Faust
Eine Tragödie

Zueignung

1Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch’ ich wohl euch diesmal fest zu halten?
Fühl’ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
5Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch der euren Zug umwittert.
Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
10Und manche liebe Schatten steigen auf;
Gleich einer alten, halbverklungnen Sage,
Kommt erste Lieb’ und Freundschaft mit herauf;
Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
15Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
Die Seelen, denen ich die ersten sang,
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
20Verklungen ach! der erste Wiederklang.
Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,21 Lied ] 1 H.2Leid A  B  B.a Lied D  (II c)
Ihr Beyfall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
25Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun, in unbestimmten Tönen,
Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
Ein Schauer faßt mich, Thräne folgt den Thränen,
30Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich;
Was ich besitze seh’ ich wie im weiten,
32Und was verschwand wird mir zu Wirklichkeiten.

Vorspiel auf dem Theater

Director, Theaterdichter, lustige Person
Director
33Ihr beyden die ihr mir so oft,
In Noth und Trübsal, beygestanden,
35Sagt was ihr wohl, in deutschen Landen,
Von unsrer Unternehmung hofft?
Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben läßt.
Die Pfosten sind, die Breter aufgeschlagen,
40Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen;
45Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir’s? daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sey.
Denn freylich mag ich gern die Menge sehen,
50Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
Und mit gewaltig wiederholten Wehen,
Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt;
Bey hellem Tage, schon vor Vieren,
Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
55Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthüren,
Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund, o! thu es heute.58 thu ] Athu’ B  B.a   (IV a)
Dichter
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
60Bey deren Anblick uns der Geist entflieht.
Verhülle mir das wogende Gedränge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
65Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen
Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
Mißrathen jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
70Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glänzt ist für den Augenblick geboren,
Das Ächte bleibt der Nachwelt unverloren.
Lustige Person
75Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.
Gesetzt daß ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
Den will sie doch und soll ihn haben.
Die Gegenwart von einem braven Knaben
80Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.
Wer sich behaglich mitzutheilen weiß,
Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
Er wünscht sich einen großen Kreis,
Um ihn gewisser zu erschüttern.
85Drum seyd nur brav und zeigt euch musterhaft,
Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.
Director
Besonders aber laßt genug geschehn!
90Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Wird vieles vor den Augen abgesponnen,91 vieles ] AVieles B  B.a   (IV a)
So daß die Menge staunend gaffen kann,
Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seyd ein vielgeliebter Mann.
95Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;97 vieles ] AVieles B  B.a   (IV a)
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
100Solch ein Ragout es muß euch glücken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft’s wenn ihr ein Ganzes dargebracht,
Das Publikum wird es euch doch zerpflücken.
Dichter
Ihr fühlet nicht wie schlecht ein solches Handwerk sey!
105Wie wenig das den ächten Künstler zieme!
Der saubern Herren Pfuscherey
Ist, merk’ ich, schon bey euch Maxime.
Director
Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt;
Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
110Muß auf das beste Werkzeug halten.
Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin für wen ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
115Und, was das allerschlimmste bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
120Und spielen ohne Gage mit.
Was träumet ihr auf eurer Dichter-Höhe?
Was macht ein volles Haus euch froh?
Beseht die Gönner in der Nähe!
Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
125Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
Was plagt ihr armen Thoren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?
Ich sag’ euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,
130So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren,
Sucht nur die Menschen zu verwirren,
Sie zu befriedigen ist schwer – –
Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?
Dichter
Geh hin und such dir einen andern Knecht!
135Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
140Ist es der Einklang nicht? der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt.
Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
145Verdrießlich durch einander klingt;
Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe?
Wo es in herrlichen Accorden schlägt,
150Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten152 Frühlingsblüten ] AFrühlingsblüthen B  B.a   (IV a)
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
155Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.
Lustige Person
So braucht sie denn die schönen Kräfte
Und treibt die dicht’rischen Geschäfte,
160Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
165Und eh man sich’s versieht ist’s eben ein Roman.
Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.
170In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte
175Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
Dann sauget jedes zärtliche Gemüthe
Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung;
Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,
Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.
180Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,
Ein Werdender wird immer dankbar seyn.
Dichter
So gieb mir auch die Zeiten wieder,
185Da ich noch selbst im Werden war,
Da sich ein Quell gedrängter Lieder
Ununterbrochen neu gebar,
Da Nebel mir die Welt verhüllten,
Die Knospe Wunder noch versprach,
190Da ich die tausend Blumen brach,
Die alle Thäler reichlich füllten.
Ich hatte nichts und doch genug,
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
Gieb ungebändigt jene Triebe,
195Das tiefe schmerzenvolle Glück,
Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
Gieb meine Jugend mir zurück!
Lustige Person
Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls
Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
200Wenn mit Gewalt an deinen Hals
Sich allerliebste Mädchen hängen,
Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
Vom schwer erreichten Ziele winket,
Wenn nach dem heftgen Wirbeltanz204 heftgen ] Aheft’gen B  B.a   (IV a)
205Die Nächte schmausend man vertrinket.
Doch ins bekannte Saitenspiel
Mit Muth und Anmuth einzugreifen,
Nach einem selbgesteckten Ziel
Mit holdem Irren hinzuschweifen,
210Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
Und wir verehren euch darum nicht minder.
Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
Director
Der Worte sind genug gewechselt,
215Laßt mich auch endlich Thaten sehn;
Indeß ihr Complimente drechselt,
Kann etwas nützliches geschehn.
Was hilft es viel von Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie nie.
220Gebt ihr euch einmal für Poeten,
So kommandirt die Poesie.
Euch ist bekannt was wir bedürfen,
Wir wollen stark Getränke schlürfen;
Nun braut mir unverzüglich dran!
225Was heute nicht geschieht, ist Morgen nicht gethan,225 Morgen ] A  B.amorgen B   (VII)
Und keinen Tag soll man verpassen,
Das Mögliche soll der Entschluß
Beherzt sogleich beym Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen,
230Und wirket weiter, weil er muß.
Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
Probirt ein jeder was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospecte nicht und nicht Maschinen.
235Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Thier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Breterhaus
240Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt, mit bedächtger Schnelle,241 bedächtger ] Abedächt’ger B  B.a   (IV a)
242Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.

Prolog im Himmel

Der Herr, die himmlischen Heerscharen, nachher Mephistopheles
Die drey Erzengel treten vor.
Raphael
243Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang,
245Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag.
Die unbegreiflich hohen Werke
250Sind herrlich wie am ersten Tag.
Gabriel
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieses-Helle
Mit tiefer schauervoller Nacht;
255Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärenlauf.
Michael
Und Stürme brausen um die Wette
260Vom Meer aufs Land vom Land aufs Meer,260 aufs Land bis aufs ] Aauf’s Land, bis auf’s B auf’s Land bis auf’s B.a   (IV a)
Und bilden wüthend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags.
265Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.
Zu Drey
Der Anblick giebt den Engeln Stärke
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke
270Sind herrlich wie am ersten Tag.
Mephistopheles
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst wie alles sich bey uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst;
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
275Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum lachen,277 lachen ] ALachen B  B.a   (IV a)
Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.278 Hättst ] AHätt’st B  B.a   (IV a)
Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,
280Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser würd’ er leben,
Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;284 Hättst ] AHätt’st B  B.a   (IV a)
285Er nennts Vernunft und braucht’s allein285 nennts ] Anennt’s B  B.a   (IV a)
Nur thierischer als jedes Thier zu seyn.
Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Cicaden,
Die immer fliegt und fliegend springt
290Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
Und läg’ er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begräbt er seine Nase.
Der Herr
Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?
295Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
Mephistopheles
Nein Herr! ich find’ es dort, wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.
Der Herr
Kennst du den Faust?
Mephistopheles
Den Doctor?
Der Herr
Meinen Knecht!
Mephistopheles
300Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Thoren Trank noch Speise.
Ihn treibt die Gährung in die Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,
305Und von der Erde jede höchste Lust,
Und alle Näh’ und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
Der Herr
Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient;
So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen.
310Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
Daß Blüt’ und Frucht die künft’gen Jahre zieren.
Mephistopheles
Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren!
Wenn ihr mir die Erlaubniß gebt
Ihn meine Straße sacht zu führen.
Der Herr
315So lang’ er auf der Erde lebt,
So lange sey dir’s nicht verboten.
Es irrt der Mensch so lang er strebt.317 lang ] Alang’ B  B.a   (IV a)
Mephistopheles
Da dank’ ich euch; denn mit den Todten
Hab’ ich mich niemals gern befangen.
320Am meisten lieb’ ich mir die vollen frischen Wangen.320 Am ] An A  B.a Am B   (I a)
Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
Der Herr
Nun gut, es sey dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
325Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh’ beschämt, wenn du bekennen mußt:
Ein guter Mensch, in seinem dunkeln Drange,
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
Mephistopheles
330Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit Lust,
335Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.
Der Herr
Du darfst auch da nur frey erscheinen;
Ich habe deines gleichen nie gehaßt.
Von allen Geistern die verneinen
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
340Des Menschen Thätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,
Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt, und muß, als Teufel, schaffen.
Doch ihr, die ächten Göttersöhne,
345Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfaß’ euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken.
Der Himmel schließt, die Erzengel vertheilen sich,
Mephistopheles
allein
350Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern,
Und hüte mich mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn
353So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

Der Tragödie Erster Theil

Nacht

In einem hochgewölbten, engen, gothischen Zimmer, Faust unruhig auf seinem Sessel am Pultevor 354 Zimmer, ] Zimmer 1 H.5 Zimmer, S Zimmer A  B  B.a   (I c, II a)
Faust
354Habe nun, ach! Philosophie,
355Juristerey und Medicin,
Und leider auch Theologie!
Durchaus studirt, mit heißem Bemühn.
Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
Und bin so klug als wie zuvor;359 bin ] 1 H.5  Sfehlt A bin D.1 bin B  B.a   (I a, II a)
360Heiße Magister, heiße Doctor gar,
Und ziehe schon an die zehen Jahr,
Herauf, herab und quer und krumm,
Meine Schüler an der Nase herum –
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
365Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,
Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
370Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,
Bilde mir nicht ein was rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,372 ein, ] S  A  B.aein 1 H.5 ein B   (IV c)
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,
375Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt.
Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund378 mir bis Mund ] Amir bis Krafft und Mund 1 H.5 mir, bis Mund S mir, bis Mund, B  B.a   (IV a)
Nicht manch Geheimniß würde kund;
380Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß,380 mehr bis Schweiß, ] Amehr bis Schweis 1 H.5 mehr, bis saurem Schweiß, S mehr, bis Schweiß, B  B.a   (IV a)
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;381 brauche, ] S  A  B.abrauche B   (IV c)
Daß ich erkenne, was die Welt382 erkenne, ] S  A  B.aerkenne 1 H.5 erkenne B   (IV c)
Im Innersten zusammenhält,
Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,
385Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.
O sähst du, voller Mondenschein,
Zum letztenmal auf meine Pein,
Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult herangewacht:
390Dann über Büchern und Papier,390 Dann bis Papier, ] S  ADann bis Bücher und Papier 1 H.5 Dann bis Bücher und Papier, S Dann, bis Papier, B  B.a   (IV a)
Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!
Ach! könnt’ ich doch auf Berges-Höh’n,
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
395Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Thau gesund mich baden!
Weh! steck’ ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes, dumpfes Mauerloch!
400Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trüb’ durch gemahlte Scheiben bricht.
Beschränkt von diesem Bücherhauf,402 von ] B  B.avon 1 H.5 mit S  A mit : von G T 5 H.1   (IV b)
Den Würme nagen, Staub bedeckt,
Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,
405Ein angeraucht Papier umsteckt;
Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
Mit Instrumenten vollgepfropft,
Urväter Hausrath drein gestopft –
Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
410Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang’ in deinem Busen klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz
Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
415Da Gott die Menschen schuf hinein,
Umgiebt in Rauch und Moder nur
Dich Thiergeripp’ und Todtenbein.
Flieh! auf! hinaus ins weite Land!418 ins ] Ain’s 1 H.5  S in’s B  B.a   (IV a)
Und dieß geheimnißvolle Buch,
420Von Nostradamus eigner Hand,
Ist dir es nicht Geleit genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
425Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
Umsonst, daß trocknes Sinnen hier426 Umsonst, ] S  AUmsonst 1 H.5 Umsonst! B  B.a Umsonst, 1 H.1  C.1 12  C.3 12   (IV a)
Die heil’gen Zeichen dir erklärt,
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.
430Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück
Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?
435Die mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude füllen,
Und mit geheimnißvollem Trieb,
Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen.
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
440Ich schau’ in diesen reinen Zügen
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:
„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
„Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
445„Auf bade, Schüler, unverdrossen,
„Die ird’sche Brust im Morgenroth!“
Er beschaut das Zeichen.
Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
450Und sich die goldnen Eimer reichen!
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all das All durchklingen!453 all ] 1 H.5  Sall’ A  B  B.a   (II a)
Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur!
455Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?
Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hängt,
Dahin die welke Brust sich drängt –
Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so vergebens?
Er schlägt unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.
460Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
Du, Geist der Erde, bist mir näher;
Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,
Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,
Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,464 Muth, bis wagen, ] S  A  B.aMuth bis wagen 1 H.5 Muth bis wagen, B   (IV c)
465Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
Mit Stürmen mich herumzuschlagen,
Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,
Es wölkt sich über mir –
Der Mond verbirgt sein Licht –
470Die Lampe schwindet!
Es dampft! – Es zucken rothe Strahlen
Mir um das Haupt – Es weht
Ein Schauer vom Gewölb’ herab
Und faßt mich an!
475Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.
Enthülle dich!
Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!
Zu neuen Gefühlen
All meine Sinnen sich erwühlen!479 All ] 1 H.5  SAll’ A  B  B.a   (II a)
480Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du mußt! du mußt! und kostet’ es mein Leben!481 kostet’ ] S  A  B.akostet 1 H.5 kostet B   (I b*)
Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnißvoll aus. Es zuckt eine röthliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.
Geist
Wer ruft mir?
Faust
abgewendet
Schreckliches Gesicht!
Geist
Du hast mich mächtig angezogen,
An meiner Sphäre lang gesogen,484 lang ] lang 1 H.5  S lang’ A  B lang B.a   (I b)
485Und nun –
Faust
485Weh! ich ertrag’ dich nicht!
Geist
Du flehst erathmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn,
Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen
490Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
Wo ist die Brust? die eine Welt in sich erschuf,
Und trug und hegte; die mit Freudebeben
Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben.
Wo bist du, Faust? deß Stimme mir erklang,
495Der sich an mich mit allen Kräften drang?
Bist Du es? der, von meinem Hauch umwittert,
In allen Lebenstiefen zittert,
Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!
Faust
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
500Ich bin’s, bin Faust, bin deines gleichen!
Geist
In Lebensfluthen, im Thatensturm
Wall’ ich auf und ab,
Webe hin und her!503 Webe ] 1 H.5  S  A  T 5 H.1  B.aWehe B  1 H.1  C.1 12  C.3 12   (VII)
Geburt und Grab,
505Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben,
So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
Faust
510Der du die weite Welt umschweifst,
Geschäftiger Geist, wie nah fühl’ ich mich dir!
Geist
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,512 Geist, ] S  A  B.aGeist B   (IV c)
Nicht mir!
Verschwindet
Faust
zusammenstürzend
Nicht dir!
515Wem denn?
Ich Ebenbild der Gottheit!
Und nicht einmal dir!
Es klopft.
O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –
Es wird mein schönstes Glück zu nichte!
520Daß diese Fülle der Gesichte
Der trockne Schleicher stören muß!
Wagner im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig.
Wagner
Verzeiht! ich hör’ euch declamiren;
Ihr las’t gewiß ein griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst möcht’ ich ’was profitiren,524 ’was ] A  Bwas 1 H.5  S was B.a   (II a*)
525Denn heut zu Tage wirkt das viel.
Ich hab’ es öfters rühmen hören,
Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.
Faust
Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;
Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.
Wagner
530Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
Und sieht die Welt kaum einen Feyertag,
Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
Wie soll man sie durch Überredung leiten?
Faust
Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,
535Wenn es nicht aus der Seele dringt,
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus,
540Und blas’t die kümmerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!
Bewund’rung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht;
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
545Wenn es euch nicht von Herzen geht.
Wagner
Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
Ich fühl’ es wohl, noch bin ich weit zurück.547 wohl, ] S  A  B.awohl B   (IV c)
Faust
Such’ Er den redlichen Gewinn!
Sey er kein schellenlauter Thor!
550Es trägt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor;
Und wenn’s euch Ernst ist was zu sagen,
Ist’s nöthig Worten nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
555In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!
Wagner
Ach Gott! die Kunst ist lang;
Und kurz ist unser Leben.
560Mir wird, bey meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang’.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,
565Muß wohl ein armer Teufel sterben.
Faust
Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,566 Pergament, ] S  A  B.aPergament 1 H.5 Pergament B   (IV c)566 heilge ] Aheil’ge S heil’ge B  B.a   (IV a)
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
Wagner
570Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,570–571 Ergetzen, bis versetzen; ] S  A  B.aErgözzen bis versezzen. 1 H.5 Ergetzen bis versetzen, B   (IV c)
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,572 schauen, ] S  A  B.aschauen 1 H.5 schauen B   (IV c)
Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
Faust
O ja, bis an die Sterne weit!
575Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
580Da ist’s dann wahrlich oft ein Jammer!
Man läuft euch bey dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,
Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,
585Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
Wagner
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
Möcht’ jeglicher doch was davon erkennen.587 jeglicher ] S  Aieglicher 1 H.5 Jeglicher B  B.a   (IV a)
Faust
Ja was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind beym rechten Namen nennen?
590Die wenigen, die was davon erkannt,
Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.593 gekreuzigt ] 1 H.5  Sgekreutzigt A  B  1 H.1  C.1 12 gekreuzigt   B.a gekreuzigt C.3 12   (II a)
Ich bitt’ euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
595Wir müssen’s dießmal unterbrechen.
Wagner
Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
Um so gelehrt mit euch mich zu besprechen.
Doch Morgen, als am ersten Ostertage,
Erlaubt mir ein’ und andre Frage.
600Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen,
Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen.
ab
Faust
allein
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schaalem Zeuge klebt,603 schaalem ] Aschaalen 1 H.5 schalem S schalem D.1  B  B.a   (IV a)
Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,
605Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!605 ist, ] S  A  B.aist 1 H.5 ist B   (IV c)
Darf eine solche Menschenstimme hier,
Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
Doch ach! für dießmal dank’ ich dir,
Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
610Du rissest mich von der Verzweiflung los,
Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
Ach! die Erscheinung war so Riesen-groß,
Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
615Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,
Sein selbst genoß, in Himmelsglanz und Klarheit,
Und abgestreift den Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub, dessen freye Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fließen
620Und, schaffend, Götterleben zu genießen
Sich ahndungsvoll vermaß, wie muß ich’s büßen!621 ahndungsvoll ] Aahnungsvoll B  B.a   (IV a)
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen.
Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen;
625So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.
In jenem sel’gen Augenblicke
Ich fühlte mich so klein, so groß,
Du stießest grausam mich zurücke,
Ins ungewisse Menschenloos.
630Wer lehret mich? was soll ich meiden?
Soll ich gehorchen jenem Drang?
Ach! unsre Thaten selbst, so gut als unsre Leiden,
Sie hemmen unsres Lebens Gang.
Dem herrlichsten, was auch der Geist empfangen,634 herrlichsten ] AHerrlichsten B  B.a   (IV a)
635Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
Erstarren in dem irdischen Gewühle.
640Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem Flug,
Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
645Dort wirket sie geheime Schmerzen,
Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
650Du bebst vor allem was nicht trifft,650 allem ] AAllem B  B.a   (IV a)
Und was du nie verlierst das mußt du stets beweinen.
Den Göttern gleich’ ich nicht! zu tief ist es gefühlt;
Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt;
Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
655Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
Ist es nicht Staub? was diese hohe Wand,
Aus hundert Fächern, mir verenget;
Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,
In dieser Mottenwelt mich dränget?
660Hier soll ich finden was mir fehlt?
Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
Daß überall die Menschen sich gequält,
Daß hie und da ein Glücklicher gewesen? –
Was grinsest du mir hohler Schädel her?
665Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret,
Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,666 leichten ] A  B  B.a mon 1 H.1leichten C.1 12  C.3 12 lichten konj Hartung  (III *)
Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.
Ihr Instrumente freylich, spottet mein,
Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel.
670Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel seyn;
Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
Geheimnißvoll am lichten Tag
Läßt sich Natur des Schleyers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
675Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
Du alt Geräthe das ich nicht gebraucht,
Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
So lang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.
680Weit besser hätt’ ich doch mein weniges verpraßt,680 weniges ] AWeniges B  B.a   (IV a)
Als mit dem wenigen belastet hier zu schwitzen!681 wenigen ] AWenigen B  B.a   (IV a)
Was du ererbt von deinen Vätern hast
Erwirb es, um es zu besitzen.683 es, ] A  B.aes B   (IV c)
Was man nicht nützt ist eine schwere Last,
685Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.685 erschafft, ] A  B.aerschafft B   (IV c)
Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?
Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
Warum wird mir auf einmal lieblich helle?
Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz umweht.
690Ich grüße dich, du einzige Phiole!
Die ich mit Andacht nun herunterhole,
In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst.
Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,
695Erweise deinem Meister deine Gunst!
Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach.
Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewiesen,
700Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen,
Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,
An mich heran! Ich fühle mich bereit
Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,
705Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit.
Dieß hohe Leben, diese Götterwonne!
Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
Ja, kehre nur der holden Erdensonne
Entschlossen deinen Rücken zu!
710Vermesse dich die Pforten aufzureißen,
Vor denen jeder gern vorüber schleicht.711 jeder ] AJeder B  B.a   (IV a)
Hier ist es Zeit durch Thaten zu beweisen,
Daß Mannes-Würde nicht der Götterhöhe weicht,
Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,
715In der sich Phantasie zu eigner Quaal verdammt,
Nach jenem Durchgang hinzustreben,
Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen
Und, wär’ es mit Gefahr, ins Nichts dahin zu fließen.719 Und, ] A  B  B.aUnd T 5 H.1 konj Erich Schmidt   (III *)
720Nun komm herab, krystallne reine Schaale!720 Schaale ] ASchale B  B.a   (IV a)
Hervor aus deinem alten Futterale,
An die ich viele Jahre nicht gedacht.
Du glänztest bey der Väter Freudenfeste,
Erheitertest die ernsten Gäste,
725Wenn einer dich dem andern zugebracht.
Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,
Erinnert mich an manche Jugend-Nacht,
730Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen,
Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.
Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.733 Flut ] AFluth B  B.a   (IV a)
Den ich bereitet, den ich wähle,
735Der letzte Trunk sey nun, mit ganzer Seele,
Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
Er setzt die Schale an den Mund.
Glockenklang und Chorgesang
Chor der Engel
Christ ist erstanden!
Freude dem Sterblichen,
Den die verderblichen,
740Schleichenden, erblichen
Mängel umwanden.
Faust
Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,
Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon
745Des Osterfestes erste Feyerstunde?
Ihr Chöre singt ihr schon den tröstlichen Gesang?
Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
Gewißheit einem neuen Bunde.
Chor der Weiber
Mit Spezereyen
750Hatten wir ihn gepflegt,
Wir seine Treuen
Hatten ihn hingelegt;
Tücher und Binden
Reinlich umwanden wir,
755Ach! und wir finden
Christ nicht mehr hier.
Chor der Engel
Christ ist erstanden!
Selig der Liebende,
Der die Betrübende,759 Betrübende ] A  Bbetrübende J.2 betrubende T 5 H.1 betrübende B.a   (I a*)
760Heilsam’ und übende
Prüfung bestanden.
Faust
Was sucht ihr, mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne mich am Staube?763 Himmelstöne ] A  B.aHimmelstöne, J.2 Himmelstöne, B   (VII)
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
765Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben,
Woher die holde Nachricht tönt;
Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
770Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß
Auf mich herab, in ernster Sabathstille;
Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,773 ahndungsvoll ] A  J.2ahnungsvoll B  B.a   (IV a)
Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
775Ein unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,
Und unter tausend heißen Thränen,
Fühlt’ ich mir eine Welt entstehn.
Dieß Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
780Der Frühlingsfeyer freyes Glück;
Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
O! tönet fort ihr süßen Himmelslieder!
Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!
Chor der Jünger
785Hat der Begrabene
Schon sich nach oben,
Lebend Erhabene,
Herrlich erhoben;
Ist er in Werdelust
790Schaffender Freude nah;
Ach! an der Erde Brust,
Sind wir zum Leide da.
Ließ er die Seinen
Schmachtend uns hier zurück;
795Ach! wir beweinen
Meister dein Glück!
Chor der Engel
Christ ist erstanden,
Aus der Verwesung Schoos.798 Schoos ] ASchoß B Schooß B.a   (IV a)
Reißet von Banden
800Freudig euch los!
Thätig ihn preisenden,
Liebe beweisenden,
Brüderlich speisenden,
Predigend reisenden,
805Wonne verheißenden
Euch ist der Meister nah’,
807Euch ist er da!

Vor dem Thor

Spaziergänger aller Art ziehen hinaus
Einige Handwerksbursche
808Warum denn dort hinaus?
Andre
Wir gehn hinaus auf’s Jägerhaus.
Die Ersten
810Wir aber wollen nach der Mühle wandern.
Ein Handwerksbursch
Ich rath’ euch nach dem Wasserhof zu gehn.
Zweyter
Der Weg dahin ist gar nicht schön.
Die Zweyten
Was thust denn du?
Ein Dritter
Ich gehe mit den andern.813 andern ] AAndern B  B.a   (IV a)
Vierter
Nach Burgdorf kommt herauf, gewiß dort findet ihr
815Die schönsten Mädchen und das beste Bier,
Und Händel von der ersten Sorte.
Fünfter
Du überlustiger Gesell,
Juckt dich zum drittenmal das Fell?
Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.
Dienstmädchen
820Nein, nein! ich gehe nach der Stadt zurück.
Andre
Wir finden ihn gewiß bey jenen Pappeln stehen.
Erste
Das ist für mich kein großes Glück;
Er wird an deiner Seite gehen,
Mit dir nur tanzt er auf dem Plan.
825Was gehn mich deine Freuden an!
Andre
Heut ist er sicher nicht allein,
Der Krauskopf, sagt er, würde bey ihm seyn.
Schüler
Blitz wie die wackern Dirnen schreiten!
Herr Bruder komm! wir müssen sie begleiten.
830Ein starkes Bier, ein beizender Toback,
Und eine Magd im Putz das ist nun mein Geschmack.
Bürgermädchen
Da sieh mir nur die schönen Knaben!
Es ist wahrhaftig eine Schmach,
Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben,
835Und laufen diesen Mägden nach!
Zweyter Schüler
zum ersten
Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwey,
Sie sind gar niedlich angezogen,
’s ist meine Nachbarin dabey;
Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.
840Sie gehen ihren stillen Schritt
Und nehmen uns doch auch am Ende mit.
Erster
Herr Bruder nein! Ich bin nicht gern genirt.
Geschwind! daß wir das Wildpret nicht verlieren.
Die Hand, die Samstags ihren Besen führt,
845Wird Sontags dich am besten caressiren.845 Sontags ] ASonntags B  B.a   (IV a)
Bürger
Nein, er gefällt mir nicht der neue Burgemeister!
Nun, da er’s ist, wird er nur täglich dreister.
Und für die Stadt was thut denn er?
Wird es nicht alle Tage schlimmer?
850Gehorchen soll man mehr als immer,
Und zahlen mehr als je vorher.
Bettler
singt
Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,852–859 Die Verse sind in allen Drucken nicht eingerückt; in Q wurden sie ebenso wie die Verse 949–980 eingerückt.  (VII)
So wohlgeputzt und backenroth,
Belieb’ es euch mich anzuschauen,
855Und seht und mildert meine Noth!
Laßt hier mich nicht vergebens leyern!
Nur der ist froh, der geben mag.
Ein Tag den alle Menschen feyern,
Er sey für mich ein Ärndetag.859 Ärndetag ] AÄrntetag B Erntetag B.a   (IV a)
Andrer Bürger
860Nichts bessers weiß ich mir an Sonn- und Feyertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrey,
Wenn hinten, weit, in der Türkey,
Die Völker auf einander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
865Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man Abends froh nach Haus,
Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.
Dritter Bürger
Herr Nachbar, ja! so laß ich’s auch geschehn,
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
870Mag alles durch einander gehn;
Doch nur zu Hause bleib’s beym Alten.
Alte
zu den Bürgermädchen
Ey! wie geputzt! das schöne junge Blut!
Wer soll sich nicht in euch vergaffen? –
Nur nicht so stolz! es ist schon gut!
875Und was ihr wünscht das wüßt’ ich wohl zu schaffen.
Bürgermädchen
Agathe fort! ich nehme mich in Acht
Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen;
Sie ließ mich zwar, in Sanct Andreas Nacht,
Den künftgen Liebsten leiblich sehen.879 künftgen ] Akünft’gen B  B.a   (IV a)
Die Andre
880Mir zeigte sie ihn im Krystall,
Soldatenhaft, mit mehreren Verwegnen;
Ich seh’ mich um, ich such’ ihn überall,
Allein mir will er nicht begegnen.
Soldaten
Burgen mit hohen
885Mauern und Zinnen,
Mädchen mit stolzen
Höhnenden Sinnen
Möcht’ ich gewinnen!
Kühn ist das Mühen,
890Herrlich der Lohn!
Und die Trompete
Lassen wir werben,
Wie zu der Freude,
So zum Verderben.
895Das ist ein Stürmen!
Das ist ein Leben!
Mädchen und Burgen
Müssen sich geben.
Kühn ist das Mühen,
900Herrlich der Lohn!
Und die Soldaten
Ziehen davon.
Faust und Wagner
Faust
Vom Eise befreyt sind Strom und Bäche,
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
905Im Thale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
910In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,914 fehlts ] Afehlt’s B  B.a   (IV a)
915Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen.
Aus dem hohlen finstren Thor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
920Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feyern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
925Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
930Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß, in Breit’ und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
935Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
940Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s seyn.
Wagner
Mit euch, Herr Doctor, zu spazieren
Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
Doch würd’ ich nicht allein mich her verlieren,
Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
945Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben,
Ist mir ein gar verhaßter Klang;
Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
Und nennen’s Freude, nennen’s Gesang.
Bauern
unter der Linde
Tanz und Gesang
Der Schäfer putzte sich zum Tanz,949–980 nicht eingerückt A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12 eingerückt Q   (VII)
950Mit bunter Jacke, Band und Kranz,
Schmuck war er angezogen.
Schon um die Linde war es voll
Und alles tanzte schon wie toll.
Juchhe! Juchhe!
955Juchheisa! Heisa! He!
So ging der Fiedelbogen.
Er drückte hastig sich heran,
Da stieß er an ein Mädchen an,958 an, ] A  B.aan B   (IV c)
Mit seinem Ellenbogen;
960Die frische Dirne kehrt sich um
Und sagte: nun das find’ ich dumm!
Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
Seyd nicht so ungezogen.
965Doch hurtig in dem Kreise ging’s,
Sie tanzten rechts sie tanzten links966 rechts ] Arechts, B  B.a   (IV a)
Und alle Röcke flogen.
Sie wurden roth, sie wurden warm
Und ruhten athmend Arm in Arm,
970Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
Und Hüft’ an Ellenbogen.
Und thu mir doch nicht so vertraut!973 thu ] Athu’ B  B.a   (IV a)
Wie mancher hat nicht seine Braut974 mancher ] AMancher B  B.a   (IV a)
975Belogen und betrogen!
Er schmeichelte sie doch bey Seit’
Und von der Linde scholl es weit:
Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
980Geschrei und Fiedelbogen.
Alter Bauer
Herr Doctor, das ist schön von euch,
Daß ihr uns heute nicht verschmäht,
Und unter dieses Volksgedräng’,
Als ein so Hochgelahrter, geht.
985So nehmet auch den schönsten Krug,
Den wir mit frischem Trunk gefüllt,
Ich bring’ ihn zu und wünsche laut,
Daß er nicht nur den Durst euch stillt;988 stillt; ] Das Semikolon fehlt in manchen Exemplaren von A.  (VII)
Die Zahl der Tropfen, die er hegt,
990Sey euren Tagen zugelegt.
Faust
Ich nehme den Erquickungs-Trank,
Erwiedr’ euch allen Heil und Dank.
Das Volk sammelt sich im Kreis umher
Alter Bauer
Fürwahr es ist sehr wohl gethan,
Daß ihr am frohen Tag erscheint;
995Habt ihr es vormals doch mit uns
An bösen Tagen gut gemeynt!996 gemeynt ] Agemeint B  B.a   (IV a)
Gar mancher steht lebendig hier,
Den euer Vater noch zuletzt
Der heißen Fieberwuth entriß,
1000Als er der Seuche Ziel gesetzt.
Auch damals ihr, ein junger Mann,
Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
Gar manche Leiche trug man fort,
Ihr aber kamt gesund heraus,
1005Bestandet manche harte Proben;
Dem Helfer half der Helfer droben.
Alle
Gesundheit dem bewährten Mann,
Daß er noch lange helfen kann!
Faust
Vor jenem droben steht gebückt,
1010Der helfen lehrt und Hülfe schickt.
Er geht mit Wagnern weiter.
Wagner
Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann!
Bey der Verehrung dieser Menge haben!
O! glücklich! wer von seinen Gaben
Solch einen Vortheil ziehen kann.
1015Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
Ein jeder fragt und drängt und eilt,
Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
Du gehst, in Reihen stehen sie,
Die Mützen fliegen in die Höh’;
1020Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
Als käm’ das Venerabile.
Faust
Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
Hier saß ich oft gedankenvoll allein
1025Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
An Hoffnung reich, im Glauben fest,
Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
Dacht’ ich das Ende jener Pest
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
1030Der Menge Beyfall tönt mir nun wie Hohn.
O könntest du in meinem Innern lesen,
Wie wenig Vater und Sohn
Solch eines Ruhmes werth gewesen!
Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
1035Der über die Natur und ihre heilgen Kreise,
In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
Mit grillenhafter Mühe sann.
Der, in Gesellschaft von Adepten,
Sich in die schwarze Küche schloß,
1040Und, nach unendlichen Recepten,
Das Widrige zusammengoß.
Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer,
Im lauen Bad, der Lilie vermählt
Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer,
1045Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
Erschien darauf, mit bunten Farben,
Die junge Königin im Glas,
Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?
1050So haben wir, mit höllischen Latwergen,
In diesen Thälern, diesen Bergen,
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,
Sie welkten hin, ich muß erleben
1055Daß man die frechen Mörder lobt.
Wagner
Wie könnt ihr euch darum betrüben!
Thut nicht ein braver Mann genug;
Die Kunst, die man ihm übertrug,
Gewissenhaft und pünctlich auszuüben.
1060Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
So wirst du gern von ihm empfangen;
Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.
Faust
O! glücklich! wer noch hoffen kann
1065Aus diesem Meer des Irrthums aufzutauchen.
Was man nicht weiß das eben brauchte man,
Und was man weiß kann man nicht brauchen.
Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut,
Durch solchen Trübsinn, nicht verkümmern!
1070Betrachte wie, in Abendsonne-Glut,
Die grünumgebnen Hütten schimmern.
Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
O! daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
1075Ihr nach und immer nach zu streben.
Ich säh’ im ewigen Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füßen,
Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Thal,
Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
1080Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
Vor den erstaunten Augen auf.
Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;1084 Göttin ] AGöttinn B  B.a   (IV a)
1085Allein der neue Trieb erwacht,
Ich eile fort ihr ew’ges Licht zu trinken,
Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,
Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
1090Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
Doch ist es jedem eingeboren,1092 jedem ] AJedem B  B.a   (IV a)
Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
1095Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,
Und über Flächen, über Seen,
Der Kranich nach der Heimat strebt.
Wagner
1100Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
Doch solchen Trieb hab’ ich noch nie empfunden.
Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt,
Des Vogels Fittig werd’ ich nie beneiden.
Wie anders tragen uns die Geistesfreuden,
1105Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
Da werden Winternächte hold und schön,
Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen;
So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.
Faust
1110Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,
O lerne nie den andern kennen!
Zwey Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
1115Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust,
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
O giebt es Geister in der Luft,
Die zwischen Erd’ und Himmel herrschend weben,
1120So steiget nieder aus dem goldnen Duft
Und führt mich weg, zu neuem buntem Leben!
Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!
Und trüg’ er mich in fremde Länder,
Mir sollt’ er, um die köstlichsten Gewänder,
1125Nicht feil um einen Königsmantel seyn.
Wagner
Berufe nicht die wohlbekannte Schaar,
Die, strömend, sich im Dunstkreis überbreitet,
Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
Von allen Enden her, bereitet.
1130Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
Auf dich herbey, mit pfeilgespitzten Zungen;
Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
Und nähren sich von deinen Lungen;
Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
1135Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,
So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,
Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen,
1140Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
Doch gehen wir! ergraut ist schon die Welt,
Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
Am Abend schätzt man erst das Haus. –
1145Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?
Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?
Faust
Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?
Wagner
Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.
Faust
Betracht’ ihn recht! für was hältst du das Thier?
Wagner
1150Für einen Pudel, der auf seine Weise
Sich auf der Spur des Herren plagt.
Faust
Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
Er um uns her und immer näher jagt?
Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
1155Auf seinen Pfaden hinterdrein.
Wagner
Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel,
Es mag bey euch wohl Augentäuschung seyn.
Faust
Mir scheint es, daß er magisch leise Schlingen,
Zu künftgem Band, um unsre Füße zieht.1159 künftgem ] A  J.2künft’gem D.1 künft’gem B  B.a   (IV a)
Wagner
1160Ich seh’ ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,
Weil er, statt seines Herrn, zwey Unbekannte sieht.
Faust
Der Kreis wird eng, schon ist er nah!
Wagner
Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
1165Er wedelt. Alles Hunde Brauch.
Faust
Geselle dich zu uns! Komm hier!
Wagner
Es ist ein pudelnärrisch Thier.
Du stehest still, er wartet auf;
Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;
1170Verliere was, er wird es bringen,
Nach deinem Stock ins Wasser springen.
Faust
Du hast wohl recht, ich finde nicht die Spur
Von einem Geist, und alles ist Dressur.1173 alles ] A  J.2Alles B  B.a   (IV a)
Wagner
Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
1175Wird selbst ein weiser Mann gewogen.
Ja deine Gunst verdient er ganz und gar
1177Er, der Studenten trefflicher Scolar.
Sie gehen in das Stadt-Thor.

Studirzimmer

Faust
mit dem Pudel hereintretend
1178Verlassen hab’ ich Feld und Auen,
Die eine tiefe Nacht bedeckt,
1180Mit ahndungsvollem heil’gem Grauen1180 ahndungsvollem ] Aahnungsvollem B  B.a   (IV a)
In uns die bessre Seele weckt.
Entschlafen sind nun wilde Triebe,
Mit jedem ungestümen Thun;
Es reget sich die Menschenliebe,
1185Die Liebe Gottes regt sich nun.
Sey ruhig Pudel! renne nicht hin und wieder!
An der Schwelle was schnoperst du hier?1187 schnoperst ] Aschnoberst B schnopperst B.a   (IV a)
Lege dich hinter den Ofen nieder,
Mein bestes Kissen geb’ ich dir.
1190Wie du draußen auf dem bergigen Wege,
Durch Rennen und Springen, ergetzt uns hast,
So nimm nun auch von mir die Pflege,
Als ein willkommner stiller Gast.
Ach wenn in unsrer engen Zelle
1195Die Lampe freundlich wieder brennt,
Dann wird’s in unserm Busen helle,
Im Herzen, das sich selber kennt.
Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
Und Hoffnung wieder an zu blühn,
1200Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
Ach! nach des Lebens Quelle hin.
Knurre nicht Pudel! Zu den heiligen Tönen,
Die jetzt meine ganze Seel’ umfassen,
Will der thierische Laut nicht passen.
1205Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen
Was sie nicht verstehn,
Daß sie vor dem Guten und Schönen,
Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;
Will es der Hund, wie sie, beknurren?
1210Aber ach! schon fühl’ ich, bey dem besten Willen,
Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
Und wir wieder im Durste liegen?
Davon hab’ ich so viel Erfahrung.
1215Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,
Wir lernen das Überirdische schätzen,
Wir sehnen uns nach Offenbarung,
Die nirgends würd’ger und schöner brennt,
Als in dem neuen Testament.
1220Mich drängt’s den Grundtext aufzuschlagen,
Mit redlichem Gefühl einmal
Das heilige Original
In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.
Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.
Geschrieben steht: „im Anfang war das Wort!“
1225Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.
1230Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?1232 alles ] AAlles B  B.a   (IV a)
Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
1235Schon warnt mich was, daß ich dabey nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! auf einmal seh’ ich Rath
Und schreibe getrost: im Anfang war die That!
Soll ich mit dir das Zimmer theilen,
Pudel, so laß das Heulen,
1240So laß das Bellen!
Solch einen störenden Gesellen
Mag ich nicht in der Nähe leiden.
Einer von uns beyden
Muß die Zelle meiden.
1245Ungern heb’ ich das Gastrecht auf,
Die Thür’ ist offen, hast freyen Lauf.
Aber was muß ich sehen!
Kann das natürlich geschehen?
Ist es Schatten? ist’s Wirklichkeit?
1250Wie wird mein Pudel lang und breit!
Er hebt sich mit Gewalt,
Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
Welch ein Gespenst bracht’ ich ins Haus!
Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
1255Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
O! du bist mir gewiß!
Für solche halbe Höllenbrut
Ist Salomonis Schlüssel gut.
Geister
auf dem Gange
Drinnen gefangen ist einer!
1260Bleibet haußen, folg’ ihm keiner!
Wie im Eisen der Fuchs,
Zagt ein alter Höllenluchs.
Aber gebt Acht!
Schwebet hin, schwebet wieder,
1265Auf und nieder,
Und er hat sich losgemacht.
Könnt ihr ihm nützen,
Laßt ihn nicht sitzen!
Denn er that uns allen
1270Schon viel zu Gefallen.
Faust
Erst zu begegnen dem Thiere,
Brauch’ ich den Spruch der Viere:
Salamander soll glühen,
Undene sich winden,
1275Silphe verschwinden,
Kobold sich mühen.
Wer sie nicht kennte
Die Elemente,
Ihre Kraft
1280Und Eigenschaft,
Wäre kein Meister
Über die Geister.
Verschwind’ in Flammen
Salamander!
1285Rauschend fließe zusammen
Undene!
Leucht’ in Meteoren-Schöne
Silphe!
Bring’ häußliche Hülfe1289 häußliche ] Ahäusliche B  B.a   (IV a)
1290 Incubus! incubus!
Tritt hervor und mache den Schluß.
Keines der Viere
Steckt in dem Thiere.
Es liegt ganz ruhig und grins’t mich an,
1295Ich hab’ ihm noch nicht weh gethan.
Du sollst mich hören
Stärker beschwören.
Bist du Geselle
Ein Flüchtling der Hölle?
1300So sieh dies Zeichen!
Dem sie sich beugen
Die schwarzen Schaaren.
Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
Verworfnes Wesen!
1305Kannst du ihn lesen?
Den nie entsprossnen,1306 entsprossnen ] A  Bentsproßnen B.a   (II a*)
Unausgesprochnen,
Durch alle Himmel gegossnen,1308 gegossnen ] A  Bgegoßnen B.a   (II a*)
Freventlich durchstochnen.
1310Hinter den Ofen gebannt
Schwillt es wie ein Elephant,
Den ganzen Raum füllt es an,
Es will zum Nebel zerfließen.
Steige nicht zur Decke hinan!
1315Lege dich zu des Meisters Füßen!
Du siehst daß ich nicht vergebens drohe.
Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
Erwarte nicht
Das dreymal glühende Licht!
1320Erwarte nicht
Die stärkste von meinen Künsten!
Mephistopheles
tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholastikus, hinter dem Ofen hervor
Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?
Faust
Das also war des Pudels Kern!
Ein fahrender Scolast? Der Casus macht mich lachen.
Mephistopheles
1325Ich salutire den gelehrten Herrn!
Ihr habt mich weidlich schwitzen machen.
Faust
Wie nennst du dich?
Mephistopheles
Die Frage scheint mir klein,1327 klein, ] A  B.aklein B   (IV c)
Für einen der das Wort so sehr verachtet,
Der, weit entfernt von allem Schein,
1330Nur in der Wesen Tiefe trachtet.
Faust
Bey euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
Wo es sich allzudeutlich weis’t,
Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.
1335Nun gut wer bist du denn?
Mephistopheles
1335Ein Theil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
Faust
Was ist mit diesem Räthselwort gemeynt?1337 gemeynt ] Agemeint B  B.a   (IV a)
Mephistopheles
Ich bin der Geist der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles was entsteht
1340Ist werth daß es zu Grunde geht;
Drum besser wär’s daß nichts entstünde.
So ist denn alles was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.
Faust
1345Du nennst dich einen Theil, und stehst doch ganz vor mir?
Mephistopheles
Bescheidne Wahrheit sprech’ ich dir.
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
Gewöhnlich für ein Ganzes hält;
Ich bin ein Theil des Theils, der Anfangs alles war,
1350Ein Theil der Finsterniß, die sich das Licht gebar,
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
Und doch gelingt’s ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.
1355Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt’s auf seinem Gange,
So, hoff’ ich, dauert es nicht lange
Und mit den Körpern wird’s zu Grunde gehn.
Faust
Nun kenn’ ich deine würd’gen Pflichten!
1360Du kannst im Großen nichts vernichten
Und fängst es nun im Kleinen an.
Mephistopheles
Und freylich ist nicht viel damit gethan.
Was sich dem Nichts entgegenstellt,
Das Etwas, diese plumpe Welt,
1365So viel als ich schon unternommen
Ich wußte nicht ihr beyzukommen,
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand,
Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
Und dem verdammten Zeug, der Thier- und Menschenbrut,
1370Dem ist nun gar nichts anzuhaben,
Wie viele hab’ ich schon begraben!
Und immer zirkulirt ein neues, frisches Blut.
So geht es fort, man möchte rasend werden!
Der Luft, dem Wasser, wie der Erden
1375Entwinden tausend Keime sich,
Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
Hätt’ ich mir nicht die Flamme vorbehalten;
Ich hätte nichts apart’s für mich.
Faust
So setzest du der ewig regen,
1380Der heilsam schaffenden Gewalt
Die kalte Teufelsfaust entgegen,
Die sich vergebens tückisch ballt!
Was anders suche zu beginnen
Des Chaos wunderlicher Sohn!
Mephistopheles
1385Wir wollen wirklich uns besinnen,
Die nächstenmale mehr davon!
Dürft’ ich wohl diesmal mich entfernen?
Faust
Ich sehe nicht warum du fragst.
Ich habe jetzt dich kennen lernen,
1390Besuche nun mich wie du magst.
Hier ist das Fenster, hier die Thüre,
Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.
Mephistopheles
Gesteh’ ichs nur! daß ich hinausspaziere1393 ichs ] Aich’s B  B.a   (IV a)
Verbietet mir ein kleines Hinderniß,
1395Der Drudenfuß auf eurer Schwelle –
Faust
Das Pentagramma macht dir Pein?
Ey sage mir, du Sohn der Hölle,
Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
Wie ward ein solcher Geist betrogen?
Mephistopheles
1400Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen;
Der eine Winkel, der nach außen zu,
Ist, wie du siehst, ein wenig offen.
Faust
Das hat der Zufall gut getroffen!
Und mein Gefangner wärst denn du?
1405Das ist von ohngefähr gelungen!
Mephistopheles
Der Pudel merkte nichts als er hereingesprungen,
Die Sache sieht jetzt anders aus;
Der Teufel kann nicht aus dem Haus.
Faust
Doch warum gehst du nicht durchs Fenster?1409 durchs ] Adurch’s B  B.a   (IV a)
Mephistopheles
1410’s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
Das erste steht uns frey, beym zweyten sind wir Knechte.
Faust
Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
Das find’ ich gut, da ließe sich ein Packt,
1415Und sicher wohl, mit euch ihr Herren schließen?
Mephistopheles
Was man verspricht, das sollst du rein genießen,
Dir wird davon nichts abgezwackt.
Doch das ist nicht so kurz zu fassen,
Und wir besprechen das zunächst;
1420Doch jetzo bitt’ ich, hoch und höchst,
Für diesesmal mich zu entlassen.
Faust
So bleibe doch noch einen Augenblick,
Um mir erst gute Mähr zu sagen.
Mephistopheles
Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück,
1425Dann magst du nach Belieben fragen.
Faust
Ich habe dir nicht nachgestellt,
Bist du doch selbst ins Garn gegangen.
Den Teufel halte wer ihn hält!
Er wird ihn nicht sobald zum zweytenmale fangen.
Mephistopheles
1430Wenn dir’s beliebt, so bin ich auch bereit
Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben;
Doch mit Bedingniß, dir die Zeit,
Durch meine Künste, würdig zu vertreiben.
Faust
Ich seh’ es gern, das steht dir frey;
1435Nur daß die Kunst gefällig sey!
Mephistopheles
Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen,
In dieser Stunde mehr gewinnen,
Als in des Jahres Einerley.
Was dir die zarten Geister singen,
1440Die schönen Bilder die sie bringen,
Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
Und dann entzückt sich dein Gefühl.
1445Bereitung braucht es nicht voran,
Beysammen sind wir, fanget an!
Geister
Schwindet ihr dunkeln
Wölbungen droben!
Reizender schaue,
1450Freundlich, der blaue
Äther herein!
Wären die dunkeln
Wolken zerronnen!
Sternelein funkeln,
1455Mildere Sonnen
Scheinen darein.
Himmlischer Söhne
Geistige Schöne,
Schwankende Beugung
1460Schwebet vorüber.
Sehnende Neigung
Folget hinüber;
Und der Gewänder
Flatternde Bänder
1465Decken die Länder,
Decken die Laube,
Wo sich für’s Leben,
Tief in Gedanken,
Liebende geben.
1470Laube bey Laube!
Sprossende Ranken!
Lastende Traube
Stürzt in’s Behälter
Drängender Kelter,
1475Stürzen in Bächen
Schäumende Weine,
Rieseln durch reine,
Edle Gesteine,
Lassen die Höhen
1480Hinter sich liegen,
Breiten zu Seen
Sich ums Genügen
Grünender Hügel.
Und das Geflügel
1485Schlürfet sich Wonne,
Flieget der Sonne,
Flieget den hellen
Inseln entgegen,
Die sich auf Wellen
1490Gauklend bewegen;
Wo wir in Chören
Jauchzende hören,
Über den Auen
Tanzende schauen,
1495Die sich im Freyen
Alle zerstreuen.
Einige glimmen1497 glimmen ] A  Bklimmen B.a   (VII)
Über die Höhen,
Andere schwimmen
1500Über die Seen,
Andere schweben;
Alle zum Leben,
Alle zur Ferne
Liebender Sterne
1505Seliger Huld.
Mephistopheles
Er schläft! So recht, ihr luft’gen, zarten Jungen!
Ihr habt ihn treulich eingesungen!
Für dies Concert bin ich in eurer Schuld.
Du bist noch nicht der Mann den Teufel fest zu halten!
1510Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten,
Versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten
Bedarf ich eines Rattenzahns.
Nicht lange brauch’ ich zu beschwören,
1515Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich hören.
Der Herr der Ratten und der Mäuse,
Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse,
Befiehlt dir dich hervor zu wagen
Und diese Schwelle zu benagen,
1520So wie er sie mit Öl betupft –
Da kommst du schon hervorgehupft!
Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich bannte,
Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
Noch einen Biß, so ist’s geschehn. –
1525Nun Fauste träume fort, bis wir uns wiedersehn.
Faust
erwachend
Bin ich denn abermals betrogen?
Verschwindet so der geisterreiche Drang?
Daß mir ein Traum den Teufel vorgelogen,
1529Und daß ein Pudel mir entsprang.

Studirzimmer

Faust. Mephistopheles
Faust
1530Es klopft? Herein! Wer will mich wieder plagen?
Mephistopheles
Ich bin’s.
Faust
Herein!
Mephistopheles
Du mußt es dreymal sagen.
Faust
Herein denn!
Mephistopheles
So gefällst du mir.
Wir werden, hoff’ ich, uns vertragen;
Denn dir die Grillen zu verjagen
1535Bin ich, als edler Junker, hier,
In rothem goldverbrämten Kleide,
Das Mäntelchen von starrer Seide,
Die Hahnenfeder auf dem Hut,
Mit einem langen, spitzen Degen,
1540Und rathe nun dir, kurz und gut,
Dergleichen gleichfalls anzulegen;
Damit du, losgebunden, frey,
Erfahrest was das Leben sey.
Faust
In jedem Kleide werd’ ich wohl die Pein
1545Des engen Erdelebens fühlen.
Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
Zu jung, um ohne Wunsch zu seyn.
Was kann die Welt mir wohl gewähren?
Entbehren sollst du! sollst entbehren!
1550Das ist der ewige Gesang,
Der jedem an die Ohren klingt,
Den, unser ganzes Leben lang,
Uns heiser jede Stunde singt.
Nur mit Entsetzen wach’ ich Morgens auf,
1555Ich möchte bittre Thränen weinen,
Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,
Der selbst die Ahndung jeder Lust1558 Ahndung ] AAhnung B  B.a   (IV a)
Mit eigensinnigem Krittel mindert,
1560Die Schöpfung meiner regen Brust
Mit tausend Lebensfratzen hindert.
Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
Mich ängstlich auf das Lager strecken,
Auch da wird keine Rast geschenkt,
1565Mich werden wilde Träume schrecken.
Der Gott, der mir im Busen wohnt,
Kann tief mein Innerstes erregen,
Der über allen meinen Kräften thront,
Er kann nach außen nichts bewegen;
1570Und so ist mir das Daseyn eine Last,
Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.
Mephistopheles
Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast.
Faust
O seelig der! dem er im Siegesglanze1573 seelig ] Aselig B  B.a   (IV a)
Die blutgen Lorbeern um die Schläfe windet,1574 blutgen ] Ablut’gen D.1 blut’gen B  B.a   (IV a)1574 Lorbeern ] ALorber’n B Lorbern B.a   (IV a)
1575Den er, nach rasch durchrastem Tanze,
In eines Mädchens Armen findet.
O wär’ ich vor des hohen Geistes Kraft
Entzückt, entseelt dahin gesunken!
Mephistopheles
Und doch hat Jemand einen braunen Saft,
1580In jener Nacht, nicht ausgetrunken.
Faust
Das Spioniren, scheint’s, ist deine Lust.
Mephistopheles
Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewußt.
Faust
Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
Ein süß bekannter Ton mich zog,
1585Den Rest von kindlichem Gefühle
Mit Anklang froher Zeit betrog;
So fluch’ ich allem was die Seele
Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt,
Und sie in diese Trauerhöle1589 Trauerhöle ] ATrauerhöhle B  B.a   (IV a)
1590Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt!
Verflucht voraus die hohe Meinung,
Womit der Geist sich selbst umfängt!
Verflucht das Blenden der Erscheinung,
Die sich an unsre Sinne drängt!
1595Verflucht was uns in Träumen heuchelt,
Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
Verflucht was als Besitz uns schmeichelt,
Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
Verflucht sey Mammon, wenn mit Schätzen
1600Er uns zu kühnen Thaten regt,
Wenn er zu müßigem Ergetzen
Die Polster uns zurechte legt!
Fluch sey dem Balsamsaft der Trauben!
Fluch jener höchsten Liebeshuld!
1605Fluch sey der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
Und Fluch vor allen der Geduld!
Geisterchor
unsichtbar
Weh! weh!
Du hast sie zerstört,
Die schöne Welt,
1610Mit mächtiger Faust,
Sie stürzt, sie zerfällt!
Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
Wir tragen
Die Trümmern ins Nichts hinüber,
1615Und klagen
Über die verlorne Schöne.
Mächtiger
Der Erdensöhne,
Prächtiger
1620Baue sie wieder,
In deinem Busen baue sie auf!
Neuen Lebenslauf
Beginne,
Mit hellem Sinne,
1625Und neue Lieder
Tönen darauf!
Mephistopheles
Dies sind die kleinen
Von den Meinen.
Höre, wie zu Lust und Thaten
1630Altklug sie rathen!
In die Welt weit,
Aus der Einsamkeit,
Wo Sinnen und Säfte stocken,
Wollen sie dich locken.
1635Hör’ auf mit deinem Gram zu spielen,
Der, wie ein Geyer, dir am Leben frißt;
Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen
Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
Doch so ist’s nicht gemeynt1639 gemeynt ] Agemeint B  B.a   (IV a)
1640Dich unter das Pack zu stoßen.
Ich bin keiner von den Großen;
Doch willst du, mit mir vereint,
Deine Schritte durchs Leben nehmen;
So will ich mich gern bequemen
1645Dein zu seyn, auf der Stelle.
Ich bin dein Geselle
Und, mach’ ich dir’s recht,
Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!
Faust
Und was soll ich dagegen dir erfüllen?
Mephistopheles
1650Dazu hast du noch eine lange Frist.
Faust
Nein nein! der Teufel ist ein Egoist
Und thut nicht leicht um Gottes Willen
Was einem andern nützlich ist.1653 andern ] AAndern B  B.a   (IV a)
Sprich die Bedingung deutlich aus;
1655Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.
Mephistopheles
Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden,
Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
Wenn wir uns drüben wieder finden,
So sollst du mir das Gleiche thun.
Faust
1660Das Drüben kann mich wenig kümmern,
Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
Die andre mag darnach entstehn.
Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
1665Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
Dann mag was will und kann geschehn.
Davon will ich nichts weiter hören,
Ob man auch künftig haßt und liebt,
Und ob es auch in jenen Sphären
1670Ein Oben oder Unten giebt.
Mephistopheles
In diesem Sinne kannst du’s wagen.
Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
Mit Freuden meine Künste sehn,
Ich gebe dir was noch kein Mensch gesehn.
Faust
1675Was willst du armer Teufel geben?
Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
Von deines Gleichen je gefaßt?
Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast
Du rothes Gold, das ohne Rast,
1680Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
Ein Spiel, bey dem man nie gewinnt,
Ein Mädchen, das an meiner Brust
Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
Der Ehre schöne Götterlust,
1685Die, wie ein Meteor, verschwindet.
Zeig mir die Frucht die fault, eh’ man sie bricht,
Und Bäume die sich täglich neu begrünen!
Mephistopheles
Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
Mit solchen Schätzen kann ich dienen.
1690Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran
Wo wir was Gut’s in Ruhe schmausen mögen.
Faust
Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen;
So sey es gleich um mich gethan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
1695Daß ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuß betrügen;
Das sey für mich der letzte Tag!
Die Wette biet’ ich!
Mephistopheles
Top!
Faust
Und Schlag auf Schlag!
Werd’ ich zum Augenblicke sagen:
1700Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zu Grunde gehn!
Dann mag die Todtenglocke schallen,
Dann bist du deines Dienstes frey,
1705Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
Es sey die Zeit für mich vorbey!
Mephistopheles
Bedenk’ es wohl, wir werden’s nicht vergessen.
Faust
Dazu hast du ein volles Recht;
Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
1710Wie ich beharre bin ich Knecht,
Ob dein, was frag’ ich, oder wessen.
Mephistopheles
Ich werde heute gleich, beym Doctorschmaus,
Als Diener, meine Pflicht erfüllen.
Nur eins! – um Lebens oder Sterbens willen,
1715Bitt’ ich mir ein Paar Zeilen aus.
Faust
Auch was geschriebnes forderst du Pedant?
Hast du noch keinen Mann, nicht Mannes-Wort gekannt?
Ist’s nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
1720Ras’t nicht die Welt in allen Strömen fort,
Und mich soll ein Versprechen halten?
Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
Wer mag sich gern davon befreyen?
Beglückt wer Treue rein im Busen trägt,
1725Kein Opfer wird ihn je gereuen!
Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
Ist ein Gespenst vor dem sich alle scheuen.1727 alle ] AAlle B  B.a   (IV a)
Das Wort erstirbt schon in der Feder,
Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
1730Was willst du böser Geist von mir?
Erz, Marmor, Pergament, Papier?
Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
Ich gebe jede Wahl dir frey.
Mephistopheles
Wie magst du deine Rednerey
1735Nur gleich so hitzig übertreiben?
Ist doch ein jedes Blättchen gut.
Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.
Faust
Wenn dieß dir völlig G’nüge thut,
So mag es bey der Fratze bleiben.
Mephistopheles
1740Blut ist ein ganz besondrer Saft.
Faust
Nur keine Furcht, daß ich dieß Bündniß breche!
Das Streben meiner ganzen Kraft
Ist g’rade das was ich verspreche.
Ich habe mich zu hoch gebläht,
1745In deinen Rang gehör’ ich nur.
Der große Geist hat mich verschmäht,
Vor mir verschließt sich die Natur.
Des Denkens Faden ist zerrissen,
Mir ekelt lange vor allem Wissen.
1750Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
Uns glühende Leidenschaften stillen!
In undurchdrungnen Zauberhüllen
Sey jedes Wunder gleich bereit!
Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit
1755In’s Rollen der Begebenheit!
Da mag denn Schmerz und Genuß,
Gelingen und Verdruß,
Mit einander wechseln wie es kann;
Nur rastlos bethätigt sich der Mann.
Mephistopheles
1760Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
Beliebt’s euch überall zu naschen,
Im Fliehen etwas zu erhaschen;
Bekomm euch wohl was euch ergetzt.
Nur greift mir zu und seyd nicht blöde!
Faust
1765Du hörest ja, von Freud’ ist nicht die Rede.
Dem Taumel weih’ ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
1770Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
1775Und, wie sie selbst, am End’ auch ich zerscheitern.
Mephistopheles
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten Speise kaut,
Daß von der Wiege bis zur Bahre
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
1780Glaub’ unser einem, dieses Ganze
Ist nur für einen Gott gemacht!
Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
Faust
1785Allein ich will!
Mephistopheles
1785Das läßt sich hören!
Doch nur vor Einem ist mir bang’;
Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
Ich dächt’, ihr ließet euch belehren.
Associirt euch mit einem Poeten,
1790Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
Und alle edlen Qualitäten
Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
Des Löwen Muth,
Des Hirsches Schnelligkeit,
1795Des Italiäners feurig Blut,
Des Nordens Dau’rbarkeit.
Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
Großmuth und Arglist zu verbinden,
Und euch, mit warmen Jugendtrieben,
1800Nach einem Plane, zu verlieben.
Möchte selbst solch einen Herren kennen,
Würd’ ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
Faust
Was bin ich denn? wenn es nicht möglich ist
Der Menschheit Krone zu erringen,
1805Nach der sich alle Sinne dringen.
Mephistopheles
Du bist am Ende – was du bist.
Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer was du bist.
Faust
1810Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
Des Menschengeist’s auf mich herbeygerafft,
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
1815Bin dem Unendlichen nicht näher.
Mephistopheles
Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen eben sieht;
Wir müssen das gescheidter machen,
Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
1820Was Henker! freylich Händ’ und Füße
Und Kopf und H — — die sind dein;
Doch alles was ich frisch genieße,
Ist das drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
1825Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
Und g’rad’ mit in die Welt hinein!
1830Ich sag’ es dir: ein Kerl der speculirt,1830 Kerl ] A  B.aKerl, S Kerl, B   (II a*)
Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
Faust
Wie fangen wir das an?
Mephistopheles
Wir gehen eben fort.
1835Was ist das für ein Marterort?
Was heißt das für ein Leben führen,
Sich und die Jungens ennuyiren?
Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
1840Das beste, was du wissen kannst,1840 beste ] ABeste B  B.a   (IV a)
Darfst du den Buben doch nicht sagen.
Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
Faust
Mir ist’s nicht möglich ihn zu sehn.
Mephistopheles
Der arme Knabe wartet lange,
1845Der darf nicht ungetröstet gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
Die Maske muß mir köstlich stehn.
Er kleidet sich um.
Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
1850Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
Faust ab
Mephistopheles
in Faust’s langem Kleide
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
1855So hab’ ich dich schon unbedingt –
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
Und dessen übereiltes Streben
Der Erde Freuden überspringt.
1860Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
1865Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!
Ein Schüler tritt auf
Schüler
Ich bin allhier erst kurze Zeit,1868 allhier ] Salhier 1 H.5 alhier A allhier B  B.a   (II a)
Und komme voll Ergebenheit,
1870Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
Den alle mir mit Ehrfurcht nennen.1871 alle ] 1 H.5  S  AAlle B  B.a   (IV a)
Mephistopheles
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
Habt ihr euch sonst schon umgethan?
Schüler
1875Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an!
Ich komme mit allem guten Muth,
Leidlichem Geld und frischem Blut;
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
Möchte gern ’was rechts hieraußen lernen.1879 gern ’was ] Sgern was 1 H.5 gern’ was A  B  B.a   (II a)
Mephistopheles
1880Da seyd ihr eben recht am Ort.
Schüler
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
In diesen Mauern, diesen Hallen,
Will es mir keineswegs gefallen.
Es ist ein gar beschränkter Raum,
1885Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
Und in den Sälen, auf den Bänken,
Vergeht mir Hören, Seh’n und Denken.
Mephistopheles
Das kommt nur auf Gewohnheit an.
So nimmt ein Kind der Mutter Brust
1890Nicht gleich im Anfang willig an,
Doch bald ernährt es sich mit Lust.
So wird’s euch an der Weisheit Brüsten
Mit jedem Tage mehr gelüsten.
Schüler
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
1895Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
Mephistopheles
Erklärt euch, eh’ ihr weiter geht,
Was wählt ihr für eine Facultät?
Schüler
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern, was auf der Erden1899–1900 gern, bis ist, ] A  B.agern, bis den Himmel ist, S gern bis ist B   (IV c)
1900Und in dem Himmel ist, erfassen,
Die Wissenschaft und die Natur.
Mephistopheles
Da seyd ihr auf der rechten Spur;
Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.
Schüler
Ich bin dabey mit Seel’ und Leib;
1905Doch freylich würde mir behagen
Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib,1906 Zeitvertreib, ] A  B.aZeitvertreib S Zeitvertreib B   (IV c)
An schönen Sommerfeiertagen.
Mephistopheles
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
1910Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist euch wohl dressirt,
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fort an
1915Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,1916 Kreuz ] 1 H.5kreuz S Kreuz’ A  B Kreutz’ B.a   (II a)
Irlichtelire hin und her.1917 Irlichtelire ] S  A  B.aIrrlichtelire 1 H.5 Irrlichtelire B   (II b*)
Dann lehret man euch manchen Tag,
Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
1920Getrieben, wie Essen und Trinken frey,
Eins! Zwey! Drey! dazu nöthig sey.1921 Drey ] A  B  B.aDrey 1 H.5 Drey S   (II a*)
Zwar ist’s mit der Gedanken-Fabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
1925Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
Der Philosoph der tritt herein,
Und beweis’t euch, es müßt’ so seyn:
1930Das Erst’ wär’ so, das Zweyte so,
Und drum das Dritt’ und Vierte so;
Und wenn das Erst’ und Zweyt’ nicht wär’,
Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
Das preisen die Schüler aller Orten,
1935Sind aber keine Weber geworden.
Wer will was lebendig’s erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Theile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
1940Encheiresin naturae nennt’s die Chimie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
Schüler
Kann euch nicht eben ganz verstehen.
Mephistopheles
Das wird nächstens schon besser gehen,
Wenn ihr lernt alles reduciren
1945Und gehörig klassificiren.
Schüler
Mir wird von alle dem so dumm,1946 alle ] A  B  B.aallem 1 H.5  S   (VII)
Als ging’ mir ein Mühlrad im Kopf herum.
Mephistopheles
Nachher, vor allen andern Sachen
Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
1950Da seht, daß ihr tiefsinnig faßt,1950 seht, ] S  Aseht 1 H.5 seht B  B.a   (IV a)
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für, was drein geht und nicht drein geht,1952 Für, ] S  AFür 1 H.5 Für B  B.a   (IV a)
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Doch vorerst dieses halbe Jahr
1955Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
Seyd drinnen mit dem Glockenschlag!1957 drinnen ] A  B  B.adrinne 1 H.5  S   (VII)
Habt euch vorher wohl präparirt,
Paragraphos wohl einstudirt,
1960Damit ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch euch des Schreibens ja befleißt,
Als dictirt’ euch der Heilig’ Geist!
Schüler
Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!
1965Ich denke mir wie viel es nützt;
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.
Mephistopheles
Doch wählt mir eine Facultät!
Schüler
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.
Mephistopheles
1970Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
Es erben sich Gesetz’ und Rechte
Wie eine ew’ge Krankheit fort,
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
1975Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.
Schüler
1980Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
O glücklich der! den ihr belehrt.
Fast möcht’ ich nun Theologie studiren.
Mephistopheles
Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
1985Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzeney ists kaum zu unterscheiden.1987 ists ] Aist’s S ist’s B  B.a   (IV a)
Am besten ist’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
1990Im Ganzen – haltet euch an Worte!
Dann geht ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
Schüler
Doch ein Begriff muß bey dem Worte seyn.
Mephistopheles
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;
1995Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
2000Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
Schüler
Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
Allein ich muß euch noch bemüh’n.2002 bemüh’n ] S  Abemühn B  B.a   (IV a)
Wollt ihr mir von der Medicin
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
2005Drey Jahr’ ist eine kurze Zeit,
Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.
Mephistopheles
für sich
Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2010Muß wieder recht den Teufel spielen.
Laut
Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudirt die groß’ und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie’s Gott gefällt.
2015Vergebens daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur was er lernen kann;
Doch der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.
Ihr seyd noch ziemlich wohlgebaut,
2020An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
Vertrauen euch die andern Seelen.
Besonders lernt die Weiber führen;
Es ist ihr ewig Weh und Ach
2025So tausendfach
Aus Einem Puncte zu curiren,
Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
Dann habt ihr sie all’ unter’m Hut.2028 all’ ] S  A  Ball 1 H.5 All’ B.a   (II b*)
Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
2030Daß eure Kunst viel Künste übersteigt;
Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach allen Siebensachen,
Um die ein andrer viele Jahre streicht,
Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
2035Wohl um die schlanke Hüfte frey,
Zu seh’n, wie fest geschnürt sie sey.
Schüler
Das sieht schon besser aus! Man sieht doch wo und wie.
Mephistopheles
Grau, theurer Freund, ist alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum.
Schüler
2040Ich schwör’ euch zu, mir ist’s als wie ein Traum.
Dürft’ ich euch wohl ein andermal beschweren,
Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
Mephistopheles
Was ich vermag, soll gern geschehn.
Schüler
Ich kann unmöglich wieder gehn,
2045Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen.
Gönn’ eure Gunst mir dieses Zeichen!
Mephistopheles
Sehr wohl.
Er schreibt und giebt’s.
Schüler
lies’t
Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.
Macht’s ehrerbietig zu und empfiehlt sich.nach 2048 ehrerbietig ] ehrbietig 1 H.5 ehrerbiethig S ehrerbietieg A  D.1 ehrerbietig B ehrerbiethig B.a   (I a)
Mephistopheles
Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muhme der Schlange,
2050Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähnlichkeit bange!
Faust tritt auf
Faust
Wohin soll es nun gehn?
Mephistopheles
Wohin es dir gefällt.
Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
Faust
2055Allein bey meinem langen Bart
Fehlt mir die leichte Lebensart.
Es wird mir der Versuch nicht glücken;
Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken,
Vor andern fühl’ ich mich so klein;
2060Ich werde stets verlegen seyn.
Mephistopheles
Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
Faust
Wie kommen wir denn aus dem Haus?
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?
Mephistopheles
2065Wir breiten nur den Mantel aus,
Der soll uns durch die Lüfte tragen.
Du nimmst bey diesem kühnen Schritt
Nur keinen großen Bündel mit.
Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
2070Hebt uns behend von dieser Erde.
Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
2072Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf!

Auerbachs Keller in Leipzig

Zeche lustiger Gesellen
Frosch
2073Will keiner trinken? keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!
2075Ihr seyd ja heut wie nasses Stroh,
Und brennt sonst immer lichterloh.
Brander
Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbey,
Nicht eine Dummheit, keine Sauerey.
Frosch
gießt ihm ein Glas Wein über den Kopf
Da hast du beydes!
Brander
Doppelt Schwein!
Frosch
2080Ihr wollt’ es ja, man soll es seyn!2080 wollt’ ] S  A  Bwollt B.a   (II b*)
Siebel
Zur Thür hinaus wer sich entzweyt!
Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreyt!
Auf! Holla! Ho!
Altmayer
Weh mir, ich bin verloren!
Baumwolle her! der Kerl sprengt mir die Ohren.
Siebel
2085Wenn das Gewölbe wiederschallt,
Fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt.
Frosch
So recht, hinaus mit dem der etwas übel nimmt!
A! tara lara da!
Altmayer
A! tara lara da!
Frosch
Die Kehlen sind gestimmt.
Singt
2090Das liebe, heil’ge Röm’sche Reich,
Wie hält’s nur noch zusammen?
Brander
Ein garstig Lied! Pfuy! ein politisch Lied!2092 politisch Lied! ] A  B  B.apolitisch Lied, 1 H.5 politisch Lied S   (II a*)
Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen
Daß ihr nicht braucht für’s Röm’sche Reich zu sorgen!
2095Ich halt’ es wenigstens für reichlichen Gewinn,
Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
Wir wollen einen Papst erwählen.
Ihr wißt, welch eine Qualität
2100Den Ausschlag giebt, den Mann erhöht.2100 giebt ] Agibt S gibt B  B.a   (IV a)
Frosch
singt
Schwing’ dich auf, Frau Nachtigall,
Grüß’ mir mein Liebchen zehentausendmal.
Siebel
Dem Liebchen keinen Gruß! ich will davon nichts hören!
Frosch
Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirst mir’s nicht verwehren!
Singt
2105Riegel auf! in stiller Nacht.
Riegel auf! der Liebste wacht.
Riegel zu! des Morgens früh.
Siebel
Ja, singe, singe nur, und lob’ und rühme sie!
Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
2110Sie hat mich angeführt, dir wird sie’s auch so machen.
Zum Liebsten sey ein Kobold ihr bescheert!2111 bescheert ] S  Abeschert B  B.a   (IV a)
Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
2115Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
Ist für die Dirne viel zu gut.
Ich will von keinem Gruße wissen,
Als ihr die Fenster eingeschmissen!
Brander
auf den Tisch schlagend
Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
2120Ihr Herrn gesteht, ich weiß zu leben,
Verliebte Leute sitzen hier,
Und diesen muß, nach Standsgebühr,
Zur guten Nacht ich was zum Besten geben.
Gebt Acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
2125Und singt den Rundreim kräftig mit!
Er singt.
Es war eine Ratt’ im Kellernest,
Lebte nur von Fett und Butter,
Hatte sich ein Ränzlein angemäst’t,
Als wie der Doctor Luther.
2130Die Köchinn hatt’ ihr Gift gestellt;
Da ward’s so eng’ ihr in der Welt,
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Chorus
jauchzend
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Brander
Sie fuhr herum, sie fuhr heraus,
2135Und soff aus allen Pfützen,
Zernagt’, zerkratzt’ das ganze Haus,
Wollte nichts ihr Wüthen nützen;
Sie thät gar manchen Ängstesprung,
Bald hatte das arme Thier genung,
2140Als hätt’ es Lieb’ im Leibe.
Chorus
Als hätt’ es Lieb’ im Leibe.
Brander
Sie kam für Angst am hellen Tag2142 für ] S  A  B.avor 1 H.5 vor B   (VII)
Der Küche zugelaufen,
Fiel an den Herd und zuckt’ und lag,2144 Herd ] SHeerd 1 H.5 Heerd A  D.1 Herd B  B.a   (II a)
2145Und thät erbärmlich schnaufen.
Da lachte die Vergifterinn noch:
Ha! sie pfeift auf dem letzten Loch,
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Chorus
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Siebel
2150Wie sich die platten Bursche freuen!
Es ist mir eine rechte Kunst,
Den armen Ratten Gift zu streuen!
Brander
Sie stehn wohl sehr in deiner Gunst?
Altmayer
Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
2155Das Unglück macht ihn zahm und mild;
Er sieht in der geschwollnen Ratte
Sein ganz natürlich Ebenbild.
Faust und Mephistopheles
Mephistopheles
Ich muß dich nun vor allen Dingen
In lustige Gesellschaft bringen,
2160Damit du siehst, wie leicht sich’s leben läßt.2160 siehst, ] S  A  B.asiehst B   (IV c)
Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
2165Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
So lang’ der Wirth nur weiter borgt,
Sind sie vergnügt und unbesorgt.
Brander
Die kommen eben von der Reise,
Man sieht’s an ihrer wunderlichen Weise;
2170Sie sind nicht eine Stunde hier.
Frosch
Wahrhaftig du hast Recht! Mein Leipzig lob’ ich mir!
Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.
Siebel
Für was siehst du die Fremden an?
Frosch
Laßt mich nur gehn! bey einem vollen Glase,
2175Zieh’ ich, wie einen Kinderzahn,
Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
Sie sehen stolz und unzufrieden aus.
Brander
Marktschreyer sind’s gewiß, ich wette!
Altmayer
2180Vielleicht.
Frosch
2180Gib Acht, ich schraube sie!
Mephistopheles
zu Faust
Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie beym Kragen hätte.
Faust
Seyd uns gegrüßt, ihr Herrn!
Siebel
Viel Dank zum Gegengruß.
Leise, Mephistopheles von der Seite ansehendvor 2184 ansehend ] ansehend. S ansehend A ansehend. D.1 ansehend. B  B.a   (VIII)
Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß?
Mephistopheles
2185Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?
Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
Soll die Gesellschaft uns ergetzen.
Altmayer
Ihr scheint ein sehr verwöhnter Mann.
Frosch
Ihr seyd wohl spät von Rippach aufgebrochen?
2190Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht gespeis’t?
Mephistopheles
Heut sind wir ihn vorbey gereis’t;
Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
Von seinen Vettern wußt’ er viel zu sagen,
Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
Er neigt sich gegen Frosch.
Altmayervor 2195 Altmayer leise ] Altmayer leise. S Altmayer. leise A Altmayer leise. D.1 Altmayer leise. B Altmayer (leise). B.a   (VIII)
leise
2195Da hast du’s! der versteht’s!
Siebel
2195Ein pfiffiger Patron!
Frosch
Nun, warte nur, ich krieg’ ihn schon!
Mephistopheles
Wenn ich nicht irrte, hörten wir
Geübte Stimmen Chorus singen?
Gewiß, Gesang muß trefflich hier
2200Von dieser Wölbung wiederklingen!
Frosch
Seyd ihr wohl gar ein Virtuos?
Mephistopheles
O nein! die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.
Altmayer
Gebt uns ein Lied!
Mephistopheles
Wenn ihr begehrt, die Menge.
Siebel
Nur auch ein nagelneues Stück!
Mephistopheles
2205Wir kommen erst aus Spanien zurück,
Dem schönen Land des Weins und der Gesänge.
Singtvor 2207 Singt ] Singt. S Singt A Singt. D.1 Singt: B (Singt). B.a   (VIII)
Es war einmal ein König,
Der hatt’ einen großen Floh –
Frosch
Horcht! Einen Floh! Habt ihr das wohl gefaßt?
2210Ein Floh ist mir ein saub’rer Gast.
Mephistopheles
singtvor 2211 singt ] singt. S singt A singt. D.1 singt: B (singt). B.a   (VIII)
Es war einmal ein König,
Der hatt’ einen großen Floh,
Den liebt’ er gar nicht wenig,
Als wie seinen eignen Sohn.
2215Da rief er seinen Schneider,
Der Schneider kam heran.
Da miß dem Junker Kleider,
Und miß ihm Hosen an!
Brander
Vergeßt nur nicht dem Schneider einzuschärfen,
2220Daß er mir auf’s genauste mißt,
Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
Die Hosen keine Falten werfen!
Mephistopheles
In Sammet und in Seide
War er nun angethan,
2225Hatte Bänder auf dem Kleide,
Hatt’ auch ein Kreuz daran,
Und war sogleich Minister,
Und hatt’ einen großen Stern.
Da wurden seine Geschwister
2230Bey Hof’ auch große Herrn.
Und Herrn und Frau’n am Hofe,
Die waren sehr geplagt,
Die Königinn und die Zofe
Gestochen und genagt,
2235Und durften sie nicht knicken,
Und weg sie jucken nicht.
Wir knicken und ersticken
Doch gleich wenn einer sticht.
Chorus
jauchzendvor 2239 jauchzend ] jauchzend. S jauchzend A jauchzend. D.1 jauchzend. B (jauchzend). B.a   (VIII)
Wir knicken und ersticken
2240Doch gleich wenn einer sticht.
Frosch
Bravo! Bravo! Das war schön!
Siebel
So soll es jedem Floh ergehn!
Brander
Spitzt die Finger und packt sie fein!
Altmayer
Es lebe die Freyheit! Es lebe der Wein!
Mephistopheles
2245Ich tränke gern ein Glas, die Freyheit hoch zu ehren,
Wenn eure Weine nur ein Bißchen besser wären.
Siebel
Wir mögen das nicht wieder hören!
Mephistopheles
Ich fürchte nur der Wirth beschweret sich,
Sonst gäb’ ich diesen werthen Gästen
2250Aus unserm Keller was zum Besten.
Siebel
Nur immer her! ich nehm’s auf mich.
Frosch
Schafft ihr ein gutes Glas, so wollen wir euch loben.
Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;
Denn wenn ich judiciren soll,
2255Verlang’ ich auch das Maul recht voll.
Altmayer
leisevor 2256 leise ] leise. S leise A leise. D.1 leise. B (leise). B.a   (VIII)
Sie sind vom Rheine, wie ich spüre.
Mephistopheles
Schafft einen Bohrer an!
Brander
Was soll mit dem geschehn?
Ihr habt doch nicht die Fässer vor der Thüre?
Altmayer
Dahinten hat der Wirth ein Körbchen Werkzeug stehn.
Mephistopheles
nimmt den Bohrervor 2260 nimmt bis Bohrer / zu Frosch ] nimmt bis Bohrer. / Zu Frosch. S nimmt bis Bohrer / zu Frosch A nimmt bis Bohrer. / zu Frosch D.1 nimmt bis Bohrer. / Zu Frosch. B (nimmt bis Bohrer, zu Frosch). B.a   (VIII)
zu Frosch
2260Nun sagt, was wünschet ihr zu schmecken?
Frosch
Wie meynt ihr das? Habt ihr so mancherley?2261 meynt ] Ameint S meint B  B.a   (IV a)
Mephistopheles
Ich stell’ es einem jeden frey.2262 jeden ] S  AJeden B  B.a   (IV a)
Altmayer
zu Froschvor 2263 zu Frosch ] zu Frosch. S zu Frosch A zu Frosch. D.1 zu Frosch. B (zu Frosch). B.a   (VIII)
Aha! du fängst schon an die Lippen abzulecken.
Frosch
Gut! wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein haben.
2265Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.
Mephistophelesvor 2266 Mephistopheles indem bis bohrt ] Mephistopheles / indem bis bohrt. S Mephistopheles. / (indem bis bohrt.) A Mephistopheles. / indem bis bohrt. D.1 Mephistopheles, / indem bis bohrt. B Mephistopheles / (indem bis bohrt). B.a   (VIII)
indem er an dem Platz, wo Frosch sitzt, ein Loch in den Tischrand bohrt
Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu machen!
Altmayer
Ach das sind Taschenspielersachen.
Mephistopheles
zu Brandervor 2268 zu Brander ] zu Brander. S (zu Brander) A zu Brander. D.1 zu Brander. B (zu Brander). B.a   (VIII)
Und ihr?
Brander
Ich will Champagner Wein,
Und recht mussirend soll er seyn!
Mephistopheles bohrt, einer hat indessen die Wachspfropfen gemacht und verstopft.vor 2270 Wachspfropfen ] SWachspropfen A  D.1 Wachspfropfen B  B.a   (II a)nach 2269 MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft ] MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft. S MEPHIsTOPHELES. / (bohrt, bis verstopft.) A MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft. D.1 MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft. B MEPHIsTOPHELES / (bohrt, bis verstopft). B.a   (VIII)
Brander
2270Man kann nicht stets das Fremde meiden,
Das Gute liegt uns oft so fern.
Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.
Siebelvor 2274 Siebel / indem bis nähert ] Siebel / indem bis nähert. S Siebel. / (indem bis nähert.) A Siebel. / indem bis nähert. D.1 Siebel, / indem bis nähert. B Siebel / (indem bis nähert). B.a   (VIII)
indem sich Mephistopheles seinem Platze nähert
Ich muß gestehn, den sauren mag ich nicht,
2275Gebt mir ein Glas vom echten süßen!
Mephistopheles
bohrtvor 2276 bohrt ] bohrt. S (bohrt.) A bohrt. D.1 bohrt. B (bohrt). B.a   (VIII)
Euch soll sogleich Tokayer fließen.
Altmayer
Nein, Herren, seht mir in’s Gesicht!
Ich seh’ es ein, ihr habt uns nur zum Besten.
Mephistopheles
Ey! Ey! Mit solchen edlen Gästen
2280Wär’ es ein Bißchen viel gewagt.
Geschwind! Nur grad’ heraus gesagt!2281 grad’ ] A  B  B.ag’rad’ S   (II a*)
Mit welchem Weine kann ich dienen?
Altmayer
Mit jedem! Nur nicht lang gefragt.
Nachdem die Löcher alle gebohrt und verstopft sind,vor 2284 Nachdem bis sind, ] S(Nachdem bis sind,) A Nachdem bis sind, D.1 Nachdem bis sind, B (Nachdem bis sind.) B.a   (VIII)
Mephistopheles
mit seltsamen Geberdenvor 2284 mit bis Geberden ] mit bis Geberden. S (mit bis Geberden) A mit bis Geberden. D.1 mit bis Geberden B (mit bis Geberden). B.a   (VIII)
Trauben trägt der Weinstock!
2285Hörner der Ziegenbock;
Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
Ein tiefer Blick in die Natur!
Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
2290Nun zieht die Pfropfen und genießt!
Allevor 2291 Alle / indem bis läuft ] Alle / indem bis läuft. S Alle. / (indem bis läuft) A Alle. / indem bis läuft. D.1 Alle / indem bis läuft. B Alle / (indem bis läuft). B.a   (VIII)
indem sie die Pfropfen ziehen, und jedem der verlangte Wein in’s Glas läuft
O schöner Brunnen, der uns fließt!
Mephistopheles
Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt!
Sie trinken wiederholt.vor 2293 Sie bis wiederholt. ] D.1Sie bis wiederhohlt. S (Sie bis wiederholt.) A Sie bis wiederholt. B (Sie bis wiederhohlt.) B.a   (VIII)
Alle
singenvor 2293 singen ] singen. S (singen) A singen. D.1 singen B (singen). B.a   (VIII)
Uns ist ganz kannibalisch wohl,
Als wie fünf hundert Säuen!
Mephistopheles
2295Das Volk ist frey, seht an, wie wohl’s ihm geht!
Faust
Ich hätte Lust nun abzufahren.
Mephistopheles
Gib nur erst Acht, die Bestialität
Wird sich gar herrlich offenbaren.
Siebel
trinkt unvorsichtig, der Wein fließt auf die Erde, und wird zur Flamme.vor 2299 Siebel / trinkt bis Flamme. ] SSiebel. / trinkt bis Flamme. A  D.1 Siebel / trinkt bis Flamme. B Siebel / (trinkt bis Flamme). B.a   (VIII)
Helft! Feuer! helft! die Hölle brennt!
Mephistopheles
die Flamme besprechend
2300Sey ruhig, freundlich Element!
zu dem Gesellenvor 2301 zu bis Gesellen ] Zu bis Gesellen. S zu bis Gesellen. A  D.1  B Zu bis Gesellen. D.2 (Zu bis Gesellen.) B.a   (VIII)
Für dießmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.
Siebel
Was soll das seyn? Wart! ihr bezahlt es theuer!2302 Wart ] S  A  B  B.aWart’ konj Düntzer  (III *)
Es scheinet, daß ihr uns nicht kennt.
Frosch
Laß er uns das zum zweytenmale bleiben!
Altmayer
2305Ich dächt’, wir hießen ihn ganz sachte seitwärts gehn.
Siebel
Was Herr? Er will sich unterstehn,
Und hier sein Hokuspokus treiben?
Mephistopheles
Still, altes Weinfaß!
Siebel
Besenstiel!
Du willst uns gar noch grob begegnen?
Brander
2310Wart nur! es sollen Schläge regnen.
Altmayer
zieht einen Pfropf aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen.vor 2311 Altmayer / zieht bis entgegen. ] Altmayer / zieht bis entgegen. S Altmayer. / zieht bis entgegen A Altmayer. / zieht bis entgegen. D.1 Altmayer / zieht bis entgegen. B Altmayer / (zieht bis entgegen). B.a   (VIII)
Ich brenne! ich brenne!
Siebel
Zauberey!
Stoßt zu! der Kerl ist vogelfrey!
Sie ziehen die Messer und gehn auf Mephistopheles los.
Mephistopheles
mit ernsthafter Geberdevor 2313 mit bis Geberde ] mit bis Geberde. S mit bis Geberde A mit bis Geberde. D.1 mit bis Geberde. B (mit bis Geberde). B.a   (VIII)
Falsch Gebild und Wort
Verändern Sinn und Ort!
2315Seyd hier und dort!
Sie stehn erstaunt und sehn einander an.
Altmayer
Wo bin ich? Welches schöne Land!
Frosch
Weinberge! Seh’ ich recht?
Siebel
Und Trauben gleich zur Hand!
Brander
Hier unter diesem grünen Laube,
Seht, welch ein Stock! Seht, welche Traube!
Er faßt Siebeln bey der Nase. Die andern thun es wechselseitig und heben die Messer.nach 2319 bey ] 1 H.5  Sbei A  D.1 bey B  B.a   (II a)
Mephistopheles
wie obenvor 2320 wie oben ] wie oben. S wie oben A wie oben. D.1 wie oben. B (wie oben). B.a   (VIII)
2320Irrthum, laß los der Augen Band!
Und merkt euch, wie der Teufel spaße.2321 euch, ] S  A  B.aeuch B   (IV c)
Er verschwindet mit Faust, die Gesellen fahren aus einander.
Siebel
Was giebt’s?2322 giebt’s ] A  D.1gibt’s S gibt’s B  B.a   (IV a)
Altmayer
Wie?2322 Wie? ] In S  A  D.1  B  1 H.1 ist der mittlere Teil des antilabischen Verses (Wie?) nicht korrekt unterhalb des vorangehenden Teils (Was giebt’s?) plaziert; korrigiert in B.a und in C.1 12  C.3 12.   (I c)
Frosch
War das deine Nase?
Brander
zu Siebelvor 2323 zu Siebel ] zu Siebel. S (zu Siebel) A  D.1  B (zu Siebel). B.a   (VIII)
Und deine hab’ ich in der Hand!
Altmayer
Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
2325Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!
Frosch
Nein, sagt mir nur, was ist geschehn?
Siebel
Wo ist der Kerl? Wenn ich ihn spüre,
Er soll mir nicht lebendig gehn!
Altmayer
Ich hab’ ihn selbst hinaus zur Kellerthüre –
2330Auf einem Fasse reiten sehn – –
Es liegt mir bleyschwer in den Füßen.
Sich nach dem Tische wendendvor 2332 Sich bis wendend ] Sich bis wendend. S (Sich bis wendend.) A  B.a Sich bis wendend. D.1 Sich bis wendend. B   (VIII)
Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?
Siebel
Betrug war alles, Lug und Schein.
Frosch
Mir däuchte doch als tränk’ ich Wein.
Brander
2335Aber wie war es mit den Trauben?
Altmayer
2336Nun sag’ mir eins, man soll kein Wunder glauben!

Hexenküchevor 2337 Hexenküche ] Hexenküche. S Hexenküche A Hexenküche. D.1 Hexenküche. B  B.a   (VIII)

Auf einem niedrigen Herde steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedne Gestalten. Eine Meerkatze sitzt bey dem Kessel und schäumt ihn, und sorgt daß er nicht überläuft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich. Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrath ausgeschmückt.
Faust. Mephistopheles
Faust
2337Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
Versprichst du mir, ich soll genesen,
In diesem Wust von Raserey?
2340Verlang’ ich Rath von einem alten Weibe?
Und schafft die Sudelköcherey
Wohl dreyßig Jahre mir vom Leibe?
Weh mir, wenn du nichts bessers weißt!
Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
2345Hat die Natur und hat ein edler Geist
Nicht irgend einen Balsam ausgefunden?
Mephistopheles
Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
Dich zu verjüngen, gibt’s auch ein natürlich Mittel;2348 Dich ] 1 H.2Dich S Doch A  B  B.a  1 H.1  C.1 12  C.3 12   (II a, II c)2348 verjüngen, ] S  A  B.averjüngen B   (IV c)
Allein es steht in einem andern Buch,
2350Und ist ein wunderlich Capitel.
Faust
Ich will es wissen.
Mephistopheles
Gut! Ein Mittel, ohne Geld
Und Arzt und Zauberey, zu haben:
Begib dich gleich hinaus aufs Feld,2353 aufs ] Aauf’s S auf’s B  B.a   (IV a)
Fang’ an zu hacken und zu graben,
2355Erhalte dich und deinen Sinn
In einem ganz beschränkten Kreise,
Ernähre dich mit ungemischter Speise,
Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht für Raub,
Den Acker, den du ärndest, selbst zu düngen;2359 ärndest ] Aerndest S ärntest B erntest B.a   (IV a)
2360Das ist das beste Mittel, glaub’,
Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen!
Faust
Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht bequemen,
Den Spaten in die Hand zu nehmen,
Das enge Leben steht mir gar nicht an.
Mephistopheles
2365So muß denn doch die Hexe dran.
Faustvor 2366–2377 Die Verse sind in S nicht enthalten.   (VII)
Warum denn just das alte Weib?
Kannst du den Trank nicht selber brauen?
Mephistopheles
Das wär’ ein schöner Zeitvertreib!
Ich wollt’ indeß wohl tausend Brücken bauen.
2370Nicht Kunst und Wissenschaft allein,
Geduld will bey dem Werke seyn.
Ein stiller Geist ist Jahre lang geschäftig,
Die Zeit nur macht die feine Gährung kräftig.
Und alles was dazu gehört
2375Es sind gar wunderbare Sachen!
Der Teufel hat sie’s zwar gelehrt;
Allein der Teufel kann’s nicht machen.
Die Thiere erblickend
Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
Das ist die Magd! das ist der Knecht!
Zu den Thieren
2380Es scheint, die Frau ist nicht zu Hause?
Die Thiere
Beym Schmause,
Aus dem Haus
Zum Schornstein hinaus!2383 Schornstein ] A  B  B.aSchorstein S   (II a*)
Mephistopheles
Wie lange pflegt sie wohl zu schwärmen?
Die Thiere
2385So lange wir uns die Pfoten wärmen.2385 lange ] A  D.1 B  D.2 B.alang’ S lang D3 D4  (II a*)
Mephistopheles
zu Faust
Wie findest du die zarten Thiere?
Faust
So abgeschmackt, als ich nur jemand sah!2387 abgeschmackt, ] S  A  B.aabgeschmackt B   (IV c)
Mephistopheles
Nein, ein Discours wie dieser da,
Ist g’rade der, den ich am liebsten führe!2389 der, ] S  A  B.ader B   (IV c)
Zu den Thieren
2390So sagt mir doch, verfluchte Puppen!
Was quirlt ihr in dem Brey herum?
Thierevor 2390, 2390–2393 Die Bühnenanweisung und die vier nachfolgenden Verse sind in S nicht enthalten.   (VII)vor 2392 Thiere ] A  B  B.a  1 H.1  C.1 12  C.3 12Die Thiere konj Schröer  (III *)
Wir kochen breite Bettelsuppen.
Mephistopheles
Da habt ihr ein groß Publicum.
Der Kater
macht sich herbey und schmeichelt dem Mephistopheles
O würfle nur gleich,
2395Und mache mich reich,
Und laß mich gewinnen!
Gar schlecht ist’s bestellt,
Und wär’ ich bey Geld,
So wär’ ich bey Sinnen.
Mephistopheles
2400Wie glücklich würde sich der Affe schätzen,
Könnt’ er nur auch ins Lotto setzen!2401 ins ] A  Bin’s S in’s D.1 in’s B.a   (II a*)
Indessen haben die jungen Meerkätzchen mit einer großen Kugel gespielt und rollen sie hervor.
Der Kater
Das ist die Welt;
Sie steigt und fällt
Und rollt beständig;
2405Sie klingt wie Glas;
Wie bald bricht das?
Ist hohl inwendig.2407 inwendig. ] Sinwendig, A  B.a inwendig. B   (II a)
Hier glänzt sie sehr,
Und hier noch mehr,
2410Ich bin lebendig!
Mein lieber Sohn,
Halt dich davon!
Du mußt sterben!
Sie ist von Thon,
2415Es giebt Scherben.2415 giebt ] Agibt S gibt B  B.a   (IV a)
Mephistopheles
Was soll das Sieb?
Der Kater
holt es herunter
Wärst du ein Dieb,
Wollt’ ich dich gleich erkennen.
Er läuft zur Kätzinn und läßt sie durchsehen.
Sieh durch das Sieb!
2420Erkennst du den Dieb,
Und darfst ihn nicht nennen?
Mephistopheles
sich dem Feuer nähernd
Und dieser Topf?
Kater und Kätzinn
Der alberne Tropf!
Er kennt nicht den Topf,
2425Er kennt nicht den Kessel!
Mephistopheles
Unhöfliches Thier!
Der Kater
Den Wedel nimm hier,
Und setz’ dich in Sessel!
Er nöthigt den Mephistopheles zu sitzen.
Faustvor 2429 Faust ] Faust, S Faust. A  D.1 Faust B  B.a   (VIII)
welcher diese Zeit über vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald genähert, bald sich von ihm entfernt hat
Was seh’ ich? Welch ein himmlisch Bild
2430Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
Und führe mich in ihr Gefild!
Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
Wenn ich es wage nah’ zu gehn,
2435Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! –
Das schönste Bild von einem Weibe!
Ist’s möglich, ist das Weib so schön?
Muß ich an diesem hingestreckten Leibe2438 Muß ] Muß S Muß’ A  B.a Muß   B   (I b)
Den Inbegriff von allen Himmeln sehn?
2440So etwas findet sich auf Erden?
Mephistopheles
Natürlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
Und selbst am Ende Bravo sagt,
Da muß es was gescheidtes werden.
Für dießmal sieh dich immer satt;
2445Ich weiß dir so ein Schätzchen auszuspüren,
Und selig wer das gute Schicksal hat,
Als Bräutigam sie heim zu führen!
Faust sieht immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in dem Sessel dehnend und mit dem Wedel spielend, fährt fort zu sprechen.vor 2448 immerfort ] immerfort S immmerfort A immerfort D.1 immerfort B  B.a   (I a)
Hier sitz’ ich wie der König auf dem Throne,
Den Zepter halt’ ich hier, es fehlt nur noch die Krone.
Die Thierevor 2450 Thiere ] Thiere, S Thiere. A  D.1 Thiere B  B.a   (VIII)
welche bisher allerley wunderliche Bewegungen durch einander gemacht haben, bringen dem Mephistopheles eine Krone mit großem Geschrey
2450O sey doch so gut,
Mit Schweiß und mit Blut
Die Krone zu leimen!
Sie gehn ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie in zwey Stücke, mit welchen sie herumspringen.vor 2453 herumspringen ] A  B  B.aherum springen S   (II a*)
Nun ist es geschehn!
Wir reden und sehn,
2455Wir hören und reimen;2455 reimen; ] S  A  B  B.a  C.1 12  C.3 12reimen! Qreimen – konj Düntzer  (I c*)
Faust
gegen den Spiegel
Weh mir! ich werde schier verrückt.
Mephistopheles
auf die Thiere deutend
Nun fängt mir an fast selbst der Kopf zu schwanken.
Die Thiere
Und wenn es uns glückt,
Und wenn es sich schickt,
2460So sind es Gedanken!
Faust
wie oben
Mein Busen fängt mir an zu brennen!
Entfernen wir uns nur geschwind!
Mephistopheles
in obiger Stellung
Nun, wenigstens muß man bekennen,
Daß es aufrichtige Poeten sind.
vor 2465Die Hexe wird in A B  C.1 12  C.3 12 nicht als Auftritt markiert (S unterscheidet typographisch nicht zwischen Auftritten und Sprecherangaben).   (I c)
Der Kessel, welchen die Kätzinn bisher außer Acht gelassen, fängt an überzulaufen; es entsteht eine große Flamme, welche zum Schornstein hinaus schlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme mit entsetzlichem Geschrey herunter gefahren.vor 2465 außer ] Sausser A  D.1 außer B  B.a   (II a)vor 2465 große ] Sgrosse A  D.1  B große   B.a   (II a)vor 2465 Schornstein ] A  B  B.aSchorstein S   (II a*)vor 2465 hinaus schlägt ] A  Bhinausschlägt S hinausschlägt B.a   (II a*)
Die Hexe
2465Au! Au! Au! Au!
Verdammtes Thier! verfluchte Sau!
Versäumst den Kessel, versengst die Frau!
Verfluchtes Thier!
Faust und Mephistopheles erblickend
Was ist das hier?
2470Wer seyd ihr hier?
Was wollt ihr da?
Wer schlich sich ein?
Die Feuerpein
Euch in’s Gebein!
Sie fährt mit dem Schaumlöffel in den Kessel, und spritzt Flammen nach Faust, Mephistopheles und den Thieren. Die Thiere winseln.
Mephistophelesvor 2475 Mephistopheles ] Mephistopheles, S Mephistopheles. A D.1 Mephistopheles, B Mephistopheles B.a   (VIII)
welcher den Wedel, den er in der Hand hält, umkehrt, und unter die Gläser und Töpfe schlägt
2475Entzwey! entzwey!
Da liegt der Brey!
Da liegt das Glas!
Es ist nur Spaß,
Der Tact, du Aas,
2480Zu deiner Melodey.
Indem die Hexe voll Grimm und Entsetzen zurücktritt.
Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du!
Erkennst du deinen Herrn und Meister?
Was hält mich ab, so schlag’ ich zu,
Zerschmettre dich und deine Katzen-Geister!
2485Hast du vor’m rothen Wamms nicht mehr Respect?
Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
Hab’ ich dieß Angesicht versteckt?
Soll ich mich etwa selber nennen?
Die Hexe
O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
2490Seh’ ich doch keinen Pferdefuß.2490/2492 Seh’ bis kommst ] S  BSah’ bis kamst A Seh’ bis dieß Mahl kommst B.a   (IV b)
Wo sind denn eure beyden Raben?
Mephistopheles
Für dießmal kommst du so davon;
Denn freylich ist es eine Weile schon,
Daß wir uns nicht gesehen haben.
2495Auch die Cultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,
2500Der würde mir bey Leuten schaden;
Darum bedien’ ich mich, wie mancher junge Mann,
Seit vielen Jahren falscher Waden.
Die Hexe
tanzend
Sinn und Verstand verlier’ ich schier,
Seh’ ich den Junker Satan wieder hier!
Mephistopheles
2505Den Nahmen, Weib, verbitt’ ich mir!
Die Hexe
Warum? Was hat er euch gethan?
Mephistopheles
Er ist schon lang’ in’s Fabelbuch geschrieben;
Allein die Menschen sind nichts besser dran,
Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.
2510Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
Ich bin ein Cavalier, wie andre Cavaliere.
Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
Sieh her, das ist das Wapen, das ich führe!
Er macht eine unanständige Geberde.nach 2513 Geberde ] SGebärde A  B.a Geberde   B   (II a)
Die Hexe
lacht unmäßig
Ha! Ha! Das ist in eurer Art!
2515Ihr seyd ein Schelm, wie ihr nur immer war’t!
Mephistopheles
zu Faust
Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
Dieß ist die Art mit Hexen umzugehn.
Die Hexe
Nun sagt, ihr Herren, was ihr schafft.
Mephistopheles
Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
2520Doch muß ich euch um’s ält’ste bitten;
Die Jahre doppeln seine Kraft.
Die Hexe
Gar gern! Hier hab’ ich eine Flasche,
Aus der ich selbst zuweilen nasche,
Die auch nicht mehr im mind’sten stinkt;
2525Ich will euch gern ein Gläschen geben.
Leise
Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt,
So kann er, wißt ihr wohl, nicht eine Stunde leben.
Mephistopheles
Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;
Ich gönn’ ihm gern das beste deiner Küche.2529 beste ] S  ABeste B  B.a   (IV a)
2530Zieh deinen Kreis, sprich deine Sprüche,
Und gieb ihm eine Tasse voll!2531 gieb ] Agib S gib B  B.a   (IV a)
Die Hexe mit seltsamen Geberden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein; indessen fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und machen Musik. Zuletzt bringt sie ein großes Buch, stellt die Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zu treten.vor 2532 Hexe ] Hexe S Hexe. A  D.1 Hexe B  B.a   (VIII)
Faust
zu Mephistopheles
Nein, sage mir, was soll das werden?
Das tolle Zeug, die rasenden Geberden,
Der abgeschmackteste Betrug
2535Sind mir bekannt, verhaßt genug.
Mephistopheles
Ey Possen! Das ist nur zum Lachen;
Sey nur nicht ein so strenger Mann!
Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
Er nöthigt Fausten in den Kreis zu treten.
Die Hexevor 2540In S wird Die Hexe nicht als Sprecherbezeichnung kenntlich gemacht.   (VII)
mit großer Emphase fängt an aus dem Buche zu declamiren
2540Du mußt verstehn!2540–2552 In allen Drucken sind die Verse nicht eingerückt.  (I c*)
Aus Eins mach’ Zehn,
Und Zwey laß gehn,
Und Drey mach’ gleich,
So bist du reich.
2545Verlier’ die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex’,
Mach’ Sieben und Acht,
So ist’s vollbracht:
2550Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmal-Eins!
Faust
Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber.
Mephistopheles
Das ist noch lange nicht vorüber,
2555Ich kenn’ es wohl, so klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie für Thoren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
2560Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drey und Eins, und Eins und Drey
Irrthum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört;
Wer will sich mit den Narr’n befassen?
2565Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabey doch auch was denken lassen.
Die Hexe
fährt fort
Die hohe Kraft
Der Wissenschaft,
Der ganzen Welt verborgen!
2570Und wer nicht denkt,
Dem wird sie geschenkt,
Er hat sie ohne Sorgen.
Faust
Was sagt sie uns für Unsinn vor?
Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
2575Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor
Von hundert tausend Narren sprechen.
Mephistopheles
Genug, genug, o treffliche Sibylle!
Gib deinen Trank herbey, und fülle
Die Schale rasch bis an den Rand hinan;
2580Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:
Er ist ein Mann von vielen Graden,
Der manchen guten Schluck gethan.
Die Hexe mit vielen Ceremonien, schenkt den Trank in eine Schale; wie sie Faust an den Mund bringt, entsteht eine leichte Flamme.vor 2583 Hexe ] Hexe S Hexe. A  D.1 Hexe B  B.a   (VIII)
Mephistopheles
Nur frisch hinunter! Immer zu!
Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
2585Bist mit dem Teufel du und du,
Und willst dich vor der Flamme scheuen?
Die Hexe lös’t den Kreis
Faust tritt heraus
Mephistopheles
Nun frisch hinaus! Du darfst nicht ruhn.
Die Hexe
Mög’ euch das Schlückchen wohl behagen!
Mephistopheles
zur Hexe
Und kann ich dir was zu Gefallen thun;
2590So darfst du mir’s nur auf Walpurgis sagen.
Die Hexe
Hier ist ein Lied! wenn ihr’s zuweilen singt,
So werdet ihr besondre Wirkung spüren.2592 Wirkung ] SWürkung A  D.1 Wirkung B  B.a   (II a)
Mephistopheles
zu Faust
Komm nur geschwind und laß dich führen;
Du mußt nothwendig transpiriren,
2595Damit die Kraft durch inn- und äußres dringt.
Den edlen Müßiggang lehr’ ich hernach dich schätzen,
Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
Wie sich Cupido regt und hin und wieder springt.
Faust
Laß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen!
2600Das Frauenbild war gar zu schön!
Mephistopheles
Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen
Nun bald leibhaftig vor dir seh’n.
Leisevor 2603 Leise ] Leise. S Leise A  D.1 Leise. B (Leise.) B.a   (VIII)
Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
2604Bald Helenen in jedem Weibe.

Straße

Faust. Margarete vorüber gehend
Faust
2605Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?
Margarete
Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann ungeleitet nach Hause gehn.
Sie macht sich los und ab.
Faust
Beym Himmel, dieses Kind ist schön!
2610So etwas hab’ ich nie gesehn.
Sie ist so sitt- und tugendreich,
Und etwas schnippisch doch zugleich.
Der Lippe Roth, der Wange Licht,
Die Tage der Welt vergess’ ich’s nicht!
2615Wie sie die Augen niederschlägt,
Hat tief sich in mein Herz geprägt;
Wie sie kurz angebunden war,
Das ist nun zum Entzücken gar!
Mephistopheles tritt auf
Faust
Hör, du mußt mir die Dirne schaffen!
Mephistopheles
2620Nun, welche?
Faust
2620Sie ging just vorbey.
Mephistopheles
Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
Der sprach sie aller Sünden frey;
Ich schlich mich hart am Stuhl vorbey,
Es ist ein gar unschuldig Ding,
2625Das eben für nichts zur Beichte ging;
Über die hab’ ich keine Gewalt!
Faust
Ist über vierzehn Jahr doch alt.
Mephistopheles
Du sprichst ja wie Hans Liederlich,
Der begehrt jede liebe Blum’ für sich,
2630Und dünkelt ihm, es wär’ kein’ Ehr’2630 ihm, ] S  Aihm 1 H.5 ihm B  B.a   (IV a)
Und Gunst, die nicht zu pflücken wär’;2631 Gunst, ] A  B.aGunst 1 H.5  S Gunst B   (IV c)
Geht aber doch nicht immer an.
Faust
Mein Herr Magister Lobesan,2633 Lobesan ] A  B  B.aLobesan 1 H.5 lobesan S emend Carrière   (II a*)
Laß er mich mit dem Gesetz in Frieden!
2635Und das sag’ ich ihm kurz und gut,
Wenn nicht das süße junge Blut
Heut’ Nacht in meinen Armen ruht;
So sind wir um Mitternacht geschieden.
Mephistopheles
Bedenkt was gehn und stehen mag!
2640Ich brauche wenigstens vierzehn Tag’
Nur die Gelegenheit auszuspüren.
Faust
Hätt’ ich nur sieben Stunden Ruh,
Brauchte den Teufel nicht dazu,
So ein Geschöpfchen zu verführen.
Mephistopheles
2645Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos;
Doch bitt’ ich, laßt’s euch nicht verdrießen:2646 Doch ] A  B  B.aDrum 1 H.5  S   (VII)
Was hilft’s nur g’rade zu genießen?
Die Freud’ ist lange nicht so groß,
Als wenn ihr erst herauf, herum,
2650Durch allerley Brimborium,
Das Püppchen geknetet und zugericht’t,
Wie’s lehret manche welsche Geschicht’.
Faust
Hab’ Appetit auch ohne das.
Mephistopheles
Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß.
2655Ich sag’ euch, mit dem schönen Kind
Geht’s ein- für allemal nicht geschwind.2656 ein- für allemal ] einvorallmal 1 H.5 ein- vor allemal S ein-für allemal A  D.1 ein- für allemal B  B.a   (I c)
Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
Wir müssen uns zur List bequemen.
Faust
Schaff’ mir etwas vom Engelsschatz!
2660Führ’ mich an ihren Ruheplatz!
Schaff’ mir ein Halstuch von ihrer Brust,
Ein Strumpfband meiner Liebeslust!
Mephistopheles
Damit ihr seht, daß ich eurer Pein
Will förderlich und dienstlich seyn;
2665Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
Will euch noch heut’ in ihr Zimmer führen.
Faust
Und soll sie sehn? sie haben?
Mephistopheles
Nein!
Sie wird bey einer Nachbarinn seyn.
Indessen könnt ihr ganz allein
2670An aller Hoffnung künft’ger Freuden
In ihrem Dunstkreis satt euch weiden.
Faust
Können wir hin?
Mephistopheles
Es ist noch zu früh.
Faust
Sorg’ du mir für ein Geschenk für sie.
ab
Mephistopheles
Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssiren!
2675Ich kenne manchen schönen Platz
Und manchen alt vergrabnen Schatz,
2677Ich muß ein Bißchen revidiren.
ab

Abend

Ein kleines reinliches Zimmer
Margaretevor 2678 Margarete ] Margarethe S Margarete. A  D.1 Margarete B Margarethe B.a   (VIII)
ihre Zöpfe flechtend und aufbindend
2678Ich gäb’ was drum, wenn ich nur wüßt’,2678 wüßt’, ] S  A  B.awüsst 1 H.5 wüsst’ B   (IV c)
Wer heut der Herr gewesen ist!
2680Er sah gewiß recht wacker aus,
Und ist aus einem edlen Haus;
Das konnt’ ich ihm an der Stirne lesen –
Er wär’ auch sonst nicht so keck gewesen.
ab
Mephistopheles. Faust
Mephistopheles
Herein, ganz leise, nur herein!
Faust
nach einigem Stillschweigen
2685Ich bitte dich, laß mich allein!
Mephistopheles
herumspürend
Nicht jedes Mädchen hält so rein.
ab
Faust
rings aufschauend
Willkommen süßer Dämmerschein!
Der du dieß Heiligthum durchwebst.
Ergreif mein Herz, du süße Liebespein!
2690Die du vom Thau der Hoffnung schmachtend lebst.
Wie athmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit!
In dieser Armuth welche Fülle!
In diesem Kerker welche Seligkeit!
Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette.
2695O nimm mich auf! der du die Vorwelt schon
Bey Freud’ und Schmerz in offnen Arm empfangen!2696 in ] 1 H.5  S  Aim B  B.a   (IV a)
Wie oft, ach! hat an diesem Väter-Thron
Schon eine Schaar von Kindern rings gehangen!
Vielleicht hat, dankbar für den heil’gen Christ,
2700Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
Ich fühl’, o Mädchen, deinen Geist
Der Füll’ und Ordnung um mich säuseln,
Der mütterlich dich täglich unterweis’t,
2705Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,
Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
O liebe Hand! so göttergleich!
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
2709ein umbrochener Vers 1 H.5 S zwei Verse A B B.a   (II a)Und hier!
Er hebt einen Bettvorhang auf.
Was faßt mich für ein Wonnegraus!
2710Hier möcht’ ich volle Stunden säumen.
Natur! Hier bildetest in leichten Träumen
Den eingebornen Engel aus;
Hier lag das Kind! mit warmem Leben
Den zarten Busen angefüllt,
2715Und hier mit heilig reinem Weben
Entwirkte sich das Götterbild!
Und du! Was hat dich hergeführt?
Wie innig fühl’ ich mich gerührt!
Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?
2720Armsel’ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
Umgiebt mich hier ein Zauberduft?2721 Umgiebt ] AUmgiebt 1 H.5 Umgibt S Umgibt B  B.a   (IV a)
Mich drang’s so g’rade zu genießen,
Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?
2725Und träte sie den Augenblick herein,
Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach wie so klein!
Läg’, hingeschmolzen, ihr zu Füßen.
Mephistopheles
Geschwind! ich seh’ sie unten kommen.
Faust
2730Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!
Mephistopheles
Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
Ich hab’s wo anders hergenommen.
Stellt’s hier nur immer in den Schrein,
Ich schwör’ euch, ihr vergehn die Sinnen;
2735Ich that euch Sächelchen hinein,
Um eine andre zu gewinnen.
Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.
Faust
Ich weiß nicht, soll ich?2738 nicht, ] S  A  B.anicht 1 H.5 nicht B   (IV c)
Mephistopheles
Fragt ihr viel?
Meint ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
2740Dann rath’ ich eurer Lüsternheit2740–2741 Lüsternheit bis Tageszeit, ] S  A  B.aLüsternheit bis TagesZeit 1 H.5 Lüsternheit, bis Tageszeit B   (IV c)
Die liebe schöne Tageszeit,
Und mir die weitre Müh’ zu sparen.
Ich hoff’ nicht daß ihr geitzig seyd!
Ich kratz’ den Kopf, reib’ an den Händen –
Er stellt das Kästchen in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu.
2745Nur fort! geschwind! –
Um euch das süße junge Kind
Nach Herzens Wunsch und Will’ zu wenden;
Und ihr seht drein,
Als solltet ihr in den Hörsal hinein,
2750Als stünden grau leibhaftig vor euch da2750 stünden grau ] 1 H.5  Bstünd’ S  A standen grau B.a   (IV b)
Physik und Metaphysika!
Nur fort! –
ab
Margarete
mit einer Lampe
Es ist so schwül, so dumpfig hie,
Sie macht das Fenster auf.
Und ist doch eben so warm nicht drauß’.
2755Es wird mir so, ich weiß nicht wie –2755 weiß ] weis 1 H.5 weiß S weiß’ A  D.1 weiß   B  B.a   (I b)
Ich wollt’, die Mutter käm’ nach Haus.
Mir läuft ein Schauer über’n ganzen Leib2757 über’n ganzen Leib ] B  B.aam ganzen Leib 1 H.5 über’n Leib S  A   (IV b)
Bin doch ein thöricht furchtsam Weib!
Sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht.
Es war ein König in Thule
2760Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts darüber,
Er leert ihn jeden Schmaus;2764 leert ] A  B  B.aleert’ S  1 H.9   (II a*)
2765Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben,
Zählt’ er seine Städt’ im Reich,
Gönnt’ alles seinem Erben,2769 seinem ] S  1 H.9 A  B  D.2  B.a seinen 1 H.5  1 H.7  1 H.8 seinen J.1 seinen D3 D4  (II b*)
2770Den Becher nicht zugleich.
Er saß beym Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Väter-Saale,
Dort auf dem Schloß am Meer.
2775Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensgluth,
Und warf den heiligen Becher
Hinunter in die Fluth.
Er sah ihn stürzen, trinken
2780Und sinken tief ins Meer,
Die Augen thäten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.
Sie eröffnet den Schrein, ihre Kleider einzuräumen, und erblickt das Schmuckkästchen.
Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
2785Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne seyn?
Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf.
Da hängt ein Schlüsselchen am Band,
Ich denke wohl, ich mach’ es auf!2789 wohl, ] A  B.awohl 1 H.5  S wohl B   (IV c)
2790Was ist das? Gott im Himmel! schau,
So was hab’ ich mein’ Tage nicht gesehn!2791 mein’ Tage ] S  A  B  B.amein Tage 1 H.5 mein Tage konj Schröer  (II b*)
Ein Schmuck! Mit dem könnt’ eine Edelfrau
Am höchsten Feiertage gehn.
Wie sollte mir die Kette stehn?
2795Wem mag die Herrlichkeit gehören?
Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.
Wenn nur die Ohrring’ meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
Das ist wohl alles schön und gut,
2800Allein man läßt’s auch alles seyn;
Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
2804Doch alles. Ach wir Armen!2804 alles ] 1 H.5  S  AAlles B  B.a   (IV a)

Spazirgangvor 2805 Spazirgang ] ASpatziergang S Spaziergang B Spatziergang B.a   (IV a)

Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles
Mephistopheles
2805Bey aller verschmähten Liebe! Beym höllischen Elemente!
Ich wollt’, ich wüßte ’was ärgers, daß ich’s fluchen könnte!2806 wollt’, ] Awollt 1 H.5 wollt’ S wollt’ B  B.a   (IV a)
Faust
Was hast? was kneipt dich denn so sehr?
So kein Gesicht sah ich in meinem Leben!2808 sah ] 1 H.5sah’ S  A  B  B.a   (II b)
Mephistopheles
Ich möcht’ mich gleich dem Teufel übergeben,
2810Wenn ich nur selbst kein Teufel wär’!
Faust
Hat sich dir was im Kopf verschoben?
Dich kleidet’s, wie ein Rasender zu toben!
Mephistopheles
Denkt nur, den Schmuck für Gretchen angeschafft,
Den hat ein Pfaff hinweggerafft! 2814 ] A  B  B.a– – S   (VII)
2815Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,
Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen:
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch,
Und riecht’s einem jeden Möbel an,
2820Ob das Ding heilig ist oder profan;
Und an dem Schmuck da spürt sie’s klar,
Daß dabey nicht viel Segen war.
Mein Kind, rief sie, ungerechtes Gut
Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.
2825Wollen’s der Mutter Gottes weihen,
Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
Margretlein zog ein schiefes Maul,
Ist halt, dacht’ sie, ein geschenkter Gaul,
Und wahrlich! gottlos ist nicht der,
2830Der ihn so fein gebracht hierher.
Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
Der hatte kaum den Spaß vernommen,
Ließ sich den Anblick wohl behagen.
Er sprach: So ist man recht gesinnt!
2835Wer überwindet der gewinnt.
Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen,
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch’ allein, meine lieben Frauen,
2840Kann ungerechtes Gut verdauen.
Faust
Das ist ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud’ und König kann es auch.
Mephistopheles
Strich drauf ein Spange, Kett’ und Ring,2843 Kett’ und Ring ] SKett und Ring 1 H.5 Kett’ und Ring’ A  B  B.a   (II a)
Als wären’s eben Pfifferling’,
2845Dankt’ nicht weniger und nicht mehr,
Als ob’s ein Korb voll Nüsse wär’,
Versprach ihnen allen himmlischen Lohn –
Und sie waren sehr erbaut davon.
Faust
Und Gretchen?
Mephistopheles
Sitzt nun unruhvoll,
2850Weiß weder was sie will noch soll,
Denkt an’s Geschmeide Tag und Nacht,
Noch mehr an den, der’s ihr gebracht.2852 den, ] S  A  B.aden 1 H.5 den B   (IV c)
Faust
Des Liebchens Kummer thut mir leid.
Schaff’ du ihr gleich ein neu Geschmeid’!
2855Am ersten war ja so nicht viel.
Mephistopheles
O ja, dem Herrn ist alles Kinderspiel!
Faust
Und mach’, und richt’s nach meinem Sinn!
Häng’ dich an ihre Nachbarinn.
Sey Teufel doch nur nicht wie Brey,
2860Und schaff’ einen neuen Schmuck herbey!
Mephistopheles
Ja, gnäd’ger Herr, von Herzen gerne.
Faust ab
Mephistopheles
So ein verliebter Thor verpufft
Euch Sonne, Mond und alle Sterne
2864Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
ab

Der Nachbarinn Haus

Marthe
allein
2865Gott verzeih’s meinem lieben Mann,
Er hat an mir nicht wohl gethan!
Geht da stracks in die Welt hinein,
Und läßt mich auf dem Stroh allein.
Thät ihn doch wahrlich nicht betrüben,2869 Thät ] Thät 1 H.5 Thät’ S  A  B  B.a   (I b)
2870Thät ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.2870 Thät ] thät 1 H.5 Thät’ S  A  B  B.a   (I b)
Sie weint.
Vielleicht ist er gar todt! – O Pein! – –
Hätt’ ich nur einen Todtenschein!
Margarete kommt
Margarete
Frau Marthe!
Marthe
Gretelchen, was soll’s?
Margarete
Fast sinken mir die Kniee nieder!
2875Da find’ ich so ein Kästchen wieder
In meinem Schrein, von Ebenholz,
Und Sachen herrlich ganz und gar,
Weit reicher als das erste war.
Marthe
Das muß sie nicht der Mutter sagen;
2880Thät’s wieder gleich zur Beichte tragen.
Margarete
Ach seh’ sie nur! ach schau’ sie nur!
Marthe
putzt sie auf
O du glücksel’ge Creatur!
Margarete
Darf mich, leider, nicht auf der Gassen,
Noch in der Kirche mit sehen lassen.
Marthe
2885Komm du nur oft zu mir herüber,
Und leg’ den Schmuck hier heimlich an;
Spazier’ ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
Wir haben unsre Freude dran;
Und dann gibt’s einen Anlaß, gibt’s ein Fest,
2890Wo man’s so nach und nach den Leuten sehen läßt.
Ein Kettchen erst, die Perle dann in’s Ohr;
Die Mutter sieht’s wohl nicht, man macht ihr auch was vor.
Margarete
Wer konnte nur die beyden Kästchen bringen?
Es geht nicht zu mit rechten Dingen!
Es klopft.
Margarete
2895Ach Gott! mag das meine Mutter seyn?
Marthe
durchs Vorhängel guckendvor 2896 durchs ] Adurchs 1 H.5 durch’s S durch’s B  B.a   (IV a)
Es ist ein fremder Herr – Herein!
Mephistopheles tritt auf
Mephistopheles
Bin so frey g’rad’ herein zu treten,
Muß bey den Frauen Verzeihn erbeten.
Tritt ehrerbietig vor Margareten zurück
Wollte nach Frau Marthe Schwerdlein fragen!2899 Schwerdlein ] 1 H.5  S  ASchwerdtlein B  B.a   (IV a)
Marthe
2900Ich bin’s, was hat der Herr zu sagen?
Mephistopheles
leise zu ihr
Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
Sie hat da gar vornehmen Besuch.
Verzeiht die Freyheit die ich genommen,
Will Nachmittage wieder kommen.2904 Nachmittage ] A  B  B.anach Mittage 1 H.5  S   (VII)
Marthe
laut
2905Denk’, Kind, um alles in der Welt!
Der Herr dich für ein Fräulein hält.
Margarete
Ich bin ein armes junges Blut;
Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:
Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.
Mephistopheles
2910Ach, es ist nicht der Schmuck allein;
Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
Wie freut mich’s, daß ich bleiben darf.
Marthe
Was bringt Er denn? Verlange sehr –
Mephistopheles
Ich wollt’ ich hätt’ eine frohere Mähr’!
2915Ich hoffe, Sie läßt mich’s drum nicht büßen:2915 hoffe, ] S  A  B.ahoff 1 H.5 hoffe B   (IV c)
Ihr Mann ist todt und läßt Sie grüßen.
Marthe
Ist todt? das treue Herz! O weh!
Mein Mann ist todt! Ach ich vergeh’!
Margarete
Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!
Mephistopheles
2920So hört die traurige Geschicht’!
Margarete
Ich möchte drum mein’ Tag’ nicht lieben,2921 mein’ Tag’ ] S  A  B  B.amein tag 1 H.5 mein Tag konj Schröer  (II b*)
Würde mich Verlust zu Tode betrüben.
Mephistopheles
Freud’ muß Leid, Leid muß Freude haben.
Marthe
Erzählt mir seines Lebens Schluß!
Mephistopheles
2925Er liegt in Padua begraben
Bey’m heiligen Antonius,
An einer wohlgeweihten Stätte
Zum ewig kühlen Ruhebette.
Marthe
Habt ihr sonst nichts an mich zu bringen?
Mephistopheles
2930Ja, eine Bitte, groß und schwer;
Laß Sie doch ja für ihn dreyhundert Messen singen!
Im übrigen sind meine Taschen leer.
Marthe
Was! nicht ein Schaustück? Kein Geschmeid’?
Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,
2935Zum Angedenken aufbewahrt,
Und lieber hungert lieber bettelt!2936 hungert ] Ahungert 1 H.5 hungert, S hungert, B  B.a   (IV a)
Mephistopheles
Madam, es thut mir herzlich leid;
Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
Auch er bereute seine Fehler sehr,
2940Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.
Margarete
Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
Gewiß ich will für ihn manch Requiem noch beten.
Mephistopheles
Ihr wäret werth, gleich in die Eh’ zu treten:
Ihr seyd ein liebenswürdig Kind.
Margarete
2945Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.
Mephistopheles
Ist’s nicht ein Mann, sey’s derweil’ ein Galan.2946 derweil’ ] S  A  B  B.aderweil 1 H.5   (I b*)
’s ist eine der größten Himmelsgaben,
So ein lieb Ding im Arm zu haben.
Margarete
Das ist des Landes nicht der Brauch.
Mephistopheles
2950Brauch oder nicht! es gibt sich auch.
Marthe
Erzählt mir doch!
Mephistopheles
Ich stand an seinem Sterbebette,
Es war was besser als von Mist,
Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ,2953 halbgefaultem ] A  B  B.ahalb gefaulten 1 H.5 halb gefaultem S   (II a*)
Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.2954 fand, ] 1 H.5  S  A  B.afand B   (IV c)
2955Wie, rief er, muß ich mich von Grund aus hassen,
So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
Ach! die Erinnerung tödtet mich.
Vergäb’ sie mir nur noch in diesem Leben! –
Marthe
weinend
Der gute Mann! ich hab’ ihm längst vergeben.
Mephistopheles
2960Allein, weiß Gott! sie war mehr Schuld als ich.
Marthe
Das lügt er! Was! am Rand des Grab’s zu lügen!
Mephistopheles
Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
Ich hatte, sprach er, nicht zum Zeitvertreib zu gaffen,
2965Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,
Und Brot im allerweit’sten Sinn,
Und konnte nicht einmal mein Theil in Frieden essen.
Marthe
Hat er so aller Treu’, so aller Lieb’ vergessen,
Der Plackerey bey Tag und Nacht!
Mephistopheles
2970Nicht doch, er hat recht herzlich dran gedacht.2970 recht ] 1 H.5euch S  A  B  B.a  1 H.1  C.1 12  C.3 12   (II b)
Er sprach: Als ich nun weg von Malta ging,
Da betet’ ich für Frau und Kinder brünstig;
Uns war denn auch der Himmel günstig,
Daß unser Schiff ein Türkisch Fahrzeug fing,
2975Das einen Schatz des großen Sultans führte.
Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
Und ich empfing denn auch, wie sich’s gebührte,
Mein wohlgemess’nes Theil davon.
Marthe
Ey wie? Ey wo? Hat er’s vielleicht vergraben?
Mephistopheles
2980Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
Als er in Napel fremd umher spazirte;2982 spazirte ] Aspazierte 1 H.5 spatzierte S spazierte B spatzierte B.a   (IV a)
Sie hat an ihm viel Lieb’s und Treu’s gethan,
Daß er’s bis an sein selig Ende spürte.
Marthe
2985Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!
Auch alles Elend, alle Noth
Konnt’ nicht sein schändlich Leben hindern!
Mephistopheles
Ja seht! dafür ist er nun todt.
Wär’ ich nun jetzt an eurem Platze;
2990Betraurt’ ich ihn ein züchtig Jahr,
Visirte dann unterweil’ nach einem neuen Schatze.
Marthe
Ach Gott! wie doch mein erster war,
Find’ ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
Es konnte kaum ein herziger Närrchen seyn.
2995Er liebte nur das allzuviele Wandern,
Und fremde Weiber, und fremden Wein,
Und das verfluchte Würfelspiel.
Mephistopheles
Nun, nun, so konnt’ es gehn und stehen,
Wenn er euch ungefähr so viel
3000Von seiner Seite nachgesehen.
Ich schwör’ euch zu, mit dem Beding
Wechselt’ ich selbst mit euch den Ring!
Marthe
O es beliebt dem Herrn zu scherzen!
Mephistopheles
für sich
Nun mach’ ich mich bey Zeiten fort!
3005Die hielte wohl den Teufel selbst beym Wort.
zu Gretchen
Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?
Margarete
Was meint der Herr damit?
Mephistopheles
für sich
Du gut’s, unschuldig’s Kind!
Laut
Lebt wohl ihr Frauen!
Margarete
Lebt wohl!
Marthe
O sagt mir doch geschwind!
Ich möchte gern ein Zeugniß haben,
3010Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.3010 wann ] A  B  B.awenn 1 H.5  S   (VII)
Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
Möcht’ ihn auch todt im Wochenblättchen lesen.
Mephistopheles
Ja, gute Frau, durch zweyer Zeugen Mund
Wird allerwegs die Wahrheit kund;
3015Habe noch gar einen feinen Gesellen,
Den will ich euch vor den Richter stellen.
Ich bring’ ihn her.
Marthe
O thut das ja!
Mephistopheles
Und hier die Jungfrau ist auch da? –
Ein braver Knab’! ist viel gereis’t,
3020Fräuleins alle Höflichkeit erweis’t.
Margarete
Müßte vor dem Herren schamroth werden.
Mephistopheles
Vor keinem Könige der Erden.
Marthe
Da hinter’m Haus in meinem Garten
3024Wollen wir der Herrn heut’ Abend warten.

Straße

Faust. Mephistopheles
Faust
3025Wie ist’s? Will’s fördern? Will’s bald gehn?
Mephistopheles
Ah bravo! Find’ ich euch in Feuer?3026 in ] A  B  B.aim 1 H.5  S   (VII)
In kurzer Zeit ist Gretchen euer.
Heut’ Abend sollt ihr sie bey Nachbar’ Marthen sehn:3028 Nachbar’ ] A  B  B.aNachbaar 1 H.5 Nachbars S   (VII)
Das ist ein Weib wie auserlesen
3030Zum Kuppler- und Zigeunerwesen!
Faust
So recht!
Mephistopheles
Doch wird auch was von uns begehrt.
Faust
Ein Dienst ist wohl des andern werth.
Mephistopheles
Wir legen nur ein gültig Zeugniß nieder,
Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder
3035In Padua an heil’ger Stätte ruhn.
Faust
Sehr klug! Wir werden erst die Reise machen müssen!
Mephistopheles
Sancta Simplicitas! darum ist’s nicht zu thun;
Bezeugt nur ohne viel zu wissen.
Faust
Wenn Er nichts bessers hat, so ist der Plan zerrissen.
Mephistopheles
3040O heil’ger Mann! Da wär’t ihr’s nun!
Ist es das erstemal in eurem Leben,
Daß ihr falsch Zeugniß abgelegt?
Habt ihr von Gott, der Welt und was sich d’rin bewegt,
Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,
3045Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben?
Mit frecher Stirne, kühner Brust?
Und wollt ihr recht in’s Innre gehen,
Habt ihr davon, ihr müßt es g’rad’ gestehen,
So viel als von Herrn Schwerdleins Tod gewußt!3049 Schwerdleins ] 1 H.5  S  ASchwerdtleins B  B.a   (IV a)
Faust
3050Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste.
Mephistopheles
Ja, wenn man’s nicht ein Bißchen tiefer wüßte.
Denn morgen wirst in allen Ehren3052 wirst bis Ehren ] 1 H.5  S  Awirst, bis Ehren, B  B.a   (IV a)
Das arme Gretchen nicht bethören,
Und alle Seelenlieb’ ihr schwören?
Faust
3055Und zwar von Herzen.
Mephistopheles
3055Gut und schön!
Dann wird von ewiger Treu’ und Liebe,
Von einzig überallmächt’gem Triebe –
Wird das auch so von Herzen gehn?
Faust
Laß das! Es wird! – Wenn ich empfinde,
3060Für das Gefühl, für das Gewühl
Nach Namen suche, keinen finde,
Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
Nach allen höchsten Worten greife,
Und diese Gluth, von der ich brenne,
3065Unendlich, ewig, ewig nenne,
Ist das ein teuflisch Lügenspiel?
Mephistopheles
Ich hab’ doch Recht!
Faust
Hör’! merk’ dir dieß –
Ich bitte dich, und schone meine Lunge –
Wer Recht behalten will und hat nur eine Zunge,
3070Behält’s gewiß.
Und komm, ich hab’ des Schwätzens Überdruß,3071 komm ] komm 1 H.5  S komm’ A  B komm B.a   (I b)
3072Denn du hast Recht, vorzüglich weil ich muß.

Garten

Margarete an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles auf und ab spazirendvor 3073 spazirend ] Aspazierend 1 H.5 spazierend B spatzierend B.a   (IV a)
Margarete
3073Ich fühl’ es wohl, daß mich der Herr nur schont,
Herab sich läßt, mich zu beschämen.
3075Ein Reisender ist so gewohnt
Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen,
Ich weiß zu gut, daß solch erfahrnen Mann3077 solch ] solch 1 H.5 solch’ S  A  B  B.a   (I b)
Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.
Faust
Ein Blick von dir, Ein Wort mehr unterhält,
3080Als alle Weisheit dieser Welt.
Er küßt ihre Hand.
Margarete
Incommodirt euch nicht! Wie könnt ihr sie nur küssen?
Sie ist so garstig, ist so rauh!
Was hab’ ich nicht schon alles schaffen müssen!
Die Mutter ist gar zu genau.
Gehn vorüber
Marthe
3085Und ihr, mein Herr, ihr reis’t so immer fort?
Mephistopheles
Ach, daß Gewerb’ und Pflicht uns dazu treiben!
Mit wie viel Schmerz verläßt man manchen Ort,
Und darf doch nun einmal nicht bleiben!
Marthe
In raschen Jahren geht’s wohl an,
3090So um und um frey durch die Welt zu streifen;
Doch kömmt die böse Zeit heran,
Und sich als Hagestolz allein zum Grab’ zu schleifen,
Das hat noch keinem wohl gethan.3093 keinem ] 1 H.5  S  AKeinem B  B.a   (IV a)
Mephistopheles
Mit Grausen seh’ ich das von weiten.
Marthe
3095Drum, werther Herr, berathet euch in Zeiten.3095 Drum, ] Das Komma fehlt in manchen Exemplaren von B, so auch in 1 H.1.   (VII)
Gehn vorüber
Margarete
Ja, aus den Augen aus dem Sinn!
Die Höflichkeit ist euch geläufig;
Allein ihr habt der Freunde häufig,
Sie sind verständiger als ich bin.
Faust
3100O Beste! glaube, was man so verständig nennt,
Ist oft mehr Eitelkeit und Kurzsinn.
Margarete
Wie?
Faust
Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
Sich selbst und ihren heil’gen Werth erkennt!
Daß Demuth, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
3105Der liebevoll austheilenden Natur –
Margarete
Denkt ihr an mich ein Augenblickchen nur,
Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben.
Faust
Ihr seyd wohl viel allein?
Margarete
Ja, unsre Wirthschaft ist nur klein,
3110Und doch will sie versehen seyn.
Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken
Und nähn, und laufen früh und spat;
Und meine Mutter ist in allen Stücken
So accurat!
3115Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat;
Wir könnten uns weit eh’r als andre regen:3116 eh’r ] A  B  B.aeh 1 H.5 eh’ S   (VII)
Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
Doch hab’ ich jetzt so ziemlich stille Tage;
3120Mein Bruder ist Soldat,
Mein Schwesterchen ist todt.
Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Noth;
Doch übernähm’ ich gern noch einmal alle Plage,
So lieb war mir das Kind.
Faust
Ein Engel, wenn dir’s glich.
Margarete
3125Ich zog es auf, und herzlich liebt’ es mich.
Es war nach meines Vaters Tod geboren.
Die Mutter gaben wir verloren,
So elend wie sie damals lag,
Und sie erholte sich sehr langsam, nach und nach.
3130Da konnte sie nun nicht d’ran denken
Das arme Würmchen selbst zu tränken,
Und so erzog ich’s ganz allein,
Mit Milch und Wasser; so ward’s mein.
Auf meinem Arm, in meinem Schoos3134 Schoos ] 1 H.5  S  ASchoß B Schooß B.a   (IV a)
3135War’s freundlich, zappelte, ward groß.
Faust
Du hast gewiß das reinste Glück empfunden.
Margarete
Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
Des Kleinen Wiege stand zu Nacht
An meinem Bett’, es durfte kaum sich regen,
3140War ich erwacht;
Bald mußt’ ich’s tränken, bald es zu mir legen,
Bald, wenn’s nicht schwieg, vom Bett’ aufstehn,
Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn,
Und früh am Tage schon am Waschtrog stehn;
3145Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,
Und immer fort wie heut so morgen.
Da geht’s, mein Herr, nicht immer muthig zu;
Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh.
Gehn vorüber
Marthe3149–3152 Ergänzung in der Vorlage für A. Die Verse finden sich noch nicht in 1 H.5 S, sie sind in 1 H.10 auch eigenhändig überliefert.
Die armen Weiber sind doch übel dran:
3150Ein Hagestolz ist schwerlich zu bekehren.
Mephistopheles
Es käme nur auf eures gleichen an,
Mich eines bessern zu belehren.
Marthe
Sagt g’rad’, mein Herr, habt ihr noch nichts gefunden?
Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?
Mephistopheles
3155Das Sprichwort sagt: Ein eigner Herd,
Ein braves Weib, sind Gold und Perlen werth.
Marthe
Ich meine, ob ihr niemals Lust bekommen?
Mephistopheles
Man hat mich überall recht höflich aufgenommen.
Marthe
Ich wollte sagen: ward’s nie Ernst in eurem Herzen?
Mephistopheles
3160Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen.
Marthe
Ach, ihr versteht mich nicht!
Mephistopheles
Das thut mir herzlich leid!
Doch ich versteh’ – daß ihr sehr gütig seyd.
Gehn vorüber
Faust
Du kanntest mich, o kleiner Engel, wieder,
Gleich als ich in den Garten kam?
Margarete
3165Saht ihr es nicht? ich schlug die Augen nieder.
Faust
Und du verzeihst die Freyheit, die ich nahm?
Was sich die Frechheit unterfangen,
Als du jüngst aus dem Dom gegangen.
Margarete
Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
3170Es konnte niemand von mir übels sagen.
Ach, dacht’ ich, hat er in deinem Betragen
Was freches, unanständiges gesehn?
Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
Mit dieser Dirne g’rade hin zu handeln.
3175Gesteh’ ich’s doch! Ich wußte nicht was sich
Zu eurem Vortheil hier zu regen gleich begonnte;
Allein gewiß, ich war recht bös’ auf mich,
Daß ich auf euch nicht böser werden konnte.
Faust
Süß Liebchen!
Margarete
Laßt einmal!
Sie pflückt eine Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach dem andern.
Faust
Was soll das? Einen Strauß?3179 Einen ] S  A  B  B.a  1 H.1  C.1 12  C.3 12Keinen 1 H.5 emend Resenhöfft   (II b*)
Margarete
3180Nein, es soll nur ein Spiel.
Faust
3180Wie?
Margarete
3180Geht! ihr lacht mich aus.
Sie rupft und murmelt.
Faust
Was murmelst du?
Margarete
halb laut
Er liebt mich – liebt mich nicht.
Faust
Du holdes Himmels-Angesicht!
Margaretevor 3183 Margarete fährt fort ] Margr: fährt fort) 1 H.5 Margarethe fährt fort. S Margarete fährt fort A Margarete fährt fort. D.1 Margarete fährt fort. B Margarethe (fährt fort). B.a   (VIII)
fährt fort
Liebt mich – Nicht – Liebt mich – Nicht –
Das letzte Blatt ausrupfend, mit holder Freudevor 3184a letzte ] Slezte 1 H.5 lezte A  D.1 letzte B  B.a   (II a)
Er liebt mich!3184a–b In 1 H.5  S  A  B  B.a handelt es sich um zwei Verse, Düntzer und Erich Schmidt fassen sie zu einem antilabischen Vers zusammen.   (III *)
Faust
Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
3185Dir Götter-Ausspruch seyn. Er liebt dich!
Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
Er faßt ihre beyden Hände.nach 3186 ihre beyden ] A  B  B.aihr beyde 1 H.5  S   (VII)
Margarete
Mich überläuft’s!
Faust
O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
Laß diesen Händedruck dir sagen,
3190Was unaussprechlich ist:
Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
Zu fühlen, die ewig seyn muß!
Ewig! – Ihr Ende würde Verzweiflung seyn.
Nein, kein Ende! Kein Ende!
Margarete drückt ihm die Hände, macht sich los und läuft weg. Er steht einen Augenblick in Gedanken, dann folgt er ihr.
Marthe
kommend
3195Die Nacht bricht an.
Mephistopheles
3195Ja, und wir wollen fort.
Marthe
Ich bät’ euch länger hier zu bleiben,
Allein es ist ein gar zu böser Ort.
Es ist als hätte niemand nichts zu treiben
Und nichts zu schaffen,
3200Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu gaffen,
Und man kommt in’s Gered’, wie man sich immer stellt.
Und unser Pärchen?
Mephistopheles
Ist den Gang dort aufgeflogen.
Muthwill’ge Sommervögel!
Marthe
Er scheint ihr gewogen.
Mephistopheles
3204Und sie ihm auch. Das ist der Lauf der Welt.

Ein Gartenhäuschen

Margarete springt herein, steckt sich hinter die Thür, hält die Fingerspitze an die Lippen, und guckt durch die Ritze.
Margarete
3205Er kommt!
Faust
kommt
3205Ach Schelm, so neckst du mich!
Treff’ ich dich!
Er küßt sie.
Margaretein 3206 Margarete ] Margarethe S Margarete. A  D.1 Margarete B Margarethe B.a   (VIII)
ihn fassend und den Kuß zurück gebendvor 3206 zurück gebend ] S  Azurückgebend 1 H.5 zurückgebend B  B.a   (IV a)
Bester Mann! von Herzen lieb’ ich dich!
Mephistopheles klopft an
Faust
stampfend
Wer da?
Mephistopheles
Gut Freund!
Faust
Ein Thier!
Mephistopheles
Es ist wohl Zeit zu scheiden.
Marthe
kommt
Ja, es ist spät, mein Herr.
Faust
Darf ich euch nicht geleiten?
Margarete
Die Mutter würde mich – Lebt wohl!
Faust
Muß ich denn gehn?
3210Lebt wohl!
Marthe
3210Ade!
Margarete
3210Auf baldig Wiedersehn!
Faust und Mephistopheles ab
Margarete
Du lieber Gott! was so ein Mann
Nicht alles alles denken kann!
Beschämt nur steh’ ich vor ihm da,
Und sag’ zu allen Sachen ja.
3215Bin doch ein arm unwissend Kind,
3216Begreife nicht was er an mir find’t.
ab

Wald und Höhle

Faust
allein
3217Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,3217 alles ] S  AAlles B  B.a   (IV a)
Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
3220Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir in ihre tiefe Brust,
Wie in den Busen eines Freund’s, zu schauen.
3225Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbey, und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
Und wenn der Sturm im Walde braus’t und knarrt,
Die Riesenfichte, stürzend, Nachbaräste
3230Und Nachbarstämme, quetschend, nieder streift,
Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert;
Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime tiefe Wunder öffnen sich.
3235Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
Besänftigend herüber; schweben mir
Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch,
Der Vorwelt silberne Gestalten auf,
Und lindern der Betrachtung strenge Lust.
3240O daß dem Menschen nichts Vollkomm’nes wird,
Empfind’ ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah’ und näher bringt,
Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,
3245Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts,
Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
So tauml’ ich von Begierde zu Genuß,
3250Und im Genuß verschmacht’ ich nach Begierde.
Mephistopheles tritt auf
Mephistopheles
Habt ihr nun bald das Leben g’nug geführt?
Wie kann’s euch in die Länge freuen?
Es ist wohl gut, daß man’s einmal probirt;
Dann aber wieder zu was neuen!3254 neuen ] S  ANeuen B  B.a   (IV a)
Faust
3255Ich wollt’, du hättest mehr zu thun,
Als mich am guten Tag zu plagen.
Mephistopheles
Nun nun! ich laß’ dich gerne ruhn,
Du darfst mir’s nicht im Ernste sagen.
An dir Gesellen unhold, barsch und toll,
3260Ist wahrlich wenig zu verlieren.
Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
Was ihm gefällt und was man lassen soll,
Kann man dem Herrn nie an der Nase spüren.
Faust
Das ist so just der rechte Ton!
3265Er will noch Dank, daß er mich ennüyirt.
Mephistopheles
Wie hätt’st du, armer Erdensohn,
Dein Leben ohne mich geführt?
Vom Kribskrabs der Imagination
Hab’ ich dich doch auf Zeiten lang curirt;
3270Und wär’ ich nicht, so wär’st du schon
Von diesem Erdball abspazirt.
Was hast du da in Höhlen, Felsenritzen
Dich wie ein Schuhu zu versitzen?
Was schlurfst aus dumpfem Moos und triefendem Gestein,
3275Wie eine Kröte, Nahrung ein?
Ein schöner, süßer Zeitvertreib!
Dir steckt der Doctor noch im Leib.
Faust
Verstehst du, was für neue Lebenskraft
Mir dieser Wandel in der Öde schafft?
3280Ja, würdest du es ahnden können,3280 ahnden ] S  Aahnen B  B.a   (IV a)
Du wärest Teufel g’nug mein Glück mir nicht zu gönnen.
Mephistopheles
Ein überirdisches Vergnügen!
In Nacht und Thau auf den Gebirgen liegen,
Und Erd und Himmel wonniglich umfassen,3284 Erd ] A  B  B.aErd’ S   (II a*)
3285Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen,
Der Erde Mark mit Ahndungsdrang durchwühlen,3286 Ahndungsdrang ] S  AAhnungsdrang B  B.a   (IV a)
Alle sechs Tagewerk’ im Busen fühlen,
In stolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
Bald liebewonniglich in alles überfließen,3289 alles ] S  AAlles B  B.a   (IV a)
3290Verschwunden ganz der Erdensohn,
Und dann die hohe Intuition –
Mit einer Geberde
Ich darf nicht sagen wie – zu schließen.
Faust
Pfuy über dich!
Mephistopheles
Das will euch nicht behagen;
Ihr habt das Recht gesittet pfuy zu sagen.
3295Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,
Was keusche Herzen nicht entbehren können.
Und kurz und gut, ich gönn’ Ihm das Vergnügen,
Gelegentlich sich etwas vorzulügen;
Doch lange hält Er das nicht aus.
3300Du bist schon wieder abgetrieben,
Und, währt es länger, aufgerieben
In Tollheit oder Angst und Graus.
Genug damit! dein Liebchen sitzt dadrinne,
Und alles wird ihr eng’ und trüb’.
3305Du kommst ihr gar nicht aus dem Sinne,
Sie hat dich übermächtig lieb.
Erst kam deine Liebeswuth übergeflossen,
Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt;
Du hast sie ihr in’s Herz gegossen,
3310Nun ist dein Bächlein wieder seicht.
Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen,
Ließ es dem großen Herren gut,
Das arme affenjunge Blut
Für seine Liebe zu belohnen.
3315Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn
Über die alte Stadtmauer hin.
Wenn ich ein Vöglein wär’! so geht ihr Gesang
Tagelang, halbe Nächte lang.3319 Tagelang ] A  BTaglang S Tage lang B.a   (II a*)
3320Einmal ist sie munter, meist betrübt,
Einmal recht ausgeweint,
Dann wieder ruhig, wie’s scheint,
Und immer verliebt.
Faust
Schlange! Schlange!
Mephistopheles
für sich
3325Gelt! daß ich dich fange!
Faust
Verruchter! hebe dich von hinnen,
Und nenne nicht das schöne Weib!
Bring’ die Begier zu ihrem süßen Leib
Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!
Mephistopheles
3330Was soll es denn? Sie meint, du seyst entfloh’n,
Und halb und halb bist du es schon.
Faust
Ich bin ihr nah’, und wär’ ich noch so fern,
Ich kann sie nie vergessen, nie verlieren;
Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,
3335Wenn ihre Lippen ihn indeß berühren.
Mephistopheles
Gar wohl, mein Freund! Ich hab’ euch oft beneidet
Um’s Zwillingspaar, das unter Rosen weidet.
Faust
Entfliehe, Kuppler!
Mephistopheles
Schön! Ihr schimpft und ich muß lachen.
Der Gott, der Bub’ und Mädchen schuf,
3340Erkannte gleich den edelsten Beruf,
Auch selbst Gelegenheit zu machen.
Nur fort, es ist ein großer Jammer!
Ihr sollt in eures Liebchens Kammer,
Nicht etwa in den Tod.
Faust
3345Was ist die Himmelsfreud’ in ihren Armen?
Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
Fühl’ ich nicht immer ihre Noth?
Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehaus’te?
Der Unmensch ohne Zweck und Ruh?
3350Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus’te
Begierig wüthend nach dem Abgrund zu.
Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,
Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
Und all ihr häusliches Beginnen
3355Umfangen in der kleinen Welt.
3356–3357zwei Verse 1 H.5
Und ich, der Gottverhaßte, hatte nicht genug,
S A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
  (II b)
Und ich, der Gottverhaßte,
Hatte nicht genug,
Daß ich die Felsen faßte
Und sie zu Trümmern schlug!
3360Sie, ihren Frieden mußt’ ich untergraben!
Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!
Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen,
Was muß geschehn, mag’s gleich geschehn!
Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen
3365Und sie mit mir zu Grunde gehn!
Mephistopheles
Wie’s wieder siedet, wieder glüht!
Geh’ ein und tröste sie, du Thor!
Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
Stellt er sich gleich das Ende vor.3369 er ] S  A  B  B.aes 1 H.5 emend Resenhöfft   (II b*)
3370Es lebe wer sich tapfer hält!
Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
Nichts abgeschmackters find’ ich auf der Welt,3372 abgeschmackters ] S  AAbgeschmackters B  B.a   (IV a)
3373Als einen Teufel der verzweifelt.

Gretchens Stube

Gretchen
am Spinnrade allein
3374Meine Ruh’ ist hin,
3375Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.
Wo ich ihn nicht hab’
Ist mir das Grab,
3380Die ganze Welt
Ist mir vergällt.
Mein armer Kopf
Ist mir verrückt,
Mein armer Sinn
3385Ist mir zerstückt.
Meine Ruh’ ist hin,
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.
3390Nach ihm nur schau’ ich
Zum Fenster hinaus,
Nach ihm nur geh’ ich
Aus dem Haus.
Sein hoher Gang,
3395Sein’ edle Gestalt,3395 Sein’ ] S  A  B  B.aSein 1 H.5  1 H.7  1 H.11 Sein konj Schröer  (II b*)
Seines Mundes Lächeln,
Seiner Augen Gewalt,
Und seiner Rede
Zauberfluß,
3400Sein Händedruck,
Und ach sein Kuß!
Meine Ruh’ ist hin,
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
3405Und nimmermehr.
Mein Busen drängt
Sich nach ihm hin,
Ach dürft’ ich fassen
Und halten ihn!
3410nach 3409 Strophenabstand 1 H.5 kein Strophenabstand S  A  B  B.a Strophenabstand vorschl. Gö mark G 1 H.6 kein Strophenabstand 1 H.1 Strophenabstand C.1 12  C.3 12   (II b)Und küssen ihn
So wie ich wollt’,
An seinen Küssen
3413Vergehen sollt’!

Marthens Garten

Margarete. Faust
Margarete
3414Versprich mir, Heinrich!
Faust
3414Was ich kann!
Margarete
3415Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon.3417 hältst ] hältst 1 H.5 hält’st S  A  B hältst B.a   (I b)
Faust
Laß das, mein Kind! du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ’ ich Leib und Blut,3419 ließ’ ] S  Alies 1 H.5 ließ B  B.a   (IV a)
3420Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
Margarete
Das ist nicht recht, man muß d’ran glauben!
Faust
Muß man?3422 Muß ] A  B  B.aMuss 1 H.5 Muß S   (II a*)
Margarete
Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
Du ehrst auch nicht die heil’gen Sacramente.
Faust
Ich ehre sie.
Margarete
Doch ohne Verlangen.
3425Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?
Faust
Mein Liebchen, wer darf sagen,
Ich glaub’ an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
3430Über den Frager zu seyn.
Margarete
3430So glaubst du nicht?
Faust
Mißhör’ mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub’ ihn.
3435Wer empfinden?
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub’ ihn nicht.
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
3440Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?
Liegt die Erde nicht hierunten fest?
Und steigen freundlich blickend
3445Ewige Sterne nicht herauf?
Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimniß
3450Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll’ davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn’ es dann wie du willst,
Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
3455Ich habe keinen Nahmen
Dafür! Gefühl ist alles;3456 alles ] 1 H.5  S  AAlles B  B.a   (IV a)
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsgluth.
Margarete
Das ist alles recht schön und gut;
3460Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
Nur mit ein Bißchen andern Worten.
Faust
Es sagen’s aller Orten
Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
Jedes in seiner Sprache;
3465Warum nicht ich in der meinen?
Margarete
Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christenthum.
Faust
Lieb’s Kind!
Margarete
Es thut mir lang’ schon weh,
3470Daß ich dich in der Gesellschaft seh’.
Faust
Wie so?
Margarete
Der Mensch, den du da bey dir hast,
Ist mir in tiefer inn’rer Seele verhaßt:
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich in’s Herz gegeben,
3475Als des Menschen widrig Gesicht.
Faust
Liebe Puppe, fürcht’ ihn nicht!
Margarete
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin sonst allen Menschen gut;
Aber, wie ich mich sehne dich zu schauen,
3480Hab’ ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
Und halt’ ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih’ mir’s, wenn ich ihm Unrecht thu’!
Faust
Es muß auch solche Käuze geben.
Margarete
Wollte nicht mit seines Gleichen leben!
3485Kommt er einmal zur Thür herein,
Sieht er immer so spöttisch drein,
Und halb ergrimmt;
Man sieht, daß er an nichts keinen Antheil nimmt;
Es steht ihm an der Stirn’ geschrieben,
3490Daß er nicht mag eine Seele lieben.
Mir wird’s so wohl in deinem Arm,
So frey, so hingegeben warm,
Und seine Gegenwart schnürt mir das Inn’re zu.
Faust
Du ahndungsvoller Engel du!3494 ahndungsvoller ] 1 H.5  S  Aahnungsvoller B  B.a   (IV a)
Margarete
3495Das übermannt mich so sehr,
Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Meyn’ ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.3497 Meyn’ ] AMeyn 1 H.5 Mein’ S Mein’ B  B.a   (IV a)3497 liebte dich ] A  B  B.aliebte dich 1 H.5 liebte dich S   (II a*)
Auch wenn er da ist, könnt’ ich nimmer beten,
Und das frißt mir in’s Herz hinein;
3500Dir, Heinrich, muß es auch so seyn.
Faust
Du hast nun die Antipathie!
Margarete
Ich muß nun fort.
Faust
Ach kann ich nie
Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen,
Und Brust an Brust und Seel’ in Seele drängen?
Margarete
3505Ach wenn ich nur alleine schlief!
Ich ließ dir gern heut Nacht den Riegel offen;
Doch meine Mutter schläft nicht tief,
Und würden wir von ihr betroffen,
Ich wär’ gleich auf der Stelle todt!
Faust
3510Du Engel, das hat keine Noth.
Hier ist ein Fläschchen! Drey Tropfen nur
In ihren Trank umhüllen
Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.
Margarete
Was thu’ ich nicht um deinetwillen?
3515Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!
Faust
Würd’ ich sonst, Liebchen, dir es rathen?
Margarete
Seh’ ich dich, bester Mann, nur an,
Weiß nicht was mich nach deinem Willen treibt,
Ich habe schon so viel für dich gethan,
3520Daß mir zu thun fast nichts mehr übrig bleibt.
ab
Mephistopheles tritt auf
Mephistopheles
Der Grasaff’! ist er weg?
Faust
Hast wieder spionirt?
Mephistopheles
Ich hab’s ausführlich wohl vernommen.
Herr Doctor wurden da katechisirt;
Hoff’ es soll Ihnen wohl bekommen.
3525Die Mädels sind doch sehr interessirt,
Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben auch.
Faust
Du Ungeheuer siehst nicht ein,
Wie diese treue liebe Seele
3530Von ihrem Glauben voll,
Der ganz allein
Ihr selig machend ist, sich heilig quäle,
Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.
Mephistopheles
Du übersinnlicher, sinnlicher Freyer,
3535Ein Mägdelein nasführet dich.
Faust
Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!
Mephistopheles
Und die Physiognomie versteht sie meisterlich.
In meiner Gegenwart wird’s ihr sie weiß nicht wie,
Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;
3540Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
Nun heute Nacht –?
Faust
Was geht dich’s an?
Mephistopheles
3543Hab’ ich doch meine Freude d’ran!

Am Brunnen

Gretchen und Lieschen mit Krügenvor 3544 Lieschen ] Lieschen S Liesgen 1 H.5 Lieschen. A  D.1 Lieschen B  B.a   (VIII)
Lieschen
3544Hast nichts von Bärbelchen gehört?
Gretchen
3545Kein Wort. Ich komm’ gar wenig unter Leute.
Lieschen
Gewiß, Sibylle sagt’ mir’s heute!
Die hat sich endlich auch bethört.
Das ist das Vornehmthun!
Gretchen
Wie so?
Lieschen
Es stinkt!
Sie füttert zwey, wenn sie nun ißt und trinkt.
Gretchen
3550Ach!
Lieschen
So ist’s ihr endlich recht ergangen.3550–3551In 1 H.5 bilden die beiden Repliken einen antilabischen Vers:
Gretgen
3550Ach
Liesgen
Ja so ist’s ihr endlich gangen
  (II d*)
Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
Das war ein Spaziren,3553 Spaziren ] Agespazieren 1 H.5 Spatzieren S Spazieren B Spatzieren B.a   (IV a)
Auf Dorf und Tanzplatz Führen,
3555Mußt’ überall die erste seyn,
Curtesirt’ ihr immer mit Pastetchen und Wein;
Bild’t sich was auf ihre Schönheit ein,3557 Bild’t ] S  A  B  B.aBildt 1 H.5 Bild’t’ konj Holland  (III *)
War doch so ehrlos sich nicht zu schämen
Geschenke von ihm anzunehmen.
3560War ein Gekos’ und ein Geschleck’;
Da ist denn auch das Blümchen weg!
Gretchen
Das arme Ding!
Lieschen
Bedauerst sie noch gar!
Wenn unser eins am Spinnen war,
Uns Nachts die Mutter nicht hinunterließ;3564 hinunterließ ] A  Bn’abe lies 1 H.5 hinunter ließ S hinunter ließ B.a   (II a*)
3565Stand sie bey ihrem Buhlen süß,
Auf der Thürbank und im dunkeln Gang
Ward ihnen keine Stunde zu lang.3567 Ward ] Ward 1 H.5  S Ward’ A  B  B.a  1 H.1 Ward C.1 12  C.3 12   (I b)
Da mag sie denn sich ducken nun,
Im Sünderhemdchen Kirchbuß’ thun!
Gretchen
3570Er nimmt sie gewiß zu seiner Frau.
Lieschen
Er wär’ ein Narr! Ein flinker Jung’
Hat anderwärts noch Luft genung.
Er ist auch fort.
Gretchen
Das ist nicht schön!
Lieschen
Kriegt sie ihn, soll’s ihr übel gehn.
3575Das Kränzel reißen die Buben ihr,
Und Häckerling streuen wir vor die Thür!
ab
Gretchenvor 3577 Gretchen ] Gretgen 1 H.5 Grethchen S Gretchen. A  D.1 Gretchen B  B.a   (VIII)
nach Hause gehend
Wie konnt’ ich sonst so tapfer schmählen,
Wenn thät ein armes Mägdlein fehlen!3578 Wenn thät ] BWen thät 1 H.5 Sah ich S  A Wenn thät’ B.a   (IV b)
Wie konnt’ ich über andrer Sünden
3580Nicht Worte g’nug der Zunge finden!
Wie schien mir’s schwarz, und schwärzt’s noch gar,
Mir’s immer doch nicht schwarz g’nug war,
Und segnet’ mich und that so groß,
Und bin nun selbst der Sünde bloß!
3585Doch – alles was dazu mich trieb,
3586Gott! war so gut! ach war so lieb!

Zwinger

In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkrüge davor
Gretchenvor 3587 Gretchen ] Gretgen 1 H.5 Grethchen S Gretchen. A  D.1 Gretchen B  B.a   (VIII)
steckt frische Blumen in die Krüge
3587Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Noth!
3590Das Schwert im Herzen,
Mit tausend Schmerzen
Blickst auf zu deines Sohnes Tod.
Zum Vater blickst du,
Und Seufzer schickst du
3595Hinauf um sein’ und deine Noth.
Wer fühlet,
Wie wühlet
Der Schmerz mir im Gebein?
Was mein armes Herz hier banget,
3600Was es zittert, was verlanget,
Weißt nur du, nur du allein!
Wohin ich immer gehe,
Wie weh, wie weh, wie wehe
Wird mir im Busen hier!
3605Ich bin ach kaum alleine,
Ich wein’, ich wein’, ich weine,
Das Herz zerbricht in mir.
Die Scherben vor meinem Fenster
Bethaut’ ich mit Thränen, ach!
3610Als ich am frühen Morgen
Dir diese Blumen brach.
Schien hell in meine Kammer
Die Sonne früh herauf,
Saß ich in allem Jammer
3615In meinem Bett’ schon auf.
Hilf! rette mich von Schmach und Tod!
Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
3619Dein Antlitz gnädig meiner Noth!

Nacht

Straße vor Gretchens Thüre
Valentin
Soldat, Gretchens Bruder
3620Wenn ich so saß bey einem Gelag,3620 so ] 1 H.5  1 H.12fehlt A  D.1 so B  B.a   (II a, IV b)
Wo mancher sich berühmen mag,
Und die Gesellen mir den Flor
Der Mägdlein laut gepriesen vor,
Mit vollem Glas das Lob verschwemmt,
3625Den Ellenbogen aufgestemmt;3625 aufgestemmt; ] Aaufgestemmt 1 H.5  1 H.12 aufgestemmt B  B.a   (II a*)
Saß ich in meiner sichern Ruh3626 Ruh ] 1 H.5  1 H.12  ARuh, B  B.a   (IV a)
Hört’ all dem Schwadroniren zu.3627 all ] 1 H.5  1 H.12all’ A  B  B.a   (II a)
Und streiche lächelnd meinen Bart,
Und kriege das volle Glas zur Hand
3630Und sage: alles nach seiner Art!3630 alles ] 1 H.5  1 H.12  AAlles B  B.a   (IV a)
Aber ist eine im ganzen Land,
Die meiner trauten Gretel gleicht,
Die meiner Schwester das Wasser reicht?
Top! Top! Kling! Klang! das ging herum!
3635Die einen schrieen: er hat Recht,
Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht!
Da saßen alle die Lober stumm.
Und nun! – um’s Haar sich auszuraufen
Und an den Wänden hinauf zu laufen! –
3640Mit Stichelreden, Naserümpfen
Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
Soll wie ein böser Schuldner sitzen,
Bey jedem Zufallswörtchen schwitzen!
Und möcht’ ich sie zusammenschmeißen;
3645Könnt’ ich sie doch nicht Lügner heißen.
Was kommt heran? Was schleicht herbey?
Irr’ ich nicht, es sind ihrer zwey.
Ist er’s, gleich pack’ ich ihn beym Felle,
Soll nicht lebendig von der Stelle!
Faust. Mephistopheles
Faust
3650Wie von dem Fenster dort der Sakristey
Aufwärts der Schein des ewigen Lämpchens flämmert
Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
Und Finsterniß drängt ringsum bey!
So sieht’s in meinem Busen nächtig.
Mephistopheles
3655Und mir ist’s wie dem Kätzlein schmächtig,
Das an den Feuerleitern schleicht,
Sich leis’ dann um die Mauern streicht.3657 streicht. ] 1 H.5  1 H.12  Astreicht; B  B.a   (IV a)
Mir ist’s ganz tugendlich dabey,
Ein Bißchen Diebsgelüst, ein Bißchen Rammeley.
3660So spukt mir schon durch alle Glieder
Die herrliche Walpurgisnacht.
Die kommt uns übermorgen wieder,
Da weiß man doch warum man wacht.
Faust
Rückt wohl der Schatz indessen in die Höh’?
3665Den ich dorthinten flimmern seh’.
Mephistopheles
Du kannst die Freude bald erleben,
Das Kesselchen herauszuheben.
Ich schielte neulich so hinein,
Sind herrliche Löwenthaler drein.
Faust
3670Nicht ein Geschmeide? Nicht ein Ring?
Meine liebe Buhle damit zu zieren.
Mephistopheles
Ich sah dabey wohl so ein Ding,
Als wie eine Art von Perlenschnüren.
Faust
So ist es recht! Mir thut es weh,
3675Wenn ich ohne Geschenke zu ihr geh’.
Mephistopheles
Es sollt’ euch eben nicht verdrießen
Umsonst auch etwas zu genießen.
Jetzt da der Himmel voller Sterne glüht,
Sollt ihr ein wahres Kunststück hören:
3680Ich sing’ ihr ein moralisch Lied,
Um sie gewisser zu bethören.
Singt zur Zither
Was machst du mir
Vor Liebchens Thür
Cathrinchen hier
3685Bey frühem Tagesblicke?
Laß, laß es seyn!
Er läßt dich ein
Als Mädchen ein,
Als Mädchen nicht zurücke.
3690Nehmt euch in Acht!
Ist es vollbracht,
Dann gute Nacht
Ihr armen, armen Dinger!
Habt ihr euch lieb,
3695Thut keinem Dieb
Nur nichts zu Lieb’,
Als mit dem Ring am Finger.
Valentin
tritt vor
Wen lockst du hier? beym Element!
Vermaledeyter Rattenfänger!
3700Zum Teufel erst das Instrument!
Zum Teufel hinter drein den Sänger!
Mephistopheles
Die Zither ist entzwey! an der ist nichts zu halten.
Valentin
Nun soll es an ein Schedelspalten!
Mephistopheles
zu Faust
Herr Doctor nicht gewichen! Frisch!
3705Hart an mich an, wie ich euch führe.
Heraus mit eurem Flederwisch!
Nur zugestoßen! ich parire.
Valentin
Parire den!
Mephistopheles
Warum denn nicht?
Valentin
Auch den!
Mephistopheles
Gewiß!
Valentin
Ich glaub’ der Teufel ficht!
3710Was ist denn das? Schon wird die Hand mir lahm.
Mephistopheles
zu Faust
Stoß zu!
Valentin
fällt
O weh!
Mephistopheles
Nun ist der Lümmel zahm!
Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden:
Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrey.
Ich weiß mich trefflich mit der Polizey,
3715Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.
Marthe
am Fenster
Heraus! Heraus!
Gretchen
am Fenster
Herbey ein Licht!
Marthe
wie oben
Man schilt und rauft, man schreit und ficht.
Volk
Da liegt schon einer todt!
Marthe
heraustretend
Die Mörder sind sie denn entflohn?
Gretchen
heraustretend
3720Wer liegt hier?
Volk
3720Deiner Mutter Sohn.
Gretchen
Allmächtiger! welche Noth!
Valentin
Ich sterbe! das ist bald gesagt
Und bälder noch gethan.
Was steht ihr Weiber, heult und klagt?
3725Kommt her und hört mich an!
Alle treten um ihn.
Mein Gretchen sieh! du bist noch jung,
Bist gar noch nicht gescheidt genung,
Machst deine Sachen schlecht.
Ich sag’ dir’s im Vertrauen nur:
3730Du bist doch nun einmal eine Hur’;
So sey’s auch eben recht.
Gretchen
Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?
Valentin
Laßt unsern Herr Gott aus dem Spaß.
Geschehn ist leider nun geschehn,
3735Und wie es gehn kann, so wird’s gehn.
Du fingst mit Einem heimlich an,
Bald kommen ihrer mehre dran,
Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
So hat dich auch die ganze Stadt.
3740Wenn erst die Schande wird geboren,
Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
Und man zieht den Schleyer der Nacht
Ihr über Kopf und Ohren;
Ja, man möchte sie gern ermorden.
3745Wächst sie aber und macht sich groß,
Dann geht sie auch bey Tage bloß,
Und ist doch nicht schöner geworden.
Je häßlicher wird ihr Gesicht,
Je mehr sucht sie das Tageslicht.3749 das Tageslicht ] 1 H.12des Tageslicht A  B.a des Tages Licht B  1 H.1  C.1 12  C.3 12   (II a)
3750Ich seh’ wahrhaftig schon die Zeit,
Daß alle brave Bürgersleut’3751 Bürgersleut’ ] ABürgersleut 1 H.12 Bürgersleut’, B  B.a   (IV a)
Wie von einer angesteckten Leichen3752 Leichen ] 1 H.12  ALeichen, B  B.a   (IV a)
Von dir, du Metze! seitab weichen.
Dir soll das Herz im Leib verzagen!
3755Wenn sie dir in die Augen sehn.
Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!
In einem schönen Spitzenkragen
Dich nicht beym Tanze wohlbehagen!
3760In eine finstre Jammerecken
Unter Bettler und Krüpel dich verstecken,3761 Krüpel ] 1 H.12  AKrüppel B  B.a   (IV a)
Und wenn dir denn auch Gott verzeiht,
Auf Erden seyn vermaledeyt!
Marthe
Befehlt eure Seele Gott zu Gnaden!
3765Wollt ihr noch Lästrung auf euch laden?
Valentin
Könnt’ ich dir nur an den dürren Leib
Du schändlich kupplerisches Weib!
Da hofft’ ich aller meiner Sünden
Vergebung reiche Maß zu finden.
Gretchen
3770Mein Bruder! Welche Höllenpein!
Valentin
Ich sage, laß die Thränen seyn!
Da du dich sprachst der Ehre los,
Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
Ich gehe durch den Todesschlaf
3775Zu Gott ein als Soldat und brav.
stirbt

Dom

Amt, Orgel und Gesang

Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist hinter Gretchen
Böser Geist
3776Wie anders, Gretchen, war dir’s,
Als du noch voll Unschuld
Hier zum Altar trat’st,
Aus dem vergriffnen Büchelchen
3780Gebete lalltest,
Halb Kinderspiele,
Halb Gott im Herzen!
Gretchen!
Wo steht dein Kopf?
3785In deinem Herzen,
Welche Missethat?
Bet’st du für deiner Mutter Seele? die3787–3788
Betest du für deiner Mutter Seel
 
Die durch dich sich in die Pein hinüberschlief.
1 H.5
  (VII)
Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief.3788 hinüberschlief ] A  Bhinüberschlief 1 H.5 hinüber schlief S  1 H.13 hinüber schlief B.a   (II a*)
Auf deiner Schwelle wessen Blut?3789Der Vers fehlt in 1 H.5 S 1 H.13.   (VII)
3790– Und unter deinem Herzen
Regt sich’s nicht quillend schon,
Und ängstet dich und sich
Mit ahndungsvoller Gegenwart?3793 ahndungsvoller ] S  1 H.13  Aahnde voller 1 H.5 ahnungsvoller B  B.a   (IV a)
Gretchen
Weh! Weh!
3795Wär’ ich der Gedanken los,
Die mir herüber und hinüber gehen
Wider mich!
Chor
Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla.
Orgelton
Böser Geist
3800Grimm faßt dich!
Die Posaune tönt!
Die Gräber beben!
Und dein Herz,
Aus Aschenruh’
3805Zu Flammenqualen
Wieder aufgeschaffen,
Bebt auf!
Gretchen
Wär’ ich hier weg!
Mir ist als ob die Orgel mir
3810Den Athem versetzte,
Gesang mein Herz
Im Tiefsten lös’te.
Chor
Judex ergo cum sedebit,
Quidquid latet adparebit,
3815 Nil inultum remanebit.
Gretchen
Mir wird so eng’!
Die Mauern Pfeiler3817 Mauern Pfeiler ] 1 H.5Mauern-Pfeiler S  1 H.13  A  B  B.a  1 H.1  C.1 12  C.3 12   (II b)
Befangen mich!
Das Gewölbe
3820Drängt mich! – Luft!
Böser Geist
Verbirg dich! Sünd’ und Schande3821 Verbirg ] Verbirgst 1 H.5 Verbirg S  1 H.13 Verbirg’ A  B  B.a   (I b)
Bleibt nicht verborgen.3822 Bleibt ] Bleibt S  1 H.13 Bleibt’ A  D.1 Bleibt B  B.a   (I b)
Luft? Licht?
Weh dir!
Chor
3825 Quid sum miser tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus?
Cum vix justus sit securus.
Böser Geist
Ihr Antlitz wenden
Verklärte von dir ab.
3830Die Hände dir zu reichen,
Schauert’s den Reinen.
Weh!
Chor
Quid sum miser tunc dicturus?
Gretchen
3834Nachbarin! Euer Fläschchen! –
Sie fällt in Ohnmacht.

Walpurgisnacht

Harzgebirg
Gegend von Schirke und Elend
Faust. Mephistopheles
Mephistopheles
3835Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.
Auf diesem Weg sind wir noch weit vom Ziele.
Faust
So lang’ ich mich noch frisch auf meinen Beinen fühle,
Genügt mir dieser Knotenstock.
3840Was hilft’s daß man den Weg verkürzt! –
Im Labyrinth der Thäler hinzuschleichen,
Dann diesen Felsen zu ersteigen,
Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt,
Das ist die Lust, die solche Pfade würzt!
3845Der Frühling webt schon in den Birken
Und selbst die Fichte fühlt ihn schon,
Sollt’ er nicht auch auf unsre Glieder wirken?
Mephistopheles
Fürwahr ich spüre nichts davon!
Mir ist es winterlich im Leibe,
3850Ich wünschte Schnee und Frost auf meiner Bahn.
Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe
Des rothen Monds mit später Gluth heran!
Und leuchtet schlecht, daß man bey jedem Schritte,
Vor einen Baum, vor einen Felsen rennt!
3855Erlaub’ daß ich ein Irrlicht bitte!
Dort seh’ ich eins, das eben lustig brennt.
He da! mein Freund! darf ich dich zu uns fodern?
Was willst du so vergebens lodern?
Sey doch so gut und leucht’ uns da hinauf!
Irrlicht
3860Aus Ehrfurcht, hoff’ ich, soll es mir gelingen
Mein leichtes Naturell zu zwingen,
Nur Zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.
Mephistopheles
Ei! Ei! er denkt’s den Menschen nachzuahmen.
Geh er nur g’rad’, in’s Teufels Nahmen!
3865Sonst blas’ ich ihm sein Flacker-Leben aus.
Irrlicht
Ich merke wohl, ihr seyd der Herr vom Haus,
Und will mich gern nach euch bequemen.
Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll,
Und wenn ein Irrlicht euch die Wege weisen soll,
3870So müßt ihr’s so genau nicht nehmen.
Faust, Mephistopheles, Irrlicht
im Wechselgesang
In die Traum- und Zaubersphäre3871–3911 Die Verse stehen in 1 H.14  A  B  B.a  1 H.1 linksbündig, in C.1 12 C.3 12 sind sie eingerückt.   (VII)
Sind wir, scheint es, eingegangen.
Führ’ uns gut und mach’ dir Ehre!
Daß wir vorwärts bald gelangen,
3875In den weiten, öden Räumen.
Seh’ die Bäume hinter Bäumen,
Wie sie schnell vorüber rücken,
Und die Klippen, die sich bücken,
Und die langen Felsennasen,
3880Wie sie schnarchen, wie sie blasen!
Durch die Steine, durch den Rasen
Eilet Bach und Bächlein nieder.
Hör’ ich Rauschen? hör’ ich Lieder?
Hör’ ich holde Liebesklage,
3885Stimmen jener Himmelstage?
Was wir hoffen, was wir lieben!
Und das Echo, wie die Sage
Alter Zeiten, hallet wieder.
Uhu! Schuhu! tönt es näher,
3890Kauz und Kibitz und der Häher,
Sind sie alle wach geblieben?
Sind das Molche durchs Gesträuche?3892 durchs ] 1 H.14  Adurch’s B  B.a   (IV a)
Lange Beine, dicke Bäuche.
Und die Wurzeln, wie die Schlangen,
3895Winden sich aus Fels und Sande;
Strecken wunderliche Bande,
Uns zu schrecken, uns zu fangen;
Aus belebten, derben Masern
Strecken sie Polypenfasern3899 Strecken ] 1 H.14Stecken A  B  B.a Strecken vorschl 1 H.6 Stecken : Strecken G 1 H.1 Strecken C.1 12  C.3 12   (II a)
3900Nach dem Wandrer. Und die Mäuse
Tausendfärbig, schaarenweise,
Durch das Moos und durch die Heide!
Und die Funkenwürmer fliegen,
Mit gedrängten Schwärme-Zügen,
3905Zum verwirrenden Geleite.
Aber sag’ mir ob wir stehen?
Oder ob wir weiter gehen?
Alles alles scheint zu drehen,3908 Alles alles ] 1 H.14  AAlles, Alles B Alles Alles B.a   (IV a)
Fels und Bäume, die Gesichter
3910Schneiden, und die irren Lichter,
Die sich mehren, die sich blähen.
Mephistopheles
Fasse wacker meinen Zipfel!
Hier ist so ein Mittelgipfel,
Wo man mit Erstaunen sieht,
3915Wie im Berg der Mammon glüht.
Faust
Wie seltsam glimmet durch die Gründe3916 glimmet ] 1 H.14glimmert A  B  B.a  1 H.1  C.1 12  C.3 12   (II a)
Ein morgenröthlich trüber Schein!
Und selbst bis in die tiefen Schlünde
Des Abgrunds wittert er hinein.
3920Da steigt ein Dampf, dort ziehen Schwaden,
Hier leuchtet Glut aus Dunst und Flor,
Dann schleicht sie wie ein zarter Faden,
Dann bricht sie wie ein Quell hervor.
Hier schlingt sie eine ganze Strecke,
3925Mit hundert Adern, sich durchs Thal,3925 durchs ] 1 H.14  Adurch’s B  B.a   (IV a)
Und hier in der gedrängten Ecke
Vereinzelt sie sich auf einmal.
Da sprühen Funken in der Nähe,
Wie ausgestreuter goldner Sand.
3930Doch schau! in ihrer ganzen Höhe
Entzündet sich die Felsenwand.
Mephistopheles
Erleuchtet nicht zu diesem Feste
Herr Mammon prächtig den Pallast?
Ein Glück daß du’s gesehen hast;
3935Ich spüre schon die ungestümen Gäste.
Faust
Wie ras’t die Windsbraut durch die Luft!
Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken!
Mephistopheles
Du mußt des Felsens alte Rippen packen,
Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft.
3940Ein Nebel verdichtet die Nacht.
Höre wie’s durch die Wälder kracht!
Aufgescheucht fliegen die Eulen.
Hör’ es splittern die Säulen
Ewig grüner Palläste.
3945Girren und Brechen der Äste3945 Äste ] A B  B.a  1 H.1  C.1 12Äste! 1 H.14 Äste! C.3 12   (II a*)
Der Stämme mächtiges Dröhnen!
Der Wurzeln Knarren und Gähnen!
Im fürchterlich verworrenen Falle
Über einander krachen sie alle,
3950Und durch die übertrümmerten Klüfte
Zischen und heulen die Lüfte.
Hörst du Stimmen in der Höhe?
In der Ferne in der Nähe?
Ja, den ganzen Berg entlang
3955Strömt ein wüthender Zaubergesang.
Hexen
im Chor
Die Hexen zu dem Brocken ziehn,
Die Stoppel ist gelb die Saat ist grün.3957 gelb ] 1 H.14  Agelb, D.1 gelb, B  B.a   (IV a)
Dort sammelt sich der große Hauf,
Herr Urian sitzt oben auf.
3960So geht es über Stein und Stock
Es f—t die Hexe, es st—t der Bock.3961 f—t bis st—t ] A  B  B.afarzt die Hexe es stinckt 1 H.14   (VII)
Stimme
Die alte Baubo kommt allein,
Sie reitet auf einem Mutterschwein.
Chor
So Ehre denn, wem Ehre gebürt!3964 denn ] 1 H.14dem A  B  B.a  1 H.1  C.1 12  C.3 12   (II a)
3965Frau Baubo vor! und angeführt!
Ein tüchtig Schwein und Mutter drauf,
Da folgt der ganze Hexenhauf.
Stimme
Welchen Weg kommst du her?
Stimme
Über’n Ilsenstein!
Da guckt’ ich der Eule ins Nest hinein.
3970Die macht ein Paar Augen!
Stimme
3970O fahre zur Hölle!
Was reit’st du so schnelle!
Stimme
Mich hat sie geschunden,
Da sieh nur die Wunden!
Hexen
Chor
Der Weg ist breit, der Weg ist lang,3974–3977 Die Verse sind in 1 H.14  A  D.1  B  B.a  1 H.1  C.1 12  C.3 12 nicht eingerückt, in D.2 D3 D4 sind sie auf derselben Höhe wie die Verse 3972–3973 eingerückt; in Q stehen 3972–3973 linksbündig, 3974–3977 sind eingerückt.   (VII)
3975Was ist das für ein toller Drang?
Die Gabel sticht, der Besen kratzt,
Das Kind erstickt, die Mutter platzt.
Hexenmeister
halbes Chorvor 3978 Hexenmeister halbes Chor ] 1 H.14Hexenmeister. Halbes Chor. A  B  1 H.1  C.1 12  C.3 12 Hexenmeister. (Halbes Chor.) B.a   (VIII)
Wir schleichen wie die Schneck’ im Haus,
Die Weiber alle sind voraus.
3980Denn, geht es zu des Bösen Haus,
Das Weib hat tausend Schritt voraus.
Andre Hälfte
Wir nehmen das nicht so genau,
Mit tausend Schritten macht’s die Frau;
Doch, wie sie auch sich eilen kann,
3985Mit Einem Sprunge macht’s der Mann.
Stimme
oben
Kommt mit, kommt mit, vom Felsensee!
Stimmen
von unten
Wir möchten gerne mit in die Höh’.
Wir waschen und blank sind wir ganz und gar;
Aber auch ewig unfruchtbar.
Beyde Chöre
3990Es schweigt der Wind, es flieht der Stern,3990–4015Die Verse sind im Druck zweistufig eingerückt ( A, S. 198–199): 3990–3995 um 5 mm, was für Kurzverse normal ist; 3996–3999 auf Seite 198 um 10 mm; ebenso 4000–4003 und 4008–4015 (beidemale wohl versehentlich) sowie 4004–4007 (wohl korrekt) auf Seite 199 um 10 mm.   (VII, I c)
Der trübe Mond verbirgt sich gern.
Im Sausen sprüht das Zauberchor
Viel tausend Feuerfunken hervor.
Stimme
von unten
Halte! Halte!3994/3995 Die Repliken bilden in 1 H.14  A  B.a einen antilabischen Vers, in B  1 H.1  C.1 12  C.3 12 sind es zwei Verse.   (VII)
Stimme
von oben
Wer ruft da aus der Felsenspalte?
Stimme
unten
Nehmt mich mit! Nehmt mich mit!
Ich steige schon dreyhundert Jahr,
Und kann den Gipfel nicht erreichen.
Ich wäre gern bey meines gleichen.
Beyde Chöre
4000Es trägt der Besen, trägt der Stock,4000 Stock, ] 1 H.14Stock A Stock, D.1 Stock, B  B.a   (II a)
Die Gabel trägt, es trägt der Bock,
Wer heute sich nicht heben kann,
Ist ewig ein verlorner Mann.
Halbhexe
unten
Ich tripple nach, so lange Zeit,
4005Wie sind die andern schon so weit!4005 andern ] 1 H.14  AAndern B  B.a   (IV a)
Ich hab’ zu Hause keine Ruh,
Und komme hier doch nicht dazu.
Chor der Hexen
Die Salbe giebt den Hexen Muth,4008 giebt ] 1 H.14  Agibt B  B.a   (IV a)
Ein Lumpen ist zum Segel gut,
4010Ein gutes Schiff ist jeder Trog,
Der flieget nie, der heut nicht flog.
Beyde Chöre
Und wenn wir um den Gipfel ziehn,
So streichet an dem Boden hin,
Und deckt die Heide weit und breit
4015Mit eurem Schwarm der Hexenheit.
Sie lassen sich nieder.
Mephistopheles
Das drängt und stößt, das ruscht und klappert!
Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
Ein wahres Hexenelement!
4020Nur fest an mir! sonst sind wir gleich getrennt.
Wo bist du?
Faust
in der Ferne
Hier!
Mephistopheles
Was! dort schon hingerissen?
Da werd’ ich Hausrecht brauchen müssen.
Platz! Junker Voland kommt. Platz! süßer Pöbel, Platz!
Hier, Doctor, fasse mich! und nun, in Einem Satz,
4025Laß uns aus dem Gedräng’ entweichen;
Es ist zu toll, sogar für meines gleichen.
Dort neben leuchtet was mit ganz besond’rem Schein,
Es zieht mich was nach jenen Sträuchen.
Komm, komm! wir schlupfen da hinein.
Faust
4030Du Geist des Widerspruchs! Nur zu! du magst mich führen.
Ich denke doch das war recht klug gemacht.4031 gemacht. ] 1 H.14  Agemacht; B  B.a   (IV a)
Zum Brocken wandlen wir in der Walpurgisnacht,
Um uns beliebig nun hieselbst zu isoliren.
Mephistopheles
Da sieh nur welche bunten Flammen!
4035Es ist ein muntrer Klub beysammen.
Im Kleinen ist man nicht allein.
Faust
Doch droben möcht’ ich lieber seyn!
Schon seh’ ich Glut und Wirbelrauch.
Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
4040Da muß sich manches Räthsel lösen.
Mephistopheles
Doch manches Räthsel knüpft sich auch.
Laß du die große Welt nur sausen,
Wir wollen hier im Stillen hausen.
Es ist doch lange hergebracht,
4045Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.
Da seh’ ich junge Hexchen nackt und blos,4046 blos ] 1 H.14  Abloß B  B.a   (IV a)
Und alte die sich klug verhüllen.
Seyd freundlich, nur um meinetwillen,
Die Müh’ ist klein, der Spaß ist groß.
4050Ich höre was von Instrumenten tönen!
Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewöhnen.4051
Faust
Verflucht Geschnarr!
Mephistopheles
Man muß sich dran gewöhnen.
konj Resenhöfft
  (III *)
Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders seyn,
Ich tret’ heran und führe dich herein,
Und ich verbinde dich aufs neue.4054 aufs neue ] 1 H.14  Aauf’s Neue B  B.a   (IV a)
4055Was sagst du Freund? das ist kein kleiner Raum.
Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe;
Man tanzt, man schwazt, man kocht, man trinkt, man liebt;4058 schwazt ] 1 H.14  Aschwatzt B  B.a   (IV a)
Nun sage mir, wo es was bessers giebt?4059 bessers ] 1 H.14  ABessers B  B.a   (IV a)
Faust
4060Willst du dich nun, um uns hier einzuführen
Als Zaub’rer oder Teufel produziren?
Mephistopheles
Zwar bin ich sehr gewohnt incognito zu gehn;
Doch läßt am Galatag man seinen Orden sehn.
Ein Knieband zeichnet mich nicht aus,
4065Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.
Siehst du die Schnecke da! sie kommt herangekrochen;
Mit ihrem tastenden Gesicht
Hat sie mir schon was abgerochen.
Wenn ich auch will, verläugn’ ich hier mich nicht.
4070Komm nur! von Feuer gehen wir zu Feuer,
Ich bin der Werber und du bist der Freyer.
zu einigen, die um verglimmende Kohlen sitzenvor 4072 zu ] 1 H.14  AZu B  B.a   (IV a)
Ihr alten Herrn, was macht ihr hier am Ende?
Ich lobt’ euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte fände,
Von Saus umzirkt und Jugendbraus.
4075Genug allein ist jeder ja zu Haus.
General
Wer mag auf Nationen trauen!
Man habe noch so viel für sie gethan;
Denn bey dem Volk, wie bey den Frauen,
Steht immerfort die Jugend oben an.
Minister
4080Jetzt ist man von dem Rechten allzuweit,
Ich lobe mir die guten Alten;
Denn freylich, da wir alles galten,4082 alles ] 1 H.14  AAlles B  B.a   (IV a)
Da war die rechte goldne Zeit.
Parvenü
Wir waren wahrlich auch nicht dumm,
4085Und thaten oft was wir nicht sollten;
Doch jetzo kehrt sich alles um und um,4086 alles ] 1 H.14  AAlles B  B.a   (IV a)
Und eben da wir’s fest erhalten wollten.
Autor
Wer mag wohl überhaupt jetzt eine Schrift
Von mäßig klugem Inhalt lesen!
4090Und was das liebe junge Volk betrifft,
Das ist noch nie so naseweis gewesen.
Mephistophelesvor 4092 Mephistopheles ] Mephistopheles 1 H.14 Mephistopheles. A Mephistopheles, B Mephistopheles B.a   (VIII)
auf einmal sehr alt erscheintvor 4092 auf ] 1 H.14  Ader auf B  B.a   (IV a)
Zum jüngsten Tag fühl’ ich das Volk gereift;
Da ich zum letztenmal den Hexenberg ersteige,
Und, weil mein Fäßchen trübe läuft;
4095So ist die Welt auch auf der Neige.
Trödelhexe
Ihr Herren geht nicht so vorbey!
Laßt die Gelegenheit nicht fahren!
Aufmerksam blickt nach meinen Waaren,
Es steht dahier gar mancherley.
4100Und doch ist nichts in meinem Laden,
Dem keiner auf der Erde gleicht,
Das nicht einmal zum tücht’gen Schaden
Der Menschen und der Welt gereicht.
Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen,
4105Kein Kelch, aus dem sich nicht, in ganz gesunden Leib,
Verzehrend heißes Gift ergossen.
Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib
Verführt, kein Schwerdt das nicht den Bund gebrochen,4108 Schwerdt ] 1 H.14  ASchwert B  B.a   (IV a)
Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen.
Mephistopheles
4110Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten.
Gethan geschehn! Geschehn gethan!
Verleg’ sie sich auf Neuigkeiten,
Nur Neuigkeiten ziehn uns an.
Faust
Daß ich mich nur nicht selbst vergesse!
4115Heiß’ ich mir das doch eine Messe!
Mephistopheles
Der ganze Strudel strebt nach oben;
Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben.
Faust
Wer ist denn das?
Mephistopheles
Betrachte sie genau!
Lilith ist das.
Faust
Wer?
Mephistopheles
Adams erste Frau.
4120Nimm dich in Acht vor ihren schönen Haaren,
Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
So läßt sie ihn sobald nicht wieder fahren.
Faust
Da sitzen zwey, die alte mit der jungen;
4125Die haben schon was rechts gesprungen!
Mephistopheles
Das hat nun heute keine Ruh.
Es geht zum neuen Tanz, nun komm! wir greifen zu.
Faust
mit der jungen tanzend
Einst hatt’ ich einen schönen Traum;
Da sah ich einen Apfelbaum,
4130Zwey schöne Äpfel glänzten dran,
Sie reizten mich, ich stieg hinan.
Die Schöne
Der Äpfelchen begehrt ihr sehr
Und schon vom Paradiese her.
Von Freuden fühl’ ich mich bewegt,
4135Daß auch mein Garten solche trägt.4135 trägt. ] 1 H.14trägt A trägt.   D.1 trägt, B trägt. D.2 trägt. B.a   (II a)
Mephistopheles
mit der Alten
Einst hatt’ ich einen wüsten Traum;
Da sah ich einen gespaltnen Baum,4137 sah ] 1 H.14sah’ A  B sah   B.a   (II b)
Der hatt’ ein — — —;4138 hatt’ ] A  B  B.ahätt 1 H.14   (II a*)4138 — — — ] A  B  B.aein ungeheures Loch 1 H.14   (VII)
So es war, gefiel mir’s doch.4139 ] A  B  B.agroß 1 H.14   (VII)
Die Alte
4140Ich biete meinen besten Gruß
Dem Ritter mit dem Pferdefuß!
Halt’ er einen — — bereit,4142 — — ] A  B  B.arechten Pfrof 1 H.14   (VII)
Wenn er — — — nicht scheut.4143 — — — ] A  B  B.adas große Loch 1 H.14   (VII)
Proktophantasmistvor 4144 Proktophantasmist ] 1 H.2Brocktophantasmist 1 H.14  A Procktophantasmist B  B.a Procktophantasmist : Proktophantasmist 1 H.1 Proktophantasmist C.1 12  C.3 12   (II c)
Verfluchtes Volk! was untersteht ihr euch?
4145Hat man euch lange nicht bewiesen?
Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen;
Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!
Die Schöne
tanzend
Was will denn der auf unserm Ball?
Faust
tanzend
Ey! der ist eben überall.
4150Was andre tanzen muß er schätzen.4150 andre ] 1 H.14  AAndre B  B.a   (IV a)
Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen;
So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehn.
Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
4155Wie er’s in seiner alten Mühle thut,
Das hieß er allenfalls noch gut;
Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.
Proktophantasmistvor 4158 Proktophantasmist ] 1 H.2Brocktophantasmist 1 H.14  A Procktophantasmist B  B.a Proktophantasmist 1 H.1  C.1 12  C.3 12   (II c)
Ihr seyd noch immer da! nein das ist unerhört.
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt.4159 aufgeklärt. ] 1 H.14  Aaufgeklärt! B  B.a   (IV a)
4160Das Teufelspack es fragt nach keiner Regel.
Wir sind so klug und dennoch spukt’s in Tegel.
Wie lange hab’ ich nicht am Wahn hinausgekehrt
Und nie wird’s rein, das ist doch unerhört!
Die Schöne
So hört doch auf uns hier zu ennuyiren!
Proktophantasmistvor 4165 Proktophantasmist ] 1 H.2Brocktophantasmist 1 H.14  A Procktophantasmist B  B.a Proktophantasmist 1 H.1  C.1 12  C.3 12   (II c)
4165Ich sag’s euch Geistern in’s Gesicht,
Den Geistesdespotismus leid’ ich nicht;
Mein Geist kann ihn nicht exerziren.4167 exerziren ] 1 H.15  1 H.14  Aexerciren B  B.a   (IV a)
es wird fortgetanzt.vor 4168 es ] 1 H.14  AEs B  B.a   (IV a)
Heut, seh’ ich, will mir nichts gelingen,
Doch eine Reise nehm’ ich immer mit
4170Und hoffe noch, vor meinem letzten Schritt,
Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.
Mephistopheles
Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen,
Das ist die Art wie er sich soulagirt,
Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergötzen,4174 ergötzen ] 1 H.14  Aergetzen B  B.a   (IV a)
4175Ist er von Geistern und von Geist kurirt.4175 kurirt ] 1 H.14  Acurirt B  B.a   (IV a)
zu Faust der aus dem Tanz getreten istvor 4176 zu ] 1 H.14  AZu B  B.a   (IV a)
Was lässest du das schöne Mädchen fahren?
Das dir zum Tanz so lieblich sang.
Faust
Ach! mitten im Gesange sprang
Ein rothes Mäuschen ihr aus dem Munde.
Mephistopheles
4180Das ist was rechts! Das nimmt man nicht genau.
Genug die Maus war doch nicht grau.
Wer fragt darnach in einer Schäferstunde?
Faust
Dann sah ich –4183 sah ] 1 H.14sah’ A  B sah B.a   (II a)
Mephistopheles
Was?
Faust
Mephisto siehst du dort
Ein blasses, schönes Kind allein und ferne stehen?
4185Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,
Sie scheint mit geschloßnen Füßen zu gehen.
Ich muß bekennen, daß mir däucht,
Daß sie dem guten Gretchen gleicht.
Mephistopheles
Laß das nur stehn! dabey wird’s niemand wohl.4189 niemand ] 1 H.14  ANiemand B  B.a   (IV a)
4190Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.
Ihm zu begegnen ist nicht gut,
Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
Und er wird fast in Stein verkehrt,
Von der Meduse hast du ja gehört.4194 der Meduse ] A  B  B.aden Medusen 1 H.14   (VII)
Faust
4195Fürwahr es sind die Augen eines Todten,4195 eines ] 1 H.14  A  B.aeiner B   (VII)
Die eine liebende Hand nicht schloß.
Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,
Das ist der süße Leib, den ich genoß.
Mephistopheles
Das ist die Zauberey, du leicht verführter Thor!
4200Denn jedem kommt sie wie sein Liebchen vor.4200 jedem ] 1 H.14  AJedem B  B.a   (IV a)
Faust
Welch eine Wonne! welch ein Leiden!
Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.
Wie sonderbar muß diesen schönen Hals
Ein einzig rothes Schnürchen schmücken,
4205Nicht breiter als ein Messerrücken!
Mephistopheles
Ganz recht! ich seh’ es ebenfalls.
Sie kann das Haupt auch unterm Arme tragen;
Denn Perseus hat’s ihr abgeschlagen.4208 abgeschlagen. ] 1 H.14  Aabgeschlagen. – B  B.a   (IV a)
Nur immer diese Lust zum Wahn!
4210Komm doch das Hügelchen heran,
Hier ist’s so lustig wie im Prater;
Und hat man mir’s nicht angethan,
So seh’ ich wahrlich ein Theater.
Was giebt’s denn da?4214 giebt’s ] Agibt’s B  B.a   (IV a)
Servibilis
Gleich fängt man wieder an.
4215Ein neues Stück, das letzte Stück von sieben,
Soviel zu geben ist allhier der Brauch.
Ein Dilettant hat es geschrieben,
Und Dilettanten spielen’s auch.
Verzeiht ihr Herrn, wenn ich verschwinde;
4220Mich dilettirt’s den Vorhang aufzuziehn.
Mephistopheles
Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde,
4222Das find’ ich gut; denn da gehört ihr hin.

Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne Hochzeitvor 4223 Oberons und Titanias goldne Hochzeit ] Oberons und Titanias goldne Hochzeit A B B.a 1 H.1 Oberons und Titanias goldne Hochzeit C.1 12 C.3 12   (VII)

Intermezzo

Theatermeister
4223Heute ruhen wir einmal
Miedings wackre Söhne.
4225Alter Berg und feuchtes Thal,
Das ist die ganze Scene!
Herold
Daß die Hochzeit golden sey
Soll’n funfzig Jahr seyn vorüber;
Aber ist der Streit vorbey,
4230Das golden ist mir lieber.
Oberon
Seyd ihr Geister wo ich bin,
So zeigt’s in diesen Stunden;
König und die Königinn,
Sie sind auf’s neu verbunden.
Puck
4235Kommt der Puck und dreht sich queer4235 queer ] Aquer B  B.a   (IV a)
Und schleift den Fuß im Reihen,
Hundert kommen hinterher
Sich auch mit ihm zu freuen.
Ariel
Ariel bewegt den Sang
4240In himmlisch reinen Tönen,
Viele Fratzen lockt sein Klang,
Doch lockt er auch die Schönen.
Oberon
Gatten die sich vertragen wollen,
Lernen’s von uns beyden!
4245Wenn sich zweye lieben sollen,
Braucht man sie nur zu scheiden.
Titania
Schmollt der Mann und grillt die Frau,
So faßt sie nur behende,
Führt mir nach dem Mittag Sie
4250Und Ihn an Nordens Ende.
Orchester Tutti
Fortissimo
Fliegenschnauz’ und Mückennas’,
Mit ihren Anverwandten,
Frosch im Laub’ und Grill’ im Gras’
Das sind die Musikanten!
Solo
4255Seht da kommt der Dudelsack!
Es ist die Seifenblase,
Hört den Schneckeschnickeschnack
Durch seine stumpfe Nase.
Geist der sich erst bildet
Spinnenfuß und Krötenbauch
4260Und Flügelchen dem Wichtchen!
Zwar ein Thierchen giebt es nicht,4261 giebt ] Agibt B  B.a   (IV a)
Doch giebt es ein Gedichtchen.4262 giebt ] Agibt B  B.a   (IV a)
Ein Pärchen
Kleiner Schritt und hoher Sprung
Durch Honigthau und Düfte;
4265Zwar du trippelst mir genung,
Doch geht’s nicht in die Lüfte.
Neugieriger Reisender
Ist das nicht Maskeraden-Spott?
Soll ich den Augen trauen?
Oberon den schönen Gott
4270Auch heute hier zu schauen!
Orthodox
Keine Klauen, keinen Schwanz!
Doch bleibt es außer Zweifel,
So wie die Götter Griechenlands,
So ist auch er ein Teufel.
Nordischer Künstler
4275Was ich ergreife das ist heut
Fürwahr nur skizzenweise;
Doch ich bereite mich bey Zeit
Zur Italiän’schen Reise.4278 Italiän’schen ] Aitaliän’schen B italien’schen B.a   (IV a)
Purist
Ach! mein Unglück führt mich her.
4280Wie wird nicht hier geludert!
Und von dem ganzen Hexenheer
Sind zweye nur gepudert.
Junge Hexe
Der Puder ist so wie der Rock
Für alt’ und graue Weibchen,
4285Drum sitz’ ich nackt auf meinem Bock
Und zeig’ ein derbes Leibchen.
Matrone
Wir haben zu viel Lebensart
Um hier mit euch zu maulen;
Doch hoff’ ich, sollt ihr jung und zart,
4290So wie ihr seyd verfaulen.
Capellmeister
Fliegenschnauz’ und Mückennas’
Umschwärmt mir nicht die Nackte!
Frosch im Laub’ und Grill’ im Gras’
So bleibt doch auch im Tacte!
Windfahne
nach der einen Seite
4295Gesellschaft wie man wünschen kann.
Wahrhaftig lauter Bräute!
Und Junggesellen, Mann für Mann,
Die hoffnungsvollsten Leute.
Windfahne
nach der andern Seite
Und thut sich nicht der Boden auf
4300Sie alle zu verschlingen,
So will ich mit behendem Lauf
Gleich in die Hölle springen.
Xenien
Als Insekten sind wir da,
Mit kleinen scharfen Scheren,
4305Satan unsern Herrn Papa,
Nach Würden zu verehren.
Hennings
Seht! wie sie in gedrängter Schaar4307 Schaar ] ASchar B  B.a   (IV a)
Naiv zusammen scherzen.
Am Ende sagen sie noch gar,
4310Sie hätten gute Herzen.
Musaget
Ich mag in diesem Hexenheer
Mich gar zu gern verlieren;
Denn freylich diese wüßt’ ich eh’r,
Als Musen anzuführen.
Ci-devant Genius der Zeit
4315Mit rechten Leuten wird man was.
Komm fasse meinen Zipfel!
Der Blocksberg, wie der deutsche Parnaß,
Hat gar einen breiten Gipfel.
Neugieriger Reisender
Sagt wie heißt der steife Mann?
4320Er geht mit stolzen Schritten.
Er schnopert was er schnopern kann.4321 schnopert bis schnopern ] A  Bschnoppert bis schnoppern B.a   (VII)
„Er spürt nach Jesuiten.“
Kranich
In dem Klaren mag ich gern
Und auch im Trüben fischen,
4325Darum seht ihr den frommen Herrn
Sich auch mit Teufeln mischen.
Weltkind
Ja für die Frommen, glaubet mir,
Ist alles ein Vehikel,4328 alles ] AAlles B  B.a   (IV a)
Sie bilden auf dem Blocksberg hier
4330Gar manches Conventikel.
Tänzer
Da kommt ja wohl ein neues Chor?
Ich höre ferne Trommeln.
Nur ungestört! es sind im Rohr
Die unisonen Dommeln.
Dogmatikernach 4334In 1 H.1 C.1 12 C.3 12 folgen die (ganz oder teilweise auch in 1 H.16 und 1 H.17 enthaltenen) Verse 4335–4342 (hier nach 1 H.1):
Tanzmeister.
4335Wie jeder doch die Beine lupft!
Sich wie er kann herauszieht!
Der Krumme springt, der Plumpe hupft
Und fragt nicht wie es aussieht.
Fideler.
Das haßt sich schwer das Lumpenpack
4340Und gäb sich gern das Restchen;
Es eint sie hier der Dudelsack
Wie Orpheus Leyer die Bestjen.
  (V *)
Ich lasse mich nicht irre schreyn,
Nicht durch Critik noch Zweifel.
4345Der Teufel muß doch etwas seyn;
Wie gäb’s denn sonst auch Teufel?
Idealist
Die Phantasie in meinem Sinn
Ist dießmal gar zu herrisch.
Fürwahr, wenn ich das alles bin,
4350So bin ich heute närrisch.
Realist
Das Wesen ist mir recht zur Qual
Und muß mich baß verdrießen;
Ich stehe hier zum erstenmal
Nicht fest auf meinen Füßen.
Supernaturalist
4355Mit viel Vergnügen bin ich da
Und freue mich mit diesen;
Denn von den Teufeln kann ich ja
Auf gute Geister schließen.
Skeptiker
Sie gehn den Flämmchen auf der Spur,
4360Und glaub’n sich nah dem Schatze.
Auf Teufel reimt der Zweifel nur,
Da bin ich recht am Platze.
Capellmeister
Frosch im Laub’ und Grill’ im Gras’
Verfluchte Dilettanten!
4365Fliegenschnauz’ und Mückennas’
Ihr seyd doch Musikanten!
Die Gewandten
Sanssouci so heißt das Heer
Von lustigen Geschöpfen,
Auf den Füßen geht’s nicht mehr,
4370Drum gehn wir auf den Köpfen.
Die Unbehülflichen
Sonst haben wir manchen Bissen erschranzt,
Nun aber Gott befohlen!
Unsere Schuhe sind durchgetanzt,
Wir laufen auf nackten Sohlen.
Irrlichter
4375Von dem Sumpfe kommen wir,
Woraus wir erst entstanden;
Doch sind wir gleich im Reihen hier
Die glänzenden Galanten.
Sternschnuppe
Aus der Höhe schoß ich her
4380Im Stern- und Feuerscheine,
Liege nun im Grase quer,
Wer hilft mir auf die Beine?
Die Massiven
Platz und Platz! und ringsherum!
So gehn die Gräschen nieder,
4385Geister kommen, Geister auch
Sie haben plumpe Glieder.
Puck
Tretet nicht so mastig auf
Wie Elephantenkälber,
Und der plumpst’ an diesem Tag
4390Sey Puck der derbe selber.
Ariel
Gab die liebende Natur
Gab der Geist euch Flügel,
Folget meiner leichten Spur,
Auf zum Rosenhügel!
Orchester
pianissimovor 4395 Orchester pianissimo ] Orchester. pianissimo. A Orchester. Pianissimo. B  B.a  1 H.1  C.1 12  C.3 12   (VIII)
4395Wolkenzug und Nebelflor
Erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr,
4398Und alles ist zerstoben.4398 alles ] AAlles B  B.a   (IV a)

Trüber Tag Feld

Faust. Mephistopheles
Faust
Im Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange
verirrt und nun gefangen! Als Missethäterinn im Kerker
zu entsetzlichen Qualen eingesperrt das holde unselige Ge­schöpf!
Bis dahin! dahin! – Verräthrischer4 Verräthrischer ] 1 H.5  A  J.2Verrätherischer B Verräth’rischer B.a   (IV a), nichtswürdi­ger
Geist, und das hast du mir verheimlicht! – Steh nur,
steh! wälze die teuflischen Augen ingrimmend im Kopf her­um!
Steh und trutze mir durch deine unerträgliche Gegen­wart!
Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen
Geistern übergeben und der richtenden gefühllosen Mensch­heit!
Und mich wiegst du indeß in abgeschmackten Zerstreu­ungen,
verbirgst mir ihren wachsenden Jammer und lässest
sie hülflos verderben!
Mephistopheles
Sie ist die erste nicht.
Faust
Hund! abscheuliches Unthier! – Wandle ihn, du unendli­cher
Geist! wandle den Wurm wieder in seine Hundsgestalt,
wie er sich oft nächtlicher Weise16 Weise ] A  B  B.aWeile 1 H.5 Weile J.2 Weile konj Düntzer  (VII) gefiel vor mir herzutrotten,
dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu kollern und sich
dem niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl’
ihn wieder in seine Lieblingsbildung, daß er vor mir im
Sand auf dem Bauch krieche, ich ihn mit Füßen trete, den
Verworfnen! – die erste nicht! – Jammer! Jammer!
von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Ge­schöpf
in die Tiefe dieses Elendes versank, daß nicht das erste
genugthat für die Schuld aller übrigen in seiner windenden
Todesnoth vor den Augen des ewig Verzeihenden! Mir
wühlt es Mark und Leben durch das Elend dieser einzigen,
du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin.
Mephistopheles
Nun sind wir schon wieder an der Gränze unsres Witzes,
da wo euch Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst
du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen
kannst? Willst fliegen und bist vorm31 vorm ] 1 H.5  Avor’m J.2 vor’m B  B.a   (IV a) Schwindel nicht sicher?
Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?
Faust
Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir
eckelts34 eckelts ] 1 H.5  A  J.2ekelts B  B.a   (IV a)! – Großer herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen
würdigtest, der du mein Herz kennest und meine Seele,
warum an den Schandgesellen mich schmieden? der sich am
Schaden weidet und am Verderben sich letzt.
Mephistopheles
Endigst du?
Faust
Rette sie! oder weh dir! den gräßlichsten Fluch über dich
auf Jahrtausende!
Mephistopheles
Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine Riegel
nicht öffnen. – Rette sie! – Wer war’s, der sie ins42 ins ] A  J.2in’s B  B.a   (IV a) Ver­derben
stürzte? Ich oder du?
Faust blickt wild umher
Mephistopheles
Greifst du nach dem Donner? Wohl, daß er euch elenden
Sterblichen nicht gegeben ward! Den unschuldig entgegnen­den
zu zerschmettern, das ist so Tyrannen-Art sich in Verle­genheiten
Luft zu machen.
Faust
Bringe mich hin! Sie soll frey seyn!
Mephistopheles
Und die Gefahr der du dich aussetzest? Wisse, noch liegt
auf der Stadt Blutschuld von deiner Hand. Über des Er­schlagenen
Stätte schweben rächende Geister und lauern auf
den wiederkehrenden Mörder.
Faust
Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt über dich
Ungeheuer! Führe mich hin, sag’ ich, und befrey sie!
Mephistopheles
Ich führe dich und was ich thun kann, höre! Habe ich alle
Macht im Himmel und auf Erden? Des Thürners Sinne
will ich umnebeln, bemächtige dich der Schlüssel und führe
sie heraus mit Menschenhand. Ich wache! die Zauberpferde
sind bereit, ich entführe euch. Das vermag ich!
Faust
Auf und davon!

Nacht, offen Feld

Faust. Mephistopheles auf schwarzen Pferden daher brausend
Faust
4399Was weben die dort um den Rabenstein?
Mephistopheles
4400Weiß nicht was sie kochen und schaffen.
Faust
Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.
Mephistopheles
Eine Hexenzunft.
Faust
Sie streuen und weihen.
Mephistopheles
4404Vorbey! Vorbey!

Kerker

Faust,
mit einem Bund Schlüssel und einer Lampe, vor einem eisernen Thürchen
4405Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,
Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.
Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer,
Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
Du zauderst zu ihr zu gehen!
4410Du fürchtest sie wieder zu sehen!
Fort! dein Zagen zögert den Tod heran.
er ergreift das Schloß. Es singt inwendig.vor 4412 er ] 1 H.5  AEr B  B.a   (IV a)
Meine Mutter, die Hur,
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm,
4415Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein,
An einem kühlen Ort;
Da ward ich ein schönes Waldvögelein,
4420Fliege fort, fliege fort!
Faust
aufschließend
Sie ahndet nicht, daß der Geliebte lauscht,4421 ahndet ] Aahnet B  B.a   (IV a)
Die Ketten klirren hört, das Stroh das rauscht.
er tritt ein.vor 4423 er ] AEr B  B.a   (IV a)
Margarete
sich auf dem Lager verbergend
Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!
Faust
leise
Still! Still! ich komme dich zu befreyen.
Margarete
sich vor ihn hinwälzend
4425Bist du ein Mensch, so fühle meine Noth.
Faust
Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreyen!
er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.vor 4427 er ] AEr B  B.a   (IV a)
Margarete
auf den Knieen
Wer hat dir Henker diese Macht
Über mich gegeben!
Du holst mich schon um Mitternacht.
4430Erbarme dich und laß mich leben!
Ist’s morgen früh nicht zeitig genung?
sie steht auf.vor 4432 sie ] ASie B  B.a   (IV a)
Bin ich doch noch so jung, so jung!
Und soll schon sterben!
Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
4435Nah war der Freund, nun ist er weit,
Zerrissen liegt der Kranz die Blumen zerstreut.4436 Kranz ] AKranz, D.1 Kranz, B  B.a   (I c)
Fasse mich nicht so gewaltsam an!
Schone mich! Was hab’ ich dir gethan?
Laß mich nicht vergebens flehen,
4440Hab’ ich dich doch mein Tage nicht gesehen!
Faust
Werd’ ich den Jammer überstehen!
Margarete
Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
Ich herzt’ es diese ganze Nacht;
4445Sie nahmen mir’s um mich zu kränken
Und sagen nun, ich hätt’ es umgebracht.
Und niemals werd’ ich wieder froh.
Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten!
Ein altes Mährchen endigt so,
4450Wer heißt sie’s deuten?
Faust
wirft sich nieder
Ein Liebender liegt dir zu Füßen
Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.
Margarete
wirft sich zu ihm
O laß uns knien die Heil’gen anzurufen!
Sieh! unter diesen Stufen,
4455Unter der Schwelle
Siedet die Hölle!
Der Böse,
Mit furchtbarem Grimme,
Macht ein Getöse!
Faust
laut
4460Gretchen! Gretchen!
Margarete
aufmerksam
Das war des Freundes Stimme!
Sie springt auf. Die Ketten fallen ab.
Wo ist er? ich hab’ ihn rufen hören.
Ich bin frey! mir soll niemand wehren.4463 niemand ] ANiemand B  B.a   (IV a)
An seinen Hals will ich fliegen,
4465An seinem Busen liegen!
Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
Mitten durch’s Heulen und Klappen der Hölle,
Durch den grimmigen, teuflischen Hohn,
Erkannt’ ich den süßen, den liebenden Ton.
Faust
4470Ich bin’s!
Margarete
4470Du bist’s! O sag’ es noch einmal!
ihn fassendvor 4471 ihn ] AIhn B  B.a   (IV a)
Er ist’s! Er ist’s! Wohin ist alle Qual?
Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
Du bist’s! Kommst mich zu retten.
Ich bin gerettet! –
4475Schon ist die Straße wieder da,
Auf der ich dich zum erstenmale sah.
Und der heitere Garten,
Wo ich und Marthe deiner warten.
Faust
fortstrebend
Komm mit! Komm mit!
Margarete
O weile!
4480Weil’ ich doch so gern wo du weilest.
liebkosendvor 4481 liebkosend ] ALiebkosend B  B.a   (IV a)
Faust
Eile!
Wenn du nicht eilest,
Werden wir’s theuer büßen müssen.
Margarete
Wie? du kannst nicht mehr küssen?
4485Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
Und hast’s Küssen verlernt?
Warum wird mir an deinem Halse so bang?
Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
Ein ganzer Himmel mich überdrang,
4490Und du mich küßtest als wolltest du mich ersticken.
Küsse mich!
Sonst küss’ ich dich!
Sie umfaßt ihn.
O weh! deine Lippen sind kalt,
Sind stumm.
4495Wo ist dein Lieben
Geblieben?
Wer brachte mich drum?
sie wendet sich von ihm.nach 4497 sie ] ASie B  B.a   (IV a)
Faust
Komm! Folge mir! Liebchen fasse Muth!
Ich herze dich mit tausendfacher Glut,
4500Nur folge mir! Ich bitte dich nur dieß!
Margarete
zu ihm gewendet
Und bist du’s denn? Und bist du’s auch gewiß.4501 gewiß. ] A  Bgewiß? B.a gewiß. mon Re 1 H.1 gewiß? C.1 12  C.3 12   (VII)
Faust
Ich bin’s! Komm mit!
Margarete
Du machst die Fesseln los,
Nimmst wieder mich in deinen Schoos.4503 Schoos ] ASchoß B Schooß B.a   (IV a)
Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? –
4505Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreyst?
Faust
Komm! komm! schon weicht die tiefe Nacht.
Margarete
Meine Mutter hab’ ich umgebracht,
Mein Kind hab’ ich ertränkt.
War es nicht dir und mir geschenkt?
4510Dir auch – Du bist’s! ich glaub’ es kaum.
Gieb deine Hand! Es ist kein Traum!4511 Gieb ] AGib B  B.a   (IV a)
Deine liebe Hand! – Ach aber sie ist feucht!
Wische sie ab! Wie mich däucht
Ist Blut dran.
4515Ach Gott! was hast du gethan!
Stecke den Degen ein,
Ich bitte dich drum!
Faust
Laß das Vergang’ne vergangen seyn,
Du bringst mich um.
Margarete
4520Nein, du mußt übrig bleiben!
Ich will dir die Gräber beschreiben,
Für die mußt du sorgen
Gleich morgen;
Der Mutter den besten Platz geben,
4525Meinen Bruder sogleich darneben,
Mich ein wenig bey Seit’,
Nur nicht gar zu weit!
Und das Kleine mir an die rechte Brust.
Niemand wird sonst bey mir liegen! –
4530Mich an deine Seite zu schmiegen
Das war ein süßes, ein holdes Glück!
Aber es will mir nicht mehr gelingen,
Mir ist’s als müßt’ ich mich zu dir zwingen,
Als stießest du mich von dir zurück.
4535Und doch bist du’s und blickst so gut, so fromm.
Faust
Fühlst du daß ich es bin, so komm!
Margarete
Dahinaus?
Faust
In’s Freye.
Margarete
Ist das Grab drauß’,
Lauert der Tod; so komm!
4540Von hier in’s ewige Ruhebett
Und weiter keinen Schritt –
Du gehst nun fort? O Heinrich könnt’ ich mit!
Faust
Du kannst! So wolle nur! die Thür steht offen.
Margarete
Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
4545Was hilft es fliehn? sie lauern doch mir auf.
Es ist so elend betteln zu müssen,
Und noch dazu mit bösem Gewissen!
Es ist so elend in der Fremde schweifen
Und sie werden mich doch ergreifen!
Faust
4550Ich bleibe bey dir.
Margarete
Geschwind! Geschwind!
Rette dein armes Kind.
Fort! immer den Weg
Am Bach hinauf,
4555Über den Steg,
In den Wald hinein,
Links wo die Planke steht,
Im Teich.
Faß es nur gleich!
4560Es will sich heben,
Es zappelt noch,
Rette! rette!
Faust
Besinne dich doch!
Nur Einen Schritt, so bist du frey!
Margarete
4565Wären wir nur den Berg vorbey!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
Es faßt mich kalt beym Schopfe!
Da sizt meine Mutter auf einem Stein4568 sizt ] Asizzt 1 H.5 sitzt B  B.a   (IV a)
Und wackelt mit dem Kopfe;
4570Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,
Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
Sie schlief damit wir uns freuten.
Es waren glückliche Zeiten!
Faust
Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen;
4575So wag’ ich’s dich hinweg zu tragen.
Margarete
Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt!
Fasse mich nicht so mörderisch an!
Sonst hab’ ich dir ja alles zu lieb gethan.4578 alles ] AAlles B  B.a   (IV a)
Faust
Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!
Margarete
4580Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein!
Mein Hochzeittag sollt’ es seyn!
Sag Niemand daß du schon bey Gretchen warst.
Weh meinem Kranze!
Es ist eben geschehn!
4585Wir werden uns wiedersehn;
Aber nicht beym Tanze.
Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
Der Platz, die Gassen
Können sie nicht fassen.
4590Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
Wie sie mich binden und packen!
Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
Schon zuckt nach jedem Nacken
Die Schärfe die nach meinem zückt.
4595Stumm liegt die Welt wie das Grab!
Faust
O wär’ ich nie geboren!
Mephistopheles
erscheint draußen
Auf! oder ihr seyd verloren.
Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
Meine Pferde schaudern,
4600Der Morgen dämmert auf.
Margarete
Was steigt aus dem Boden herauf?
Der! der! Schicke ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort?
Er will mich!
Faust
Du sollst leben!
Margarete
4605Gericht Gottes! dir hab’ ich mich übergeben!
Mephistopheles
zu Faust
Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.
Margarete
Dein bin ich Vater! Rette mich!
Ihr Engel! Ihr heiligen Schaaren4608 Schaaren ] ASchaaren, D.1 Scharen, B Scharen B.a   (IV a)
Lagert euch umher, mich zu bewahren!
4610Heinrich! Mir graut’s vor dir.
Mephistopheles
Sie ist gerichtet!
Stimme
von oben
Ist gerettet!
Mephistopheles
zu Faust
Her zu mir!
verschwindet mit Faustnach 4611 verschwindet ] AVerschwindet B  B.a   (IV a)
Stimme
von innen, verhallend
4612Heinrich! Heinrich!