Der Schauplatz verwandelt sich durchaus. An eine Reihe von Felsenhöhlen lehnen sich geschloßne Lauben. Schattiger Hain bis an die rings umgebende Felsensteile hinan. Faust und Helena werden nicht gesehen. Der Chor liegt schlafend vertheilt umher.
Phorkyas
9574Wie lange Zeit die Mädchen schlafen weiß ich nicht,
9575Ob sie sich träumen ließen was ich hell und klar
Vor Augen sah, ist ebenfalls mir unbekannt.
Drum weck’ ich sie. Erstaunen soll das junge Volk;
Ihr Bärtigen auch, die ihr da drunten sitzend harrt,
Glaubhafter Wunder Lösung endlich anzuschaun –9579 anzuschaun – ] 2 Hanzuschaun. C.1 4   (II aa)
9580Hervor! hervor! Und schüttelt eure Locken rasch;
Schlaf aus den Augen! Blinzt nicht so, und hört mich an!
Chor
Rede nur, erzähl’ erzähle was sich Wunderlichs begeben,
Hören möchten wir am liebsten was wir gar nicht glauben können,
Denn wir haben lange Weile diese Felsen anzusehn.
Phorkyas
9585Kaum die Augen ausgerieben Kinder langeweilt ihr schon!9585 schon! ] 2 Hschon? C.1 4   (II aa)
So vernehmt: in diesen Höhlen, diesen Grotten, diesen Lauben
Schutz und Schirmung war verliehen, wie idyllischem Liebespaare,
Unserm Herrn und unsrer Frauen.
Chor
Wie, da drinnen?
Phorkyas
Abgesondert
Von der Welt, nur mich die Eine riefen sie zu stillem Dienste.
9590Hochgeehrt stand ich zur Seite, doch, wie es Vertrauten ziemet,
Schaut’ ich um nach etwas andrem. Wendete mich hier- und dorthin,
Suchte Wurzeln, Moos und Rinden, kundig aller Wirksamkeiten,
Und so blieben sie allein.
Chor
Thust du doch als ob da drinne ganze Weltenräume wären,9594 drinne ] 2 Hdrinnen C.1 4   (II aa)
9595Wald und Wiese, Bäche, Seen, welche Mährchen spinnst du ab!
Phorkyas
Allerdings, ihr Unerfahrnen! das sind unerforschte Tiefen:
Saal an Sälen, Hof an Höfen, diese spürt’ ich sinnend aus.
Doch auf einmal ein Gelächter echo’t in den Höhlen-Räumen;
Schau’ ich hin, da springt ein Knabe von der Frauen Schoos zum Manne,
9600Von dem Vater zu der Mutter; das Gekose, das Getändel,
Thöriger Liebe Neckereyen, Scherzgeschrei und Lustgejauchze9601 Scherzgeschrei ] 2 III H.45a C.2α 4 C.3 4Scherzgeschrey C.1 4   (IV b)
Wechselnd übertäuben mich.
Nackt ein Genius ohne Flügel, faunenartig ohne Thierheit,9603 Thierheit, ] 2 HThierheit C.1 4   (II aa)
Springt er auf den festen Boden, doch der Boden gegenwirkend
9605Schnellt ihn zu der luft’gen Höhe, und im zweyten dritten Sprunge
Rührt er an das Hochgewölb.
Ängstlich ruft die Mutter: springe wiederholt und nach Belieben,
Aber hüte dich zu fliegen, freier Flug ist dir versagt.
Und so mahnt der treue Vater: in der Erde liegt die Schnellkraft,
9610Die dich aufwärts treibt, berühre mit der Zehe nur den Boden
Wie der Erdensohn Antäus bist du alsobald gestärkt.
Und so hüpft er auf die Masse dieses Felsens, von der Kante
Zu dem andern und umher so wie ein Ball geschlagen springt.
Doch auf einmal in der Spalte rauher Schlucht ist er verschwunden,
9615Und nun scheint er uns verloren. Mutter jammert, Vater tröstet,
Achselzuckend steh’ ich ängstlich. Doch nun wieder welch Erscheinen!
Liegen Schätze dort verborgen? Blumenstreifige Gewande
Hat er würdig angethan.
Quasten schwanken von den Armen, Binden flattern um den Busen,
9620In der Hand die goldne Leyer, völlig wie ein kleiner Phöbus
Tritt er wohlgemuth zur Kante, zu dem Überhang; wir staunen.
Und die Eltern vor Entzücken werfen wechselnd sich an’s Herz.
Denn wie leuchtet’s ihm zu Haupten? Was erglänzt ist schwer zu sagen,
Ist es Goldschmuck, ist es Flamme übermächtiger Geisteskraft.
9625Und so regt er sich gebärdend, sich als Knabe schon verkündend
Künftigen Meister alles Schönen, dem die ewigen Melodieen
Durch die Glieder sich bewegen; und so werdet ihr ihn hören,
Und so werdet ihr ihn sehn zu einzigster Bewunderung.
Chor
Nennst du ein Wunder dieß,
9630Creta’s Erzeugte?
Dichtend belehrendem Wort
Hast du gelauscht wohl nimmer?
Niemals noch gehört Ioniens,
Nie vernommen auch Hellas
9635Urväterlicher Sagen
Göttlich-heldenhaften Reichthum?
Alles was je geschieht
Heutiges Tages
Trauriger Nachklang ist’s
9640Herrlicher Ahnherrn-Tage;
Nicht vergleicht sich dein Erzählen
Dem was liebliche Lüge
Glaubhaftiger als Wahrheit
Von dem Sohne sang der Maja.
9645Diesen zierlich und kräftig doch
Kaum geborenen Säugling
Faltet in reinster Windeln Flaum
Strenget in köstlicher Wickeln Schmuck
Klatschender Wärterinnen Schaar
9650Unvernünftigen Wähnens.
Kräftig und zierlich aber zieht
Schon der Schalk die geschmeidigen
Doch elastischen Glieder
Listig heraus, die purpurne9654 Listig ] 2 HLustig C.1 4   (II aa)
9655Ängstlich drückende Schale
Lassend ruhig an seiner Statt.
Gleich dem fertigen Schmetterling
Der aus starrem Puppenzwang
Flügel entfaltend behendig schlüpft
9660Sonne-durchstrahlten Äther kühn
Und muthwillig durchflatternd.
So auch er der behendeste,
Daß er Dieben und Schälken,
Vortheil suchenden allen auch
9665Ewig günstiger Dämon sey.
Dieß bethätigt er alsobald
Durch gewandteste Künste.
Schnell des Meeres Beherrscher stiehlt
Er den Trident, ja dem Ares selbst
9670Schlau das Schwert aus der Scheide:
Bogen und Pfeile dem Phöbus auch,9671 Pfeile ] Ri 2 III H.2:2Pfeil 2 III H.3a:2 2 H C.1 4   (II b)
Wie dem Hephästos die Zange;
Selber Zeus, des Vaters, Blitz
Nähm’ er, schreckt’ ihn das Feuer nicht;
9675Doch dem Eros siegt er ob
In beinstellendem Ringerspiel,9676 Ringerspiel, ] 2 HRingerspiel. C.1 4   (II aa)
Raubt auch Cyprien, wie sie ihm kos’t,
Noch vom Busen den Gürtel.
Ein reizendes, reinmelodisches Saitenspiel erklingt aus der Höhle. Alle merken auf und scheinen bald innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pause durchaus mit vollstimmiger Musik.
Phorkyas
Höret allerliebste Klänge,
9680Macht euch schnell von Fabeln frei,
Eurer Götter alt Gemenge
Laßt es hin, es ist vorbei.
Niemand will euch mehr verstehen,
Fordern wir doch höhern Zoll:
9685Denn es muß von Herzen gehen,
Was auf Herzen wirken soll.
Sie zieht sich nach den Felsen zurück.nach 9686 den ] 2 Hdem C.1 4   (II aa)
Chor
Bist du fürchterliches Wesen
Diesem Schmeichelton geneigt,
Fühlen wir, als frisch genesen,
9690Uns zur Thränenlust erweicht.
Laß der Sonne Glanz verschwinden,
Wenn es in der Seele tagt,
Wir im eignen Herzen finden
Was die ganze Welt versagt.
Helena, Faust, Euphorion in dem oben beschriebenen Costüm
Euphorion
9695Hört ihr Kindeslieder singen,
Gleich ist’s euer eigner Scherz;
Seht ihr mich im Tacte springen,
Hüpft euch elterlich das Herz.
Helena
Liebe, menschlich zu beglücken
9700Nähert sie ein edles Zwey,
Doch zu göttlichem Entzücken
Bildet sie ein köstlich Drey.
Faust
Alles ist sodann gefunden:
Ich bin dein und du bist mein;
9705Und so stehen wir verbunden,
Dürft’ es doch nicht anders seyn!
Chor
Wohlgefallen vieler Jahre
In des Knaben mildem Schein
Sammelt sich auf diesem Paare.
9710O! wie rührt mich der Verein.
Euphorion
Nun laßt mich hüpfen,
Nun laßt mich springen,
Zu allen Lüften
Hinauf zu dringen
9715Ist mir Begierde,
Sie faßt mich schon.
Faust
Nur mäßig! mäßig!
Nicht ins Verwegne,
Daß Sturz und Unfall
9720Dir nicht begegne,
Zu Grund uns richte
Der theure Sohn.
Euphorion
Ich will nicht länger
Am Boden stocken;
9725Laßt meine Hände,
Laßt meine Locken,
Laßt meine Kleider,
Sie sind ja mein.
Helena
O denk’! o denke
9730Wem du gehörest!
Wie es uns kränke,
Wie du zerstörest
Das schön errungene
Mein, Dein und Sein.
Chor
9735Bald lös’t, ich fürchte,
Sich der Verein!
Helena und Faust
Bändige! bändige!
Eltern zu Liebe
Überlebendige
9740Heftige Triebe!
Ländlich im Stillen
Ziere den Plan.
Euphorion
Nur euch zu Willen
Halt’ ich mich an.
Durch den Chor sich schlingend und ihn zum Tanze fortziehend
9745Leichter umschweb’ ich hie9745 hie ] 2 H Komma mit Bleistift erg und wieder ausgewischt 2 H hie, C.1 4   (II aa)
Muntres Geschlecht.
Ist nun die Melodie,
Ist die Bewegung recht?
Helena
Ja, das ist wohlgethan,
9750Führe die Schönen an
Künstlichem Reihn.
Faust
Wäre das doch vorbei!
Mich kann die Gaukeley
Gar nicht erfreun.
Euphorion und Chor
tanzend und singend bewegen sich in verschlungenem Reihenvor 9755 verschlungenem ] 2 Hverschlungenen C.1 4   (II aa)
9755Wenn du der Arme Paar
Lieblich bewegest;
Im Glanz dein lockig Haar
Schüttelnd erregest,
Wenn dir der Fuß so leicht
9760Über die Erde schleicht,
Dort und da wieder hin
Glieder um Glied sich ziehn,
Hast du dein Ziel erreicht
Liebliches Kind;
9765All’ unsre Herzen sind
All dir geneigt.9766 All ] 2 HAll’ C.1 4   (II aa)
Pause
Euphorion
Ihr seyd so viele
Leichtfüßige Rehe,
Zu neuem Spiele
9770Frisch aus der Nähe,
Ich bin der Jäger
Ihr seyd das Wild.
Chor
Willst du uns fangen
Sey nicht behende,
9775Denn wir verlangen
Doch nur am Ende
Dich zu umarmen
Du schönes Bild.
Euphorion
Nur durch die Haine!
9780Zu Stock und Steine!
Das leicht Errungene
Das widert mir,
Nur das Erzwungene
Ergetzt mich schier.
Helena und Faust
9785Welch ein Muthwill! welch ein Rasen!
Keine Mäßigung ist zu hoffen.
Klingt es doch wie Hörnerblasen
Über Thal und Wälder dröhnend,
Welch ein Unfug! welch Geschrei!9789 Geschrei ] 2 III H.45a C.2α 4 C.3 4Geschrey C.1 4   (IV b)
Chor
einzeln schnell eintretend
9790Uns ist er vorbei gelaufen,
Mit Verachtung uns verhöhnend,
Schleppt er von dem ganzen Haufen9792 Schleppt ] 2 HSchleppt’ C.1 4   (II aa)
Nun die wildeste herbei.
Euphorion
ein junges Mädchen hereintragend
Schlepp’ ich her die derbe Kleine
9795Zu erzwungenem Genusse.
Mir zur Wonne, mir zur Lust
Drück’ ich widerspenstige Brust,
Küss’ ich widerwärtigen Mund,
Thue Kraft und Willen kund.
Mädchen
9800Laß mich los! In dieser Hülle
Ist auch Geistes Muth und Kraft,
Deinem gleich ist unser Wille
Nicht so leicht hinweggerafft.
Glaubst du wohl mich im Gedränge?
9805Deinem Arm vertraust du viel!
Halte fest, und ich versenge
Dich den Thoren mir zum Spiel.
Sie flammt auf und lodert in die Höhe.nach 9807 Höhe. ] Höhe). C.1 4 Höhe.) C.2α 4 C.3 4   (VIII)
Folge mir in leichte Lüfte,
Folge mir in starre Grüfte,
9810Hasche das verschwundne Ziel.
Euphorion
die letzten Flammen abschüttelnd
Felsengedränge hier
Zwischen dem Waldgebüsch,
Was soll die Enge mir,
Bin ich doch jung und frisch.
9815Winde sie sausen ja,
Wellen sie brausen da
Hör’ ich doch beides fern,
Nah wär’ ich gern.
Er springt immer höher Fels auf.
Helena, Faust und Chor
Wolltest du den Gemsen gleichen?
9820Vor dem Falle muß uns graun.
Euphorion
Immer höher muß ich steigen,
Immer weiter muß ich schaun.
Weiß ich nun wo ich bin!
Mitten der Insel drin,
9825Mitten in Pelops Land,
Erde- wie seeverwandt.
Chor
Magst du nicht in Berg und Wald
Friedlich verweilen,
Suchen wir alsobald
9830Reben in Zeilen,
Reben am Hügelrand;
Feigen und Apfelgold.
Ach in dem holden Land
Bleibe du hold.
Euphorion
9835Träumt ihr den Friedenstag?
Träume wer Träume mag.9836 Träume mag ] G 2 III H.2:2träumen mag 2 III H.3a:2 2 H C.1 4   (II b)
Krieg ist das Losungswort
Sieg! und so klingt es fort.
Chor
Wer im Frieden
9840Wünschet sich Krieg zurück
Der ist geschieden
Vom Hoffnungsglück.
Euphorion
Welche dieß Land gebar
Aus Gefahr in Gefahr,
9845Frei, unbegrenzten Muth’s
Verschwendrisch eignen Bluts.
Den nicht zu dämpfenden
Heiligen Sinn
Alle den Kämpfenden
9850Bring’ es Gewinn!
Chor
Seht hinauf wie hoch gestiegen!
Und erscheint uns doch nicht klein.9852 erscheint ] C.1 4erscheint G 2 III H.2:2 erscheint : er scheint Jo (nicht zweifelsfrei G) 2 III H.3a:2 erscheint 2 H C.1 4   (II b*)
Wie im Harnisch, wie zum Siegen,
Wie von Erz und Stahl der Schein.
Euphorion
9855Keine Wälle, keine Mauern,9855 Wälle ] 2 HWelle C.1 4   (II aa)
Jeder nur sich selbst bewußt;
Feste Burg, um auszudauern
Ist des Mannes eh’rne Brust.
Wollt ihr unerobert wohnen,
9860Leicht bewaffnet rasch ins Feld;
Frauen werden Amazonen
Und ein jedes Kind ein Held.
Chor
Heilige Poesie,
Himmelan steige sie,
9865Glänze, der schönste Stern,
Fern und so weiter fern,
Und sie erreicht uns doch
Immer, man hört sie noch,
Vernimmt sie gern.
Euphorion
9870Nein, nicht ein Kind bin ich erschienen,
In Waffen kommt der Jüngling an;
Gesellt zu Starken, Freien, Kühnen,
Hat er im Geiste schon gethan.
Nun fort!
9875Nun dort
Eröffnet sich zum Ruhm die Bahn.
Helena und Faust
Kaum in’s Leben eingerufen,
Heitrem Tag gegeben kaum,
Sehnest du von Schwindelstufen
9880Dich zu schmerzenvollem Raum.
Sind denn wir
Gar nichts dir?
Ist der holde Bund ein Traum?
Euphorion
Und hört ihr donnern auf dem Meere?
9885Dort wiederdonnern Thal um Thal,
In Staub und Wellen Heer dem Heere,
In Drang um Drang zu Schmerz und Qual.
Und der Tod
Ist Gebot,
9890Das versteht sich nun einmal.
Helena, Faust und Chor
Welch Entsetzen! welches Grauen!
Ist der Tod denn dir Gebot?
Euphorion
Sollt’ ich aus der Ferne schauen,
Nein! ich theile Sorg’ und Noth.
Die Vorigen
9895Übermuth und Gefahr,
Tödtliches Loos!9896 Loos! ] 2 HLoos. C.1 4   (II aa)
Euphorion
Doch! – und ein Flügelpaar
Faltet sich los.9898 los. ] 2 Hlos! C.1 4   (II aa)
Dorthin! Ich muß! ich muß!
9900Gönn’t mir den Flug!
Er wirft sich in die Lüfte, die Gewande tragen ihn einen Augenblick, sein Haupt strahlt, ein Lichtschweif zieht nach.
Chor
Ikarus! Ikarus!
Jammer genug.
Ein schöner Jüngling stürzt zu der Eltern Füßen, man glaubt in dem Todten eine bekannte Gestalt zu erblicken; doch das Körperliche verschwindet sogleich, die Aureole steigt wie ein Komet zum Himmel auf, Kleid, Mantel und Lyra bleiben liegen.
Helena und Faust
Der Freude folgt sogleich
Grimmige Pein.
Euphorions
Stimme aus der Tiefe
9905Laß mich im düstern Reich,9905–9906 Reich, | Mutter, ] 2 HReich | Mutter C.1 4   (II aa)
Mutter, mich nicht allein!
Pause
Chor
Trauergesang
Nicht allein! – wo du auch weilest,
Denn wir glauben dich zu kennen,
Ach! wenn du dem Tag enteilest
9910Wird kein Herz von dir sich trennen.
Wüßten wir doch kaum zu klagen,
Neidend singen wir dein Loos:
Dir in klar’ und trüben Tagen
Lied und Muth war schön und groß.
9915Ach! zum Erdenglück geboren,
Hoher Ahnen, großer Kraft,
Leider! früh dir selbst verloren,
Jugendblüthe weggerafft.
Scharfer Blick die Welt zu schauen,
9920Mitsinn jedem Herzensdrang,
Liebesgluth der besten Frauen
Und ein eigenster Gesang.
Doch du ranntest unaufhaltsam
Frei in’s willenlose Netz,
9925So entzweytest du gewaltsam
Dich mit Sitte, mit Gesetz;
Doch zuletzt das höchste Sinnen
Gab dem reinen Muth Gewicht,
Wolltest Herrliches gewinnen,
9930Aber es gelang dir nicht.
Wem gelingt es? – Trübe Frage,
Der das Schicksal sich vermummt,
Wenn am unglückseligsten Tage
Blutend alles Volk verstummt.
9935Doch erfrischet neue Lieder,
Steht nicht länger tief gebeugt;
Denn der Boden zeugt sie wieder,
Wie von je er sie gezeugt.
Völlige Pause. Die Musik hört auf.
Helena
zu Faust
Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:
9940Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.
Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band,
Bejammernd beide, sage schmerzlich, Lebewohl.9942 sage bis Lebewohl. ] 2 III H.75bsag’ ich schmerzlich Lebewohl! C.1 4   (II aa)
Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.
Persephoneia nimm den Knaben auf und mich.
Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet, Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen.
Phorkyas
zu Faust
9945Halte fest was dir von allem übrig blieb.
Das Kleid laß es nicht los. Da zupfen schon
Dämonen an den Zipfeln, möchten gern
Zur Unterwelt es reißen. Halte fest!
Die Göttin ist’s nicht mehr die du verlorst,
9950Doch göttlich ist’s. Bediene dich der hohen
Unschätzbar’n Gunst und hebe dich empor,
Es trägt dich über alles Gemeine rasch
Am Äther hin, so lange du dauern kannst.
Wir sehn uns wieder, weit gar weit von hier.
Helenens Gewande lösen sich in Wolken auf, umgeben Faust, heben ihn in die Höhe und ziehen mit ihm vorüber.
Phorkyas
nimmt Euphorions Kleid, Mantel und Lyra von der Erde, tritt ins Proscenium, hebt die Exuvien in die Höhe und spricht:
9955Noch immer glücklich aufgefunden!
Die Flamme freilich ist verschwunden
Doch ist mir um die Welt nicht leid.
Hier bleibt genug Poeten einzuweihen,
Zu stiften Gild- und Handwerksneid;
9960Und kann ich die Talente nicht verleihen,
Verborg’ ich wenigstens das Kleid.
Sie setzt sich im Proscenium an eine Säule nieder.
Panthalis
Nun eilig Mädchen! Sind wir doch den Zauber los,9962 los, ] 2 Hlos. C.1 4 los, C.2α 4 C.3 4   (II aa, IV b)
Der alt-thessalischen Vettel wüsten Geisteszwang;
So des Geklimpers viel verworrner Töne Rausch,
9965Das Ohr verwirrend, schlimmer noch den innern Sinn.
Hinab zum Hades! Eilte doch die Königin
Mit ernstem Gang hinunter. Ihrer Sohle sey
Unmittelbar getreuer Mägde Schritt gefügt.
Wir finden sie am Throne der Unerforschlichen.
Chor
9970Königinnen freilich überall sind sie gern;
Auch im Hades selbst stehen sie oben an,9971 selbst ] 2 III H.2:2 fehlt 2 III H.3a:2 2 H C.1 4   (II b)
Stolz zu ihres Gleichen gesellt,
Mit Persephonen innigst vertraut;
Aber wir im Hintergrunde
9975Tiefer Asphodelos-Wiesen,
Langgestreckten Pappeln,
Unfruchtbaren Weiden zugesellt,
Welchen Zeitvertreib haben wir?
Fledermaus gleich zu piepsen,
9980Geflüster, unerfreulich, gespenstig.
Panthalisvor 9981 Panthalis ] 2 III H.45a C.2α 4 C.3 4Chorführerin C.1 4   (IV b)
Wer keinen Namen sich erwarb, noch Edles will,
Gehört den Elementen an, so fahret hin!
Mit meiner Königin zu seyn verlangt mich heiß;
Nicht nur Verdienst, auch Treue wahrt uns die Person.
ab
Alle
9985Zurückgegeben sind wir dem Tageslicht,
Zwar Personen nicht mehr,
Das fühlen, das wissen wir,
Aber zum Hades kehren wir nimmer.
Ewig lebendige Natur
9990Macht auf uns Geister,
Wir auf sie vollgültigen Anspruch.
Ein Theil des Chors
Wir in dieser tausend Äste Flüsterzittern, Säuselschweben,
Reizen tändlend, locken leise, wurzelauf des Lebens Quellen
Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit Blüthen überschwenglich
9995Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem Gedeihn.
Fällt die Frucht, sogleich versammeln, lebenslustig Volk und Heerden
Sich zum Greifen, sich zum Naschen, eilig kommend, emsig drängend;
Und, wie vor den ersten Göttern, bückt sich alles um uns her.
Ein andrer Theil
Wir an dieser Felsenwände weithinleuchtend glattem Spiegel
10000Schmiegen wir, in sanftem Wallen uns bewegend, schmeichelnd an;10000 sanftem Wallen ] 2 III H.3a:2sanften Wellen 2 H C.1 4   (II b)
Horchen, lauschen jedem Laute, Vogelsängen, Röhrigflöten,10001 Vogelsängen ] 2 HVogelsingen C.1 4   (II aa)
Sey es Pans furchtbarer Stimme, Antwort ist sogleich bereit;
Säuselt’s, säuseln wir erwiedernd, donnert’s, rollen unsre Donner
In erschütterndem Verdoppeln, dreyfach, zehnfach hinten nach.
Ein dritter Theil
10005Schwestern! Wir bewegtern Sinnes, eilen mit den Bächen weiter;
Denn es reizen jener Ferne reichgeschmückte Hügelzüge,
Immer abwärts, immer tiefer, wässern wir, mäandrisch wallend,
Jetzt die Wiese, dann die Matten, gleich den Garten um das Haus.
Dort bezeichnen’s der Cypressen schlanke Wipfel, über Landschaft,
10010Uferzug und Wellenspiegel, nach dem Äther steigende.
Ein vierter Theil
Wallt ihr andern wo’s beliebet, wir umzingeln wir umrauschen10011 umzingeln ] 2 H umzingeln, : umzingeln durch Rasur 2 H umzingeln, C.1 4   (II aa)
Den durchaus bepflanzten Hügel, wo am Stab die Rebe grünt;
Dort zu aller Tage Stunden läßt die Leidenschaft des Winzers
Uns des liebevollsten Fleißes zweifelhaft Gelingen sehn.
10015Bald mit Hacke, bald mit Spaten, bald mit Häufeln, Schneiden, Binden,
Betet er zu allen Göttern, fördersamst zum Sonnengott.
Bacchus kümmert sich, der Weichling, wenig um den treuen Diener,
Ruht in Lauben, lehnt in Höhlen, faselnd mit dem jüngsten Faun.
Was zu seiner Träumereyen halbem Rausch er je bedürfte,10019 bedürfte ] 2 III H.2:2bedurfte 2 III H.3a:2 2 H C.1 4   (II b)
10020Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen und Gefäßen,
Rechts und links der kühlen Grüfte ewige Zeiten aufbewahrt.
Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,
Lüftend, feuchtend, wärmend, gluthend Beeren-Füllhorn aufgehäuft,
Wo der stille Winzer wirkte, dort auf einmal wird’s lebendig,
10025Und es rauscht in jedem Laube, raschelt um von Stock zu Stock.
Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten ächzen hin,
Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer kräft’gem Tanz;
Und so wird die heilige Fülle reingeborner saftiger Beeren
Frech zertreten, schäumend, sprühend mischt sich’s widerlich zerquetscht.
10030Und nun gellt ins Ohr der Cymbeln mit der Becken Erzgetöne,10030 ins ] C.1 4in’s C.2α 4 C.3 4   (IV a)
Denn es hat sich Dionysos aus Mysterien enthüllt;
Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, schwenkend Ziegenfüßlerinnen,
Und dazwischen schreit unbändig grell Silenus öhrig Thier.
Nichts geschont! Gespaltne Klauen treten alle Sitte nieder,
10035Alle Sinne wirbeln taumlich, gräßlich übertäubt das Ohr.
Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt sind Kopf und Wänste,
Sorglich ist noch ein und andrer, doch vermehrt er die Tumulte,
10038Denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch den alten Schlauch!
Der Vorhang fällt.
Phorkyas im Proscenium richtet sich riesenhaft auf, tritt aber von den Cothurnen herunter, lehnt Maske und Schleier zurück und zeigt sich als Mephistopheles, um, in sofern es nöthig wäre, im Epilog das Stück zu commentiren.