Großer Vorhof des Pallasts

Fackeln
Mephistopheles
als Aufseher, voran
11511Herbey herbey! herein herein!
Ihr schlotternden Lemuren,
Aus Bändern, Sehnen und Gebein11513 Bändern, Sehnen ] 2 V H.14a*Ligamenten 2 H   (VII)
Geflickte Halbnaturen.
Lemuren
im Chor
11515Wir treten dir sogleich zur Hand,
Und, wie wir halb vernommen,
Es gilt wohl gar ein weites Land
Das sollen wir bekommen.
Gespitzte Pfähle die sind da,
11520Die Kette lang fürs Messen;
Warum an uns der Ruf geschah
Das haben wir vergessen.
Mephistopheles
Hier gilt kein künstlerisch Bemühn;
Verfahret nur nach eignen Maaßen;
11525Der Längste lege längelang sich hin,
Ihr andern lüftet ringsumher den Rasen;
Wie mans für unsre Väter that,
Vertieft ein längliches Quadrat!
Aus dem Pallast ins enge Haus,
11530So dumm läuft es am Ende doch hinaus.
Lemuren
mit neckischen Gebärden grabend
Wie jung ich war und lebt und liebt,
Mich däucht das war wohl süße,
Wo’s fröhlich klang und lustig ging
Da rührten sich meine Füße.
11535Nun hat das tückische Alter mich
Mit seiner Krücke getroffen;
Ich stolpert’ über Grabes Thür,
Warum stand sie just offen!
Faust
aus dem Pallaste tretend, tastet an den Thürpfosten
Wie das Geklirr der Spaten mich ergötzt!
11540Es ist die Menge, die mir fröhnet,
Die Erde mit sich selbst versöhnet,
Den Wellen ihre Gränze setzt,
Das Meer mit strengem Band umzieht.11543 strengem ] 2 V H.2strengen 2 H   (II a)
Mephistopheles
bey Seite
Du bist doch nur für uns bemüht
11545Mit deinen Dämmen deinen Buhnen;
Denn du bereitest schon Neptunen,
Dem Wasserteufel, großen Schmaus.
In jeder Art seyd ihr verloren,
Die Elemente sind mit uns verschworen,
11550Und auf Vernichtung läufts hinaus.
Faust
Aufseher!
Mephistopheles
Hier!
Faust
Wie es auch möglich sey
Arbeiter schaffe Meng’ auf Menge,
Ermuntere durch Genuß und Strenge,
Bezahle, locke, presse bey!
11555Mit jedem Tage will ich Nachricht haben
Wie sich verlängt der unternommene Graben.
Mephistopheles
halblaut
Man spricht, wie man mir Nachricht gab,
Von keinem Graben, doch vom Grab.
Faust
Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
11560Verpestet alles schon Errungene;
Den faulen Pfuel auch abzuziehn
Das Letzte wär das Höchsterrungene.
Eröffn’ ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch thätig-frey zu wohnen.
11565Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Heerde
Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
11570Da rase draußen Fluth bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt die Lücke zu verschließen.
Ja diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
11575Nur der verdient sich Freyheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Von Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.11578 Von ] 2 HHier Ec 2 H   (VI)
Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,
11580Auf freyem Grund mit freyem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft’ ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in Äonen untergehn. –
11585Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick.
Faust sinkt zurück, die Lemuren fassen ihn auf und legen ihn auf den Boden.
Mephistopheles
Ihn sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück,
So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten;
Den letzten, schlechten, leeren Augenblick
11590Der Arme wünscht ihn fest zu halten.
Der mir so kräftig widerstand,
Die Zeit wird Herr, der Greis hier liegt im Sand.
Die Uhr steht still –
Chor
Steht still! Sie schweigt wie Mitternacht.
Der Zeiger fällt.
Mephistopheles
Er fällt, es ist vollbracht.
Chor
11595Es ist vorbey.
Mephistopheles
11595Vorbey! ein dummes Wort.
Warum vorbey?
Vorbey und reines Nicht, vollkomnes Einerley.
Was soll uns denn das ewge Schaffen,
Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen?
11600Da ists vorbey! Was ist daran zu lesen?
Es ist so gut als wär es nicht gewesen,
Und treibt sich doch im Kreis als wenn es wäre.
Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere.
Grablegung
Lemur Solo
11604Wer hat das Haus so schlecht gebaut,
11605Mit Schaufeln und mit Spaten?
Lemuren Chor
Dir dumpfer Gast im hänfnen Gewand
Ists viel zu gut gerathen.
Lemur Solo
Wer hat den Saal so schlecht versorgt?
Wo blieben Tisch und Stühle?
Lemuren Chor
11610Es war auf kurze Zeit geborgt;
Der Gläubiger sind so viele.
Mephistopheles
Der Körper liegt und will der Geist entfliehn,
Ich zeig ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; –
Doch leider hat man jetzt so viele Mittel
11615Dem Teufel Seelen zu entziehn.
Auf altem Wege stößt man an,
Auf neuem sind wir nicht empfohlen;
Sonst hätt ich es allein gethan,
Jetzt muß ich Helfershelfer holen.
11620Uns gehts in allen Dingen schlecht.
Herkömmliche Gewohnheit, altes Recht,
Man kann auf gar nichts mehr vertrauen.
Sonst mit dem letzten Athem fuhr sie aus,
Ich paßt ihr auf und, wie die schnellste Maus,
11625Schnapps! hielt ich sie in fest verschloßnen Klauen.
Nun zaudert sie und will den düstern Ort,
Des schlechten Leichnams eckles Haus nicht lassen;
Die Elemente die sich hassen,
Die treiben sie am Ende schmählich fort.
11630Und wenn ich Tag und Stunden mich zerplage
Wann? wie? und wo? das ist die leidige Frage,
Der alte Tod verlor die rasche Kraft,
Das Ob? sogar ist lange zweifelhaft;
Oft sah ich lüstern auf die starren Glieder;
11635Es war nur Schein, das rührte das regte sich wieder.11635 wieder. ] 2 V H.2 Der Punkt ist in 2 H nicht zu erkennen; ergänzt nach 2 V H.2.   (VII)
Phantastisch-flügelmännische Beschwörungs-Gebärden
Nur frisch heran! verdoppelt euren Schritt,
Ihr Herrn vom graden, Herrn vom krummen Horne,
Von altem Teufelsschrot und Korne11638 Von ] 2 V H.2Vom 2 H   (II a)
Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit.
11640Zwar hat die Hölle Rachen viele! viele!
Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein;
Doch wird man auch bey diesem letzten Spiele
Ins künftige nicht so bedenklich seyn.
Der gräuliche Höllenrachen thut sich lincks auf.
Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes
11645Entquillt der Feuerstrom in Wuth,
Und in dem Siedequalm des Hintergrundes
Seh ich die Flammenstadt in ewiger Glut.
Die rothe Brandung schlägt hervor bis an die Zähne,
Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an;
11650Doch colossal zerknirscht sie die Hyäne
Und sie erneuen ängstlich heisse Bahn.
In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken,
So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!
Ihr thut sehr wohl die Sünder zu erschrecken
11655Sie haltens doch für Lug und Trug und Traum.
Zu den Dickteufeln vom kurzen, graden Horne
Nun wanstige Schuften mit den Feuerbacken!
Ihr glüht so recht vom Höllenschwefel feist;
Klotzartige, kurze, nie bewegte Nacken
Hier unten lauert ob’s wie Phosphor gleißt:
11660Das ist das Seelchen, Psyche mit den Flügeln,
Die rupft ihr aus so ists ein garstiger Wurm;
Mit meinem Stempel will ich sie besiegeln
Dann fort mit ihr im Feuer-Wirbel-Sturm.
Paßt auf die niedern Regionen,
11665Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht;
Ob’s ihr beliebte da zu wohnen,
So accurat weiß man das nicht.
Im Nabel ist sie gern zu Haus,
Nehmt es in Acht sie wischt euch dort heraus.
Zu den Dürrteufeln vom langen, krummen Horne
11670Ihr Firlefanze, flügelmännische Riesen,
Greift in die Luft, versucht euch ohne Rast;
Die Arme strack, die Klauen scharf gewiesen,
Daß ihr die flatternde, die Flüchtige faßt.
Es ist ihr sicher schlecht im alten Haus
11675Und das Genie es will gleich obenaus.
Glorie von oben, rechts
Himmlische Heerschaar
Folget Gesandte,
Himmelsverwandte,
Gemächlichen Flugs;
Sündern vergeben,
11680Staub zu beleben,
Allen Naturen
Freundliche Spuren
Wirket im Schweben
Des weilenden Zugs.
Mephistopheles
11685Mißtöne hör ich, garstiges Geklimper,
Von oben kommts mit unwillkommnem Tag;
Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümper,
Wie frömmelnder Geschmack sichs lieben mag.
Ihr wißt wie wir, in tiefverruchten Stunden,
11690Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht;
Das Schändlichste was wir erfunden
Ist ihrer Andacht eben recht.
Sie kommen gleisnerisch die Laffen!
So haben sie uns manchen weggeschnappt,
11695Bekriegen uns mit unsern eignen Waffen;
Es sind auch Teufel, doch verkappt.
Hier zu verlieren wär euch ewge Schande;
Ans Grab heran und haltet fest am Rande!
Chor der Engel
Rosen streuendvor 11699 streuend ] streuend 2 V H.2 strauend 2 H   (I a)
Rosen, ihr blendenden,
11700Balsam versendenden!
Flatternde, schwebende,
Heimlich belebende,
Zweiglein beflügelte,
Knospen entsiegelte,
11705Eilet zu blühn.
Frühling entsprieße,
Purpur und Grün;
Tragt Paradiese
Dem Ruhenden hin.
Mephistopheles
zu den Satanen
11710Was duckt und zuckt ihr? ist das Höllenbrauch?
So haltet Stand und laßt sie streuen.
An seinen Platz ein jeder Gauch!
Sie denken wohl mit solchen Blümeleyen
Die heißen Teufel einzuschneyen;
11715Das schmilzt und schrumpft vor eurem Hauch.
Nun pustet Püstriche! – Genug genug!
Vor eurem Broden bleicht der ganze Flug. –
Nicht so gewaltsam! schließet Maul und Nasen.
Fürwahr ihr habt zu stark geblasen;
11720Daß ihr doch nie die rechten Maaße kennt.
Das schrumpft nicht nur, es bräunt sich, dorrt, es brennt!
Schon schwebts heran mit giftig klaren Flammen,
Stemmt euch dagegen, drängt euch fest zusammen!
Die Kraft erlischt dahin ist aller Muth11724 erlischt bis Muth ] 2 Herlischt, bis Muth! Ec 2 H   (VI)
11725Die Teufel wittern fremde Schmeichelglut.
Engel
Blüten die seligen,
Flammen die fröhlichen,
Liebe verbreiten sie,
Wonne bereiten sie,
11730Herz wie es mag.
Worte die wahren,
Äther im klaren,
Ewigen Schaaren
Überal Tag.
Mephistopheles
11735O Fluch! o Schande solchen Tröpfen!
Satane stehen auf den Köpfen,
Die Plumpen schlagen Rad auf Rad
Und stürzen ärschlings in die Hölle.
Gesegn’ euch das verdiente heisse Bad!
11740Ich aber bleib auf meiner Stelle. –
Sich mit den schwebenden Rosen herumschlagend
Irrlichter fort! du! leuchte noch so stark,
Du bleibst gehascht ein eckler Gallert-Quarck.
Was flatterst du? Willst du dich packen! –
Es klemmt wie Pech und Schwefel mir im Nacken.
Engel. Chor
11745Was euch nicht angehört
Müsset ihr meiden,
Was euch das Innre stört
Dürft ihr nicht leiden.
Dringt es gewaltig ein
11750Müssen wir tüchtig seyn.
Liebe nur Liebende
Führet herein.
Mephistopheles
Mir brennt der Kopf, das Herz, die Leber brennt,
Ein überteuflich Element!
11755Weit spitziger als Höllenfeuer. –
Drum jammert ihr so ungeheuer
Unglückliche Verliebte! die, verschmäht,
Verdrehten Halses nach der Liebsten späht.
Auch mir! Was zieht den Kopf auf jene Seite?
11760Bin ich mit ihr doch in geschwornem Streite?11760 in ] 2 V H.2im 2 H   (II a)
Der Anblick war mir sonst so feindlich scharf.
Hat mich ein Fremdes durch und durch gedrungen,
Ich mag sie gerne sehn die allerliebsten Jungen;
Was hält mich ab daß ich nicht fluchen darf? –
11765Und wenn ich mich bethören lasse
Wer heißt denn künftighin der Thor?
Die Wetterbuben die ich hasse
Sie kommen mir doch gar zu lieblich vor. –
Ihr schönen Kinder laßt mich wissen:
11770Seyd ihr nicht auch von Lucifers Geschlecht?
Ihr seyd so hübsch, fürwahr ich möcht euch küssen;
Mir ists als kämt ihr eben recht.11772 kämt ] 2 V H.32komt 2 V H.2 kommt 2 H   (II b)
Es ist mir so behaglich, so natürlich
Als hätt ich euch schon tausendmal gesehn,
11775So heimlich-kätzchenhaft begierlich;
Mit jedem Blick aufs neue schöner schön.
O nähert euch, o gönnt mir Einen Blick!
Engel
Wir kommen schon, warum weichst du zurück?
Wir nähern uns und wenn du kannst so bleib.
die Engel nehmen, umherziehend, den ganzen Raum ein.
Mephistopheles
der ins Proscenium gedrängt wird
11780Ihr scheltet uns verdammte Geister
Und seyd die wahren Hexenmeister;
Denn ihr verführet Mann und Weib. –
Welch ein verfluchtes Abenteuer!
Ist dies das Liebeselement?
11785Der ganze Körper steht in Feuer,
Ich fühle kaum daß es im Nacken brennt. –
Ihr schwanket hin und her, so senkt euch nieder,
Ein bischen weltlicher bewegt die holden Glieder;
Fürwahr der Ernst steht euch recht schön.
11790Doch möcht’ ich euch nur einmal lächeln sehn;
Das wäre mir ein ewiges Entzücken.
Ich meyne so wie wenn Verliebte blicken,
Ein kleiner Zug am Mund so ists gethan.
Dich langer Bursche dich mag ich am liebsten leiden,
11795Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,
So sieh mich doch ein wenig lüstern an!
Auch könntet ihr anständig-nackter gehen,
Das lange Faltenhemd ist übersittlich –
Sie wenden sich – Von hinten anzusehen! –
11800Die Racker sind doch gar zu appetitlich.
Chor der Engel
Wendet zur Klarheit
Euch liebende Flammen!
Die sich verdammen
Heile die Wahrheit;
11805Daß sie vom Bösen
Froh sich erlösen,
Um in dem Allverein
Selig zu seyn.
Mephistopheles
sich faßend
Wie wird mir! – hiobsartig, Beul an Beule
11810Der ganze Kerl, dem’s vor sich selber graut,
Und triumphirt zugleich wenn er sich ganz durchschaut,
Wenn er auf sich und seinen Stamm vertraut;
Gerettet sind die edlen Teufelstheile,
Der Liebespuck er wirft sich auf die Haut;
11815Schon ausgebrannt sind die verruchten Flammen,
Und, wie es sich gehört, fluch ich euch allzusammen.
Chor der Engel
Heilige Gluten!
Wen sie umschweben
Fühlt sich im Leben
11820Selig mit Guten.
Alle vereinigt
Hebt euch und preißt,
Luft ist gereinigt
Athme der Geist.
Sie erheben sich, Faustens Unsterbliches entführend.
Mephistopheles
sich umsehend
11825Doch wie? – wo sind sie hingezogen?
Unmündiges Volk du hast mich überrascht,
Sind mit der Beute himmelwärts entflogen;
Drum haben sie an dieser Gruft genascht!
Mir ist ein großer einziger Schatz entwendet,
11830Die hohe Seele die sich mir verpfändet
Die haben sie mir pfiffig weggepascht.
Bey wem soll ich mich nun beklagen?
Wer schafft mir mein erworbenes Recht?
Du bist getäuscht in deinen alten Tagen,
11835Du hasts verdient, es geht dir grimmig schlecht.
Ich habe schimpflich mißgehandelt,
Der Aufwand, schmählich! ist verthan,11837 Der ] 2 HEin großer Ec 2 H   (VI)
Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt
Den ausgepichten Teufel an.
11840Und hat mit diesem kindisch-tollen Ding
Der Klugerfahrne sich beschäftigt,
So ist fürwahr die Thorheit nicht gering
11843Die seiner sich am Schluß bemächtigt.