dort ziehen Schwaden,
3921Hier leuchtet Glut aus Dunst und Flor,
3922Dann schleicht sie wie ein zarter Faden,
3923Dann bricht sie wie ein Quell hervor.
3924Hier schlingt sie eine ganze Strecke,
3926Und hier in der gedrängten Ecke
3927Vereinzelt sie sich auf einmal.
3928Da sprühen Funken in der Nähe,
3929Wie ausgestreuter goldner Sand.
3930Doch schau! in ihrer ganzen Höhe
3931Entzündet sich die Felsenwand.
∞Mephistopheles
3932Erleuchtet nicht zu diesem Feste
3933Herr Mammon prächtig den Pallast?
3934Ein Glück daß du’s gesehen hast;
3935Ich spüre schon die ungestümen Gäste.
∞Faust
3936Wie ras’t die Windsbraut durch die Luft!
3937Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken!
∞Mephistopheles
3938Du mußt des Felsens alte Rippen packen,
3939Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde
Gruft.
3940Ein Nebel verdichtet die Nacht.
3941Höre wie’s durch die Wälder kracht!
3942Aufgescheucht fliegen die Eulen.
3943Hör’ es splittern die Säulen
3944Ewig grüner Palläste.
3946Der Stämme mächtiges Dröhnen!
3947Der Wurzeln Knarren und Gähnen!
3948Im fürchterlich verworrenen Falle
3949Über einander krachen sie alle,
3950Und durch die übertrümmerten Klüfte
3951Zischen und heulen die Lüfte.
3952Hörst du Stimmen in der Höhe?
3953In der Ferne in der Nähe?
3954Ja, den ganzen Berg entlang
3955Strömt ein wüthender Zaubergesang.
∞Hexen
∞im Chor
∞Chor
∞Stimme
3968Über’n Ilsenstein!
3969Da guckt’ ich der Eule ins Nest hinein.
3970Die macht ein Paar Augen!
∞Hexen
∞Chor
3974Der Weg ist breit, der Weg ist lang,3974–3977 Die Verse sind in
1 H.14 A D.1 B B.a 1 H.1
C.1 12 C.3 12 nicht eingerückt, in D.2 D3
D4 sind sie auf derselben Höhe wie die Verse 3972–3973 eingerückt; in Q stehen 3972–3973 linksbündig, 3974–3977 sind eingerückt.
(VII)
3975Was ist das für ein toller Drang?
3976Die Gabel sticht, der Besen kratzt,
3977Das Kind erstickt, die Mutter platzt.
∞Hexenmeister
∞Andre
Hälfte
∞Stimmen
∞von unten
3987Wir möchten gerne mit in die Höh’.
3988Wir waschen und blank sind wir ganz und gar;
3989Aber auch ewig unfruchtbar.
∞Beyde
Chöre
3990Es schweigt der Wind, es flieht der Stern,3990–4015 Die Verse sind im Druck zweistufig eingerückt
( A, S. 198–199): 3990–3995 um 5 mm, was für Kurzverse normal
ist; 3996–3999 auf Seite 198 um 10 mm; ebenso 4000–4003 und 4008–4015 (beidemale
wohl versehentlich) sowie 4004–4007 (wohl korrekt) auf Seite 199 um 10 mm.
(VII, I c)
3991Der trübe Mond verbirgt sich gern.
3992Im Sausen sprüht das Zauberchor
3993Viel tausend Feuerfunken hervor.
∞Beyde
Chöre
∞Chor der
Hexen
∞Beyde
Chöre
∞Sie lassen sich
nieder.
∞Mephistopheles
4016Das drängt und stößt, das ruscht und klappert!
4017Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
4018Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
4019Ein wahres Hexenelement!
4020Nur fest an mir! sonst sind wir gleich getrennt.
4021Wo bist du?
∞Mephistopheles
4021Was! dort schon hingerissen?
4022Da werd’ ich Hausrecht brauchen müssen.
4023Platz! Junker Voland kommt. Platz! süßer Pöbel,
Platz!
4024Hier, Doctor, fasse mich! und nun, in Einem Satz,
4025Laß uns aus dem Gedräng’ entweichen;
4026Es ist zu toll, sogar für meines gleichen.
4027Dort neben leuchtet was mit ganz besond’rem Schein,
4028Es zieht mich was nach jenen Sträuchen.
4029Komm, komm! wir schlupfen da hinein.
∞Faust
4030Du Geist des Widerspruchs! Nur zu! du magst mich
führen.
4032Zum Brocken wandlen wir in der Walpurgisnacht,
4033Um uns beliebig nun hieselbst zu isoliren.
∞Mephistopheles
4034Da sieh nur welche bunten Flammen!
4035Es ist ein muntrer Klub beysammen.
4036Im Kleinen ist man nicht allein.
∞Faust
4037Doch droben möcht’ ich lieber seyn!
4038Schon seh’ ich Glut und Wirbelrauch.
4039Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
4040Da muß sich manches Räthsel lösen.
∞Mephistopheles
4041Doch manches Räthsel knüpft sich auch.
4042Laß du die große Welt nur sausen,
4043Wir wollen hier im Stillen hausen.
4044Es ist doch lange hergebracht,
4045Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.
4047Und alte die sich klug verhüllen.
4048Seyd freundlich, nur um meinetwillen,
4049Die Müh’ ist klein, der Spaß ist groß.
4050Ich höre was von Instrumenten tönen!
4051Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewöhnen.4051
Faust
4051Verflucht Geschnarr!
Mephistopheles
konj Resenhöfft (III *)4051Man muß sich dran gewöhnen.
4052Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders seyn,
4053Ich tret’ heran und führe dich herein,
4055Was sagst du Freund? das ist kein kleiner Raum.
4056Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
4057Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe;
∞Mephistopheles
4062Zwar bin ich sehr gewohnt incognito zu gehn;
4063Doch läßt am Galatag man seinen Orden sehn.
4064Ein Knieband zeichnet mich nicht aus,
4065Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.
4066Siehst du die Schnecke da! sie kommt herangekrochen;
4067Mit ihrem tastenden Gesicht
4068Hat sie mir schon was abgerochen.
4069Wenn ich auch will, verläugn’ ich hier mich nicht.
4070Komm nur! von Feuer gehen wir zu Feuer,
4071Ich bin der Werber und du bist der Freyer.
4072Ihr alten Herrn, was macht ihr hier am Ende?
4073Ich lobt’ euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte
fände,
4074Von Saus umzirkt und Jugendbraus.
4075Genug allein ist jeder ja zu Haus.
∞General
4076Wer mag auf Nationen trauen!
4077Man habe noch so viel für sie gethan;
4078Denn bey dem Volk, wie bey den Frauen,
4079Steht immerfort die Jugend oben an.
∞Minister
4080Jetzt ist man von dem Rechten allzuweit,
4081Ich lobe mir die guten Alten;
4083Da war die rechte goldne Zeit.
∞Parvenü
4084Wir waren wahrlich auch nicht dumm,
4085Und thaten oft was wir nicht sollten;
4087Und eben da wir’s fest erhalten wollten.
∞Autor
4088Wer mag wohl überhaupt jetzt eine Schrift
4089Von mäßig klugem Inhalt lesen!
4090Und was das liebe junge Volk betrifft,
4091Das ist noch nie so naseweis gewesen.
∞Mephistophelesvor 4092 Mephistopheles ] Mephistopheles 1 H.14
Mephistopheles. A
Mephistopheles, B
Mephistopheles‸ B.a
(VIII)
4092Zum jüngsten Tag fühl’ ich das Volk gereift;
4093Da ich zum letztenmal den Hexenberg ersteige,
4094Und, weil mein Fäßchen trübe läuft;
4095So ist die Welt auch auf der Neige.
∞Trödelhexe
4096Ihr Herren geht nicht so vorbey!
4097Laßt die Gelegenheit nicht fahren!
4098Aufmerksam blickt nach meinen Waaren,
4099Es steht dahier gar mancherley.
4100Und doch ist nichts in meinem Laden,
4101Dem keiner auf der Erde gleicht,
4102Das nicht einmal zum tücht’gen Schaden
4103Der Menschen und der Welt gereicht.
4104Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen,
4105Kein Kelch, aus dem sich nicht, in ganz gesunden
Leib,
4106Verzehrend heißes Gift ergossen.
4107Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib
4108Verführt, kein Schwerdt das nicht den Bund gebrochen,4108 Schwerdt ] 1 H.14 A Schwert B B.a
(IV a)
4109Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen.
∞Mephistopheles
4110Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten.
4111Gethan geschehn! Geschehn gethan!
4112Verleg’ sie sich auf Neuigkeiten,
4113Nur Neuigkeiten ziehn uns an.
∞Mephistopheles
4116Der ganze Strudel strebt nach oben;
4117Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben.
∞Mephistopheles
4119Adams erste Frau.
4120Nimm dich in Acht vor ihren schönen Haaren,
4121Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
4122Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
4123So läßt sie ihn sobald nicht wieder fahren.
∞Mephistopheles
4126Das hat nun heute keine Ruh.
4127Es geht zum neuen Tanz, nun komm! wir greifen zu.
∞Faust
∞mit der jungen
tanzend
4128Einst hatt’ ich einen schönen Traum;
4129Da sah ich einen Apfelbaum,
4130Zwey schöne Äpfel glänzten dran,
4131Sie reizten mich, ich stieg hinan.
∞Die
Schöne
4132Der Äpfelchen begehrt ihr sehr
4133Und schon vom Paradiese her.
4134Von Freuden fühl’ ich mich bewegt,
∞Mephistopheles
∞mit der Alten
4136Einst hatt’ ich einen wüsten Traum;
∞Proktophantasmistvor 4144 Proktophantasmist ] 1 H.2 Brocktophantasmist 1 H.14 A
Procktophantasmist B B.a
Procktophantasmist : Proktophantasmist Gö 1 H.1
Proktophantasmist C.1 12 C.3 12
(II c)
4144Verfluchtes Volk! was untersteht ihr
euch?
4145Hat man euch lange nicht bewiesen?
4146Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen;
4147Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!
∞Faust
∞tanzend
4149Ey! der ist eben überall.
4151Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen;
4152So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
4153Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehn.
4154Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
4155Wie er’s in seiner alten Mühle thut,
4156Das hieß er allenfalls noch gut;
4157Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.
∞Proktophantasmistvor 4158 Proktophantasmist ] 1 H.2 Brocktophantasmist 1 H.14 A
Procktophantasmist B B.a
Proktophantasmist 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II c)
4158Ihr seyd noch immer da! nein das ist unerhört.
4160Das Teufelspack es fragt nach keiner Regel.
4161Wir sind so klug und dennoch spukt’s in Tegel.
4162Wie lange hab’ ich nicht am Wahn hinausgekehrt
4163Und nie wird’s rein, das ist doch unerhört!
∞Proktophantasmistvor 4165 Proktophantasmist ] 1 H.2 Brocktophantasmist 1 H.14 A
Procktophantasmist B B.a
Proktophantasmist 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II c)
4165Ich sag’s euch Geistern in’s Gesicht,
4166Den Geistesdespotismus leid’ ich nicht;
4168Heut, seh’ ich, will mir nichts gelingen,
4169Doch eine Reise nehm’ ich immer mit
4170Und hoffe noch, vor meinem letzten Schritt,
4171Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.
∞Mephistopheles
4172Er wird sich gleich in eine Pfütze
setzen,
4173Das ist die Art wie er sich soulagirt,
4176Was lässest du das schöne Mädchen fahren?
4177Das dir zum Tanz so lieblich sang.
∞Mephistopheles
4180Das ist was rechts! Das nimmt man nicht genau.
4181Genug die Maus war doch nicht grau.
4182Wer fragt darnach in einer Schäferstunde?
∞Faust
4183Mephisto siehst du dort
4184Ein blasses, schönes Kind allein und ferne stehen?
4185Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,
4186Sie scheint mit geschloßnen Füßen zu gehen.
4187Ich muß bekennen, daß mir däucht,
4188Daß sie dem guten Gretchen gleicht.
∞Mephistopheles
4190Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.
4191Ihm zu begegnen ist nicht gut,
4192Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
4193Und er wird fast in Stein verkehrt,
∞Faust
4196Die eine liebende Hand nicht schloß.
4197Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,
4198Das ist der süße Leib, den ich genoß.
∞Faust
4201Welch eine Wonne! welch ein Leiden!
4202Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.
4203Wie sonderbar muß diesen schönen Hals
4204Ein einzig rothes Schnürchen schmücken,
4205Nicht breiter als ein Messerrücken!
∞Mephistopheles
4206Ganz recht! ich seh’ es ebenfalls.
4207Sie kann das Haupt auch unterm Arme tragen;
4209Nur immer diese Lust zum Wahn!
4210Komm doch das Hügelchen heran,
4211Hier ist’s so lustig wie im Prater;
4212Und hat man mir’s nicht angethan,
4213So seh’ ich wahrlich ein Theater.
∞Servibilis
4214Gleich fängt man wieder an.
4215Ein neues Stück, das letzte Stück von sieben,
4216Soviel zu geben ist allhier der Brauch.
4217Ein Dilettant hat es geschrieben,
4218Und Dilettanten spielen’s auch.
4219Verzeiht ihr Herrn, wenn ich verschwinde;
4220Mich dilettirt’s den Vorhang aufzuziehn.
∞
∞ Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne Hochzeitvor 4223 Oberons und Titanias goldne Hochzeit ] Oberons und Titanias goldne Hochzeit A B B.a 1 H.1 Oberons und Titanias goldne Hochzeit C.1 12 C.3 12 (VII)
∞Intermezzo
∞Theatermeister
∞Herold
∞Oberon
∞Puck
∞Ariel
∞Oberon
∞Titania
∞Solo
∞Geist der
sich erst bildet
∞Ein
Pärchen
∞Neugieriger
Reisender
∞Orthodox
∞Nordischer
Künstler
∞Purist
∞Junge
Hexe
∞Matrone
∞Capellmeister
∞Xenien
∞Hennings
∞Musaget
∞
Ci-devant
Genius der Zeit
∞Neugieriger
Reisender
∞Kranich
∞Weltkind
∞Tänzer
∞Dogmatikernach 4334 In 1 H.1
C.1 12
C.3 12 folgen die (ganz oder teilweise auch in 1 H.16 und
1 H.17 enthaltenen) Verse 4335–4342 (hier nach
1 H.1):
(V *)
∞Idealist
∞Realist
∞Supernaturalist
∞Skeptiker
∞Capellmeister
∞Die
Gewandten
∞Die
Unbehülflichen
∞Irrlichter
∞Sternschnuppe
∞Die
Massiven
∞Puck
∞Ariel
∞
∞Trüber Tag Feld
∞Faust.
Mephistopheles
∞Faust
∞Im
Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange
∞verirrt und nun
gefangen! Als Missethäterinn im Kerker
∞zu entsetzlichen Qualen
eingesperrt das holde unselige Geschöpf!
∞Bis dahin! dahin! – Verräthrischer4 Verräthrischer ] 1 H.5 A J.2 Verrätherischer B
Verräth’rischer B.a
(IV a), nichtswürdiger
∞Geist, und das hast du mir
verheimlicht! – Steh nur,
∞steh! wälze die teuflischen Augen ingrimmend im
Kopf herum!
∞Steh und trutze mir durch deine unerträgliche Gegenwart!
∞Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen
∞Geistern übergeben und der
richtenden gefühllosen Menschheit!
∞Und mich wiegst du indeß in
abgeschmackten Zerstreuungen,
∞verbirgst mir ihren wachsenden
Jammer und lässest
∞sie hülflos verderben!
∞Faust
∞Hund! abscheuliches Unthier! – Wandle ihn, du unendlicher
∞Geist! wandle den Wurm wieder in seine Hundsgestalt,
∞wie er sich oft nächtlicher Weise16 Weise ] A B B.a Weile 1 H.5
Weile J.2
Weile konj Düntzer (VII) gefiel vor mir herzutrotten,
∞dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu kollern
und sich
∞dem
niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl’
∞ihn wieder in
seine Lieblingsbildung, daß er vor mir im
∞Sand auf dem Bauch krieche, ich
ihn mit Füßen trete, den
∞Verworfnen! – die erste nicht! – Jammer! Jammer!
∞von keiner
Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf
∞in die Tiefe
dieses Elendes versank, daß nicht das erste
∞genugthat für die Schuld aller
übrigen in seiner windenden
∞Todesnoth vor den Augen des ewig Verzeihenden!
Mir
∞wühlt es Mark und
Leben durch das Elend dieser einzigen,
∞du grinsest gelassen über das
Schicksal von Tausenden hin.
∞Mephistopheles
∞Nun sind wir schon wieder an der Gränze unsres Witzes,
∞da wo euch
Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst
∞du Gemeinschaft mit uns, wenn du
sie nicht durchführen
∞kannst? Willst fliegen und bist vorm31 vorm ] 1 H.5 A vor’m J.2
vor’m B B.a
(IV a) Schwindel nicht sicher?
∞Drangen wir uns
dir auf, oder du dich uns?
∞Faust
∞Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir
∞eckelts34 eckelts ] 1 H.5 A J.2 ekelts B B.a
(IV a)! – Großer herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen
∞würdigtest, der du mein Herz
kennest und meine Seele,
∞warum an den Schandgesellen mich schmieden? der
sich am
∞Schaden
weidet und am Verderben sich letzt.
∞Mephistopheles
∞
Faust blickt wild
umher
∞Mephistopheles
∞Mephistopheles
∞Faust
∞Mephistopheles
∞
∞Kerker
∞Faust,
∞mit einem Bund
Schlüssel und einer Lampe, vor einem eisernen
Thürchen
4405Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,
4406Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.
4407Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer,
4408Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
4409Du zauderst zu ihr zu gehen!
4410Du fürchtest sie wieder zu sehen!
4411Fort! dein Zagen zögert den Tod heran.
∞Margarete
∞auf den Knieen
4427Wer hat dir Henker diese Macht
4428Über mich gegeben!
4429Du holst mich schon um Mitternacht.
4430Erbarme dich und laß mich leben!
4431Ist’s morgen früh nicht zeitig genung?
4432Bin ich doch noch so jung, so jung!
4433Und soll schon sterben!
4434Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
4435Nah war der Freund, nun ist er weit,
4437Fasse mich nicht so gewaltsam an!
4438Schone mich! Was hab’ ich dir gethan?
4439Laß mich nicht vergebens flehen,
4440Hab’ ich dich doch mein Tage nicht gesehen!
∞Margarete
4442Ich bin nun ganz in deiner Macht.
4443Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
4444Ich herzt’ es diese ganze Nacht;
4445Sie nahmen mir’s um mich zu kränken
4446Und sagen nun, ich hätt’ es umgebracht.
4447Und niemals werd’ ich wieder froh.
4448Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den
Leuten!
4449Ein altes Mährchen endigt so,
4450Wer heißt sie’s deuten?
∞Faust
∞wirft sich
nieder
4451Ein Liebender liegt dir zu Füßen
4452Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.
∞Margarete
∞wirft sich zu
ihm
4453O laß uns knien die Heil’gen anzurufen!
4454Sieh! unter diesen Stufen,
4455Unter der Schwelle
4456Siedet die Hölle!
4457Der Böse,
4458Mit furchtbarem Grimme,
4459Macht ein Getöse!
∞Margarete
∞aufmerksam
4461Das war des Freundes Stimme!
∞Sie springt auf. Die
Ketten fallen ab.
4462Wo ist er? ich hab’ ihn rufen hören.
4464An seinen Hals will ich fliegen,
4465An seinem Busen liegen!
4466Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
4467Mitten durch’s Heulen und Klappen der Hölle,
4468Durch den grimmigen, teuflischen Hohn,
4469Erkannt’ ich den süßen, den liebenden Ton.
∞Margarete
4470Du bist’s! O sag’ es noch einmal!
4471Er ist’s! Er ist’s! Wohin ist alle Qual?
4472Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
4473Du bist’s! Kommst mich zu retten.
4474Ich bin gerettet! –
4475Schon ist die Straße wieder da,
4476Auf der ich dich zum erstenmale sah.
4477Und der heitere Garten,
4478Wo ich und Marthe deiner warten.
∞Margarete
4484Wie? du kannst nicht mehr küssen?
4485Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
4486Und hast’s Küssen verlernt?
4487Warum wird mir an deinem Halse so bang?
4488Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
4489Ein ganzer Himmel mich überdrang,
4490Und du mich küßtest als wolltest du mich ersticken.
4491Küsse mich!
4492Sonst küss’ ich dich!
∞Sie umfaßt ihn.
4493O weh! deine Lippen sind kalt,
4494Sind stumm.
4495Wo ist dein Lieben
4496Geblieben?
4497Wer brachte mich drum?
∞Faust
4498Komm! Folge mir! Liebchen fasse Muth!
4499Ich herze dich mit tausendfacher Glut,
4500Nur folge mir! Ich bitte dich nur dieß!
∞Margarete
4502Du machst die Fesseln los,
4504Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? –
4505Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreyst?
∞Margarete
4507Meine Mutter hab’ ich umgebracht,
4508Mein Kind hab’ ich ertränkt.
4509War es nicht dir und mir geschenkt?
4510Dir auch – Du bist’s! ich glaub’ es kaum.
4512Deine liebe Hand! – Ach aber sie ist feucht!
4513Wische sie ab! Wie mich däucht
4514Ist Blut dran.
4515Ach Gott! was hast du gethan!
4516Stecke den Degen ein,
4517Ich bitte dich drum!
∞Margarete
4520Nein, du mußt übrig bleiben!
4521Ich will dir die Gräber beschreiben,
4522Für die mußt du sorgen
4523Gleich morgen;
4524Der Mutter den besten Platz geben,
4525Meinen Bruder sogleich darneben,
4526Mich ein wenig bey Seit’,
4527Nur nicht gar zu weit!
4528Und das Kleine mir an die rechte Brust.
4529Niemand wird sonst bey mir liegen! –
4530Mich an deine Seite zu schmiegen
4531Das war ein süßes, ein holdes Glück!
4532Aber es will mir nicht mehr gelingen,
4533Mir ist’s als müßt’ ich mich zu dir zwingen,
4534Als stießest du mich von dir zurück.
4535Und doch bist du’s und blickst so gut, so fromm.
∞Margarete
4538Ist das Grab drauß’,
4539Lauert der Tod; so komm!
4540Von hier in’s ewige Ruhebett
4541Und weiter keinen Schritt –
4542Du gehst nun fort? O Heinrich könnt’ ich mit!
∞Margarete
4544Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
4545Was hilft es fliehn? sie lauern doch mir auf.
4546Es ist so elend betteln zu müssen,
4547Und noch dazu mit bösem Gewissen!
4548Es ist so elend in der Fremde schweifen
4549Und sie werden mich doch ergreifen!
∞Margarete
4551Geschwind! Geschwind!
4552Rette dein armes Kind.
4553Fort! immer den Weg
4554Am Bach hinauf,
4555Über den Steg,
4556In den Wald hinein,
4557Links wo die Planke steht,
4558Im Teich.
4559Faß es nur gleich!
4560Es will sich heben,
4561Es zappelt noch,
4562Rette! rette!
∞Margarete
4565Wären wir nur den Berg vorbey!
4566Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
4567Es faßt mich kalt beym Schopfe!
4569Und wackelt mit dem Kopfe;
4570Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr
schwer,
4571Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
4572Sie schlief damit wir uns freuten.
4573Es waren glückliche Zeiten!
∞Margarete
4580Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein!
4581Mein Hochzeittag sollt’ es seyn!
4582Sag Niemand daß du schon bey Gretchen warst.
4583Weh meinem Kranze!
4584Es ist eben geschehn!
4585Wir werden uns wiedersehn;
4586Aber nicht beym Tanze.
4587Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
4588Der Platz, die Gassen
4589Können sie nicht fassen.
4590Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
4591Wie sie mich binden und packen!
4592Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
4593Schon zuckt nach jedem Nacken
4594Die Schärfe die nach meinem zückt.
4595Stumm liegt die Welt wie das Grab!
∞Mephistopheles
∞erscheint
draußen
4597Auf! oder ihr seyd verloren.
4598Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
4599Meine Pferde schaudern,
4600Der Morgen dämmert auf.
∞Margarete
4601Was steigt aus dem Boden herauf?
4602Der! der! Schicke ihn fort!
4603Was will der an dem heiligen Ort?
4604Er will mich!
∞
∞Der Tragödie zweiter Theil in fünf Actenvor 4613 Der ] 2 H davor Faust. 2 H (VII)vor 4613 Acten ] 2 H danach (1831.) erg Ec 2 H (VI)
∞
∞
Erster Act
∞
∞Anmuthige Gegend
∞Faust auf blumigen Rasen
gebettet, ermüdet, unruhig, schlafsuchend
∞Dämmerung
∞Geister-Kreis schwebend bewegt, anmuthige kleine Gestalten
∞Ariel
∞Gesang von Äolsharfen
begleitet
4613Wenn der Blüten Frühlings-Regen
4614Über Alle schwebend sinkt,
4615Wenn der Felder grüner Segen
4616Allen Erdgebornen blinkt,
4617Kleiner Elfen Geistergröße
4618Eilet wo sie helfen kann,
4619Ob er heilig? ob er böse?
4620Jammert sie der Unglücksmann.
4621Die ihr dies Haupt umschwebt im luft’gen Kreise,
4622Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise,
4623Besänftiget des Herzens grimmen Strauß,
4624Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile,
4626Vier sind die Pausen nächtiger Weile,
4627Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus.
4628Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder,
4629Dann badet ihn im Thau aus Lethe’s Fluth,
4630Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder,
4631Wenn er gestärkt dem Tag entgegen ruht;
4632Vollbringt der Elfen schönste Pflicht,
4633Gebt ihn zurück dem heiligen Licht.
∞Chor
∞Einzeln, zu zweyen und vielen, abwechselnd und gesammtvor 4634 gesammt ] 2 H gesammelt 2 I H.0a
(II aa)
4634Wenn sich lau die Lüfte füllen
4635Um den grünumschränkten Plan,
4636Süße Düfte, Nebelhüllen
4637Senkt die Dämmerung heran.
4638Lispelt leise süßen Frieden
4639Wiegt das Herz in Kindesruh;
4640Und den Augen dieses Müden
4641Schließt des Tages Pforte zu.
4642Nacht ist schon hereingesunken
4643Schließt sich heilig Stern an Stern,
4644Große Lichter, kleine Funken,
4645Glitzern nah und glänzen fern;
4646Glitzern hier im See sich spiegelnd
4647Glänzen droben klarer Nacht,
4648Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
4649Herrscht des Mondes volle Pracht.
∞Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der
Sonne.
∞Ariel
4666Horchet! horcht! dem Sturm der Horen,
4667Tönend wird für Geistes-Ohren
4668Schon der neue Tag geboren.
4669Felsenthore knarren rasselnd,
4670Phöbus Räder rollen prasselnd,
4671Welch Getöse bringt das Licht!
4672Es trommetet, es posaunet,
4673Auge blinzt und Ohr erstaunet,
4674Unerhörtes hört sich nicht.
4675Schlüpfet zu den Blumenkronen,
4676Tiefer tiefer, still zu wohnen,
4677In die Felsen unters Laub;
4678Trifft es euch so seyd ihr taub.
∞Faust
4681Du Erde warst auch diese Nacht beständig
4682Und athmest neu erquickt zu meinen Füßen,
4683Beginnest schon mit Lust mich zu umgeben,
4684Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,
4685Zum höchsten Daseyn immerfort zu streben. –
4686In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,
4687Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben4687 tausendstimmigem ] 2 H tausendstimmigen 2 I H.0a
(II aa)
4688Thal aus, Thal ein ist Nebelstreif ergossen,
4689Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,
4690Und Zweig und Äste, frisch erquickt,
entsprossen
4691Dem duft’gen Abgrund wo versenkt sie schliefen;
4692Auch Farb’ an Farbe klärt sich los vom Grunde,
4693Wo Blum’ und Blatt von Zitterperle triefen,
4694Ein Paradies wird um mich her die Runde.
4695Hinaufgeschaut! – Der Berge Gipfelriesen
4696Verkünden schon die feyerlichste Stunde,
4697Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen
4698Das später sich zu uns hernieder wendet.
4699Jetzt zu der Alpe grüngesenkten Wiesen
4700Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet,
4701Und stufenweis herab ist es gelungen; –
4702Sie tritt hervor! – und, leider schon geblendet,
4703Kehr’ ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.
4704So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen
4705Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen,
4706Erfüllungspforten findet flügeloffen,
4707Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen
4708Ein Flammen-Übermaas, wir stehn
betroffen;
4709Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,
4711Ist’s Lieb? Ist’s Haß? die glühend uns umwinden,
4712Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer,
4713So daß wir wieder nach der Erde blicken,
4714Zu bergen uns in jugendlichstem Schleyer.
4715So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!
4716Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,
4717Ihn schau’ ich an mit wachsendem Entzücken.
4718Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend
4719Dann aber tausend Strömen sich ergießend,
4720Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.
4721Allein wie herrlich diesem Sturm entsprießend,4721 entsprießend ] 2 H ersprießend 2 I H.0a
(II aa)
4722Wölbt sich des bunten Bogens Wechsel-Dauer,
4723Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,
4724Umher verbreitend duftig kühle Schauer.
4725Der spiegelt ab das menschliche
Bestreben.
4726Ihm sinne nach und du begreifst genauer:
4727Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.
∞
∞Kaiserliche Pfalz
∞
∞Saal des Thrones
∞Staatsrath in Erwartung des Kaisers
∞Trompeten
∞Hofgesinde aller Art prächtig
gekleidet tritt vor
∞Der Kaiser gelangt auf
den Thron, zu seiner Rechten der Astrolog
∞Kaiser
4728Ich grüße die Getreuen, Lieben,
4729Versammelt aus der Näh’ und Weite; –
4730Den Weisen seh ich mir zur Seite,
4731Allein wo ist der Narr geblieben?
∞Junker
4732Gleich hinter deiner Mantel-Schleppe
4733Stürzt’ er zusammen auf der Treppe,
4734Man trug hinweg das Fett-Gewicht
4735Todt oder trunken? weis man nicht.
∞Zweyter Junker
4736Sogleich mit wunderbarer Schnelle
4737Drängt sich ein andrer an die Stelle.
4738Gar köstlich ist er aufgeputzt,
4739Doch frazzenhaft daß
jeder stutzt;
4740Die Wache hält ihm an der Schwelle
4741Kreuzweis die Hellebarden vor –
4742Da ist er doch der kühne Thor!
∞Mephistopheles
∞am Throne knieend
4743Was ist verwünscht und stets willkommen?
4744Was ist ersehnt und stets verjagt?
4745Was immerfort in Schutz genommen?
4746Was hart gescholten und verklagt?
4747Wen darfst du nicht herbeyberufen?
4748Wen höret jeder gern genannt?
4749Was naht sich deines Thrones Stufen?
4750Was hat sich selbst hinweggebannt?
∞Kaiser
4751Für diesmal spare deine Worte!
4752Hier sind die Räthsel nicht am Orte,
4753Das ist die Sache dieser Herrn. –
4754Da löse du! das hört ich gern:
4755Mein alter Narr ging, fürcht’ ich, weit in’s Weite;
4756Nimm seinen Platz und komm an meine Seite.
∞Mephistopheles
steigt hinauf und stellt sich zur Linken
∞Gemurmel der Menge
∞Kaiser
4761Und also ihr Getreuen,
Lieben,
4762Willkommen aus der Näh’ und Ferne
4763Ihr sammelt Euch mit günstigem Sterne
4764Da droben ist uns Glück und Heil geschrieben.
4765Doch sagt warum in diesen Tagen,
4766Wo wir der Sorgen uns entschlagen,
4767Schönbärte mummenschänzlich tragen
4768Und heitres nur genießen wollten,
4769Warum wir uns rathschlagend quälen sollten?
4770Doch weil ihr meynt es ging nicht anders an,
4771Geschehen ist’s, so sey’s gethan.
∞Canzler
4772Die höchste Tugend, wie ein Heiligen-Schein,
4773Umgiebt des Kaisers Haupt, nur er allein
4774Vermag sie gültig auszuüben:
4775Gerechtigkeit! – Was alle Menschen lieben,
4776Was alle fordern, wünschen, schwer entbehren,
4777Es liegt an ihm dem Volk es zu gewähren.
4778Doch ach! Was hilft dem Menschengeist Verstand,
4779Dem Herzen Güte, Willigkeit der Hand,
4780Wenns fieberhaft durchaus im Staate wüthet,
4781Und Übel sich in Übeln
überbrütet.
4782Wer schaut hinab von diesem hohen Raum
4783Ins weite Reich, ihm scheint’s ein schwerer
Traum;
4784Wo Mißgestalt in Mißgestalten schaltet,
4785Das Ungesetz gesetzlich überwaltet,
4786Und eine Welt des Irrthums sich entfaltet.
4787Der raubt sich Heerden, der ein Weib,
4788Kelch, Kreuz und Leuchter vom Altare,
4789Berühmt sich dessen manche Jahre
4790Mit heiler Haut, mit unverletztem Leib.
4791Jetzt drängen Kläger sich zur Halle,
4792Der Richter prunkt auf hohem Pfühl,
4793Indessen wogt, in grimmigem Schwalle,
4794Des Aufruhrs wachsendes Gewühl.
4795Der darf auf Schand und Frevel pochen
4796Der auf Mitschuldigste sich stützt,
4797Und: Schuldig! hörst du
ausgesprochen
4798Wo Unschuld nur sich selber schützt.
4799So will sich alle Welt zerstückeln,
4800Vernichtigen was sich gebührt;
4801Wie soll sich da der Sinn entwickeln
4802Der einzig uns zum Rechten führt?
4803Zuletzt ein wohlgesinnter Mann
4804Neigt sich dem Schmeichler, dem Bestecher,
4805Ein Richter der nicht strafen kann
4806Gesellt sich endlich zum Verbrecher.
4807Ich malte schwarz, doch dichtern Flor
4808Zög’ ich dem Bilde lieber vor.
∞Pause
∞Heermeister
4812Wie tobt’s in diesen wilden Tagen
4813Ein jeder schlägt und wird erschlagen
4814Und fürs Commando bleibt man taub.
4815Der Bürger hinter seinen Mauern
4816Der Ritter auf dem Felsennest
4817Verschwuren sich uns auszudauern
4818Und halten ihre Kräfte fest.
4819Der Miethsoldat wird
ungeduldig,
4820Mit Ungestüm verlangt er seinen Lohn,
4821Und wären wir ihm nichts mehr schuldig
4822Er liefe ganz und gar davon.
4823Verbiete wer was alle wollten,
4824Der hat ins Wespennest gestört;
4825Das Reich das sie beschützen sollten,
4826Es liegt geplündert und verheert.
4827Man läßt ihr Toben wüthend hausen,
4828Schon ist die halbe Welt verthan;
4829Es sind noch Könige da draußen
4830Doch keiner denkt es ging ihn irgend an.
∞Schatzmeister
4831Wer wird auf Bundsgenossen pochen!
4832Subsidien die man uns versprochen,
4833Wie Röhrenwasser, bleiben aus.
4834Auch Herr, in deinen weiten Staaten
4835An wen ist der Besitz gerathen?
4836Wohin man kommt, da
hält ein Neuer Haus
4837Und unabhängig will er leben,
4838Zusehen muß man wie er’s treibt;
4839Wir haben soviel Rechte hingegeben,
4840Daß uns auf nichts ein Recht mehr übrig bleibt.
4841Auch auf Partheyen, wie sie heißen,
4842Ist heut zu Tage kein Verlaß;
4843Sie mögen schelten oder preisen,
4844Gleichgültig wurden Lieb und Haß.
4845Die Ghibellinen wie die Guelfen
4846Verbergen sich um auszuruhn;
4847Wer jetzt will seinem Nachbar helfen?
4848Ein jeder hat für sich zu thun.
4850Ein jeder krazt und scharrt und sammelt
4851Und unsre Cassen bleiben leer.
∞Marschalk
4852Welch Unheil muß auch ich erfahren;
4853Wir wollen alle Tage sparen
4854Und brauchen alle Tage mehr.
4855Und täglich wächst mir neue Pein.
4856Den Köchen thut kein Mangel wehe;
4857Wildschweine, Hirsche, Hasen, Rehe,
4858Welschhüner, Hühner, Gäns’ und Enten,
4859Die Deputate, sichre Renten,
4860Sie gehen noch so ziemlich ein.
4861Jedoch am Ende fehlt’s an Wein.
4862Wenn sonst im Keller Faß an Faß sich häufte,
4863Der besten Berg- und Jahresläufte,
4864So schlürft unendliches Gesäufte
4865Der edlen Herrn den letzten Tropfen aus.
4866Der Stadtrath muß sein Lager auch verzapfen,
4867Man greift zu Humpen, greift zu Napfen,
4868Und unterm Tische liegt der Schmaus.
4869Nun soll ich zahlen, alle lohnen;
4870Der Jude wird mich nicht verschonen
4871Der schafft Anticipationen,
4872Die speisen Jahr um Jahr voraus.
4873Die Schweine kommen nicht zu Fette,
4874Verpfändet ist der Pfühl im Bette,
4875Und auf den Tisch kommt vorgegessen Brot.
∞Kaiser
∞nach einigem Nachdenken zu
Mephistopheles
4876Sag, weist du Narr nicht auch noch eine Noth?
∞Mephistopheles
4878Dich und die deinen! – Mangelte Vertrauen,
4879Wo Majestät unweigerlich gebeut?
4880Bereite Macht Feindseliges zerstreut,
4881Wo guter Wille, kräftig durch Verstand
4882Und Thätigkeit, vielfältige, zur Hand?
4883Was könnte da zum Unheil sich vereinen,
4884Zur Finsterniß wo solche Sterne scheinen?
∞Gemurmel
∞Mephistopheles
4889Wo fehlts nicht irgendwo auf dieser Welt?
4890Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.
4891Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;
4892Doch Weisheit weis das Tiefste herzuschaffen.
4893In Bergesadern, Mauergründen
4894Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden,
4895Und fragt ihr mich wer es zu Tage schafft:
4896Begabten Mann’s Natur- und Geisteskraft.
∞Canzler
4897Natur und Geist – so spricht man
nicht zu Christen.
4898Deshalb verbrennt man Atheisten,
4899Weil solche Reden höchst gefährlich sind.
4900Natur ist Sünde, Geist ist Teufel,
4901Sie hegen zwischen sich den Zweifel
4902Ihr mißgestaltet Zwitterkind.
4903Uns nicht so! – Kaisers alten Landen
4904Sind zwey Geschlechter nur entstanden,
4905Sie stützen würdig seinen Thron:
4906Die Heiligen sind es und die Ritter;
4907Sie stehen jedem Ungewitter
4908Und nehmen Kirch’ und Staat zum Lohn.
4909Dem Pöbelsinn verworrener Geister
4910Entwickelt sich ein Widerstand,
4911Die Ketzer sind’s! die Hexenmeister!
4912Und sie verderben Stadt und
Land.
4913Die willst du nun mit frechen Scherzen
4914In diese hohen Kreise schwärzen,
4915Ihr hegt euch an verderbtem Herzen,
4916Dem Narren sind sie nah verwandt.
∞Mephistopheles
4917Daran erkenn’ ich den gelehrten Herrn!
4918Was ihr nicht tastet steht euch meilenfern,
4919Was ihr nicht faßt das fehlt euch ganz und gar,
4920Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr sey nicht wahr,
4921Was ihr nicht wägt hat für euch kein Gewicht,
4922Was ihr nicht münzt das meynt ihr gelte nicht.
∞Kaiser
4923Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,
4924Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt.
4925Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;
4926Es fehlt an Geld, nun gut so schaff’ es denn.
∞Mephistopheles
4927Ich schaffe was ihr wollt und schaffe mehr;
4928Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer;
4929Es liegt schon da, doch um es zu erlangen
4930Das ist die Kunst, wer weis es anzufangen?
4931Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften
4932Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften,
4933Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,
4934Sein Liebstes da-
und dort wohin versteckte.
4935So war’s von je in mächtiger Römer Zeit,
4936Und so fortan, bis gestern, ja bis heut.
4937Das alles liegt im Boden still begraben,
4938Der Boden ist des Kaisers, der soll’s haben.
∞Schatzmeister
4939Für einen Narren spricht er gar nicht schlecht,
4940Das ist fürwahr des alten Kaisers Recht.
∞Canzler
4941Der Satan legt euch goldgewirkte Schlingen:
4942Es geht nicht zu mit frommen rechten Dingen.
∞Marschalk
4943Schafft’ er uns nur zu Hof willkommne Gaben,
4944Ich wollte gern ein Bischen Unrecht haben.
∞Heermeister
4945Der Narr ist klug, verspricht was jedem frommt;
4946Fragt der Soldat doch nicht woher es kommt.
∞Mephistopheles
4947Und glaubt ihr euch vielleicht durch mich betrogen;
4948Hier steht ein Mann! da! fragt den Astrologen,
4949In Kreis’ um Kreise kennt er Stund und Haus,
∞Gemurmel
∞Astrolog
∞spricht,
Mephistopheles bläst ein.
4955Die Sonne selbst sie ist ein lautres Gold,
4956Merkur der Bote dient um Gunst und Sold,
4957Frau Venus hat’s euch allen angethan,
4958So früh als spat blickt sie euch lieblich an;
4959Die keusche Luna launet grillenhaft,
4960Mars trifft er nicht, so dräut euch seine Kraft.
4961Und Jupiter bleibt doch der schönste Schein,
4962Saturn ist groß, dem Auge fern und klein.
4963Ihn als Metall verehren wir nicht sehr,
4964An Werth gering, doch im Gewichte schwer.
4965Ja! wenn zu Sol sich Luna fein gesellt,
4966Zum Silber Gold, dann ist es heitre Welt,
4967Das Übrige ist alles zu erlangen,
4968Palläste, Gärten, Brüstlein, rothe Wangen,
4969Das alles schafft der hochgelahrte Mann
4970Der das vermag was unser keiner kann.
∞Gemurmel
∞Mephistopheles
4977Da stehen sie umher und staunen,
4978Vertrauen nicht dem hohen Fund,
4979Der eine faselt von Alraunen
4980Der andre von dem schwarzen Hund.
4981Was soll es daß der eine witzelt,
4982Ein andrer Zauberey verklagt,
4983Wenn ihm doch auch einmal die Sohle kitzelt
4984Wenn ihm der sichre Schritt versagt.
4985Ihr alle fühlt geheimes Wirken
4986Der ewig waltenden Natur,
4987Und aus den untersten Bezirken
4988Schmiegt sich herauf lebendge Spur.
4989Wem es in allen Gliedern zwackt,4989–4990 Wem bis Wem ] 2 H
Wenn bis Wenn : Wem bis Wem durch Rasur 2 H
Wenn bis Wenn 2 I H.0a
(II aa)
4990Wem es unheimlich wird am Platz,
4991Nur gleich entschlossen grabt und hackt,
4992Da liegt der Spielmann, liegt der Schatz!
∞Gemurmel
∞Kaiser
4999Nur eilig! du entschlüpfst nicht wieder,
5000Erprobe deine Lügenschäume,
5001Und zeig’ uns gleich die edlen Räume.
5002Ich lege Schwerdt und Scepter nieder,
5003Und will mit eignen hohen Händen,
5004Wenn du nicht lügst, das Werk vollenden,
5005Dich, wenn du lügst, zur Hölle senden!
∞Mephistopheles
5006Den Weg dahin wüßt’ allenfalls zu finden. –
5007Doch kann ich nicht genug verkünden
5008Was überall besitzlos harrend liegt.
5009Der Bauer der die Furche pflügt
5010Hebt einen Goldtopf mit der Scholle,
5011Salpeter hofft er von der Leimenwand
5012Und findet golden-goldne Rolle,
5013Erschreckt, erfreut in kümmerlicher Hand.
5014Was für Gewölbe sind zu sprengen,
5015In welchen Klüften, welchen Gängen
5016Muß sich der Schatzbewußte drängen,
5017Zur Nachbarschaft der Unterwelt!
5019Von goldnen Humpen, Schüsseln, Tellern,
5020Sieht er sich Reihen aufgestellt.
5021Pokale stehen aus Rubinen
5022Und will er deren sich bedienen
5023Daneben liegt uraltes Naß.
5024Doch – werdet ihr dem Kundigen glauben –
5025Verfault ist längst das Holz der Dauben5025 Dauben ] Tauben 2 H 2 I H.0a
Dauben C.1 12 C.3 12
(I a)
5026Der Weinstein schuf dem Wein ein Faß.
5027Essenzen solcher edlen Weine,
5028Gold und Juwelen nicht alleine
5029Umhüllen sich mit Nacht und Graus.
5030Der Weise forscht hier unverdrossen;
5031Am Tag’ erkennen das sind Possen,
5032Im Finstern sind Mysterien zu Haus.
∞Kaiser
5033Die laß ich dir! Was will das Düstre frommen?
5034Hat etwas Werth, es muß zu Tage kommen.
5035Wer kennt den Schelm in tiefer Nacht genau?
5036Schwarz sind die Kühe, so die Katzen grau.
5037Die Töpfe drunten, voll von Goldgewicht;
5038Zieh’ deinen Pflug, und ackre sie ans Licht.
∞Mephistopheles
5039Nimm Hack’ und Spaten grabe selber,
5040Die Bauernarbeit macht dich groß,
5041Und eine Heerde goldner Kälber
5042Sie reißen sich vom Boden los.
5043Dann ohne Zaudern, mit Entzücken,
5044Kannst du dich selbst, wirst die Geliebte schmücken;
5045Ein leuchtend Farb- und Glanzgestein erhöht
5046Die Schönheit wie die Majestät.
∞Astrolog
∞wie oben
5048Herr mäßige solch dringendes Begehren,
5049Laß erst vorbey das bunte Freudenspiel;
5050Zerstreutes Wesen führt uns nicht zum Ziel.
5051Erst müssen wir in
Fassung uns versühnen,
5052Das Untre durch das Obere verdienen.
5053Wer Gutes will der sey erst gut;
5054Wer Freude will besänftige sein Blut;
5055Wer Wein verlangt der keltre reife Trauben,
5056Wer Wunder hofft der stärke seinen Glauben.
∞Kaiser
5057So sey die Zeit in Fröhlichkeit verthan!
5058Und ganz erwünscht kommt Aschermittwoch an.
5059Indessen feyern wir, auf jeden Fall,
5060Nur lustiger das wilde Carneval.
∞Trompeten, Exeunt
∞
∞Weitläufiger Saal, mit Nebengemächern, verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz
∞Herold
5065Denkt nicht ihr seyd in deutschen Gränzen
5066Von Teufels-, Narren- und Todtentänzen,
5067Ein heitres Fest erwartet euch.
5068Der Herr, auf seinen Römerzügen
5069Hat, sich zu Nutz, euch zum Vergnügen,
5070Die hohen Alpen überstiegen,
5071Gewonnen sich ein heitres Reich.
5072Der Kaiser, er, an heiligen Solen,
5073Erbat sich erst das Recht zur Macht,
5074Und als er ging die Krone sich zu holen,
5075Hat er uns auch die Kappe mitgebracht.
5076Nun sind wir alle neugeboren;
5077Ein jeder weltgewandte Mann
5078Zieht sie behaglich über Kopf und Ohren;
5079Sie ähnlet ihn verrückten Thoren,
5080Er ist darunter weise wie er kann.
5081Ich sehe schon wie sie sich schaaren,
5082Sich schwankend sondern, traulich paaren;
5083Zudringlich schließt sich Chor an Chor.
5084Herein, hinaus, nur unverdrossen;
5085Es bleibt doch endlich nach wie vor,
5086Mit ihren hunderttausend Possen,
5087Die Welt ein einziger großer Thor.
∞Gärtnerinnen
∞Gesang begleitet von
Mandolinen
5088Euren Beyfall zu gewinnen
5089Schmückten wir uns diese Nacht,
5090Junge Florentinerinnen
5091Folgten deutschen Hofes Pracht;
5092Tragen wir in braunen Locken
5093Mancher heiteren Blume Zier,
5094Seidenfäden, Seidenflocken
5095Spielen ihre Rolle hier.
5096Denn wir halten es verdienstlich,
5097Lobenswürdig ganz und gar,
5098Unsere Blumen, glänzend künstlich,
5099Blühen fort das ganze Jahr.
∞Herold
∞Gärtnerinnen
∞Olivenzweig mit Früchten
∞Phantasiekranz
∞Phantasie-Straus
∞Ausforderung
∞Rosenknospen
5152Wenn der Sommer sich verkündet5152–5153 verkündet bis entzündet ] 2 I H.0a entzündet bis verkündet 2 H
entzündet bis entzündet : verkündet bis entzündet vorschl Ri bill G 2 I H.0a
(II d*)
5153Rosenknospe sich entzündet,
5154Wer mag solches Glück entbehren?
5155Das Versprechen, das Gewähren.
5156Das beherrscht, in Florens Reich,
5157Blick und Sinn und Herz zugleich.
∞Unter grünen Laubgängen putzen die
Gärtnerinnen zierlich ihren Kram auf.
∞Gärtner
∞Gesang begleitet von
Theorben
5158Blumen sehet ruhig sprießen
5159Reizend euer Haupt umzieren,
5160Früchte wollen nicht verführen,
5161Kostend mag man sie genießen.
5162Bieten bräunliche Gesichter
5163Kirschen, Pfirschen, Königspflaumen,
5164Kauft! denn gegen Zung’ und Gaumen
5165Hält sich Auge schlecht als Richter.
5166Kommt von allerreifsten Früchten
5167Mit Geschmack und Lust zu speisen!
5168Über Rosen läßt sich dichten,
5169In die Äpfel muß man beißen.
∞Unter Wechselgesang, begleitet von Guitarren und
Theorben, fahren beyde Chöre fort ihre Waaren stufenweis in die Höhe
zu schmücken und auszubieten.
∞Mutter und Tochter
∞Mutter
5178Mädchen als du kamst ans Licht
5179Schmückt ich dich im Häubchen,
5180Warst so lieblich von Gesicht,
5181Und so zart am Leibchen.
5183Gleich dem Reichsten angetraut,
5184Dachte dich als Weibchen.
∞Gespielinnen jung und schön gesellen sich hinzu, ein
vertrauliches Geplauder wird laut.
∞
Fischer und Vogelsteller Mit Netzen, Angel und Leimruthen, auch sonstigem Geräthe treten auf, mischen sich
unter die schönen Kinder.
Wechselseitige Versuche zu gewinnen, zu fangen, zu entgehen und fest
zu halten geben zu den angenehmsten Dialogen Gelegenheit.
∞Holzhauer
∞treten ein ungestüm und
ungeschlacht
∞Pulcinelle
∞täppisch fast
läppisch
5215Ihr seyd die Thoren
5216Gebückt geboren.
5217Wir sind die Klugen
5218Die nie was trugen;
5219Denn unsre Kappen
5220Jacken und Lappen
5221Sind leicht zu tragen.
5222Und mit Behagen
5223Wir immer müßig
5224Pantoffelfüßig,
5225Durch Markt und Haufen
5226Einher zu laufen.
5227Gaffend zu stehen,
5228Uns anzukrähen;
5229Auf solche Klänge
5230Durch Drang und Menge
5231Aalgleich zu schlüpfen,
5232Gesammt zu hüpfen,
5233Vereint zu toben.
5234Ihr mögt uns loben,
5235Ihr mögt uns schelten
5236Wir lassens gelten.
∞Parasiten
∞schmeichelnd-lüstern
5237Ihr wackern Träger
5238Und eure Schwäger,
5239Die Kohlenbrenner,
5240Sind unsre Männer.
5241Denn alles Bücken,
5242Bejah’ndes Nicken,
5243Gewundne Phrasen,
5244Das Doppelblasen,
5245Das wärmt und kühlet
5246Wie’s einer fühlet,
5247Was könnt es frommen?
5248Es möchte Feuer
5249Selbst ungeheuer
5250Vom Himmel kommen,
5251Gäb’ es nicht Scheite
5252Und Kohlentrachten
5253Die Heerdesbreite
5254Zur Glut entfachten.
5255Da brät’s und prudelt’s,
5256Da kocht’s und strudelt’s.
5257Der wahre Schmecker,
5258Der Tellerlecker,
5259Er riecht den Braten,
5260Er ahnet Fische;
5261Das regt zu Thaten
5262An Gönners Tische.
∞Trunkner
∞unbewußt
5263Sey mir heute nichts zuwider!
5264Fühle mich so frank und frey;
5265Frische Lust und heitre Lieder5265 Lust ] 2 I H.15b Luft : Lust
G
2 I H.15b
Luft 2 H
2 I H.0a
C1 41
C3 41
Lust zS 2 H
Q
(II b, VI)
5266Holt’ ich selbst
sie doch herbey.
5267Und so trink’
ich! trinke, trinke.
5268Stoßet an ihr! Tinke, Tinke!
5269Du dorthinten komm heran!
5270Stoßet an, so ists gethan.
5271Schrie mein Weibchen doch entrüstet,
5272Rümpfte diesem bunten Rock,
5273Und, wie sehr ich mich gebrüstet,
5274Schalt mich einen Maskenstock.
5275Doch ich trinke! Trinke, Trinke!
5276Angeklungen! Tinke, Tinke!
5277Maskenstöcke stoßet an!
5278Wenn es klingt so ists gethan.
5279Saget nicht daß ich verirrt bin,
5280Bin ich doch wo mir’s behagt.
5281Borgt der Wirth nicht, borgt die Wirthin,
5282Und am Ende kneipt die Magd.5282 kneipt ] 2 I H.0a kneipt 2 I H.15b 2 H 2 I H.0a
borgt Ec 2 H
(VI)
5283Immer trink’
ich! Trinke, Trinke!
5284Auf ihr Andern! Tinke, Tinke!
5285Jeder jedem! so fortan!
5286Dünkt mich’s doch es sey gethan.
∞Chor
∞Der Herold Kündigt verschiedene Poeten an. Naturdichter, Hof- und Rittersänger, zärtliche so
wie Enthusiasten. Im Gedräng von Mitwerbern aller Art, läßt keiner den Andern zum
Vortrag kommen. Einer schleicht mit wenigen Worten vorbey.vor 5295 vorbey ] 2 H vorüber 2 I H.0a
(II aa)
∞Satyriker
∞Die Nacht- und Grabdichter lassen sich
entschuldigen, weil sie so eben im interessantesten Gespräch mit
einem frischerstandenen Vampyren begriffen seyen; woraus eine neue Dichtart sich
vielleicht entwickeln könnte; der Herold muß es gelten lassen und
ruft indessen die griechische Mythologie hervor, die, selbst in
moderner Maske, weder Charakter noch Gefälliges verliert.
∞Die Grazien
∞Die
Parzen
∞Atropos
5305Mich die älteste zum Spinnen
5306Hat man diesmal eingeladen;
5307Viel zu denken, viel zu sinnen
5308Giebts beym zarten Lebensfaden.
∞Klotho
5317Wißt in diesen letzten Tagen
5318Ward die Scheere mir vertraut;
5319Denn man war von dem Betragen
5320Unsrer Alten nicht erbaut.
5321Zerrt unnützeste Gespinnste
5322Lange sie an Licht und Luft,
5323Hoffnung herrlichster Gewinnste
5324Schleppt sie schneidend zu der Gruft.
∞Lachesis
5333Mir, die ich allein verständig,
5334Blieb das Ordnen zugetheilt;
5335Meine Weife, stets lebendig,
5336Hat noch nie sich übereilt.
∞Herold
5345Die jetzo kommen werdet ihr nicht kennen,
5346Wärt ihr noch so gelehrt in alten Schriften;
5347Sie anzusehn die so viel Übel
stiften
5348Ihr würdet sie willkommne Gäste nennen.
5357Was hilft es euch, ihr werdet uns vertrauen,
5358Denn wir sind hübsch und jung und
Schmeichelkätzchen,
5359Hat einer unter euch ein Liebe-Schätzchen;
∞Megära
5369Das ist nur Spaß! denn, sind sie erst verbunden,
5370Ich nehm’ es
auf, und weis in allen Fällen,
5371Das schönste Glück durch Grille zu
vergällen;
5372Der Mensch ist ungleich, ungleich sind die
Stunden.
∞Tisiphone
5381Gift und Dolch statt böser Zungen
5382Misch’ ich
schärf’ ich dem
Verräther;
5383Liebst du andre, früher, später
5384Hat Verderben dich durchdrungen.
∞Herold
5393Belieb’ es euch zur
Seite wegzuweichen,
5394Denn was jetzt kommt ist nicht von eures Gleichen.
5395Ihr seht wie sich ein Berg herangedrängt,
5396Mit bunten Teppichen die Weichen stolz behängt,
5397Ein Haupt mit langen Zähnen, Schlangenrüssel,
5398Geheimnißvoll, doch zeig’ ich euch den Schlüssel.
5399Im Nacken sitzt ihm zierlich-zarte Frau,
5400Mit feinem Stäbchen lenkt sie ihn genau,
5401Die andre droben stehend herrlich-hehr,
5402Umgiebt ein Glanz der blendet mich zu sehr.
5403Zur Seite gehn gekettet edle Frauen,
5404Die eine bang, die andre froh zu schauen,
5405Die eine wünscht, die andre fühlt sich frey,
5406Verkünde jede wer sie sey.
∞Furcht
5407Dunstige Fackeln, Lampen, Lichter,
5408Dämmern durchs verworrne Fest,
5409Zwischen diese Truggesichter
5410Bannt mich ach die Kette fest.
5411Fort, ihr lächerlichen Lacher!
5412Euer Grinsen giebt Verdacht;
5413Alle meine Widersacher
5414Drängen mich in dieser Nacht.
∞Hoffnung
5423Seyd gegrüßt ihr lieben Schwestern,
5424Habt ihr euch schon heut und gestern
5425In Vermumungen gefallen,
5426Weis ich doch gewiß von allen
5427Morgen wollt ihr euch enthüllen.
5428Und wenn wir bey Fackelscheine
5429Uns nicht sonderlich behagen,
5430Werden wir in heitern Tagen,
5431Ganz nach unserm eignen Willen,
5432Bald gesellig, bald alleine
5433Frey durch schöne Fluren wandeln,
5434Nach Belieben ruhn und handeln
5435Und in sorgenfreyem Leben,
5436Nie entbehren, stets erstreben;
5437Überall willkommne Gäste
5438Treten wir getrost hinein:
5439Sicherlich es muß das Beste
5440Irgendwo zu finden seyn.
∞Klugheit
5442Furcht und Hoffnung angekettet,
5443Halt’ ich ab von
der Gemeinde;
5444Platz gemacht! ihr seyd gerettet.
5445Den lebendigen Colossen
5446Führ’ ich, seht
ihr, thurmbeladen
5447Und er wandelt unverdrossen
5448Schritt vor Schritt auf steilen Pfaden.
∞Zoilo-Thersites
5457Hu! Hu! da komm’ ich
eben recht,
5458Ich schelt’ euch allzusammen schlecht!
5459Doch was ich mir zum Ziel ersah
5460Ist oben Frau Victoria,
5461Mit ihrem weißen Flügelpaar,
5462Sie dünkt sich wohl sie sey ein Aar.
5463Und wo sie sich nur hingewandt
5464Gehör’ ihr alles
Volk und Land;
5465Doch, wo was Rühmliches gelingt
5466Es mich sogleich in Harnisch bringt.
5467Das Tiefe hoch, das
Hohe tief,
5468Das Schiefe grad, das Grade schief,
5469Das ganz allein macht mich gesund
5470So will ich’s auf
dem Erdenrund.
∞Herold
5471So treffe dich, du Lumpenhund,
5472Des frommen Stabes Meisterstreich,
5473Da krümm’ und winde
dich sogleich! –
5474Wie sich die Doppelzwerggestalt
5475So schnell zum eklen Klumpen ballt! –
5476– Doch Wunder! – Klumpen wird zum Ey,
5477Das bläht sich auf und platzt entzwey.
5478Nun fällt ein Zwillingspaar heraus,
5479Die Otter und die Fledermaus;
5480Die eine fort im Staube kriecht,
5481Die andre schwarz zur Decke fliegt.
5482Sie eilen draußen
zum Verein,
5483Da möcht’ ich nicht
der Dritte seyn.
∞Gemurmel
∞Herold
5494Seit mir sind bey Maskeraden
5495Heroldspflichten aufgeladen,
5496Wach’ ich ernstlich
an der Pforte,
5497Daß euch hier am lustigen Orte
5498Nichts Verderbliches erschleiche,
5499Weder wanke, weder weiche.
5500Doch ich fürchte durch die Fenster
5501Ziehen luftige Gespenster,
5502Und von Spuk und Zaubereyen
5503Wüßt’ ich euch nicht
zu befreyen.
5504Machte sich der Zwerg verdächtig,
5505Nun! dort hinten strömt es mächtig.
5506Die Bedeutung der Gestalten
5507Möcht’ ich amtsgemäß
entfalten.
5508Aber was nicht zu begreifen
5509Wüßt’ ich auch nicht
zu erklären,
5510Helfet alle mich belehren! –
5511Seht ihr’s durch die Menge schweifen? –
5512Vierbespannt ein prächtiger Wagen
5513Wird durch alles durchgetragen;
5514Doch er theilet nicht die Menge,
5515Nirgend seh’ ich ein
Gedränge.
5516Farbig glitzert’s in
der Ferne,
5517Irrend leuchten bunte Sterne,
5518Wie von magischer Laterne.
5520Platz gemacht! Mich schaudert’s!
∞Knabe
∞Wagenlenker
5520Halt!
5521Rosse hemmet eure Flügel,
5522Fühlet den gewohnten Zügel,
5523Meistert euch wie ich euch meistre,
5524Rauschet hin wenn ich begeistre –
5525Diese Räume laßt uns ehren,
5526Schaut umher wie sie sich mehren
5527Die Bewundrer, Kreis
um Kreise.
5528Herold auf! nach deiner Weise,
5529Ehe wir von euch entfliehen,
5530Uns zu schildern uns zu nennen;
5531Denn wir sind Allegorien
5532Und so solltest du uns kennen.
∞Herold
5535Man muß gestehn:
5536Erstlich bist du jung und schön.
5537Halbwüchsiger Knabe bist du; doch die Frauen
5538Sie möchten dich ganz ausgewachsen schauen.
5539Du scheinest mir ein künftiger Sponsirer
5540Recht so von Haus aus ein Verführer.
∞Herold
5543Der Augen schwarzer Blitz, die Nacht der Locken
5544Erheitert von juwelnem Band!
5545Und welch ein zierliches Gewand
5546Fließt dir von Schultern zu den Socken,
5547Mit Purpursaum und Glitzertand!
5548Man könnte dich ein Mädchen schelten,
5549Doch würdest du, zu Wohl und Weh,
5550Auch jetzo schon bey Mädchen gelten,
5551Sie lehrten dich das A. B. C.
∞Herold
5554Er scheint ein König reich und milde,
5555Wohl dem der seine Gunst erlangt!
5556Er hat nichts weiter zu erstreben,
5557Wo’s irgend fehlte späht sein Blick,
5558Und seine reine Lust zu geben
5559Ist größer als Besitz und Glück.
∞Herold
5562Das Würdige beschreibt sich nicht.
5563Doch das gesunde Mondgesicht,
5564Ein voller Mund, erblühte Wangen,
5565Die unterm Schmuck des Turbans prangen.
5566Im Faltenkleid ein reich Behagen!
5567Was soll ich von dem Anstand sagen?
5568Als Herrscher scheint er mir bekannt.
∞Knabe Lencker
5569Plutus, des Reichthums Gott genannt,
5570Derselbe kommt in Prunk daher,
5571Der hohe Kaiser wünscht ihn sehr.
∞Knabe Lenker
5573Bin die Verschwendung, bin die Poesie;
5574Bin der Poet, der sich vollendet
5575Wenn er sein eigenst Gut verschwendet.
5576Auch ich bin unermeßlich reich
5577Und schätze mich dem Plutus gleich,
5578Beleb’ und
schmück’ ihm Tanz und
Schmaus,
5579Das was ihm fehlt das theil’ ich aus.
∞Knabe Lenker
5582Hier seht mich nur ein Schnippchen schlagen,
5583Schon glänzt’s und glitzert’s um den Wagen.
5584Da springt eine Perlenschnur hervor
∞immerfort umherschnippend
5585Nehmt goldne Spange für Hals und Ohr;
5586Auch Kamm und Krönchen ohne Fehl,
5587In Ringen köstlichstes Juwel;
5588Auch Flämmchen spend’ ich
dann und wann,
5589Erwartend wo es zünden kann.
∞Herold
5590Wie greift und hascht die liebe Menge!
5591Fast kommt der Geber ins Gedränge.
5593Und alles hascht im weiten Raum.
5594Doch da erleb’ ich neue
Pfiffe;
5595Was einer noch so emsig griffe
5596Deß hat er wirklich schlechten Lohn,
5597Die Gabe flattert ihm davon.
5598Es löst sich auf das Perlenband,
5599Ihm krabbeln Käfer in der Hand,
5600Er wirft sie weg der arme Tropf,
5601Und sie umsummen ihm den Kopf.
5602Die andern statt solider Dinge
5603Erhaschen frevle Schmetterlinge.
5604Wie doch der Schelm so viel verheißt,
5605Und nur verleiht was golden gleißt!
∞Knabe Lenker
5606Zwar Masken, merk’ ich,
weist du zu verkünden,
5607Allein der Schaale Wesen zu ergründen
5608Sind Herolds Hofgeschäfte nicht;
5609Das fordert schärferes Gesicht.
5610Doch hüt’ ich mich vor jeder
Fehde;
5611An dich, Gebieter, wend ich Frag und Rede.
∞zu Plutus gewendet
5612Hast du mir nicht die Windesbraut
5613Des Viergespannes anvertraut?
5614Lenk’ ich nicht glücklich
wie du leitest?
5615Bin ich nicht da wohin du deutest?
5616Und wußt’ ich nicht auf
kühnen Schwingen
5617Für dich die Palme zu erringen?
5618Wie oft ich auch für dich gefochten,
5619Mir ist es jederzeit geglückt:
5620Wenn Lorbeer deine Stirne schmückt,
5621Hab’ ich ihn nicht mit Sinn
und Hand geflochten?
∞Plutus
5622Wenn’s nöthig ist daß ich
dir Zeugniß leiste,
5623So sag’ ich gern: Bist Geist
von meinem Geiste.
5624Du handelst stets nach meinem Sinn,
5625Bist reicher als ich selber bin.
5626Ich schätze, deinen Dienst zu lohnen,
5627Den grünen Zweig vor allen meinen Kronen,
5628Ein wahres Wort verkünd’ ich
allen:
5629Mein lieber Sohn an dir hab’
ich Gefallen.
∞Knabe Lenker
∞zur Menge
5630Die größten Gaben meiner Hand
5631Seht! hab’ ich ringsumher
gesandt.
5632Auf dem und jenem Kopfe glüht
5633Ein Flämmchen das ich angesprüht,
5634Von einem zu dem andern hüpft’s,
5635An diesem hält sich’s, dem entschlüpft’s,
5636Gar selten aber flammt’s
empor,
5637Und leuchtet rasch in kurzem Flor;
5638Doch vielen, eh mans noch erkannt,
5639Verlischt es, traurig ausgebrannt.
∞Weiber Geklatsch
∞Der Abgemagerte
5646Vom Leibe mir ekles Weibsgeschlecht!
5647Ich weis dir komm ich niemals recht. –
5648Wie noch die Frau den Heerd versah,
5649Da hies ich Avaritia;
5650Da stand es gut um unser Haus:
5651Nur viel herein, und nichts hinaus!
5652Ich eiferte für Kist und Schrein;
5653Das sollte wohl gar ein Laster seyn.
5654Doch als in allerneusten Jahren
5655Das Weib nicht mehr gewohnt zu sparen,
5656Und, wie ein jeder böser Zahler,5656 böser ] 2 I H.0a böser 2 I H.24c 2 H C1 41 C3 41
böse zS 2 H Q
(VI)
5657Weit mehr Begierden hat als Thaler,
5658Da bleibt dem Manne viel zu dulden,
5659Wo er nur hinsieht da sind Schulden.
5660Sie wendet’s, kann sie was
erspulen,
5661An ihren Leib, an ihren
Buhlen;
5662Auch speist sie besser, trinkt noch mehr
5663Mit der Sponsirer leidigem Heer;
5664Das steigert mir des Goldes Reiz:
5665Bin männlichen Geschlechts, der Geiz!
∞Hauptweib
5666Mit Drachen mag der Drache geitzen,
5667Ist’s doch am Ende Lug und Trug!
5668Er kommt die Männer aufzureizen,
5669Sie sind schon unbequem genug.
∞Weiber in Masse
∞Herold
5675Bey meinem Stabe! Ruh gehalten! –
5676Doch braucht es meiner Hülfe kaum,
5677Seht wie die grimmen Ungestalten
5678Bewegt im rasch gewonnenen Raum
5679Das Doppel-Flügelpaar entfalten.
5680Entrüstet schütteln sich der Drachen
5681Umschuppte, feuerspeiende Rachen;
5682Die Menge flieht, rein ist der Platz.
∞Plutus steigt vom
Wagen
∞Herold
5683Er tritt herab wie königlich!
5684Er winkt, die Drachen rühren sich,
5685Die Kiste haben sie vom Wagen
5686Mit Gold und Geitz herangetragen,
5687Sie steht zu seinen Füßen da:
5688Ein Wunder ist es wie’s geschah.
∞Plutus
∞zum Lenker
5689Nun bist du los der alzulästigen Schwere,
5690Bist frey und frank, nun frisch zu deiner Sphäre!
5691Hier ist sie nicht! Verworren, schäckig, wild
5692Umdrängt uns hier ein frazzenhaft Gebild.
5693Nur wo du klar ins holde Klare schaust,
5694Dir angehörst und dir allein vertraust,
5695Dorthin wo Schönes Gutes nur gefällt,
5696Zur Einsamkeit! – Da schaffe deine Welt.
∞Knabe Lenker
5697So acht’ ich mich als
werthen Abgesandten,
5698So lieb’ ich dich als
nächsten Anverwandten.
5699Wo du verweilst ist Fülle, wo ich bin
5700Fühlt jeder sich im herrlichsten Gewinn;
5701Auch schwankt er oft im widersinnigen Leben:
5702Soll er sich dir? soll er
sich mir ergeben?
5703Die deinen freylich können müssig ruhn,
5704Doch wer mir folgt hat immer was zu thun.
5705 Nicht ins Geheim
vollführ’ ich meine Thaten,
5706Ich athme nur und schon bin ich verrathen.
5707So lebe wohl! du gönnst mir ja mein Glück,5707 wohl! du‸ ] 2 I H.32
wohl‸ du‸ : wohl! du‸ G 2 I H.32
wohl! du, 2 H 2 I H.0a
wohl! Du‸ C.1 12 (II b)
5708Doch lisple leis’ und gleich bin ich zurück.
∞ab wie er kam
∞Plutus
5709Nun ist es Zeit die Schätze zu entfesseln!
5710Die Schlösser treff’ ich mit
des Herolds Ruthe.
5711Es thut sich auf! schaut her! in ehrnen Kesseln
5712Entwickelt sichs und wallt von goldnem Blute,
5713Zunächst der Schmuck von Kronen, Ketten, Ringen;
5714Es schwillt und droht ihn schmelzend zu
verschlingen.
∞Wechselgeschrey der Menge
5716Die Kiste bis zum Rande füllt. –
5717Gefäße goldne schmelzen sich,
5718Gemünzte Rollen wälzen sich. –
5719Dukaten hüpfen wie geprägt,
5720O wie mir das den Busen regt –
5721Wie schau ich alle mein Begehr!
5722Da kollern sie am Boden her. –
5723Man bietet’s euch, benutzts nur gleich
5724Und bückt euch nur und werdet reich. –
5725Wir andern, rüstig wie der Blitz,
5726Wir nehmen den Koffer in Besitz.
∞Herold
5727Was soll’s ihr Thoren? soll mir das?
5728Es ist ja nur ein Maskenspas.
5729Heut Abend wird nicht mehr begehrt;
5730Glaubt ihr man geb euch Gold und Werth?
5731Sind doch für euch in diesem Spiel
5732Selbst Rechenpfennige zuviel.
5733Ihr Täppischen! ein artiger Schein
5734Soll gleich die plumpe Wahrheit seyn.
5735Was soll euch Wahrheit? – dumpfen Wahn
5736Packt ihr an allen Zipfeln an. –
5737Vermumter Plutus, Maskenheld,
5738Schlag dieses Volk mir aus dem Feld.
∞Plutus
5739Dein Stab ist wohl dazu bereit,
5740Verleih’ ihn mir auf kurze
Zeit. –
5741Ich tauch’ ihn rasch in Sud
und Glut. –
5742Nun! Masken seyd auf eurer Hut.
5743Wie’s blitzt und platzt, in Funken sprüht!
5744Der Stab schon ist er angeglüht.
5745Wer sich zu nah herangedrängt
5746Ist unbarmherzig gleich versengt. –
5747Jetzt fang’ ich meinen
Umgang an.
∞Geschrey und Gedräng
∞Plutus
5757Schon ist der Kreis zurückgedrängt
5758Und niemand glaub’ ich ist
versengt
5759Die Menge weicht;
5760Sie ist verscheucht. –
5761Doch solcher Ordnung Unterpfand
5762Zieh’ ich ein unsichtbares
Band.
∞Geiz
5767So kann man doch, wenn es
beliebt,
5768Vergnüglich diesen Kreis beschauen;
5769Denn immerfort sind vornen an die Frauen
5770Wo’s was zu gaffen was zu
naschen giebt.
5771Noch bin ich nicht so völlig eingerostet:
5772Ein schönes Weib ist immer schön;
5773Und heute weil es mich nichts kostet,
5774So wollen wir getrost sponsiren gehn.
5776Nicht jedem Ohr vernehmlich alle Worte,
5777Versuch’ ich klug und
hoff’ es soll mir glücken,
5778Mich pantomimisch deutlich auszudrücken.
5779Hand, Fuß, Gebärde reicht mir da nicht hin,
5780Da muß ich mich um einen Schwank bemühn.
5781Wie feuchten Thon will ich das Gold behandeln,
5782Denn dies Metall läßt sich in alles wandeln.
∞Herold
5783Was fängt der an der magre Thor!
5784Hat so ein Hungermann Humor?
5785Er knetet alles Gold zu Teig,
5786Ihm wird es untern Händen weich,
5787Wie er es drückt und wie es ballt
5788Bleibt’s immer doch nur ungestalt.
5789Er wendet sich zu den Weibern dort,
5790Sie schreyen alle, möchten fort,
5791Gebärden sich gar widerwärtig;
5792Der Schalk erweist sich übelfertig.
5793Ich fürchte daß er sich ergötzt
5794Wenn er die Sittlichkeit verletzt.
5795Dazu darf ich nicht schweigsam bleiben,
5796Gieb meinen Stab, ihn zu vertreiben.
∞Plutus
5797Er ahnet nicht was uns von außen droht;
5798Laß ihn die Narrentheidung treiben,
5799Ihm wird kein Raum für seine Possen bleiben;
5800Gesetz ist mächtig, mächtiger ist die Noth.
∞Plutus
5807Ich kenn’ euch wohl und
euren großen Pan!
5808Zusammen habt ihr kühnen Schritt gethan.
5809Ich weis recht gut was nicht ein jeder weis,
5811Mag sie ein gut Geschick
begleiten!
5812Das Wunderlichste kann geschehn;
5813Sie wissen nicht wohin sie schreiten,
5814Sie haben sich nicht vorgesehn.
∞Wildgesang
∞Faunen
5819Die Faunenschaar
5820Im lustigen Tanz,
5821Den Eichenkranz
5822Im krausen Haar,
5823Ein feines zugespitztes Ohr
5824Dringt an dem Lockenkopf hervor,
5825Ein stumpfes Näschen, ein breit Gesicht
5826Das schadet alles bey Frauen nicht:
5827Dem Faun wenn er die Patsche reicht
5828Versagt die Schönste den Tanz nicht leicht.
∞Satyr
5829Der Satyr hüpft nun hinterdrein
5830Mit Ziegenfuß und dürrem Bein,
5831Ihm sollen sie mager und sehnig seyn.
5832Und gemsenartig auf Bergeshöhn,
5833Belustigt er sich umherzusehn.
5834In Freyheitsluft erquickt alsdann
5835Verhöhnt er Kind und Weib und Mann,
5836Die tief in Thales Dampf und Rauch
5837Behaglich meinen sie lebten auch,
5838Da ihm doch rein und ungestört
5839Die Welt dort oben allein gehört.
∞Gnomen
5840Da trippelt ein die kleine Schaar,
5841Sie hält nicht gern sich Paar und Paar;
5842Im moosigen Kleid mit Lämplein hell
5843Bewegt sichs durcheinander schnell,
5844Wo jedes für sich selber schafft,
5845Wie Leuchtameisen wimmelhaft;
5846Und wuselt emsig hin und her,
5847Beschäftigt in die Kreuz und Quer.
5848Den frommen Gütchen nah verwandt,
5849Als Felschirurgen wohl bekannt;
5850Die hohen Berge schröpfen wir,
5851Aus vollen Adern schöpfen wir;
5852Metalle stürzen wir zu Hauf,
5853Mit Gruß getrost: Glück auf! Glück auf!
5854Das ist von Grund aus wohlgemeynt:
5855Wir sind der guten Menschen Freund.
5856Doch bringen wir das Gold zu Tag
5857Damit man stehlen und kuppeln mag,
5858Nicht Eisen fehle dem stolzen Mann,
5859Der allgemeinen Mord ersann.
5860Und wer die drey Gebot veracht
5861Sich auch nichts aus den andern macht.
5862Das alles ist nicht unsre Schuld,
5863Drum habt sofort wie wir Geduld.
∞Riesen
5864Die wilden Männer sind’s
genannt,
5865Am Harzgebirge wohl bekannt,
5866Natürlich nackt in aller Kraft,
5867Sie kommen sämtlich riesenhaft.
5868Den Fichtenstamm in rechter Hand
5869Und um den Leib ein wulstig Band,
5870Den derbsten Schurz von Zweig und Blatt,
5871Leibwache wie der Papst nicht hat.
∞Nymphen
∞im Chor
∞sie umschließen den großen Pan.
5872Auch kommt er an! –
5873Das All der Welt
5874Wird vorgestellt
5875Im großen Pan.
5876Ihr heitersten umgebet ihn,
5877Im Gaukeltanz umschwebet ihn,
5878Denn weil er ernst und gut dabey,
5879So will er daß man fröhlich sey.
5880Auch unterm blauen Wölbedach
5881Verhielt er sich beständig wach,
5882Doch rieseln ihm die Bäche zu,
5883Und Lüftlein wiegen ihn mild in Ruh.
5884Und wenn er zu Mittage schläft
5885Sich nicht das Blatt am Zweige regt,
5886Gesunder Pflanzen Balsamduft
5887Erfüllt die schweigsam stille Luft,
5888Die Nymphe darf nicht munter seyn
5889Und wo sie stand da schläft sie ein.
58905890 In 2 I H.41a ist der Beginn der neuen Versgruppe mit einem Abstand markiert.
In 2 H und 2 I H.0a ist kein Abstand erkennbar (Seitenwechsel).
(II b)Wenn unerwartet mit Gewalt
5891Dann aber seine Stimm erschallt,
5892Wie Blitzes Knattern, Meergebraus,
5894Zerstreut sich tapfres Heer im Feld
5895Und im Getümmel bebt der Held.
5897Und Heil ihm der uns hergeführt!
∞Deputation der Gnomen
∞an den großen Pan
5898Wenn das glänzend reiche Gute
5899Fadenweis durch Klüfte streicht,
5900Nur der klugen Wünschelruthe
5901Seine Labyrinthe zeigt,
∞Plutus
∞zum Herold
5914Wir müssen uns im hohen Sinne fassen
5915Und was geschieht getrost geschehen lassen,
5916Du bist ja sonst des stärksten Muthes voll.
5917Nun wird sich gleich ein Gräulichstes eräugnen,
5918Hartnäckig wird es Welt und Nachwelt läugnen:
5919Du schreib’ es treulich in
dein Protokoll.
∞Herold
∞den Stab anfassend, welchen
Plutus in der Hand behält
5920Die Zwerge führen den großen Pan
5921Zur Feuerquelle sacht heran,
5922Sie siedet auf vom tiefsten Schlund,
5923Dann sinkt sie wieder hinab zum Grund,
5924Und finster steht der offne Mund;
5925Wallt wieder auf in Glut und Sud,5925 Glut und Sud ] 2 I H.0a Glut und Sud 2 I H.41a
Sud und Glut 2 H
Glut und Sud 2 I H.0a
(VII)
5926Der große Pan steht wohlgemuth
5927Freut sich des wundersamen Dings.
5930Er bückt sich tief hinein zu schaun. –
5931Nun aber fällt sein Bart hinein! –
5932Wer mag das glatte Kinn wohl seyn?
5933Die Hand verbirgt es unserm Blick. –
5934Nun folgt ein großes Ungeschick
5935Der Bart entflammt und fliegt zurück.
5936Entzündet Kranz und Haupt und Brust,
5937Zu Leiden wandelt sich die Lust. –
5938Zu löschen läuft die Schaar herbey,
5939Doch keiner bleibt von Flammen frey,
5940Und wie es patscht und wie es schlägt
5941Wird neues Flammen aufgeregt;
5942Verflochten in das Element
5943Ein ganzer Maskenklump verbrennt.
59445944 Der Beginn der neuen Versgruppe ist in 2 H durch Einrückung des Verses markiert.
Die Einrückung fehlt in 2 I H.0a.
(II aa)Was aber hör’ ich wird
uns kund
5945Von Ohr zu Ohr, von Mund
zu Mund!
5946„O ewig unglückselge
Nacht
5947Was hast du uns für Leid gebracht!
5948Verkünden wird der nächste Tag
5949Was niemand willig hören mag;
5950Doch hör’ ich aller
Orten schreyn
5951„Der
Kaiser“ leidet
solche Pein.
5952O wäre doch ein andres wahr!
5953Der Kaiser brennt und seine Schaar.
5954Sie sey verflucht die ihn
verführt,
5955In harzig Reis sich eingeschnürt,
5956Zu toben her mit Brüll-Gesang
5957Zu allerseitigem Untergang.
5958O Jugend Jugend wirst du nie
5959Der Freude reines Maas bezirken?
5960O Hoheit Hoheit wirst du nie
5961Vernünftig wie allmächtig wirken?
∞Plutus
5970Schrecken ist genug verbreitet,
5971Hülfe sey nun eingeleitet! –
5972Schlage heilgen Stabs Gewalt,
5973Daß der Boden bebt und schallt!
5974Du geräumig weite Luft
5975Fülle dich mit kühlem Duft;
5976Zieht heran,
umherzuschweifen,
5977Nebeldünste, schwangre
Streifen,
5978Deckt ein flammendes Gewühl;
5979Rieselt, säuselt, Wölkchen kräuselt,
5980Schlüpfet wallend, leise dämpfet,
5981Löschend überall bekämpfet,
5982Ihr, die lindernden, die
feuchten,
5983Wandelt in ein Wetterleuchten
5984Solcher eitlen Flamme Spiel. –
5985Drohen Geister uns zu schädigen
5986Soll sich die Magie bethätigen.
∞
∞Lustgarten
∞Morgensonne
∞Der Kayser, Hofleute; Faust, Mephistopheles, anständig, nicht auffallend, nach Sitte gekleidet, beyde
knieen.
∞Kayser
∞zum Aufstehen
winkend
5988Ich wünsche mir dergleichen Scherze viel. –
5989Auf einmal sah ich mich in glüh’nder Sphäre,
5990Es schien mir fast als ob ich Pluto wäre.
5991Aus Nacht und Kohlen lag ein Felsengrund,
5992Von Flämmchen glühend. Dem und jenem Schlund
5993Aufwirbelten viel tausend wilder Flammen5993 wilder ] 2 I H.43a wilder G 2 I H.43 G 2 I H.43a
wilde 2 H 2 I H.0a
(II b)
5994Und flackerten in Ein Gewölb zusammen.
5995Zum höchsten Dome züngelt’
es empor,
5996Der immer ward und immer sich verlor.
5997Durch fernen Raum gewundner Feuersäulen
5998Sah ich bewegt der Völker lange Zeilen,
5999Sie drängten sich im weiten Kreis heran
6000Und huldigten, wie sie es stets gethan.
6001Von meinem Hof’ erkannt’ ich ein und andern,
6002Ich schien ein Fürst von tausend Salamandern.
∞Mephistopheles
6003Das bist du, Herr! weil jedes Element
6004Die Majestät als unbedingt erkennt.
6005Gehorsam Feuer hast du nun erprobt;
6006Wirf dich ins Meer wo es am wildsten tobt,
6007Und kaum betritst du
perlenreichen Grund,
6008So bildet wallend sich ein herrlich Rund;
6009Siehst auf und ab lichtgrüne schwanke Wellen,
6010Mit Purpursaum, zur schönsten Wohnung schwellen,
6011Um dich, den Mittelpunct.
Bey jedem Schritt,
6012Wohin du gehst, gehn die
Palläste mit.
6013Die Wände selbst erfreuen sich des Lebens,
6014Pfeilschnellen Wimmlens, Hin- und Widerstrebens.
6015Meerwunder drängen sich zum neuen milden Schein,
6017Da spielen farbig goldbeschuppte Drachen,
6018Der Hayfisch klafft, du lachst ihm in den Rachen.
6019Wie sich auch jetzt der Hof um dich entzückt,
6020Hast du doch nie ein solch Gedräng’ erblickt.
6021Doch bleibst du nicht vom Lieblichsten geschieden:
6022Es nahen sich neugierige Nereiden
6023Der prächtigen Wohnung in der ewigen Frische,
6024Die jüngsten scheu und lüstern wie die Fische,
6025Die spätern klug.
Schon wird es Thetis kund,
6026Dem zweyten Peleus reicht sie Hand und Mund. –
6027Den Sitz alsdann auf des Olymps Revier . . .
∞Kaiser
6031Welch gut Geschick hat dich hieher gebracht?
6032Unmittelbar aus Tausend Einer Nacht.
6033Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden,
6034Versichre ich dich der höchsten aller Gnaden.
6035Sey stets bereit, wenn eure
Tageswelt,
6036Wie’s oft geschieht, mir widerlichst mißfällt.
∞Marschalk
∞tritt eilig auf
6037Durchlauchtigster, ich dacht’ in meinem Leben
6038
Vom schönsten Glück Verkündung nicht zu geben
6039
Als diese, die mich hoch beglückt,
6040In deiner Gegenwart entzückt.
6041Rechnung für Rechnung ist berichtigt,
6042Die Wucherklauen sind beschwichtigt,
6043Los bin ich solcher Höllenpein;
6044Im Himmel kanns nicht heitrer seyn.
∞Heermeister
∞folgt eilig
6045Abschläglich ist der Sold entrichtet,
6046Das ganze Heer aufs neu verpflichtet,
6047Der Lanzknecht fühlt sich frisches Blut,
6048Und Wirth und Dirnen habens gut.
∞Kaiser
6049Wie athmet eure Brust erweitert!
6050Das faltige Gesicht erheitert!
6051Wie eilig tretet ihr heran!
∞Canzler
∞der langsam herankommt
6054Beglückt genug in meinen alten Tagen. –
6055So hört und schaut das schicksalschwere Blatt,
6056Das alles Weh in Wohl verwandelt hat.
∞er liest.
6057„Zu wissen sey es jedem ders begehrt:
6058Der Zettel hier ist tausend Kronen werth.
6059Ihm liegt gesichert als gewisses Pfand
6060Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.
6061Nun ist gesorgt damit der reiche Schatz,
6062Sogleich gehoben, diene zum Ersatz.“
∞Kaiser
6063Ich ahne Frevel, ungeheuren Trug!
6064Wer fälschte hier des Kaisers Namenszug?
6065Ist solch Verbrechen ungestraft geblieben?
∞Schatzmeister
6066Erinnre dich! hast selbst es unterschrieben;
6067Erst heute Nacht. Du standst als großer Pan,
6068Der Kanzler sprach mit uns zu dir heran:
6069„Gewähre dir das hohe Festvergnügen,
6070Des Volkes Heil, mit wenig Federzügen.“
6071Du zogst sie rein, dann wards in dieser Nacht
6072Durch Tausendkünstler schnell vertausendfacht.
6073Damit die Wohlthat allen gleich gedeihe
6074So stempelten wir gleich die
ganze Reihe,
6075Zehn, dreyßig, Funfzig, hundert sind parat.
6076Ihr denkt euch nicht wie wohl’s dem Volke
that.
6077Seht eure Stadt, sonst halb im Tod
verschimmelt,
6078Wie alles lebt und lustgenießend wimmelt!
6079Obschon dein Name längst die Welt beglückt,
6080Man hat ihn nie so freundlich angeblickt.
6081Das Alphabet ist nun erst überzählig
6082In diesem Zeichen wird nun jeder selig.
∞Kaiser
6083Und meinen Leuten gilts für gutes Gold?
6084Dem Heer, dem Hofe gnügts zu vollem Sold?
6085So sehr michs wundert muß ichs gelten lassen.
∞ Marschalckvor 6086 Marschalck ] 2 H Schatzmeister : Marschalck
(Schatzmeister ungestrichen) G
2 H
(VII)
6086Unmöglich wär’s die Flüchtigen einzufassen;
6087Mit Blitzeswink zerstreute sichs im Lauf.
6088Die Wechsler-Bänke stehen sperrig auf,
6089Man honorirt daselbst ein jedes Blatt
6090Durch Gold und Silber, freylich mit Rabat.
6091Nun gehts von da zum Fleischer, Bäcker, Schenken;
6092Die halbe Welt scheint nur an Schmaus zu denken,
6093Wenn sich die andre neu in Kleidern bläht.
6094Der Krämer schneidet aus, der Schneider näht.
6095Bey: „hoch dem Kaiser!“ sprudelts in den Kellern,
6096Dort kochts und bräts und klappert mit den Tellern.
6097Wer die Terrassen einsam abspaziert
6098Gewahrt die Schönste, herrlich aufgeziert.
6099Ein Aug’ verdeckt vom stolzen Pfauenwedel,
6100Sie schmunzelt uns und blickt nach solcher
Schedel;
6101Und hurt’ger als durch Witz und Redekunst
6102Vermittelt sich die reichste Liebesgunst.
6103Man wird sich nicht mit Börs’ und Beutel plagen,
6104Ein Blättchen ist im Busen leicht zu tragen,
6105Mit Liebesbrieflein paarts bequem sich hier. –
6106Der Priester trägts andächtig im Brevier,
6107Und der Soldat, um rascher sich zu wenden,
6108Erleichtert schnell den Gürtel seiner Lenden.
6109Die Majestät verzeihe wenn ins Kleine
6110Das hohe Werk ich zu erniedern scheine.
∞Faust
6111Das Übermaas der Schätze,
das, erstarrt,
6112In deinen Landen tief im Boden harrt,
6113Liegt ungenutzt. Der weiteste Gedanke
6114Ist solches Reichthums kümmerlichste Schranke,
6115Die Phantasie, in ihrem höchsten Flug,
6116Sie strengt sich an und thut sich nie genug.
6117Doch fassen Geister, würdig tief zu schauen,
6118Zum Gränzenlosen gränzenlos Vertrauen.
∞
Mephistopheles
6119Ein solch Papier, an Gold und Perlen statt,
6120Ist so bequem, man weis doch was man hat,
6121Man braucht nicht erst zu markten noch zu tauschen,
6122Kann sich nach Lust in Lieb und Wein berauschen,
6123Will man Metall, ein Wechsler ist bereit,
6124Und fehlt es da, so gräbt man eine Zeit.
6125Pokal und Kette wird verauctionirt,
6127
Beschämt den Zweifler der uns frech verhöhnt.
6128Man will nichts anders, ist daran gewöhnt.
6129So bleibt von nun an allen Kaiser Landen
6130An Kleinod, Gold, Papier genug vorhanden.
∞Kaiser
6131Das hohe Wohl verdankt euch unser Reich,
6132Wo möglich sey der Lohn dem Dienste gleich.
6133Vertraut sey euch des Reiches inrer Boden,
6134Ihr seyd der Schätze würdigste Custoden.
6135Ihr kennt den weiten wohlverwahrten Hort,
6136Und wenn man gräbt so sey’s auf euer Wort.
6137Vereint euch nun ihr Meister unsres Schatzes,
6138Erfüllt mit Lust die Würden eures Platzes,
6139Wo mit der obern sich die Unterwelt,6139 obern ]
Obern : obern- (Bindestrich Fehlkorrektur) G 2 H
(I a)
6140In Einigkeit beglückt, zusammenstellt.
∞Schatzmeister
6141Soll zwischen uns kein fernster Zwist sich
regen,
6142Ich liebe mir den Zaubrer zum Collegen.
∞
ab mit Faust
∞Kaiser
6151Ich hoffte Lust und Muth zu neuen Thaten;
6152Doch wer euch kennt, der wird euch leicht errathen.
6153Ich merk’ es wohl, bey aller Schätze Flor
6154Wie ihr gewesen bleibt ihr nach wie vor.
∞
ab
∞
ab
∞
∞Finstere Gallerie
∞
Mephistopheles
6173Was ziehst du mich in diese
düstern Gänge?
6174Ist nicht da drinnen Lust genug,
6175Im dichten, bunten Hofgedränge
6176Gelegenheit zu Spas und Trug?
∞Faust
6177Sag mir das nicht, du hast’s in alten Tagen
6178Längst an den Solen abgetragen;
6179Doch jetzt, dein Hin- und Wiedergehn
6180Ist nur um mir nicht Wort zu stehn.
6181Ich aber bin gequält zu thun,
6182Der Marschalk und der Kämmrer treibt mich nun.
6183Der Kaiser will, es muß sogleich geschehn,
6184Will Helena und Paris vor sich sehn;
6185Das Musterbild der Männer, so der Frauen,
6186In deutlichen Gestalten will er schauen.
6187Geschwind ans Werk ich darf mein Wort nicht brechen.
∞Faust
6189Du hast, Geselle, nicht bedacht
6190Wohin uns deine Künste führen;
6191Erst haben wir ihn reich gemacht,
6192Nun sollen wir ihn amüsiren.
∞
Mephistopheles
6193Du wähnst es füge sich sogleich;
6194Hier stehen wir vor steilern Stufen,
6195Greifst in ein fremdestes Bereich,
6196Machst frevelhaft am Ende neue Schulden,
6197Denkst Helenen so leicht hervorzurufen
6198Wie das Papiergespenst der Gulden. –
6199Mit Hexen-Fexen, mit Gespenst-Gespinnsten,6199 Gespenst-Gespinnsten ] 2 I H.47 Gespinst-Gespinnsten 2 H
Gespenst-Gespinnsten vorschl Ri 2 H
(II aa, VII)
6200Kielkröpfigen Zwergen steh ich gleich zu Diensten;
6201Doch Teufels-Liebchen, wenn auch nicht zu schelten,
6202Sie können nicht für Heroinen gelten.
∞Faust
6203Da haben wir den alten Leyerton!
6204Bey dir geräth man stets ins Ungewisse.
6205Der Vater bist du aller Hindernisse,
6206Für jedes Mittel willst du neuen Lohn.
6207Mit wenig Murmeln, weiß ich,
ist’s gethan,
6208Wie man sich umschaut bringst du sie zur Stelle.
∞
Mephistopheles
6212Ungern entdeck’ ich höheres Geheimniß. –
6213Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit,
6214Um sie kein Ort noch weniger eine Zeit,
6215Von ihnen sprechen ist Verlegenheit.
6216Die Mütter sind es!
∞
Mephistopheles
6218Das ist es auch. Göttinnen, ungekannt
6219Euch Sterblichen, von uns nicht gern genannt.
6220Nach ihrer Wohnung magst ins Tiefste schürfen;
6221Du selbst bist Schuld daß ihrer wir bedürfen.
∞
Mephistopheles
6222Kein Weg! Ins Unbetretene,
6224Nicht zu Erbittende. Bist du bereit? –
6225Nicht Schlösser sind, nicht Riegel wegzuschieben,
6226Von Einsamkeiten wirst umhergetrieben.
6227Hast du Begriff von Öd’ und Einsamkeit?
∞Faust
6228Du spartest dächt’ ich solche Sprüche,
6229Hier wittert’s nach der Hexenküche,
6230Nach einer längst vergangnen Zeit.
6231Mußt’ ich nicht mit der Welt verkehren,
6232Das Leere lernen, Leeres lehren? –
6233Sprach ich vernünftig wie ichs angeschaut,
6234Erklang der Widerspruch gedoppelt laut;
6235Mußt ich sogar vor widerwärtigen Streichen
6236Zur Einsamkeit, zur Wilderniß entweichen,
6237Und um nicht ganz versäumt, allein zu leben
6238Mich doch zuletzt dem Teufel übergeben.
∞
Mephistopheles
6239Und hättest du den Ocean durchschwommen
6240Das Gränzenlose dort geschaut,
6241So sähst du dort doch Well auf Welle kommen,
6242Selbst wenn es dir vorm Untergange graut.
6243Du sähst doch etwas. Sähst wohl in der Grüne
6244Gestillter Meere streichende Delphine,
6245Sähst Wolken ziehen, Sonne, Mond und Sterne;
6246Nichts wirst du sehn in ewig leerer Ferne,
6247Den Schritt nicht hören den du thust,
6248Nichts Festes finden wo du ruhst.
∞Faust
6249Du sprichst als erster aller Mystagogen,
6250Die treue Neophyten je betrogen;
6251Nur umgekehrt. Du sendest mich ins Leere,
6252Damit ich dort so Kunst als Kraft vermehre.
6253Behandelst mich, daß ich, wie jene Katze,
6254Dir die Kastanien aus den Gluten kratze.
6255Nur immer zu! wir wollen es ergründen,
6256In deinem Nichts hoff ich das All zu finden.
∞
Mephistopheles
6257Ich rühme dich eh du dich von mir trennst,
6258Und sehe wohl daß du den Teufel kennst;
6259Hier diesen Schlüssel nimm.
∞
Mephistopheles
6262Merkst du nun bald was man an ihm besitzt?
6263Der Schlüssel wird die rechte Stelle wittern,
6264Folg ihm hinab, er führt dich zu den Müttern.
∞Faust
∞schaudernd
6265Den Müttern! Trifft’s mich immer wie ein
Schlag!
6266Was ist das Wort das ich nicht hören mag?
∞
Mephistopheles
6268Willst du nur hören was du schon gehört?
6269Dich störe nichts wie es auch weiter klinge,
6270Schon längst gewohnt der wunderbarsten Dinge.
∞Faust
6271Doch im Erstarren such ich nicht mein Heil,
6272Das Schaudern ist der Menschheit bestes Theil;
6273Wie auch die Welt ihm das Gefühl vertheure,
6274Ergriffen, fühlt er tief das Ungeheure.
∞
Mephistopheles
6275Versinke denn! Ich könnt auch sagen: steige!
6276’S ist einerley. Entfliehe dem Entstandnen,
6277In der Gebilde losgebundne Räume,
6278Ergötze dich am längst nicht mehr Vorhandnen,
6279Wie Wolkenzüge schlingt sich das Getreibe,
6280Den Schlüssel schwinge, halte sie vom Leibe.
∞
Mephistopheles
6283Ein glühnder Dreyfuß thut dir endlich kund
6284Du seyst im tiefsten, allertiefsten Grund.
6285Bey seinem Schein wirst du die Mütter sehn,
6286Die einen sitzen, andre stehn und gehn,
6287Wie’s eben kommt. Gestaltung, Umgestaltung,
6288Des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung,
6289Umschwebt von Bildern aller
Creatur.
6290Sie sehn dich nicht, denn Schemen sehn sie nur.
6291Da faß ein Herz, denn die Gefahr ist groß,
6292Und gehe grad auf jenen Dreyfuß loß,
6293Berühr ihn mit dem Schlüssel!
∞Faust macht eine entschieden
gebietende Attitüde mit dem Schlüssel
∞
Mephistopheles
∞ ihn betrachtend
6293So ists recht! . . . .
6294Er schließt sich an, er folgt als treuer Knecht,
6295Gelassen steigst du, dich erhebt das Glück,
6296Und eh sie’s merken bist mit ihm zurück.
6297Und hast du ihn einmal hierher gebracht,
6298So rufst du Held und Heldin aus der Nacht,
6299Der erste der sich jener That erdreistet;
6300Sie ist gethan und du hast es geleistet,
6301Dann muß fortan, nach magischem Behandeln,
6302Der Weyrauchsnebel sich in Götter wandeln.
∞
Mephistopheles
6303Dein Wesen strebe nieder,
6304Versincke stampfend, stampfend steigst du wieder.
∞
Faust stampft und versinkt
∞
∞Hell erleuchtete Säale
∞Kaiser und Fürsten, Hof in Bewegung
∞Kämerer
∞zu Mephistopheles
6307Ihr seyd uns noch die Geisterscene schuldig;
6308Macht euch daran! der Herr ist ungeduldig.
∞Marschall
6309So eben fragt der Gnädigste
darnach;
6310
Ihr! zaudert nicht der Majestät zur Schmach.
∞
Mephistopheles
6311Ist mein Cumpan doch deshalb weggegangen,
6312Er weiß schon wie es anzufangen,
6313Und laborirt verschlossen still,
6314Muß ganz besonders sich befleißen;
6315Denn wer den Schatz, das Schöne, heben will
6316Bedarf der höchsten Kunst,
Magie der Weisen.
6319Ein Wort, mein Herr! Ihr seht ein klar Gesicht,
6320Jedoch so ist’s im leidigen Sommer nicht!
6321Da sprossen hundert bräunlich rothe Flecken,
6322Die zum Verdruß die weiße Haut bedecken.
6323Ein Mittel!
∞
Mephistopheles
6323Schade! So ein leuchtend Schätzchen,
6324Im May getupft wie euere Pantherkätzchen.
6325Nehmt Froschleich, Krötenzungen,
kohobirt,
6326Im vollsten Mondlicht sorglich distillirt;
6327Und, wenn er abnimmt, reinlich
aufgestrichen,
6328Der Frühling kommt, die Tupfen sind entwichen.
∞Braune
6329Die Menge drängt heran euch zu umschranzen.
6330Ich bitt’ um Mittel! Ein erfrorner Fuß
6331Verhindert mich am Wandeln wie am Tanzen,
6332Selbst ungeschickt beweg ich mich zum Gruß.
∞
Mephistopheles
6335Mein Fußtritt, Kind! hat Größres zu bedeuten.
6336
Zu Gleichem Gleiches; was auch einer litt;
6337Fuß heilet Fuß, so ists mit allen Gliedern.
6338Heran! Gebt acht! Ihr sollt es nicht erwiedern.
∞
Mephistopheles
6340Die Heilung nehmt ihr mit.
6341Du kannst nunmehr den Tanz nach Lust verüben,
6342Bey Tafel schwelgend füßle mit dem Lieben.
∞Dame
∞herandringend
6343Laßt mich hindurch! zu groß sind meine Schmerzen,
6344Sie wühlen siedend mir im tiefsten Herzen.
6345Bis gestern sucht Er Heil in meinen Blicken,
6346Er schwatzt mit ihr und wendet mir den Rücken.
∞
Mephistopheles
6347Bedenklich ist es, aber höre mich.
6348An ihn heran mußt du dich leise drücken,
6349Nimm diese Kohle, streich ihm einen Strich
6350Auf Ermel, Mantel, Schulter wie sichs macht;
6351Er fühlt im Herzen holden Reuestich.
6352Die Kohle doch mußt du sogleich verschlingen,
6353Nicht Wein, nicht Wasser an die Lippen bringen;
∞
Mephistopheles
∞entrüstet
6355Respect wo sichs gebührt!
6356Weit müßtet ihr nach solcher Kohle laufen;
6357Sie kommt von einem Scheiterhaufen
6358Den wir sonst emsiger angeschürt.
∞
nach 6358 Page.
6359Ich bin verliebt, man hält mich nicht für voll.
Meph.
(bey Seite)
6360Ich weiß nicht mehr wohin ich hören soll.
in Lücke erg Ec 2 H
(VI)6361Müßt euer Glück nicht auf die jüngste setzen.
6362Die Angejahrten wissen euch zu schätzen. –
vor 6363 (Andere drängen sich herzu) erg Ec 2 H
(VI)
6363Schon wieder Neue! Welch ein harter Strauß!
6364Ich helfe mir zuletzt mit Wahrheit aus;
6365Der schlechteste Behelf! Die Noth ist groß. –
6366O Mütter, Mütter! Laßt nur Fausten los!
∞umherschauend
6367Die Lichter brennen trübe schon im Saal,
6368Der ganze Hof bewegt sich auf einmal.
6369Anständig seh’ ich sie in Folge ziehn,
6370Durch lange Gänge, ferne Galerien.
6371Nun! sie versammeln sich im weiten Raum
6372Des alten Rittersaals, er
faßt sie kaum.
6373Auf breite Wände Teppiche
spendirt,
6374Mit Rüstung Eck und Nischen ausgeziert.
6375Hier braucht es, dächt’ ich, keine Zauberworte;
6376Die Geister finden sich von selbst zum Orte.
∞
∞Rittersaal
∞Dämmernde Beleuchtung, Kaiser und Hof, sind eingezogenvor 6377 Dämmernde ] Dammernde 2 H (I a)
∞Herold
6377Mein alt Geschäft, das Schauspiel anzukünden,
6378Verkümmert mir der Geister heimlich Walten;
6379Vergebens wagt man aus verständigen Gründen,
6380Sich zu erklären das verworrene Schalten.
6381Die Sessel sind, die Stühle schon zur Hand;
6382Den Kaiser setzt man grade vor die Wand;
6383Auf den Tapeten mag er da die Schlachten
6385Hier sitzt nun alles, Herr und Hof im Runde,
6386Die Bäncke drängen sich im Hintergrunde;
6387Auch Liebchen hat, in düstern Geisterstunden,
6388Zur Seite Liebchens lieblich Raum gefunden.
6389Und so, da alle schicklich Platz genommen,
6390Sind wir bereit, die Geister mögen kommen!
∞Posaunen
∞Astrolog
6391Beginne gleich das Drama seinen Lauf,
6392Der Herr befiehlts, ihr Wände thut euch auf!
6393Nichts hindert mehr, hier ist Magie zur Hand,
6394Die Tepp’che schwinden, wie gerollt vom Brand;
6395Die Mauer spaltet sich, sie kehrt sich um,
6396Ein tief Theater scheint sich aufzustellen,
6397Geheimnißvoll ein Schein uns zu erhellen,
6398
Und ich besteige das Proscenium.
∞
Mephistopheles
∞aus dem Soufleurloche
auftauchend
6399Von hier aus hoff’ ich allgemeine Gunst,
6400Einbläsereyen sind des
Teufels Redekunst.
∞zum Astrologen
6401Du kennst den Tackt in dem die Sterne gehn,
6402Und wirst mein Flüstern meisterlich verstehn.
∞Astrolog
6403Durch Wunderkraft erscheint alhier zur Schau,
6404Massiv genug, ein alter Tempelbau.
6405Dem Atlas gleich der einst den Himmel trug,
6406Steh’n, reihenweis, der Säulen hier genug;
6407Sie mögen wohl der Felsenlast genügen,
6408Da zweye schon ein groß Gebäude trügen.
∞Architekt
6409Das wär antik! ich wüßt’ es nicht zu preisen,
6410Es sollte plump und überlästig heißen.
6411Roh nennt man edel, unbehülflich groß.
6412Schmal-Pfeiler lieb’ ich, strebend,
gränzenlos;
6413Spitzbögiger Zenith erhebt den Geist;
6414Solch ein Gebäu erbaut uns allermeist.
∞Astrolog
6415Empfangt mit Ehrfurcht sterngegönnte Stunden;
6416Durch magisch Wort sey die Vernunft gebunden;
6417Dagegen weitheran bewege frey
6418Sich herrliche verwegne Phantasey.
6419Mit Augen schaut nun was ihr kühn begehrt,
6420Unmöglich ist’s, drum eben glaubenswerth.
∞
Faust steigt auf der andern Seite des Prosceniums herauf
∞Astrolog
6421Im Priesterkleid, bekränzt, ein Wundermann,
6422Der nun vollbringt was er getrost begann.
6423Ein Dreyfuß steigt mit ihm aus hohler Gruft,
6424Schon ahn’ ich aus der Schaale Weihrauchduft.
6425Er rüstet sich das hohe Werk zu segnen,
6426Es kann fortan nur glückliches begegnen.
∞Faust
∞großartig
6427In eurem Namen, Mütter, die ihr thront
6428Im Gränzenlosen, ewig einsam wohnt,
6429Und doch gesellig. Euer Haupt umschweben
6430Des Lebens Bilder, regsam, ohne Leben.
6431Was einmal war, in allem Glanz und Schein,
6432Es regt sich dort; denn es will ewig seyn.
6433Und ihr vertheilt es, allgewaltige Mächte,
6434Zum Zelt des Tages, zum Gewölb der Nächte.
6435Die einen faßt des Lebens holder Lauf,
6436Die andern sucht der kühne Magier auf;
6437In reicher Spende läßt er, voll Vertrauen,
6438Was jeder wünscht, das Wunderwürdige schauen.
∞Astrolog
6439Der glühnde Schlüssel rührt die Schaale kaum,
6440Ein dunstiger Nebel deckt sogleich den Raum.
6441Er schleicht sich ein, er wogt nach Wolkenart,
6442Gedehnt, geballt, verschränkt, getheilt, gepaart.
6443
Und nun erkennt ein Geister-Meister Stück!
6444So wie sie wandeln machen sie Musick.
6445Aus luftgen Tönen quillt ein Weisnichtwie,
6446Indem sie ziehn wird alles Melodie.
6448Ich glaube gar der ganze Tempel singt.
6449Das Dunstige senkt sich; aus dem leichten Flor
6450Ein schöner Jüngling tritt im Tackt hervor.
6451Hier schweigt mein Amt, ich brauch ihn nicht zu nennen,
6452Wer sollte nicht den holden Paris kennen!
∞Ritter
6459Den Schäferknecht glaub ich alhier zu spüren,
6460Vom Prinzen nichts und nichts von Hofmanieren.
∞Andrer
6461Eh nun! halb nackt ist wohl der Junge schön,
6462Doch müßten wir ihn erst im Harnisch sehn!
∞Junge Dame
∞entzückt
6473Zum Weyrauchsdampf was duftet so gemischt?
6474Das mir das Herz zum Innigsten erfrischt.
∞Älteste
6476Es ist des Wachsthums Blüte.
6477Im Jüngling als Ambrosia bereitet,
6478Und atmosphärisch ringsumher verbreitet.
∞
Mephistopheles
6479Das wär’ sie denn! Vor dieser hätt’ ich Ruh;
6480Hübsch ist sie wohl, doch sagt sie mir nicht zu.
∞Astrolog
6481Für mich ist diesmal weiter nichts zu thun,
6482Als Ehrenmann gesteh, bekenn ich’s nun.
6483Die Schöne kommt, und hätt’ ich Feuerzungen!
6484Von Schönheit ward von jeher viel gesungen;
6485Wem sie erscheint wird aus sich selbst entrückt,
6486Wem sie gehörte ward zu hoch beglückt.
∞Faust
6487Hab ich noch Augen? Zeigt sich tief im Sinn
6488Der Schönheit Quelle reichlichstens ergossen?
6489Mein Schreckensgang bringt seligsten Gewinn,
6490Wie war die Welt mir nichtig, unerschlossen!
6491Was ist sie nun seit meiner Priesterschaft?
6492Erst wünschenswerth, gegründet, dauerhaft!
6493Verschwinde mir des Lebens Athemkraft,
6494Wenn ich mich je von Dir zurückgewöhne! –
6495Die Wohlgestalt die mich voreinst entzückte,
6496In Zauberspiegelung beglückte,
6497War nur ein Schaumbild solcher Schöne! –
6498Du bist’s der ich die Regung aller Kraft,
6499Den Inbegriff der Leidenschaft,
6500Dir Neigung, Lieb, Anbetung, Wahnsinn zolle.
∞Diplomat
6504Fürstinnen hab ich dieser Art gesehn,
6505Mich däucht sie ist vom Kopf
zum Fuße schön.
∞Derselbe
6510Ganz recht! Die Göttin scheint herabzusinken,
6511Sie neigt sich über, seinen Hauch zu trinken;
6512Beneidenswerth! – Ein Kuß! – Das Maas ist voll.
∞Dame
6521Ich merke schon sie nimmt ihn in die Lehre;
6522In solchem Fall sind alle Männer dumm,
6523Er glaubt wohl auch daß er der erste wäre.
∞Gelahrter
6533Ich seh’ sie deutlich, doch gesteh’ ich
frey,
6534Zu zweiflen ist, ob sie die Rechte sey.
6535Die Gegenwart verführt ins Übertriebne,
6536Ich halte mich vor allem ans Geschriebne.
6537Da les’ ich denn: sie habe wirklich allen
6538Graubärten Trojas sonderlich gefallen;
6539Und, wie mich dünkt, vollkommen paßt das hier,
6540Ich bin nicht jung und doch gefällt sie mir.
∞Astrolog
6541Nicht Knabe mehr! Ein kühner Heldenmann
6542Umfaßt er sie, die kaum sich wehren kann.
6543Gestärkten Arms hebt er sie hoch empor,
6544Entführt er sie wohl gar?
∞Faust
6549Was Raub! Bin ich für nichts an dieser Stelle!
6550Ist dieser Schlüssel nicht in meiner Hand!
6551Er führte mich, durch Graus und Wog’ und Welle
6552Der Einsamkeiten, her zum festen Stand.6552 Stand ] 2 H Stand (undeutlich) 2 I H.48 2 I H.60
Strand konj Koch emend Erich Schmidt (III *)
6553Hier faß ich Fuß! Hier sind es Wirklichkeiten,
6554Von hieraus darf der Geist mit Geistern streiten,
6555Das Doppelreich, das große, sich bereiten.
6556So fern sie war, wie kann sie näher seyn.
6557Ich rette sie und sie ist doppelt mein.
6558Gewagt! Ihr Mütter! Mütter müßt’s gewähren.
6559Wer sie erkannt der darf sie nicht entbehren.
∞Astrolog
6560Was thust du Fauste! Fauste! – Mit Gewalt
6561Faßt er sie an, schon trübt sich die Gestalt.
6562Den Schlüssel kehrt er nach dem Jüngling zu,
6563Berührt ihn! – Weh uns, Wehe! Nu! im Nu!
∞Explosion, Faust liegt am Boden. Die Geister gehen
in Dunst auf.
∞
Mephistopheles
∞der Fausten auf die Schulter
nimmt
6564Da habt ihr’s nun! Mit Narren sich beladen,
6565Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.
∞Finsterniß, Tummult
∞
∞
Zweyter Act
∞
∞Hochgewölbtes, enges, gothisches Zimmer, ehemals Faustens, unverändert
∞Mephistopheles
∞hinter einem Vorhang hervortretend. Indem er ihn aufhebt und zurücksieht erblickt man Fausten hingestreckt auf einem altväterischen Bette.vor 6566 zurücksieht ] 2 H zurückzieht konj Fiedler (III *)
6566Hier lieg’ Unseliger! verführt
6567Zu schwergelöstem Liebesbande!
6568Wen Helena paralysirt
6569Der kommt so leicht nicht zu Verstande.
∞sich umschauend
6570Blick’ ich hinauf, hierher, hinüber,
6571Allunverändert ist es, unversehrt;
6572Die bunten Scheiben sind, so dünkt mich, trüber,
6573Die Spinneweben haben sich vermehrt;
6574Die Dinte starrt, vergilbt ist das Papier;
6575Doch alles ist am Platz geblieben;
6576Sogar die Feder liegt noch hier,
6577Mit welcher Faust dem Teufel sich verschrieben.
6578Ja! tiefer in dem Rohre stockt
6579Ein Tröpflein Blut, wie ich’s ihm abgelockt.
6580Zu einem solchen einzigen Stück
6581Wünscht’ ich dem größten Sammler Glück.
6582Auch hängt der alte Pelz am alten Hacken,
6583Erinnert mich an jene Schnacken
6584Wie ich den Knaben einst belehrt,
6585Woran er noch vielleicht als Jüngling zehrt.
6586Es kommt mir wahrlich das Gelüsten,
6587Rauchwarme Hülle, dir vereint,
6588Mich als Docent noch einmal zu erbrüsten,
6589Wie man so völlig recht zu haben meynt.
6590Gelehrte wissens zu erlangen,
6591Dem Teufel ist es längst vergangen.
∞er schüttelt den herabgenommenen Pelz,
Cicaden, Käfer und Farfarellen fahren
heraus.
∞Chor der Insecten
6592Willkommen! willkommen
6593Du alter Patron,
6594Wir schweben und summen
6595Und kennen dich schon.
6596Nur einzeln im Stillen
6597Du hast uns gepflanzt,
6598Zu Tausenden kommen wir
6599Vater getanzt.
6600Der Schalk in dem Busen
6601Verbirgt sich so sehr,
6602Vom Pelze die Läuschen
6603Enthüllen sich ehr.
∞Mephistopheles
6604Wie überraschend mich die junge Schöpfung freut!
6605Man säe nur, man erndtet mit der Zeit.
6606Ich schüttle noch einmal den alten Flaus,
6607Noch eines flattert hier und dort hinaus. –
6608Hinauf! umher! in hunderttausend Ecken
6609Eilt euch ihr Liebchen zu verstecken.
6610Dort wo die alten Schachteln stehn,
6611Hier im bebräunten Pergemen,
6612In staubigen Scherben alter Töpfe,
6613Dem Hohlaug’ jener Todtenköpfe.
6614In solchem Wust und Moderleben
6615Muß es für ewig Grillen geben.
∞schlüpft in den Pelz
6616Komm decke mir die Schultern noch einmal,
6617Heut bin ich wieder Prinzipal.
6618Doch hilft es nichts mich so zu nennen,
6619Wo sind die Leute die mich anerkennen!
∞er zieht die Glocke die einen gellenden, durchdringenden
Ton erschallen läßt; wovon die Hallen erbeben und die Thüren
aufspringen.
∞Famulus
∞den langen finstern Gang
herwankend
6620Welch ein Tönen! welch ein Schauer!
6621Treppe schwankt, es bebt die Mauer;
6622Durch der Fenster buntes Zittern,
6623Seh ich wetterleuchtend Wittern.
6624Springt das Estrich, und von Oben
6625Rieselt Kalk und Schutt verschoben.
6626Und die Thüre, fest verriegelt,
6627Ist durch Wunderkraft entsiegelt. –
6628Dort! Wie fürchterlich! Ein Riese
6629Steht in Faustens altem Vließe.
6630Seinen Blicken, seinem Winken,
6631Möcht’ ich in die Kniee sinken.
6632Soll ich fliehen? Soll ich stehn?
6633Ach! wie wird es mir ergehn!
∞
Mephistopheles
6637Ich weiß es wohl, bejahrt und noch Student,
6638Bemooster Herr! Auch ein gelehrter Mann
6639Studirt so fort, weil er nicht anders kann.
6640So baut man sich ein mäßig Kartenhaus,
6641Der größte Geist bauts doch nicht völlig aus.
6642Doch euer Meister das ist ein Beschlagner:
6643Wer kennt ihn nicht den edlen Doctor Wagner,
6644Den ersten jetzt in der gelehrten Welt!
6645Er ist’s allein der sie zusammenhält,
6646Der Weisheit täglicher Vermehrer.
6647Allwißbegierige Horcher, Hörer
6648Versammeln sich um ihn zu Hauf.
6649Er leuchtet einzig vom Catheder;
6650Die Schlüssel übt er wie Sankt Peter,
6651Das Untre so das Obre schließt er auf.
6652Wie er vor Allen glüht und funkelt,
6653Kein Ruf, kein Ruhm hält weiter stand;
6655Er ist es, der allein erfand.
∞Famulus
6656Verzeiht! Hochwürdiger Herr! wenn ich euch sage,
6657Wenn ich zu widersprechen wage:
6658Von allem dem ist nicht die Frage,
6659Bescheidenheit ist sein beschieden Theil.
6660Ins unbegreifliche Verschwinden
6661Des hohen Manns weiß er sich nicht zu finden,
6662Von dessen Wiederkunft erfleht er Trost und Heil.
6663Das Zimmer, wie zu Doctor Faustus Tagen,
6664Noch unberührt seitdem er fern,
6665Erwartet seinen alten Herrn.
6666Kaum wag’ ich’s mich herein zu wagen.
6667Was muß die Sternenstunde seyn? –
6668Gemäuer scheint mir zu erbangen;
6669Thürpfosten bebten, Riegel sprangen,
6670Sonst kamt ihr selber nicht herein.
∞Famulus
6673Ach! sein Verbot ist gar zu scharf,
6674Ich weiß nicht ob ichs wagen darf.
6675Monate lang, des großen Werkes willen,
6676Lebt’ er im aller stillsten Stillen.
6677Der zarteste gelehrter Männer
6678Er sieht aus wie ein Kohlenbrenner,
6679Geschwärzt vom Ohre bis zur Nasen,
6680Die Augen roth vom Feuer blasen,
6681So lechzt er jedem Augenblick;
6682Geklirr der Zange giebt Musick.
∞
Mephistopheles
6683Sollt’ er den Zutritt mir verneinen,
6684Ich bin der Mann das Glück ihm zu beschleunen.
∞Der Famulus geht ab,
Mephistopheles setzt sich gravitätisch nieder.
6685Kaum hab’ ich Posto hier gefaßt
6686Regt sich dort hinten, mir bekannt, ein Gast.
6687Doch diesmal ist er von den Neusten,
6688Er wird sich gränzenlos erdreusten.
∞Baccalaureus
∞den Gang herstürmend
6689Thor und Thüre find ich offen!
6690Nun da läßt sich endlich hoffen
6691Daß nicht, wie bisher, im Moder,
6692Der Lebendige wie ein Todter,
6693Sich verkümmere, sich verderbe
6694Und am Leben selber sterbe.
6695Diese Mauern, diese Wände
6696Neigen, senken sich zum Ende
6697Und wenn wir nicht bald entweichen
6698Wird uns Fall und Sturz erreichen.
6699Bin verwegen, wie nicht einer,
6700Aber weiter bringt mich keiner.
6701Doch was soll ich heut erfahren!
6702War’s nicht hier, vor so viel Jahren,
6703Wo ich, ängstlich und beklommen,
6704War als guter Fuchs gekommen?
6705Wo ich diesen Bärtigen traute,
6706Mich an ihrem Schnack erbaute.
6707Aus den alten Bücherkrusten
6708Logen sie mir was sie wußten,
6709Was sie wußten, selbst nicht glaubten,
6710Sich und mir das Leben raubten.
6711Wie? – Dort hinten in der Zelle
6712Sitzt noch Einer dunkel-helle!
6713Nahend seh’ ichs mit Erstaunen,
6714Sitzt er noch im Pelz, dem braunen;
6715Wahrlich wie ich ihn verließ,
6716Noch gehüllt im rauhen Vließ!
6717Damals war er schon gewandt,6717–6718
6717Damals schien er zwar gewandt,
6718Als
ich ihn noch nicht verstand.
Ec 2 H
(VI)6718Ob ich gleich
ihn nicht
verstand.
6719Heute wird es nicht verfangen,
6720Frisch an ihn herangegangen!
∞
Mephistopheles
6727Mich freut daß ich euch hergeläutet.
6728Ich schätzt’ euch damals nicht gering;
6729Die Raupe schon, die Chrysalide deutet
6730Den künftigen bunten Schmetterling.
6731Am Lockenkopf und Spitzenkragen,
6732Empfandet ihr ein kindliches Behagen. –
6733Ihr trugt wohl niemals einen Zopf? –
6734Heut schau ich euch im Schwedenkopf.
6735Ganz resolut und wacker seht ihr aus,
6736Kommt nur nicht absolut nach Haus.
∞
Baccalaureus
6737Mein alter Herr! Wir sind am alten Orte,
6738Bedenkt jedoch erneuter Zeiten Lauf,
6739Und sparet doppelsinnige Worte;
6740Wir passen nun ganz anders auf.
6741Ihr hänseltet den guten treuen Jungen,
6742Das ist euch ohne Kunst gelungen,
6743Was heut zu Tage niemand wagt.
∞
Mephistopheles
6744Wenn man der Jugend reine Wahrheit sagt
6745Die gelben Schnäbeln keineswegs behagt,
6746Sie aber hinterdrein nach Jahren
6747Das alles derb an eigner Haut erfahren,
6748Dann dünkeln sie es käm’ aus eignem Schopf;
6749Da heißt es denn: der Meister war ein Tropf.
∞
Baccalaureus
6750Ein Schelm vielleicht! – denn welcher Lehrer spricht
6751Die Wahrheit uns direct ins Angesicht?
6752Ein jeder weiß zu mehren wie zu mindern,
6753Bald ernst, bald heiter klug, zu frommen Kindern.
∞Mephistopheles
6754Zum lernen giebt es freylich eine Zeit,
6755Zum lehren seyd ihr, merk’ ich, selbst bereit.
6756Seit manchen Monden, einigen Sonnen,
6757Erfahrungsfülle habt ihr wohl gewonnen.
∞
Baccalaureus
6758Erfahrungswesen! Schaum und Dust!
6759Und mit dem Geist nicht ebenbürtig.
6760Gesteht! was man von je gewußt
6761Es ist durchaus nicht wissenswürdig . . .
∞
Mephistopheles
∞nach einer Pause
6762Mich däucht es längst. Ich war ein Thor,
6763Nun komm’ ich mir recht schaal und albern vor.
∞
Baccalaureus
6764Das freut mich sehr! da hör’ ich doch Verstand,
6765Der erste Greis, den ich vernünftig fand!
∞
Mephistopheles
6766Ich suchte nach verborgen-goldnem Schatze,
6767Und schauerliche Kohlen trug ich fort.
∞
Baccalaureus
6768Gesteht nur, euer Schädel, eure Glatze
6769Ist nicht mehr werth als jene hohlen dort?
∞
Mephistopheles
∞der mit seinem Rollstuhle immer näher ins
Proscenium rückt, zum Parterre
6772Hier oben wird mir Licht und Luft benommen,
6773Ich finde wohl bey euch ein Unterkommen?
∞
Baccalaureus
6774Anmaßlich find’ ich daß zur schlechtsten Frist
6775Man etwas seyn will, wo man nichts mehr ist.
6776Des Menschen Leben lebt im Blut, und wo
6777Bewegt das Blut sich wie im Jüngling so?
6778Das ist lebendig Blut in frischer Kraft,
6779Das neues Leben sich aus Leben schaft.
6780Da regt sich alles, da wird was gethan,
6781Das Schwache fällt, das Tüchtige tritt heran.
6782Indessen wir die halbe Welt gewonnen
6783Was habt ihr denn gethan? genickt, gesonnen,
6784Geträumt, erwogen, Plan und immer Plan.
6785Gewiß das Alter ist ein kaltes Fieber
6786Im Frost von grillenhafter Noth.
6787Hat einer dreyßig Jahr vorüber,
6788So ist er schon so gut wie todt.
6789Am besten wär’s euch zeitig todtzuschlagen.
∞
Baccalaureus
6793Dies ist der Jugend edelster Beruf!
6794Die Welt sie war nicht eh ich sie erschuf;
6795Die Sonne führt’ ich aus dem Meer herauf;
6796Mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf;
6797Da schmückte sich der Tag auf meinen Wegen,
6798Die Erde grünte, blühte mir
entgegen.
6799Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht,
6800Entfaltete sich aller Sterne Pracht.
6801
Wer, ausser mir,
entband euch aller Schranken
6802Philisterhaft einklemmender Gedanken?
6803Ich aber frey, wie mir’s im Geiste spricht,
6804Verfolge froh mein innerliches Licht,
6805Und wandle rasch, im eigensten Entzücken,
6806Das Helle vor mir, Finsterniß im Rücken.
∞ab
∞
Mephistopheles
6807Original fahr hin in deiner Pracht! –
6808Wie würde dich die Einsicht kränken:
6809Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken
6810Das nicht die Vorwelt schon gedacht?
6811Doch sind wir auch mit diesem nicht gefährdet,
6812In wenig Jahren wird es anders seyn.
6813Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet,
6814Es giebt zuletzt doch noch e’ Wein.
∞Zu dem jüngern Parterre das nicht
applaudirt
6815Ihr bleibt bey meinem Worte kalt,
6816Euch guten Kindern laß ich’s gehen;
6817Bedenkt: der Teufel der ist alt,
6818So werdet alt, ihn zu verstehen!
∞
∞Laboratorium im Sinne des Mittelalters, weitläufige, unbehülfliche Apparate, zu phantastischen Zwecken
∞Wagner
∞
am Herde
6819Die Glocke tönt, die fürchterliche
6820Durchschauert die berußten Mauern.
6821Nicht länger kann das Ungewisse
6822Der ernstesten Erwartung dauern.
6823Schon hellen sich die Finsternisse;
6824Schon in der innersten Phiole
6825Erglüht es wie lebendige Kohle,
6826Ja wie der herrlichste Karfunkel,
6827Verstrahlend Blitze durch das Dunkel;
6828Ein helles weißes Licht erscheint!
6829
O daß ich’s diesmal nicht verliere! –
6830Ach Gott! was rasselt an der Thüre?
∞Wagner
∞
ängstlich
∞Leise
6833Doch haltet Wort und Athem fest im Munde,
6834Ein herrlich Werk ist gleich zu Stand gebracht.
∞
Mephistopheles
6836Ein Mensch? Und welch verliebtes Paar
6837Habt ihr in’s Rauchloch eingeschloßen?
∞Wagner
6838Behüte Gott! wie sonst das Zeugen Mode war
6839Erklären wir für eitel Possen.
6840Der zarte Punct aus dem das Leben sprang,
6841Die holde Kraft die aus dem Innern drang
6842Und nahm und gab, bestimmt sich selbst zu zeichnen,
6843Erst Nächstes, dann sich Fremdes anzueignen,
6844
Die ist von ihrer Würde nun entsetzt;
6845Wenn sich das Thier noch weiter dran ergötzt,
6846So muß der Mensch mit seinen großen Gaben
6847Doch künftig höhern, höhern Ursprung haben.6847 höhern, höhern ] 2 H mon Ri, am linken Rand hehren? mit Verweis auf 6856 Ri 2 H
(VII)
∞Zum Herd gewendet
6848Es leuchtet! seht! – Nun läßt sich wirklich hoffen6848 leuchtet! ] 2 H leucht : leuchtet‸
G, Ausrufezeichen zS am linken Rand 2 H
(VII)
6849Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen,
6850Durch Mischung, denn auf Mischung kommt es an,
6851Den Menschenstoff gemächlich componiren,
6852In einen Kolben verlutiren
6853Und ihn gehörig kohobiren,
6854So ist das Werk im Stillen abgethan.
∞zum Herd gewendet
6855Es wird! die Masse regt sich klarer,
6856Die Überzeugung wahrer,
wahrer:
6857Was man an der Natur geheimnißvolles prieß,
6858Das wagen wir verständig zu probiren,
6859Und was sie sonst organisiren ließ,
6860Das lassen wir krystallisiren.
∞
Mephistopheles
6861Wer lange lebt hat viel erfahren,
6862Nichts Neues kann für ihn auf
dieser Welt geschehn,
6863Ich habe schon, in meinen Wanderjahren,
6864Krystallisirtes Menschenvolk gesehn.
∞Wagner
∞
bisher immer aufmerksam auf die Phiole
6865Es steigt, es blitzt, es häuft sich an,
6866Im Augenblick ist es gethan.
6867Ein großer Vorsatz scheint im Anfang toll,
6868Doch wollen wir des Zufalls
künftig lachen,
6869Und so ein Hirn, das trefflich denken soll,
6870Wird künftig auch ein Denker machen.
∞Entzückt die Phiole betrachtend
6871Das Glas erklingt von lieblicher Gewalt,
6872Es trübt, es klärt sich; also muß es werden!
6873Ich seh’ in zierlicher Gestalt
6874Ein artig Männlein sich gebärden.
6875Was wollen wir, was will die Welt nun mehr?
6876Denn das Geheimniß liegt am Tage.
6877Gebt diesem Laute nur Gehör,
6878Er wird zur Stimme, wird zur Sprache.
∞Homunkulus
∞in der Phiole zu Wagner
6879Nun Väterchen! wie stehts? es war kein Scherz.
6880Komm, drücke mich recht zärtlich an dein Herz,
6881Doch nicht zu fest, damit das Glas nicht springe.
6882Das ist die Eigenschaft der Dinge:
6883Natürlichem genügt das Weltall kaum,
6884Was künstlich ist, verlangt geschloßnen Raum.
∞zu Mephistopheles
6885Du aber Schalk, Herr Vetter, bist du hier?
6886Im rechten Augenblick, ich danke dir.
6887Ein gut Geschick führt dich zu uns herein,
6888Dieweil ich bin, muß ich auch thätig seyn.
6889Ich möchte mich sogleich zur Arbeit schürzen,
6890Du bist gewandt, die Wege mir zu kürzen.
∞Wagner
6891Nur noch ein Wort; bisher mußt’ ich mich schämen,
6892Denn Alt und Jung bestürmt mich
mit Problemen.
6893Zum Beyspiel nur: noch niemand konnt’ es fassen
6894Wie Seel’ und Leib so schön zusammenpassen,
6895So fest sich halten als um nie zu scheiden,
6896Und doch den Tag sich immerfort verleiden.
6897Sodann –
∞
Mephistopheles
6897Halt ein! ich wollte lieber fragen:
6898Warum sich Mann und Frau so schlecht vertragen?
6899Du kommst, mein Freund, hierüber nie ins Reine.
6900Hier giebts zu thun, das eben will der Kleine.
∞Die Seitenthür öffnet sich, man sieht Faust auf dem
Lager hingestreckt.
∞Homunkulus
∞
erstaunt
6903Bedeutend! –
∞Die Phiole entschlüpft aus Wagners Händen, schwebt
über Faust und beleuchtet ihn.
6903Schön umgeben! – Klar Gewässer
6904Im dichten Haine, Frau’n die sich entkleiden;
6905Die allerliebsten! – Das wird immer besser.
6906Doch eine läßt sich glänzend unterscheiden,
6907Aus höchstem Helden-, wohl aus Götterstamme;
6908Sie setzt den Fuß in das durchsichtige Helle;
6909Des edlen Körpers holde Lebensflamme
6910Kühlt sich im schmiegsamen Krystall der Welle. –
6911Doch welch Getöse rasch bewegter Flügel,
6912Welch Sausen, Plätschern wühlt im glatten Spiegel?
6913Die Mädchen fliehn verschüchtert; doch allein
6914Die Königin sie blickt gelassen drein,
6915Und sieht, mit stolzem, weiblichem Vergnügen,
6916Der Schwäne Fürsten ihrem Knie sich schmiegen,
6917Zudringlichzahm. Er
scheint sich zu gewöhnen. –
6918Auf einmal aber steigt ein Dunst empor,
6919Und deckt mit dichtgewebtem Flor
6920Die lieblichste von allen Scenen.
∞
Mephistopheles
6921Was du nicht alles zu erzählen hast!
6922So klein du bist, so groß bist du Phantast.
6923Ich sehe nichts –
∞Homunkulus
6923Das glaub ich. Du aus Norden,
6924Im Nebelalter jung geworden,
6925Im Wust von Ritterthum und Pfäfferey,
6926Wo wäre da dein Auge frey!
6927Im Düstern bist du nur zu Hause.
∞umherschauend
6928Verbräunt Gestein, bemodert, widrig,
6929Spitzbögig, schnörckelhaftest, niedrig! –
6930Erwacht uns dieser, giebt es neue Noth,
6931Er bleibt gleich auf der Stelle todt.
6932Waldquellen, Schwäne, nackte Schönen,
6933Das war sein ahnungsvoller Traum;
6934Wie wollt’ er sich hierher gewöhnen!
6935Ich, der bequemste, duld’ es kaum.
6936Nun fort mit ihm!
∞
Homunkulus
6937Befiehl den Krieger in die Schlacht,
6938Das Mädchen führe du zum Reihen,
6939So ist gleich alles abgemacht.
6940Jetzt eben, wie ich schnell bedacht,
6941Ist classische Walpurgisnacht;
6942Das Beste was begegnen könnte
6943Bringt ihn zu seinem Elemente.
∞
Homunkulus
6945Wie wollt’ es auch zu euren Ohren kommen?
6946Romantische Gespenster kennt ihr nur allein,
6947Ein echt Gespenst auch classisch hat’s zu seyn.
∞
Mephistopheles
6948Wohin denn aber soll die Fahrt sich regen?
6949Mich widern schon antikische Collegen.
∞
Homunkulus
6950Nordwestlich, Satan, ist dein Lustrevier;
6951Südöstlich diesmal aber segeln wir –
6952An großer Fläche fließt Peneios frey,
6953Umbuscht, umbaumt, in still’ und feuchten Buchten,
6954Die Ebne dehnt sich zu der Berge Schluchten,
6955Und oben liegt Pharsalus alt und
neu.
∞
Mephistopheles
6956O weh! hinweg! und laßt mir jene Streite
6957Von Tyranney und Sklaverey bey
Seite.
6958Mich langeweilt’s, denn kaum ist’s abgethan,
6959So fangen sie von vorne wieder an;
6960Und keiner merkt: er ist doch nur geneckt
6961Vom Asmodeus der dahinter steckt.
6962Sie streiten sich, so heißt’s um Freyheitsrechte,
6963Genau besehn sind’s Knechte
gegen Knechte.
∞
Homunkulus
6964Den Menschen laß ihr widerspenstig Wesen,
6965Ein jeder muß sich wehren wie er kann,
6966Vom Knaben auf, so wird’s zuletzt ein Mann.
6967
Hier fragt sich’s nur wie dieser kann genesen?
6968Hast du ein Mittel so erprob’ es hier,
6969Vermagst du’s nicht so überlaß es mir.
∞
Mephistopheles
6970Manch Brockenstückchen wäre durchzuproben,
6971Doch Heidenriegel find’ ich vorgeschoben.
6972Das Griechenvolk es taugte nie recht viel!
6973Doch blendet’s euch mit freyem Sinnen-Spiel,
6974Verlockt des Menschen Brust zu heitern Sünden;
6975Die unsern wird man immer düster finden.
6976Und nun was soll’s?
∞
Homunkulus
6976Du bist ja sonst nicht blöde;
6977Und wenn ich von Thessalischen Hexen rede,
6978So denk’ ich hab’ ich was gesagt.
∞
Mephistopheles
∞
lüstern
6979Thessalische Hexen! Wohl! das sind Personen
6980Nach denen hab’ ich lang’ gefragt.
6981Mit ihnen Nacht für Nacht zu wohnen
6982Ich glaube nicht daß es behagt;
6983Doch zum Besuch! Versuch!
∞
Homunkulus
6984Und um den Ritter umgeschlagen!
6985Der Lappen wird euch, wie bisher,
6986Den einen mit dem andern tragen,
6987Ich leuchte vor.
∞
Homunkulus
6987Eh nun
6988Du bleibst zu Hause Wichtigstes zu thun.
6989Entfalte du die alten Pergamente,
6990Nach Vorschrift sammle Lebens-Elemente
6991Und füge sie mit Vorsicht eins ans andre.
6993Indessen ich ein Stückchen Welt durchwandre
6994Entdeck’ ich wohl das Tüpfchen auf das I.
6995Dann ist der große Zweck erreicht,
6996Solch einen Lohn verdient ein solches Streben:
6997Gold, Ehre, Ruhm, gesundes langes Leben
6998Und Wissenschaft und Tugend – auch vielleicht.
6999Leb wohl!
∞
∞Classische Walpurgisnacht
∞
∞Pharsalische Felder, Finsterniß
∞Erichto
7005Zum Schauderfeste dieser Nacht, wie öfter schon,
7006Tret’ ich einher, Erichto, ich
die düstere;
7007Nicht so abscheulich wie die leidigen
Dichter mich
7008Im Übermaaß verlästern . . . Endigen sie doch nie,
7009In Lob und
Tadel . . . Überbleicht
erscheint mir schon
7010Von grauer Zelten Woge weit das Thal dahin,
7011Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht.
7012Wie oft schon wiederholt sich’s! Wird sich immerfort
7013In’s Ewige wiederholen . . . Keiner gönnt das Reich
7014Dem Andern, dem gönnt’s keiner der’s
mit Kraft erwarb
7015Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres
Selbst
7016Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern
7017Des Nachbars Willen, eignem stolzen Sinn
gemäß . . .
7018Hier aber ward ein großes Beyspiel durchgekämpft,
7019Wie sich Gewalt Gewaltigerem entgegenstellt,
7020Der Freyheit holder
tausendblumiger Kranz zerreißt,
7021Der starre Lorbeer sich ums Haupt des Herrschers
biegt.
7022Hier träumte Magnus früher Größe Blütentag,
7023Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort!
7024Das wird sich messen. Weiß die Welt doch wem’s
gelang.
7025Wachfeuer glühen, rothe Flammen spendende,
7026Der Boden haucht vergoßnen Blutes Wiederschein,
7027Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht,
7028Versammelt sich hellenischer Sage Legion.
7029Um alle Feuer schwankt unsicher, oder sitzt
7030Behaglich, alter Tage fabelhaft Gebild . . .
7031Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,
7032Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;
7033Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau.
7034Doch! über mir! welch unerwartet Meteor?
7035Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball.
7036Ich wittre Leben. Da geziemen will mirs nicht
7037Lebendigem zu nahen, dem ich
schädlich bin;
7038Das bringt mir bösen Ruf und frommt mir nicht.
7039Schon sinkt es nieder. Weich’
ich aus mit Wohlbedacht!
∞Entfernt sich
∞Die Luftfahrer oben
∞Homunkulus
∞
Mephistopheles
∞
Homunkulus
∞
Homunkulus
∞Homunkulus
∞
Mephistopheles
∞
Homunkulus
∞Faust
∞allein
7070Wo ist sie? – Frage jetzt nicht weiter nach . . .
7071Wär’s nicht die Scholle die sie trug,
7072Die Welle nicht die ihr entgegen schlug;
7073So ist’s die Luft die ihre Sprache sprach.
7074Hier! durch ein Wunder, hier in Griechenland!
7075Ich fühlte gleich den Boden wo ich stand;
7076Wie mich, den Schläfer, frisch ein Geist durchglühte,
7077So steh’ ich, ein Antäus
an Gemüthe.
7078Und find’ ich hier das Seltsamste
beysammen,
7079Durchforsch’ ich ernst dies
Labyrinth der Flammen.
∞entfernt sich
∞
Mephistopheles
∞umherspürend
7080Und wie ich diese Feuerchen durchschweife,
7081So find’ ich mich doch ganz und
gar entfremdet,
7082Fast alles nackt, nur hie und da behemdet:
7083Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife,
7084Und was nicht alles, lockig und beflügelt,
7085Von vorn und hinten sich im Auge spiegelt . . . .
7086Zwar sind auch wir von Herzen unanständig,
7087Doch das Antike find’ ich zu
lebendig;
7088Das müßte man mit neustem Sinn bemeistern
7089Und mannigfaltig modisch überkleistern . . . .
7090Ein widrig Volk! doch darf michs nicht verdrießen
7091Als neuer Gast anständig sie zu grüßen . . . .
7092Glückzu! den schönen Frau’n, den klugen Greisen.
∞Greif
∞schnarrend
7093Nicht Greisen! Greifen! – Niemand hört es gern
7094Daß man ihn Greis nennt. Jedem Worte klingt
7095Der Ursprung nach wo es sich her bedingt:
7096Grau, grämlich, griesgram, gräulich, Gräber, grimmig,
7097Etymologisch gleicherweise stimmig,
7098Verstimmen uns.
∞Greif
∞wie oben und immer so
fort
7100Natürlich! die Verwandtschaft ist erprobt,
7101Zwar oft gescholten, mehr jedoch gelobt;
7102Man greife nun nach Mädchen, Kronen, Gold,
7103Dem Greifenden ist meist Fortuna hold.
∞Ameisen
∞von der colossalen Art
7104Ihr sprecht von Gold, wir hatten viel gesammelt,
7105In Fels und Höhlen heimlich eingerammelt;
7106Das Arimaspen-Volk hat’s ausgespürt,
7107Sie lachen dort, wie weit sie’s
weggeführt.
∞Arimaspen
7109Nur nicht zur freyen Jubelnacht.
7110Bis morgen ists alles durchgebracht,
7111Es wird uns diesmal wohl gelingen.
∞
Mephistopheles
∞hat sich zwischen die Sphinxe gesetzt
7112Wie leicht und gern ich mich hierher gewöhne,
7113Denn ich verstehe Mann für Mann.
∞Sphinx
7114Wir hauchen unsre Geistertöne
7115Und ihr verkörpert sie alsdann.
7116Jetzt nenne dich bis wir dich weiter kennen!
∞
Mephistopheles
7117Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen –
7118Sind Britten hier? Sie reisen sonst so viel,
7119Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
7120Gestürzten Mauern, klassisch dumpfen Stellen;
7121Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.
7122Sie zeugten auch: Im alten Bühnen-Spiel
7123Sah man mich dort als old Iniquity.
∞Sphinx
7125Mag seyn! Hast du von Sternen einige Kunde?
7126Was sagst du zu der gegenwärt’gen
Stunde?
∞
Mephistopheles
∞aufschauend
7127Stern schießt nach Stern, beschnittner Mond scheint helle
7128Und mir ist wohl an dieser trauten Stelle,
7129Ich wärme mich an deinem Löwenfelle.
7130Hinauf sich zu versteigen wär’ zum Schaden,
7131Gieb Räthsel auf, gieb allenfalls Charaden.
∞Sphinx
7132Sprich nur dich selbst aus, wird schon Räthsel seyn.
7133Versuch einmal dich innigst aufzulösen:
7134„Dem frommen Manne nöthig wie dem bösen,
7135
Dem ein Plastron, ascetisch zu rapiren,
7137Und beydes nur, um Zeus zu
amüsiren.“
∞
Mephistopheles
∞brutal
7140Du glaubst vielleicht des Gastes Nägel krauen
7141Nicht auch so gut wie deine scharfen Klauen?
7142Versuchs einmal!
∞Sphinx
∞milde
7142Du magst nur immer bleiben,
7143Wird dich’s doch selbst aus
unsrer Mitte treiben;
7144In deinem Lande thust dir was zu Gute,
7145Doch, irr’ ich nicht, hier ist
dir schlecht zu Muthe.
∞
Mephistopheles
7146Du bist recht appetitlich oben
anzuschauen,
7147Doch unten hin, die Bestie macht mir Grauen.
∞Sphinx
7148Du Falscher kommst zu deiner bittern Buße,
7149Denn unsre Tatzen sind gesund;
7150
Dir
mit verschrumpftem Pferdefuße
7151Behagt es nicht in unserem Bund.
∞
Sirenen präludiren oben
∞Sirenen
∞Sirenen
∞
Mephistopheles
∞Sphinxe
∞Faust
∞herantretend
7181Wie wunderbar! das Anschaun thut mir Gnüge,
7182Im Widerwärtigen große tüchtige Züge.
7183Ich ahne schon ein günstiges Geschick;
7184Wohin versetzt mich dieser ernste Blick?
∞Auf Sphinxe bezüglich
7185Vor solchen hat einst Ödipus gestanden;
∞Auf Sirenen bezüglich
7186Vor solchen krümmte sich Ulyss in hänfnen Banden;
∞Auf Ameisen bezüglich
7187Von solchen ward der höchste Schatz gespart;
∞Auf Greife bezüglich
7188Von diesen treu und ohne Fehl bewahrt.
7189Vom frischen Geiste fühl’ ich mich durchdrungen,
7190Gestalten groß, groß die Erinnerungen.
∞
Mephistopheles
7191Sonst hättest du dergleichen weggeflucht,
7192Doch jetzo scheint es dir zu frommen;
7193Denn wo man die Geliebte sucht,
7194Sind Ungeheuer selbst willkommen.
∞Faust
∞zu den Sphinxen
7195Ihr Frauenbilder müßt mir Rede stehn:
7196Hat eins der Euren Helena gesehn?
∞Sphinxe
7197Wir reichen nicht hinauf zu ihren Tagen,
7198Die letztesten hat Herkules erschlagen.
7199Von Chiron könntest dus erfragen;
7200Der sprengt herum in dieser Geisternacht,
7201Wenn er dir steht so hast du’s weit gebracht.
∞Sirenen
7202Sollte dir’s doch auch nicht fehlen! . . .
7203Wie Ulyss bey uns verweilte,
7204Schmähend nicht vorübereilte,
7205Wußt’ er vieles zu erzählen;
7206Würden alles dir vertrauen,
7207Wolltest du zu unsern Gauen
7208Dich ans grüne Meer verfügen.
∞Sphinx
7209Laß dich Edler nicht betrügen!
7210Statt daß Ulyss sich binden ließ,
7211Laß unsern guten Rath dich binden;
7212Kannst du den hohen Chiron finden,
7213Erfährst du was ich dir verhieß.
∞Faust entfernt sich
∞
Mephistopheles
∞verdrießlich
7214Was krächzt vorbey mit
Flügelschlag?
7215So schnell daß man’s nicht sehen
mag,
7216Und immer eins dem andern nach,
7217Den Jäger würden sie ermüden.
∞Sphinx
7218Dem Sturm des Winterwinds vergleichbar,
7219Alcides Pfeilen kaum erreichbar;
7220Es sind die raschen
Stymphaliden.
7221Und wohlgemeint ihr Krächzegruß,
7222Mit Geyerschnabel und Gänsefuß.
7223
Sie möchten gern in unsern Kreisen
7224Als Stammverwandte sich erweisen.
∞Sphinx
7226Vor diesen sey euch ja nicht bange,
7227Es sind die Köpfe der Lernäischen Schlange,
7228Vom Rumpf getrennt, und glauben
was zu seyn.
7229Doch sagt, was soll nur aus euch
werden?
7230Was für unruhige Gebärden?
7231Wo wollt ihr hin? Begebt euch fort! . . .
7232Ich sehe, jener Chorus dort
7233Macht euch zum Wendehals. Bezwingt euch nicht,
7234Geht hin! begrüßt manch reizendes Gesicht.
7235Die Lamien sinds, lustfeine Dirnen,
7236
Mit Lächelmund und frechen
Stirnen,
7237Wie sie dem Satyrvolk behagen;
7238Ein Bocksfuß darf dort alles wagen.
∞
∞Peneus umgeben von Gewässern und Nymphenvor 7249 (Überschrift) Peneus ] 2 H Zeichen über dem zweiten e zur Verdeutlichung der Artikulation, darüber ei , am linken Rand Peneus mit Zeichen über dem zweiten e Ri 2 H
(VII)
∞Peneus
7249Rege dich du Schilfgeflüster!
7250Hauche leise Rohrgeschwister,
7251Säuselt leichte Weidensträuche
7252Lispelt
Pappelzitterzweige
7253Unterbrochnen Träumen zu! . . .
7254Weckt mich doch ein grauslich Wittern,
7255Heimlich allbewegend Zittern,
7256Aus dem Wallestrom und Ruh.
∞Faust
∞an den Fluß tretend
7257Hör’ ich recht, so muß ich
glauben:
7258Hinter den verschränkten Lauben
7259Dieser Zweige, dieser Stauden
7260Tönt ein menschenähnlichs Lauten:7260 menschenähnlichs ] 2 II H.74 menschlichähnlichs 2 H
(II aa)
7261Scheint die Welle doch ein Schwätzen,
7262Lüftlein wie – ein Scherzergötzen.
∞Faust
7271Ich wache ja! O laßt sie walten
7272Die unvergleichlichen Gestalten
7273Wie sie dorthin mein Auge schickt.
7274So wunderbar bin ich durchdrungen
7275Sind’s Träume? Sind’s
Erinnerungen?
7276Schon einmal warst du so beglückt.
7277Gewässer schleichen durch die Frische
7278Der dichten sanft
bewegten Büsche,
7279Nicht rauschen sie, sie rieseln kaum;
7280Von allen Seiten hundert Quellen
7281Vereinen sich, im reinlich hellen
7282Zum Bade flach vertieften Raum.
7283Gesunde junge Frauenglieder,
7284Vom feuchten Spiegel doppelt wieder
7285Ergötztem Auge zugebracht!
7286Gesellig dann und fröhlich badend,
7287Erdreistet schwimmend, furchtsam wadend;7287 wadend ] 2 II H.74 2 H watend emend Erich Schmidt (VII)
7288Geschrey zuletzt und Wasserschlacht.
7289Begnügen sollt’ ich mich an
diesen,
7290Mein Auge sollte hier genießen,
7291Doch immer weiter strebt mein Sinn.
7292Der Blick dringt scharf nach jener Hülle,
7293Das reiche Laub der grünen Fülle
7294Verbirgt die hohe Königin.
7295Wundersam! auch Schwäne kommen
7296Aus den Buchten hergeschwommen,
7297Majestätisch rein bewegt.
7298Ruhig schwebend, zart gesellig,
7299Aber stolz und selbstgefällig
7300Wie sich Haupt und Schnabel regt . . . .
7301Einer aber scheint vor allen
7302Brüstend kühn sich zu gefallen,
7303Segelnd rasch durch alle fort;
7304Sein Gefieder bläht sich schwellend,
7305Welle selbst, auf Wogen wellend,
7306Dringt er zu dem heiligen Ort . . . .
7307Die andern schwimmen hin und wieder
7308Mit ruhig glänzendem Gefieder,
7309Bald auch in regem prächtigen Streit;
7310Die scheuen Mädchen abzulenken,
7311Daß sie an ihren Dienst nicht denken,
7312Nur an die eigne Sicherheit.
∞Nymphen
∞Faust
∞Chiron
7333Sitz auf! so kann ich nach Belieben fragen:
7334Wohin des Wegs? Du stehst am Ufer hier,
7335Ich bin bereit dich durch
den Fluß zu tragen.
∞Faust
∞aufsitzend
7336Wohin du willst. Für ewig dank’
ichs dir . . . .
7337Der große Mann der edle Pädagog,
7338Der, sich zum Ruhm, ein
Heldenvolk erzog,
7339Den schönen Kreis der edlen Argonauten
7340Und alle die des Dichters Welt erbauten.
∞Chiron
7341Das lassen wir an seinem Ort!
7342Selbst Pallas kommt als Mentor nicht zu Ehren;
7343Am Ende treiben sie’s nach ihrer Weise fort
7344Als wenn sie nicht erzogen wären.
∞Faust
7345Den Arzt der jede Pflanze nennt,
7346Die Wurzeln bis ins Tiefste kennt,
7347Dem Kranken Heil, dem Wunden Lindrung schafft,
∞Chiron
7349Ward neben mir ein Held verletzt,
7350Da wußt’ ich Hülf’ und Rath zu schaffen;
7351Doch ließ ich meine Kunst zuletzt
7352Den Wurzelweibern und den Pfaffen.
∞Faust
7353Du bist der wahre große Mann
7354Der Lobeswort nicht hören kann;
7355Er sucht bescheiden auszuweichen
7356Und thut als gäb’ es Seinesgleichen.
∞Faust
7359So wirst du mir denn doch gestehn
7360Du hast die Größten deiner Zeit gesehn,
7361Dem Edelsten in Thaten nachgestrebt,
7362Halbgöttlich ernst die Tage durchgelebt.
7363Doch unter den heroischen Gestalten
7364Wen hast du für den Tüchtigsten gehalten?
∞Chiron
7365Im hehren Argonautenkreise
7366War jeder brav nach seiner eignen Weise,
7367Und, nach der Kraft die ihn beseelte,
7368Konnt’ er genügen, wo’s den
andern fehlte.
7369Die Dioskuren haben stets gesiegt,
7370Wo Jugendfüll’ und Schönheit überwiegt.
7371Entschluß und schnelle That zu andrer Heil
7372Den Boreaden ward’s zum schönen Theil;
7373Nachsinnend, kräftig, klug, im Rath bequem,
7374So herrschte Jason, Frauen angenehm.
7375Dann Orpheus, zart und immer still bedächtig,
7376Schlug er die Leyer allen übermächtig.
7377Scharfsichtig Lynceus, der, bey Tag und Nacht,
7378Das heilge Schiff durch Klipp’ und Strand gebracht . . . .
7379Gesellig nur läßt sich Gefahr erproben:
7380Wenn einer wirkt, die andern alle loben.
∞Chiron
∞Faust
7395So sehr auch Bildner auf ihn pochen,
7396So herrlich kam er nie zur Schau.
7397Vom schönsten Mann hast du gesprochen,
7398Nun sprich auch von der schönsten Frau!
∞Chiron
7399Was! . . Frauen-Schönheit will nichts heißen,
7400Ist gar zu oft ein starres Bild;
7401Nur solch ein Wesen kann ich preisen
7402Das froh und lebenslustig quillt.
7403Die Schöne bleibt sich selber selig;
7404Die Anmuth macht unwiderstehlich,
7405Wie Helena, da ich sie trug.
∞Faust
7410O! ganz und gar
7411Verlier’ ich mich! Erzähle wie?
7412Sie ist mein einziges Begehren!
7413Woher? wohin? ach, trugst du sie?
∞Chiron
7414Die Frage läßt sich leicht gewähren.
7415Die Dioskuren hatten, jener Zeit,
7416Das Schwesterchen aus Räuberfaust befreyt.
7417Doch diese, nicht gewohnt besiegt zu seyn,
7418Ermannten sich und stürmten hinterdrein.
7419Da hielten der Geschwister eiligen Lauf,
7420Die Sümpfe bey Eleusis auf;
7421Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber;
7422Da sprang sie ab und streichelte
7423Die feuchte Mähne, schmeichelte
7424Und dankte lieblich-klug und selbstbewusst.
7425Wie war sie reizend! jung, des Alten Lust!
∞Chiron
7426Ich seh’, die
Philologen
7427Sie haben dich so wie sich selbst betrogen.
7428Ganz eigen ist’s mit mythologischer Frau;
7429Der Dichter bringt sie, wie er’s
braucht zur Schau:
7430Nie wird sie mündig, wird nicht alt,
7431Stets appetitlicher Gestalt,
7432Wird jung entführt, im Alter noch umfreyt;
7433G’nug, den Poeten bindet keine
Zeit.
∞Faust
7434So sey auch sie durch keine Zeit gebunden!
7435Hat doch Achill auf Pherä sie gefunden,
7436Selbst außer aller Zeit. Welch seltnes Glück:
7438Und sollt ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt,
7439Ins Leben ziehn die einzigste Gestalt?
7440Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,
7441So groß als zart, so hehr als liebenswürdig?
7442Du sahst sie einst, heut hab’ ich sie
gesehn,
7443So schön wie reizend, wie ersehnt so schön.
7444Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen,
7445Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.
∞Chiron
7446Mein fremder Mann! als Mensch bist du entzückt,
7447Doch unter Geistern scheinst du wohl verrückt.
7448Nun trifft sich’s hier zu deinem
Glücke;
7449Denn alle Jahr, nur wenig Augenblicke,
7450Pfleg’ ich bey Manto
vorzutreten,
7451Der Tochter Äsculaps; im stillen Beten
7452Fleht sie zum Vater: daß, zu seiner Ehre,
7453Er endlich doch der Ärzte Sinn verkläre,
7454Und vom verwegnen Todtschlag sie bekehre . . .
7455Die liebste mir aus der Sibyllengilde,
7456Nicht fratzenhaft bewegt, wohlthätig milde;
7457Ihr glückt es wohl, bey einigem
Verweilen,
7458Mit Wurzelkräften dich von Grund zu heilen.
∞Faust
7459Geheilt will ich nicht seyn, mein Sinn ist mächtig;
7460Da wär’ ich ja wie andre niederträchtig.
∞Faust
7463Sag an! Wohin hast du, in grauser Nacht,
7464Durch Kiesgewässer, mich an’s Land gebracht?
∞Chiron
7465Hier trotzten Rom und Griechenland im Streite,
7466
Peneios rechts, lincks den Olymp zur Seite.
7467Das größte Reich das sich im Sand verliert;
7468Der König flieht, der Bürger triumphirt.
7469Blick auf! hier steht, bedeutend nah,
7470Im Mondenschein der ewige Tempel da.
∞Chiron
7482Die verrufene Nacht
7483
Hat strudelnd ihn hierhergebracht.
7484Helenen, mit verrückten Sinnen,
7485Helenen will er sich gewinnen,
7486Und weiß nicht wie und wo beginnen;
7487Asklepischer Kur vor andern
werth.
∞
Chiron ist schon weit weg
∞Manto
7489Tritt ein, Verwegner, sollst dich
freuen;
7490Der dunkle Gang führt zu Persephoneien.
7491In des Olympus hohlem Fuß
7492Lauscht sie geheim verbotnem Gruß.
7493Hier hab’ ich einst den Orpheus
eingeschwärzt,
7494Benutz’ es besser, frisch! beherzt!
∞
Sie steigen hinab.
∞
∞Am obern Peneios wie zuvor
∞Sirenen
7495Stürzt euch in Peneios Fluth!
7496Plätschernd ziemt es da zu schwimmen,
7497Lied um Lieder anzustimmen,
7498Dem unseligen Volk zu gut.
7499Ohne Wasser ist kein Heil!
7500Führen wir mit hellem Heere
7501Eilig zum ägäischen Meere,
7502Würd’ uns jede Lust zu Theil.
∞Erdbeben
∞Sirenen
7503Schäumend kehrt die Welle wieder,
7504Fließt nicht mehr im Bett darnieder;
7505 Grund erbebt, das Wasser staucht,
7506Kies und Ufer berstend raucht.
7507Flüchten wir! Kommt alle,
kommt!
7508Niemand dem das Wunder frommt.
7509Fort! ihr edlen frohen Gäste
7510Zu dem seeisch heitern Feste,
7511Blinkend wo die Zitterwellen,
7512Ufernetzend, leise schwellen;
7513Da wo Luna doppelt leuchtet,
7514Uns mit heilgem Thau befeuchtet.
7515Dort ein freybewegtes Leben,
7516Hier ein ängstlich Erde-Beben;
7517Eile jeder Kluge fort!
7518Schauderhaft ist’s um den Ort.
∞Seismos
∞in der Tiefe brummend und
polternd
7519Einmal noch mit Kraft geschoben,
7520Mit den Schultern brav gehoben!
7521So gelangen wir nach oben,
7522Wo uns alles weichen muß.
∞Sphinxe
7523Welch ein widerwärtig Zittern
7524Häßlich grausenhaftes Wittern!
7525Welch ein Schwanken, welches Beben,
7526Schaukelnd Hin- und Widerstreben!
7527Welch unleidlicher Verdruß!
7528Doch wir ändern nicht die Stelle,
7529Bräche los die ganze Hölle.
7530Nun erhebt sich ein Gewölbe
7531Wundersam. Es ist derselbe,
7532Jener Alte, längst Ergraute,
7533Der die Insel Delos baute,
7534Einer Kreisenden zu Lieb’ 7534 Kreisenden ] 2 H
kreisenden : Kreisenden G 2 II H.74
Kreißenden emend Erich Schmidt (VII)
7535Aus der Wog’ empor sie
trieb.
7536Er, mit Streben, Drängen, Drücken,
7537Arme straff, gekrümmt den Rücken,
7538Wie ein Atlas an Gebärde,
7539Hebt er Boden, Rasen, Erde,
7540Kies und Gries und Sand und Letten,
7541Unsres Ufers stille Betten.
7542So zerreisst er eine Strecke
7543Queer des Thales ruhige Decke.
7544Angestrengtest, nimmer müde,7544 Angestrengtest ] Angestrengtest 2 II H.74
Angestregtest 2 H
(I a)
7545Colossale Caryatide;
7546Trägt ein furchtbar Steingerüste,
7547Noch im Boden bis zur Büste;
7548Weiter aber solls nicht kommen,
7549Sphinxe haben Platz genommen.
∞Seismos
7550Das hab’ ich ganz allein
vermittelt,
7551Man wird mir’s endlich
zugestehn;
7552Und hätt’ ich nicht geschüttelt und gerüttelt,
7553Wie wäre diese Welt so schön?
7554Wie ständen eure Berge droben
7555In prächtig-reinem Ätherblau,
7556Hätt’ ich sie nicht hervorgeschoben,
7557Zu malerisch-entzückter Schau!
7558Als, Angesichts der höchsten Ahnen,
7559Der Nacht, des Chaos, ich mich
stark betrug
7560Und, in Gesellschaft von Titanen,
7561Mit Pelion und Ossa als mit Ballen schlug.
7562Wir tollten fort in jugendlicher Hitze,
7563Bis überdrüssig, noch
zuletzt
7564Wir dem Parnaß, als eine Doppelmütze,
7565Die beiden Berge frevelnd aufgesetzt . . . .
7566Apollen hält ein froh Verweilen
7567Dort nun mit seliger Musen Chor.
7568Selbst Jupitern und seinen Donnerkeilen
7569Hob’ ich den Sessel hoch
empor.
7570Jetzt so, mit ungeheurem Streben,
7571Drang aus dem Abgrund ich herauf
7572Und fordere laut, zu neuem Leben,
7573Mir fröhliche Bewohner auf.
∞Sphinxe
7574Uralt müßte man
gestehen
7575Sey das hier Emporgebürgte,
7576Hätten wir nicht selbst gesehen
7577Wie sich’s aus dem Boden
würgte.
7578Bebuschter Wald verbreitet sich hinan,
7579Noch drängt sich Fels auf Fels bewegt heran;
7580Ein Sphinx wird sich daran nicht kehren:
7581Wir lassen uns im heiligen Sitz nicht stören.
∞Greife
∞Chor der Ameisen
7586Wie ihn die Riesigen
7587Empor geschoben,
7588Ihr Zappelfüßigen
7589Geschwind nach oben!
7590Behendest aus und ein!
7591In solchen Ritzen
7592Ist jedes Bröselein
7593Werth zu besitzen.
7594Das Allermindeste
7595Müßt ihr entdecken,
7596Auf das geschwindeste
7597In allen Ecken.
7598Allemsig müsst ihr seyn,
7599Ihr Wimmelschaaren;
7600Nur mit dem Gold herein!
7601Den Berg laßt fahren.
∞Greife
7602Herein! Herein! Nur Gold zu Hauf,
7603Wir legen unsre Klauen drauf;
7604Sind Riegel von der besten Art,
7605Der größte Schatz ist wohl verwahrt.
∞Pygmäen
7606Haben wirklich Platz genommen,
7607Wissen nicht wie es geschah;
7608Fraget nicht woher wir kommen:
7609Denn wir sind nun einmal da!
7610Zu des Lebens lustigem Sitze
7611Eignet sich ein jedes Land;
7612Zeigt sich eine Felsenritze,
7613Ist auch schon der Zwerg zur Hand.
7614Zwerg und Zwergin rasch zum Fleiße,
7615Musterhaft ein jedes Paar;
7616Weiß nicht ob es gleicher Weise
7617Schon im Paradiese war.
7618Doch wir findens hier zum besten,
7619Segnen dankbar unsern Stern;
7620Denn, im Osten wie im Westen,
7621Zeugt die Mutter Erde gern.
∞Dacktyle
∞Pygmäen-Älteste
∞Generalissimus
7660Mordgeschrey und Sterbeklagen,
7661Ängstlich Flügelflatterschlagen,
7662Welch ein Ächzen, welch Gestöhn
7663Dringt herauf zu unsern Höhn!
7664Alle sind sie schon ertödtet,
7665See von ihrem Blut geröthet;
7666Mißgestaltete Begierde
7667Raubt des Reihers edle Zierde.
7668Weht sie doch schon auf dem Helme
7669Dieser Fettbauch-Krummbein-Schelme.
7670Ihr Genossen unsres Heeres,
7671Reihenwanderer des Meeres,
7672Euch berufen wir zur Rache
7673In so nahverwandter Sache;
7674Keiner spare Kraft und Blut,
7675Ewige Feindschaft dieser Brut!
∞
Zerstreuen sich krächzend in den Lüften
∞
Mephistopheles
∞
in der Ebne
7676Die nordischen Hexen wußt’ ich
wohl zu meistern,
7677Mir wirds nicht just mit diesen fremden Geistern.
7678Der Blocksberg bleibt ein
gar bequem Local,
7679Wo man auch sey, man findet sich zumal.
7683Doch alles ist für tausend Jahr gethan.
7684Wer weiß denn hier nur, wo er geht und steht,
7685Ob unter ihm sich nicht der Boden bläht? . .
7686Ich wandle lustig durch ein glattes Thal
7687Und hinter mir erhebt sich auf einmal
7688Ein Berg, zwar kaum ein Berg zu nennen,
7689Von meinen Sphinxen mich jedoch zu trennen
7690Schon hoch genug – Hier zuckt noch manches Feuer
7691Das Thal hinab, und flammt ums
Abenteuer . . .
7692Noch tanzt und schwebt mir lockend, weichend vor,
7693Spitzbübisch gaukelnd, der galante Chor.
7694Nur sachte drauf! Allzu gewohnt ans Naschen,
7695Wo es auch sey man sucht was zu erhaschen.
∞Lamien
∞Mephistopheles
nach sich
ziehend
7696Geschwind, geschwinder!
7697Und immer weiter!
7698Dann wieder zaudernd,
7699Geschwätzig plaudernd.
7700Es ist so heiter
7701Den alten Sünder
7702Uns nach zu ziehen,
7703Zu schwerer Buße.
7704Mit starrem Fuße
7705Kommt er geholpert
7706Einher gestolpert;
7707Er schleppt das Bein,
7708Wie wir ihn fliehen,
7709Uns hinterdrein.
∞
Mephistopheles
∞stillstehend
∞Lamien
∞inne haltend
7720Halt! er besinnt sich,
zaudert, steht;
7721Entgegnet ihm daß er euch nicht entgeht!
∞
Mephistopheles
∞
Mephistopheles
∞Empuse
∞
Mephistopheles
∞Lamien
∞
Mephistopheles
∞Lamien
7760Versuch’
es doch! sind unsrer Viele.
7761Greif zu! Und hast du Glück im Spiele,
7762Erhasche dir das beste Loos.
7763Was soll das lüsterne Geleyer?
7764Du bist ein miserabler Freyer,
7765Stolzirst einher und thust so groß! –
7766Nun mischt er sich in unsre Schaaren;
7767Laßt nach und nach die Masken fahren,
7768Und gebt ihm euer Wesen blos.
∞
Mephistopheles
7769Die schönste hab’ ich mir
erlesen . . . .
∞sie umfassend
7770O weh mir! welch ein dürrer
Besen!
∞eine andere ergreifend
7771Und diese? . . . .
Schmähliches Gesicht!
∞
Mephistopheles
7773Die Kleine möcht’ ich mir verpfänden . . . .
7774Lacerte schlüpft mir aus den Händen!
7775Und schlangenhaft der glatte Zopf.
7777Da pack’ ich eine
Thyrsusstange!
7778Den Pinienapfel als den Kopf.
7779Wo will’s hinaus? . . . . Noch eine Dicke,
7780An der ich mich vielleicht erquicke;
7781Zum letztenmal gewagt! Es sey!
7782Recht quammig, quappig, das bezahlen
7783Mit hohem Preis Orientalen . . . .
7784Doch ach! der Bovist platzt entzwey!
∞Lamien
7785Fahrt auseinander, schwankt und schwebet
7786Blitzartig, schwarzen Flugs
umgebet
7787Den eingedrungenen Hexensohn!
7788Unsichre schauderhafte Kreise!
7789Schweigsamen Fittigs, Fledermäuse!
7790Zu wohlfeil kommt er doch davon.
∞
Mephistopheles
∞
sich schüttlend
7791Viel klüger, scheint es,
bin ich nicht geworden;
7792Absurd ist’s hier, absurd im
Norden,
7793Gespenster hier wie dort vertrackt,
7794Volk und Poeten abgeschmackt.
7795Ist eben hier eine Mummenschanz
7796Wie überall ein Sinnentanz.
7797Ich griff nach holden Maskenzügen
7798Und faßte Wesen daß mich’s
schauerte . . . .
7799Ich möchte gerne mich betrügen,
7800Wenn es nur länger dauerte.
∞sich zwischen dem
Gestein verirrend
7801Wo bin ich denn? Wo will’s
hinaus?
7802Das war ein Pfad, nun ist’s ein
Graus.
7803Ich kam daher auf glatten Wegen,
7804Und jetzt steht mir Geröll entgegen.
7805Vergebens klettr’ ich auf und nieder,
7806Wo find ich meine Sphinxe wieder?
7807So toll hätt ich mirs nicht gedacht
7808Ein solch Gebirg in Einer Nacht.
7809Das heiß ich frischen Hexenritt!7809–7810 Hexenritt! bis mit. ] 2 H Hexenritt‸ bis mit‸ auf eingeklebtem Zettel 2 H
(VII)
7810Die bringen ihren Blocksberg mit.
∞Oreas
∞
vom Naturfels
7811Herauf hier! Mein Gebirg ist alt,
7812Steht in ursprünglicher Gestalt.
7813Verehre schroffe Felsensteige,
7814Des Pindus letztgedehnte Zweige.
7815Schon stand ich unerschüttert so,
7816Als über mich Pompejus floh.
7817Daneben, das Gebild des Wahns,
7818Verschwindet schon beym Krähn des Hahns.
7819Dergleichen Mährchen seh’ ich oft
entstehn
7820Und plötzlich wieder untergehn.
∞
Mephistopheles
7821Sey Ehre dir, ehrwürdiges
Haupt!
7822Von hoher Eichenkraft umlaubt;
7823Der allerklarste Mondenschein
7824Dringt nicht zur Finsterniß herein. –
7825Doch neben am Gebüsche zieht
7826Ein Licht das gar bescheiden glüht.
7827Wie sich das alles fügen muß!
7828Fürwahr! es ist Homunkulus.
7829Woher des Wegs, du Kleingeselle?
∞
Homunkulus
7830Ich schwebe so von Stell’ zu Stelle
7831Und möchte gern im besten Sinn entstehn,
7832Voll Ungeduld mein Glas entzwey zu schlagen;
7833Allein was ich bisher gesehn
7834Hinein da möcht’ ich mich nicht wagen.
7835Nur, um dirs im Vertraun zu
sagen:
7836Zwey Philosophen bin ich auf der Spur,
7837Ich horchte zu, es hieß: Natur! Natur!
7838Von diesen will ich mich nicht trennen,
7839Sie müssen doch das irdische Wesen kennen;
7840Und ich erfahre wohl am Ende
7841Wohin ich mich am allerklügsten wende.
∞
Mephistopheles
7842Das thu’ auf deine eigne
Hand.
7843Denn, wo Gespenster Platz
genommen,
7844Ist auch der Philosoph willkommen.
7845Damit man seiner Kunst und Gunst sich freue,
7846Erschafft er gleich ein Dutzend neue.
7847Wenn du nicht irrst, kommst du
nicht zu Verstand!
7848Willst du entstehn, entsteh’ auf
eigne Hand!
∞trennen sich
∞Anaxagoras
∞zu Thales
7851Dein starrer Sinn will sich nicht beugen,
7852Bedarf es weit’res dich zu
überzeugen?
∞Thales
7853Die Welle beugt sich jedem Winde gern,
7854Doch hält sie sich vom schroffen Felsen fern.
∞
Homunkulus
∞zwischen beiden
7857Laßt mich an eurer Seite gehn,
7858Mir selbst gelüstet’s zu
entstehn!
∞
Anaxagoras
7859Hast du, o Thales, je, in Einer Nacht,
7860Solch einen Berg aus Schlamm hervorgebracht?
∞Thales
7861Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen
7862Auf Tag und Nacht und Stunden angewiesen;
7863Sie bildet regelnd jegliche Gestalt,
7864Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.
∞
Anaxagoras
7865Hier aber war’s! Plutonisch grimmig Feuer,
7866Äolischer Dünste Knallkraft ungeheuer,
7867Durchbrach des flachen Bodens alte Kruste
7868Daß neu ein Berg sogleich entstehen mußte.
∞Thales
7869Was wird dadurch nun weiter fortgesetzt?
7870Er ist auch da, und das ist gut zuletzt.
7871Mit solchem Streit verliert man Zeit und
Weile
7872Und führt doch nur geduldig Volk am Seile.
∞
Anaxagoras
7873Schnell quillt der Berg von Myrmidonen,
7874Die Felsenspalten zu bewohnen,
7875Pygmäen, Imsen, Däumerlinge,
7876Und andre thätig kleine Dinge.
7877Nie hast du Großem nachgestrebt,
7878Einsiedlerisch-beschränkt gelebt;
7879Kannst du zur Herrschaft dich gewöhnen,
7880So laß ich dich als König krönen.
∞Thales
7881
Will’s nicht rathen;
7882Mit Kleinen thut man kleine Thaten,
7883Mit Großen wird der Kleine groß.
7884Sieh hin! die schwarze Kranich-Wolke!
7885Sie droht dem aufgeregten Volke
7886Und würde so dem König drohn.
7887Mit scharfen Schnäbeln, krallen Beinen,
7888Sie stechen nieder auf die Kleinen;
7889Verhängniß wetterleuchtet schon.
7890Ein Frevel tödtete die Reiher,
7891Umstellend ruhigen Friedensweiher.
7892Doch jener Mordgeschosse Regen,
7893Schafft grausam-blut’gen
Rache-Segen,
7894Erregt der Nahverwandten Wuth,
7895Nach der Pygmäen frevlem Blut.
7896Was nützt nun Schild und Helm und Speer?
7897Was hilft der Reiherstrahl den Zwergen?
7898Wie sich Dacktyl und Imse bergen,
7899Schon wankt, es flieht, es stürzt das Heer.
∞
Anaxagoras
∞nach einer Pause
feyerlich
7900Konnt’ ich bisher die
Unterirdischen loben,
7901So wend’ ich mich in diesem
Fall nach oben . . .
7902Du! droben ewig unveraltete,
7903Dreynamig-Dreygestaltete,
7904Dich ruf’ ich an bey meines
Volkes Weh,
7905Diana, Luna, Hekate!
7906Du Brust-erweiternde, im
Tiefsten-sinnige,
7907Du ruhig-scheinende, gewaltsam-innige,
7908Eröffne deiner Schatten
grausen Schlund,
7909Die alte Macht sey ohne Zauber kund!
∞Pause
7910Bin ich zu schnell erhört!
7911Hat mein Flehn
7912Nach jenen Höhn
7913Die Ordnung der Natur gestört?
7914Und größer, immer größer nahet
schon
7915Der Göttin rundumschriebner Thron,
7916Dem Auge furchtbar,
ungeheuer.
7917Ins Düstre röthet sich sein Feuer . . .
7918Nicht näher! drohend-mächtige
Runde,
7919Du richtest uns und Land und Meer zu Grunde!
7920So wär’ es wahr daß dich
Thessalische Frauen,
7921In frevlend magischem Vertrauen,
7922Von deinem Pfad herabgesungen?
7923Verderblichstes dir abgerungen? . . .
7924Das lichte Schild hat sich umdunkelt,
7925Auf einmal reißt’s und blitzt
und funkelt,
7926Welch ein Geprassel! Welch ein Zischen!
7927Ein Donnern, Windgethüm dazwischen! –
7928Demüthig zu des Thrones Stufen! –
7929Verzeiht! Ich hab’ es
hergerufen.
∞Wirft sich aufs Angesicht
∞Thales
7930Was dieser Mann nicht alles hört’
und sah!
7931Ich weiß nicht recht wie uns geschah;
7932Auch hab’ ich’s nicht mit ihm
empfunden.
7933Gestehen wir, es sind verrückte Stunden,
7934Und Luna wiegt sich ganz bequem
7935An ihrem Platz so wie vordem.
∞
Homunkulus
7936Schaut hin nach der Pygmäen Sitz,
7937Der Berg war rund, jetzt ist er
spitz.
7938Ich spürt’ ein ungeheures
Prallen,
7939Der Fels war aus dem Mond gefallen,
7940Gleich hat er, ohne nachzufragen,
7941So Freund als Feind gequetscht, erschlagen.
7942Doch muß ich solche Künste loben,
7943Die schöpferisch, in einer Nacht,
7944Zugleich von unten und von oben,
7945Dies Berggebäu zu Stand gebracht.
∞Thales
7946Sey ruhig! Es war nur gedacht.
7947Sie fahre hin die garstige Brut!
7948Daß du nicht König warst ist gut.
7949Nun fort zum heitern Meeresfeste,
7950Dort hofft und ehrt man Wundergäste.
∞
entfernen sich
∞
Mephistopheles
∞
An der Gegenseite kletternd
7951Da muß ich mich durch steile Felsentreppen,
7952Durch alter Eichen starre Wurzeln schleppen!
7953Auf meinem Harz der harzige Dunst
7954Hat was vom Pech und das hat meine Gunst;
7955Zunächst der Schwefel . . . . Hier, bey diesen Griechen
7956Ist von dergleichen kaum die Spur zu riechen;
7957Neugierig aber wär’ ich, nachzuspüren
7958Womit sie Höllenqual und Flamme schüren.
∞Dryas
7959In deinem Lande sey einheimisch klug,
7960Im fremden bist du nicht gewandt genug.
7961Du solltest nicht den Sinn zur Heimath kehren,
7962Der heiligen Eichen Würde hier verehren.
∞
Mephistopheles
7963Man denkt an das was man verließ,
7964Was man gewohnt war bleibt ein Paradies.
7965Doch sagt: was in der Höhle dort,
7966Bey schwachem Licht, sich dreyfach hingekauert?
∞
Mephistopheles
7969Warum denn nicht! – Ich sehe was, und staune.
7970So stolz ich bin, muß ich mir
selbst gestehn:
7971Dergleichen hab’ ich nie gesehn,
7972Die sind ja schlimmer als Alraune . . . .
7973Wird man die urverworfnen Sünden
7974Im mindesten noch häßlich finden,
7975Wenn man dies Dreygethüm erblickt?
7976Wir litten sie nicht auf den Schwellen
7977Der grauenvollsten unsrer Höllen.
7978Hier wurzelt’s in der Schönheit
Land,
7979Das wird mit Ruhm antik genannt . . . .
7980Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren,
7981Sie zwitschern pfeifend,
Fledermaus-Vampyren.
∞
Mephistopheles
7984Verehrteste! Erlaubt mir euch zu nahen
7985Und euren Seegen dreyfach zu empfahen.
7986Ich trete vor, zwar noch als Unbekannter
7987Doch, irr’ ich nicht, weitläufiger Verwandter.
7988Altwürdige Götter hab’ ich schon erblickt,
7989Vor Ops und Rhea tiefstens mich gebückt,
7990Die Parzen selbst, des Chaos, Eure Schwestern,
7991Ich sah sie gestern – oder ehegestern;
7992Doch eures Gleichen hab’ ich nie erblickt,
7993Ich schweige nun und fühle mich entzückt.
∞
Mephistopheles
7995Nur wundert’s mich daß euch kein Dichter preist.
7996Und sagt! wie kam’s, wie konnte das geschehn?
7997Im Bilde hab’ ich nie euch Würdigste gesehn;
7998Versuch’s der Meißel doch euch zu erreichen,
7999Nicht Juno, Pallas, Venus und dergleichen.
∞
Phorkyaden
8000Versenkt in Einsamkeit und stillste Nacht
8001Hat unser Drey noch nie daran gedacht!
∞
Mephistopheles
8002Wie sollt’ es auch? da ihr der
Welt entrückt,
8003Hier niemand seht und niemand euch erblickt.
8004Da müßtet ihr an solchen Orten wohnen
8005Wo Pracht und Kunst auf gleichem Sitze thronen,
8006Wo jeden Tag, behend, im Doppelschritt,
8007Ein Marmorblock als Held ins Leben tritt.
8008Wo –
∞
Phorkyaden
8008Schweige still und gieb uns kein
Gelüsten!
8009Was hülf’ es uns und wenn wir’s besser wüßten?
8010In Nacht geboren, Nächtlichem verwandt,
8011Beynah uns selbst, ganz allen unbekannt.
∞
Mephistopheles
8012In solchem Fall hat es nicht viel zu sagen,
8013Man kann sich selbst auch andern übertragen.
8014Euch Dreyen g’nügt Ein Auge, g’nügt Ein
Zahn,
8015Da ging’ es wohl auch
mythologisch an
8016In zwey die Wesenheit der drey zu fassen,
8017Der dritten Bildniß mir zu überlassen,
8018Auf kurze Zeit.
∞
Mephistopheles
8020Nun habt ihr grad das Beste weggenommen;
8021Wie würde da das strengste Bild vollkommen?
∞Eine
8022Drück du ein Auge zu, ’s ist leicht geschehn,
8023Laß alsofort den Einen Raffzahn sehn,
8024Und, im Profil, wirst du sogleich erreichen
8025Geschwisterlich vollkommen uns zu gleichen.
∞
Phorkyaden
8030Im neuen Drey der Schwestern welche Schöne!
8031Wir haben zwey der Augen, zwey
der Zähne.
∞
Mephistopheles
8032Vor aller Augen muß ich mich verstecken,
8033Im Höllenpfuhl die Teufel zu erschrecken.
∞
ab
∞
∞Felsbuchten des Ägäischen Meers
∞Mond im Zenith verharrend
∞Sirenen
∞auf den Klippen umher
gelagert, flötend und
singend
8034Haben sonst bey nächtigem Grauen
8035Dich thessalische Zauberfrauen
8036Frevelhaft herabgezogen,
8037Blicke ruhig von dem Bogen
8038Deiner Nacht auf Zitterwogen
8039Mildeblitzend Glanzgewimmel,
8040Und erleuchte das Getümmel
8041Das sich aus den Wogen hebt.
8042Dir zu jedem Dienst erbötig,
8043Schöne Luna, sey uns
gnädig!
∞
als Meerwunder
∞Sirenen
∞entfernen sich
∞Sirenen
∞Thales
∞
am Ufer zu Homunkulus
8082Ich führte dich zum alten Nereus gern;
8083Zwar sind wir nicht von seiner Höhle fern,
8084Doch hat er einen harten Kopf,
8085Der widerwärtige Sauertopf.
8086Das ganze menschliche Geschlecht
8087Macht’s ihm, dem Griesgram, nimmer recht.
8088Doch ist die Zukunft ihm entdeckt,
8089Dafür hat jedermann Respect,
8090Und ehret ihn auf seinem Posten;
8091Auch hat er manchem wohlgethan.
∞Nereus
8094Sind’s Menschenstimmen die mein
Ohr vernimmt?
8095Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt!
8096Gebilde, strebsam Götter zu erreichen,
8097Und doch verdammt sich immer selbst zu gleichen.
8098Seit alten Jahren konnt’ ich göttlich ruhn,
8099Doch trieb mich’s an den Besten
wohlzuthun;
8100Und schaut’ ich dann zuletzt vollbrachte
Thaten,
8101So war es ganz als hätt’ ich
nicht gerathen.
∞Thales
8102Und doch, o Greis des Meers, vertraut man dir,
8103Du bist der Weise, treib’ uns
nicht von hier!
8104Schau diese Flamme, menschenähnlich zwar,
8105Sie deinem Rath ergiebt sich ganz und gar.
∞Nereus
8106Was Rath! Hat Rath bey Menschen je gegolten?
8107Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr.
8108So oft auch That sich grimmig selbst gescholten,
8109Bleibt doch das Volk selbstwillig wie zuvor.
8110Wie hab’ ich Paris väterlich gewarnt,
8111Eh’ sein Gelüst ein fremdes Weib
umgarnt.
8112Am griechischen Ufer stand er kühnlich da,
8113Ihm kündet ich was ich im Geiste sah:
8114Die Lüfte qualmend, überströmend Roth,
8115Gebälke glühend, unten Mord und Tod:
8116Troja’s Gerichtstag, rhythmisch festgebannt,
8117Jahrtausenden so schrecklich als gekannt.
8118Des Alten Wort dem Frechen schien’s ein Spiel,
8119Er folgte seiner Lust und Ilion fiel –
8120Ein Riesenleichnam, starr nach langer Quaal,
8121Des Pindus Adlern gar willkommnes Mahl.
8122Ulyssen auch! sagt’ ich ihm nicht
voraus
8123Der Circe Listen, des Cyclopen Graus?
8124Das Zaudern sein, der Seinen leichten Sinn,
8125Und was nicht alles! bracht ihm das Gewinn?
8126Bis vielgeschaukelt ihn, doch spät genug,
8127Der Woge Gunst an gastlich Ufer trug.
∞Thales
8128Dem weisen Mann giebt solch Betragen Quaal,
8129Der gute doch versucht es noch einmal.
8130Ein Quentchen Danks wird, hoch ihn zu vergnügen,
8131Die Centner Undanks völlig überwiegen.
8132Denn nichts Geringes haben wir zu flehn:
8133Der Knabe da wünscht weislich zu entstehn.
∞Nereus
8134Verderbt mir nicht den seltensten Humor!
8135Ganz andres steht mir heute noch bevor.
8136Die Töchter hab’ ich alle herbeschieden,
8137Die Grazien des Meeres, die Doriden.
8138Nicht der Olymp, nicht euer Boden trägt
8139Ein schön Gebild das sich so zierlich regt.
8140Sie werfen sich, anmuthigster Gebärde,
8141Vom Wasserdrachen auf Neptunus Pferde,
8142Dem Element aufs zarteste vereint,
8143Daß selbst der Schaum sie noch zu heben scheint.
∞entfernt sich gegen das Meer
∞Thales
8154Wir haben nichts durch diesen Schritt gewonnen,
8155Trifft man auch Proteus, gleich ist er zerronnen;
8156Und steht er euch, so sagt er nur zuletzt
8157Was Staunen macht und in Verwirrung setzt.
8158Du bist einmal bedürftig solchen Raths,
8159Versuchen wirs und wandlen unsres Pfads!
∞entfernen sich
∞
Sirenen
∞
Sirenen
∞
Sirenen
∞
Sirenen
∞
Sirenen
8212Die Helden des Alterthums
8213Ermangeln des Ruhms,
8214Wo und wie er auch prangt;
8215Wenn sie das goldne Vließ erlangt,
8216Ihr die Kabiren.
∞wiederholt als Allgesang
∞
Homunkulus
8219Die Ungestalten seh ich an
8220Als irden-schlechte Töpfe,
8221Nun stoßen sich die Weisen dran
8222Und brechen harte Köpfe.
∞Thales
8228Den alten Scherz verzeih’ ich
dir;
8229Doch, einem Freund nicht eitle Worte!
8230Ich weiß du sprichst vom falschen Orte.
∞Thales
∞leise zu
Homunkulus
8231Er ist ganz nah. Nun leuchte frisch,
8232Er ist neugierig wie ein Fisch;
8233Und wo er auch gestaltet stockt,
8234Durch Flammen wird er hergelockt.
∞
Homunkulus
8235Ergieß’ ich gleich des Lichtes
Menge,
8236Bescheiden doch, daß ich das Glas nicht sprenge.
∞Thales
∞den Homunkulus
verhüllend
8238Gut! Wenn du Lust hast kannst dus näher sehn.
8239Die kleine Mühe laß dich nicht verdrießen,
8240Und zeige dich auf menschlich beiden Füßen.
8241Mit unsern Gunsten seys, mit unserm Willen!
8242Wer schauen will was wir verhüllen.
∞hat den Homunkulus enthüllt
∞Thales
8246Es fragt um Rath, und möchte gern entstehn.
8247Er ist, wie ich von ihm vernommen,
8248Gar wundersam nur halb zur Welt gekommen.
8249Ihm fehlt es nicht an geistigen Eigenschaften,
8250Doch gar zu sehr am greiflich Tüchtighaften.
8251Bis jetzt giebt ihm das Glas allein Gewicht,
8252Doch wär’
er gern zunächst verkörperlicht.
∞Thales
∞leise
8255Auch scheint es mir von andrer Seite kritisch,
8256Er ist, mich dünkt, hermaphroditisch.
∞Proteus
8257Da muß es desto eher glücken,
8258So wie er anlangt wird sichs schicken.
8259Doch gilt es hier nicht viel Besinnen,
8260Im weiten Meere mußt du anbeginnen!
8261Da fängt man erst im Kleinen an
8262Und freut sich Kleinste zu verschlingen,
8263Man wächst so nach und nach heran,
8264Und bildet sich zu höherem Vollbringen.
∞
∞Chor
8275Wir haben den Dreyzack Neptunen geschmiedet
8276Womit er die regesten Wellen begütet.
8277Entfaltet der Donnrer die Wolken die vollen,
8278Entgegnet Neptunus dem gräulichen Rollen;
8279Und wie auch von oben es zackig erblitzt,
8280Wird Woge nach Woge von unten gespritzt;
8281Und was auch dazwischen in Ängsten gerungen
8282Wird, lange geschleudert, vom Tiefsten verschlungen;
8283Weshalb er uns heute den Scepter gereicht,
8284Nun schweben wir festlich,
beruhigt und leicht.
∞Sirenen
∞Telchinen
8289Alllieblichste Göttin am Bogen da droben
8290Du hörst mit Entzücken den Bruder beloben.
8291Der seligen Rhodus verleihst du ein Ohr,
8292Dort steigt ihm ein ewiger Päan hervor.
8293Beginnt er den Tagslauf und ist es gethan,
8294Er blickt uns mit feurigem Strahlenblick an.
8295Die Berge, die Städte, die Ufer, die Welle,
8296Gefallen dem Gotte, sind lieblich und helle.
8297Kein Nebel umschwebt uns, und schleicht er sich ein,
8298Ein Strahl und ein Lüftchen, die Insel ist rein! 8298 Lüftchen, die ] 2 II H.74 Lüftchen und die 2 H
(II aa)
8299Da schaut sich der Hohe in hundert Gebilden,
8300Als Jüngling, als Riesen, den großen, den milden.
8301Wir ersten wir waren’s, die
Göttergewalt
8302Aufstellten in würdiger Menschengestalt.
∞Proteus
8303Laß du sie singen, laß sie
prahlen!
8304Der Sonne heiligen Lebestrahlen
8305Sind todte Werke nur ein
Spaß.
8306Das bildet, schmelzend, unverdrossen;
8307Und haben sie’s in Erz gegossen
8308Dann denken sie es wäre was.
8309Was ist’s zuletzt mit diesen Stolzen?
8310Die Götterbilder standen groß, –
8311Zerstörte sie ein Erdestoß;
8312Längst sind sie wieder eingeschmolzen.
8313Das Erdetreiben, wie’s auch
sey,
8314Ist immer doch nur Plackerey;
8315Dem Leben frommt die Welle besser;
8316Dich trägt ins ewige Gewässer
8317Proteus-Delphin.
∞er verwandelt sich.
8317Schon
ists gethan!
8318Da soll es dir zum schönsten glücken,
8319Ich nehme dich auf meinen Rücken
8320Vermähle dich dem Ocean.
∞Thales
8321Gieb nach dem löblichen Verlangen
8322Von vorn die Schöpfung anzufangen,
8323Zu raschem Wirken sey bereit!
8324Da regst du dich nach ewigen Normen,
8325Durch tausend abertausend Formen,
8326Und bis zum Menschen hast du Zeit.
∞
Homunkulus besteigt den Proteus-Delphin
∞Proteus
8327Komm geistig mit in feuchte Weite,
8328Da lebst du gleich in Läng’ und
Breite,
8329Beliebig regest du dich hier;
8330Nur strebe nicht nach höheren Orden,
8332Dann ist es völlig aus mit dir.
∞Proteus
∞zu Thales
8335So einer wohl von deinem Schlag!
8336Das hält noch eine Weile nach;
8337Denn unter bleichen Geisterschaaren
8338Seh’ ich dich schon seit vielen hundert
Jahren.
∞Nereus
∞zu Thales tretend
8347Nennte wohl ein nächtiger Wanderer
8348Diesen Mondhof Lufterscheinung;
8349Doch wir Geister sind ganz anderer
8350Und der einzig richtigen Meynung.
8351Tauben sind es, die begleiten
8353Wunderflugs besondrer Art,
8354Angelernt vor alten Zeiten.
∞Thales
8355Auch ich halte das fürs Beste
8356Was dem wackern Mann gefällt,
8357Wenn im stillen warmen Neste
8358Sich ein Heiliges lebend hält.
∞auf Meerstieren, Meerkälbern und Widdern
8359In Cyperns rauhen Höhle-Grüften,
8360Vom Meergott nicht verschüttet,
8361Vom Seismos nicht zerrüttet,
8362Umweht von ewigen Lüften,
8363Und, wie in den ältesten Tagen,
8364In still-bewußtem Behagen,
8365Bewahren wir Cypriens Wagen,
8366Und führen, beym Säuseln der Nächte,
8367Durch liebliches Wellengeflechte,
8368Unsichtbar dem neuen Geschlechte,
8369Die lieblichste Tochter heran.
8370Wir leise Geschäftigen scheuen
8371Weder Adler noch geflügelten Leuen,
8372Weder Kreuz noch Mond,
8373Wie es oben wohnt und trohnt,
8374Sich wechselnd wägt und regt,8374 wägt und regt ] 2 H regt 2 II H.71
regt und wagt G 2 II H.69
wägt und trägt (Hörfehler) : wägt und regt
G 2 II H.70
(VII)
8375Sich vertreibt und todtschlägt,
8376
Saaten und Städte niederlegt.
8377Wir, so fortan,
8378Bringen die lieblichste Herrin heran.
∞Sirenen
8379Leicht bewegt, in mäßiger Eile,
8380Um den Wagen, Kreis um Kreis,
8381Bald verschlungen Zeil’ an
Zeile
8382Schlangenartig reihenweis,
8383Naht euch rüstige Nereiden,
8384Derbe Frau’n, gefällig wild,
8385Bringet, zärtliche
Doriden,
8386Galatee der Mutter Bild:
8387Ernst, den Göttern gleich
zu schauen,
8388Würdiger Unsterblichkeit,
8389Doch wie holde Menschenfrauen
8390Lockender Anmuthigkeit.
∞Doriden
8391Leih uns Luna Licht und Schatten,
8392Klarheit diesem Jugendflor;
8393Denn wir zeigen liebe Gatten
8394Unserm Vater bittend vor.
∞zu Nereus
8395Knaben sinds die wir gerettet,
8396Aus der Brandung
grimmem Zahn,
8397Sie, auf Schilf und Moos gebettet,
8398Aufgewärmt zum Licht heran,
8399Die es nun mit heißen Küssen
8400Treulich uns verdanken müssen;
8401Schau’ die Holden günstig an!
∞Doriden
∞Nereus
8408Mög’t euch des schönen Fanges freuen,
8409Den Jüngling bildet euch als Mann;
8410Allein ich könnte nicht verleihen
8411Was Zeus allein gewähren kann.
8412Die Welle, die euch wogt und schaukelt,
8413Läßt auch der Liebe nicht Bestand,
8414Und hat die Neigung ausgegaukelt
8415So setzt gemächlich sie ans Land.
∞Doriden
∞Die Jünglinge
∞Galatee auf dem Muschelwagen nähert sich
∞Nereus
8426Vorüber schon, sie ziehen vorüber
8427In kreisenden Schwunges Bewegung;
8428Was kümmert sie die innre herzliche Regung!
8429Ach! nähmen sie mich mit hinüber!
8430Doch ein einziger Blick ergötzt
8431Daß er das ganze Jahr ersetzt.
∞Thales
8432Heil! Heil! aufs neue!
8433Wie ich mich blühend freue,
8434Vom Schönen, Wahren durchdrungen . . .
8435Alles ist aus dem Wasser entsprungen!!
8436Alles wird durch das Wasser erhalten!
8437Ocean gönn’ uns dein ewiges Walten.
8438Wenn du nicht Wolken sendetest,
8439Nicht reiche Bäche spendetest,
8440Hin und her nicht Flüsse wendetest,
8441Die Ströme nicht vollendetest;
8442Was wären Gebirge, was Ebnen und Welt?
8443Du bist’s der das frischeste Leben erhält.
∞Nereus
8445Sie kehren schwankend fern zurück,
8446Bringen nicht mehr Blick zu Blick;
8447In gedehnten Kettenkreisen
8448Sich festgemäß zu erweisen,
8449Windet sich die unzählige Schaar.
8450Aber Galatees Muschelthron8450 Galatees ] 2 H Galatee’ns vorschl Ri verw zS Galateas zS 2 H
(VII)
8451Seh’ ich schon und aber
schon.
8452Er glänzt wie ein Stern
8453Durch die Menge;
8454Geliebtes leuchtet durch’s
Gedränge,
8455Auch noch so fern
8456Schimmert’s hell und klar,
8457Immer nah und wahr.
∞
Homunkulus
∞Nereus
8464Welch neues Geheimniß in Mitte der Schaaren
8465Will unseren Augen sich offengebahren?
8466Was flammt um die Muschel um Galatees Füße?
8467Bald lodert es mächtig, bald lieblich und süße,8467 und ] 2 II H.73 und G 2 II H.72 2 II H.73
bald 2 H
(II aa)
8468Als wär’ es von Pulsen der Liebe gerührt?
∞Thales
8469Homunkulus ist es, von Proteus verführt . . .
8470Es sind die Symptome des herrischen Sehnens,
8471Mir ahnet das Ächzen beängsteten Dröhnens;
8472Er wird sich zerschellen am glänzenden Thron;
8473Jetzt flammt es, nun blitzt es, ergießet sich schon.
∞Sirenen
8474Welch feuriges Wunder verklärt uns die Wellen,
8475Die gegen einander sich funkelnd zerschellen?
8476So leuchtet’s und schwanket
und hellet hinan:
8477Die Körper sie glühen auf nächtlicher Bahn,
8478Und ringsum ist alles vom Feuer umronnen; 8478 ringsum ] 2 II H.73 rings um G 2 II H.69
ringsum 2 II H.73
rings 2 H
(II aa)
8479So herrsche denn Eros der alles begonnen!
∞
∞
Dritter Act
∞
∞Vor dem Pallaste des Menelas zu Sparta
∞Helena
8488Bewundert viel und viel gescholten Helena
8489Vom Strande komm’ ich wo wir erst gelandet sind,
8490Noch immer trunken von des Gewoges regsamem
8491Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns her
8492Auf sträubig-hohem Rücken, durch Poseidons Gunst
8493Und Euros Kraft in vaterländische Buchten trug.
8494Dort unten freuet nun der König Menelas
8495Der Rückkehr sammt den tapfersten seiner Krieger sich.
8496Du aber heiße mich willkommen, hohes Haus,
8497Das Tyndareos, mein Vater, nah dem Hange sich
8498Von Pallas Hügel wiederkehrend aufgebaut,
8499Und als ich hier mit Klytämnestren schwesterlich,
8500Mit Castor auch und Pollux fröhlich spielend wuchs,
8501Vor allen Häusern Spartas, herrlich ausgeschmückt.
8502Gegrüßet seyd mir der eh’rnen Pforte Flügel ihr,
8503Durch euer gastlich ladendes Weiteröffnen einst
8504Geschah’s daß mir, erwählt aus vielen, Menelas
8505In Bräutigams-Gestalt entgegen leuchtete.
8506Eröffnet mir sie wieder, daß ich ein Eilgebot8506 Eröffnet ] C.1 4
Eröffnet : Eröffenet
Ri 2 III H.3
Eröffenet 2 III H.3a:1
Eröffnet 2 H
(II b*)
8507Des Königs treu erfülle, wie der Gattin ziemt.
8508Laßt mich hinein! und alles bleibe hinter mir,
8509Was mich umstürmte bis hieher, verhängnißvoll.
8510Denn seit ich diese Schwelle sorgenlos verließ,8510 Schwelle ] 2 III H.2:1 Stelle 2 III H.3 2 III H.3a:1 2 H C.1 4
(II b)
8511Cytherens Tempel besuchend, heiliger Pflicht gemäß,
8512Mich aber dort ein Räuber griff, der phrygische,
8513Ist viel geschehen, was die Menschen weit und breit
8514So gern erzählen, aber der nicht gerne hört
8515Von dem die Sage wachsend sich zum Mährchen spann.
∞Chor
8516Verschmähe nicht, o herrliche Frau,
8517Des höchsten Gutes Ehrenbesitz!
8518Denn das größte Glück ist dir einzig beschert,
8519Der Schönheit Ruhm der vor allen sich hebt.
8520Dem Helden tönt sein Name voran,
8521Drum schreitet er stolz,
8522Doch beugt sogleich hartnäckigster Mann
8523Vor der allbezwingenden Schöne den Sinn.
∞Helena
8524Genug! mit meinem Gatten bin ich hergeschifft
8525Und nun von ihm zu seiner Stadt vorausgesandt;
8526Doch welchen Sinn er hegen mag errath’ ich nicht.
8527Komm’ ich als Gattin? komm’ ich eine Königin?
8528Komm’ ich ein Opfer für des Fürsten bittern Schmerz
8529Und für der Griechen lang’erduldetes Mißgeschick?
8530Erobert bin ich, ob gefangen weiß ich nicht!
8531Denn Ruf und Schicksal bestimmten fürwahr die Unsterblichen
8532Zweydeutig mir, der Schöngestalt bedenkliche
8533Begleiter, die an dieser Schwelle mir sogar
8534Mit düster drohender Gegenwart zur Seite stehn.
8535Denn schon im hohlen Schiffe blickte mich der Gemahl
8536Nur selten an, auch sprach er kein erquicklich Wort.
8537Als wenn er Unheil sänne saß er gegen mir.
8538Nun aber, als des Eurotas tiefem Buchtgestad
8539Hinangefahren der vordern Schiffe Schnäbel kaum
8540Das Land begrüßten, sprach er, wie vom Gott bewegt:
8541Hier steigen meine Krieger, nach der Ordnung, aus,
8542Ich mustere sie am Strand des Meeres hingereiht,8542 mustere ] 2 III H.3a:1
mustre : mustere
Ri G 2 III H.3
mustere 2 III H.3a:1
mustre 2 H C.1 4
(II b)
8543Du aber ziehe weiter, ziehe des heiligen
8544Eurotas fruchtbegabtem Ufer immer auf,
8545Die Rosse lenkend auf der feuchten Wiese Schmuck,
8546Bis daß zur schönen Ebene du gelangen magst,
8547Wo Lakedämon einst ein fruchtbar weites Feld,
8548Von ernsten Bergen nah umgeben, angebaut.
8549Betrete dann das hochgethürmte Fürstenhaus
8550Und mustere mir die Mägde, die ich dort zurück
8551Gelassen, sammt der klugen alten Schaffnerin.
8552Die zeige dir der Schätze reiche Sammlung vor,
8553Wie sie dein Vater hinterließ und die ich selbst
8554In Krieg und Frieden, stets vermehrend, aufgehäuft.
8555Du findest alles nach der Ordnung stehen: denn
8556Das ist des Fürsten Vorrecht daß er alles treu
8557In seinem Hause, wiederkehrend, finde, noch
8558An seinem Platze jedes wie er’s dort verließ.
8559Denn nichts zu ändern hat für sich der Knecht Gewalt.
∞Chor
8560Erquicke nun am herrlichen Schatz,
8561Dem stets vermehrten, Augen und Brust;
8562Denn der Kette Zier, der Krone Geschmuck
8563Da ruhn sie stolz und sie dünken sich was;
8564Doch tritt nur ein und fordre sie auf,
8565Sie rüsten sich schnell.
8566Mich freuet zu sehn Schönheit in dem Kampf
8567Gegen Gold und Perlen und Edelgestein.
∞Helena
8568Sodann erfolgte des Herren ferneres Herrscherwort:
8569Wenn du nun alles nach der Ordnung durchgesehn,
8570Dann nimm so manchen Dreyfuß als du nöthig glaubst
8571Und mancherlei Gefäße die der Opfrer sich
8572Zur Hand verlangt, vollziehend heiligen Festgebrauch.
8573Die Kessel, auch die Schalen, wie das flache Rund,
8575In hohen Krügen, ferner auch das trockne Holz,
8576Der Flammen schnell empfänglich, halte da bereit,
8577Ein wohlgeschliffnes Messer fehle nicht zuletzt;
8578Doch alles andre geb’ ich deiner Sorge heim.8578 heim ] 2 III H.2:1 hin 2 III H.3 2 III H.3a:1 2 H C.1 4
(II b)
8579So sprach er, mich zum Scheiden drängend; aber nichts
8580Lebendigen Athems zeichnet mir der Ordnende
8581Das er, die Olympier zu verehren, schlachten will.
8582Bedenklich ist es, doch ich sorge weiter nicht
8583Und alles bleibe hohen Göttern heimgestellt,
8584Die das vollenden, was in ihrem Sinn sie däucht,
8585Es möge gut von Menschen, oder möge bös
8586Geachtet seyn, die Sterblichen wir ertragen das.
8587Schon manchmal hob das schwere Beil der Opfernde
8588Zu des erdgebeugten Thieres Nacken weihend auf,
8589Und konnt’ es nicht vollbringen, denn ihn hinderte
8590Des nahen Feindes oder Gottes Zwischenkunft.
∞Chor
8591Was geschehen werde sinnst du nicht aus,
8592Königin schreite dahin
8593Guten Muths.
8594Gutes und Böses kommt
8595Unerwartet dem Menschen;
8596Auch verkündet glauben wir’s nicht.
8597Brannte doch Troja, sahen wir doch
8598Tod vor Augen, schmählichen Tod;
8599Und sind wir nicht hier
8600Dir gesellt, dienstbar freudig,
8601Schauen des Himmels blendende Sonne
8602Und das schönste der Erde
8603Huldvoll, dich, uns Glücklichen.
∞Helena
8604Sey’s wie es sey! Was auch bevorsteht, mir geziemt
8605Hinaufzusteigen ungesäumt in das Königshaus,
8606Das lang entbehrt, und viel ersehnt, und fast
verscherzt,
8607Mir abermals vor Augen steht, ich weiß nicht wie.
8608Die Füße tragen mich so muthig nicht empor
8609Die hohen Stufen die ich kindisch übersprang.
∞Chor
8610Werfet o Schwestern, ihr
8611Traurig gefangenen,
8612Alle Schmerzen ins Weite;
8613Theilet der Herrin Glück,
8614Theilet Helenens Glück,
8615Welche zu Vaterhauses Herd,
8616Zwar mit spätzurückkehrendem
8617Aber mit desto festerem
8618Fuße freudig herannaht.
∞Panthalis
∞als Chorführerin
8638Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad
8639Und wendet nach der Thüre Flügeln euren Blick.
8640Was seh’ ich, Schwestern? Kehret nicht die Königin,
8641Mit heftigen Schrittes Regung, wieder zu uns her?
8642Was ist es, große Königin, was konnte dir
8643In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruß,
8644Erschütterendes begegnen? Du verbirgst es nicht;
8646Ein edles Zürnen das mit Überraschung kämpft.
∞Helena
∞welche die Thürflügel
offen gelassen hat, bewegt
8647Der Tochter Zeus geziemet nicht gemeine Furcht
8648Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie nicht;
8649Doch das Entsetzen, das dem Schoos der alten Nacht,
8650Von Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch8650 Von ] 2 III H.2:1 Vom 2 III H.3a:1 2 H C.1 4
(II b)
8651Wie glühende Wolken, aus des Berges Feuerschlund,
8652Herauf sich wälzt erschüttert auch des Helden Brust.
8653So haben heute grauenvoll die Stygischen
8654In’s Haus den Eintritt mir bezeichnet, daß ich gern
8655Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich,
8656Entlaßnem Gaste gleich, entfernend scheiden mag.8656 Entlaßnem ] C.1 4 Entlass’nem C.2α 4 C.3 4
(IV a)
8657Doch nein! gewichen bin ich her an’s Licht, und sollt
8658Ihr weiter nicht mich treiben, Mächte, wer ihr seyd.
8659Auf Weihe will ich sinnen, dann gereinigt mag
8660Des Herdes Gluth die Frau begrüßen wie den Herrn.
∞Chorführerin
8661Entdecke deinen Dienerinnen, edle Frau,
8662Die dir verehrend beistehn, was begegnet ist.
∞Helena
8663Was ich gesehen sollt ihr selbst mit Augen sehn,
8664Wenn ihr Gebilde nicht die alte Nacht sogleich
8665Zurück geschlungen in ihrer Tiefe Wunderschoos.
8666Doch daß ihr’s wisset, sag’ ich’s euch mit Worten an:
8667Als ich des Königs-Hauses ernsten Binnenraum,
8668Der nächsten Pflicht gedenkend, feyerlich betrat,
8669Erstaunt’ ich ob der öden Gänge Schweigsamkeit.
8670Nicht Schall der emsig wandelenden begegnete8670 wandelenden ] 2 H wandelnden 2 III H.1
wandelnden : wandelenden Ri G 2 III H.2:1
wandelnden : wandelenden Jo 2 III H.3a:1
wandelenden 2 H
wandelnden C.1 4
(II aa)
8671Dem Ohr, nicht raschgeschäftges Eiligthun dem Blick,8671 raschgeschäftges ] 2 III H.3a:1 raschgeschäftiges 2 H C.1 4
(II b)
8672Und keine Magd erschien mir, keine Schaffnerin
8673Die jeden Fremden freundlich sonst begrüßenden.
8674Als aber ich dem Schooße des Herdes mich genaht,
8675Da sah’ ich, bei verglommner Asche lauem Rest,
8676Am Boden sitzen welch verhülltes großes Weib,
8677Der Schlafenden nicht vergleichbar, wohl der Sinnenden.
8678Mit Herrscherworten ruf’ ich sie zur Arbeit auf,
8679Die Schaffnerin mir vermuthend, die indeß vielleicht
8680Des Gatten Vorsicht hinterlassend angestellt;
8681Doch eingefaltet sitzt die unbewegliche;
8682Nur endlich rührt sie, auf mein Dräun, den rechten Arm,
8683Als wiese sie von Herd und Halle mich hinweg.
8684Ich wende zürnend mich ab von ihr und eile gleich
8685Den Stufen zu, worauf empor der Thalamos
8686Geschmückt sich hebt und nah daran das Schatzgemach;
8687Allein das Wunder reißt sich schnell vom Boden auf,
8688Gebietrisch mir den Weg vertretend, zeigt es sich
8689In hagrer Größe, hohlen, blutig-trüben Blicks,
8690Seltsamer Bildung, wie sie Aug und Geist verwirrt.
8691Doch red’ ich in die Lüfte; denn das Wort bemüht
8692Sich nur umsonst Gestalten schöpferisch aufzubaun.
8693Da seht sie selbst! sie wagt sogar sich an’s Licht
hervor!
8694Hier sind wir Meister, bis der Herr und König kommt.
8695Die grausen Nachtgeburten drängt der Schönheitsfreund,
8696Phöbus hinweg in Höhlen, oder bändigt sie.
∞Phorkyas auf der Schwelle zwischen den Thürpfosten
auftretend
∞Chor
8697Vieles erlebt’ ich, obgleich die Locke
8698Jugendlich wallet mir um die Schläfe!
8699Schreckliches hab’ ich vieles gesehen,
8700Kriegrischen Jammer, Ilios Nacht,
8701Als es fiel.
8702Durch das umwölkte, staubende Tosen,
8703Drängender Krieger hört’ ich die Götter
8704Fürchterlich rufen, hört’ ich der Zwietracht
8705Eherne Stimme schallen durch’s Feld,
8706Mauerwärts.
8707Ach, sie standen noch, Ilios
8708Mauern, aber die Flammengluth
8709Zog vom Nachbar zum Nachbar schon
8710Sich verbreitend von hier und dort
8711Mit des eignen Sturmes Wehn
8712Über die nächtliche Stadt hin.
8713Flüchtend sah ich, durch Rauch und Gluth
8715Gräßlich zürnender Götter Nahn,
8716Schreitend Wundergestalten
8717Riesengroß durch düsteren
8718Feuerumleuchteten Qualm hin.
8719Sah’ ich’s,
oder bildete
8720Mir der angstumschlungne Geist8720 angstumschlungne ] 2 III H.3a:1 angstumschlungene 2 H C.1 4
(II b)
8721Solches Verworrene? sagen kann
8722Nimmer ich’s, doch daß ich dieß
8723Gräßliche hier mit Augen schau
8724Solches gewiß ja weiß ich;
8725Könnt’ es mit Händen fassen gar
8726Hielte von dem Gefährlichen
8728Welche von Phorkys
8729Töchtern nur bist du?
8730Denn ich vergleiche dich
8731Diesem Geschlechte.
8732Bist du vielleicht der graugebornen,
8733Eines Auges und Eines Zahns
8734Wechselsweis theilhaftigen,
8735Graien eine gekommen?
8736Wagest du Scheusal
8737Neben der Schönheit
8738Dich vor dem Kennerblick
8739Phöbus zu zeigen?
8740Tritt du dennoch hervor nur immer
8742Wie sein heilig Auge noch
8743Nie erblickte den Schatten.
∞Phorkyas
8754Alt ist das Wort, doch bleibet hoch und wahr der
Sinn,
8755Daß Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in Hand,
8756Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad.
8757Tief eingewurzelt wohnt in beiden alter Haß,
8758Daß wo sie immer irgend auch des Weges sich
8759Begegnen, jede der Gegnerin den Rücken kehrt.
8760Dann eilet jede wieder heftiger, weiter fort,
8761Die Scham betrübt, die Schönheit aber frech gesinnt,
8762Bis sie zuletzt des Orkus hohle Nacht umfängt,
8763Wenn nicht das Alter sie vorher gebändigt hat.
8764Euch find’ ich nun, ihr frechen, aus der Fremde her
8765Mit Übermuth ergossen, gleich der Kraniche
8766Laut-heiser klingendem Zug, der über unser Haupt,
8767In langer Wolke, krächzend sein Getön herab
8768Schickt, das den stillen Wandrer über sich hinauf
8769Zu blicken lockt; doch ziehn sie ihren Weg dahin,
8770Er geht den seinen, also wird’s mit uns geschehn.
8771Wer seyd denn ihr? daß ihr des Königes
Hochpallast
8772Mänadisch wild, Betrunknen gleich umtoben dürft?
8773Wer seyd ihr denn, daß ihr des Hauses Schaffnerin
8774Entgegen heulet, wie dem Mond der Hunde Schaar?
8775Wähnt ihr, verborgen sey mir welch Geschlecht ihr
seyd,
8776Du kriegerzeugte, schlechterzogne, junge Brut?8776 schlechterzogne ] 2 III H.3a:1 schlachterzogne 2 H C.1 4
(II b)
8777Mannlustige du, so wie verführt verführende,
8778Entnervend beide, Kriegers auch und Bürgers Kraft.
8779Zu Hauf euch sehend scheint mir ein Cicaden-Schwarm
8780Herabzustürzen, deckend grüne Feldersaat.
8781Verzehrerinnen fremden Fleißes! Naschende
8782Vernichterinnen aufgekeimten Wohlstands ihr,
8783Erobert, marktverkauft, vertauschte Waare du!
∞Helena
8784Wer gegenwarts der Frau die Dienerinnen schilt,
8785Der Gebiet’rin Hausrecht tastet er vermessen an;
8786Denn ihr gebührt allein das Lobenswürdige
8787Zu rühmen, wie zu strafen was verwerflich ist.
8788Auch bin des Dienstes ich wohl zufrieden, den sie mir
8789Geleistet als die hohe Kraft von Ilios
8790Umlagert stand und fiel und lag; nicht weniger
8791Als wir der Irrfahrt kummervolle Wechselnoth
8792Ertrugen, wo sonst jeder sich der nächste bleibt.
8793Auch hier erwart’ ich gleiches von der muntern Schaar;
8794Nicht was der Knecht sey, fragt der Herr, nur wie er
dient,
8795Drum schweige du und grinse nicht sie länger an.8795 nicht sie ] 2 III H.2:1
sie nicht : nicht sie
umst G 2 III H.2:1
sie nicht 2 III H.3a:1 2 H C.1 4
(II b)
8796Hast du das Haus des Königs wohl verwahrt bisher,
8797Anstatt der Hausfrau, solches dient zum Ruhme dir;
8798Doch jetzo kommt sie selber, tritt nun du zurück,
8799Damit nicht Strafe werde statt verdienten Lohns.
∞Phorkyas
8800Den Hausgenossen drohen bleibt ein großes Recht,
8801Das gottbeglückten Herrschers hohe Gattin sich
8802Durch langer Jahre weise Leitung wohl verdient.
8803Da du, nun Anerkannte! neu den alten Platz8803 Anerkannte! neu ] 2 III H.1 Anerkannte! nun 2 III H.2:1 2 III H.3a:1 2 H C.1 4
(II b)
8804Der Königin und Hausfrau wiederum betrittst,
8805So fasse längst erschlaffte Zügel, herrsche nun,
8806Nimm in Besitz den Schatz und sämmtlich uns dazu.
8807Vor allem aber schütze mich die ältere
8808Vor dieser Schaar, die, neben deiner Schönheit Schwan,
8809Nur schlecht befittigt schnatterhafte Gänse sind.
∞Von hier an
erwiedern die Choretiden, einzeln aus dem Chor
heraustretend.
∞Helena
8826Nicht zürnend, aber traurend schreit’ ich zwischen euch,
8827Verbietend solches Wechselstreites Ungestüm!
8828Denn schädlicheres begegnet nichts dem Herrscherherrn
8829Als treuer Diener heimlich unterschworner Zwist.
8830Das Echo seiner Befehle kehrt alsdann nicht mehr
8831In schnell vollbrachter That, wohlstimmig ihm zurück,
8832Nein, eigenwillig brausend tos’t es um ihn her,
8833Den selbstverirrten, in’s Vergeb’ne scheltenden.
8834Dieß nicht allein. Ihr habt in sittenlosem Zorn,8834 sittenlosem ] 2 III H.2:1 sittelosem 2 III H.3a:1 2 H C.1 4
(II b)
8835Unsel’ger Bilder Schreckgestalten hergebannt,
8836Die mich umdrängen, daß ich selbst zum Orkus mich
8837Gerissen fühle, vaterländ’scher Flur zum Trutz.
8838Ist’s wohl Gedächtniß? war es Wahn, der mich ergreift?
8839War ich das alles? Bin ich’s? Werd ich’s künftig seyn,
8840Das Traum- und Schreckbild jener Städteverwüstenden?
8841Die Mädchen schaudern, aber du die älteste
8842Du stehst gelassen, rede mir verständiges Wort.8842 verständiges ] 2 III H.2:1 verständig 2 III H.3a:1 2 H C.1 4
(II b)
∞Phorkyas
8843Wer langer Jahre mannigfaltigen Glücks gedenkt,
8844Ihm scheint zuletzt die höchste Göttergunst ein Traum.
8845Du aber hochbegünstigt, sonder Maaß und Ziel,
8846In Lebensreihe sahst nur Liebesbrünstige,
8847Entzündet rasch zum kühnsten Wagstück jeder Art.
8848Schon Theseus haschte früh dich, gierig aufgeregt,
8849Wie Herakles stark, ein herrlich schön geformter Mann.
∞Helena
8850Entführte mich, ein siebenjährig schlankes Reh,8850 siebenjährig ] C.1 4 zehenjährig 2 H
mon Gö 2 III H.3b
siebenjährig G 2 H
C.1 4
zehenjährig Ec 2 H C1 41 C3 41 Q
dreyzehnjährig Ri 2 H
(VI)
8851Und mich umschloß Aphidnus Burg in Attika.
∞Phorkyas
8852Durch Castor und durch Pollux aber bald befreit,
8853Umworben standst du ausgesuchter Helden-Schaar.
∞Helena
8854Doch stille Gunst vor allen, wie ich gern gesteh’,
8855Gewann Patroklus, er des Peliden Ebenbild.
∞Phorkyas
8856Doch Vaterwille traute dich an Menelas,
8857Den kühnen Seedurchstreicher, Hausbewahrer auch.
∞Helena
8858Die Tochter gab er, gab des Reichs Bestellung ihm.
8859Aus ehlichem Beiseyn sproßte dann Hermione.
∞Phorkyas
8860Doch als er fern sich Creta’s Erbe kühn erstritt,
8861Dir Einsamen da erschien ein allzuschöner Gast.
∞Helena
8862Warum gedenkst du jener halben Witwenschaft?
8863Und welch Verderben gräßlich mir daraus erwuchs?
∞Phorkyas
8864Auch jene Fahrt mir freigebornen Creterin
8865Gefangenschaft erschuf sie, lange Sclaverey.
∞Helena
8866Als Schaffnerin bestellt’ er dich sogleich hieher
8867Vertrauend vieles, Burg und kühn erworbnen Schatz.
∞Phorkyas
8868Die du verließest, Ilios umthürmter Stadt
8869Und unerschöpften Liebesfreuden zugewandt.
∞Helena
8870Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leid’s
8871Unendlichkeit ergoß sich über Brust und Haupt.
∞Phorkyas
8872Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild,
8873In Ilios gesehen und in Ägypten auch.
∞Helena
8874Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar.
8875Selbst jetzo, welche denn ich sey, ich weiß es nicht.
∞Phorkyas
8876Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf
8877Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir!
8878Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluß.
∞Helena
8879Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich.
8880Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst.
8881Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol.
∞Chor
8882Schweige, schweige!
8883Mißblickende, mißredende du!
8884Aus so gräßlichen einzahnigen
8885Lippen was enthaucht wohl
8886Solchem furchtbaren Greuelschlund.
8887Denn der bösartige wohlthätig erscheinend,
8888Wolfesgrimm unter schafwolligem Vließ,
8889Mir ist er weit schrecklicher als des drey-
8890köpfigen Hundes Rachen.
8891Ängstlich lauschend stehn wir da,
8892Wann? wie? wo nur bricht’s hervor
8893Solcher Tücke
8894Tiefauflauerndes Ungethüm?
∞Helena hat sich erholt und
steht wieder in der Mitte.
∞Phorkyas
8909Tritt hervor aus flüchtigen Wolken hohe Sonne
dieses Tags
8910Die verschleiert schon entzückte, blendend nun im
Glanze herrscht.
8911Wie die Welt sich dir entfaltet schaust du selbst mit
holdem Blick.
8912Schelten sie mich auch für häßlich kenn’ ich doch
das Schöne wohl.
∞Helena
8913Tret’ ich schwankend aus der Öde die im Schwindel
mich umgab,
8914Pflegt’ ich gern der Ruhe wieder, denn so müd’ ist
mein Gebein:
8915Doch es ziemet Königinnen, allen Menschen ziemt
es wohl
8916Sich zu fassen, zu ermannen was auch drohend überrascht.
∞Phorkyas
8917Stehst du nun in deiner Großheit, deiner Schöne vor uns
da,
8918Sagt dein Blick, daß du befiehlest, was befiehlst
du? sprich es aus.
∞Helena
8919Eures Haders frech Versäumniß auszugleichen seyd bereit,
8920Eilt ein Opfer zu bestellen wie der König mir gebot.
∞Phorkyas
8921Alles ist bereit im Hause, Schale, Dreyfuß, scharfes
Beil,
8922Zum Besprengen, zum Beräuchern; das zu Opfernde zeig’
an.
8924Königin, du bist gemeint!
∞Phorkyas
8927Sie stirbt einen edlen Tod;
8928Doch am hohen Balken drinnen, der des Daches
Giebel trägt,
8929Wie im Vogelfang die Drosseln, zappelt ihr der
Reihe nach.
∞Phorkyas
8930Gespenster! – – – Gleich erstarrten Bildern steht ihr
da,
8931Geschreckt vom Tag zu scheiden der euch nicht gehört.
8932Die Menschen, die Gespenster sämmtlich gleich wie ihr,
8933Entsagen auch nicht willig hehrem Sonnenschein;
8934Doch bittet, oder rettet niemand sie vom Schluß;
8935Sie wissen’s alle, wenigen doch gefällt es nur.
8936Genug ihr seyd verloren! Also frisch an’s Werk.
∞klatscht in die Hände,
darauf erscheinen an der Pforte vermummte
Zwerggestalten, welche die ausgesprochenen Befehle alsobald mit
Behendigkeit ausführen.
8937Herbei du düstres, kugelrundes Ungethüm,
8938Wälzt euch hieher, zu schaden gibt es hier nach Lust.
8939Dem Tragaltar, dem goldgehörnten, gebet Platz,
8940Das Beil, es liege blinkend über dem Silberrand,
8941Die Wasserkrüge füllet, abzuwaschen gibt’s
8942Des schwarzen Blutes greuelvolle Besudelung.
8943Den Teppich breitet köstlich hier am Staube hin,
8944Damit das Opfer niederkniee königlich,
8945Und eingewickelt, zwar getrennten Haupts, sogleich
8946Anständig würdig, aber doch bestattet sey.
∞Chorführerin
8947Die Königin stehet sinnend an der Seite hier,
8948Die Mädchen welken gleich gemähtem Wiesengras;
8949Mir aber däucht, der Ältesten, heiliger Pflicht gemäß
8950Mit dir das Wort zu wechseln, Ur-Urälteste.
8951Du bist erfahren, weise, scheinst uns gut gesinnt,
8952Ob schon verkennend hirnlos diese Schaar dich traf.
8953Drum sage, was du möglich noch von Rettung weißt.
∞Phorkyas
8954Ist leicht gesagt: Von der Königin hängt allein es ab
8955Sich selbst zu erhalten, euch Zugaben auch mit ihr.
8956Entschlossenheit ist nöthig und die behendeste.
∞Chor
8957Ehrenwürdigste der Parzen, weiseste Sibylle du,
8958Halte gesperrt die goldne Schere, dann verkünd’ uns
Tag und Heil;
8959Denn wir fühlen schon im Schweben, Schwanken, Bammeln unergetzlich
8960Unsere Gliederchen, die lieber erst im Tanze sich
ergetzten,
8961Ruh’ten drauf an Liebchens Brust.
∞Helena
8962Laß diese bangen! Schmerz empfind’ ich, keine Furcht;
8963Doch kennst du Rettung, dankbar sey sie anerkannt.
8964Dem Klugen, Weitumsichtigen zeigt fürwahr sich oft
8965Unmögliches noch als möglich. Sprich und sag es an.
∞Chor
8966Sprich und sage, sag uns eilig: wie entrinnen wir
den grausen,
8967Garstigen Schlingen? die bedrohlich, als die
schlechtesten Geschmeide,
8968Sich um unsre Hälse ziehen. Vorempfinden wir’s,
die Armen,
8969Zum entathmen, zum ersticken, wenn du Rhea,
aller Götter
8970Hohe Mutter, dich nicht erbarmst.
∞Phorkyas
8971Habt ihr Geduld des Vortrags langgedehnten Zug
8972Still anzuhören? Mancherlei Geschichten sind’s.
∞Phorkyas
8974Dem der zu Hause verharrend edlen Schatz bewahrt,
8975Und hoher Wohnung Mauern auszukitten weiß,
8976Wie auch das Dach zu sichern vor des Regens Drang,
8977Dem wird es wohlgehn lange Lebenstage durch:
8978Wer aber seiner Schwelle heilige Richte leicht
8979Mit flüchtigen Sohlen überschreitet freventlich,
8980Der findet wiederkehrend wohl den alten Platz,
8981Doch umgeändert alles, wo nicht gar zerstört.
∞Helena
8982Wozu dergleichen wohlbekannte Sprüche hier.
8983Du willst erzählen, rege nicht an Verdrießliches.
∞Phorkyas
8984Geschichtlich ist es, ist ein Vorwurf keineswegs.
8985Raubschiffend ruderte Menelas von Bucht zu Bucht,
8986Gestad’ und Inseln, alles streift er feindlich an,
8987Mit Beute wiederkehrend, wie sie drinnen starrt.
8988Vor Ilios verbracht’ er langer Jahre zehn,
8989Zur Heimfahrt aber weiß ich nicht wie viel es war.
8990Allein wie steht es hier am Platz um Tyndareos
8991Erhabnes Haus? wie stehet es mit dem Reich umher?
∞Helena
8992Ist dir denn so das Schelten gänzlich einverleibt,
8993Daß ohne Tadeln keine Lippe du regen kannst?8993 keine Lippe du ] 2 III H.2:1 du keine Lippe 2 III H.3a:1 2 H C.1 4
(II b)
∞Phorkyas
8994So viele Jahre stand verlassen das Thal-Gebirg,
8995Das hinter Sparta nordwärts in die Höhe steigt,
8996Taygetos im Rücken, wo als muntrer Bach
8997Herab Eurotas rollt und dann durch unser Thal
8998An Rohren breit hinfließend eure Schwäne nährt.
8999Dort hinten still im Gebirgthal hat ein kühn Geschlecht,
9000Sich angesiedelt, dringend aus cimmerischer Nacht,
9001Und unersteiglich feste Burg sich aufgethürmt,
9002Von da sie Land und Leute placken wie’s behagt.
∞Phorkyas
9006Nicht Räuber sind es, Einer aber ist der Herr.
9007Ich schelt’ ihn nicht und wenn er schon mich
heimgesucht.
9008Wohl konnt’ er alles nehmen, doch begnügt er sich
∞Phorkyas
9010Nicht übel! mir gefällt er schon.
9011Es ist ein munterer, kecker, wohlgebildeter,
9012Wie unter Griechen wenig ein verständger Mann,9012 verständger ] C.1 4 verständ’ger C.2α 4 C.3 4
(IV a)
9013Man schilt das Volk Barbaren, doch ich dächte nicht
9014Daß grausam einer wäre, wie vor Ilios
9015Gar mancher Held sich menschenfresserisch erwies.
9017Und seine Burg! die solltet ihr mit Augen sehn,
9018Das ist was anderes gegen plumpes Mauerwerk
9019Das eure Väter, mir nichts dir nichts, aufgewälzt,
9020Cyklopisch wie Cyklopen, rohen Stein sogleich
9021Auf rohe Steine stürzend; dort hingegen, dort
9022Ist alles senk- und wagerecht und regelhaft.
9023Von außen schaut sie! himmelan sie strebt empor,
9024So starr, so wohl in Fugen, spiegelglatt wie Stahl.
9025Zu klettern hier – ja selbst der Gedanke gleitet ab.
9026Und innen großer Höfe Raumgelasse, rings
9027Mit Baulichkeit umgeben, aller Art und Zweck.
9028Da seht ihr Säulen, Säulchen, Bogen, Bögelchen,
9030Und Wappen.
∞Phorkyas
9030Ajax führte ja
9031Geschlungene Schlang’ im Schilde, wie ihr selbst gesehn.9031 Geschlungene ] 2 III H.2:1 Geschlungene (letztes e undeutlich) G
2 III H.33
2 III H.1
Geschlungne : Geschlungene
(undeutlich) G 2 III H.2:1
Geschlungne Jo auf
eingeklebtem Zettel 2 III H.2:1
2 III H.3a:1
2 H
C.1 4
(II b)
9032Die Sieben dort vor Theben trugen Bildnerey’n
9033Ein jeder auf seinem Schilde, reich bedeutungsvoll.
9034Da sah man Mond und Stern’ am nächtigen Himmelsraum,
9035Auch Göttin, Held und Leiter, Schwerter, Fackeln auch,
9036Und was bedrängliches guten Städten grimmig droht.
9037Ein solch Gebilde führt auch unsre Heldenschaar
9038Von seinen Ur-Urahnen her in Farbenglanz.
9039Da seht ihr Löwen, Adler, Klau’ und Schnabel auch,
9040Dann Büffelhörner, Flügel, Rosen, Pfauenschweif,
9041Auch Streifen, Gold und Schwarz, und Silber Blau und Roth.9041 Gold bis Roth
] 2 III H.2:1 Gold und Schwarze, silbern blau und roth : Gold und Schwarz, und Silber Blau und Roth
Ri 2 III H.2:1
Gold und Schwarz, und silbern, blau und roth
2 III H.3a:1
gold und schwarz, und silbern, blau und roth
2 H
gold und schwarz und silbern, blau und roth
C.1 4
(II b)
9042Dergleichen hängt in Sälen Reih an Reihe fort,
9043In Sälen, gränzenlosen, wie die Welt so weit;
9044Da könnt ihr tanzen!
∞Phorkyas
9045Die besten! goldgelockte, frische Bubenschaar.
9046Die duften Jugend, Paris duftete einzig so,
9047Als er der Königin zu nahe kam.
∞Phorkyas
9049Du sprichst das letzte, sagst mit Ernst vernehmlich ja!
9050Sogleich umgeb’ ich dich mit jener Burg.
∞Helena
9052Wie? sollt’ ich fürchten, daß der König Menelas
9053So grausam sich verginge mich zu schädigen?
∞Phorkyas
9054Hast du vergessen, wie er deinen Deiphobus,
9055Des todtgekämpften Paris Bruder, unerhört
9056Verstümmelte, der starrsinnig Witwe dich erstritt
9057Und glücklich kebste; Nas’ und Ohren schnitt er ab
9058Und stümmelte mehr so; Greuel war es anzuschaun.
∞Phorkyas
9060Um jeneswillen wird er dir das Gleiche thun.
9062Zerstört sie lieber, fluchend jedem Theilbesitz.
∞Trompeten in der Ferne;
der Chor fährt zusammen.
9063Wie scharf der Trompete Schmettern Ohr und Eingeweid
9064Zerreißend anfaßt, also krallt sich Eifersucht
9065Im Busen fest des Mannes, der das nie vergißt
9066Was einst er besaß und nun verlor, nicht mehr besitzt.
∞Phorkyas
9069Ihr wißt es deutlich, seht vor Augen ihren Tod,
9070Merkt den eurigen da drinne; nein zu helfen ist euch
nicht.
∞Pause
∞Helena
9071Ich sann mir aus das Nächste das ich wagen darf.9071 das ich ] 2 III H.2:1 was ich 2 III H.3a:1 2 H C.1 4
(II b)
9072Ein Widerdämon bist du, das empfind’ ich wohl,
9073Und fürchte, Gutes wendest du zum Bösen um.
9074Vor allem aber folgen will ich dir zur Burg;
9075Das andre weiß ich; was die Königin dabei
9076In tiefem Busen geheimnißvoll verbergen mag,9076 In tiefem ] C.1 4 Im tiefen 2 III H.2:1
In tiefen 2 III H.3a:1
In tiefen : In tiefem
G 2 H
(II d*)
9077Sey jedem unzugänglich. Alte! geh voran.
∞Chor
9078O wie gern gehen wir hin,
9079Eilenden Fußes;
9080Hinter uns Tod,
9081Vor uns abermals
9082Ragender Veste
9083Unzugängliche Mauer.
9084Schütze sie eben so gut
9085Eben wie Ilios Burg,
9086Die doch endlich nur
9087Niederträchtiger List erlag.
∞Nebel verbreiten sich,
umhüllen den Hintergrund, auch die Nähe, nach Belieben.
9088Wie? aber wie?
9089Schwestern schaut euch um!
9090War es nicht heiterer Tag?
9091Nebel schwanken streifig empor
9092Aus Eurotas heil’ger Fluth;
9093Schon entschwand das liebliche
9094Schilfumkränzte Gestade dem Blick,
9095Auch die frei, zierlich-stolz
9096Sanfthingleitenden Schwäne
9097In gesell’ger Schwimmlust
9098Seh’ ich, ach, nicht mehr!
9099Doch, aber doch
9100Tönen hör’ ich sie,
9101Tönen fern heiseren Ton!
9102Tod verkündenden sagen sie;
9103Ach daß uns er nur nicht auch,
9105Untergang verkünde zuletzt;
9106Uns den schwangleichen, lang-
9107Schön weißhalsigen; und ach!
9108Uns’rer Schwanerzeugten.
9109Weh uns, weh, weh!
9110Alles deckte sich schon
9111Rings mit Nebel umher.
9112Sehen wir doch einander nicht!
9113Was geschieht? gehen wir?
9114Schweben wir nur
9116Siehst du nichts? schwebt nicht etwa gar
9117Hermes voran? Blinkt nicht der goldne Stab
9118Heischend, gebietend uns wieder zurück
9119Zu dem unerfreulichen, grautagenden,
9120Ungreifbarer Gebilde vollen,
9121Überfüllten, ewig leeren Hades.
∞
∞Innerer Burghof, umgeben von
reichen phantastischen Gebäuden des
Mittelalters
∞Chorführerin
9127Vorschnell und thöricht, ächt wahrhaftes Weibsgebild!
9129Des Glücks und Unglücks, keins von beiden wißt ihr je
9130Zu bestehn mit Gleichmuth. Eine widerspricht ja stets
9131Der andern heftig, überquer die andern ihr;
9132In Freud’ und Schmerz nur heult und lacht ihr
gleichen Ton’s.
9133Nun schweigt! und wartet horchend was die Herrscherin
9134Hochsinnig hier beschließen mag für sich und uns.
∞Helena
9135Wo bist du Pythonissa? heiße wie du magst,
9136Aus diesen Gewölben tritt hervor der düstern Burg.
9137Gingst etwa du, dem wunderbaren Heldenherrn
9138Mich anzukündigen, Wohlempfang bereitend mir,
9139So habe Dank und führe schnell mich ein zu ihm;
∞Chorführerin
9141Vergebens blickst du, Königin, allseits um dich her;
9142Verschwunden ist das leidige Bild, verblieb vielleicht
9143Im Nebel dort, aus dessen Busen wir hieher,
9144Ich weiß nicht wie, gekommen, schnell und sonder
Schritt.
9145Vielleicht auch irrt sie zweifelhaft im Labyrinth
9146Der wundersam aus vielen einsgewordnen Burg,
9147Den Herrn erfragend fürstlicher Hochbegrüßung halb.
9148Doch sieh, dort oben regt in Menge sich allbereits
9149In Galerien, am Fenster, in Portalen rasch
9150Sich hin und her bewegend viele Dienerschaft;9150 Dienerschaft; ] 2 H Dienerschaft, C.1 4
(II aa)
9151Vornehm-willkommnen Gastempfang verkündet es.
∞Chor
9153Wie so sittig herab mit verweilendem Tritt
9154Jungholdeste Schaar anständig bewegt
9155Den geregelten Zug. Wie? auf wessen Befehl
9156Nur erscheinen gereiht und gebildet so früh,
9157Von Jünglingsknaben das herrliche Volk?
9158Was bewundr’ ich zumeist! Ist es zierlicher Gang,
9159Etwa des Haupts Lockhaar um die blendende Stirn,
9160Etwa der Wänglein Paar, wie die Pfirsiche roth
9161Und eben auch so weichwollig beflaumt?
9162Gern biß ich hinein, doch ich schaudre davor,
9163Denn in ähnlichem Fall, da erfüllte der Mund
9164Sich, gräßlich zu sagen! mit Asche.
9165Aber die schönsten
9166Sie kommen daher;
9167Was tragen sie nur?
9168Stufen zum Thron,
9169Teppich und Sitz,
9170Umhang und zelt-
9171artigen Schmuck,
9172Über überwallt er,
9173Wolkenkränze bildend,
9174Unsrer Königin Haupt,
9175Denn schon bestieg sie
9176Eingeladen herrlichen Pfühl.
9177Tretet heran
9178Stufe für Stufe
9179Reihet euch ernst.
9180Würdig, o würdig, dreyfach würdig
9181Sey gesegnet ein solcher Empfang!
∞Alles vom Chor ausgesprochene
geschieht nach und nach.
∞Faust Nachdem Knaben
und Knappen in langem Zug herabgestiegen, erscheint er oben an der
Treppe in ritterlicher Hofkleidung des Mittelalters und kommt
langsam würdig herunter.
∞Chorführerin
∞ihn aufmerksam
beschauend
9182Wenn diesem nicht die Götter, wie sie öfter thun,
9183Für wenige Zeit nur wundernswürdige Gestalt,
9184Erhabnen Anstand, liebenswerthe Gegenwart
9185Vorübergänglich liehen; wird ihm jedesmal
9186Was er beginnt gelingen, sey’s in Männerschlacht,
9187So auch im kleinen Kriege mit den schönsten Frau’n.
9188Er ist fürwahr gar vielen andern vorzuziehn,
9189Die ich doch auch als hochgeschätzt mit Augen sah.
9190Mit langsam-ernstem, ehrfurchtsvoll gehaltnem Schritt
9191Seh ich den Fürsten; wende dich o Königin!
∞Faust
∞herantretend, einen
Gefesselten zur Seite
9192Statt feyerlichsten Grußes, wie sich ziemte,
9193Statt ehrfurchtsvollem Willkomm bring ich dir9193 ehrfurchtsvollem ] ehrfurchtsvollem 2 H
erfurchtsvollem C.1 4
ehrfurchtsvollem C.2α 4 C.3 4
(I a)
9194In Ketten hartgeschlossen solchen Knecht,
9195Der Pflicht verfehlend mir die Pflicht entwand.
9196Hier kniee nieder! dieser höchsten Frau
9197Bekenntniß abzulegen deiner Schuld.
9198Dieß ist, erhabne Herrscherin, der Mann
9199Mit seltnem Augenblitz vom hohen Thurm
9200Umherzuschaun bestellt, dort Himmelsraum
9201Und Erdenbreite scharf zu überspähn,
9202Was etwa da und dort sich melden mag,
9203Vom Hügelkreis in’s Thal zur festen Burg
9204Sich regen mag, der Heerden Woge sey’s,
9205Ein Heereszug vielleicht; wir schützen jene,
9207Du kommst heran, er meldet’s nicht, verfehlt
9208Ist ehrenvoller schuldigster Empfang
9209So hohen Gastes. Freventlich verwirkt
9210Das Leben hat er, läge schon im Blut
9211Verdienten Todes; doch nur du allein
9212Bestrafst, begnadigst, wie dir’s wohl gefällt.
∞Helena
9213So hohe Würde wie du sie vergönnst,
9214Als Richterin, als Herrscherin, und wär’s
9215Versuchend nur, wie ich vermuthen darf;
9216So üb’ ich nun des Richters erste Pflicht
9217Beschuldigte zu hören. Rede denn.
9218Laß mich knieen, laß mich schauen,
9219Laß mich sterben, laß mich leben,
9220Denn schon bin ich hingegeben
9221Dieser gottgegebnen Frauen.
9222Harrend auf des Morgens Wonne,
9223Östlich spähend ihren Lauf,
9224Ging auf einmal mir die Sonne
9225Wunderbar im Süden auf.
9226Zog den Blick nach jener Seite,
9228Statt der Erd- und Himmelsweite,
9229Sie die Einzige zu spähn.
9230Augenstrahl ist mir verliehen
9231Wie dem Luchs auf höchstem Baum,
9232Doch nun mußt’ ich mich bemühen
9233Wie aus tiefem düsterm Traum.
9234Wüßt’ ich irgend mich zu finden?
9236Nebel schwanken, Nebel schwinden
9237Solche Göttin tritt hervor!
∞Helena
9246Das Übel das ich brachte darf ich nicht
9248Verfolgt mich, überall der Männer Busen
9249So zu bethören, daß sie weder sich
9250Noch sonst ein Würdiges verschonten. Raubend jetzt,
9251Verführend, fechtend, hin und her entrückend;
9252Halbgötter, Helden, Götter, ja Dämonen,
9253Sie führten mich im Irren her und hin.
9254Einfach die Welt verwirrt’ ich, doppelt mehr,
9255Nun dreyfach, vierfach bring’ ich Noth auf Noth.
9256Entferne diesen Guten, laß ihn frei;
9257Den Gottbethörten treffe keine Schmach.
∞Faust
9258Erstaunt o Königin, seh’ ich zugleich
9259Die sicher Treffende, hier den Getroffnen;
9260Ich seh’ den Bogen, der den Pfeil entsandt,
9261Verwundet jenen. Pfeile folgen Pfeilen
9262Mich treffend. Allwärts ahn’ ich überquer
9263Gefiedert schwirrend sie in Burg und Raum.
9264Was bin ich nun? Auf einmal machst du mir
9265Rebellisch die Getreusten, meine Mauern
9266Unsicher. Also fürcht’ ich schon, mein Heer
9267Gehorcht der siegend unbesiegten Frau.
9268Was bleibt mir übrig? als mich selbst und alles,
9269Im Wahn das Meine, dir anheim zu geben.
9270Zu deinen Füßen laß mich, frei und treu,
9271Dich Herrin anerkennen, die sogleich
9272Auftretend sich Besitz und Thron erwarb.
∞Lynceus
∞mit einer Kiste und
Männer die ihm andere nachtragen
9273Du siehst mich, Königin, zurück!
9274Der Reiche bettelt einen Blick,
9275Er sieht dich an und fühlt sogleich
9276Sich bettelarm und fürstenreich.
9277Was war ich erst? was bin ich nun?
9278Was ist zu wollen? was zu thun?
9279Was hilft der Augen schärfster Blitz!
9280Er prallt zurück an deinem Sitz.
9281Von Osten kamen wir heran
9282Und um den Westen war’s gethan;
9283Ein lang und breites Volksgewicht,
9284Der erste wußte vom letzten nicht.
9285Der erste fiel, der zweyte stand,
9286Des dritten Lanze war zur Hand;
9287Ein jeder hundertfach gestärkt,
9288Erschlagne Tausend unbemerkt.
9289Wir drängten fort, wir stürmten
fort,
9290Wir waren Herrn von Ort zu Ort;
9291Und wo ich herrisch heut befahl
9292Ein andrer morgen raubt’ und stahl.
9293Wir schauten, – eilig war die Schau;
9294Der griff die allerschönste Frau,
9295Der griff den Stier von festem Tritt,
9296Die Pferde mußten alle mit.
9297Ich aber liebte zu erspähn
9298Das Seltenste was man gesehn,
9299Und was ein andrer auch besaß,
9300Das war für mich gedörrtes Gras.
9301Den Schätzen war ich auf der Spur,
9302Den scharfen Blicken folgt’ ich nur,
9303In alle Taschen blickt’ ich ein,
9304Durchsichtig war mir jeder Schrein.
9305Und Haufen Goldes waren mein,
9306Am herrlichsten der Edelstein:
9307Nun der Smaragd allein verdient
9308Daß er an deinem Herzen grünt.
9309Nun schwanke zwischen Ohr und Mund
9310Das Tropfeney aus Meeresgrund;
9311Rubinen werden gar verscheucht,
9312Das Wangenroth sie niederbleicht.
9313Und so den allergrößten Schatz
9314Versetz’ ich hier auf deinen Platz,
9315Zu deinen Füßen sey gebracht
9316Die Erndte mancher blut’gen Schlacht.
9317So viele Kisten schlepp’ ich her,
9318Der Eisenkisten hab’ ich mehr;
9319Erlaube mich auf deiner Bahn
9320Und Schatzgewölbe füll’ ich an.
9321Denn du bestiegest kaum den Thron,
9322So neigen schon, so beugen schon
9323Verstand und Reichthum und Gewalt
9324Sich vor der einzigen Gestalt.
∞Faust
9333Entferne schnell die kühn erworbne Last,
9334Zwar nicht getadelt aber unbelohnt.
9335Schon ist Ihr alles eigen was die Burg
9336Im Schoos verbirgt, Besondres Ihr zu bieten
9337Ist unnütz. Geh und häufe Schatz auf Schatz
9338Geordnet an. Der ungeseh’nen Pracht
9339Erhabnes Bild stell’ auf! Laß die Gewölbe
9340Wie frische Himmel blinken, Paradiese
9341Von lebelosem Leben richte zu.
9342Voreilend ihren Tritten laß beblümt
9343An Teppich Teppiche sich wälzen, ihrem Tritt
9344Begegne sanfter Boden, ihrem Blick,
9345Nur göttliche nicht blendend, höchster Glanz.
∞Lynceus
9346Schwach ist was der Herr befiehlt,
9347Thut’s der Diener, es ist gespielt:
9348Herrscht doch über Gut und Blut
9349Dieser Schönheit Übermuth.
9350Schon das ganze Heer ist zahm
9351Alle Schwerter stumpf und lahm,
9352Vor der herrlichen Gestalt
9353Selbst die Sonne matt und kalt,
9354Vor dem Reichthum des Gesichts
9355Alles leer und alles nichts.
∞ab
∞Helena
∞zu Faust
9356Ich wünsche dich zu sprechen, doch herauf
9357An meine Seite komm! der leere Platz
9358Beruft den Herrn und sichert mir den meinen.
∞Faust
9359Erst knieend laß die treue Widmung dir
9360Gefallen, hohe Frau; die Hand die mich
9361An deine Seite hebt laß mich sie küssen.
9362Bestärke mich als Mitregenten deines
9363Gränzunbewußten Reichs, gewinne dir
9364Verehrer, Diener, Wächter all’ in Einem.
∞Helena
9365Vielfache Wunder seh’ ich, hör’ ich an,
9366Erstaunen trifft mich, fragen möcht’ ich viel.
9367Doch wünscht’ ich Unterricht, warum die Rede
9368Des Mann’s mir seltsam klang, seltsam und freundlich.
9369Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen,
9370Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,
9371Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen.
∞Faust
9372Gefällt dir schon die Sprechart unsrer Völker
9374Befriedigt Ohr und Sinn im tiefsten Grunde.
9375Doch ist am sichersten wir üben’s gleich,
9376Die Wechselrede lockt es, ruft’s hervor.
∞Faust
9378Das ist gar leicht, es muß von Herzen gehn.9378 von ] 2 III H.3a:2 von 2 III H.48
vom 2 H C.1 4
(II b)
9379Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt,
9380Man sieht sich um und fragt –
∞Chor
9385Wer verdächt’ es unsrer Fürstin
9386Gönnet sie dem Herrn der Burg
9387Freundliches Erzeigen.
9388Denn gesteht, sämmtliche sind wir
9389Ja Gefangene, wie schon öfter,
9390Seit dem schmählichen Untergang
9391Ilios und der ängstlich-
9392Labyrinthischen Kummerfahrt.
9394Wählerinnen sind sie nicht,
9395Aber Kennerinnen.
9396Und wie goldlockigen Hirten,
9397Vielleicht schwarzborstigen Faunen,
9398Wie es bringt die Gelegenheit,
9399Über die schwellenden Glieder
9400Vollertheilen sie gleiches Recht.
∞Faust
9413Ich athme kaum, mir zittert, stockt das Wort,
9414Es ist ein Traum, verschwunden Tag und Ort.
∞Faust
9417Durchgrüble nicht das einzigste Geschick
9418Daseyn ist Pflicht und wär’s ein Augenblick.
∞Phorkyas
∞heftig
eintretend
9419Buchstabirt in Liebes-Fibeln,
9420Tändelnd grübelt nur am Liebeln,
9421Müßig liebelt fort im Grübeln,
9422Doch dazu ist keine Zeit.
9423Fühlt ihr nicht ein dumpfes Wettern?
9424Hört nur die Trompete schmettern,
9425Das Verderben ist nicht weit.
9426Menelas mit Volkes-Wogen
9427Kommt auf euch herangezogen;
9428Rüstet euch zu herbem Streit!
9429Von der Sieger-Schaar umwimmelt,
9430Wie Deiphobus verstümmelt
9431Büßest du das Fraun-Geleit.
9432Bammelt erst die leichte Waare,
9433Dieser gleich ist am Altare
9434Neugeschliffnes Beil bereit.
∞Faust
9435Verwegne Störung! widerwärtig dringt sie ein,
9436Auch nicht in Gefahren mag ich sinnlos Ungestüm.
9437Den schönsten Boten Unglücksbotschaft häßlicht ihn;
9438Du Häßlichste gar nur schlimme Botschaft bringst du
gern.
9439Doch dießmal soll dir’s nicht gerathen, leeres Hauchs
9440Erschüttere du die Lüfte. Hier ist nicht Gefahr,
9441Und selbst Gefahr erschiene nur als eitles Dräun.
∞Signale, Explosionen von den
Thürmen, Trompeten und Zinken, kriegerische Musik, Durchmarsch
gewaltiger Heereskraft
∞Faust
9442Nein gleich sollst du versammelt schauen
9443Der Helden ungetrennten Kreis:
9444Nur der verdient die Gunst der Frauen,
9445Der kräftigst sie zu schützen weiß.
∞Zu den Heerführern, die
sich von den Colonnen absondern und herantreten:
9447Das euch gewiß den Sieg verschafft,
9448Ihr Nordens jugendliche Blüthen,
9449Ihr Ostens blumenreiche Kraft.
9450In Stahl gehüllt, vom Strahl umwittert,
9451Die Schaar die Reich um Reich zerbrach,
9452Sie treten auf, die Erde schüttert,
9453Sie schreiten fort, es donnert nach.
9454An Pylos traten wir zu Lande,
9455Der alte Nestor ist nicht mehr,
9456Und alle kleine Königsbande
9457Zersprengt das ungebundne Heer.
9458Drängt ungesäumt von diesen Mauern
9459Jetzt Menelas dem Meer zurück;
9460Dort irren mag er, rauben, lauern,
9461Ihm war es Neigung und Geschick.
9462Herzoge soll ich euch begrüßen
9463Gebietet Sparta’s Königin,
9464Nun legt ihr Berg und Thal zu Füßen,
9465Und euer sey des Reichs Gewinn.
9466Germane du! Corinthus Buchten
9467Vertheidige mit Wall und Schutz,
9468Achaia dann mit hundert Schluchten,
9469Empfehl’ ich Gothe deinem Trutz.
9470Nach Elis ziehn der Franken Heere,
9471Messene sey der Sachsen Loos,
9472Normanne reinige die Meere
9473Und Argolis erschaff er groß.
∞Faust steigt herab, die Fürsten
schließen einen Kreis um ihn, Befehl und Anordnung näher zu
vernehmen.
∞Chor
9482Wer die Schönste für sich begehrt,
9483Tüchtig vor allen Dingen
9484Seh er nach Waffen weise sich um;
9485Schmeichelnd wohl gewann er sich
9486Was auf Erden das Höchste;
9487Aber ruhig besitzt er’s nicht:
9488Schleicher listig entschmeicheln sie ihm,
9489Räuber kühnlich entreißen sie ihm,
9490Dieses zu hinderen sey er bedacht.
9491Unsern Fürsten lob’ ich drum,
9492Schätz’ ihn höher vor andern,
9493Wie er so tapfer klug sich verband
9494Daß die Starken gehorchend stehn
9495Jedes Winkes gewärtig.
9496Seinen Befehl vollziehn sie treu,
9497Jeder sich selbst zu eignem Nutz
9498Wie dem Herrscher zu lohnendem Dank,
9499Beiden zu höchlichem Ruhmes-Gewinn.
∞Faust
9506Die Gaben, diesen hier verliehen –
9507An jeglichen ein reiches Land –
9508Sind groß und herrlich, laß sie ziehen!
9509Wir halten in der Mitte Stand.
9510Und sie beschützen um die Wette
9511Rings um von Wellen angehüpft,
9512Nichtinsel dich, mit leichter Hügelkette
9513Europens letztem Bergast angeknüpft.
9514Das Land, vor aller Länder Sonnen
9515Sey ewig jedem Stamm beglückt,
9516Nun meiner Königin gewonnen,
9517Das früh an ihr hinauf geblickt,9517 hinauf geblickt, ] hinaufgeblickt, 2 III H.58a
hinauf geblickt. 2 III H.2:1
hinaufgeblickt. 2 III H.3a:2
hinauf geblickt. 2 H C.1 4
(II b)
9518Als, mit Eurotas Schilfgeflüster,
9519Sie leuchtend aus der Schale brach,
9520Der hohen Mutter, dem Geschwister
9521Das Licht der Augen überstach.
9523Entbietet seinen höchsten Flor;
9524Dem Erdkreis, der dir angehöret,
9525Dein Vaterland o! zieh es vor.
9526Und duldet auch auf seiner Berge
Rücken
9527Das Zackenhaupt der Sonne kalten Pfeil,
9528Läßt nun der Fels sich angegrünt erblicken,
9529Die Ziege nimmt genäschig kargen Theil.
9530Die Quelle springt, vereinigt stürzen
Bäche,
9531Und schon sind Schluchten, Hänge, Matten grün.
9532Auf hundert Hügeln unterbrochner Fläche
9533Siehst Wollenheerden ausgebreitet ziehn.
9534Vertheilt, vorsichtig, abgemessen schreitet9534 vorsichtig, ] 2 H vorsichtig‸ mit ungewöhnlich großem Spatium C.1 4
(II aa)
9536Doch Obdach ist den sämmtlichen bereitet,
9537Zu hundert Höhlen wölbt sich Felsenwand.
9538Pan schützt sie dort und Lebensnymphen
wohnen
9539In buschiger Klüfte feucht erfrischtem Raum,
9540Und, sehnsuchtsvoll nach höhern Regionen,
9541Erhebt sich zweighaft Baum gedrängt an Baum.
9542Alt-Wälder sind’s! Die Eiche starret mächtig9542 Alt-Wälder ] Alt-Wälder 2 H
Alt- Wälder C.1 4
(I c)
9543Und eigensinnig zackt sich Ast an Ast;
9544Der Ahorn mild, von süßem Safte trächtig,
9545Steigt rein empor und spielt mit seiner Last.
9546Und mütterlich im stillen
Schattenkreise
9547Quillt laue Milch bereit für Kind und Lamm;
9548Obst ist nicht weit, der Ebnen reife Speise,
9549Und Honig trieft vom ausgehöhlten Stamm.
9550Hier ist das Wohlbehagen erblich,
9551Die Wange heitert wie der Mund,
9552Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich:
9553Sie sind zufrieden und gesund.
9554Und so entwickelt sich am reinen
Tage
9555Zu Vaterkraft das holde Kind.
9556Wir staunen drob; noch immer bleibt die Frage:
9557Ob’s Götter, ob es Menschen sind?
9558So war Apoll den Hirten zugestaltet
9559Daß ihm der schönsten einer glich;
9560Denn wo Natur im reinen Kreise waltet
9561Ergreifen alle Welten sich.
9562So ist es mir, so ist es dir
gelungen,
9563Vergangenheit sey hinter uns gethan;
9564O fühle dich vom höchsten Gott entsprungen,
9565Der ersten Welt gehörst du einzig an.
∞
∞Der Schauplatz verwandelt sich
durchaus. An eine Reihe von Felsenhöhlen lehnen sich geschloßne
Lauben. Schattiger Hain bis an die rings umgebende Felsensteile
hinan. Faust und Helena werden nicht gesehen. Der Chor liegt
schlafend vertheilt umher.
∞Phorkyas
9574Wie lange Zeit die Mädchen schlafen weiß ich nicht,
9575Ob sie sich träumen ließen was ich hell und klar
9576Vor Augen sah, ist ebenfalls mir unbekannt.
9577Drum weck’ ich sie. Erstaunen soll das junge Volk;
9578Ihr Bärtigen auch, die ihr da drunten sitzend harrt,
9580Hervor! hervor! Und schüttelt eure Locken rasch;
9581Schlaf aus den Augen! Blinzt nicht so, und hört mich an!
∞Chor
9582Rede nur, erzähl’ erzähle was sich Wunderlichs begeben,
9583Hören möchten wir am liebsten was wir gar nicht glauben können,
9584Denn wir haben lange Weile diese Felsen anzusehn.
∞Phorkyas
9586So vernehmt: in diesen Höhlen, diesen Grotten,
diesen Lauben
9587Schutz und Schirmung war verliehen, wie
idyllischem Liebespaare,
9588Unserm Herrn und unsrer Frauen.
∞Phorkyas
9588Abgesondert
9589Von der Welt, nur mich die Eine riefen sie zu
stillem Dienste.
9590Hochgeehrt stand ich zur Seite, doch, wie es
Vertrauten ziemet,
9591Schaut’ ich um nach etwas andrem. Wendete mich hier- und
dorthin,
9592Suchte Wurzeln, Moos und Rinden, kundig aller Wirksamkeiten,
9593Und so blieben sie allein.
∞Phorkyas
9596Allerdings, ihr Unerfahrnen! das sind unerforschte
Tiefen:
9597Saal an Sälen, Hof an Höfen, diese spürt’ ich sinnend
aus.
9598Doch auf einmal ein Gelächter echo’t in den Höhlen-Räumen;
9599Schau’ ich hin, da springt ein Knabe von der
Frauen Schoos zum Manne,
9600Von dem Vater zu der Mutter; das Gekose, das Getändel,
9601Thöriger Liebe Neckereyen, Scherzgeschrei und Lustgejauchze9601 Scherzgeschrei ] 2 III H.45a C.2α 4 C.3 4 Scherzgeschrey C.1 4
(IV b)
9602Wechselnd übertäuben mich.
9603Nackt ein Genius ohne Flügel, faunenartig ohne Thierheit,9603 Thierheit, ] 2 H Thierheit‸ C.1 4
(II aa)
9604Springt er auf den festen Boden, doch der Boden gegenwirkend
9605Schnellt ihn zu der luft’gen Höhe, und im zweyten
dritten Sprunge
9606Rührt er an das Hochgewölb.
9607Ängstlich ruft die Mutter: springe
wiederholt und nach Belieben,
9608Aber hüte dich zu fliegen, freier Flug ist dir
versagt.
9609Und so mahnt der treue Vater: in der Erde liegt
die Schnellkraft,
9610Die dich aufwärts treibt, berühre mit der Zehe
nur den Boden
9611Wie der Erdensohn Antäus bist du alsobald gestärkt.
9612Und so hüpft er auf die Masse dieses Felsens, von
der Kante
9613Zu dem andern und umher so wie ein Ball
geschlagen springt.
9614Doch auf einmal in der Spalte rauher
Schlucht ist er verschwunden,
9615Und nun scheint er uns verloren. Mutter
jammert, Vater tröstet,
9616Achselzuckend steh’ ich ängstlich. Doch nun wieder
welch Erscheinen!
9617Liegen Schätze dort verborgen? Blumenstreifige Gewande
9618Hat er würdig angethan.
9619Quasten schwanken von den Armen, Binden flattern
um den Busen,
9620In der Hand die goldne Leyer, völlig wie ein
kleiner Phöbus
9621Tritt er wohlgemuth zur Kante, zu dem Überhang; wir
staunen.
9622Und die Eltern vor Entzücken werfen wechselnd sich
an’s Herz.
9623Denn wie leuchtet’s ihm zu Haupten? Was erglänzt
ist schwer zu sagen,
9624Ist es Goldschmuck, ist es Flamme übermächtiger Geisteskraft.
9625Und so regt er sich gebärdend, sich als Knabe schon
verkündend
9626Künftigen Meister alles Schönen, dem die ewigen Melodieen
9627Durch die Glieder sich bewegen; und so werdet ihr
ihn hören,
9628Und so werdet ihr ihn sehn zu einzigster Bewunderung.
∞Chor
9629Nennst du ein Wunder dieß,
9630Creta’s Erzeugte?
9631Dichtend belehrendem Wort
9632Hast du gelauscht wohl nimmer?
9633Niemals noch gehört Ioniens,
9634Nie vernommen auch Hellas
9635Urväterlicher Sagen
9636Göttlich-heldenhaften Reichthum?
9637Alles was je geschieht
9638Heutiges Tages
9639Trauriger Nachklang ist’s
9640Herrlicher Ahnherrn-Tage;
9641Nicht vergleicht sich dein Erzählen
9642Dem was liebliche Lüge
9643Glaubhaftiger als Wahrheit
9644Von dem Sohne sang der Maja.
9645Diesen zierlich und kräftig doch
9646Kaum geborenen Säugling
9647Faltet in reinster Windeln Flaum
9648Strenget in köstlicher Wickeln Schmuck
9649Klatschender Wärterinnen Schaar
9650Unvernünftigen Wähnens.
9651Kräftig und zierlich aber zieht
9652Schon der Schalk die geschmeidigen
9653Doch elastischen Glieder
9655Ängstlich drückende Schale
9656Lassend ruhig an seiner Statt.
9657Gleich dem fertigen Schmetterling
9658Der aus starrem Puppenzwang
9659Flügel entfaltend behendig schlüpft
9660Sonne-durchstrahlten Äther kühn
9661Und muthwillig durchflatternd.
9662So auch er der behendeste,
9663Daß er Dieben und Schälken,
9664Vortheil suchenden allen auch
9665Ewig günstiger Dämon sey.
9666Dieß bethätigt er alsobald
9667Durch gewandteste Künste.
9668Schnell des Meeres Beherrscher stiehlt
9669Er den Trident, ja dem Ares selbst
9670Schlau das Schwert aus der Scheide:
9671Bogen und Pfeile dem Phöbus auch,9671 Pfeile ] Ri 2 III H.2:2 Pfeil 2 III H.3a:2 2 H C.1 4
(II b)
9672Wie dem Hephästos die Zange;
9673Selber Zeus, des Vaters, Blitz
9674Nähm’ er, schreckt’ ihn das Feuer nicht;
9675Doch dem Eros siegt er ob
9677Raubt auch Cyprien, wie sie ihm kos’t,
9678Noch vom Busen den Gürtel.
∞Ein reizendes,
reinmelodisches Saitenspiel erklingt aus der Höhle. Alle merken auf
und scheinen bald innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pause
durchaus mit vollstimmiger Musik.
∞Phorkyas
∞Chor
∞
Helena, Faust, Euphorion in dem
oben beschriebenen Costüm
∞Euphorion
∞Helena
∞Faust
∞Chor
∞Euphorion
∞Faust
∞Euphorion
∞Helena
∞Euphorion
9743Nur euch zu Willen
9744Halt’ ich mich an.
∞Durch den Chor sich
schlingend und ihn zum Tanze fortziehend
9745Leichter umschweb’ ich hie9745 hie‸ ] 2 H Komma mit Bleistift erg und wieder ausgewischt 2 H
hie, C.1 4
(II aa)
9746Muntres Geschlecht.
9747Ist nun die Melodie,
9748Ist die Bewegung recht?
∞tanzend und singend bewegen sich in verschlungenem Reihenvor 9755 verschlungenem ] 2 H verschlungenen C.1 4
(II aa)
9755Wenn du der Arme Paar
9756Lieblich bewegest;
9757Im Glanz dein lockig Haar
9758Schüttelnd erregest,
9759Wenn dir der Fuß so leicht
9760Über die Erde schleicht,
9761Dort und da wieder hin
9762Glieder um Glied sich ziehn,
9763Hast du dein Ziel erreicht
9764Liebliches Kind;
9765All’ unsre Herzen sind
∞Pause
∞Euphorion
∞Chor
∞Euphorion
∞Mädchen
9800Laß mich los! In dieser Hülle
9801Ist auch Geistes Muth und Kraft,
9802Deinem gleich ist unser Wille
9803Nicht so leicht hinweggerafft.
9804Glaubst du wohl mich im Gedränge?
9805Deinem Arm vertraust du viel!
9806Halte fest, und ich versenge
9807Dich den Thoren mir zum Spiel.
9808Folge mir in leichte Lüfte,
9809Folge mir in starre Grüfte,
9810Hasche das verschwundne Ziel.
∞Er springt immer höher Fels
auf.
∞Euphorion
∞Chor
∞Euphorion
∞Chor
∞Euphorion
∞Chor
9851Seht hinauf wie hoch gestiegen!
9852Und erscheint uns doch nicht klein.9852 erscheint ] C.1 4 erscheint G 2 III H.2:2
erscheint : er scheint
Jo (nicht zweifelsfrei G) 2 III H.3a:2
erscheint 2 H C.1 4
(II b*)
9853Wie im Harnisch, wie zum Siegen,
9854Wie von Erz und Stahl der Schein.
∞Euphorion
∞Chor
∞Euphorion
∞Euphorion
∞Euphorion
∞Er wirft sich in die Lüfte, die
Gewande tragen ihn einen Augenblick, sein Haupt
strahlt, ein Lichtschweif zieht nach.
∞Ein schöner Jüngling stürzt
zu der Eltern Füßen, man glaubt in dem Todten eine bekannte Gestalt
zu erblicken; doch das Körperliche verschwindet sogleich, die
Aureole steigt wie ein Komet zum Himmel auf, Kleid, Mantel und Lyra
bleiben liegen.
∞Pause
∞Chor
∞Trauergesang
9907Nicht allein! – wo du auch weilest,
9908Denn wir glauben dich zu kennen,
9909Ach! wenn du dem Tag enteilest
9910Wird kein Herz von dir sich trennen.
9911Wüßten wir doch kaum zu klagen,
9912Neidend singen wir dein Loos:
9913Dir in klar’ und trüben Tagen
9914Lied und Muth war schön und groß.
9915Ach! zum Erdenglück geboren,
9916Hoher Ahnen, großer Kraft,
9917Leider! früh dir selbst verloren,
9918Jugendblüthe weggerafft.
9919Scharfer Blick die Welt zu schauen,
9920Mitsinn jedem Herzensdrang,
9921Liebesgluth der besten Frauen
9922Und ein eigenster Gesang.
∞Völlige Pause. Die Musik hört
auf.
∞Helena
∞zu Faust
9939Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:
9940Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.
9941Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band,
9942Bejammernd beide, sage schmerzlich, Lebewohl.9942 sage bis Lebewohl. ] 2 III H.75b sag’ ich schmerzlich Lebewohl! C.1 4
(II aa)
9943Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.
9944Persephoneia nimm den Knaben auf und mich.
∞Sie umarmt Faust, das
Körperliche verschwindet, Kleid und Schleier bleiben ihm in den
Armen.
∞Phorkyas
∞zu Faust
9945Halte fest was dir von allem übrig blieb.
9946Das Kleid laß es nicht los. Da zupfen schon
9947Dämonen an den Zipfeln, möchten gern
9948Zur Unterwelt es reißen. Halte fest!
9949Die Göttin ist’s nicht mehr die du verlorst,
9950Doch göttlich ist’s. Bediene dich der hohen
9951Unschätzbar’n Gunst und hebe dich empor,
9952Es trägt dich über alles Gemeine rasch
9953Am Äther hin, so lange du dauern kannst.
9954Wir sehn uns wieder, weit gar weit von hier.
∞Helenens Gewande lösen sich in
Wolken auf, umgeben Faust, heben ihn in die Höhe und ziehen mit ihm
vorüber.
∞Phorkyas
∞nimmt Euphorions Kleid,
Mantel und Lyra von der Erde, tritt ins Proscenium, hebt die
Exuvien in die Höhe und spricht:
∞Sie setzt sich im Proscenium an
eine Säule nieder.
∞Panthalis
9962Nun eilig Mädchen! Sind wir doch den Zauber los,9962 los, ] 2 H los. C.1 4
los, C.2α 4
C.3 4
(II aa, IV b)
9963Der alt-thessalischen Vettel wüsten Geisteszwang;
9964So des Geklimpers viel verworrner Töne Rausch,
9965Das Ohr verwirrend, schlimmer noch den innern Sinn.
9966Hinab zum Hades! Eilte doch die Königin
9967Mit ernstem Gang hinunter. Ihrer Sohle sey
9968Unmittelbar getreuer Mägde Schritt gefügt.
9969Wir finden sie am Throne der Unerforschlichen.
∞Chor
9970Königinnen freilich überall sind sie gern;
9971Auch im Hades selbst stehen sie oben an,9971 selbst ] 2 III H.2:2 fehlt 2 III H.3a:2 2 H C.1 4
(II b)
9972Stolz zu ihres Gleichen gesellt,
9973Mit Persephonen innigst vertraut;
9974Aber wir im Hintergrunde
9975Tiefer Asphodelos-Wiesen,
9976Langgestreckten Pappeln,
9977Unfruchtbaren Weiden zugesellt,
9978Welchen Zeitvertreib haben wir?
9979Fledermaus gleich zu piepsen,
9980Geflüster, unerfreulich, gespenstig.
9981Wer keinen Namen sich erwarb, noch Edles will,
9982Gehört den Elementen an, so fahret hin!
9983Mit meiner Königin zu seyn verlangt mich heiß;
9984Nicht nur Verdienst, auch Treue wahrt uns die Person.
∞ab
∞Alle
∞Ein Theil des
Chors
9992Wir in dieser tausend Äste Flüsterzittern,
Säuselschweben,
9993Reizen tändlend, locken leise, wurzelauf des
Lebens Quellen
9994Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit Blüthen überschwenglich
9995Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem Gedeihn.
9996Fällt die Frucht, sogleich versammeln, lebenslustig
Volk und Heerden
9997Sich zum Greifen, sich zum Naschen, eilig kommend, emsig
drängend;
9998Und, wie vor den ersten Göttern, bückt sich alles um uns
her.
∞Ein andrer
Theil
9999Wir an dieser Felsenwände weithinleuchtend
glattem Spiegel
10000Schmiegen wir, in sanftem Wallen uns bewegend, schmeichelnd an;10000 sanftem Wallen ] 2 III H.3a:2 sanften Wellen 2 H C.1 4
(II b)
10001Horchen, lauschen jedem Laute, Vogelsängen, Röhrigflöten,10001 Vogelsängen ] 2 H Vogelsingen C.1 4
(II aa)
10002Sey es Pans furchtbarer Stimme, Antwort ist sogleich
bereit;
10003Säuselt’s, säuseln wir erwiedernd, donnert’s,
rollen unsre Donner
10004In erschütterndem Verdoppeln, dreyfach, zehnfach hinten nach.
∞Ein dritter
Theil
10005Schwestern! Wir bewegtern Sinnes, eilen mit den Bächen weiter;
10006Denn es reizen jener Ferne reichgeschmückte Hügelzüge,
10007Immer abwärts, immer tiefer, wässern wir,
mäandrisch wallend,
10008Jetzt die Wiese, dann die Matten, gleich den Garten um
das Haus.
10009Dort bezeichnen’s der Cypressen schlanke Wipfel,
über Landschaft,
10010Uferzug und Wellenspiegel, nach dem Äther steigende.
∞Ein vierter
Theil
10011Wallt ihr andern wo’s beliebet, wir umzingeln wir umrauschen10011 umzingeln‸ ] 2 H
umzingeln, : umzingeln‸ durch Rasur 2 H
umzingeln, C.1 4
(II aa)
10012Den durchaus bepflanzten Hügel, wo am Stab die Rebe
grünt;
10013Dort zu aller Tage Stunden läßt die Leidenschaft
des Winzers
10014Uns des liebevollsten Fleißes zweifelhaft Gelingen
sehn.
10015Bald mit Hacke, bald mit Spaten, bald mit
Häufeln, Schneiden, Binden,
10016Betet er zu allen Göttern, fördersamst zum Sonnengott.
10017Bacchus kümmert sich, der Weichling, wenig um
den treuen Diener,
10018Ruht in Lauben, lehnt in Höhlen, faselnd mit
dem jüngsten Faun.
10019Was zu seiner Träumereyen halbem Rausch er je bedürfte,10019 bedürfte ] 2 III H.2:2 bedurfte 2 III H.3a:2 2 H C.1 4
(II b)
10020Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen und
Gefäßen,
10021Rechts und links der kühlen Grüfte ewige Zeiten aufbewahrt.
10022Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,
10023Lüftend, feuchtend, wärmend, gluthend
Beeren-Füllhorn aufgehäuft,
10024Wo der stille Winzer wirkte, dort auf einmal
wird’s lebendig,
10025Und es rauscht in jedem Laube, raschelt um von Stock zu
Stock.
10026Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten ächzen hin,
10027Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer
kräft’gem Tanz;
10028Und so wird die heilige Fülle reingeborner saftiger
Beeren
10029Frech zertreten, schäumend, sprühend mischt sich’s
widerlich zerquetscht.
10030Und nun gellt ins Ohr der Cymbeln mit der Becken Erzgetöne,10030 ins ] C.1 4 in’s C.2α 4 C.3 4
(IV a)
10031Denn es hat sich Dionysos aus Mysterien enthüllt;
10032Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, schwenkend Ziegenfüßlerinnen,
10033Und dazwischen schreit unbändig grell Silenus
öhrig Thier.
10034Nichts geschont! Gespaltne Klauen treten alle
Sitte nieder,
10035Alle Sinne wirbeln taumlich, gräßlich übertäubt das
Ohr.
10036Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt sind Kopf und
Wänste,
10037Sorglich ist noch ein und andrer, doch vermehrt er
die Tumulte,
10038Denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch den alten
Schlauch!
∞Der Vorhang fällt.
∞
Phorkyas im Proscenium
richtet sich riesenhaft auf, tritt aber von den Cothurnen herunter,
lehnt Maske und Schleier zurück und zeigt sich als Mephistopheles,
um, in sofern es nöthig wäre, im Epilog das Stück zu
commentiren.
∞
∞Vierter Act
∞
∞Hochgebirg, starke zackige Felsen-Gipfel, eine Wolke zieht herbey, lehnt sich an, senkt sich auf eine vorstehende Platte herab. Sie theilt sichvor 10039 starke ] 2 H starre konj Erich Schmidt (III *)
∞ Faust
∞tritt hervor
10039Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem Fuß,
10040Betret’ ich wohlbedächtig dieser Gipfel Saum,
10041Entlassend meiner Wolke Tragewerk, die mich sanft
10042An klaren Tagen über Land und Meer geführt.
10043Sie löst sich langsam, nicht zerstiebend, von mir ab.
10044Nach Osten strebt die Masse mit geballtem Zug,
10045Ihr strebt das Auge staunend in Bewundrung nach.
10046Sie theilt sich wandelnd, wogenhaft, veränderlich.
10047Doch will sich’s modeln. Ja! das Auge trügt mich nicht!
–
10048Auf sonnbeglänzten Pfühlen herrlich hingestreckt,
10049Zwar riesenhaft, ein göttergleiches Fraungebild,
10050Ich seh’s! Junonen ähnlich, Leda’n, Helenen,
10051Wie majestätisch lieblich mir’s im Auge schwankt.
10052Ach! schon verrückt sich’s! Formlos breit und
aufgethürmt,
10053Ruht es in Osten, fernen Eisgebirgen gleich
10054Und spiegelt blendend flüchtger Tage großen Sinn.
10055Doch mir umschwebt ein zarter lichter Nebelstreif
10056Noch Brust und Stirn, erheiternd, kühl und
schmeichelhaft.
10057Nun steigt es leicht und zaudernd hoch und höher auf,
10058Fügt sich zusammen. – Täuscht mich ein entzückend Bild,
10059Als jugenderstes, längstentbehrtes höchstes Gut?
10060Des tiefsten Herzens frühste Schätze quollen auf,10060 quollen ] 2 IV H.1 2 H quellen C1 41 C3 41 Q emend Erich Schmidt (I a*)
10061Aurorens Liebe, leichten
Schwung bezeichnet’s mir,
10062Den schnellempfundnen, ersten, kaum verstandnen Blick,
10063Der, festgehalten, überglänzte jeden Schatz.
10064Wie Seelenschönheit steigert sich die holde Form,
10065Löst sich nicht auf, erhebt sich in den Äther hin,
10066Und zieht das Beste meines Innern mit sich fort.
∞Ein Sieben-Meilenstiefel tappt auf ein Anderer folgt also bald. Mephistopheles steigt ab Die Stiefel schreiten eilig weitervor 10067 also bald ] 2 IV H.3 alsobald 2 IV H.2
also bald (etwas undeutlich) 2 IV H.3
alsbald 2 H
(II aa)
∞
Mephistopheles
∞Faust
∞
Mephistopheles
∞ernsthaft
10075Als Gott der Herr – Ich
weiß auch wohl warum
–
10076Uns, aus der Luft, in tiefste Tiefen bannte,
10077Da, wo centralisch glühend, um und um,
10078Ein ewig Feuer flammend sich durchbrannte,
10079Wir fanden uns bey allzugroßer Hellung,
10080In sehr gedrängter unbequemer Stellung.
10081Die Teufel fingen sämmtlich an zu husten,
10082Von oben und von unten aus zu pusten;
10083Die Hölle schwoll von
Schwefel-Stank und Säure,
10085So daß gar bald der Länder flache Kruste,
10086So dick sie war, zerkrachend bersten mußte.
10087Nun haben wir’s an einem andern
Zipfel,
10088Was ehmals Grund war ist nun Gipfel.
10089Sie gründen auch hierauf die rechten Lehren
10090Das Unterste ins Oberste zu kehren.
10091Denn wir entrannen knechtisch-heißer Gruft,
10092Ins Übermaß der Herrschaft freyer Luft.
10093Ein offenbar Geheimniß wohlverwahrt
10094Und wird nur spät den Völkern offenbart.
∞(Ephes. 6.
12)
∞Faust
10095Gebirgesmasse bleibt mir edel-stumm,
10096Ich frage nicht woher und nicht warum?
10097Als die Natur sich in sich selbst gegründet,
10098Da hat sie rein den Erdball abgeründet.
10099Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut,
10100Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht;
10101Die Hügel dann bequem hinabgebildet,
10102Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet.
10103Da grünts und wächst’s, und
um sich zu erfreuen
10104Bedarf sie nicht der tollen Strudeleyen.
∞
Mephistopheles
10105Das sprecht ihr so! Das scheint euch sonnenklar.
10106Doch weiß es anders der zugegen war.
10107Ich war dabey, als noch da drunten, siedend,
10108Der Abgrund schwoll und strömend Flammen trug,
10109Als Molochs Hammer, Fels an Felsen schmiedend,
10110Gebirges-Trümmer in die Ferne schlug.
10111Noch starrt das Land von fremden Zentnermassen;
10112Wer giebt Erklärung solcher Schleudermacht?
10113Der Philosoph er weiß es nicht zu fassen,
10114Da liegt der Fels, man muß ihn liegen lassen,
10115Zu Schanden haben wir uns schon gedacht. –
10116Das treu-gemeine Volk allein begreift
10117Und läßt sich im Begriff nicht stören;
10118Ihm ist die Weisheit längst gereift:
10119Ein Wunder ist’s, der Satan kommt zu Ehren.
10120Mein Wandrer hinkt, an seiner Glaubenskrücke,
10121Zum Teufelsstein, zur Teufelsbrücke.
∞Faust
10122Es ist doch auch bemerkenswerth zu achten,
10123Zu sehn wie Teufel die Natur betrachten.
∞
Mephistopheles
10124Was geht michs an! Natur sey wie sie sey!
10125’s ist Ehrenpunct! – der Teufel war dabey.
10126Wir sind die Leute Großes zu
erreichen;
10127Tummult, Gewalt und Unsinn! sieh das Zeichen! –
10128Doch, daß ich endlich ganz verständlich spreche,
10129Gefiel dir nichts an unsrer Oberfläche?
10130Du übersahst, in ungemeßnen Weiten,
10131Die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten;
∞(Matth. 4)
10132Doch, ungenügsam wie du bist,
10133Empfandest du wohl kein Gelüst?
∞
Mephistopheles
10135Das ist bald gethan.
10136Ich suchte mir so eine Hauptstadt aus,
10137Im Kerne Bürger-Nahrungs-Graus,
10138Krummenge Gäßchen, spitze Giebeln,
10139Beschränkten Markt, Kohl, Rüben, Zwiebeln;
10140Fleischbänke wo die Schmeißen hausen
10141Die fetten Braten anzuschmaußen;
10142Da findest du zu jeder Zeit
10143Gewiß Gestank und Thätigkeit.
10144Dann weite Plätze, breite Straßen,
10145Vornehmen Schein sich anzumaßen;
10146Und endlich, wo kein Thor beschränkt,
10147Vorstädte gränzenlos verlängt.
10148Da freut ich mich an Rollekutschen,
10149Am lärmigen Hin- und Wiederrutschen,
10151Zerstreuter Ameis-Wimmelhaufen.
10152Und, wenn ich führe, wenn ich ritte,
10153Erschien ich immer ihre Mitte
10154Von Hunderttausenden verehrt.
∞Faust
10155Das kann mich nicht zufrieden stellen!
10156Man freut sich daß das Volk sich mehrt,
10157Nach seiner Art behäglich nährt,
10158Sogar sich bildet sich belehrt,
10159Und man erzieht sich nur Rebellen.
∞
Mephistopheles
10160Dann baut ich, grandios, mir selbst bewußt,
10161Am lustigen Ort ein Schloß zur Lust.
10162Wald, Hügel, Flächen, Wiesen, Feld
10163Zum Garten prächtig umbestellt.
10164Vor grünen Wänden Sammet-Matten,
10165Schnurwege, kunstgerechte Schatten,
10166Cascadensturz, durch Fels zu Fels gepaart,
10167Und Wasserstrahlen aller Art;
10168Ehrwürdig steigt es dort, doch an den Seiten,
10169Da zischt’s und pißts, in
tausend Kleinigkeiten.
10170Dann aber ließ ich allerschönsten Frauen,
10171Vertraut-bequeme Häuslein bauen;
10173In allerliebst-geselliger Einsamkeit.
10174Ich sage Fraun; denn, ein für allemal,
10175Denk ich die Schönen im Plural.
∞
Mephistopheles
10177Erräth man wohl wornach du strebtest?
10178Es war gewiß erhaben kühn.
10179Der du dem Mond um so viel näher schwebtest,
10180Dich zog wohl deine Sucht dahin?
∞Faust
10181Mit nichten! Dieser Erdenkreis
10182Gewährt noch Raum zu großen Thaten.
10183Erstaunenswürdiges soll gerathen,
10184Ich fühle Kraft zu kühnem Fleiß.
∞
Mephistopheles
10189Doch werden sich Poeten finden,
10190Der Nachwelt deinen Glanz zu künden,
10191Durch Thorheit Thorheit zu entzünden.
∞Faust
10192Von allem ist dir nichts gewährt.
10193Was weißt du was der Mensch begehrt?
10194Dein widrig Wesen, bitter, scharf,
10195Was weiß es was der Mensch bedarf.
∞
Mephistopheles
10196Geschehe denn nach deinem Willen!
10197Vertraue mir den Umfang deiner Grillen.
∞Faust
10198Mein Auge war aufs hohe Meer gezogen,
10199Es schwoll empor, sich in sich selbst zu thürmen.
10200Dann ließ es nach und schüttete die Wogen,
10201Des flachen Ufers Breite zu bestürmen.
10202Und das verdroß mich. Wie der Übermuth
10203Den freyen Geist, der alle Rechte schätzt,
10204Durch leidenschaftlich aufgeregtes Blut,
10205Ins Mißbehagen des Gefühls versetzt.
10206Ich hielt’s für Zufall, schärfte meinen Blick,
10207Die Woge stand und rollte dann zurück,
10208Entfernte sich vom stolz erreichten Ziel;
10209Die Stunde kommt, sie wiederholt das Spiel.
∞
Mephistopheles
∞ad Spectatores
10210Da ist für mich nichts Neues zu erfahren,
10211Das kenn ich schon seit hunderttausend Jahren.
∞Faust
∞leidenschaftlich
fortfahrend
10212Sie schleicht heran, an aber tausend Enden
10213Unfruchtbar selbst Unfruchtbarkeit zu spenden,
10214Nun schwillt’s und wächst und rollt und überzieht
10215Der wüsten Strecke widerlich Gebiet.
10216Da herrschet Well auf Welle kraftbegeistet,
10217Zieht sich zurück und es ist nichts
geleistet.
10218Was zur Verzweiflung mich beängstigen könnte,
10219Zwecklose Kraft, unbändiger Elemente!
10220Da wagt mein Geist sich selbst zu überfliegen,
10221Hier möcht’ ich kämpfen, dieß möcht ich besiegen.
10222Und es ist möglich, fluthend wie sie sey,
10223An jedem Hügel schmiegt sie sich vorbey;
10224Sie mag sich noch so übermüthig regen,
10225Geringe Höhe ragt ihr stolz entgegen,
10226Geringe Tiefe zieht sie mächtig an.
10227Da faßt ich schnell im Geiste Plan auf Plan:
10228Erlange dir das köstliche Genießen
10229Das herrische Meer vom Ufer auszuschliessen,
10230Der feuchten Breite Gränzen zu verengen
10231Und, weit hinein, sie in sich selbst zu drängen.
10232Schon Schritt für Schritt wusst ich mirs zu erörtern;
10233Das ist mein Wunsch, den wage zu befördern.
∞Trommeln und kriegerische Musick im Rücken der
Zuschauer, aus der Ferne, von der rechten
Seite her
∞
Mephistopheles
10236Krieg oder Frieden. Klug ist das Bemühen
10237Zu seinem Vortheil etwas auszuziehen.
10238Man paßt, man merkt auf jedes günstige Nu.
10239Gelegenheit ist da, nun, Fauste
greife zu.
∞
Mephistopheles
10242Auf meinem Zuge blieb mir nicht verborgen
10243Der gute Kaiser schwebt in großen Sorgen,
10244Du kennst ihn ja. Als wir ihn unterhielten,
10245Ihm falschen Reichthum in die Hände spielten,
10246Da war die ganze Welt ihm feil.
10247Denn jung ward ihm der Thron zu Theil,
10248Und ihm beliebt’ es falsch
zu schliessen:
10249Es könne wohl zusammengehn,
10250Und sey recht wünschenswerth und schön,
10251Regieren und zugleich genießen.
∞Faust
10252Ein großer Irrthum. Wer befehlen soll,
10253Muß im Befehlen Seligkeit empfinden.
10254Ihm ist die Brust von hohem Willen voll,
10255Doch was er will, es darfs kein Mensch ergründen.
10256Was er den Treusten in das Ohr geraunt,
10257Es ist gethan und alle Welt erstaunt.
10258So wird er stets der Allerhöchste seyn,
10259Der Würdigste –, Genießen macht gemein.
∞
Mephistopheles
10260So ist er nicht! Er selbst genoß und wie?
10261Indeß zerfiel das Reich in Anarchie,
10262Wo Groß und klein sich kreuz und queer befehdeten,
10263Und Brüder sich vertrieben, tödteten.
10264Burg gegen Burg, Stadt gegen Stadt,
10265Zunft gegen Adel – Fehde hat,
10266Der Bischoff mit Capitel und Gemeinde;
10267Was sich nur ansah waren Feinde.
10268In Kirchen Mord und Todtschlag, vor den Thoren
10269Ist jeder Kauf- und Wandersmann verloren.
10270Und allen wuchs die
Kühnheit nicht gering;
10271Denn leben hieß sich wehren – Nun das ging.
∞Faust
10272Es ging, es hinkte, fiel, stand wieder auf;
10273Dann überschlug sich’s, rollte plump zu Hauf.
∞
Mephistopheles
10274Und solchen Zustand durfte niemand schelten,
10275Ein jeder konnte, jeder wollte gelten.
10276Der Kleinste selbst er galt für voll.
10277Doch war’s zuletzt den
Besten allzutoll.
10278Die Tüchtigen sie standen auf mit Kraft
10279Und sagten: Herr ist der uns Ruhe schafft.
10280Der Kaiser kanns nicht,
wills nicht – laßt uns wählen,
10281Den neuen Kaiser neu das Reich beseelen,
10282Indem er jeden sicher stellt,
10283In einer frisch geschaffnen Welt
10284Fried’ und Gerechtigkeit vermählen.
∞
Mephistopheles
10285Pfaffen warens
auch,
10286Sie sicherten den wohlgenährten Bauch.
10287Sie waren mehr als andere betheiligt.
10288Der Aufruhr schwoll, der Aufruhr ward geheiligt;
10289Und unser Kaiser, den wir
froh gemacht,
10290Zieht sich hieher, vielleicht zur letzten Schlacht.
∞
Mephistopheles
10292Komm, sehn wir zu, der Lebende soll hoffen.
10293Befreyn wir ihn aus diesem engen Thale!
10294Einmal gerettet ist’s für tausendmale.
10295Wer weiß wie noch die Würfel fallen?
10296Und hat er Glück so hat er auch Vasallen.
∞sie steigen über das Mittelgebirg herüber und beschauen
die Anordnung des Heeres im Thal. Trommeln und Kriegsmusick schallt von
unten auf.
∞
Mephistopheles
10297Die Stellung, seh ich, gut ist sie genommen,
10298Wir treten zu, dann ist der Sieg vollkommen.
∞
Mephistopheles
10301Kriegslist um Schlachten zu gewinnen!
10302Befestige dich bey großen
Sinnen,
10303Indem du deinen Zweck bedenkst.
10304Erhalten wir dem Kaiser Thron und Lande,
10305So kniest du nieder und empfängst
10306Die Lehn von gränzenlosem Strande.
∞
Mephistopheles
10309Nein, du gewinnst sie! dieses mal10309 dieses mal ] 2 IV H.8
diesmal : diesesmal
Ec 2 H
(II aa, VI)
10310Bist du der Obergeneral.
∞
Mephistopheles
10313Laß du den Generalstab sorgen
10314Und der Feldmarschall ist geborgen.
10315Kriegsunrath hab ich längst verspürt,
10316Den Kriegsrath gleich voraus formirt,
10317Aus Urgebirgs Urmenschenkraft;
10318Wohl dem der sie zusammenrafft.
∞Die drey Gewaltigen treten auf
∞Sam. II. 23. 8.
∞
Mephistopheles
10323Da kommen meine Bursche ja!
10324Du siehst, von sehr verschiedenen Jahren,
10325Verschiednem Kleid und Rüstung sind sie da,
10326Du wirst nicht schlecht mit ihnen fahren.
∞Ad Spectatores
10327Es liebt sich jetzt ein jedes Kind
10328Den Harnisch und den Ritterkragen;
10329Und, allegorisch wie die Lumpe sind,
10330
Sie
werden nur um desto mehr behagen.
∞
∞Auf dem Vorgebirg
∞Trommeln und kriegerische Musick von unten
∞Des Kaisers Zelt wird aufgeschlagen
∞Obergeneral
10345Noch immer scheint der Vorsatz wohl erwogen
10346Daß wir, in dieß gelegene Thal,
10347Das ganze Heer gedrängt zurückgezogen,
10348Ich hoffe fest uns glückt die Wahl.
∞Kaiser
10349Wie es nun geht, es muß sich zeigen;
10350Doch mich verdrießt die halbe Flucht, das Weichen.
∞Obergeneral
10351Schau hier, mein Fürst, auf unsre rechte Flanke.
10352Solch ein Terrain wünscht sich der Kriegsgedanke;
10353Nicht steil die Hügel, doch nicht allzu gänglich,
10354Den Unsern vortheilhaft, dem Feind verfänglich.
10355Wir, halb versteckt, auf wellenförmigem Plan;
10356Die Reiterey sie wagt sich nicht heran.
∞Obergeneral
10359Hier, auf der Mittelwiese flachen Räumlichkeiten,
10360Siehst du den Phalanx, wohlgemuth zu streiten.
10361Die Piken blinken flimmernd in der Luft,
10362Im Sonnenglanz, durch Morgennebelduft.
10363Wie dunkel wogt das mächtige Quadrat!
10364Zu Tausenden glühts hier auf große That.
10365Du kannst daran der Masse Kraft erkennen,
10366Ich trau ihr zu der Feinde Kraft zu trennen.
∞Kaiser
10367Den schönen Blick hab’ ich zum ersten Mal.
10368Ein solches Heer gilt für die Doppelzahl.
∞Obergeneral
10369Von unsrer Linken hab ich nichts zu melden,
10370Den starren Fels besetzen wackere Helden.
10371Das Steingeklipp, das jetzt
von Waffen blitzt,
10372Den wichtigen Paß der engen Klause schützt.
10373Ich ahne schon hier scheitern Feindeskräfte
10374Unvorgesehn im blutigen Geschäfte.
∞Kaiser
10375Dort ziehn sie her die falschen Anverwandten,
10376Wie sie mich Oheim, Vetter, Bruder nannten,
10377Sich immer mehr und wieder mehr erlaubten,
10378Dem Scepter Kraft, dem Thron Verehrung raubten;
10379Dann, unter sich entzweyt, das Reich verheerten,
10380Und nun gesammt sich gegen mich empörten.
10381Die Menge schwankt im ungewissen Geist,
10382Dann strömt sie nach wohin der Strom sie reißt.
∞Obergeneral
10383Ein treuer Mann, auf Kundschaft ausgeschickt,
10384Kommt eilig Felsenab; seys
ihm geglückt!
∞Erster Kundschafter
∞Kaiser
10393Sich selbst erhalten bleibt der Selbstsucht Lehre,
10394Nicht Dankbarkeit und Neigung, Pflicht und Ehre.
10395Bedenkt ihr nicht, wenn eure Rechnung voll,
10396Daß Nachbars Hausbrand Euch verzehren soll.
∞Obergeneral
10397Der Zweyte kommt, nur langsam steigt er nieder,
10398Dem müden Manne zittern alle Glieder.
∞Zweyter Kundschafter
∞Kaiser
10407Ein Gegenkaiser kommt mir zum Gewinn,
10408Nun fühl ich erst daß Ich der Kaiser bin.
10409Nur als Soldat legt ich den Harnisch an,
10410Zu höherem Zweck ist er nun umgethan.
10411Bey jedem Fest, wenns noch so glänzend war,
10412Nichts ward vermißt,
mir fehlte die Gefahr.
10413Wie ihr auch seyd zum Ringspiel riethet ihr,
10414Mir schlug das Herz ich athmete Turnier.
10416Jetzt glänzt’ ich schon in lichten
Heldenthaten.
10417Selbstständig fühlt ich meine Brust
besiegelt,
10418Als ich mich dort im Feuerreich bespiegelt,
10419Das Element drang gräßlich auf mich los,
10420Es war nur Schein, allein der Schein war
groß.
10421Von Sieg und Ruhm hab ich verwirrt geträumt,
10422Ich bringe nach was frevelhaft versäumt.
∞die Herolde werden abgefertigt zu Herausforderung des
Gegenkaisers.
∞Faust
10423Wir treten auf, und hoffen ungescholten;
10424Auch ohne Noth hat Vorsicht wohl gegolten.
10425Du weist das Bergvolk denkt und simulirt,
10426Ist in Natur- und Felsenschrift studirt.
10427Die Geister, längst dem
flachen Land entzogen,
10428Sind mehr als sonst dem Felsgebirg gewogen.
10429Sie wirken still durch
labyrinthische Klüfte,
10430Im edlen Gas, metallisch reicher Düfte;
10431In stetem Sondern, Prüfen und Verbinden,
10432Ihr einziger Trieb ist Neues zu erfinden.
10433Mit leisem Finger geistiger Gewalten,
10434Erbauen sie durchsichtige Gestalten;
10435Dann im Krystall und seiner ewigen Schweigniß
10436Erblicken sie der Oberwelt Ereigniß.
∞Kaiser
10437Vernommen hab ich’s und ich glaube dir;
10438Doch, wackrer Mann, sag an: was soll das hier.
∞Faust
10440Ist dein getreuer ehrenhafter Diener.
10441Welch gräulich Schicksal droht’ ihm ungeheuer,
10442
Das Reißig prasselte, schon züngelte das Feuer;
10443Die trocknen Scheite, rings umher verschränkt,
10444Mit Pech und Schwefelruthen untermengt;
10445Nicht Mensch, noch Gott, noch Teufel konnte retten,
10446Die Majestät zersprengte glühende Ketten.
10447Dort war’s in Rom. Er bleibt dir hoch verpflichtet,
10448Auf deinen Gang in Sorge stets gerichtet.
10449Von jener Stund’ an ganz vergaß er sich,
10450Er fragt den Stern, die Tiefe nur für dich.
10451Er trug uns auf, als eiligstes Geschäfte,
10453Da wirkt Natur so übermächtig frey,
10454Der Pfaffen Stumpfsinn schilt es Zauberey.
∞Kaiser
10455Am Freudentag wenn wir die Gäste grüssen,
10456Die heiter kommen
heiter
zu
genießen,
10457Da freut uns jeder wie er schiebt und drängt,
10458Und, Mann für Mann, der Säle Raum verengt.
10459Doch höchst willkommen muß der Biedre seyn,
10460Tritt er als Beystand kräftig zu uns ein,
10461Zur Morgenstunde, die bedenklich waltet,
10462Weil über ihr des Schicksals Wage schaltet.
10463Doch lenket hier, im hohen Augenblick,
10464Die starke Hand vom willigen Schwerdt zurück
10465Ehrt den Moment, wo manche tausend schreiten,
10466Für oder wider mich, zu streiten.
10467Selbst ist der Mann! Wer Thron und Kron begehrt
10468Persönlich sey er solcher Ehren werth.
10469Sey das Gespenst, das gegen uns erstanden
10470Sich Kaiser nennt und Herr von unsern Landen,
10471Des Heeres Herzog, Lehnsherr unsrer Großen,
10472Mit eigner Faust in’s Todtenreich gestoßen.
∞Faust
10473Wie es auch sey das Große zu vollenden,
10474Du thust nicht wohl dein Haupt so zu verpfänden.
10475Ist nicht der Helm mit Kamm und Busch geschmückt,
10476Er schützt das Haupt das unsern Muth entzückt.
10477Was, ohne Haupt, was
förderten die Glieder?
10478Denn schläfert jenes, alle sinken nieder;
10479Wird es verletzt, gleich alle sind verwundet,
10480Erstehen frisch, wenn jenes rasch gesundet.
10481Schnell weiß der Arm sein starkes Recht zu nützen,
10482Er hebt den Schild den Schädel zu beschützen,
10483Das Schwerdt gewahret seiner Pflicht sogleich,
10484Lenkt kräftig ab und wiederholt den Streich;
10485Der tüchtige Fuß nimmt Theil an ihrem Glücke,10485–10486 Glücke bis Genicke ] 2 IV H.13 Glücke bis Genicke 2 IV H.18
Glück‸ bis Genicke : Glücke, bis Genicke G 2 IV H.13
Glück bis Genick 2 H
(II aa)
10486Setzt dem Erschlagenen frisch sich ins Genicke.
∞Kaiser
10487Das ist mein Zorn, so möcht ich ihn behandeln,
10488Das stolze Haupt in Schemeltritt verwandeln.
∞Faust
10497Dem Wunsch gemäß der Besten ists geschehn,
10498Die, fest und treu, an deiner Seite stehn.
10499Dort naht der Feind, die deinen harren brünstig,
10500Befiehl den Angriff, der
Moment ist günstig.
∞Kaiser
10501Auf das Commando leist ich hier Verzicht.
∞zum Oberfeldherrn
10502In deinen Händen, Fürst,
sey deine Pflicht.
∞Obergeneral
10503So trete denn der rechte Flügel an!
10504Des Feindes Linke, eben jetzt im Steigen,
10505Soll, eh sie noch den letzten Schritt gethan,
10506Der Jugendkraft geprüfter Treue weichen.
∞Faust
10507Erlaube denn daß dieser muntre Held
10508Sich ungesäumt in deine Reihen stellt,
10509Sich deinen Reihen innigst einverleibt,
10510Und, so gesellt, sein kräftig Wesen treibt.
∞er deutet zur Rechten.
∞Raufebold
∞tritt vor
10511Wer das Gesicht mir zeigt der kehrts nicht ab
10512Als mit zerschlagnen Unter-
und Oberbacken,
10513Wer mir den Rücken kehrt, gleich liegt ihm schlapp
10514Hals, Kopf und Schopf hinschlotternd graß im Nacken.
10515Und schlagen deine Männer dann
10516Mit Schwerd und Kolben wie ich wüthe,
10517So stürzt der Feind, Mann über Mann,
10518Ersäuft im eigenen
Geblüte.
∞
ab
∞Oberfeldherr
10519Der Phalanx unsrer Mitte folge sacht,
10520Dem Feind begegn’ er, klug mit aller Macht,
10521Ein wenig rechts, dort hat bereits, erbittert,
10522Der unseren Streitkraft ihren Plan erschüttert.
∞Habebald
10525Dem Heldenmuth der Kaiserschaaren
10526Soll sich der Durst nach Beute paaren;
10527Und allen sey das Ziel gestellt:
10528Des Gegenkaisers reiches Zelt.
10529Er prahlt nicht lang auf seinem Sitze,
10530Ich ordne mich dem Phalanx an die Spitze.
∞Eilebeute
∞Markedenterin, sich an ihn
anschmiegend
10531Bin ich ihm auch nicht angeweibt,10531 ihm auch ] 2 IV H.13 ihm auch G 2 IV H.18 2 IV H.13
auch ihm 2 H
(II aa)
10532Er mir der liebste Buhle bleibt.
10533Für uns ist solch ein Herbst gereift!
10534Die Frau ist grimmig wenn sie greift,
10535Ist ohne Schonung wenn sie raubt;
10536Im Sieg voran! und alles ist erlaubt.
∞
beyde ab
∞Oberfeldherr
10537Auf unsre Linke, wie vorauszusehn,
10538Stürzt ihre Rechte, kräftig. Widerstehn
10539Wird, Mann für Mann, dem wüthenden Beginnen
10540Den engen Paß des Felswegs zu gewinnen.
∞Faust
∞winkt nach der Linken
10541So bitte Herr auch diesen zu bemerken,
10542Es schadet nichts wenn Starke sich verstärken.
∞Haltefest
∞tritt vor
10543Dem linken Flügel keine Sorgen!
10544Da wo ich bin ist der Besitz geborgen,
10545In ihm bewähret sich der Alte,
10546Kein Strahlblitz spaltet was ich halte.
∞
ab
∞
Mephistopheles
∞von oben
herunterkommend
10547Nun schauet wie im
Hintergrunde,
10548Aus jedem zackigen Felsenschlunde,
10549Bewaffnete hervor sich drängen,
10550Die schmalen Pfade zu verengen.
10551Mit Helm und Harnisch, Schwerdtern, Schilden,
10552In unserm Rücken eine Mauer bilden,
10553Den Wink erwartend zuzuschlagen.
∞leise zu den Wissenden
10554Woher das kommt müsst ihr nicht fragen.
10555Ich habe freylich nicht gesäumt
10557Da standen sie zu Fuß zu Pferde,
10558Als wären sie noch Herrn der Erde,
10559Sonst waren’s Ritter, König, Kaiser,
10560Jetzt sind es nichts als leere Schneckenhäuser.
10561Gar manch Gespenst hat sich darein geputzt,
10562Das Mittelalter lebhaft aufgestutzt.
10563Welch Teufelchen auch drinne steckt,
10564Für diesmal macht es doch Effect.
∞laut
10565Hört wie sie sich voraus erbosen,
10566Blechklappernd aneinander stoßen!
10567Auch flattern Fahnenfetzen bey Standarten,
10568Die frischer Lüftchen ungeduldig harrten.
10569Bedenkt, hier ist ein altes
Volk bereit
10570Und mischte gern sich auch zum neuen Streit.
∞furchtbarer Posaunenschall von oben, im feindlichen Heere merkliche Schwankungnach 10570 Posaunenschall ] Posaunenschall 2 IV H.21a
Posauenschall 2 H
(I a)
∞Faust
10571Der Horizont hat sich verdunkelt,
10572Nur hie und da bedeutend funkelt
10573Ein rother ahnungsvoller Schein;
10574Schon blutig blinken die Gewehre,
10575Der Fels, der Wald, die Atmosphäre,
10576Der ganze Himmel mischt sich ein.
∞
Mephistopheles
10577Die rechte Flanke hält sich kräftig;
10578Doch seh ich, ragend unter
diesen,
10579Hans Raufbold, den behenden Riesen,
10580Auf seine Weise rasch beschäftigt.
∞Kaiser
10581Erst sah ich Einen Arm erhoben,
10582Jetzt seh ich schon ein Dutzend toben,
10583Naturgemäß geschieht es nicht.
∞Faust
10584Vernahmst du nichts von Nebelstreifen
10585Die auf Siciliens Küsten schweifen?
10586Dort, schwankend klar, im Tageslicht,
10587Erhoben zu den Mittellüften,
10588Gespiegelt in besondern Düften,
10589Erscheint ein seltsames Gesicht.
10590Da schwanken Städte hin und wieder,
10591Da steigen Gärten auf und nieder,
10592Wie Bild um Bild den Äther bricht.
∞Kaiser
10593Doch wie bedenklich! Alle Spitzen
10594Der hohen Speere seh ich blitzen;
10595Auf unsrer Phalanx blanken Lanzen
10596Seh ich behende Flämmchen tanzen.
10597Das scheint mir gar zu geisterhaft.
∞Faust
10598Verzeih, o Herr, das sind die Spuren
10599Verschollner geistiger Naturen,
10600Ein Widerschein der Dioskuren,
10601Bey denen alle Schiffer schwuren,
10602Sie sammeln hier die letzte Kraft.
∞Kaiser
10603Doch sage wem sind wir verpflichtet
10604Daß die Natur, auf uns gerichtet,
10605Das Seltenste zusammenrafft?
∞
Mephistopheles
10606Wem als dem Meister, jenem hohen,
10607Der dein Geschick im Busen trägt?
10608Durch deiner Feinde starkes drohen
10609Ist er im Tiefsten aufgeregt.
10610Sein Dank will dich gerettet sehen,
10611Und sollt er selbst daran vergehen.
∞Kaiser
10612Sie jubelten mich pomphaft umzuführen,
10613Ich war nun was, das wollt
ich auch probiren,
10614Und fands gelegen, ohne viel zu denken,
10615Dem weißen Barte kühle Luft zu schenken.
10616Dem Klerus hab ich eine Lust verdorben,
10617Und ihre Gunst mir freylich nicht erworben.
10618Nun sollt ich seit so manchen Jahren
∞Faust
10620Freyherzige Wohlthat wuchert reich;
10621Laß deinen Blick sich aufwärts wenden!
10622Mich däucht Er will ein Zeichen senden,
10623Gieb acht, es deutet sich sogleich.
∞Faust
10626Gieb acht: gar günstig scheint es mir.
10627Greif ist ein fabelhaftes Thier;
10628Wie kann er sich so weit vergessen,
10629Mit ächtem Adler sich zu messen?
∞Kaiser
10630Nunmehr, in weitgedehnten Kreisen;
10631Umziehn sie sich; – in gleichem Nu,
10632Sie fahren aufeinander zu
10633Sich Brust und Hälse zu zerreißen.
∞
Mephistopheles
∞gegen die Rechte
10640Dringend wiederholten Streichen
10641Müssen unsre Feinde weichen,
10642Und, mit ungewissem Fechten,
10643Drängen sie nach ihrer Rechten
10644Und verwirren so im Streite
10645Ihrer Hauptmacht linke Seite.
10646Unsers Phalanx feste Spitze
10647Zieht sich rechts, und
gleich dem Blitze
10648Fährt sie in die schwache Stelle. –
10649Nun, wie sturmerregte Welle,10649 sturmerregte ] 2 IV H.8 sturmbewegte 2 H
C1 41
C3 41
Q
sturmerregte Ec 2 H
(II aa, VI)
10650Sprühend, wüthen gleiche Mächte,
10651Wild in doppeltem Gefechte,
10652Herrlichers ist nichts ersonnen
10653Uns ist diese Schlacht gewonnen.
∞an der linken Seite zu
Faust
10654Schau! Mir scheint es dort bedenklich,
10655Unser Posten steht verfänglich.
10656Keine Steine seh ich fliegen,
10657Niedre Felsen sind erstiegen,
10658Obre stehen schon verlassen.
10659Jetzt! – Der Feind, zu ganzen Massen
10660Immer näher angedrungen,
10661Hat vielleicht den Paß errungen.
10662Schlußerfolg unheiligen Strebens!
10663Eure Künste sind vergebens.
∞
Pause
∞
Mephistopheles
10664Da kommen meine beiden Raben,
10665Was mögen die für Botschaft haben?
10666Ich fürchte gar es geht uns schlecht.
∞Kaiser
10667Was sollen diese leidigen Vögel?
10668Sie richten ihre schwarzen Segel
10669Hierher vom heißen Felsgefecht.
∞
Mephistopheles
∞zu den Raben
10670Setzt euch ganz nah zu meinen Ohren.
10671Wen ihr beschützt ist nicht verloren,
10672Denn euer Rath ist folgerecht.
∞Faust
∞zum Kaiser
10673Von Tauben hast du ja vernommen,
10674Die aus den fernsten Landen kommen,
10675Zu ihres Nestes Brut und Kost.
10676Hier ist’s, mit wichtigen Unterschieden;
10677Die Taubenpost bedient den Frieden,
10678Der Krieg befiehlt die Rabenpost.
∞
Mephistopheles
10679Es meldet sich ein schwer Verhängniß,
10680Seht hin! gewahret die Bedrängniß
10681Um unsrer Helden Felsenrand.
10682Die nächsten Höhen sind erstiegen,
10683Und würden sie den Paß besiegen,
10684Wir hätten einen schweren Stand.
∞Kaiser
10685So bin ich endlich doch betrogen!
10686Ihr habt mich in das Netz gezogen,
10687Mir graut seitdem es mich umstrickt.
∞
Mephistopheles
10688Nur Muth! Noch ist es nicht mißglückt.
10689Geduld und Pfiff zum letzten Knoten;
10690Gewöhnlich gehts am Ende scharf.
10691Ich habe meine sichern Boten,
10692Befehlt daß ich befehlen darf.
∞
Obergeneral
∞der indeßen herangekommen
10693Mit diesen hast du dich vereinigt,
10694Mich hat’s die ganze Zeit gepeinigt,
10695Das Gaukeln schafft kein festes Glück.
10696Ich weiß nichts an der Schlacht zu wenden,
10697Begannen sie’s, sie mögen’s enden,
10698Ich gebe meinen Stab zurück.
∞Kaiser
10699Behalt ihn bis zu bessern Stunden,
10700Die uns vielleicht das Glück verleiht.
10701Mir schaudert vor dem garstigen Kunden,
10702Und seiner Rabentraulichkeit.
∞zu Mephistopheles
10703Den Stab kann ich dir nicht verleihen,
10704Du scheinst mir nicht der rechte Mann,
10705Befiehl, und such uns zu befreyen;
10706Geschehe, was geschehen kann.
∞ab ins Zelt mit dem Obergeneral
∞
Mephistopheles
10707Mag ihn der stumpfe Stab beschützen!
10708Uns andern könnt er wenig nützen,
10709Es war so was vom Kreuz daran.
∞
Mephistopheles
10710Es ist gethan! –
10711Nun schwarze Vettern, rasch im Dienen,
10712Zum großen Bergsee! grüßt mir die Undinen,
10713Und bittet sie um ihrer Fluthen Schein.
10714Durch Weiberkünste, schwer zu kennen,
10715Verstehen sie vom Seyn den Schein zu trennen,
10716Und jeder schwört das sey das Seyn.
∞Pause
∞Faust
10717Den Wasserfräulein müssen unsre Raben
10718Recht aus dem Grund geschmeichelt haben,
10719Dort fängt es schon zu rieseln an.
10720An mancher trocknen, kahlen Felsenstelle
10721Entwickelt sich die volle rasche Quelle,
10722Um jener Sieg ist es gethan.
∞Faust
10725Schon rauscht Ein Bach zu Bächen mächtig nieder,
10726Aus Schluchten kehren sie gedoppelt wieder,
10727Ein Strom nun wirft den Bogenstrahl,
10728Auf einmal legt er sich in flache Felsenbreite
10729Und rauscht und schäumt, nach der und jener Seite,
10730Und stufenweise wirft er sich ins Thal.
10731Was hilft ein tapfres heldenmäßiges Stemmen?
10732Die mächtige Woge strömt sie wegzuschwemmen.
10733Mir schaudert selbst vor solchem wilden Schwall.
∞
Mephistopheles
10734Ich sehe nichts von diesen Wasserlügen,
10735Nur Menschen Augen lassen sich betrügen
10736Und mich ergötzt der wunderliche Fall.
10737Sie stürzen fort zu ganzen hellen Haufen,
10738Die Narren wähnen zu ersaufen,
10739Indem sie frey auf festem Lande schnaufen,
10740Und lächerlich mit Schwimmgebärden
laufen.
10741Nun ist Verwirrung überall.
∞die Raben sind wieder gekommen.
10742Ich werd euch bey dem hohen Meister loben;
10743Wollt ihr euch nun als Meister selbst erproben,
10744So eilet zu der glühenden Schmiede,
10745Wo das Gezwerg-Volk, nimmer müde,
10746Metall und Stein zu Funken schlägt.
10747Verlangt, weitläufig sie beschwatzend,
10748Ein Feuer, leuchtend, blinkend, platzend,
10749Wie man’s im hohen Sinne hegt.
10750Zwar Wetterleuchten in der weiten Ferne,
10751Blickschnelles Fallen allerhöchster Sterne,
10752Mag jede Sommernacht geschehn;
10753Doch Wetterleuchten in verworrnen Büschen,
10754Und Sterne die am feuchten Boden zischen,
10755Das hat man nicht so leicht gesehn.
10756So müßt ihr, ohn’ Euch viel
zu quälen,
10757Zuvörderst bitten, dann befehlen.
∞Raben ab. Es geschieht wie vorgeschrieben.
∞
Mephistopheles
10758Den Feinden dichte Finsternisse!
10759Und Tritt und Schritt in’s Ungewisse!
10760Irrfunken-Blick an allen Enden,
10761Ein Leuchten plötzlich zu verblenden.
10762Das alles wäre wunderschön,
10763Nun aber brauchts noch Schreckgetön.
∞Faust
10764Die hohlen Waffen aus der Säle Grüften,
10765Empfinden sich erstarkt in freyen Lüften;
10766Da droben klapperts, rasselts lange schon,
10767Ein wunderbarer falscher Ton.
∞
Mephistopheles
10768Ganz recht! sie sind nicht mehr zu zügeln,
10769Schon schallts von ritterlichen Prügeln,
10770Wie in der holden alten Zeit.
10771Armschienen, wie der Beine Schienen,10771 Schienen ] 2 IV H.8
Schienen : schienen G 2 H
(II aa)
10772Als Guelfen und als Ghibellinen,
10773Erneuen rasch den ewigen Streit.
10774Fest, im ererbten Sinne wöhnlich,
10775Erweisen sie sich unversöhnlich,
10776Schon klingt das Tosen weit und breit.
10777Zuletzt, bey allen Teufelsfesten,
10778Wirkt der Partheyhaß doch zum Besten,
10779Bis in den allerletzten Grauß.
10780Schallt wider-widerwärtig panisch,
10781Mitunter grell und scharf-satanisch,
10782Erschreckend in das Thal hinaus.
∞Kriegstummult im Orchester, zuletzt übergehend in
militairisch heitre Weisen
∞
∞Des Gegenkaisers Zelt, Thron, reiche Umgebung
∞
Habebald
∞die Waffe nehmend
10795Damit ist es gar bald gethan,
10796Man schlägt ihn todt und geht voran.
10797Du hast soviel schon aufgepackt,
10798Und doch nichts rechtes eingesackt.
10799Den Plunder laß an seinem Ort,
10800Nehm’ eines dieser Kistchen fort!
10801Dies ist des Heers beschiedner Sold,
10802In seinem Bauche lauter Gold.
∞
Habebald
10805Geschwinde duck dich! Mußt dich bücken!
10806Ich hucke dir’s auf den starken Rücken.
∞das Kistchen stürzt und springt auf.
∞
Habebald
10813Und so genug! und eile doch!
∞sie steht auf.
10814O weh die Schürze hat ein Loch!
10815Wohin du gehst und wo du stehst
10816Verschwenderisch die Schätze säst.
∞
Habebald
10819Wir trugen unsre Glieder feil,
10820Und holen unser Beutetheil. –
10821In Feindes-Zelten ists der Brauch
10822Und wir, Soldaten sind wir auch.
∞Trabanten
10823Das passet nicht in unsern Kreis
10824Zugleich Soldat und Diebsgeschmeiß,
10825Und wer sich unserm Kaiser naht,
10826Der sey ein redlicher Soldat.
∞
Habebald
10827Die Redlichkeit die kennt man schon.
10828Sie heißet: Contribution.
10829Ihr alle seyd auf gleichem Fuß:
10830Gieb her! das ist der Handwerksgruß.
∞zu Eilebeute
10831Mach fort und schleppe was du hast,
∞
ab
∞Vierter
10839Wie ich es nicht zu sagen weiß:
10840Es war den ganzen Tag so heiß,
10841So bänglich, so beklommen schwül,
10842Der eine stand der andere fiel,
10843Man tappte hin und schlug zugleich,
10844Der Gegner fiel vor jedem Streich,
10845Vor Augen schwebt es wie ein Flor,
10846Dann summts und saußts und zischt im Ohr.
10847Das ging so fort, nun sind wir da
10848Und wissen selbst nicht wie’s geschah.
∞Kaiser
10849Es sey nun wie ihm sey! uns ist die Schlacht gewonnen,
10850Des Feinds zerstreute Flucht im flachen Feld zerronnen.
10851Hier steht der leere Thron, verrätherischer Schatz,
10852Von Teppichen umhüllt, verengt umher den Platz.
10853Wir, ehrenvoll, geschützt
von eigenen Trabanten,
10854Erwarten Kayserlich der Völker Abgesandten;
10855Von allen Seiten her kommt frohe Botschaft an:
10856Beruhigt sey das Reich, uns freudig zugethan.
10857Hat sich in unsern Kampf auch Gaukeley geflochten,
10858Am Ende haben wir uns nur allein gefochten.
10859Zufälle kommen ja dem Streitenden zu gut,
10860Vom Himmel fällt ein Stein, dem Feinde regnets Blut,
10861Aus Felsenhöhlen tönt’s
von mächtigen Wunderklängen,
10862Die unsre Brust erhöhn, des Feindes Brust verengen.
10863Der Überwundne fiel, zu stets erneutem Spott,
10864Der Sieger, wie er prangt, preist den gewognen
Gott.
10865Und alles stimmt mit ein, er braucht nicht zu befehlen,
10866Herr Gott dich loben wir! aus Millionen Kehlen.
10867Jedoch zum höchsten Preis wend’ ich den frommen Blick,
10868Das selten sonst geschah, zur eignen Brust
zurück.
10869Ein junger muntrer Fürst mag seinen Tag vergeuden,
10870Die Jahre lehren ihn des Augenblicks Bedeuten.
10871Deshalb denn ungesäumt, verbind’ ich mich sogleich
10872Mit euch Vier Würdigen, für Haus und Hof und Reich.
∞zum ersten
10873Dein war o Fürst! des Heers geordnet kluge Schichtung,
10874Sodann, im Hauptmoment, heroisch kühne Richtung;
10875Im Frieden wircke nun wie es die Zeit begehrt,
10876Erzmarschall nenn ich dich, verleihe dir das Schwerdt.10876 Erzmarschall ] 2 IV H.21a Erbmarschall 2 H
(II aa)
10877Dein treues Heer, bis jetzt im Inneren beschäftigt,
10878Wenns an der Gränze dich und deinen Thron bekräftigt,
10879Dann sey es uns vergönnt, bey Festesdrang im Saal,
10880Geräumiger Väterburg, zu rüsten dir das Maal.10880 Väterburg ] 2 IV H.21a Vaterburg 2 H
(II aa)
10881Blank trag ichs dir dann vor, blank halt ich dirs zur Seite,
10882Der höchsten Majestät zu ewigem Geleite.
∞Der Kaiser
∞zum Zweyten
10883Der sich, als tapfrer Mann, auch zart gefällig zeigt,
10884Du! Sey Erzkämmerer, der Auftrag ist nicht leicht.
10886Bey deren innerm Streit ich schlechte Diener finde;
10887Dein Beyspiel sey fortan in Ehren aufgestellt,
10888Wie Man dem Herrn, dem Hof und
Allen wohlgefällt.
∞Erzkämmerer
10889Des Herren großen Sinn zu fördern bringt zu Gnaden,
10890Den besten hülfreich seyn, den Schlechten selbst nicht
schaden,
10891Dann klar seyn ohne List, und ruhig ohne Trug!
10892Wenn du mich, Herr, durchschaust, geschieht mir schon genug.
10893Darf sich die Phantasie auf jenes Fest erstrecken?
10894Wenn du zur Tafel gehst reich ich das goldne Becken,
10895Die Ringe halt ich dir, damit zur Wonnezeit
10896Sich deine Hand erfrischt, wie mich dein Blick erfreut.
∞Kaiser
10897Zwar fühl ich mich zu ernst, auf Festlichkeit zu
sinnen,
10898Doch seys! Es fördert auch frohmüthiges Beginnen.
∞zum Dritten
10899Dich wähl’ ich zum Erztruchseß! Also sey fortan
10900Dir Jagd, Geflügel-Hof und Vorwerk unterthan;
10901Der Lieblingsspeisen Wahl laß mir zu allen Zeiten10901 Lieblingsspeisen Wahl ] 2 IV H.20 Lieblingsspeise wahl 2 H
(II aa)
10902Wie sie der Monat bringt und sorgsam
zubereiten.
∞
Erztruchseß
10903Streng Fasten sey für mich die
angenehmste Pflicht,
10904Bis, vor dich hingestellt, dich freut ein Wohlgericht.
10905Der Küche Dienerschaft soll sich mit mir vereinigen,
10906Das Ferne beyzuziehn, die
Jahrszeit zu beschleunigen.
10907Dich reizt nicht fern und früh womit die Tafel prangt,
10908Einfach und kräftig ist’s wornach dein Sinn verlangt.
∞Kaiser
∞zum Vierten
10909Weil unausweichlich hier sich nur von Festen handelt,10909 von Festen ] 2 H von Fasten : vom Fasten
G
2 IV H.20
von Festen (mglw G aus von Fasten) 2 H
(II d*)
10910So sey mir, junger Held, zum Schenken umgewandelt.
10911Erzschenke sorge nun daß unsre Kellerey
10912Aufs reichlichste versorgt mit guten Weinen sey.10912 guten Weinen ] 2 IV H.20 gutem Weine 2 H
(II aa)
10913Du selbst sey mäßig, laß nicht über Heiterkeiten,
10914Durch der Gelegenheit Verlocken, dich verleiten.
∞Erz Schenk
10915Mein Fürst, die Jugend
selbst, wenn man ihr nur vertraut,
10916Steht, eh man sichs versieht, zu Männern auferbaut.
10918Ein Kaiserlich Büffet schmück
ich aufs allerbeste
10919Mit Prachtgefäßen, gülden, silbern allzumal,
10920Doch wähl’ ich dir voraus den lieblichsten Pokal:
10921Ein blank venedisch Glas, worin Behagen lauschet,
10922Des Weins Geschmack sich stärkt und nimmermehr berauschet.
10923Auf solchen Wunderschutz vertraut man oft zu sehr,10923 Wunderschutz ] 2 IV H.1 Wunderschatz 2 H
(II aa)
10924Doch deine Mäßigkeit, du Höchster, schützt noch mehr.
∞Kaiser
10925Was ich euch zugedacht in dieser ernsten Stunde,
10926Vernahmt ihr mit Vertraun aus zuverlässigem Munde.
10927Des Kaisers Wort ist groß und sichert jede Gift,
10928Doch zur Bekräftigung bedarfs der edlen Schrift,
10929Bedarfs der Signatur. Die förmlich zu bereiten,
10930Seh ich den rechten Mann zu rechter Stunde schreiten.
∞Der Erzbischoff tritt auf
∞Kaiser
10931Wenn ein Gewölbe sich dem Schlußstein anvertraut,
10932Dann ist’s mit Sicherheit für ewige Zeit erbaut.
10933Du siehst vier Fürsten da! Wir haben erst erörtert,
10934Was den Bestand zunächst von Haus und Hof befördert.
10935Nun aber, was das Reich in seinem Ganzen hegt,
10936Sey, mit Gewicht und Kraft, der Fünfzahl auferlegt.
10937An Ländern sollen sie vor allen andern glänzen,
10938Deshalb erweitr’ ich gleich jetzt des Besitzthums Gränzen,
10939Vom Erbtheil jener die sich von uns abgewandt.
10940Euch Treuen sprech ich zu so manches schöne Land,
10941Zugleich das hohe Recht euch, nach Gelegenheiten,
10942Durch Anfall, Kauf und Tausch ins weitere zu verbreiten,
10943Dann sey bestimmt vergönnt zu üben ungestört
10944Was von Gerechtsamen Euch Landesherrn gehört.
10945Als Richter werdet ihr die Endurtheile fällen,
10946Berufung gelte nicht von Euern höchsten Stellen.
10947Dann Steuer, Zinns und Beet, Lehn und Geleit und Zoll,
10948Berg- Salz- und Münzregal Euch angehören soll.
10949Denn meine Dankbarkeit vollgültig zu erproben,
10950Hab ich Euch ganz zunächst der Majestät erhoben.
∞
Erzbischoff
10951Im Namen aller sey dir tiefster Dank gebracht,
10952Du machst uns stark und fest und stärkest deine Macht.
∞Kaiser
10953Euch fünfen will ich noch erhöhtere Würde geben.
10954Noch leb’ ich meinem Reich und habe Lust zu leben;
10955Doch hoher Ahnen Kette zieht bedächtigen Blick
10956Aus rascher Strebsamkeit ins drohende zurück.
10957Auch werd ich, seiner Zeit, mich von den Theuren trennen,
10958Dann sey es Eure Pflicht den Folger zu ernennen.
10960Und friedlich ende dann was jetzt so stürmisch war.
∞Erzkanzler
10961Mit Stolz in tiefster Brust, mit Demuth an Gebärde,
10962Stehn Fürsten dir gebeugt, die ersten auf der Erde.
10963So lang das treue Blut die vollen Adern regt,
10964Sind wir der Körper den dein Wille leicht bewegt.
∞Kaiser
10965Und also sey, zum Schluß, was wir bisher bethätigt,
10966Für alle Folgezeit durch Schrift und Zug bestätigt.
10967Zwar habt ihr den Besitz als Herren völlig
frey,
10968Mit dem Beding jedoch daß er untheilbar sey.
10969Und wie ihr auch vermehrt was ihr von uns empfangen,
10970Es soll’s der ältste Sohn in gleichem Maas erlangen.
∞
Erzkanzler
10971Dem Pergament alsbald vertrau ich wohlgemuth,
10972Zum Glück dem Reich und uns, das wichtigste Statut;
10973Reinschrift und Sieglung soll die Canzeley beschäftigen,
10974Mit heiliger Signatur wirst dus, der Herr, bekräftigen.
∞
Kaiser
10975Und so entlaß ich euch, damit den großen Tag,
10976Gesammelt, jedermann sich überlegen mag.
∞Die weltlichen Fürsten entfernen
sich
∞Der Geistliche
∞bleibt und spricht
pathetisch
10977Der Canzler ging hinweg der Bischoff ist geblieben,
10978Vom ernsten Warnegeist zu deinem Ohr getrieben!
∞Erzbischoff
10981Mit welchem bittern Schmerz find ich, in dieser Stunde,
10982Dein hochgeheiligt Haupt mit Satanas im Bunde.
10983Zwar, wie es scheinen will, gesichert auf dem Thron,
10984Doch leider! Gott dem Herrn, dem Vater Pabst zum Hohn.
10985Wenn dieser es erfährt schnell wird er sträflich richten,
10986Mit heiligem Strahl dein Reich das sündige zu vernichten.
10987Denn noch vergaß er nicht wie du, zur höchsten Zeit,
10988An deinem Krönungstag den Zauberer befreyt.
10989Von
deinem
Diadem, der Christenheit zum
Schaden,
10990Traf das verfluchte Haupt der erste Strahl der Gnaden.
10991Doch schlag an deine Brust und gieb, vom frevlen Glück,
10992Ein mäßig Schärflein, gleich dem Heiligthum zurück.
10993Den breiten Hügelraum, da wo dein Zelt gestanden,
10994Wo böse Geister sich zu deinem Schutz verbanden,
10995Dem Lügenfürsten du ein horchsam Ohr geliehn,
10996Den stifte, fromm belehrt, zu heiligem Bemühn;
10997Mit Berg und dichtem Wald, so weit sie sich erstrecken,
10999Fischreichen klaren Seen, dann Bächlein ohne Zahl,
11000Wie sie sich, eilig schlängelnd, stürzen ab zu Thal;
11001Das breite Thal dann selbst, mit Wiesen, Gauen, Gründen.
11002Die Reue spricht sich aus, und du wirst Gnade finden.
∞Kaiser
11003Durch meinen schweren Fehl bin ich so tief erschreckt,
11004Die Gränze sey von dir nach eignem Maas gesteckt.
∞Erzbischoff
11005Erst! der entweihte Raum wo man sich so versündigt,
11006
Sey alsobald zum Dienst des Höchsten
angekündigt.
11007Behende steigt im Geist Gemäuer stark empor,
11008Der Morgensonne Blick erleuchtet schon das Chor,
11009Zum Kreuz erweitert sich das wachsende Gebäude,
11010Das Schiff erlängt, erhöht sich zu der Gläubigen Freude,
11011Sie strömen brünstig schon, durchs würdige Portal,
11012Der erste Glockenruf erscholl durch Berg und Thal,
11013Von hohen Thürmen tönt’s, wie sie zum Himmel streben,
11014Der Büßer kommt heran, zu neugeschaffnem Leben.
11015Dem hohen Weihetag, er trete bald herein!
11016Wird deine Gegenwart die höchste Zierde seyn.
∞Kaiser
11017Mag ein so großes Werk den frommen Sinn verkündigen,
11018Zu preisen Gott den Herrn, so wie mich zu entsündigen.
11019Genug! Ich fühle schon wie sich mein Sinn erhöht.
∞Kaiser
11021Ein förmlich Document der Kirche das zu eignen
11022Du legst es vor, ich wills mit Freuden unterzeichnen.
∞Erzbischoff
∞hat sich beurlaubt, kehrt aber beim
Ausgang um
11023Dann widmest du zugleich dem Werke, wie’s entsteht,
11024Gesammte Landsgefälle: Zehnten, Zinsen, Beet,
11025Für ewig. Viel bedarfs zu würdiger Unterhaltung,
11026Und schwere Kosten macht die sorgliche Verwaltung.
11027Zum schnellen Aufbau selbst auf solchem wüsten Platz
11028Reichst du uns einiges Gold, aus deinem Beuteschatz.
11029Daneben braucht man auch, ich kann es nicht verschweigen,
11030Entferntes Holz und Kalk und Schiefer und dergleichen.
11031Die Fuhren thut das Volk, vom Predigtstuhl belehrt,
11032Die Kirche segnet den der ihr zu Diensten fährt.
∞ab
∞Kaiser
11033Die Sünd’ ist groß und schwer womit ich mich beladen,
11034Das leidige Zaubervolk bringt mich in harten Schaden.
∞
Erzbischoff
∞abermals zurückkehrend mit tiefster
Verbeugung
11035Verzeih o Herr! Es ward dem
sehr verrufnen Mann
11036Des Reiches Strand verliehn; doch diesen trifft der Bann,
11037Verleihst du reuig nicht der hohen Kirchenstelle,
11038Auch dort, den Zehnten, Zins und Gaben und Gefälle.
∞
∞Fünfter Akt
∞
∞Offene Gegend
∞Wanderer
11043Ja! sie sinds die dunkeln Linden,
11044Dort, in ihres Alters
Kraft.
11045Und ich soll sie wieder finden,
11046Nach so langer Wanderschaft!
11047Ist es doch die alte Stelle,
11048Jene Hütte, die mich barg,
11049Als die sturmerregte Welle
11050Mich an jene Dünen warf!
11051Meine Wirthe möcht’ ich segnen,
11052Hülfsbereit, ein wackres
Paar,
11053Das, um heut mir zu begegnen
11054Alt schon jener Tage war.
11055Ach! das waren fromme Leute!
11056Poch ich? ruf ich? – Seyd gegrüßt!
11057Wenn, gastfreundlich, auch noch heute
11058Ihr des Wohlthuns Glück genießt.
∞Baucis
∞Mütterchen, sehr alt
11059Lieber Kömmling! Leise! Leise!
11060Ruhe! laß den Gatten ruhn!
11061Langer Schlaf verleiht dem Greise
11062Kurzen Wachens rasches Thun.
∞Wanderer
11063Sage Mutter bist dus eben,
11064Meinen Dank noch zu empfahn,
11065Was du für des Jünglings
Leben
11066Mit dem Gatten einst gethan?
11067Bist du Baucis, die,
geschäftig,
11068Halberstorbnen Mund erquickt?
∞der Gatte tritt auf
11069Du Philemon, der, so kräftig,
11070Meinen Schatz der Fluth entrückt?
11071Eure Flammen raschen Feuers,
11072Eures Glöckchens Silberlaut,
11073Jenes grausen Abentheuers
11074Lösung war Euch anvertraut.
∞Er schreitet vorwärts auf der Düne.
∞Philemon
∞zu Baucis
11079Eile nur den Tisch zu decken,
11080Wo’s im Gärtchen munter blüht.
11082Denn er glaubt nicht was er sieht.
∞neben dem Wandrer stehend
11083Das Euch grimmig mißgehandelt,
11084Wog’ auf Woge, schäumend wild,
11085Seht als Garten ihr behandelt,
11086Seht ein paradiesisch Bild.
11087Älter, war ich nicht zu Handen,
11088Hülfreich nicht wie sonst bereit,
11089Und, wie meine Kräfte schwanden,
11090War auch schon die Woge weit.
11091Kluger Herren kühne Knechte
11092Gruben Gräben, dämmten ein,
11093Schmälerten des Meeres Rechte
11094Herrn an seiner Statt zu seyn.
11095Schaue grünend Wies’ an Wiese
11096Anger, Garten, Dorf und Wald. –
11097Komm nun aber und genieße
11098Denn die Sonne scheidet bald. –
11100Suchen nächtlich sichern Port.
11101Kennen doch ihr Nest die Vögel,
11102Denn jetzt ist der Hafen dort.
11103So erblickst du in der Weite
11104Erst des Meeres blauen Saum,
11105Rechts und links, in aller Breite,
11106Dichtgedrängt bewohnten Raum.
∞Am Tische zu drey, im Gärtchen
∞Baucis
11111Wohl! ein Wunder ists gewesen!
11112Läßt mich heute nicht in Ruh;
11113Denn es ging das ganze Wesen
11114Nicht mit rechten Dingen zu.
∞Philemon
11115Kann der Kaiser sich versündgen
11116Der das Ufer ihm verliehn?
11117Thät’s ein Herold nicht verkündgen
11118Schmetternd im Vorüberziehn?
11119Nicht entfernt von unsern Dünen
11120War der erste Fuß gefaßt,
11121Zelte! Hütten! – doch, im Grünen,
11122Richtet bald sich ein Palast.
∞Baucis
11123Tags umsonst die Knechte lärmten,
11124Hack und Schaufel, Schlag um Schlag,
11125Wo die Flämmchen nächtig schwärmten
11126Stand ein Damm den andern Tag.
11127Menschenopfer mußten bluten,
11128Nachts erscholl des Jammers Quaal,
11129Meerab floßen Feuergluten;
11130Morgens war es ein Canal.
11131Gottlos ist er, ihn gelüstet
11132Unsre Hütte, unser Hayn;
11133Wie er sich als Nachbar brüstet
11134Soll man unterthänig seyn.
∞
∞Pallast weiter Ziergarten, großer gradgeführter Canal
∞Faust im höchsten Alter wandelnd,
nachdenkend
∞Lynceus Der Thürmer
∞durchs Sprachrohr
11143Die Sonne sinkt, die letzten Schiffe
11144Sie ziehen munter hafenein.
11145Ein großer Kahn ist im Begriffe
11146Auf dem Kanale hier zu seyn.
11147Die bunten Wimpel wehen fröhlich,
11148Die starren Masten stehn bereit,
11149In dir preist sich der Bootsmann selig,
11150Dich grüßt das Glück zur höchsten Zeit.
∞das Glöckchen läutet auf der Düne.
∞Faust
∞auffahrend
11151Verdammtes Läuten! Allzuschändlich
11152Verwundets, wie ein tückischer Schuß,
11153Vor Augen ist mein Reich unendlich,
11154Im Rücken neckt mich der Verdruß,
11155Erinnert mich durch neidische Laute:
11156Mein Hochbesitz er ist nicht rein,
11157Der Lindenraum, die braune Baute,
11158Das morsche Kirchlein ist nicht mein.
11159Und wünscht’ ich dort mich zu erholen,
11161Ist Dorn den Augen, Dorn den Solen,
11162O! wär ich weit hinweg von
hier!
∞Thürmer
∞wie oben
11163Wie segelt froh der bunte Kahn,
11164Mit frischem Abendwind heran!
11165Wie thürmt sich sein behender Lauf
11166In Kisten, Kasten, Säcken auf!
∞Prächtiger Kahn, reich und bunt beladen mit
Erzeugnissen fremder Weltgegenden
∞sie steigen aus, die Güter werden an’s Land
geschafft.
∞
Mephistopheles
11171So haben wir uns wohl erprobt,
11172Vergnügt wenn der Patron es lobt.
11173Nur mit zwey Schiffen ging es fort,
11174Mit zwanzig sind wir nun im Port.
11175Was große Dinge wir gethan
11176Das sieht man unsrer Ladung an.
11177Das freye Meer befreyt den Geist,
11178Wer weis da was Besinnen heißt!
11179Da fördert nur ein rascher Griff,
11180Man fängt den Fisch, man fängt ein Schiff,
11181Und ist man erst der Herr zu drey
11182Dann hackelt man das vierte bey.
11183Da geht es denn dem fünften schlecht,
11184Man hat Gewalt, so hat man recht.
11186Ich müßte keine Schiffahrt kennen.
11187Krieg, Handel und Piraterie,
11188Dreyeinig sind sie, nicht zu trennen.
∞Die drey gewaltigen Gesellen
∞Die Gesellen
∞
Mephistopheles
11205Erst ordnet o-
11206ben
Saal an Saal.
11207Die Kostbarkeiten
11208Allzumal.
11209Und tritt er zu
11210Der reichen Schau,
11211Berechnet er alles
11212Mehr genau,
11213Er sich gewiß
11214Nicht lumpen läßt
11215Und giebt der Flotte
11216Fest nach Fest.
11217Die bunten Vögel kommen morgen,
11218Für die werd’ ich zum besten sorgen.
∞die Ladung wird weggeschafft.
∞
Mephistopheles
∞zu Faust
11219Mit ernster Stirn, mit düstrem Blick,
11220Vernimmst du dein erhaben Glück.
11221Die hohe Weisheit wird gekrönt,
11222Das Ufer ist dem Meer versöhnt,
11223Vom Ufer nimmt, zu rascher Bahn,
11224Das Meer die Schiffe willig an;
11225So sprich daß hier, hier
vom Pallast
11226Dein Arm die ganze Welt umfaßt.
11227Von dieser Stelle ging es aus,
11228Hier stand das erste Breterhaus;
11229Ein Gräbchen ward hinabgeritzt
11230Wo jetzt das Ruder emsig spritzt.
11231Dein hoher Sinn, der Deinen Fleiß
11232Erwarb des Meers, der Erde Preiß.
11233Von hier aus –
∞Faust
11233Das verfluchte hier!
11234Das eben leidig lastets mir.
11236Mir giebts im Herzen Stich um Stich,
11237Mir ists unmöglich zu ertragen!
11238Und wie ichs sage schäm’ ich mich.
11239Die Alten droben sollten weichen,
11240Die Linden wünscht ich mir zum Sitz,
11241Die wenig Bäume, nicht mein eigen,
11242Verderben mir den Welt-Besitz.
11243Dort wollt ich, weit umher zu schauen,
11244Von Ast zu Ast Gerüste bauen,
11245Dem Blick eröffnen weite Bahn,
11246Zu sehn was alles ich gethan,
11247Zu überschaun mit einem Blick
11248Des Menschengeistes Meisterstück,
11249Bethätigend, mit klugem Sinn,
11250Der Völker breiten Wohngewinn.
11251So sind am härtsten wir gequält
11252Im Reichthum fühlend was uns fehlt.
11253Des Glöckchens Klang, der Linden Duft
11254Umfängt mich wie in Kirch und Gruft.
11255Des allgewaltigen Willens Kühr
11256Bricht sich an diesem Sande hier.
11257Wie schaff ich mir es vom Gemüthe!
11258Das Glöcklein läutet und ich wüthe.
∞
Mephistopheles
11259Natürlich! daß ein Hauptverdruß
11260Das Leben dir vergällen muß.
11261Wer läugnets! Jedem edlen Ohr
11262Kommt das Geklingel widrig vor.
11263Und das verfluchte Bim-Baum-Bimmel
11264Umnebelnd heitern Abendhimmel,
11265Mischt sich in jegliches Begebniß,
11266Vom ersten Bad bis zum Begräbniß,
11267Als wäre, zwischen Bimm und Baum,
11268Das Leben ein verschollner Traum.
∞Faust
11269Das Widerstehn, der Eigensinn
11270Verkümmern herrlichsten Gewinn,
11271Daß man, zu tiefer grimmiger Pein,
11272Ermüden muß gerecht zu seyn.
∞Faust
11275So geht und schafft sie mir zur Seite! –
11276Das schöne Gütchen kennst du ja,
11277Das ich den Alten ausersah.
∞
Mephistopheles
11278Man trägt sie fort und setzt sie nieder,
11279Eh man sich umsieht stehn sie wieder;
11280Nach überstandener Gewalt
11281Versöhnt ein schöner Aufenthalt.
∞er pfeift gellend.
∞Die Drey treten auf.
∞
∞Tiefe Nacht
∞Lynceus, der Thürmer
∞auf der Schloßwarte, singend
11288Zum Sehen geboren,
11289Zum Schauen bestellt,
11290Dem Thurme
geschworen
11291Gefällt mir die Welt.
11292Ich blick in die Ferne,
11293Ich seh in der Näh,
11294Den Mond und die Sterne,
11295Den Wald und das Reh.
11296So seh ich in allen
11297Die ewige Zier
11298Und wie mir’s gefallen
11299Gefall ich auch mir.
11300Ihr glücklichen Augen,
11301Was je ihr gesehn,
11302Es sey wie es wolle,
11303Es war doch so schön!
∞Pause
11304Nicht allein mich zu ergötzen
11305Bin ich hier so hoch gestellt;
11306Welch ein gräuliches Entsetzen
11307Droht mir aus der finstern Welt!
11308Funkenblicke seh ich sprühen
11309Durch der Linden Doppelnacht,
11310Immer stärker wühlt ein Glühen
11311Von der Zugluft angefacht.
11312Ach! die innre Hütte lodert,
11313Die bemoost und feucht gestanden,
11314Schnelle Hülfe wird gefodert,
11315Keine Rettung ist vorhanden.
11316Ach! die guten alten Leute,
11317Sonst so sorglich um das Feuer,
11319Welch ein schrecklich Abentheuer!
11320Flamme flammet, roth in Gluten
11321Steht das schwarze Moosgestelle;
11322Retteten sich nur die Guten
11323Aus der wildentbrandten Hölle!
11324Züngelnd lichte Blitze steigen
11325Zwischen Blättern, zwischen Zweigen;
11326Äste dürr, die flackernd brennen,
11327Glühen schnell und stürzen ein.
11328Sollt ihr Augen dieß erkennen!
11329Muß ich so weitsichtig seyn!
11330Das Kapellchen bricht zusammen
11331Von der Äste Sturz und Last.
11332Schlängelnd sind, mit spitzen Flammen,
11333Schon die Gipfel angefaßt.
11334Bis zur Wurzel glühn die hohlen
11335Stämme, Purpurroth im Glühn. –
∞Lange Pause, Gesang
11336Was sich sonst dem Blick empfohlen,
11337Mit Jahrhunderten ist hin.
∞Faust
∞auf dem Balkon, gegen die
Dünen
11338Von oben welch ein singend Wimmern?
11339Das Wort ist hier, der Ton zu spat,
11340Mein Thürmer jammert; mich, im Innern,
11341Verdrießt die ungeduldge That.
11342Doch sey der Lindenwuchs vernichtet
11343Zu halbverkohlter Stämme Graun,
11344Ein Luginsland ist bald errichtet,
11345Um ins Unendliche zu schaun.
11346Da seh ich auch die neue Wohnung,
11347Die jenes alte Paar umschließt,
11348Das, im Gefühl großmüthiger Schonung,
11349Der späten Tage froh genießt.
∞Mephistopheles
und die Dreye
∞unten
11350Da kommen wir mit vollem Trab,
11351Verzeiht! es ging nicht gütlich ab.
11352Wir klopften an, wir pochten an,
11353Und immer ward nicht aufgethan;
11354Wir rüttelten, wir pochten fort,
11355Da lag die morsche Thüre dort;
11356Wir riefen laut und drohten schwer,
11357Allein wir fanden kein
Gehör.
11358Und wie’s in solchem Fall geschicht,
11359Sie hörten nicht, sie wollten nicht;
11360Wir aber haben nicht gesäumt
11361Behende dir sie weggeräumt.
11362Das Paar hat sich nicht viel gequält
11363Vor Schrecken fielen sie entseelt.
11364Ein Fremder, der sich
dort versteckt,
11365Und fechten wollte, ward gestreckt.
11366In wilden Kampfes kurzer Zeit,
11367Von Kohlen, ringsumher gestreut,
11368Entflammte Stroh. Nun loderts frey,
11369Als Scheiterhaufen dieser Drey.
∞Faust
∞Chorus
∞ab
∞
∞ Mitternacht
∞Vier graue Weiber treten auf.
∞Sorge
11390Ihr Schwestern ihr könnt nicht und dürft nicht hinein.
11391Die Sorge sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.
∞Sorge verschwindet.
∞Zu drey
11395Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!
11396Dahinten, dahinten! von ferne von ferne,
11397Da kommt er der Bruder, da kommt er der – –
– – – Tod.
∞Faust
∞im Pallast
11398Vier sah ich kommen, drey nur gehn,
11399Den Sinn der Rede konnt’ ich nicht verstehn.
11400Es klang so nach als hieß es – Noth
11401Ein düstres Reimwort folgte – Tod.
11402Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.
11403Noch hab ich mich ins Freye nicht gekämpft.
11404Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen
11405Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen;
11406Stünd ich, Natur! vor dir ein Mann allein
11407Da wär’s der Mühe werth ein Mensch zu seyn.
11408Das war ich sonst, eh ich’s im Düstern suchte,
11409Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.
11410Nun ist die Luft von solchem Spuck so voll
11411Daß niemand weiß wie er ihn meiden soll.
11412Wenn auch Ein Tag uns klar vernünftig lacht
11413In Traumgespinnst verwickelt uns die Nacht;
11414Wir kehren froh von junger Flur zurück,
11415Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Mißgeschick.
11416Von Aberglauben früh und spat umgarnt:
11417Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt.
11418Und so verschüchtert stehen wir allein.
11419Die Pforte knarrt und niemand kommt herein.
∞erschüttert
11420Ist jemand hier?
∞Faust
∞Sorge
11424Würde mich kein Ohr vernehmen
11425Müßt es doch im Herzen dröhnen;
11426In verwandelter Gestalt
11427Üb’ ich grimmige Gewalt.
11428Auf den Pfaden, auf der Welle
11429Ewig ängstlicher Geselle,
11430Stets gefunden nie gesucht,
11431So geschmeichelt wie verflucht.
11432Hast du die Sorge nie gekannt?
∞Faust
11433Ich bin nur durch die Welt gerannt.
11434Ein jed’ Gelüst ergriff ich bey den Haaren,
11435Was nicht genügte ließ ich fahren,
11436Was mir entwischte lies ich ziehn.
11437Ich habe nur begehrt und nur vollbracht,
11438Und abermals gewünscht, und so mit Macht
11439Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig;11439 mächtig; ] 2 V H.2 Das Semikolon ist in 2 H nicht mehr zu erkennen; ergänzt nach 2 V H.2.
(VII)
11440Nun aber geht es weise, geht bedächtig.
11441Der Erdenkreis ist mir genug bekannt.
11442Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
11443Thor! wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,
11444Sich über Wolken seines gleichen dichtet;
11445Er stehe fest und sehe hier sich um;
11446Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm,
11447Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen,
11448Was er erkennt läßt sich ergreifen;
11449Er wandle so den Erdentag entlang;
11450Wenn Geister spuken geh er
seinen Gang,
11451Im Weiterschreiten find er Quaal und Glück,
11452Er! unbefriedigt jeden Augenblick.
∞Sorge
11453Wen ich einmal mir besitze
11454Dem ist alle Welt nichts nütze,
11455Ewiges Düstre steigt
herunter,
11456Sonne geht nicht auf noch unter,
11457Bey vollkommnen äußern Sinnen
11458Wohnen Finsternisse drinnen.
11459Und er weiß von allen Schätzen
11460Sich nicht in Besitz zu setzen.
11461Glück und Unglück wird zur Grille,
11462Er verhungert in der Fülle,
11463Sey es Wonne sey es Plage
11464Schiebt ers zu dem andern
Tage,
11465Ist der Zukunft nur gewärtig
11466Und so wird er niemals fertig.
∞Faust
11467Hör auf! so kommst du mir nicht bey!
11468Ich mag nicht solchen Unsinn hören.
11469Fahrhin! die schlechte Litaney
11470Sie könnte selbst den klügsten Mann bethören.
∞Sorge
11471Soll er gehen, soll er kommen,
11472Der Entschluß ist ihm genommen;
11474Wankt er tastend halbe Schritte.
11475Er verliert sich immer tiefer,
11476Siehet alle Dinge schiefer,
11477Sich und andre lästig drückend,
11478Athem holend und erstickend;
11479Nicht erstickt und ohne Leben,
11480Nicht verzweiflend, nicht ergeben.
11481So ein unaufhaltsam Rollen
11482Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,
11483Bald Befreyen, bald Erdrücken,11483 Befreyen, bald Erdrücken ] 2 V H.11 befreyen, bald Erdrücken : Befreyen, bald Erdrücken
G 2 V H.11
befreyen, bald erdrücken 2 V H.2
2 H
(II b)
11484Halber Schlaf und schlecht Erquicken
11485Heftet ihn an seine Stelle
11486Und bereitet ihn zur Hölle.
∞Faust
11487Unselige Gespenster so behandelt ihr
11488Das menschliche Geschlecht zu tausendmalen;
11489Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr
11490In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Quaalen.
11491Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los,
11492Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;
11493Doch deine Macht, o Sorge, schleichend groß,
11494Ich werde sie nicht anerkennen.
∞Sorge
∞sie haucht ihn an.
∞Faust
∞erblindet
11499Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen
11500Allein im Innern leuchtet helles Licht;
11501Was ich gedacht ich eil es zu vollbringen;
11502Des Herren Wort es giebt allein Gewicht.
11503Vom Lager auf ihr Knechte! Mann für Mann!
11504Laßt glücklich schauen was ich kühn ersann.
11505Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten,
11506Das Abgesteckte muß sogleich gerathen.
11507Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß,
11508Erfolgt der allerschönste Preis;
11509Daß sich das größte Werk vollende
11510Genügt Ein Geist für tausend Hände.
∞
∞Großer Vorhof des Pallasts
∞Fackeln
∞Lemuren
∞im Chor
∞
Mephistopheles
11523Hier gilt kein künstlerisch Bemühn;
11524Verfahret nur nach eignen Maaßen;
11525Der Längste lege längelang sich hin,
11526Ihr andern lüftet ringsumher den Rasen;
11527Wie mans für unsre Väter that,
11528Vertieft ein längliches Quadrat!
11529Aus dem Pallast ins enge Haus,
11530So dumm läuft es am Ende doch hinaus.
∞Lemuren
∞mit neckischen Gebärden grabend
∞Faust
∞aus dem Pallaste tretend, tastet an
den Thürpfosten
11539Wie das Geklirr der Spaten mich ergötzt!
11540Es ist die Menge, die mir fröhnet,
11541Die Erde mit sich selbst versöhnet,
11542Den Wellen ihre Gränze setzt,
∞
Mephistopheles
∞bey Seite
11544Du bist doch nur für uns bemüht
11545Mit deinen Dämmen deinen Buhnen;
11546Denn du bereitest schon Neptunen,
11547Dem Wasserteufel, großen Schmaus.
11548In jeder Art seyd ihr verloren,
11549Die Elemente sind mit uns verschworen,
11550Und auf Vernichtung läufts hinaus.
∞Faust
11551Wie es auch möglich sey
11552Arbeiter schaffe Meng’ auf Menge,
11553Ermuntere durch Genuß und Strenge,
11554Bezahle, locke, presse bey!
11555Mit jedem Tage will ich Nachricht haben
11556Wie sich verlängt der unternommene Graben.
∞
Mephistopheles
∞halblaut
11557Man spricht, wie man mir Nachricht gab,
11558Von keinem Graben, doch vom
Grab.
∞Faust
11559Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
11560Verpestet alles schon Errungene;
11561Den faulen Pfuel auch abzuziehn
11562Das Letzte wär das Höchsterrungene.
11563Eröffn’ ich Räume vielen Millionen,
11564Nicht sicher zwar, doch
thätig-frey zu wohnen.
11565Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Heerde
11566Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
11567Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
11568Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
11569Im Innern hier ein paradiesisch Land,
11570Da rase draußen Fluth bis auf zum Rand,
11571Und wie sie nascht gewaltsam einzuschießen,
11572Gemeindrang eilt die Lücke zu verschließen.
11573Ja diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
11574Das ist der Weisheit letzter Schluß:
11575Nur der verdient sich Freyheit wie das Leben,
11576Der täglich sie erobern muß.
11577Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
11579Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,
11580Auf freyem Grund mit freyem Volke stehn.
11581Zum Augenblicke dürft’ ich sagen:
11582Verweile doch, du bist so schön!
11583Es kann die Spur von meinen Erdetagen
11584Nicht in Äonen untergehn. –
11585Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
11586Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.
∞
Mephistopheles
11587Ihn sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück,
11588So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten;
11589Den letzten, schlechten, leeren Augenblick
11590Der Arme wünscht ihn fest zu halten.
11591Der mir so kräftig widerstand,
11592Die Zeit wird Herr, der Greis hier liegt im Sand.
11593Die Uhr steht still –
∞
Mephistopheles
11595Vorbey!
ein dummes Wort.
11596Warum vorbey?
11597Vorbey und reines Nicht, vollkomnes Einerley.
11598Was soll uns denn das ewge Schaffen,
11599Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen?
11600Da ists vorbey! Was ist daran zu lesen?
11601Es ist so gut als wär es nicht gewesen,
11602Und treibt sich doch im
Kreis als wenn es wäre.
11603Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere.
∞
∞Grablegung
∞
Mephistopheles
11612Der Körper liegt und will der Geist entfliehn,
11613Ich zeig ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; –
11614Doch leider hat man jetzt so viele Mittel
11615Dem Teufel Seelen zu entziehn.
11616Auf altem Wege stößt man an,
11617Auf neuem sind wir nicht empfohlen;
11618Sonst hätt ich es allein gethan,
11619Jetzt muß ich Helfershelfer holen.
11620Uns gehts in allen Dingen schlecht.
11621Herkömmliche Gewohnheit, altes Recht,
11622Man kann auf gar nichts mehr vertrauen.
11623Sonst mit dem letzten Athem fuhr sie aus,
11624Ich paßt ihr auf und, wie die schnellste Maus,
11625Schnapps! hielt ich sie in fest verschloßnen Klauen.
11626Nun zaudert sie und will den düstern Ort,
11627Des schlechten Leichnams eckles Haus nicht lassen;
11628Die Elemente die sich hassen,
11629Die treiben sie am Ende schmählich fort.
11630Und wenn ich Tag und Stunden mich zerplage
11632Der alte Tod verlor
die rasche Kraft,
11633Das Ob?
sogar ist lange zweifelhaft;
11634Oft sah ich lüstern auf die starren Glieder;
∞
Phantastisch-flügelmännische Beschwörungs-Gebärden
11636Nur frisch heran! verdoppelt euren Schritt,
11637Ihr Herrn vom
graden, Herrn vom krummen Horne,
11639Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit.
11640Zwar hat die Hölle Rachen viele! viele!
11641Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein;
11642Doch wird man auch bey diesem letzten Spiele
11643Ins künftige nicht so bedenklich seyn.
∞
Der gräuliche Höllenrachen thut sich
lincks auf.
11644Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes
11645Entquillt der Feuerstrom in Wuth,
11646Und in dem Siedequalm des Hintergrundes
11647Seh ich die Flammenstadt in ewiger Glut.
11648Die rothe Brandung schlägt hervor bis an die Zähne,
11649Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an;
11650Doch colossal zerknirscht sie die Hyäne
11651Und sie erneuen ängstlich heisse Bahn.
11652In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken,
11653So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!
11654Ihr thut sehr wohl die Sünder zu erschrecken
11655Sie haltens doch für Lug und Trug und Traum.
∞
Zu den Dickteufeln vom kurzen,
graden Horne
11656Nun wanstige Schuften mit den Feuerbacken!
11657Ihr glüht so recht vom Höllenschwefel feist;
11658Klotzartige, kurze, nie bewegte Nacken
11659Hier unten lauert ob’s wie Phosphor gleißt:
11660Das ist das Seelchen, Psyche mit den Flügeln,
11661Die rupft ihr aus so ists ein garstiger Wurm;
11662Mit meinem Stempel will ich sie besiegeln
11663Dann
fort mit ihr im Feuer-Wirbel-Sturm.
11664Paßt auf die niedern Regionen,
11665Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht;
11666Ob’s ihr beliebte da zu wohnen,
11667So accurat weiß man das nicht.
11668Im Nabel ist sie gern zu Haus,
11669Nehmt es in Acht sie wischt euch dort heraus.
∞
Zu den Dürrteufeln vom langen,
krummen Horne
∞Glorie von oben, rechts
∞Himmlische Heerschaar
∞
Mephistopheles
11685Mißtöne hör ich, garstiges Geklimper,
11686Von oben kommts mit unwillkommnem Tag;
11687Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümper,
11688Wie frömmelnder Geschmack sichs lieben mag.
11689Ihr wißt wie wir, in tiefverruchten Stunden,
11690Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht;
11691Das Schändlichste was wir erfunden
11692Ist ihrer Andacht eben recht.
∞Chor der Engel
∞
Mephistopheles
∞
zu den Satanen
11710Was duckt und zuckt ihr?
ist das Höllenbrauch?
11711So haltet Stand und laßt sie streuen.
11712An seinen Platz ein jeder Gauch!
11713Sie denken wohl mit solchen Blümeleyen
11714Die heißen Teufel einzuschneyen;
11715Das schmilzt und schrumpft vor eurem Hauch.
11716Nun pustet Püstriche! – Genug genug!
11717Vor eurem Broden bleicht der ganze
Flug. –
11718Nicht so gewaltsam! schließet Maul und Nasen.
11719Fürwahr ihr habt zu stark geblasen;
11720Daß ihr doch nie die rechten Maaße kennt.
11721Das schrumpft nicht nur, es bräunt sich, dorrt, es
brennt!
11722Schon schwebts heran mit giftig klaren Flammen,
11723Stemmt euch dagegen, drängt euch fest zusammen!
11724Die Kraft erlischt dahin ist aller Muth11724 erlischt‸ bis Muth‸ ] 2 H erlischt, bis Muth! Ec 2 H
(VI)
11725Die Teufel wittern fremde Schmeichelglut.
∞Engel
∞
Mephistopheles
11735O Fluch! o Schande solchen Tröpfen!
11736Satane stehen auf den Köpfen,
11737Die Plumpen schlagen Rad auf Rad
11738Und stürzen ärschlings in die Hölle.
11739Gesegn’ euch das verdiente heisse Bad!
11740Ich aber bleib auf meiner Stelle. –
∞
Sich mit den schwebenden Rosen herumschlagend
11741Irrlichter fort! du!
leuchte noch so stark,
11742Du bleibst gehascht ein eckler Gallert-Quarck.
11743Was flatterst du? Willst du dich packen! –
11744Es klemmt wie Pech und Schwefel mir im Nacken.
∞Engel. Chor
∞
Mephistopheles
11753Mir brennt der Kopf, das Herz, die Leber brennt,
11754Ein überteuflich Element!
11755Weit spitziger als Höllenfeuer. –
11756Drum jammert ihr so ungeheuer
11757Unglückliche Verliebte! die, verschmäht,
11758Verdrehten Halses nach der Liebsten späht.
11759Auch mir! Was zieht den Kopf auf jene Seite?
11761Der Anblick war mir sonst so feindlich scharf.
11762Hat mich ein Fremdes durch und durch gedrungen,
11763Ich mag sie gerne sehn die allerliebsten Jungen;
11764Was hält mich ab daß ich nicht fluchen darf? –
11765Und wenn ich mich bethören lasse
11766Wer heißt denn künftighin der Thor?
11767Die Wetterbuben die ich hasse
11768Sie kommen mir doch gar zu lieblich vor. –
11769Ihr schönen Kinder laßt mich wissen:
11770Seyd ihr nicht auch von Lucifers Geschlecht?
11771Ihr seyd so hübsch, fürwahr ich möcht euch küssen;
11773Es ist mir so behaglich, so natürlich
11774Als hätt ich euch schon tausendmal gesehn,
11775So heimlich-kätzchenhaft begierlich;
11776Mit jedem Blick aufs neue schöner schön.
11777O nähert euch, o gönnt mir Einen Blick!
∞Engel
11778Wir kommen schon, warum weichst du zurück?
11779Wir nähern uns und wenn du kannst so bleib.
∞die Engel nehmen, umherziehend, den ganzen Raum ein.
∞Mephistopheles
∞der ins Proscenium gedrängt wird
11780Ihr scheltet uns verdammte Geister
11781Und seyd die wahren Hexenmeister;
11782Denn ihr verführet Mann und Weib. –
11783Welch ein verfluchtes Abenteuer!
11784Ist dies das Liebeselement?
11785Der ganze Körper steht in Feuer,
11786Ich fühle kaum daß es im Nacken brennt. –
11787Ihr schwanket hin und her, so senkt euch nieder,
11788Ein bischen weltlicher bewegt die holden Glieder;
11789Fürwahr der Ernst steht euch recht schön.
11790Doch möcht’ ich euch nur einmal lächeln sehn;
11791Das wäre mir ein ewiges Entzücken.
11792Ich meyne so wie wenn Verliebte blicken,
11793Ein kleiner Zug am Mund so ists gethan.
11794Dich langer Bursche dich mag ich am liebsten leiden,
11795Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,
11796So sieh mich doch ein wenig lüstern an!
11797Auch könntet ihr anständig-nackter gehen,
11798Das lange Faltenhemd ist übersittlich –
11799Sie wenden sich – Von hinten anzusehen! –
11800Die Racker sind doch gar zu appetitlich.
∞Chor der Engel
∞
Mephistopheles
∞sich faßend
11809Wie wird mir! – hiobsartig, Beul an Beule
11810Der ganze Kerl, dem’s vor sich selber graut,
11811Und triumphirt zugleich wenn er sich ganz durchschaut,
11812Wenn er auf sich und seinen Stamm vertraut;
11813Gerettet sind die edlen Teufelstheile,
11814Der Liebespuck er wirft sich auf die Haut;
11815Schon ausgebrannt sind die verruchten Flammen,
11816Und, wie es sich
gehört, fluch ich euch
allzusammen.
∞Chor der Engel
∞Sie erheben
sich, Faustens Unsterbliches
entführend.
∞
Mephistopheles
∞sich umsehend
11825Doch wie? – wo sind sie hingezogen?
11826Unmündiges Volk du hast mich überrascht,
11827Sind mit der Beute himmelwärts entflogen;
11828Drum haben sie an dieser Gruft genascht!
11829Mir ist ein großer einziger Schatz entwendet,
11830Die hohe Seele die
sich mir verpfändet
11831Die haben sie mir pfiffig weggepascht.
11832Bey wem soll ich mich nun beklagen?
11833Wer schafft mir mein erworbenes Recht?
11834Du bist getäuscht in deinen alten Tagen,
11835Du hasts verdient, es geht dir grimmig schlecht.
11836Ich habe schimpflich mißgehandelt,
11838Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt
11839Den ausgepichten Teufel an.
11840Und hat mit diesem kindisch-tollen Ding
11841Der Klugerfahrne sich beschäftigt,
11842So ist fürwahr die Thorheit nicht gering
11843Die seiner sich am Schluß bemächtigt.
∞
∞Bergschluchten, Wald, Fels, Einöde
∞Heilige Anachoreten Gebirg auf vertheilt, gelagert zwischen Klüften
11844Waldung, sie schwanckt heran,
11845Felsen, sie lasten dran,
11846Wurzeln, sie klammern
an,
11847Stamm dicht am Stamm hinan.
11848Woge nach Woge spritzt,
11849Höhle die tiefste schützt.
11850Löwen sie schleichen stumm-
11851Freundlich um uns herum,
11852Ehren geweihten Ort
11853Heiligen Liebeshort.
∞Pater extaticus
∞auf und abschweifend
11854Ewiger Wonnebrand,
11855Glühendes Liebeband,
11856Siedender Schmerz der Brust,
11857Schäumende Gottes-Lust.
11858Pfeile durchdringet mich,
11859Lanzen bezwinget mich,
11860Keulen zerschmettert mich,
11861Blitze durchwettert mich;
11862Daß ja das Nichtige
11863Alles verflüchtige,
11864Glänze der Dauerstern
11865Ewiger Liebe Kern.
∞Pater profundus
∞Tiefe Region
11866Wie Felsenabgrund mir zu Füßen
11867Auf tieferm Abgrund lastend ruht,
11868Wie tausend Bäche strahlend fließen
11869Zum grausen Sturz des Schaums der Flut,
11870Wie strack, mit eignem kräftigen Triebe,
11871Der Stamm sich in die Lüfte trägt,
11872So ist es die allmächtige Liebe
11873Die alles bildet alles hegt.
11874Ist um mich her ein wildes Brausen,
11875Als wogte Wald und Felsengrund,
11876Und doch stürzt, liebevoll im Sausen,
11877Die Wasserfülle sich zum Schlund,
11878Berufen gleich das Thal zu wässern;
11879Der Blitz der flammend niederschlug
11880Die Atmosphäre zu verbessern
11881Die Gift und Dunst im Busen trug;
11882Sind Liebesboten, sie verkünden
11883Was ewig schaffend
uns umwallt.
11884Mein Inres mög’ es auch entzünden
11885Wo sich der Geist, verworren kalt,
11886Verquält in stumpfer Sinne Schranken
11887Scharfangeschloßnem Kettenschmerz.
11888O Gott! beschwichtige die Gedanken
11889Erleuchte mein bedürftig Herz.
∞Pater Seraphicus
∞Mittlere Region
11890Welch ein Morgenwölkchen schwebet
11891Durch der Tannen schwankend Haar;
11892Ahn ich was im Innern lebet?
11893Es ist junge Geisterschaar.
∞Chor seliger Knaben
11894Sag uns Vater wo wir wallen,
11895Sag uns Guter wer wir sind?
11896Glücklich sind wir, allen allen
11897Ist das Daseyn so gelind.
∞Pater Seraphicus
11898Knaben! Mitternachts Geborne,
11899Halb erschlossen Geist und Sinn,
11900Für die Eltern gleich Verlorne,
11901Für die Engel zum Gewinn
11902Daß ein Liebender zugegen
11903Fühlt ihr wohl, so naht euch nur;
11904Doch von schroffen Erdewegen
11905Glückliche! habt ihr keine Spur.
11906Steigt herab in meiner Augen
11907Welt- und erdgemäß Organ,
11908Könn’t sie als die euern brauchen,
11909Schaut euch diese Gegend an.
∞
er nimmt sie in sich.
11910Das sind Bäume, das sind Felsen,
11911Wasserstrom, der abestürzt
11912Und mit ungeheuerm Wälzen
11913Sich den steilen Weg verkürzt.
∞Selige Knaben
∞
von innen
11914Das ist mächtig anzuschauen
11915Doch zu düster ist der Ort,
11916Schüttelt uns mit Schreck und Grauen,
11917Edler, Guter laß uns fort.
∞Pater Seraphicus
∞Engel
∞schwebend in der höhern Atmosphäre, Faustens Unsterbliches tragend
11934Gerettet ist das edle Glied
11935Der Geisterwelt vom Bösen,
11936„Wer immer strebend sich
bemüht
11937Den können wir erlösen.“
11938Und hat an ihm die Liebe gar
11939Von oben Theil genommen,
11940Begegnet ihm die selige Schaar
11941Mit herzlichem Willkommen.
∞Die jüngeren Engel
11942Jene Rosen, aus den Händen
11943Liebend-heiliger Büsserinnen,
11944Halfen uns den Sieg gewinnen,
11945Uns das hohe Werk vollenden,
11946Diesen Seelenschatz erbeuten.
11947Böse wichen als wir streuten,
11948Teufel flohen als wir trafen.
11949Statt gewohnter Höllenstrafen,
11950Fühlten Liebesqual die Geister;
11951Selbst der alte Satans-Meister
11952War von spitzer Pein durchdrungen.
11953Jauchzet auf! es ist
gelungen.
∞Die vollendeteren Engel
11954Uns bleibt ein Erdenrest
11955Zu tragen peinlich,
11956Und wär’ er von Asbest
11957Er ist nicht reinlich.
11958Wenn starke Geisteskraft
11959Die Elemente
11960An sich herangerafft,
11961Kein Engel trennte
11962Geeinte Zwienatur
11963Der innigen Beyden,
11964Die ewige Liebe nur
11965Vermags zu scheiden.
∞Die jüngeren Engel
11966Nebelnd um Felsenhöh
11967Spür ich so eben,
11968Regend sich in der Näh,
11969Ein Geister-Leben.
11970Die Wölkchen werden klar,
11971Ich seh bewegte Schaar
11972Seliger Knaben,
11973Los von der Erde Druck,
11974Im Kreis gesellt,
11975Die sich erlaben
11976Am neuen Lenz und Schmuck
11977Der obern Welt.
11978Sey er zum Anbeginn,
11979Steigendem Vollgewinn,
11980Diesen gesellt!
∞Die seligen Knaben
11981Freudig empfangen wir
11982Diesen im Puppenstand;
11983Also erlangen wir
11984Englisches Unterpfand.
11985Löset die Flocken los
11986Die ihn umgeben,
11987Schon ist er schön und groß
11988Von heiligem Leben.
∞Doctor Marianus
∞in der höchsten, reinlichsten Zelle
11989Hier ist die Aussicht frey,
11990Der Geist erhoben.
11991Dort ziehen Fraun
vorbey,
11992Schwebend nach oben.
11993Die Herrliche, mitteninn,
11994Im Sternenkranze,
11995Die Himmelskönigin,
11996Ich seh’s am Glanze.
∞entzückt
11997Höchste Herrscherin der Welt
11998Lasse mich, im blauen,
11999Ausgespannten Himmelszelt,
12000Dein Geheimniß schauen.
12001Billige was des Mannes Brust
12002Ernst und zart beweget
12003Und mit heiliger Liebeslust
12004Dir entgegen träget.
12005Unbezwinglich unser Muth
12006Wenn du hehr gebietest,
12007Plötzlich mildert sich die Glut,
12008Wie du uns befriedest.
12009Jungfrau, rein im schönsten Sinn,
12010Mutter, Ehren würdig,
12011Uns erwählte Königinn,
12012Göttern ebenbürtig.
12013Um sie verschlingen
12014Sich leichte Wölkchen,
12015Sind Büserinnen,
12016Ein zartes Völkchen;
12017Um Ihre Knie
12018Den Äther schlürfend,
12019Gnade bedürfend.
∞Mater gloriosa schwebt einher
∞Chor der Büsserinnen
∞Magna peccatrix
∞(St Lucae VII. 36)
12037Bey der Liebe, die den Füßen
12038Deines gottverklärten Sohnes
12039Thränen lies zum Balsam fließen,
12040Trotz des Pharisäer-Hohnes;
12041Beym Gefäße das so reichlich
12042Tropfte Wohlgeruch hernieder,
12043Bey den Locken die so weichlich
12044Trockneten die heilgen Glieder –
∞Mulier Samaritana
12045Bey dem Bronn, zu dem schon weyland
12046Abram lies die Heerde führen,
12047Bey dem Eymer der dem Heyland
12048Kühl die Lippe durft berühren;
12049Bey der reinen reichen Quelle
12050Die nun dorther sich ergießet,
12051Überflüssig, ewig helle,
12052Rings durch alle Welten fließet –
∞Maria Egyptiaca
∞(Acta Sanctorum)
∞Zu drey
12061Die du großen Sünderinnen
12062Deine Nähe nicht verweigerst
12063Und ein büssendes Gewinnen
12064In die Ewigkeiten steigerst,
12065Gönn’ auch dieser guten Seele
12066Die sich einmal nur vergessen,
12067Die nicht ahnte daß sie fehle,
12068Dein Verzeihen angemessen.
∞Die eine Büsserin
∞Sonst Gretchen genannt
12084Vom edlen Geisterchor umgeben
12085Wird sich der Neue kaum gewahr,
12086Er ahnet kaum das frische Leben
12087So gleicht er schon der heiligen Schaar.
12088Sieh! wie er jedem Erdenbande
12089Der alten Hülle sich entrafft,
12090Und aus ätherischem Gewande
12091Hervortritt erste Jugendkraft.
12092Vergönne mir ihn zu belehren,
12093Noch blendet ihn der neue Tag.
∞Chorus mysticus
∞Finis