∞Der Tragödie Erster Theil
∞Nacht
∞In einem hochgewölbten, engen, gothischen Zimmer, Faust unruhig auf seinem Sessel am Pultevor 354 Zimmer, ] Zimmer‸ 1 H.5
Zimmer, S
Zimmer‸ A B B.a
(I c, II a)
∞Faust
354Habe nun, ach! Philosophie,
355Juristerey und Medicin,
356Und leider auch Theologie!
357Durchaus studirt, mit heißem Bemühn.
358Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
360Heiße Magister, heiße Doctor gar,
361Und ziehe schon an die zehen Jahr,
362Herauf, herab und quer und krumm,
363Meine Schüler an der Nase herum –
364Und sehe, daß wir nichts wissen können!
365Das will mir schier das Herz verbrennen.
366Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,
367Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
368Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
369Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
370Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,
371Bilde mir nicht ein was rechts zu wissen,
373Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
374Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,
375Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt.
376Es möchte kein Hund so länger leben!
377Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
378Ob mir durch Geistes Kraft und Mund378 mir‸ bis Mund‸ ] A mir‸ bis Krafft und Mund‸ 1 H.5
mir, bis Mund‸ S
mir, bis Mund, B B.a
(IV a)
379Nicht manch Geheimniß würde kund;
380Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß,380 mehr‸ bis Schweiß, ] A mehr‸ bis Schweis‸ 1 H.5
mehr, bis saurem Schweiß, S
mehr, bis Schweiß, B B.a
(IV a)
383Im Innersten zusammenhält,
384Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,
385Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.
386O sähst du, voller Mondenschein,
387Zum letztenmal auf meine Pein,
388Den ich so manche Mitternacht
389An diesem Pult herangewacht:
390Dann über Büchern und Papier,390 Dann‸ bis Papier, ] S A Dann‸ bis Bücher und Papier‸ 1 H.5
Dann‸ bis Bücher und Papier, S
Dann, bis Papier, B B.a
(IV a)
391Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!
392Ach! könnt’ ich doch auf Berges-Höh’n,
393In deinem lieben Lichte gehn,
394Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
395Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
396Von allem Wissensqualm entladen,
397In deinem Thau gesund mich baden!
398Weh! steck’ ich in dem Kerker
noch?
399Verfluchtes, dumpfes Mauerloch!
400Wo selbst das liebe Himmelslicht
401Trüb’ durch gemahlte Scheiben bricht.
403Den Würme nagen, Staub bedeckt,
404Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,
405Ein angeraucht Papier umsteckt;
406Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
407Mit Instrumenten vollgepfropft,
408Urväter Hausrath drein gestopft –
409Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
410Und fragst du noch, warum dein
Herz
411Sich bang’ in deinem Busen klemmt?
412Warum ein unerklärter Schmerz
413Dir alle Lebensregung hemmt?
414Statt der lebendigen Natur,
415Da Gott die Menschen schuf hinein,
416Umgiebt in Rauch und Moder nur
417Dich Thiergeripp’ und Todtenbein.
419Und dieß geheimnißvolle Buch,
420Von Nostradamus eigner Hand,
421Ist dir es nicht Geleit genug?
422Erkennest dann der Sterne Lauf,
423Und wenn Natur dich unterweist,
424Dann geht die Seelenkraft dir auf,
425Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
426Umsonst, daß trocknes Sinnen hier426 Umsonst, ] S A Umsonst‸ 1 H.5
Umsonst! B B.a
Umsonst, 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(IV a)
427Die heil’gen Zeichen dir erklärt,
428Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,
429Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
∞Er schlägt das Buch
auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.
430Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
431Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
432Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück
433Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
434War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?
435Die mir das innre Toben stillen,
436Das arme Herz mit Freude füllen,
437Und mit geheimnißvollem Trieb,
438Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen.
439Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
440Ich schau’ in diesen reinen Zügen
441Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
442Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:
443„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
444„Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
445„Auf bade, Schüler, unverdrossen,
446„Die ird’sche Brust im Morgenroth!“
∞Er beschaut das
Zeichen.
447Wie alles sich zum Ganzen webt,
448Eins in dem andern wirkt und lebt!
449Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
450Und sich die goldnen Eimer reichen!
451Mit segenduftenden Schwingen
452Vom Himmel durch die Erde dringen,
454Welch Schauspiel! aber ach! ein
Schauspiel nur!
455Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?
456Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
457An denen Himmel und Erde hängt,
458Dahin die welke Brust sich drängt –
459Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so
vergebens?
∞Er schlägt
unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen
des Erdgeistes.
460Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
461Du, Geist der Erde, bist mir näher;
462Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,
463Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,
464Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,464 Muth, bis wagen, ] S A B.a Muth‸ bis wagen‸ 1 H.5
Muth‸ bis wagen, B
(IV c)
465Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
466Mit Stürmen mich herumzuschlagen,
467Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,
468Es wölkt sich über mir –
469Der Mond verbirgt sein Licht –
470Die Lampe schwindet!
471Es dampft! – Es zucken rothe Strahlen
472Mir um das Haupt – Es weht
473Ein Schauer vom Gewölb’ herab
474Und faßt mich an!
475Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.
476Enthülle dich!
477Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!
478Zu neuen Gefühlen
480Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
∞Er faßt das Buch
und spricht das Zeichen des Geistes geheimnißvoll aus. Es zuckt
eine röthliche Flamme, der Geist
erscheint in der Flamme.
∞Geist
486Du flehst erathmend mich zu schauen,
487Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn,
488Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
489Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen
490Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
491Wo ist die Brust? die eine Welt in sich erschuf,
492Und trug und hegte; die mit Freudebeben
493Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben.
494Wo bist du, Faust? deß Stimme mir erklang,
495Der sich an mich mit allen Kräften drang?
496Bist Du es? der, von
meinem Hauch umwittert,
497In allen Lebenstiefen zittert,
498Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!
∞Geist
501In Lebensfluthen, im Thatensturm
502Wall’ ich auf und ab,
504Geburt und Grab,
505Ein ewiges Meer,
506Ein wechselnd Weben,
507Ein glühend Leben,
508So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
509Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
∞Verschwindet
∞Faust
∞zusammenstürzend
514Nicht dir!
515Wem denn?
516Ich Ebenbild der Gottheit!
517Und nicht einmal dir!
∞Es klopft.
518O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –
519Es wird mein schönstes Glück zu nichte!
520Daß diese Fülle der Gesichte
521Der trockne Schleicher stören muß!
∞Wagner im Schlafrocke und der
Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich
unwillig.
∞Wagner
522Verzeiht! ich hör’ euch declamiren;
523Ihr las’t gewiß ein griechisch Trauerspiel?
525Denn heut zu Tage wirkt das viel.
526Ich hab’ es öfters rühmen hören,
527Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.
∞Wagner
530Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
531Und sieht die Welt kaum einen Feyertag,
532Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
533Wie soll man sie durch Überredung leiten?
∞Faust
534Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,
535Wenn es nicht aus der Seele dringt,
536Und mit urkräftigem Behagen
537Die Herzen aller Hörer zwingt.
538Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
539Braut ein Ragout von andrer Schmaus,
540Und blas’t die kümmerlichen Flammen
541Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!
542Bewund’rung von Kindern und Affen,
543Wenn euch darnach der Gaumen steht;
544Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
545Wenn es euch nicht von Herzen geht.
∞Faust
548Such’ Er den redlichen Gewinn!
549Sey er kein schellenlauter Thor!
550Es trägt Verstand und rechter Sinn
551Mit wenig Kunst sich selber vor;
552Und wenn’s euch Ernst ist was zu sagen,
553Ist’s nöthig Worten nachzujagen?
554Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
555In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
556Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
557Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!
∞Wagner
558Ach Gott! die Kunst ist lang;
559Und kurz ist unser Leben.
560Mir wird, bey meinem kritischen Bestreben,
561Doch oft um Kopf und Busen bang’.
562Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
563Durch die man zu den Quellen steigt!
564Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,
565Muß wohl ein armer Teufel sterben.
∞Faust
566Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,566 Pergament, ] S A B.a Pergament‸ 1 H.5
Pergament‸ B
(IV c)566 heilge ] A heil’ge S
heil’ge B B.a
(IV a)
567Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
568Erquickung hast du nicht gewonnen,
569Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
∞Wagner
570Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,570–571 Ergetzen, bis versetzen; ] S A B.a Ergözzen‸ bis versezzen. 1 H.5
Ergetzen‸ bis versetzen, B
(IV c)
571Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
572Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,572 schauen, ] S A B.a schauen‸ 1 H.5
schauen‸ B
(IV c)
573Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
∞Faust
574O ja, bis an die Sterne weit!
575Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
576Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
577Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
578Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
579In dem die Zeiten sich bespiegeln.
580Da ist’s dann wahrlich oft ein Jammer!
581Man läuft euch bey dem ersten Blick davon.
582Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
583Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,
584Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,
585Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
∞Faust
588Ja was man so erkennen heißt!
589Wer darf das Kind beym rechten Namen nennen?
590Die wenigen, die was davon erkannt,
591Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,
592Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
593Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.593 gekreuzigt ] 1 H.5 S gekreutzigt A B 1 H.1 C.1 12
gekreuzigt B.a
gekreuzigt C.3 12
(II a)
594Ich bitt’ euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
595Wir müssen’s dießmal unterbrechen.
∞Wagner
596Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
597Um so gelehrt mit euch mich zu besprechen.
598Doch Morgen, als am ersten Ostertage,
599Erlaubt mir ein’ und andre Frage.
600Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen,
601Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen.
∞ab
∞Faust
∞allein
602Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
603Der immerfort an schaalem Zeuge klebt,603 schaalem ] A schaalen 1 H.5
schalem S
schalem D.1 B B.a
(IV a)
604Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,
606Darf eine solche Menschenstimme
hier,
607Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
608Doch ach! für dießmal dank’ ich dir,
609Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
610Du rissest mich von der Verzweiflung los,
611Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
612Ach! die Erscheinung war so Riesen-groß,
613Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
614Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich
schon
615Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,
616Sein selbst genoß, in Himmelsglanz und Klarheit,
617Und abgestreift den Erdensohn;
618Ich, mehr als Cherub, dessen freye Kraft
619Schon durch die Adern der Natur zu fließen
620Und, schaffend, Götterleben zu genießen
622Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
623Nicht darf ich dir zu gleichen mich
vermessen.
624Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen;
625So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.
626In jenem sel’gen Augenblicke
627Ich fühlte mich so klein, so groß,
628Du stießest grausam mich zurücke,
629Ins ungewisse Menschenloos.
630Wer lehret mich? was soll ich meiden?
631Soll ich gehorchen jenem Drang?
632Ach! unsre Thaten selbst, so gut als unsre
Leiden,
633Sie hemmen unsres Lebens Gang.
635Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;
636Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
637Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
638Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
639Erstarren in dem irdischen Gewühle.
640Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem
Flug,
641Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
642So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
643Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
644Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
645Dort wirket sie geheime Schmerzen,
646Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
647Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
648Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind
erscheinen,
649Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
651Und was du nie verlierst das mußt du stets
beweinen.
652Den Göttern gleich’ ich nicht! zu
tief ist es gefühlt;
653Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt;
654Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
655Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
656Ist es nicht Staub? was diese hohe
Wand,
657Aus hundert Fächern, mir verenget;
658Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,
659In dieser Mottenwelt mich dränget?
660Hier soll ich finden was mir fehlt?
661Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
662Daß überall die Menschen sich gequält,
663Daß hie und da ein Glücklicher gewesen? –
664Was grinsest du mir hohler Schädel her?
665Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret,
666Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,666 leichten ] A B B.a mon Gö 1 H.1 leichten C.1 12 C.3 12
lichten konj Hartung (III *)
667Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.
668Ihr Instrumente freylich, spottet mein,
669Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel.
670Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel seyn;
671Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die
Riegel.
672Geheimnißvoll am lichten Tag
673Läßt sich Natur des Schleyers nicht berauben,
674Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
675Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit
Schrauben.
676Du alt Geräthe das ich nicht gebraucht,
677Du stehst nur hier, weil dich mein Vater
brauchte.
678Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
679So lang an diesem Pult die trübe Lampe
schmauchte.
682Was du ererbt von deinen Vätern hast
684Was man nicht nützt ist eine schwere Last,
686Doch warum heftet sich mein Blick auf
jene Stelle?
687Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
688Warum wird mir auf einmal lieblich helle?
689Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz
umweht.
690Ich grüße dich, du einzige
Phiole!
691Die ich mit Andacht nun herunterhole,
692In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst.
693Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
694Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,
695Erweise deinem Meister deine Gunst!
696Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
697Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
698Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach.
699Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewiesen,
700Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen,
701Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
702Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten
Schwingen,
703An mich heran! Ich fühle mich bereit
704Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,
705Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit.
706Dieß hohe Leben, diese Götterwonne!
707Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
708Ja, kehre nur der holden Erdensonne
709Entschlossen deinen Rücken zu!
710Vermesse dich die Pforten aufzureißen,
712Hier ist es Zeit durch Thaten zu beweisen,
713Daß Mannes-Würde nicht der Götterhöhe weicht,
714Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,
715In der sich Phantasie zu eigner Quaal verdammt,
716Nach jenem Durchgang hinzustreben,
717Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
718Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen
721Hervor aus deinem alten Futterale,
722An die ich viele Jahre nicht gedacht.
723Du glänztest bey der Väter Freudenfeste,
724Erheitertest die ernsten Gäste,
725Wenn einer dich dem andern zugebracht.
726Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
727Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
728Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,
729Erinnert mich an manche Jugend-Nacht,
730Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
731Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht
zeigen,
732Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.
734Den ich bereitet, den ich wähle,
735Der letzte Trunk sey nun, mit ganzer Seele,
736Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
∞Er setzt die Schale an den
Mund.
∞Chor der
Engel
∞Faust
742Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,
743Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
744Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon
745Des Osterfestes erste Feyerstunde?
746Ihr Chöre singt ihr schon den tröstlichen Gesang?
747Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
748Gewißheit einem neuen Bunde.
∞Chor der
Weiber
∞Chor der
Engel
∞Faust
762Was sucht ihr, mächtig und gelind,
764Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
765Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube;
766Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
767Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben,
768Woher die holde Nachricht tönt;
769Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
770Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
771Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß
772Auf mich herab, in ernster Sabathstille;
773Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,773 ahndungsvoll ] A J.2 ahnungsvoll B B.a
(IV a)
774Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
775Ein unbegreiflich holdes Sehnen
776Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,
777Und unter tausend heißen Thränen,
778Fühlt’ ich mir eine Welt entstehn.
779Dieß Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
780Der Frühlingsfeyer freyes Glück;
781Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
782Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
783O! tönet fort ihr süßen Himmelslieder!
784Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!
∞Chor der
Jünger