Der Tragödie zweiter Theil in fünf Actenvor 4613 Der ] 2 Hdavor Faust. 2 H   (VII)vor 4613 Acten ] 2 Hdanach (1831.) erg Ec 2 H   (VI)

Erster Act

Anmuthige Gegend

Faust auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet, unruhig, schlafsuchend
Dämmerung
Geister-Kreis schwebend bewegt, anmuthige kleine Gestalten
Ariel
Gesang von Äolsharfen begleitet
4613Wenn der Blüten Frühlings-Regen
Über Alle schwebend sinkt,
4615Wenn der Felder grüner Segen
Allen Erdgebornen blinkt,
Kleiner Elfen Geistergröße
Eilet wo sie helfen kann,
Ob er heilig? ob er böse?
4620Jammert sie der Unglücksmann.
Die ihr dies Haupt umschwebt im luft’gen Kreise,
Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise,
Besänftiget des Herzens grimmen Strauß,
Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile,
4625Sein Innres reinigt von verlebtem Graus.4625 verlebtem ] 2 Herlebtem 2 I H.0a   (II aa)
Vier sind die Pausen nächtiger Weile,
Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus.
Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder,
Dann badet ihn im Thau aus Lethe’s Fluth,
4630Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder,
Wenn er gestärkt dem Tag entgegen ruht;
Vollbringt der Elfen schönste Pflicht,
Gebt ihn zurück dem heiligen Licht.
Chor
Einzeln, zu zweyen und vielen, abwechselnd und gesammtvor 4634 gesammt ] 2 Hgesammelt 2 I H.0a   (II aa)
Wenn sich lau die Lüfte füllen
4635Um den grünumschränkten Plan,
Süße Düfte, Nebelhüllen
Senkt die Dämmerung heran.
Lispelt leise süßen Frieden
Wiegt das Herz in Kindesruh;
4640Und den Augen dieses Müden
Schließt des Tages Pforte zu.
Nacht ist schon hereingesunken
Schließt sich heilig Stern an Stern,
Große Lichter, kleine Funken,
4645Glitzern nah und glänzen fern;
Glitzern hier im See sich spiegelnd
Glänzen droben klarer Nacht,
Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
Herrscht des Mondes volle Pracht.
4650Schon verloschen sind die Stunden,
Hingeschwunden Schmerz und Glück;
Fühl’ es vor! Du wirst gesunden;
Traue neuem Tagesblick.
Thäler grünen, Hügel schwellen,
4655Buschen sich zu Schatten-Ruh;
Und in schwanken Silberwellen
Wogt die Saat der Erndte zu.
Wunsch um Wünsche zu erlangen
Schaue nach dem Glanze dort!
4660Leise bist du nur umfangen,
Schlaf ist Schaale, wirf sie fort!
Säume nicht dich zu erdreisten
Wenn die Menge zaudernd schweift;
Alles kann der Edle leisten,
4665Der versteht und rasch ergreift.
Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der Sonne.
Ariel
Horchet! horcht! dem Sturm der Horen,
Tönend wird für Geistes-Ohren
Schon der neue Tag geboren.
Felsenthore knarren rasselnd,
4670Phöbus Räder rollen prasselnd,
Welch Getöse bringt das Licht!
Es trommetet, es posaunet,
Auge blinzt und Ohr erstaunet,
Unerhörtes hört sich nicht.
4675Schlüpfet zu den Blumenkronen,
Tiefer tiefer, still zu wohnen,
In die Felsen unters Laub;
Trifft es euch so seyd ihr taub.
Faust
Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig,4679 Lebens Pulse ] 2 HLebenspulse 2 I H.0a   (II aa)
4680Ätherische Dämmerung milde zu begrüßen;4680 Dämmerung ] Dämmerung 2 H Däm̄merung 2 I H.0a   (I a)
Du Erde warst auch diese Nacht beständig
Und athmest neu erquickt zu meinen Füßen,
Beginnest schon mit Lust mich zu umgeben,
Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,
4685Zum höchsten Daseyn immerfort zu streben. –
In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,
Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben4687 tausendstimmigem ] 2 Htausendstimmigen 2 I H.0a   (II aa)
Thal aus, Thal ein ist Nebelstreif ergossen,
Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,
4690Und Zweig und Äste, frisch erquickt, entsprossen
Dem duft’gen Abgrund wo versenkt sie schliefen;
Auch Farb’ an Farbe klärt sich los vom Grunde,
Wo Blum’ und Blatt von Zitterperle triefen,
Ein Paradies wird um mich her die Runde.
4695Hinaufgeschaut! – Der Berge Gipfelriesen
Verkünden schon die feyerlichste Stunde,
Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen
Das später sich zu uns hernieder wendet.
Jetzt zu der Alpe grüngesenkten Wiesen
4700Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet,
Und stufenweis herab ist es gelungen; –
Sie tritt hervor! – und, leider schon geblendet,
Kehr’ ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.
So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen
4705Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen,
Erfüllungspforten findet flügeloffen,
Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen
Ein Flammen-Übermaas, wir stehn betroffen;
Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,
4710Ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer!4710 welch ] welch 2 H welch’ 2 I H.0a   (I b)
Ist’s Lieb? Ist’s Haß? die glühend uns umwinden,
Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer,
So daß wir wieder nach der Erde blicken,
Zu bergen uns in jugendlichstem Schleyer.
4715So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!
Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,
Ihn schau’ ich an mit wachsendem Entzücken.
Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend
Dann aber tausend Strömen sich ergießend,
4720Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.
Allein wie herrlich diesem Sturm entsprießend,4721 entsprießend ] 2 Hersprießend 2 I H.0a   (II aa)
Wölbt sich des bunten Bogens Wechsel-Dauer,
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,
Umher verbreitend duftig kühle Schauer.
4725Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.
Ihm sinne nach und du begreifst genauer:
4727Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.