Classische Walpurgisnacht

Pharsalische Felder, Finsterniß
Erichto
7005Zum Schauderfeste dieser Nacht, wie öfter schon,
Tret’ ich einher, Erichto, ich die düstere;
Nicht so abscheulich wie die leidigen Dichter mich
Im Übermaaß verlästern . . . Endigen sie doch nie,
In Lob und Tadel . . . Überbleicht erscheint mir schon
7010Von grauer Zelten Woge weit das Thal dahin,
Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht.
Wie oft schon wiederholt sich’s! Wird sich immerfort
In’s Ewige wiederholen . . . Keiner gönnt das Reich
Dem Andern, dem gönnt’s keiner der’s mit Kraft erwarb
7015Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst
Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern
Des Nachbars Willen, eignem stolzen Sinn gemäß . . .
Hier aber ward ein großes Beyspiel durchgekämpft,
Wie sich Gewalt Gewaltigerem entgegenstellt,
7020Der Freyheit holder tausendblumiger Kranz zerreißt,
Der starre Lorbeer sich ums Haupt des Herrschers biegt.
Hier träumte Magnus früher Größe Blütentag,
Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort!
Das wird sich messen. Weiß die Welt doch wem’s gelang.
7025Wachfeuer glühen, rothe Flammen spendende,
Der Boden haucht vergoßnen Blutes Wiederschein,
Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht,
Versammelt sich hellenischer Sage Legion.
Um alle Feuer schwankt unsicher, oder sitzt
7030Behaglich, alter Tage fabelhaft Gebild . . .
Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,
Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;
Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau.
Doch! über mir! welch unerwartet Meteor?
7035Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball.
Ich wittre Leben. Da geziemen will mirs nicht
Lebendigem zu nahen, dem ich schädlich bin;
Das bringt mir bösen Ruf und frommt mir nicht.
Schon sinkt es nieder. Weich’ ich aus mit Wohlbedacht!
Entfernt sich
Die Luftfahrer oben
Homunkulus
7040Schwebe noch einmal die Runde
Über Flamm- und Schaudergrauen;
Ist es doch in Thal und Grunde,
Gar gespenstisch anzuschauen.
Mephistopheles
Seh’ ich, wie durchs alte Fenster,
7045In des Nordens Wust und Graus,
Ganz abscheuliche Gespenster;
Bin ich hier wie dort zu Haus.
Homunkulus
Sieh! da schreitet eine Lange,
Weiten Schrittes von uns hin.7049 von ] 2 II H.74 2 Hvor C1 41 C3 41 Q emend Erich Schmidt  (I a*)
Mephistopheles
7050Ist es doch als wär’ ihr bange;
Sah uns durch die Lüfte ziehn.
Homunkulus
Laß sie schreiten! setz’ ihn nieder
Deinen Ritter, und sogleich
Kehret ihm das Leben wieder,
7055Denn er sucht’s im Fabelreich.
Faust
den Boden berührend
Wo ist sie?
Homunkulus
Wüßten’s nicht zu sagen,
Doch hier wahrscheinlich zu erfragen.
In Eile magst du, eh’ es tagt,
Von Flamm’ zu Flamme spürend gehen:
7060Wer zu den Müttern sich gewagt
Hat weiter nichts zu überstehen.
Mephistopheles
Auch ich bin hier an meinem Theil,
Doch wüßt’ ich besseres nicht zu unserm Heil
Als: jeder möge durch die Feuer
7065Versuchen sich sein eigen Abenteuer.
Dann, um uns wieder zu vereinen,
Laß deine Leuchte, Kleiner, tönend scheinen.
Homunkulus
So soll es blitzen, soll es klingen.
das Glas dröhnt und leuchtet gewaltig.
Nun frisch zu neuen Wunderdingen!
Faust
allein
7070Wo ist sie? – Frage jetzt nicht weiter nach . . .
Wär’s nicht die Scholle die sie trug,
Die Welle nicht die ihr entgegen schlug;
So ist’s die Luft die ihre Sprache sprach.
Hier! durch ein Wunder, hier in Griechenland!
7075Ich fühlte gleich den Boden wo ich stand;
Wie mich, den Schläfer, frisch ein Geist durchglühte,
So steh’ ich, ein Antäus an Gemüthe.
Und find’ ich hier das Seltsamste beysammen,
Durchforsch’ ich ernst dies Labyrinth der Flammen.
entfernt sich
Mephistopheles
umherspürend
7080Und wie ich diese Feuerchen durchschweife,
So find’ ich mich doch ganz und gar entfremdet,
Fast alles nackt, nur hie und da behemdet:
Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife,
Und was nicht alles, lockig und beflügelt,
7085Von vorn und hinten sich im Auge spiegelt . . . .
Zwar sind auch wir von Herzen unanständig,
Doch das Antike find’ ich zu lebendig;
Das müßte man mit neustem Sinn bemeistern
Und mannigfaltig modisch überkleistern . . . .
7090Ein widrig Volk! doch darf michs nicht verdrießen
Als neuer Gast anständig sie zu grüßen . . . .
Glückzu! den schönen Frau’n, den klugen Greisen.
Greif
schnarrend
Nicht Greisen! Greifen! – Niemand hört es gern
Daß man ihn Greis nennt. Jedem Worte klingt
7095Der Ursprung nach wo es sich her bedingt:
Grau, grämlich, griesgram, gräulich, Gräber, grimmig,
Etymologisch gleicherweise stimmig,
Verstimmen uns.
Mephistopheles
Und doch, nicht abzuschweifen,
Gefällt das Grei im Ehrentitel Greifen.
Greif
wie oben und immer so fort
7100Natürlich! die Verwandtschaft ist erprobt,
Zwar oft gescholten, mehr jedoch gelobt;
Man greife nun nach Mädchen, Kronen, Gold,
Dem Greifenden ist meist Fortuna hold.
Ameisen
von der colossalen Art
Ihr sprecht von Gold, wir hatten viel gesammelt,
7105In Fels und Höhlen heimlich eingerammelt;
Das Arimaspen-Volk hat’s ausgespürt,
Sie lachen dort, wie weit sie’s weggeführt.
Greife
Wir wollen sie schon zum Geständniß bringen.
Arimaspen
Nur nicht zur freyen Jubelnacht.
7110Bis morgen ists alles durchgebracht,
Es wird uns diesmal wohl gelingen.
Mephistopheles
hat sich zwischen die Sphinxe gesetzt
Wie leicht und gern ich mich hierher gewöhne,
Denn ich verstehe Mann für Mann.
Sphinx
Wir hauchen unsre Geistertöne
7115Und ihr verkörpert sie alsdann.
Jetzt nenne dich bis wir dich weiter kennen!
Mephistopheles
Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen –
Sind Britten hier? Sie reisen sonst so viel,
Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
7120Gestürzten Mauern, klassisch dumpfen Stellen;
Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.
Sie zeugten auch: Im alten Bühnen-Spiel
Sah man mich dort als old Iniquity.
Sphinx
Wie kam man drauf?
Mephistopheles
Ich weiß es selbst nicht wie.
Sphinx
7125Mag seyn! Hast du von Sternen einige Kunde?
Was sagst du zu der gegenwärt’gen Stunde?
Mephistopheles
aufschauend
Stern schießt nach Stern, beschnittner Mond scheint helle
Und mir ist wohl an dieser trauten Stelle,
Ich wärme mich an deinem Löwenfelle.
7130Hinauf sich zu versteigen wär’ zum Schaden,
Gieb Räthsel auf, gieb allenfalls Charaden.
Sphinx
Sprich nur dich selbst aus, wird schon Räthsel seyn.
Versuch einmal dich innigst aufzulösen:
„Dem frommen Manne nöthig wie dem bösen,
7135 Dem ein Plastron, ascetisch zu rapiren,
Cumpan dem andern, Tolles zu vollführen,7136 Cumpan ] 2 HKumpan Ec 2 H   (VI)
Und beydes nur, um Zeus zu amüsiren.“
Erster Greif
schnarrend
Den mag ich nicht!
Zweyter Greif
stärker schnarrend
Was will uns der?
Beyde
Der Garstige gehöret nicht hierher!
Mephistopheles
brutal
7140Du glaubst vielleicht des Gastes Nägel krauen
Nicht auch so gut wie deine scharfen Klauen?
Versuchs einmal!
Sphinx
milde
Du magst nur immer bleiben,
Wird dich’s doch selbst aus unsrer Mitte treiben;
In deinem Lande thust dir was zu Gute,
7145Doch, irr’ ich nicht, hier ist dir schlecht zu Muthe.
Mephistopheles
Du bist recht appetitlich oben anzuschauen,
Doch unten hin, die Bestie macht mir Grauen.
Sphinx
Du Falscher kommst zu deiner bittern Buße,
Denn unsre Tatzen sind gesund;
7150 Dir mit verschrumpftem Pferdefuße
Behagt es nicht in unserem Bund.
Sirenen präludiren oben
Mephistopheles
Wer sind die Vögel in den Ästen
Des Pappelstromes hingewiegt?
Sphinx
Gewahrt euch nur, die Allerbesten
7155Hat solch ein Sing-Sang schon besiegt.
Sirenen
Ach was wollt ihr euch verwöhnen
In dem Häßlich-Wunderbaren!
Horcht, wir kommen hier zu Schaaren
Und in wohlgestimmten Tönen,
7160So geziemet es Sirenen.
Sphinxe
sie verspottend in derselben Melodie
Nöthigt sie herabzusteigen!
Sie verbergen in den Zweigen
Ihre garstigen Habichtskrallen,
Euch verderblich anzufallen,
7165Wenn ihr euer Ohr verleiht.
Sirenen
Weg! das Hassen, weg! das Neiden;
Sammeln wir die klarsten Freuden,
Unterm Himmel ausgestreut!
Auf dem Wasser, auf der Erde,
7170Sey’s die heiterste Gebärde
Die man dem Willkommnen beut.
Mephistopheles
Das sind die saubern Neuigkeiten
Wo aus der Kehle, von den Saiten,
Ein Ton sich um den andern flicht.
7175Das Trallern ist bey mir verloren,
Es krabbelt wohl mir um die Ohren
Allein zum Herzen dringt es nicht.
Sphinxe
Sprich nicht vom Herzen! das ist eitel;
Ein lederner verschrumpfter Beutel
7180Das paßt dir eher zu Gesicht.
Faust
herantretend
Wie wunderbar! das Anschaun thut mir Gnüge,
Im Widerwärtigen große tüchtige Züge.
Ich ahne schon ein günstiges Geschick;
Wohin versetzt mich dieser ernste Blick?
Auf Sphinxe bezüglich
7185Vor solchen hat einst Ödipus gestanden;
Auf Sirenen bezüglich
Vor solchen krümmte sich Ulyss in hänfnen Banden;
Auf Ameisen bezüglich
Von solchen ward der höchste Schatz gespart;
Auf Greife bezüglich
Von diesen treu und ohne Fehl bewahrt.
Vom frischen Geiste fühl’ ich mich durchdrungen,
7190Gestalten groß, groß die Erinnerungen.
Mephistopheles
Sonst hättest du dergleichen weggeflucht,
Doch jetzo scheint es dir zu frommen;
Denn wo man die Geliebte sucht,
Sind Ungeheuer selbst willkommen.
Faust
zu den Sphinxen
7195Ihr Frauenbilder müßt mir Rede stehn:
Hat eins der Euren Helena gesehn?
Sphinxe
Wir reichen nicht hinauf zu ihren Tagen,
Die letztesten hat Herkules erschlagen.
Von Chiron könntest dus erfragen;
7200Der sprengt herum in dieser Geisternacht,
Wenn er dir steht so hast du’s weit gebracht.
Sirenen
Sollte dir’s doch auch nicht fehlen! . . .
Wie Ulyss bey uns verweilte,
Schmähend nicht vorübereilte,
7205Wußt’ er vieles zu erzählen;
Würden alles dir vertrauen,
Wolltest du zu unsern Gauen
Dich ans grüne Meer verfügen.
Sphinx
Laß dich Edler nicht betrügen!
7210Statt daß Ulyss sich binden ließ,
Laß unsern guten Rath dich binden;
Kannst du den hohen Chiron finden,
Erfährst du was ich dir verhieß.
Faust entfernt sich
Mephistopheles
verdrießlich
Was krächzt vorbey mit Flügelschlag?
7215So schnell daß man’s nicht sehen mag,
Und immer eins dem andern nach,
Den Jäger würden sie ermüden.
Sphinx
Dem Sturm des Winterwinds vergleichbar,
Alcides Pfeilen kaum erreichbar;
7220Es sind die raschen Stymphaliden.
Und wohlgemeint ihr Krächzegruß,
Mit Geyerschnabel und Gänsefuß.
Sie möchten gern in unsern Kreisen
Als Stammverwandte sich erweisen.
Mephistopheles
wie verschüchtert
7225Noch andres Zeug zischt zwischen drein.
Sphinx
Vor diesen sey euch ja nicht bange,
Es sind die Köpfe der Lernäischen Schlange,
Vom Rumpf getrennt, und glauben was zu seyn.
Doch sagt, was soll nur aus euch werden?
7230Was für unruhige Gebärden?
Wo wollt ihr hin? Begebt euch fort! . . .
Ich sehe, jener Chorus dort
Macht euch zum Wendehals. Bezwingt euch nicht,
Geht hin! begrüßt manch reizendes Gesicht.
7235Die Lamien sinds, lustfeine Dirnen,
Mit Lächelmund und frechen Stirnen,
Wie sie dem Satyrvolk behagen;
Ein Bocksfuß darf dort alles wagen.
Mephistopheles
Ihr bleibt doch hier? daß ich euch wiederfinde.
Sphinxvor 7240 Sphinx ] 2 HSphinxe emend Erich Schmidt  (VII)
7240Ja! Mische dich zum luftigen Gesinde.
Wir, von Egypten her, sind längst gewohnt
Daß unsereins in tausend Jahre thront.
Und respectirt nur unsre Lage,
So regeln wir die Mond- und Sonnentage.
7245Sitzen vor den Pyramiden,
Zu der Völker Hochgericht;
Überschwemmung, Krieg und Frieden –
7248Und verziehen kein Gesicht.
Peneus umgeben von Gewässern und Nymphenvor 7249 (Überschrift) Peneus ] 2 H Zeichen über dem zweitene zur Verdeutlichung der Artikulation, darüberei , am linken RandPeneus mit Zeichen über dem zweitene Ri 2 H   (VII)
Peneus
7249Rege dich du Schilfgeflüster!
7250Hauche leise Rohrgeschwister,
Säuselt leichte Weidensträuche
Lispelt Pappelzitterzweige
Unterbrochnen Träumen zu! . . .
Weckt mich doch ein grauslich Wittern,
7255Heimlich allbewegend Zittern,
Aus dem Wallestrom und Ruh.
Faust
an den Fluß tretend
Hör’ ich recht, so muß ich glauben:
Hinter den verschränkten Lauben
Dieser Zweige, dieser Stauden
7260Tönt ein menschenähnlichs Lauten:7260 menschenähnlichs ] 2 II H.74menschlichähnlichs 2 H   (II aa)
Scheint die Welle doch ein Schwätzen,
Lüftlein wie – ein Scherzergötzen.
Nymphen
zu Faust
Am besten geschäh’ dir
Du legtest dich nieder,
7265Erholtest im Kühlen
Ermüdete Glieder,
Genössest der immer
Dich meidenden Ruh;
Wir säuseln, wir rieseln,
7270Wir flüstern dir zu.
Faust
Ich wache ja! O laßt sie walten
Die unvergleichlichen Gestalten
Wie sie dorthin mein Auge schickt.
So wunderbar bin ich durchdrungen
7275Sind’s Träume? Sind’s Erinnerungen?
Schon einmal warst du so beglückt.
Gewässer schleichen durch die Frische
Der dichten sanft bewegten Büsche,
Nicht rauschen sie, sie rieseln kaum;
7280Von allen Seiten hundert Quellen
Vereinen sich, im reinlich hellen
Zum Bade flach vertieften Raum.
Gesunde junge Frauenglieder,
Vom feuchten Spiegel doppelt wieder
7285Ergötztem Auge zugebracht!
Gesellig dann und fröhlich badend,
Erdreistet schwimmend, furchtsam wadend;7287 wadend ] 2 II H.74 2 Hwatend emend Erich Schmidt  (VII)
Geschrey zuletzt und Wasserschlacht.
Begnügen sollt’ ich mich an diesen,
7290Mein Auge sollte hier genießen,
Doch immer weiter strebt mein Sinn.
Der Blick dringt scharf nach jener Hülle,
Das reiche Laub der grünen Fülle
Verbirgt die hohe Königin.
7295Wundersam! auch Schwäne kommen
Aus den Buchten hergeschwommen,
Majestätisch rein bewegt.
Ruhig schwebend, zart gesellig,
Aber stolz und selbstgefällig
7300Wie sich Haupt und Schnabel regt . . . .
Einer aber scheint vor allen
Brüstend kühn sich zu gefallen,
Segelnd rasch durch alle fort;
Sein Gefieder bläht sich schwellend,
7305Welle selbst, auf Wogen wellend,
Dringt er zu dem heiligen Ort . . . .
Die andern schwimmen hin und wieder
Mit ruhig glänzendem Gefieder,
Bald auch in regem prächtigen Streit;
7310Die scheuen Mädchen abzulenken,
Daß sie an ihren Dienst nicht denken,
Nur an die eigne Sicherheit.
Nymphen
Leget Schwestern euer Ohr
An des Ufers grüne Stufe;
7315Hör’ ich recht, so kommt mir vor
Als der Schall von Pferdes Hufe.
Wüßt’ ich nur wer dieser Nacht
Schnelle Botschaft zugebracht.
Faust
Ist mir doch als dröhnt’ die Erde
7320Schallend unter eiligem Pferde.
Dorthin mein Blick!
Ein günstiges Geschick,
Soll es mich schon erreichen?
O Wunder ohne Gleichen!
7325Ein Reuter kommt herangetrabt,
Er scheint von Geist und Muth begabt,
Von blendend-weißem Pferd getragen . . . .
Ich irre nicht, ich kenn’ ihn schon,
Der Philyra berühmter Sohn!
7330Halt Chiron! halt! Ich habe dir zu sagen . . .
Chiron
Was giebt’s? Was ist’s?
Faust
Bezähme deinen Schritt!
Chiron
Ich raste nicht!
Faust
So bitte! Nimm mich mit!
Chiron
Sitz auf! so kann ich nach Belieben fragen:
Wohin des Wegs? Du stehst am Ufer hier,
7335Ich bin bereit dich durch den Fluß zu tragen.
Faust
aufsitzend
Wohin du willst. Für ewig dank’ ichs dir . . . .
Der große Mann der edle Pädagog,
Der, sich zum Ruhm, ein Heldenvolk erzog,
Den schönen Kreis der edlen Argonauten
7340Und alle die des Dichters Welt erbauten.
Chiron
Das lassen wir an seinem Ort!
Selbst Pallas kommt als Mentor nicht zu Ehren;
Am Ende treiben sie’s nach ihrer Weise fort
Als wenn sie nicht erzogen wären.
Faust
7345Den Arzt der jede Pflanze nennt,
Die Wurzeln bis ins Tiefste kennt,
Dem Kranken Heil, dem Wunden Lindrung schafft,
Umarm’ ich hier in Geist- und Körperkraft! 7348 Geist- ] 2 II H.74Geist 2 H   (II aa)
Chiron
Ward neben mir ein Held verletzt,
7350Da wußt’ ich Hülf’ und Rath zu schaffen;
Doch ließ ich meine Kunst zuletzt
Den Wurzelweibern und den Pfaffen.
Faust
Du bist der wahre große Mann
Der Lobeswort nicht hören kann;
7355Er sucht bescheiden auszuweichen
Und thut als gäb’ es Seinesgleichen.
Chiron
Du scheinest mir geschickt zu heucheln,
Dem Fürsten wie dem Volk zu schmeicheln.
Faust
So wirst du mir denn doch gestehn
7360Du hast die Größten deiner Zeit gesehn,
Dem Edelsten in Thaten nachgestrebt,
Halbgöttlich ernst die Tage durchgelebt.
Doch unter den heroischen Gestalten
Wen hast du für den Tüchtigsten gehalten?
Chiron
7365Im hehren Argonautenkreise
War jeder brav nach seiner eignen Weise,
Und, nach der Kraft die ihn beseelte,
Konnt’ er genügen, wo’s den andern fehlte.
Die Dioskuren haben stets gesiegt,
7370Wo Jugendfüll’ und Schönheit überwiegt.
Entschluß und schnelle That zu andrer Heil
Den Boreaden ward’s zum schönen Theil;
Nachsinnend, kräftig, klug, im Rath bequem,
So herrschte Jason, Frauen angenehm.
7375Dann Orpheus, zart und immer still bedächtig,
Schlug er die Leyer allen übermächtig.
Scharfsichtig Lynceus, der, bey Tag und Nacht,
Das heilge Schiff durch Klipp’ und Strand gebracht . . . .
Gesellig nur läßt sich Gefahr erproben:
7380Wenn einer wirkt, die andern alle loben.
Faust
Von Herkules willst nichts erwähnen?
Chiron
O weh! errege nicht mein Sehnen . . .
Ich hatte Phöbus nie gesehn,
Noch Ares, Hermes, wie sie heißen,
7385Da sah ich mir vor Augen stehn
Was alle Menschen göttlich preisen.
So war er ein geborner König,
Als Jüngling herrlichst anzuschaun;
Dem ältern Bruder unterthänig
7390Und auch den allerliebsten Fraun.
Den zweyten zeugt nicht Gäa wieder,
Nicht führt ihn Hebe himmelein;
Vergebens mühen sich die Lieder,
Vergebens quälen sie den Stein.
Faust
7395So sehr auch Bildner auf ihn pochen,
So herrlich kam er nie zur Schau.
Vom schönsten Mann hast du gesprochen,
Nun sprich auch von der schönsten Frau!
Chiron
Was! . . Frauen-Schönheit will nichts heißen,
7400Ist gar zu oft ein starres Bild;
Nur solch ein Wesen kann ich preisen
Das froh und lebenslustig quillt.
Die Schöne bleibt sich selber selig;
Die Anmuth macht unwiderstehlich,
7405Wie Helena, da ich sie trug.
Faust
Du trugst sie?
Chiron
Ja, auf diesem Rücken.
Faust
Bin ich nicht schon verwirrt genug,
Und solch’ ein Sitz muß mich beglücken!
Chiron
Sie faßte so mich in das Haar
7410Wie du es thust.
Faust
7410O! ganz und gar
Verlier’ ich mich! Erzähle wie?
Sie ist mein einziges Begehren!
Woher? wohin? ach, trugst du sie?
Chiron
Die Frage läßt sich leicht gewähren.
7415Die Dioskuren hatten, jener Zeit,
Das Schwesterchen aus Räuberfaust befreyt.
Doch diese, nicht gewohnt besiegt zu seyn,
Ermannten sich und stürmten hinterdrein.
Da hielten der Geschwister eiligen Lauf,
7420Die Sümpfe bey Eleusis auf;
Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber;
Da sprang sie ab und streichelte
Die feuchte Mähne, schmeichelte
Und dankte lieblich-klug und selbstbewusst.
7425Wie war sie reizend! jung, des Alten Lust!
Faust
Erst sieben Jahr! . . .
Chiron
Ich seh’, die Philologen
Sie haben dich so wie sich selbst betrogen.
Ganz eigen ist’s mit mythologischer Frau;
Der Dichter bringt sie, wie er’s braucht zur Schau:
7430Nie wird sie mündig, wird nicht alt,
Stets appetitlicher Gestalt,
Wird jung entführt, im Alter noch umfreyt;
G’nug, den Poeten bindet keine Zeit.
Faust
So sey auch sie durch keine Zeit gebunden!
7435Hat doch Achill auf Pherä sie gefunden,
Selbst außer aller Zeit. Welch seltnes Glück:
Errungene Liebe gegen das Geschick! 7437 Errungene ] Erungene 2 H   (I a)
Und sollt ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt,
Ins Leben ziehn die einzigste Gestalt?
7440Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,
So groß als zart, so hehr als liebenswürdig?
Du sahst sie einst, heut hab’ ich sie gesehn,
So schön wie reizend, wie ersehnt so schön.
Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen,
7445Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.
Chiron
Mein fremder Mann! als Mensch bist du entzückt,
Doch unter Geistern scheinst du wohl verrückt.
Nun trifft sich’s hier zu deinem Glücke;
Denn alle Jahr, nur wenig Augenblicke,
7450Pfleg’ ich bey Manto vorzutreten,
Der Tochter Äsculaps; im stillen Beten
Fleht sie zum Vater: daß, zu seiner Ehre,
Er endlich doch der Ärzte Sinn verkläre,
Und vom verwegnen Todtschlag sie bekehre . . .
7455Die liebste mir aus der Sibyllengilde,
Nicht fratzenhaft bewegt, wohlthätig milde;
Ihr glückt es wohl, bey einigem Verweilen,
Mit Wurzelkräften dich von Grund zu heilen.
Faust
Geheilt will ich nicht seyn, mein Sinn ist mächtig;
7460Da wär’ ich ja wie andre niederträchtig.
Chiron
Versäume nicht das Heil der edlen Quelle!
Geschwind herab! Wir sind zur Stelle.
Faust
Sag an! Wohin hast du, in grauser Nacht,
Durch Kiesgewässer, mich an’s Land gebracht?
Chiron
7465Hier trotzten Rom und Griechenland im Streite,
Peneios rechts, lincks den Olymp zur Seite.
Das größte Reich das sich im Sand verliert;
Der König flieht, der Bürger triumphirt.
Blick auf! hier steht, bedeutend nah,
7470Im Mondenschein der ewige Tempel da.
Manto
Inwendig träumend
Von Pferdes Hufe
Erklingt die heilige Stufe,
Halbgötter treten heran.
Chiron
Ganz recht!
7475Nur die Augen aufgethan!
Manto
erwachend
Willkommen! ich seh’ du bleibst nicht aus.
Chiron
Steht dir doch auch dein Tempelhaus!
Manto
Streifst du noch immer unermüdet?
Chiron
Wohnst du doch immer still umfriedet,
7480Indeß zu kreisen mich erfreut.
Manto
Ich harre, mich umkreist die Zeit.
Und dieser?
Chiron
Die verrufene Nacht
Hat strudelnd ihn hierhergebracht.
Helenen, mit verrückten Sinnen,
7485Helenen will er sich gewinnen,
Und weiß nicht wie und wo beginnen;
Asklepischer Kur vor andern werth.
Manto
Den lieb’ ich der Unmögliches begehrt.
Chiron ist schon weit weg
Manto
Tritt ein, Verwegner, sollst dich freuen;
7490Der dunkle Gang führt zu Persephoneien.
In des Olympus hohlem Fuß
Lauscht sie geheim verbotnem Gruß.
Hier hab’ ich einst den Orpheus eingeschwärzt,
7494Benutz’ es besser, frisch! beherzt!
Sie steigen hinab.
Am obern Peneios wie zuvor
Sirenen
7495Stürzt euch in Peneios Fluth!
Plätschernd ziemt es da zu schwimmen,
Lied um Lieder anzustimmen,
Dem unseligen Volk zu gut.
Ohne Wasser ist kein Heil!
7500Führen wir mit hellem Heere
Eilig zum ägäischen Meere,
Würd’ uns jede Lust zu Theil.
Erdbeben
Sirenen
Schäumend kehrt die Welle wieder,
Fließt nicht mehr im Bett darnieder;
7505 Grund erbebt, das Wasser staucht,
Kies und Ufer berstend raucht.
Flüchten wir! Kommt alle, kommt!
Niemand dem das Wunder frommt.
Fort! ihr edlen frohen Gäste
7510Zu dem seeisch heitern Feste,
Blinkend wo die Zitterwellen,
Ufernetzend, leise schwellen;
Da wo Luna doppelt leuchtet,
Uns mit heilgem Thau befeuchtet.
7515Dort ein freybewegtes Leben,
Hier ein ängstlich Erde-Beben;
Eile jeder Kluge fort!
Schauderhaft ist’s um den Ort.
Seismos
in der Tiefe brummend und polternd
Einmal noch mit Kraft geschoben,
7520Mit den Schultern brav gehoben!
So gelangen wir nach oben,
Wo uns alles weichen muß.
Sphinxe
Welch ein widerwärtig Zittern
Häßlich grausenhaftes Wittern!
7525Welch ein Schwanken, welches Beben,
Schaukelnd Hin- und Widerstreben!
Welch unleidlicher Verdruß!
Doch wir ändern nicht die Stelle,
Bräche los die ganze Hölle.
7530Nun erhebt sich ein Gewölbe
Wundersam. Es ist derselbe,
Jener Alte, längst Ergraute,
Der die Insel Delos baute,
Einer Kreisenden zu Lieb’ 7534 Kreisenden ] 2 H kreisenden : Kreisenden G 2 II H.74 Kreißenden emend Erich Schmidt  (VII)
7535Aus der Wog’ empor sie trieb.
Er, mit Streben, Drängen, Drücken,
Arme straff, gekrümmt den Rücken,
Wie ein Atlas an Gebärde,
Hebt er Boden, Rasen, Erde,
7540Kies und Gries und Sand und Letten,
Unsres Ufers stille Betten.
So zerreisst er eine Strecke
Queer des Thales ruhige Decke.
Angestrengtest, nimmer müde,7544 Angestrengtest ] Angestrengtest 2 II H.74 Angestregtest 2 H   (I a)
7545Colossale Caryatide;
Trägt ein furchtbar Steingerüste,
Noch im Boden bis zur Büste;
Weiter aber solls nicht kommen,
Sphinxe haben Platz genommen.
Seismos
7550Das hab’ ich ganz allein vermittelt,
Man wird mir’s endlich zugestehn;
Und hätt’ ich nicht geschüttelt und gerüttelt,
Wie wäre diese Welt so schön?
Wie ständen eure Berge droben
7555In prächtig-reinem Ätherblau,
Hätt’ ich sie nicht hervorgeschoben,
Zu malerisch-entzückter Schau!
Als, Angesichts der höchsten Ahnen,
Der Nacht, des Chaos, ich mich stark betrug
7560Und, in Gesellschaft von Titanen,
Mit Pelion und Ossa als mit Ballen schlug.
Wir tollten fort in jugendlicher Hitze,
Bis überdrüssig, noch zuletzt
Wir dem Parnaß, als eine Doppelmütze,
7565Die beiden Berge frevelnd aufgesetzt . . . .
Apollen hält ein froh Verweilen
Dort nun mit seliger Musen Chor.
Selbst Jupitern und seinen Donnerkeilen
Hob’ ich den Sessel hoch empor.
7570Jetzt so, mit ungeheurem Streben,
Drang aus dem Abgrund ich herauf
Und fordere laut, zu neuem Leben,
Mir fröhliche Bewohner auf.
Sphinxe
Uralt müßte man gestehen
7575Sey das hier Emporgebürgte,
Hätten wir nicht selbst gesehen
Wie sich’s aus dem Boden würgte.
Bebuschter Wald verbreitet sich hinan,
Noch drängt sich Fels auf Fels bewegt heran;
7580Ein Sphinx wird sich daran nicht kehren:
Wir lassen uns im heiligen Sitz nicht stören.
Greife
Gold in Blättchen, Gold in Flittern
Durch die Ritze seh’ ich zittern;7583 Ritze ] 2 HRitzen C1 41 C3 41 Q emend Erich Schmidt  (VII)
Laßt euch solchen Schatz nicht rauben;
7585Imsen auf! es auszuklauben.
Chor der Ameisen
Wie ihn die Riesigen
Empor geschoben,
Ihr Zappelfüßigen
Geschwind nach oben!
7590Behendest aus und ein!
In solchen Ritzen
Ist jedes Bröselein
Werth zu besitzen.
Das Allermindeste
7595Müßt ihr entdecken,
Auf das geschwindeste
In allen Ecken.
Allemsig müsst ihr seyn,
Ihr Wimmelschaaren;
7600Nur mit dem Gold herein!
Den Berg laßt fahren.
Greife
Herein! Herein! Nur Gold zu Hauf,
Wir legen unsre Klauen drauf;
Sind Riegel von der besten Art,
7605Der größte Schatz ist wohl verwahrt.
Pygmäen
Haben wirklich Platz genommen,
Wissen nicht wie es geschah;
Fraget nicht woher wir kommen:
Denn wir sind nun einmal da!
7610Zu des Lebens lustigem Sitze
Eignet sich ein jedes Land;
Zeigt sich eine Felsenritze,
Ist auch schon der Zwerg zur Hand.
Zwerg und Zwergin rasch zum Fleiße,
7615Musterhaft ein jedes Paar;
Weiß nicht ob es gleicher Weise
Schon im Paradiese war.
Doch wir findens hier zum besten,
Segnen dankbar unsern Stern;
7620Denn, im Osten wie im Westen,
Zeugt die Mutter Erde gern.
Dacktyle
Hat sie in einer Nacht
Die Kleinen hervorgebracht;
Sie wird die Kleinsten erzeugen,
7625Finden auch ihresgleichen.
Pygmäen-Älteste
Eilet bequemen
Sitz einzunehmen!
Eilig zum Werke;
Schnelle für Stärke!
7630Noch ist es Friede;
Baut euch die Schmiede,
Harnisch und Waffen
Dem Heer zu schaffen.
Ihr Imsen alle,
7635Rührig im Schwalle,
Schafft uns Metalle!
Und ihr Dacktyle,
Kleinste, so viele,
Euch sey befohlen
7640Hölzer zu holen!
Schichtet zusammen
Heimliche Flammen,
Schaffet uns Kohlen!
Generalissimus
Mit Pfeil und Bogen
7645Frisch ausgezogen!
An jenem Weiher
Schießt mir die Reiher,
Unzählig nistende,
Hochmüthig brüstende
7650Auf einen Ruck!
Alle wie Einen;
Daß wir erscheinen
Mit Helm und Schmuck.
Imsen und Dacktyle
Wer wird uns retten!
7655Wir schaffen’s Eisen,
Sie schmieden Ketten.
Uns loszureißen
Ist noch nicht zeitig,
Drum seyd geschmeidig.
Die Kraniche des Ibykus
7660Mordgeschrey und Sterbeklagen,
Ängstlich Flügelflatterschlagen,
Welch ein Ächzen, welch Gestöhn
Dringt herauf zu unsern Höhn!
Alle sind sie schon ertödtet,
7665See von ihrem Blut geröthet;
Mißgestaltete Begierde
Raubt des Reihers edle Zierde.
Weht sie doch schon auf dem Helme
Dieser Fettbauch-Krummbein-Schelme.
7670Ihr Genossen unsres Heeres,
Reihenwanderer des Meeres,
Euch berufen wir zur Rache
In so nahverwandter Sache;
Keiner spare Kraft und Blut,
7675Ewige Feindschaft dieser Brut!
Zerstreuen sich krächzend in den Lüften
Mephistopheles
in der Ebne
Die nordischen Hexen wußt’ ich wohl zu meistern,
Mir wirds nicht just mit diesen fremden Geistern.
Der Blocksberg bleibt ein gar bequem Local,
Wo man auch sey, man findet sich zumal.
7680Frau Ilse wacht für uns auf ihrem Stein,
Auf seiner Höh wird Heinrich munter seyn,
Die Schnarcher schnauzen zwar das Elend an,
Doch alles ist für tausend Jahr gethan.
Wer weiß denn hier nur, wo er geht und steht,
7685Ob unter ihm sich nicht der Boden bläht? . .
Ich wandle lustig durch ein glattes Thal
Und hinter mir erhebt sich auf einmal
Ein Berg, zwar kaum ein Berg zu nennen,
Von meinen Sphinxen mich jedoch zu trennen
7690Schon hoch genug – Hier zuckt noch manches Feuer
Das Thal hinab, und flammt ums Abenteuer . . .
Noch tanzt und schwebt mir lockend, weichend vor,
Spitzbübisch gaukelnd, der galante Chor.
Nur sachte drauf! Allzu gewohnt ans Naschen,
7695Wo es auch sey man sucht was zu erhaschen.
Lamien
Mephistopheles nach sich ziehend
Geschwind, geschwinder!
Und immer weiter!
Dann wieder zaudernd,
Geschwätzig plaudernd.
7700Es ist so heiter
Den alten Sünder
Uns nach zu ziehen,
Zu schwerer Buße.
Mit starrem Fuße
7705Kommt er geholpert
Einher gestolpert;
Er schleppt das Bein,
Wie wir ihn fliehen,
Uns hinterdrein.
Mephistopheles
stillstehend
7710Verflucht Geschick! Betrogne Mansen!
Von Adam her verführte Hansen!
Alt wird man wohl, wer aber klug?
Warst du nicht schon vernarrt genug!
Man weiß das Volk taugt aus dem Grunde nichts,
7715Geschnürten Leibs, geschminkten Angesichts.
Nichts haben sie gesundes zu erwiedern,
Wo man sie anfaßt, morsch in allen Gliedern.
Man weiß, man sieht’s, man kann es greifen,
Und dennoch tanzt man wenn die Luder pfeifen!
Lamien
inne haltend
7720Halt! er besinnt sich, zaudert, steht;
Entgegnet ihm daß er euch nicht entgeht!
Mephistopheles
fortschreitend
Nur zu! und laß dich ins Gewebe
Der Zweifeley nicht thörig ein;
Denn wenn es keine Hexen gäbe,
7725Wer Teufel möchte Teufel seyn!
Lamien
anmuthigst
Kreisen wir um diesen Helden;
Liebe wird in seinem Herzen
Sich gewiß für Eine melden.
Mephistopheles
Zwar mit ungewissem Schimmer7729 mit ] 2 II H.74 2 Hbei C1 41 C3 41 Q emend Erich Schmidt  (VII)7729 ungewissem ] ungewissen 2 II H.74 2 H   (I a, II b)
7730Scheint ihr hübsche Frauenzimmer,
Und so möcht’ ich euch nicht schelten.
Empuse
eindringend
Auch nicht mich! als eine solche
Laßt mich ein in eure Folge.
Lamien
Die ist in unserm Kreis zuviel,
7735Verdirbt doch immer unser Spiel.
Empuse
zu Mephistopheles
Begrüßt von Mühmichen Empuse,
Der Trauten mit dem Eselsfuße;
Du hast nur einen Pferdefuß
Und doch, Herr Vetter, schönsten Gruß!
Mephistopheles
7740Hier dacht’ ich lauter Unbekannte,
Und finde leider Nahverwandte;
Es ist ein altes Buch zu blättern:
Vom Harz bis Hellas imer Vettern!
Empuse
Entschieden weiß ich gleich zu handeln,
7745In vieles könnt’ ich mich verwandeln;
Doch euch zu Ehren hab’ ich jetzt
Das Eselsköpfchen aufgesetzt.
Mephistopheles
Ich merk’ es hat bey diesen Leuten
Verwandtschaft Großes zu bedeuten;
7750Doch mag sich was auch will eräugnen,
Den Eselskopf möcht’ ich verläugnen.
Lamien
Laß diese Garstige, sie verscheucht,
Was irgend schön und lieblich däucht;
Was irgend schön und lieblich wär,
7755Sie kommt heran, es ist nicht mehr!
Mephistopheles
Auch diese Mühmchen, zart und schmächtig,
Sie sind mir allesamt verdächtig;
Und hinter solcher Wänglein Rosen
Fürcht’ ich doch auch Metamorphosen.
Lamien
7760Versuch’ es doch! sind unsrer Viele.
Greif zu! Und hast du Glück im Spiele,
Erhasche dir das beste Loos.
Was soll das lüsterne Geleyer?
Du bist ein miserabler Freyer,
7765Stolzirst einher und thust so groß! –
Nun mischt er sich in unsre Schaaren;
Laßt nach und nach die Masken fahren,
Und gebt ihm euer Wesen blos.
Mephistopheles
Die schönste hab’ ich mir erlesen . . . .
sie umfassend
7770O weh mir! welch ein dürrer Besen!
eine andere ergreifend
Und diese? . . . . Schmähliches Gesicht!
Lamien
Verdienst du’s besser? dünk’ es nicht.
Mephistopheles
Die Kleine möcht’ ich mir verpfänden . . . .
Lacerte schlüpft mir aus den Händen!
7775Und schlangenhaft der glatte Zopf.
Dagegen faß’ ich mir die Lange . . . .7776 Dagegen ] Dagegen 2 II H.74 Dagegegen 2 H   (I a)
Da pack’ ich eine Thyrsusstange!
Den Pinienapfel als den Kopf.
Wo will’s hinaus? . . . . Noch eine Dicke,
7780An der ich mich vielleicht erquicke;
Zum letztenmal gewagt! Es sey!
Recht quammig, quappig, das bezahlen
Mit hohem Preis Orientalen . . . .
Doch ach! der Bovist platzt entzwey!
Lamien
7785Fahrt auseinander, schwankt und schwebet
Blitzartig, schwarzen Flugs umgebet
Den eingedrungenen Hexensohn!
Unsichre schauderhafte Kreise!
Schweigsamen Fittigs, Fledermäuse!
7790Zu wohlfeil kommt er doch davon.
Mephistopheles
sich schüttlend
Viel klüger, scheint es, bin ich nicht geworden;
Absurd ist’s hier, absurd im Norden,
Gespenster hier wie dort vertrackt,
Volk und Poeten abgeschmackt.
7795Ist eben hier eine Mummenschanz
Wie überall ein Sinnentanz.
Ich griff nach holden Maskenzügen
Und faßte Wesen daß mich’s schauerte . . . .
Ich möchte gerne mich betrügen,
7800Wenn es nur länger dauerte.
sich zwischen dem Gestein verirrend
Wo bin ich denn? Wo will’s hinaus?
Das war ein Pfad, nun ist’s ein Graus.
Ich kam daher auf glatten Wegen,
Und jetzt steht mir Geröll entgegen.
7805Vergebens klettr’ ich auf und nieder,
Wo find ich meine Sphinxe wieder?
So toll hätt ich mirs nicht gedacht
Ein solch Gebirg in Einer Nacht.
Das heiß ich frischen Hexenritt!7809–7810 Hexenritt! bis mit. ] 2 HHexenritt bis mit auf eingeklebtem Zettel 2 H   (VII)
7810Die bringen ihren Blocksberg mit.
Oreas
vom Naturfels
Herauf hier! Mein Gebirg ist alt,
Steht in ursprünglicher Gestalt.
Verehre schroffe Felsensteige,
Des Pindus letztgedehnte Zweige.
7815Schon stand ich unerschüttert so,
Als über mich Pompejus floh.
Daneben, das Gebild des Wahns,
Verschwindet schon beym Krähn des Hahns.
Dergleichen Mährchen seh’ ich oft entstehn
7820Und plötzlich wieder untergehn.
Mephistopheles
Sey Ehre dir, ehrwürdiges Haupt!
Von hoher Eichenkraft umlaubt;
Der allerklarste Mondenschein
Dringt nicht zur Finsterniß herein. –
7825Doch neben am Gebüsche zieht
Ein Licht das gar bescheiden glüht.
Wie sich das alles fügen muß!
Fürwahr! es ist Homunkulus.
Woher des Wegs, du Kleingeselle?
Homunkulus
7830Ich schwebe so von Stell’ zu Stelle
Und möchte gern im besten Sinn entstehn,
Voll Ungeduld mein Glas entzwey zu schlagen;
Allein was ich bisher gesehn
Hinein da möcht’ ich mich nicht wagen.
7835Nur, um dirs im Vertraun zu sagen:
Zwey Philosophen bin ich auf der Spur,
Ich horchte zu, es hieß: Natur! Natur!
Von diesen will ich mich nicht trennen,
Sie müssen doch das irdische Wesen kennen;
7840Und ich erfahre wohl am Ende
Wohin ich mich am allerklügsten wende.
Mephistopheles
Das thu’ auf deine eigne Hand.
Denn, wo Gespenster Platz genommen,
Ist auch der Philosoph willkommen.
7845Damit man seiner Kunst und Gunst sich freue,
Erschafft er gleich ein Dutzend neue.
Wenn du nicht irrst, kommst du nicht zu Verstand!
Willst du entstehn, entsteh’ auf eigne Hand!
Homunkulus
Ein guter Rath ist auch nicht zu verschmähn.
Mephistopheles
7850So fahre hin! Wir wollen’s weiter sehn.
trennen sich
Anaxagoras
zu Thales
Dein starrer Sinn will sich nicht beugen,
Bedarf es weit’res dich zu überzeugen?
Thales
Die Welle beugt sich jedem Winde gern,
Doch hält sie sich vom schroffen Felsen fern.
Anaxagoras
7855Durch Feuerdunst ist dieser Fels zu Handen.
Thales
Im Feuchten ist Lebendiges erstanden.
Homunkulus
zwischen beiden
Laßt mich an eurer Seite gehn,
Mir selbst gelüstet’s zu entstehn!
Anaxagoras
Hast du, o Thales, je, in Einer Nacht,
7860Solch einen Berg aus Schlamm hervorgebracht?
Thales
Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen
Auf Tag und Nacht und Stunden angewiesen;
Sie bildet regelnd jegliche Gestalt,
Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.
Anaxagoras
7865Hier aber war’s! Plutonisch grimmig Feuer,
Äolischer Dünste Knallkraft ungeheuer,
Durchbrach des flachen Bodens alte Kruste
Daß neu ein Berg sogleich entstehen mußte.
Thales
Was wird dadurch nun weiter fortgesetzt?
7870Er ist auch da, und das ist gut zuletzt.
Mit solchem Streit verliert man Zeit und Weile
Und führt doch nur geduldig Volk am Seile.
Anaxagoras
Schnell quillt der Berg von Myrmidonen,
Die Felsenspalten zu bewohnen,
7875Pygmäen, Imsen, Däumerlinge,
Und andre thätig kleine Dinge.
zum Homunkulusvor 7877 Homunkulus ] Homunkulus 2 II H.74 Homunnkulus 2 H   (I a)
Nie hast du Großem nachgestrebt,
Einsiedlerisch-beschränkt gelebt;
Kannst du zur Herrschaft dich gewöhnen,
7880So laß ich dich als König krönen.
Homunkulus
Was sagt mein Thales? –
Thales
Will’s nicht rathen;
Mit Kleinen thut man kleine Thaten,
Mit Großen wird der Kleine groß.
Sieh hin! die schwarze Kranich-Wolke!
7885Sie droht dem aufgeregten Volke
Und würde so dem König drohn.
Mit scharfen Schnäbeln, krallen Beinen,
Sie stechen nieder auf die Kleinen;
Verhängniß wetterleuchtet schon.
7890Ein Frevel tödtete die Reiher,
Umstellend ruhigen Friedensweiher.
Doch jener Mordgeschosse Regen,
Schafft grausam-blut’gen Rache-Segen,
Erregt der Nahverwandten Wuth,
7895Nach der Pygmäen frevlem Blut.
Was nützt nun Schild und Helm und Speer?
Was hilft der Reiherstrahl den Zwergen?
Wie sich Dacktyl und Imse bergen,
Schon wankt, es flieht, es stürzt das Heer.
Anaxagoras
nach einer Pause feyerlich
7900Konnt’ ich bisher die Unterirdischen loben,
So wend’ ich mich in diesem Fall nach oben . . .
Du! droben ewig unveraltete,
Dreynamig-Dreygestaltete,
Dich ruf’ ich an bey meines Volkes Weh,
7905Diana, Luna, Hekate!
Du Brust-erweiternde, im Tiefsten-sinnige,
Du ruhig-scheinende, gewaltsam-innige,
Eröffne deiner Schatten grausen Schlund,
Die alte Macht sey ohne Zauber kund!
Pause
7910Bin ich zu schnell erhört!
Hat mein Flehn
Nach jenen Höhn
Die Ordnung der Natur gestört?
Und größer, immer größer nahet schon
7915Der Göttin rundumschriebner Thron,
Dem Auge furchtbar, ungeheuer.
Ins Düstre röthet sich sein Feuer . . .
Nicht näher! drohend-mächtige Runde,
Du richtest uns und Land und Meer zu Grunde!
7920So wär’ es wahr daß dich Thessalische Frauen,
In frevlend magischem Vertrauen,
Von deinem Pfad herabgesungen?
Verderblichstes dir abgerungen? . . .
Das lichte Schild hat sich umdunkelt,
7925Auf einmal reißt’s und blitzt und funkelt,
Welch ein Geprassel! Welch ein Zischen!
Ein Donnern, Windgethüm dazwischen! –
Demüthig zu des Thrones Stufen! –
Verzeiht! Ich hab’ es hergerufen.
Wirft sich aufs Angesicht
Thales
7930Was dieser Mann nicht alles hört’ und sah!
Ich weiß nicht recht wie uns geschah;
Auch hab’ ich’s nicht mit ihm empfunden.
Gestehen wir, es sind verrückte Stunden,
Und Luna wiegt sich ganz bequem
7935An ihrem Platz so wie vordem.
Homunkulus
Schaut hin nach der Pygmäen Sitz,
Der Berg war rund, jetzt ist er spitz.
Ich spürt’ ein ungeheures Prallen,
Der Fels war aus dem Mond gefallen,
7940Gleich hat er, ohne nachzufragen,
So Freund als Feind gequetscht, erschlagen.
Doch muß ich solche Künste loben,
Die schöpferisch, in einer Nacht,
Zugleich von unten und von oben,
7945Dies Berggebäu zu Stand gebracht.
Thales
Sey ruhig! Es war nur gedacht.
Sie fahre hin die garstige Brut!
Daß du nicht König warst ist gut.
Nun fort zum heitern Meeresfeste,
7950Dort hofft und ehrt man Wundergäste.
entfernen sich
Mephistopheles
An der Gegenseite kletternd
Da muß ich mich durch steile Felsentreppen,
Durch alter Eichen starre Wurzeln schleppen!
Auf meinem Harz der harzige Dunst
Hat was vom Pech und das hat meine Gunst;
7955Zunächst der Schwefel . . . . Hier, bey diesen Griechen
Ist von dergleichen kaum die Spur zu riechen;
Neugierig aber wär’ ich, nachzuspüren
Womit sie Höllenqual und Flamme schüren.
Dryas
In deinem Lande sey einheimisch klug,
7960Im fremden bist du nicht gewandt genug.
Du solltest nicht den Sinn zur Heimath kehren,
Der heiligen Eichen Würde hier verehren.
Mephistopheles
Man denkt an das was man verließ,
Was man gewohnt war bleibt ein Paradies.
7965Doch sagt: was in der Höhle dort,
Bey schwachem Licht, sich dreyfach hingekauert?
Dryas
Die Phorkyaden! Wage dich zum Ort,
Und sprich sie an, wenn dich nicht schauert.
Mephistopheles
Warum denn nicht! – Ich sehe was, und staune.
7970So stolz ich bin, muß ich mir selbst gestehn:
Dergleichen hab’ ich nie gesehn,
Die sind ja schlimmer als Alraune . . . .
Wird man die urverworfnen Sünden
Im mindesten noch häßlich finden,
7975Wenn man dies Dreygethüm erblickt?
Wir litten sie nicht auf den Schwellen
Der grauenvollsten unsrer Höllen.
Hier wurzelt’s in der Schönheit Land,
Das wird mit Ruhm antik genannt . . . .
7980Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren,
Sie zwitschern pfeifend, Fledermaus-Vampyren.
Phorkyas vor 7982 Phorkyas ] Phork. 2 H   (VII)
Gebt mir das Auge, Schwestern, daß es frage,
Wer sich so nah an unsre Tempel wage.
Mephistopheles
Verehrteste! Erlaubt mir euch zu nahen
7985Und euren Seegen dreyfach zu empfahen.
Ich trete vor, zwar noch als Unbekannter
Doch, irr’ ich nicht, weitläufiger Verwandter.
Altwürdige Götter hab’ ich schon erblickt,
Vor Ops und Rhea tiefstens mich gebückt,
7990Die Parzen selbst, des Chaos, Eure Schwestern,
Ich sah sie gestern – oder ehegestern;
Doch eures Gleichen hab’ ich nie erblickt,
Ich schweige nun und fühle mich entzückt.
Phorkyaden
Er scheint Verstand zu haben dieser Geist.
Mephistopheles
7995Nur wundert’s mich daß euch kein Dichter preist.
Und sagt! wie kam’s, wie konnte das geschehn?
Im Bilde hab’ ich nie euch Würdigste gesehn;
Versuch’s der Meißel doch euch zu erreichen,
Nicht Juno, Pallas, Venus und dergleichen.
Phorkyaden
8000Versenkt in Einsamkeit und stillste Nacht
Hat unser Drey noch nie daran gedacht!
Mephistopheles
Wie sollt’ es auch? da ihr der Welt entrückt,
Hier niemand seht und niemand euch erblickt.
Da müßtet ihr an solchen Orten wohnen
8005Wo Pracht und Kunst auf gleichem Sitze thronen,
Wo jeden Tag, behend, im Doppelschritt,
Ein Marmorblock als Held ins Leben tritt.
Wo –
Phorkyaden
Schweige still und gieb uns kein Gelüsten!
Was hülf’ es uns und wenn wir’s besser wüßten?
8010In Nacht geboren, Nächtlichem verwandt,
Beynah uns selbst, ganz allen unbekannt.
Mephistopheles
In solchem Fall hat es nicht viel zu sagen,
Man kann sich selbst auch andern übertragen.
Euch Dreyen g’nügt Ein Auge, g’nügt Ein Zahn,
8015Da ging’ es wohl auch mythologisch an
In zwey die Wesenheit der drey zu fassen,
Der dritten Bildniß mir zu überlassen,
Auf kurze Zeit.
Eine
Wie dünkt’s euch ging’ es an?
Die Andern
Versuchen wir’s! – doch ohne Aug’ und Zahn.
Mephistopheles
8020Nun habt ihr grad das Beste weggenommen;
Wie würde da das strengste Bild vollkommen?
Eine
Drück du ein Auge zu, ’s ist leicht geschehn,
Laß alsofort den Einen Raffzahn sehn,
Und, im Profil, wirst du sogleich erreichen
8025Geschwisterlich vollkommen uns zu gleichen.
Mephistopheles
Viel Ehr’! Es sey!
Phorkyaden
Es sey!
Mephistopheles
als Phorkyas im Profil
Da steh’ ich schon,
Des Chaos vielgeliebter Sohn!
Phorkyaden
Des Chaos Töchter sind wir unbestritten.
Mephistopheles
Man schilt mich nun, o Schmach! Hermaphroditen.
Phorkyaden
8030Im neuen Drey der Schwestern welche Schöne!
Wir haben zwey der Augen, zwey der Zähne.
Mephistopheles
Vor aller Augen muß ich mich verstecken,
8033Im Höllenpfuhl die Teufel zu erschrecken.
ab
Felsbuchten des Ägäischen Meers
Mond im Zenith verharrend
Sirenen
auf den Klippen umher gelagert, flötend und singend
8034Haben sonst bey nächtigem Grauen
8035Dich thessalische Zauberfrauen
Frevelhaft herabgezogen,
Blicke ruhig von dem Bogen
Deiner Nacht auf Zitterwogen
Mildeblitzend Glanzgewimmel,
8040Und erleuchte das Getümmel
Das sich aus den Wogen hebt.
Dir zu jedem Dienst erbötig,
Schöne Luna, sey uns gnädig!
Nereiden und Tritonen
als Meerwunder
Tönet laut in schärfern Tönen,
8045Die das breite Meer durchdröhnen,
Volk der Tiefe ruft fortan!
Vor des Sturmes grausen Schlünden
Wichen wir zu stillsten Gründen,
Holder Sang zieht uns heran.
8050Seht! Wie wir im Hochentzücken
Uns mit goldenen Ketten schmücken,
Auch zu Kron’ und Edelsteinen
Spang- und Gürtelschmuck vereinen.
Alles das ist eure Frucht.
8055Schätze, scheiternd hier verschlungen,
Habt ihr uns herangesungen,
Ihr Dämonen unsrer Bucht.
Sirenen
Wissen’s wohl, in Meeresfrische
Glatt behagen sich die Fische,
8060Schwanken Lebens ohne Leid;
Doch! Ihr festlich regen Schaaren,
Heute möchten wir erfahren
Daß ihr mehr als Fische seyd.
Nereiden und Tritonen
Ehe wir hieher gekommen
8065Haben wir’s zu Sinn genommen,
Schwestern, Brüder, jetzt geschwind!
Heut bedarf’s der kleinsten Reise,
Zum vollgültigsten Beweise:
Daß wir mehr als Fische sind.
entfernen sich
Sirenen
8070 Fort sind sie im Nu!
Nach Samothrace grade zu,
Verschwunden mit günstigem Wind.
Was denken sie zu vollführen
Im Reiche der hohen Kabiren?
8075Sind Götter! Wundersam eigen,
Die sich immerfort selbst erzeugen,
Und niemals wissen was sie sind.
Bleibe auf deinen Höhn,
Holde Luna, gnädig stehn;
8080Daß es nächtig verbleibe,
Uns der Tag nicht vertreibe.
Thales
am Ufer zu Homunkulus
Ich führte dich zum alten Nereus gern;
Zwar sind wir nicht von seiner Höhle fern,
Doch hat er einen harten Kopf,
8085Der widerwärtige Sauertopf.
Das ganze menschliche Geschlecht
Macht’s ihm, dem Griesgram, nimmer recht.
Doch ist die Zukunft ihm entdeckt,
Dafür hat jedermann Respect,
8090Und ehret ihn auf seinem Posten;
Auch hat er manchem wohlgethan.
Homunkulus
Probiren wir’s und klopfen an!
Nicht gleich wird’s Glas und Flamme kosten.
Nereus
Sind’s Menschenstimmen die mein Ohr vernimmt?
8095Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt!
Gebilde, strebsam Götter zu erreichen,
Und doch verdammt sich immer selbst zu gleichen.
Seit alten Jahren konnt’ ich göttlich ruhn,
Doch trieb mich’s an den Besten wohlzuthun;
8100Und schaut’ ich dann zuletzt vollbrachte Thaten,
So war es ganz als hätt’ ich nicht gerathen.
Thales
Und doch, o Greis des Meers, vertraut man dir,
Du bist der Weise, treib’ uns nicht von hier!
Schau diese Flamme, menschenähnlich zwar,
8105Sie deinem Rath ergiebt sich ganz und gar.
Nereus
Was Rath! Hat Rath bey Menschen je gegolten?
Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr.
So oft auch That sich grimmig selbst gescholten,
Bleibt doch das Volk selbstwillig wie zuvor.
8110Wie hab’ ich Paris väterlich gewarnt,
Eh’ sein Gelüst ein fremdes Weib umgarnt.
Am griechischen Ufer stand er kühnlich da,
Ihm kündet ich was ich im Geiste sah:
Die Lüfte qualmend, überströmend Roth,
8115Gebälke glühend, unten Mord und Tod:
Troja’s Gerichtstag, rhythmisch festgebannt,
Jahrtausenden so schrecklich als gekannt.
Des Alten Wort dem Frechen schien’s ein Spiel,
Er folgte seiner Lust und Ilion fiel –
8120Ein Riesenleichnam, starr nach langer Quaal,
Des Pindus Adlern gar willkommnes Mahl.
Ulyssen auch! sagt’ ich ihm nicht voraus
Der Circe Listen, des Cyclopen Graus?
Das Zaudern sein, der Seinen leichten Sinn,
8125Und was nicht alles! bracht ihm das Gewinn?
Bis vielgeschaukelt ihn, doch spät genug,
Der Woge Gunst an gastlich Ufer trug.
Thales
Dem weisen Mann giebt solch Betragen Quaal,
Der gute doch versucht es noch einmal.
8130Ein Quentchen Danks wird, hoch ihn zu vergnügen,
Die Centner Undanks völlig überwiegen.
Denn nichts Geringes haben wir zu flehn:
Der Knabe da wünscht weislich zu entstehn.
Nereus
Verderbt mir nicht den seltensten Humor!
8135Ganz andres steht mir heute noch bevor.
Die Töchter hab’ ich alle herbeschieden,
Die Grazien des Meeres, die Doriden.
Nicht der Olymp, nicht euer Boden trägt
Ein schön Gebild das sich so zierlich regt.
8140Sie werfen sich, anmuthigster Gebärde,
Vom Wasserdrachen auf Neptunus Pferde,
Dem Element aufs zarteste vereint,
Daß selbst der Schaum sie noch zu heben scheint.
Im Farbenspiel von Venus Muschelwagen
8145Kommt Galatee, die schönste nun, getragen,
Die, seit sich Kypris von uns abgekehrt,
In Paphos wird als Göttin selbst verehrt.
Und so besitzt die Holde, lange schon,
Als Erbin, Tempelstadt und Wagenthron.
8150Hinweg! Es ziemt, in Vaterfreudenstunde,
Nicht Haß dem Herzen, Scheltwort nicht dem Munde.
Hinweg zu Proteus! Fragt den Wundermann:
Wie man entstehn und sich verwandlen kann.
entfernt sich gegen das Meer
Thales
Wir haben nichts durch diesen Schritt gewonnen,
8155Trifft man auch Proteus, gleich ist er zerronnen;
Und steht er euch, so sagt er nur zuletzt
Was Staunen macht und in Verwirrung setzt.
Du bist einmal bedürftig solchen Raths,
Versuchen wirs und wandlen unsres Pfads!
entfernen sich
Sirenen
oben auf den Felsen
8160Was sehen wir von Weiten
Das Wellenreich durchgleiten?
Als wie nach Windes Regel
Anzögen weiße Segel,
So hell sind sie zu schauen,
8165Verklärte Meeresfrauen . . .
Laßt uns herunterklimmen,
Vernehmt ihr doch die Stimmen.
Nereiden und Tritonen
Was wir auf Händen tragen
Soll allen euch behagen.
8170Chelonen’s Riesen-Schilde
Entglänzt ein streng Gebilde,
Sind Götter die wir bringen;
Müßt hohe Lieder singen.
Sirenen
Klein von Gestalt
8175Groß von Gewalt,
Der Scheiternden Retter,
Uralt verehrte Götter.
Nereiden und Tritonen
Wir bringen die Kabiren,
Ein friedlich Fest zu führen;
8180Denn wo sie heilig walten,
Neptun wird freundlich schalten.
Sirenen
Wir stehen euch nach,
Wenn ein Schiff zerbrach,
Unwiderstehbar an Kraft
8185Schützt ihr die Mannschaft.
Nereiden und Tritonen
Drey haben wir mitgenommen,
Der Vierte wollte nicht kommen,
Er sagte, er sey der Rechte
Der für sie alle dächte.
Sirenen
8190Ein Gott den andern Gott
Macht wohl zu Spott.
Ehrt ihr alle Gnaden,
Fürchtet jeden Schaden.
Nereiden und Tritonen
Sind eigentlich ihrer Sieben.
Sirenen
8195Wo sind die drey geblieben?
Nereiden und Tritonen
Wir wüßtens nicht zu sagen,
Sind im Olymp zu erfragen;
Dort wes’t auch wohl der Achte,
An den noch niemand dachte.
8200In Gnaden uns gewärtig,
Doch alle noch nicht fertig.
Diese Unvergleichlichen
Wollen immer weiter,
Sehnsuchtsvolle Hungerleider
8205Nach dem Unerreichlichen.
Sirenen
Wir sind gewohnt,
Wo es auch thront,
In Sonn’ und Mond
Hinzubeten, es lohnt.
Nereiden und Tritonen
8210Wie unser Ruhm zum höchsten prangt
Dieses Fest anzuführen!
Sirenen
Die Helden des Alterthums
Ermangeln des Ruhms,
Wo und wie er auch prangt;
8215Wenn sie das goldne Vließ erlangt,
Ihr die Kabiren.
wiederholt als Allgesang
Wenn sie das goldene Vließ erlangt,
Wir! ihr! die Kabiren.
Nereiden und Tritonen ziehen vorüber
Homunkulus
Die Ungestalten seh ich an
8220Als irden-schlechte Töpfe,
Nun stoßen sich die Weisen dran
Und brechen harte Köpfe.
Thales
Das ist es ja was man begehrt,
Der Rost macht erst die Münze werth.
Proteus
unbemerkt
8225So etwas freut mich alten Fabler!
Je wunderlicher desto respectabler.
Thales
Wo bist du Proteus?
Proteus
Bauchrednerisch, bald nah, bald fern
Hier! und hier!
Thales
Den alten Scherz verzeih’ ich dir;
Doch, einem Freund nicht eitle Worte!
8230Ich weiß du sprichst vom falschen Orte.
Proteus
als aus der Ferne
Leb wohl!
Thales
leise zu Homunkulus
Er ist ganz nah. Nun leuchte frisch,
Er ist neugierig wie ein Fisch;
Und wo er auch gestaltet stockt,
Durch Flammen wird er hergelockt.
Homunkulus
8235Ergieß’ ich gleich des Lichtes Menge,
Bescheiden doch, daß ich das Glas nicht sprenge.
Proteus
in Gestalt einer Riesen-Schildkröte
Was leuchtet so anmuthig schön?
Thales
den Homunkulus verhüllend
Gut! Wenn du Lust hast kannst dus näher sehn.
Die kleine Mühe laß dich nicht verdrießen,
8240Und zeige dich auf menschlich beiden Füßen.
Mit unsern Gunsten seys, mit unserm Willen!
Wer schauen will was wir verhüllen.
Proteus
edel gestaltet
Weltweise Kniffe sind dir noch bewußt.
Thales
Gestalt zu wechseln bleibt noch deine Lust.
hat den Homunkulus enthüllt
Proteus
erstauntvor 8245 erstaunt ] 2 H(erstaunt ohne schließende Klammer 2 H   (VIII)
8245Ein leuchtend Zwerglein! Niemals noch gesehn!
Thales
Es fragt um Rath, und möchte gern entstehn.
Er ist, wie ich von ihm vernommen,
Gar wundersam nur halb zur Welt gekommen.
Ihm fehlt es nicht an geistigen Eigenschaften,
8250Doch gar zu sehr am greiflich Tüchtighaften.
Bis jetzt giebt ihm das Glas allein Gewicht,
Doch wär’ er gern zunächst verkörperlicht.
Proteus
Du bist ein wahrer Jungfern-Sohn,
Eh du seyn solltest bist du schon!
Thales
leise
8255Auch scheint es mir von andrer Seite kritisch,
Er ist, mich dünkt, hermaphroditisch.
Proteus
Da muß es desto eher glücken,
So wie er anlangt wird sichs schicken.
Doch gilt es hier nicht viel Besinnen,
8260Im weiten Meere mußt du anbeginnen!
Da fängt man erst im Kleinen an
Und freut sich Kleinste zu verschlingen,
Man wächst so nach und nach heran,
Und bildet sich zu höherem Vollbringen.
Homunkulus
8265Hier weht gar eine weiche Luft,
Es grunelt so und mir behagt der Duft!
Proteus
Das glaub ich, allerliebster Junge!
Und weiter hin wirds viel behäglicher,
Auf dieser schmalen Strandeszunge
8270Der Dunstkreis noch unsäglicher;
Da vorne sehen wir den Zug,
Der eben herschwebt, nah genug.
Kommt mit dahin!
Thales
Ich gehe mit.
Homunkulus
8274Dreyfach merkwürdiger Geisterschritt!
Telchinen von Rhodus auf Hippokampen und Meerdrachen, Neptunens Dreyzack handhabend
Chor
8275Wir haben den Dreyzack Neptunen geschmiedet
Womit er die regesten Wellen begütet.
Entfaltet der Donnrer die Wolken die vollen,
Entgegnet Neptunus dem gräulichen Rollen;
Und wie auch von oben es zackig erblitzt,
8280Wird Woge nach Woge von unten gespritzt;
Und was auch dazwischen in Ängsten gerungen
Wird, lange geschleudert, vom Tiefsten verschlungen;
Weshalb er uns heute den Scepter gereicht,
Nun schweben wir festlich, beruhigt und leicht.
Sirenen
8285Euch dem Helios Geweihten,
Heiteren Tags Gebenedeyten,
Gruß zur Stunde, die bewegt
Lunas Hochverehrung regt!
Telchinen
Alllieblichste Göttin am Bogen da droben
8290Du hörst mit Entzücken den Bruder beloben.
Der seligen Rhodus verleihst du ein Ohr,
Dort steigt ihm ein ewiger Päan hervor.
Beginnt er den Tagslauf und ist es gethan,
Er blickt uns mit feurigem Strahlenblick an.
8295Die Berge, die Städte, die Ufer, die Welle,
Gefallen dem Gotte, sind lieblich und helle.
Kein Nebel umschwebt uns, und schleicht er sich ein,
Ein Strahl und ein Lüftchen, die Insel ist rein! 8298 Lüftchen, die ] 2 II H.74Lüftchen und die 2 H   (II aa)
Da schaut sich der Hohe in hundert Gebilden,
8300Als Jüngling, als Riesen, den großen, den milden.
Wir ersten wir waren’s, die Göttergewalt
Aufstellten in würdiger Menschengestalt.
Proteus
Laß du sie singen, laß sie prahlen!
Der Sonne heiligen Lebestrahlen
8305Sind todte Werke nur ein Spaß.
Das bildet, schmelzend, unverdrossen;
Und haben sie’s in Erz gegossen
Dann denken sie es wäre was.
Was ist’s zuletzt mit diesen Stolzen?
8310Die Götterbilder standen groß, –
Zerstörte sie ein Erdestoß;
Längst sind sie wieder eingeschmolzen.
Das Erdetreiben, wie’s auch sey,
Ist immer doch nur Plackerey;
8315Dem Leben frommt die Welle besser;
Dich trägt ins ewige Gewässer
Proteus-Delphin.
er verwandelt sich.
Schon ists gethan!
Da soll es dir zum schönsten glücken,
Ich nehme dich auf meinen Rücken
8320Vermähle dich dem Ocean.
Thales
Gieb nach dem löblichen Verlangen
Von vorn die Schöpfung anzufangen,
Zu raschem Wirken sey bereit!
Da regst du dich nach ewigen Normen,
8325Durch tausend abertausend Formen,
Und bis zum Menschen hast du Zeit.
Homunkulus besteigt den Proteus-Delphin
Proteus
Komm geistig mit in feuchte Weite,
Da lebst du gleich in Läng’ und Breite,
Beliebig regest du dich hier;
8330Nur strebe nicht nach höheren Orden,
Bist du einmal ein Mensch geworden, 8331 Bist du einmal ] 2 HDenn bist du erst Ec 2 H   (VI)
Dann ist es völlig aus mit dir.
Thales
Nachdem es kommt; s’ist auch wohl fein
Ein wackrer Mann zu seiner Zeit zu seyn.
Proteus
zu Thales
8335So einer wohl von deinem Schlag!
Das hält noch eine Weile nach;
Denn unter bleichen Geisterschaaren
Seh’ ich dich schon seit vielen hundert Jahren.
Sirenen
auf den Felsen
Welch ein Ring von Wölkchen ründet
8340Um den Mond so reichen Kreis?
Tauben sind es, liebentzündet,
Fittige wie Licht so weiß.
Paphos hat sie hergesendet,
Ihre brünstige Vogelschaar;
8345Unser Fest, es ist vollendet,
Heitre Wonne voll und klar!
Nereus
zu Thales tretend
Nennte wohl ein nächtiger Wanderer
Diesen Mondhof Lufterscheinung;
Doch wir Geister sind ganz anderer
8350Und der einzig richtigen Meynung.
Tauben sind es, die begleiten
Meiner Tochter Muschelfahrt,8352 Muschelfahrt ] 2 II H.69Muschelpfad 2 II H.70 2 H   (II b)
Wunderflugs besondrer Art,
Angelernt vor alten Zeiten.
Thales
8355Auch ich halte das fürs Beste
Was dem wackern Mann gefällt,
Wenn im stillen warmen Neste
Sich ein Heiliges lebend hält.
Psyllen und Marsenvor 8359 Psyllen ] Psellen 2 II H.70 2 H   (I a)
auf Meerstieren, Meerkälbern und Widdern
In Cyperns rauhen Höhle-Grüften,
8360Vom Meergott nicht verschüttet,
Vom Seismos nicht zerrüttet,
Umweht von ewigen Lüften,
Und, wie in den ältesten Tagen,
In still-bewußtem Behagen,
8365Bewahren wir Cypriens Wagen,
Und führen, beym Säuseln der Nächte,
Durch liebliches Wellengeflechte,
Unsichtbar dem neuen Geschlechte,
Die lieblichste Tochter heran.
8370Wir leise Geschäftigen scheuen
Weder Adler noch geflügelten Leuen,
Weder Kreuz noch Mond,
Wie es oben wohnt und trohnt,
Sich wechselnd wägt und regt,8374 wägt und regt ] 2 Hregt 2 II H.71 regt und wagt G 2 II H.69 wägt und trägt (Hörfehler) : wägt und regt G 2 II H.70   (VII)
8375Sich vertreibt und todtschlägt,
Saaten und Städte niederlegt.
Wir, so fortan,
Bringen die lieblichste Herrin heran.
Sirenen
Leicht bewegt, in mäßiger Eile,
8380Um den Wagen, Kreis um Kreis,
Bald verschlungen Zeil’ an Zeile
Schlangenartig reihenweis,
Naht euch rüstige Nereiden,
Derbe Frau’n, gefällig wild,
8385Bringet, zärtliche Doriden,
Galatee der Mutter Bild:
Ernst, den Göttern gleich zu schauen,
Würdiger Unsterblichkeit,
Doch wie holde Menschenfrauen
8390Lockender Anmuthigkeit.
Doriden
im Chor an Nereus vorbeyziehend sämmtlich auf Delphinenvor 8391 an ] 2 II H.70am 2 H   (II aa)
Leih uns Luna Licht und Schatten,
Klarheit diesem Jugendflor;
Denn wir zeigen liebe Gatten
Unserm Vater bittend vor.
zu Nereus
8395Knaben sinds die wir gerettet,
Aus der Brandung grimmem Zahn,
Sie, auf Schilf und Moos gebettet,
Aufgewärmt zum Licht heran,
Die es nun mit heißen Küssen
8400Treulich uns verdanken müssen;
Schau’ die Holden günstig an!
Nereus
Hoch ist der Doppelgewinn zu schätzen:
Barmherzig seyn, und sich zugleich ergötzen.
Doriden
Lobst du Vater unser Walten,
8405Gönnst uns wohl erworbene Lust,8405 wohl erworbene ] 2 Hwohlerworbene vorschl zS 2 H   (VII)
Laß uns fest, unsterblich halten
Sie an ewiger Jugendbrust.
Nereus
Mög’t euch des schönen Fanges freuen,
Den Jüngling bildet euch als Mann;
8410Allein ich könnte nicht verleihen
Was Zeus allein gewähren kann.
Die Welle, die euch wogt und schaukelt,
Läßt auch der Liebe nicht Bestand,
Und hat die Neigung ausgegaukelt
8415So setzt gemächlich sie ans Land.
Doriden
Ihr holde Knaben seyd uns werth,
Doch müssen wir traurig scheiden;
Wir haben ewige Treue begehrt,
Die Götter wollens nicht leiden.
Die Jünglinge
8420Wenn ihr uns nur so ferner labt,
Uns wackre Schiffer-Knaben;
Wir haben’s nie so gut gehabt
Und wollen’s nicht besser haben.
Galatee auf dem Muschelwagen nähert sich
Nereus
Du bist es mein Liebchen!
Galatee
O Vater! das Glück!
8425Delphine verweilet! mich fesselt der Blick.
Nereus
Vorüber schon, sie ziehen vorüber
In kreisenden Schwunges Bewegung;
Was kümmert sie die innre herzliche Regung!
Ach! nähmen sie mich mit hinüber!
8430Doch ein einziger Blick ergötzt
Daß er das ganze Jahr ersetzt.
Thales
Heil! Heil! aufs neue!
Wie ich mich blühend freue,
Vom Schönen, Wahren durchdrungen . . .
8435Alles ist aus dem Wasser entsprungen!!
Alles wird durch das Wasser erhalten!
Ocean gönn’ uns dein ewiges Walten.
Wenn du nicht Wolken sendetest,
Nicht reiche Bäche spendetest,
8440Hin und her nicht Flüsse wendetest,
Die Ströme nicht vollendetest;
Was wären Gebirge, was Ebnen und Welt?
Du bist’s der das frischeste Leben erhält.
Echo
Chorus der sämmtlichen Kreise
Du bists dem das frischeste Leben entquellt.
Nereus
8445Sie kehren schwankend fern zurück,
Bringen nicht mehr Blick zu Blick;
In gedehnten Kettenkreisen
Sich festgemäß zu erweisen,
Windet sich die unzählige Schaar.
8450Aber Galatees Muschelthron8450 Galatees ] 2 HGalatee’ns vorschl Ri verw zSGalateas zS 2 H   (VII)
Seh’ ich schon und aber schon.
Er glänzt wie ein Stern
Durch die Menge;
Geliebtes leuchtet durch’s Gedränge,
8455Auch noch so fern
Schimmert’s hell und klar,
Immer nah und wahr.
Homunkulus
In dieser holden Feuchte
Was ich auch hier beleuchte,
8460Ist alles reizend schön.
Proteus
In dieser Lebensfeuchte
Erglänzt erst deine Leuchte
Mit herrlichem Getön.
Nereus
Welch neues Geheimniß in Mitte der Schaaren
8465Will unseren Augen sich offengebahren?
Was flammt um die Muschel um Galatees Füße?
Bald lodert es mächtig, bald lieblich und süße,8467 und ] 2 II H.73und G 2 II H.72 2 II H.73 bald 2 H   (II aa)
Als wär’ es von Pulsen der Liebe gerührt?
Thales
Homunkulus ist es, von Proteus verführt . . .
8470Es sind die Symptome des herrischen Sehnens,
Mir ahnet das Ächzen beängsteten Dröhnens;
Er wird sich zerschellen am glänzenden Thron;
Jetzt flammt es, nun blitzt es, ergießet sich schon.
Sirenen
Welch feuriges Wunder verklärt uns die Wellen,
8475Die gegen einander sich funkelnd zerschellen?
So leuchtet’s und schwanket und hellet hinan:
Die Körper sie glühen auf nächtlicher Bahn,
Und ringsum ist alles vom Feuer umronnen; 8478 ringsum ] 2 II H.73rings um G 2 II H.69 ringsum 2 II H.73 rings 2 H   (II aa)
So herrsche denn Eros der alles begonnen!
8480Heil dem Meere! Heil den Wogen!
Von dem heiligen Feuer umzogen;
Heil dem Wasser! Heil dem Feuer!
Heil dem seltnen Abenteuer!
All Alle!
Heil den mildgewogenen Lüften!
8485Heil geheimnißreichen Grüften!
Hochgefeyert seyd alhier
8487Element’ ihr alle vier!