∞Vorspiel auf dem Theater
∞Director,
Theaterdichter, lustige Person
∞Director
33Ihr beyden die ihr mir so oft,
34In Noth und Trübsal, beygestanden,
35Sagt was ihr wohl, in deutschen Landen,
36Von unsrer Unternehmung hofft?
37Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
38Besonders weil sie lebt und leben läßt.
39Die Pfosten sind, die Breter aufgeschlagen,
40Und jedermann erwartet sich ein Fest.
41Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,
42Gelassen da und möchten gern erstaunen.
43Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;
44Doch so verlegen bin ich nie gewesen;
45Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
46Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
47Wie machen wir’s? daß alles frisch und neu
48Und mit Bedeutung auch gefällig sey.
49Denn freylich mag ich gern die Menge sehen,
50Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
51Und mit gewaltig wiederholten Wehen,
52Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt;
53Bey hellem Tage, schon vor Vieren,
54Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
55Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthüren,
56Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
57Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
∞Dichter
59O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
60Bey deren Anblick uns der Geist entflieht.
61Verhülle mir das wogende Gedränge,
62Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
63Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
64Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
65Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen
66Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
67Ach! was in tiefer Brust uns da
entsprungen,
68Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
69Mißrathen jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
70Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
71Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen
72Erscheint es in vollendeter Gestalt.
73Was glänzt ist für den Augenblick geboren,
74Das Ächte bleibt der Nachwelt unverloren.
∞Lustige
Person
75Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.
76Gesetzt daß ich von Nachwelt
reden wollte,
77Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
78Den will sie doch und soll ihn haben.
79Die Gegenwart von einem braven Knaben
80Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.
81Wer sich behaglich mitzutheilen weiß,
82Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
83Er wünscht sich einen großen Kreis,
84Um ihn gewisser zu erschüttern.
85Drum seyd nur brav und zeigt euch musterhaft,
86Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
87Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
88Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.
∞Director
89Besonders aber laßt genug geschehn!
90Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
92So daß die Menge staunend gaffen kann,
93Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
94Ihr seyd ein vielgeliebter Mann.
95Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
96Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
98Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
99Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
100Solch ein Ragout es muß euch glücken;
101Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
102Was hilft’s wenn ihr ein Ganzes dargebracht,
103Das Publikum wird es euch doch zerpflücken.
∞Dichter
104Ihr fühlet nicht wie schlecht ein solches Handwerk sey!
105Wie wenig das den ächten Künstler zieme!
106Der saubern Herren Pfuscherey
107Ist, merk’ ich, schon bey euch Maxime.
∞Director
108Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt;
109Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
110Muß auf das beste Werkzeug halten.
111Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
112Und seht nur hin für wen ihr schreibt!
113Wenn diesen Langeweile treibt,
114Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
115Und, was das allerschlimmste bleibt,
116Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
117Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
118Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
119Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
120Und spielen ohne Gage mit.
121Was träumet ihr auf eurer Dichter-Höhe?
122Was macht ein volles Haus euch froh?
123Beseht die Gönner in der Nähe!
124Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
125Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
126Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
127Was plagt ihr armen Thoren viel,
128Zu solchem Zweck, die holden Musen?
129Ich sag’ euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,
130So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren,
131Sucht nur die Menschen zu verwirren,
132Sie zu befriedigen ist schwer – –
133Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?
∞Dichter
134Geh hin und such dir einen andern Knecht!
135Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
136Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
137Um deinetwillen freventlich verscherzen!
138Wodurch bewegt er alle Herzen?
139Wodurch besiegt er jedes Element?
140Ist es der Einklang nicht? der aus dem Busen dringt,
141Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt.
142Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
143Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
144Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
145Verdrießlich durch einander klingt;
146Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
147Belebend ab, daß sie sich rythmisch regt?
148Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe?
149Wo es in herrlichen Accorden schlägt,
150Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
151Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?
153Auf der Geliebten Pfade hin?
154Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
155Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
156Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
157Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.
∞Lustige
Person
158So braucht sie denn die schönen Kräfte
159Und treibt die dicht’rischen Geschäfte,
160Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
161Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
162Und nach und nach wird man verflochten;
163Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
164Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
165Und eh man sich’s versieht ist’s eben ein Roman.
166Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
167Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
168Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
169Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.
170In bunten Bildern wenig Klarheit,
171Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,
172So wird der beste Trank gebraut,
173Der alle Welt erquickt und auferbaut.
174Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte
175Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
176Dann sauget jedes zärtliche Gemüthe
177Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung;
178Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,
179Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.
180Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
181Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
182Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,
183Ein Werdender wird immer dankbar seyn.
∞Dichter
184So gieb mir auch die Zeiten wieder,
185Da ich noch selbst im Werden war,
186Da sich ein Quell gedrängter Lieder
187Ununterbrochen neu gebar,
188Da Nebel mir die Welt verhüllten,
189Die Knospe Wunder noch versprach,
190Da ich die tausend Blumen brach,
191Die alle Thäler reichlich füllten.
192Ich hatte nichts und doch genug,
193Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
194Gieb ungebändigt jene Triebe,
195Das tiefe schmerzenvolle Glück,
196Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
197Gieb meine Jugend mir zurück!
∞Lustige
Person
198Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls
199Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
200Wenn mit Gewalt an deinen Hals
201Sich allerliebste Mädchen hängen,
202Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
203Vom schwer erreichten Ziele winket,
205Die Nächte schmausend man vertrinket.
206Doch ins bekannte Saitenspiel
207Mit Muth und Anmuth einzugreifen,
208Nach einem selbgesteckten Ziel
209Mit holdem Irren hinzuschweifen,
210Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
211Und wir verehren euch darum nicht minder.
212Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
213Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
∞Director
214Der Worte sind genug gewechselt,
215Laßt mich auch endlich Thaten sehn;
216Indeß ihr Complimente drechselt,
217Kann etwas nützliches geschehn.
218Was hilft es viel von Stimmung reden?
219Dem Zaudernden erscheint sie nie.
220Gebt ihr euch einmal für Poeten,
221So kommandirt die Poesie.
222Euch ist bekannt was wir bedürfen,
223Wir wollen stark Getränke schlürfen;
224Nun braut mir unverzüglich dran!
226Und keinen Tag soll man verpassen,
227Das Mögliche soll der Entschluß
228Beherzt sogleich beym Schopfe fassen,
229Er will es dann nicht fahren lassen,
230Und wirket weiter, weil er muß.
231Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
232Probirt ein jeder was er mag;
233Drum schonet mir an diesem Tag
234Prospecte nicht und nicht Maschinen.
235Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,
236Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
237An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
238An Thier und Vögeln fehlt es nicht.
239So schreitet in dem engen Breterhaus
240Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
242Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.