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Zweyter Act
∞Hochgewölbtes, enges, gothisches Zimmer, ehemals Faustens, unverändert
∞Mephistopheles
∞hinter einem Vorhang hervortretend. Indem er ihn aufhebt und zurücksieht erblickt man Fausten hingestreckt auf einem altväterischen Bette.vor 6566 zurücksieht ] 2 H zurückzieht konj Fiedler (III *)
6566Hier lieg’ Unseliger! verführt
6567Zu schwergelöstem Liebesbande!
6568Wen Helena paralysirt
6569Der kommt so leicht nicht zu Verstande.
∞sich umschauend
6570Blick’ ich hinauf, hierher, hinüber,
6571Allunverändert ist es, unversehrt;
6572Die bunten Scheiben sind, so dünkt mich, trüber,
6573Die Spinneweben haben sich vermehrt;
6574Die Dinte starrt, vergilbt ist das Papier;
6575Doch alles ist am Platz geblieben;
6576Sogar die Feder liegt noch hier,
6577Mit welcher Faust dem Teufel sich verschrieben.
6578Ja! tiefer in dem Rohre stockt
6579Ein Tröpflein Blut, wie ich’s ihm abgelockt.
6580Zu einem solchen einzigen Stück
6581Wünscht’ ich dem größten Sammler Glück.
6582Auch hängt der alte Pelz am alten Hacken,
6583Erinnert mich an jene Schnacken
6584Wie ich den Knaben einst belehrt,
6585Woran er noch vielleicht als Jüngling zehrt.
6586Es kommt mir wahrlich das Gelüsten,
6587Rauchwarme Hülle, dir vereint,
6588Mich als Docent noch einmal zu erbrüsten,
6589Wie man so völlig recht zu haben meynt.
6590Gelehrte wissens zu erlangen,
6591Dem Teufel ist es längst vergangen.
∞er schüttelt den herabgenommenen Pelz,
Cicaden, Käfer und Farfarellen fahren
heraus.
∞Chor der Insecten
6592Willkommen! willkommen
6593Du alter Patron,
6594Wir schweben und summen
6595Und kennen dich schon.
6596Nur einzeln im Stillen
6597Du hast uns gepflanzt,
6598Zu Tausenden kommen wir
6599Vater getanzt.
6600Der Schalk in dem Busen
6601Verbirgt sich so sehr,
6602Vom Pelze die Läuschen
6603Enthüllen sich ehr.
∞Mephistopheles
6604Wie überraschend mich die junge Schöpfung freut!
6605Man säe nur, man erndtet mit der Zeit.
6606Ich schüttle noch einmal den alten Flaus,
6607Noch eines flattert hier und dort hinaus. –
6608Hinauf! umher! in hunderttausend Ecken
6609Eilt euch ihr Liebchen zu verstecken.
6610Dort wo die alten Schachteln stehn,
6611Hier im bebräunten Pergemen,
6612In staubigen Scherben alter Töpfe,
6613Dem Hohlaug’ jener Todtenköpfe.
6614In solchem Wust und Moderleben
6615Muß es für ewig Grillen geben.
∞schlüpft in den Pelz
6616Komm decke mir die Schultern noch einmal,
6617Heut bin ich wieder Prinzipal.
6618Doch hilft es nichts mich so zu nennen,
6619Wo sind die Leute die mich anerkennen!
∞er zieht die Glocke die einen gellenden, durchdringenden
Ton erschallen läßt; wovon die Hallen erbeben und die Thüren
aufspringen.
∞Famulus
∞den langen finstern Gang
herwankend
6620Welch ein Tönen! welch ein Schauer!
6621Treppe schwankt, es bebt die Mauer;
6622Durch der Fenster buntes Zittern,
6623Seh ich wetterleuchtend Wittern.
6624Springt das Estrich, und von Oben
6625Rieselt Kalk und Schutt verschoben.
6626Und die Thüre, fest verriegelt,
6627Ist durch Wunderkraft entsiegelt. –
6628Dort! Wie fürchterlich! Ein Riese
6629Steht in Faustens altem Vließe.
6630Seinen Blicken, seinem Winken,
6631Möcht’ ich in die Kniee sinken.
6632Soll ich fliehen? Soll ich stehn?
6633Ach! wie wird es mir ergehn!
∞
Mephistopheles
6637Ich weiß es wohl, bejahrt und noch Student,
6638Bemooster Herr! Auch ein gelehrter Mann
6639Studirt so fort, weil er nicht anders kann.
6640So baut man sich ein mäßig Kartenhaus,
6641Der größte Geist bauts doch nicht völlig aus.
6642Doch euer Meister das ist ein Beschlagner:
6643Wer kennt ihn nicht den edlen Doctor Wagner,
6644Den ersten jetzt in der gelehrten Welt!
6645Er ist’s allein der sie zusammenhält,
6646Der Weisheit täglicher Vermehrer.
6647Allwißbegierige Horcher, Hörer
6648Versammeln sich um ihn zu Hauf.
6649Er leuchtet einzig vom Catheder;
6650Die Schlüssel übt er wie Sankt Peter,
6651Das Untre so das Obre schließt er auf.
6652Wie er vor Allen glüht und funkelt,
6653Kein Ruf, kein Ruhm hält weiter stand;
6655Er ist es, der allein erfand.
∞Famulus
6656Verzeiht! Hochwürdiger Herr! wenn ich euch sage,
6657Wenn ich zu widersprechen wage:
6658Von allem dem ist nicht die Frage,
6659Bescheidenheit ist sein beschieden Theil.
6660Ins unbegreifliche Verschwinden
6661Des hohen Manns weiß er sich nicht zu finden,
6662Von dessen Wiederkunft erfleht er Trost und Heil.
6663Das Zimmer, wie zu Doctor Faustus Tagen,
6664Noch unberührt seitdem er fern,
6665Erwartet seinen alten Herrn.
6666Kaum wag’ ich’s mich herein zu wagen.
6667Was muß die Sternenstunde seyn? –
6668Gemäuer scheint mir zu erbangen;
6669Thürpfosten bebten, Riegel sprangen,
6670Sonst kamt ihr selber nicht herein.
∞Famulus
6673Ach! sein Verbot ist gar zu scharf,
6674Ich weiß nicht ob ichs wagen darf.
6675Monate lang, des großen Werkes willen,
6676Lebt’ er im aller stillsten Stillen.
6677Der zarteste gelehrter Männer
6678Er sieht aus wie ein Kohlenbrenner,
6679Geschwärzt vom Ohre bis zur Nasen,
6680Die Augen roth vom Feuer blasen,
6681So lechzt er jedem Augenblick;
6682Geklirr der Zange giebt Musick.
∞
Mephistopheles
6683Sollt’ er den Zutritt mir verneinen,
6684Ich bin der Mann das Glück ihm zu beschleunen.
∞Der Famulus geht ab,
Mephistopheles setzt sich gravitätisch nieder.
6685Kaum hab’ ich Posto hier gefaßt
6686Regt sich dort hinten, mir bekannt, ein Gast.
6687Doch diesmal ist er von den Neusten,
6688Er wird sich gränzenlos erdreusten.
∞Baccalaureus
∞den Gang herstürmend
6689Thor und Thüre find ich offen!
6690Nun da läßt sich endlich hoffen
6691Daß nicht, wie bisher, im Moder,
6692Der Lebendige wie ein Todter,
6693Sich verkümmere, sich verderbe
6694Und am Leben selber sterbe.
6695Diese Mauern, diese Wände
6696Neigen, senken sich zum Ende
6697Und wenn wir nicht bald entweichen
6698Wird uns Fall und Sturz erreichen.
6699Bin verwegen, wie nicht einer,
6700Aber weiter bringt mich keiner.
6701Doch was soll ich heut erfahren!
6702War’s nicht hier, vor so viel Jahren,
6703Wo ich, ängstlich und beklommen,
6704War als guter Fuchs gekommen?
6705Wo ich diesen Bärtigen traute,
6706Mich an ihrem Schnack erbaute.
6707Aus den alten Bücherkrusten
6708Logen sie mir was sie wußten,
6709Was sie wußten, selbst nicht glaubten,
6710Sich und mir das Leben raubten.
6711Wie? – Dort hinten in der Zelle
6712Sitzt noch Einer dunkel-helle!
6713Nahend seh’ ichs mit Erstaunen,
6714Sitzt er noch im Pelz, dem braunen;
6715Wahrlich wie ich ihn verließ,
6716Noch gehüllt im rauhen Vließ!
6717Damals war er schon gewandt,6717–6718
6717Damals schien er zwar gewandt,
6718Als
ich ihn noch nicht verstand.
Ec 2 H
(VI)6718Ob ich gleich
ihn nicht
verstand.
6719Heute wird es nicht verfangen,
6720Frisch an ihn herangegangen!
∞
Mephistopheles
6727Mich freut daß ich euch hergeläutet.
6728Ich schätzt’ euch damals nicht gering;
6729Die Raupe schon, die Chrysalide deutet
6730Den künftigen bunten Schmetterling.
6731Am Lockenkopf und Spitzenkragen,
6732Empfandet ihr ein kindliches Behagen. –
6733Ihr trugt wohl niemals einen Zopf? –
6734Heut schau ich euch im Schwedenkopf.
6735Ganz resolut und wacker seht ihr aus,
6736Kommt nur nicht absolut nach Haus.
∞
Baccalaureus
6737Mein alter Herr! Wir sind am alten Orte,
6738Bedenkt jedoch erneuter Zeiten Lauf,
6739Und sparet doppelsinnige Worte;
6740Wir passen nun ganz anders auf.
6741Ihr hänseltet den guten treuen Jungen,
6742Das ist euch ohne Kunst gelungen,
6743Was heut zu Tage niemand wagt.
∞
Mephistopheles
6744Wenn man der Jugend reine Wahrheit sagt
6745Die gelben Schnäbeln keineswegs behagt,
6746Sie aber hinterdrein nach Jahren
6747Das alles derb an eigner Haut erfahren,
6748Dann dünkeln sie es käm’ aus eignem Schopf;
6749Da heißt es denn: der Meister war ein Tropf.
∞
Baccalaureus
6750Ein Schelm vielleicht! – denn welcher Lehrer spricht
6751Die Wahrheit uns direct ins Angesicht?
6752Ein jeder weiß zu mehren wie zu mindern,
6753Bald ernst, bald heiter klug, zu frommen Kindern.
∞Mephistopheles
6754Zum lernen giebt es freylich eine Zeit,
6755Zum lehren seyd ihr, merk’ ich, selbst bereit.
6756Seit manchen Monden, einigen Sonnen,
6757Erfahrungsfülle habt ihr wohl gewonnen.
∞
Baccalaureus
6758Erfahrungswesen! Schaum und Dust!
6759Und mit dem Geist nicht ebenbürtig.
6760Gesteht! was man von je gewußt
6761Es ist durchaus nicht wissenswürdig . . .
∞
Mephistopheles
∞nach einer Pause
6762Mich däucht es längst. Ich war ein Thor,
6763Nun komm’ ich mir recht schaal und albern vor.
∞
Baccalaureus
6764Das freut mich sehr! da hör’ ich doch Verstand,
6765Der erste Greis, den ich vernünftig fand!
∞
Mephistopheles
6766Ich suchte nach verborgen-goldnem Schatze,
6767Und schauerliche Kohlen trug ich fort.
∞
Baccalaureus
6768Gesteht nur, euer Schädel, eure Glatze
6769Ist nicht mehr werth als jene hohlen dort?
∞
Mephistopheles
∞der mit seinem Rollstuhle immer näher ins
Proscenium rückt, zum Parterre
6772Hier oben wird mir Licht und Luft benommen,
6773Ich finde wohl bey euch ein Unterkommen?
∞
Baccalaureus
6774Anmaßlich find’ ich daß zur schlechtsten Frist
6775Man etwas seyn will, wo man nichts mehr ist.
6776Des Menschen Leben lebt im Blut, und wo
6777Bewegt das Blut sich wie im Jüngling so?
6778Das ist lebendig Blut in frischer Kraft,
6779Das neues Leben sich aus Leben schaft.
6780Da regt sich alles, da wird was gethan,
6781Das Schwache fällt, das Tüchtige tritt heran.
6782Indessen wir die halbe Welt gewonnen
6783Was habt ihr denn gethan? genickt, gesonnen,
6784Geträumt, erwogen, Plan und immer Plan.
6785Gewiß das Alter ist ein kaltes Fieber
6786Im Frost von grillenhafter Noth.
6787Hat einer dreyßig Jahr vorüber,
6788So ist er schon so gut wie todt.
6789Am besten wär’s euch zeitig todtzuschlagen.
∞
Baccalaureus
6793Dies ist der Jugend edelster Beruf!
6794Die Welt sie war nicht eh ich sie erschuf;
6795Die Sonne führt’ ich aus dem Meer herauf;
6796Mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf;
6797Da schmückte sich der Tag auf meinen Wegen,
6798Die Erde grünte, blühte mir
entgegen.
6799Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht,
6800Entfaltete sich aller Sterne Pracht.
6801
Wer, ausser mir,
entband euch aller Schranken
6802Philisterhaft einklemmender Gedanken?
6803Ich aber frey, wie mir’s im Geiste spricht,
6804Verfolge froh mein innerliches Licht,
6805Und wandle rasch, im eigensten Entzücken,
6806Das Helle vor mir, Finsterniß im Rücken.
∞ab
∞
Mephistopheles
6807Original fahr hin in deiner Pracht! –
6808Wie würde dich die Einsicht kränken:
6809Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken
6810Das nicht die Vorwelt schon gedacht?
6811Doch sind wir auch mit diesem nicht gefährdet,
6812In wenig Jahren wird es anders seyn.
6813Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet,
6814Es giebt zuletzt doch noch e’ Wein.
∞Zu dem jüngern Parterre das nicht
applaudirt
6815Ihr bleibt bey meinem Worte kalt,
6816Euch guten Kindern laß ich’s gehen;
6817Bedenkt: der Teufel der ist alt,
6818So werdet alt, ihn zu verstehen!