∞
∞Zueignung
1Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!
2Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
3Versuch’ ich wohl euch diesmal fest zu halten?
4Fühl’ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
5Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
6Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
7Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
8Vom Zauberhauch der euren Zug umwittert.
9Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
10Und manche liebe Schatten steigen auf;
11Gleich einer alten, halbverklungnen Sage,
12Kommt erste Lieb’ und Freundschaft mit herauf;
13Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
14Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
15Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
16Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
17Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
18Die Seelen, denen ich die ersten sang,
19Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
20Verklungen ach! der erste Wiederklang.
22Ihr Beyfall selbst macht meinem Herzen bang,
23Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
24Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
25Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
26Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
27Es schwebet nun, in unbestimmten Tönen,
28Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
29Ein Schauer faßt mich, Thräne folgt den Thränen,
30Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich;
31Was ich besitze seh’ ich wie im weiten,
32Und was verschwand wird mir zu Wirklichkeiten.
∞
∞Vorspiel auf dem Theater
∞Director,
Theaterdichter, lustige Person
∞Director
33Ihr beyden die ihr mir so oft,
34In Noth und Trübsal, beygestanden,
35Sagt was ihr wohl, in deutschen Landen,
36Von unsrer Unternehmung hofft?
37Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
38Besonders weil sie lebt und leben läßt.
39Die Pfosten sind, die Breter aufgeschlagen,
40Und jedermann erwartet sich ein Fest.
41Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,
42Gelassen da und möchten gern erstaunen.
43Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;
44Doch so verlegen bin ich nie gewesen;
45Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
46Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
47Wie machen wir’s? daß alles frisch und neu
48Und mit Bedeutung auch gefällig sey.
49Denn freylich mag ich gern die Menge sehen,
50Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
51Und mit gewaltig wiederholten Wehen,
52Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt;
53Bey hellem Tage, schon vor Vieren,
54Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
55Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthüren,
56Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
57Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
∞Dichter
59O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
60Bey deren Anblick uns der Geist entflieht.
61Verhülle mir das wogende Gedränge,
62Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
63Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
64Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
65Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen
66Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
67Ach! was in tiefer Brust uns da
entsprungen,
68Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
69Mißrathen jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
70Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
71Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen
72Erscheint es in vollendeter Gestalt.
73Was glänzt ist für den Augenblick geboren,
74Das Ächte bleibt der Nachwelt unverloren.
∞Lustige
Person
75Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.
76Gesetzt daß ich von Nachwelt
reden wollte,
77Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
78Den will sie doch und soll ihn haben.
79Die Gegenwart von einem braven Knaben
80Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.
81Wer sich behaglich mitzutheilen weiß,
82Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
83Er wünscht sich einen großen Kreis,
84Um ihn gewisser zu erschüttern.
85Drum seyd nur brav und zeigt euch musterhaft,
86Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
87Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
88Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.
∞Director
89Besonders aber laßt genug geschehn!
90Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
92So daß die Menge staunend gaffen kann,
93Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
94Ihr seyd ein vielgeliebter Mann.
95Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
96Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
98Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
99Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
100Solch ein Ragout es muß euch glücken;
101Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
102Was hilft’s wenn ihr ein Ganzes dargebracht,
103Das Publikum wird es euch doch zerpflücken.
∞Dichter
104Ihr fühlet nicht wie schlecht ein solches Handwerk sey!
105Wie wenig das den ächten Künstler zieme!
106Der saubern Herren Pfuscherey
107Ist, merk’ ich, schon bey euch Maxime.
∞Director
108Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt;
109Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
110Muß auf das beste Werkzeug halten.
111Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
112Und seht nur hin für wen ihr schreibt!
113Wenn diesen Langeweile treibt,
114Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
115Und, was das allerschlimmste bleibt,
116Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
117Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
118Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
119Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
120Und spielen ohne Gage mit.
121Was träumet ihr auf eurer Dichter-Höhe?
122Was macht ein volles Haus euch froh?
123Beseht die Gönner in der Nähe!
124Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
125Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
126Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
127Was plagt ihr armen Thoren viel,
128Zu solchem Zweck, die holden Musen?
129Ich sag’ euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,
130So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren,
131Sucht nur die Menschen zu verwirren,
132Sie zu befriedigen ist schwer – –
133Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?
∞Dichter
134Geh hin und such dir einen andern Knecht!
135Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
136Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
137Um deinetwillen freventlich verscherzen!
138Wodurch bewegt er alle Herzen?
139Wodurch besiegt er jedes Element?
140Ist es der Einklang nicht? der aus dem Busen dringt,
141Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt.
142Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
143Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
144Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
145Verdrießlich durch einander klingt;
146Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
147Belebend ab, daß sie sich rythmisch regt?
148Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe?
149Wo es in herrlichen Accorden schlägt,
150Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
151Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?
153Auf der Geliebten Pfade hin?
154Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
155Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
156Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
157Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.
∞Lustige
Person
158So braucht sie denn die schönen Kräfte
159Und treibt die dicht’rischen Geschäfte,
160Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
161Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
162Und nach und nach wird man verflochten;
163Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
164Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
165Und eh man sich’s versieht ist’s eben ein Roman.
166Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
167Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
168Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
169Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.
170In bunten Bildern wenig Klarheit,
171Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,
172So wird der beste Trank gebraut,
173Der alle Welt erquickt und auferbaut.
174Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte
175Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
176Dann sauget jedes zärtliche Gemüthe
177Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung;
178Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,
179Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.
180Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
181Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
182Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,
183Ein Werdender wird immer dankbar seyn.
∞Dichter
184So gieb mir auch die Zeiten wieder,
185Da ich noch selbst im Werden war,
186Da sich ein Quell gedrängter Lieder
187Ununterbrochen neu gebar,
188Da Nebel mir die Welt verhüllten,
189Die Knospe Wunder noch versprach,
190Da ich die tausend Blumen brach,
191Die alle Thäler reichlich füllten.
192Ich hatte nichts und doch genug,
193Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
194Gieb ungebändigt jene Triebe,
195Das tiefe schmerzenvolle Glück,
196Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
197Gieb meine Jugend mir zurück!
∞Lustige
Person
198Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls
199Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
200Wenn mit Gewalt an deinen Hals
201Sich allerliebste Mädchen hängen,
202Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
203Vom schwer erreichten Ziele winket,
205Die Nächte schmausend man vertrinket.
206Doch ins bekannte Saitenspiel
207Mit Muth und Anmuth einzugreifen,
208Nach einem selbgesteckten Ziel
209Mit holdem Irren hinzuschweifen,
210Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
211Und wir verehren euch darum nicht minder.
212Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
213Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
∞Director
214Der Worte sind genug gewechselt,
215Laßt mich auch endlich Thaten sehn;
216Indeß ihr Complimente drechselt,
217Kann etwas nützliches geschehn.
218Was hilft es viel von Stimmung reden?
219Dem Zaudernden erscheint sie nie.
220Gebt ihr euch einmal für Poeten,
221So kommandirt die Poesie.
222Euch ist bekannt was wir bedürfen,
223Wir wollen stark Getränke schlürfen;
224Nun braut mir unverzüglich dran!
226Und keinen Tag soll man verpassen,
227Das Mögliche soll der Entschluß
228Beherzt sogleich beym Schopfe fassen,
229Er will es dann nicht fahren lassen,
230Und wirket weiter, weil er muß.
231Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
232Probirt ein jeder was er mag;
233Drum schonet mir an diesem Tag
234Prospecte nicht und nicht Maschinen.
235Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,
236Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
237An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
238An Thier und Vögeln fehlt es nicht.
239So schreitet in dem engen Breterhaus
240Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
242Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.
∞
∞Prolog im Himmel
∞Die drey Erzengel treten
vor.
∞Raphael
243Die Sonne tönt, nach alter Weise,
244In Brudersphären Wettgesang,
245Und ihre vorgeschriebne Reise
246Vollendet sie mit Donnergang.
247Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,
248Wenn keiner sie ergründen mag.
249Die unbegreiflich hohen Werke
250Sind herrlich wie am ersten Tag.
∞Gabriel
251Und schnell und unbegreiflich schnelle
252Dreht sich umher der Erde Pracht;
253Es wechselt Paradieses-Helle
254Mit tiefer schauervoller Nacht;
255Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
256Am tiefen Grund der Felsen auf,
257Und Fels und Meer wird fortgerissen
258In ewig schnellem Sphärenlauf.
∞Michael
259Und Stürme brausen um die Wette
260Vom Meer aufs Land vom Land aufs Meer,260 aufs Land‸ bis aufs ] A auf’s Land, bis auf’s B
auf’s Land‸ bis auf’s B.a
(IV a)
261Und bilden wüthend eine Kette
262Der tiefsten Wirkung rings umher.
263Da flammt ein blitzendes Verheeren
264Dem Pfade vor des Donnerschlags.
265Doch deine Boten, Herr, verehren
266Das sanfte Wandeln deines Tags.
∞Zu Drey
267Der Anblick giebt den Engeln Stärke
268Da keiner dich ergründen mag,
269Und alle deine hohen Werke
270Sind herrlich wie am ersten Tag.
∞Mephistopheles
271Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
272Und fragst wie alles sich bey uns befinde,
273Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst;
274So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
275Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
276Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
279Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,
280Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.
281Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem
Schlag,
282Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
283Ein wenig besser würd’ er leben,
286Nur thierischer als jedes Thier zu seyn.
287Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden,
288Wie eine der langbeinigen Cicaden,
289Die immer fliegt und fliegend springt
290Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
291Und läg’ er nur noch immer in dem Grase!
292In jeden Quark begräbt er seine Nase.
∞Der
Herr
293Hast du mir weiter nichts zu sagen?
294Kommst du nur immer anzuklagen?
295Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
∞Mephistopheles
296Nein Herr! ich find’ es dort, wie immer, herzlich
schlecht.
297Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
298Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.
∞Mephistopheles
300Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.
301Nicht irdisch ist des Thoren Trank noch Speise.
302Ihn treibt die Gährung in die Ferne,
303Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
304Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,
305Und von der Erde jede höchste Lust,
306Und alle Näh’ und alle Ferne
307Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
∞Der
Herr
308Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient;
309So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen.
310Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
311Daß Blüt’ und Frucht die künft’gen Jahre zieren.
∞Mephistopheles
312Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren!
313Wenn ihr mir die Erlaubniß gebt
314Ihn meine Straße sacht zu führen.
∞Mephistopheles
318Da dank’ ich euch; denn mit den Todten
319Hab’ ich mich niemals gern befangen.
321Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;
322Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
∞Der
Herr
323Nun gut, es sey dir überlassen!
324Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
325Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen,
326Auf deinem Wege mit herab,
327Und steh’ beschämt, wenn du bekennen mußt:
328Ein guter Mensch, in seinem dunkeln Drange,
329Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
∞Mephistopheles
330Schon gut! nur dauert es nicht lange.
331Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
332Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
333Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.
334Staub soll er fressen, und mit Lust,
335Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.
∞Der
Herr
336Du darfst auch da nur frey erscheinen;
337Ich habe deines gleichen nie gehaßt.
338Von allen Geistern die verneinen
339Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
340Des Menschen Thätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,
341Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
342Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,
343Der reizt und wirkt, und muß, als Teufel, schaffen.
344Doch ihr, die ächten Göttersöhne,
345Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
346Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
347Umfaß’ euch mit der Liebe holden Schranken,
348Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
349Befestiget mit dauernden Gedanken.
∞Der Himmel schließt, die
Erzengel vertheilen sich,
∞
∞Der Tragödie Erster Theil
∞
∞Nacht
∞In einem hochgewölbten, engen, gothischen Zimmer, Faust unruhig auf seinem Sessel am Pultevor 354 Zimmer, ] Zimmer‸ 1 H.5
Zimmer, S
Zimmer‸ A B B.a
(I c, II a)
∞Faust
354Habe nun, ach! Philosophie,
355Juristerey und Medicin,
356Und leider auch Theologie!
357Durchaus studirt, mit heißem Bemühn.
358Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
360Heiße Magister, heiße Doctor gar,
361Und ziehe schon an die zehen Jahr,
362Herauf, herab und quer und krumm,
363Meine Schüler an der Nase herum –
364Und sehe, daß wir nichts wissen können!
365Das will mir schier das Herz verbrennen.
366Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,
367Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
368Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
369Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
370Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,
371Bilde mir nicht ein was rechts zu wissen,
373Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
374Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,
375Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt.
376Es möchte kein Hund so länger leben!
377Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
378Ob mir durch Geistes Kraft und Mund378 mir‸ bis Mund‸ ] A mir‸ bis Krafft und Mund‸ 1 H.5
mir, bis Mund‸ S
mir, bis Mund, B B.a
(IV a)
379Nicht manch Geheimniß würde kund;
380Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß,380 mehr‸ bis Schweiß, ] A mehr‸ bis Schweis‸ 1 H.5
mehr, bis saurem Schweiß, S
mehr, bis Schweiß, B B.a
(IV a)
383Im Innersten zusammenhält,
384Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,
385Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.
386O sähst du, voller Mondenschein,
387Zum letztenmal auf meine Pein,
388Den ich so manche Mitternacht
389An diesem Pult herangewacht:
390Dann über Büchern und Papier,390 Dann‸ bis Papier, ] S A Dann‸ bis Bücher und Papier‸ 1 H.5
Dann‸ bis Bücher und Papier, S
Dann, bis Papier, B B.a
(IV a)
391Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!
392Ach! könnt’ ich doch auf Berges-Höh’n,
393In deinem lieben Lichte gehn,
394Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
395Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
396Von allem Wissensqualm entladen,
397In deinem Thau gesund mich baden!
398Weh! steck’ ich in dem Kerker
noch?
399Verfluchtes, dumpfes Mauerloch!
400Wo selbst das liebe Himmelslicht
401Trüb’ durch gemahlte Scheiben bricht.
403Den Würme nagen, Staub bedeckt,
404Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,
405Ein angeraucht Papier umsteckt;
406Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
407Mit Instrumenten vollgepfropft,
408Urväter Hausrath drein gestopft –
409Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
410Und fragst du noch, warum dein
Herz
411Sich bang’ in deinem Busen klemmt?
412Warum ein unerklärter Schmerz
413Dir alle Lebensregung hemmt?
414Statt der lebendigen Natur,
415Da Gott die Menschen schuf hinein,
416Umgiebt in Rauch und Moder nur
417Dich Thiergeripp’ und Todtenbein.
419Und dieß geheimnißvolle Buch,
420Von Nostradamus eigner Hand,
421Ist dir es nicht Geleit genug?
422Erkennest dann der Sterne Lauf,
423Und wenn Natur dich unterweist,
424Dann geht die Seelenkraft dir auf,
425Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
426Umsonst, daß trocknes Sinnen hier426 Umsonst, ] S A Umsonst‸ 1 H.5
Umsonst! B B.a
Umsonst, 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(IV a)
427Die heil’gen Zeichen dir erklärt,
428Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,
429Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
∞Er schlägt das Buch
auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.
430Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
431Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
432Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück
433Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
434War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?
435Die mir das innre Toben stillen,
436Das arme Herz mit Freude füllen,
437Und mit geheimnißvollem Trieb,
438Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen.
439Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
440Ich schau’ in diesen reinen Zügen
441Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
442Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:
443„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
444„Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
445„Auf bade, Schüler, unverdrossen,
446„Die ird’sche Brust im Morgenroth!“
∞Er beschaut das
Zeichen.
447Wie alles sich zum Ganzen webt,
448Eins in dem andern wirkt und lebt!
449Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
450Und sich die goldnen Eimer reichen!
451Mit segenduftenden Schwingen
452Vom Himmel durch die Erde dringen,
454Welch Schauspiel! aber ach! ein
Schauspiel nur!
455Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?
456Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
457An denen Himmel und Erde hängt,
458Dahin die welke Brust sich drängt –
459Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so
vergebens?
∞Er schlägt
unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen
des Erdgeistes.
460Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
461Du, Geist der Erde, bist mir näher;
462Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,
463Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,
464Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,464 Muth, bis wagen, ] S A B.a Muth‸ bis wagen‸ 1 H.5
Muth‸ bis wagen, B
(IV c)
465Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
466Mit Stürmen mich herumzuschlagen,
467Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,
468Es wölkt sich über mir –
469Der Mond verbirgt sein Licht –
470Die Lampe schwindet!
471Es dampft! – Es zucken rothe Strahlen
472Mir um das Haupt – Es weht
473Ein Schauer vom Gewölb’ herab
474Und faßt mich an!
475Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.
476Enthülle dich!
477Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!
478Zu neuen Gefühlen
480Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
∞Er faßt das Buch
und spricht das Zeichen des Geistes geheimnißvoll aus. Es zuckt
eine röthliche Flamme, der Geist
erscheint in der Flamme.
∞Geist
486Du flehst erathmend mich zu schauen,
487Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn,
488Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
489Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen
490Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
491Wo ist die Brust? die eine Welt in sich erschuf,
492Und trug und hegte; die mit Freudebeben
493Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben.
494Wo bist du, Faust? deß Stimme mir erklang,
495Der sich an mich mit allen Kräften drang?
496Bist Du es? der, von
meinem Hauch umwittert,
497In allen Lebenstiefen zittert,
498Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!
∞Geist
501In Lebensfluthen, im Thatensturm
502Wall’ ich auf und ab,
504Geburt und Grab,
505Ein ewiges Meer,
506Ein wechselnd Weben,
507Ein glühend Leben,
508So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
509Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
∞Verschwindet
∞Faust
∞zusammenstürzend
514Nicht dir!
515Wem denn?
516Ich Ebenbild der Gottheit!
517Und nicht einmal dir!
∞Es klopft.
518O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –
519Es wird mein schönstes Glück zu nichte!
520Daß diese Fülle der Gesichte
521Der trockne Schleicher stören muß!
∞Wagner im Schlafrocke und der
Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich
unwillig.
∞Wagner
522Verzeiht! ich hör’ euch declamiren;
523Ihr las’t gewiß ein griechisch Trauerspiel?
525Denn heut zu Tage wirkt das viel.
526Ich hab’ es öfters rühmen hören,
527Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.
∞Wagner
530Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
531Und sieht die Welt kaum einen Feyertag,
532Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
533Wie soll man sie durch Überredung leiten?
∞Faust
534Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,
535Wenn es nicht aus der Seele dringt,
536Und mit urkräftigem Behagen
537Die Herzen aller Hörer zwingt.
538Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
539Braut ein Ragout von andrer Schmaus,
540Und blas’t die kümmerlichen Flammen
541Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!
542Bewund’rung von Kindern und Affen,
543Wenn euch darnach der Gaumen steht;
544Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
545Wenn es euch nicht von Herzen geht.
∞Faust
548Such’ Er den redlichen Gewinn!
549Sey er kein schellenlauter Thor!
550Es trägt Verstand und rechter Sinn
551Mit wenig Kunst sich selber vor;
552Und wenn’s euch Ernst ist was zu sagen,
553Ist’s nöthig Worten nachzujagen?
554Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
555In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
556Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
557Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!
∞Wagner
558Ach Gott! die Kunst ist lang;
559Und kurz ist unser Leben.
560Mir wird, bey meinem kritischen Bestreben,
561Doch oft um Kopf und Busen bang’.
562Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
563Durch die man zu den Quellen steigt!
564Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,
565Muß wohl ein armer Teufel sterben.
∞Faust
566Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,566 Pergament, ] S A B.a Pergament‸ 1 H.5
Pergament‸ B
(IV c)566 heilge ] A heil’ge S
heil’ge B B.a
(IV a)
567Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
568Erquickung hast du nicht gewonnen,
569Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
∞Wagner
570Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,570–571 Ergetzen, bis versetzen; ] S A B.a Ergözzen‸ bis versezzen. 1 H.5
Ergetzen‸ bis versetzen, B
(IV c)
571Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
572Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,572 schauen, ] S A B.a schauen‸ 1 H.5
schauen‸ B
(IV c)
573Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
∞Faust
574O ja, bis an die Sterne weit!
575Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
576Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
577Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
578Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
579In dem die Zeiten sich bespiegeln.
580Da ist’s dann wahrlich oft ein Jammer!
581Man läuft euch bey dem ersten Blick davon.
582Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
583Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,
584Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,
585Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
∞Faust
588Ja was man so erkennen heißt!
589Wer darf das Kind beym rechten Namen nennen?
590Die wenigen, die was davon erkannt,
591Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,
592Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
593Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.593 gekreuzigt ] 1 H.5 S gekreutzigt A B 1 H.1 C.1 12
gekreuzigt B.a
gekreuzigt C.3 12
(II a)
594Ich bitt’ euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
595Wir müssen’s dießmal unterbrechen.
∞Wagner
596Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
597Um so gelehrt mit euch mich zu besprechen.
598Doch Morgen, als am ersten Ostertage,
599Erlaubt mir ein’ und andre Frage.
600Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen,
601Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen.
∞ab
∞Faust
∞allein
602Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
603Der immerfort an schaalem Zeuge klebt,603 schaalem ] A schaalen 1 H.5
schalem S
schalem D.1 B B.a
(IV a)
604Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,
606Darf eine solche Menschenstimme
hier,
607Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
608Doch ach! für dießmal dank’ ich dir,
609Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
610Du rissest mich von der Verzweiflung los,
611Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
612Ach! die Erscheinung war so Riesen-groß,
613Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
614Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich
schon
615Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,
616Sein selbst genoß, in Himmelsglanz und Klarheit,
617Und abgestreift den Erdensohn;
618Ich, mehr als Cherub, dessen freye Kraft
619Schon durch die Adern der Natur zu fließen
620Und, schaffend, Götterleben zu genießen
622Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
623Nicht darf ich dir zu gleichen mich
vermessen.
624Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen;
625So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.
626In jenem sel’gen Augenblicke
627Ich fühlte mich so klein, so groß,
628Du stießest grausam mich zurücke,
629Ins ungewisse Menschenloos.
630Wer lehret mich? was soll ich meiden?
631Soll ich gehorchen jenem Drang?
632Ach! unsre Thaten selbst, so gut als unsre
Leiden,
633Sie hemmen unsres Lebens Gang.
635Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;
636Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
637Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
638Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
639Erstarren in dem irdischen Gewühle.
640Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem
Flug,
641Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
642So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
643Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
644Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
645Dort wirket sie geheime Schmerzen,
646Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
647Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
648Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind
erscheinen,
649Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
651Und was du nie verlierst das mußt du stets
beweinen.
652Den Göttern gleich’ ich nicht! zu
tief ist es gefühlt;
653Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt;
654Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
655Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
656Ist es nicht Staub? was diese hohe
Wand,
657Aus hundert Fächern, mir verenget;
658Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,
659In dieser Mottenwelt mich dränget?
660Hier soll ich finden was mir fehlt?
661Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
662Daß überall die Menschen sich gequält,
663Daß hie und da ein Glücklicher gewesen? –
664Was grinsest du mir hohler Schädel her?
665Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret,
666Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,666 leichten ] A B B.a mon Gö 1 H.1 leichten C.1 12 C.3 12
lichten konj Hartung (III *)
667Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.
668Ihr Instrumente freylich, spottet mein,
669Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel.
670Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel seyn;
671Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die
Riegel.
672Geheimnißvoll am lichten Tag
673Läßt sich Natur des Schleyers nicht berauben,
674Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
675Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit
Schrauben.
676Du alt Geräthe das ich nicht gebraucht,
677Du stehst nur hier, weil dich mein Vater
brauchte.
678Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
679So lang an diesem Pult die trübe Lampe
schmauchte.
682Was du ererbt von deinen Vätern hast
684Was man nicht nützt ist eine schwere Last,
686Doch warum heftet sich mein Blick auf
jene Stelle?
687Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
688Warum wird mir auf einmal lieblich helle?
689Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz
umweht.
690Ich grüße dich, du einzige
Phiole!
691Die ich mit Andacht nun herunterhole,
692In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst.
693Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
694Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,
695Erweise deinem Meister deine Gunst!
696Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
697Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
698Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach.
699Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewiesen,
700Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen,
701Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
702Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten
Schwingen,
703An mich heran! Ich fühle mich bereit
704Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,
705Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit.
706Dieß hohe Leben, diese Götterwonne!
707Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
708Ja, kehre nur der holden Erdensonne
709Entschlossen deinen Rücken zu!
710Vermesse dich die Pforten aufzureißen,
712Hier ist es Zeit durch Thaten zu beweisen,
713Daß Mannes-Würde nicht der Götterhöhe weicht,
714Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,
715In der sich Phantasie zu eigner Quaal verdammt,
716Nach jenem Durchgang hinzustreben,
717Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
718Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen
721Hervor aus deinem alten Futterale,
722An die ich viele Jahre nicht gedacht.
723Du glänztest bey der Väter Freudenfeste,
724Erheitertest die ernsten Gäste,
725Wenn einer dich dem andern zugebracht.
726Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
727Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
728Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,
729Erinnert mich an manche Jugend-Nacht,
730Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
731Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht
zeigen,
732Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.
734Den ich bereitet, den ich wähle,
735Der letzte Trunk sey nun, mit ganzer Seele,
736Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
∞Er setzt die Schale an den
Mund.
∞Chor der
Engel
∞Faust
742Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,
743Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
744Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon
745Des Osterfestes erste Feyerstunde?
746Ihr Chöre singt ihr schon den tröstlichen Gesang?
747Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
748Gewißheit einem neuen Bunde.
∞Chor der
Weiber
∞Chor der
Engel
∞Faust
762Was sucht ihr, mächtig und gelind,
764Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
765Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube;
766Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
767Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben,
768Woher die holde Nachricht tönt;
769Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
770Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
771Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß
772Auf mich herab, in ernster Sabathstille;
773Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,773 ahndungsvoll ] A J.2 ahnungsvoll B B.a
(IV a)
774Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
775Ein unbegreiflich holdes Sehnen
776Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,
777Und unter tausend heißen Thränen,
778Fühlt’ ich mir eine Welt entstehn.
779Dieß Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
780Der Frühlingsfeyer freyes Glück;
781Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
782Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
783O! tönet fort ihr süßen Himmelslieder!
784Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!
∞Chor der
Jünger
∞
∞Vor dem Thor
∞Spaziergänger aller
Art ziehen hinaus
∞Vierter
814Nach Burgdorf kommt herauf, gewiß dort findet ihr
815Die schönsten Mädchen und das beste Bier,
816Und Händel von der ersten Sorte.
∞Fünfter
817Du überlustiger Gesell,
818Juckt dich zum drittenmal das Fell?
819Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.
∞Erste
822Das ist für mich kein großes Glück;
823Er wird an deiner Seite gehen,
824Mit dir nur tanzt er auf dem Plan.
825Was gehn mich deine Freuden an!
∞Schüler
828Blitz wie die wackern Dirnen schreiten!
829Herr Bruder komm! wir müssen sie begleiten.
830Ein starkes Bier, ein beizender Toback,
831Und eine Magd im Putz das ist nun mein Geschmack.
∞Bürgermädchen
832Da sieh mir nur die schönen Knaben!
833Es ist wahrhaftig eine Schmach,
834Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben,
835Und laufen diesen Mägden nach!
∞Zweyter
Schüler
∞zum ersten
836Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwey,
837Sie sind gar niedlich angezogen,
838’s ist meine Nachbarin dabey;
839Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.
840Sie gehen ihren stillen Schritt
841Und nehmen uns doch auch am Ende mit.
∞Erster
842Herr Bruder nein! Ich bin nicht gern genirt.
843Geschwind! daß wir das Wildpret nicht verlieren.
844Die Hand, die Samstags ihren Besen führt,
∞Bürger
846Nein, er gefällt mir nicht der neue Burgemeister!
847Nun, da er’s ist, wird er nur täglich dreister.
848Und für die Stadt was thut denn er?
849Wird es nicht alle Tage schlimmer?
850Gehorchen soll man mehr als immer,
851Und zahlen mehr als je vorher.
∞Bettler
∞singt
852Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,852–859 Die Verse sind in allen Drucken nicht eingerückt; in Q wurden sie ebenso wie die Verse 949–980 eingerückt. (VII)
853So wohlgeputzt und backenroth,
854Belieb’ es euch mich anzuschauen,
855Und seht und mildert meine Noth!
856Laßt hier mich nicht vergebens leyern!
857Nur der ist froh, der geben mag.
858Ein Tag den alle Menschen feyern,
∞Andrer
Bürger
860Nichts bessers weiß ich mir an Sonn- und Feyertagen,
861Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrey,
862Wenn hinten, weit, in der Türkey,
863Die Völker auf einander schlagen.
864Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
865Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
866Dann kehrt man Abends froh nach Haus,
867Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.
∞Dritter
Bürger
868Herr Nachbar, ja! so laß ich’s auch geschehn,
869Sie mögen sich die Köpfe spalten,
870Mag alles durch einander gehn;
871Doch nur zu Hause bleib’s beym Alten.
∞Alte
∞zu den
Bürgermädchen
872Ey! wie geputzt! das schöne junge Blut!
873Wer soll sich nicht in euch vergaffen? –
874Nur nicht so stolz! es ist schon gut!
875Und was ihr wünscht das wüßt’ ich wohl zu schaffen.
∞Bürgermädchen
876Agathe fort! ich nehme mich in Acht
877Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen;
878Sie ließ mich zwar, in Sanct Andreas Nacht,
∞Die
Andre
880Mir zeigte sie ihn im Krystall,
881Soldatenhaft, mit mehreren Verwegnen;
882Ich seh’ mich um, ich such’ ihn überall,
883Allein mir will er nicht begegnen.
∞Soldaten
∞Faust
903Vom Eise befreyt sind Strom und Bäche,
904Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
905Im Thale grünet Hoffnungs-Glück;
906Der alte Winter, in seiner Schwäche,
907Zog sich in rauhe Berge zurück.
908Von dorther sendet er, fliehend, nur
909Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
910In Streifen über die grünende Flur;
911Aber die Sonne duldet kein Weißes,
912Überall regt sich Bildung und Streben,
913Alles will sie mit Farben beleben;
915Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
916Kehre dich um, von diesen Höhen
917Nach der Stadt zurück zu sehen.
918Aus dem hohlen finstren Thor
919Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
920Jeder sonnt sich heute so gern.
921Sie feyern die Auferstehung des Herrn,
922Denn sie sind selber auferstanden,
923Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
924Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
925Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
926Aus der Straßen quetschender Enge,
927Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
928Sind sie alle ans Licht gebracht.
929Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
930Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
931Wie der Fluß, in Breit’ und Länge,
932So manchen lustigen Nachen bewegt,
933Und, bis zum Sinken überladen,
934Entfernt sich dieser letzte Kahn.
935Selbst von des Berges fernen Pfaden
936Blinken uns farbige Kleider an.
937Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
938Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
939Zufrieden jauchzet groß und klein:
940Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s seyn.
∞Wagner
941Mit euch, Herr Doctor, zu spazieren
942Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
943Doch würd’ ich nicht allein mich her verlieren,
944Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
945Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben,
946Ist mir ein gar verhaßter Klang;
947Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
948Und nennen’s Freude, nennen’s Gesang.
∞Bauern
∞unter der Linde
∞Tanz und
Gesang
949Der Schäfer putzte sich zum Tanz,949–980 nicht eingerückt A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12 eingerückt Q
(VII)
950Mit bunter Jacke, Band und Kranz,
951Schmuck war er angezogen.
952Schon um die Linde war es voll
953Und alles tanzte schon wie toll.
954Juchhe! Juchhe!
955Juchheisa! Heisa! He!
956So ging der Fiedelbogen.
957Er drückte hastig sich heran,
959Mit seinem Ellenbogen;
960Die frische Dirne kehrt sich um
961Und sagte: nun das find’ ich dumm!
962Juchhe! Juchhe!
963Juchheisa! Heisa! He!
964Seyd nicht so ungezogen.
965Doch hurtig in dem Kreise ging’s,
967Und alle Röcke flogen.
968Sie wurden roth, sie wurden warm
969Und ruhten athmend Arm in Arm,
970Juchhe! Juchhe!
971Juchheisa! Heisa! He!
972Und Hüft’ an Ellenbogen.
∞Alter
Bauer
981Herr Doctor, das ist schön von euch,
982Daß ihr uns heute nicht verschmäht,
983Und unter dieses Volksgedräng’,
984Als ein so Hochgelahrter, geht.
985So nehmet auch den schönsten Krug,
986Den wir mit frischem Trunk gefüllt,
987Ich bring’ ihn zu und wünsche laut,
988Daß er nicht nur den Durst euch stillt;988 stillt; ] Das Semikolon fehlt in manchen Exemplaren von A. (VII)
989Die Zahl der Tropfen, die er hegt,
990Sey euren Tagen zugelegt.
∞
Das Volk sammelt sich im Kreis
umher
∞Alter
Bauer
993Fürwahr es ist sehr wohl gethan,
994Daß ihr am frohen Tag erscheint;
995Habt ihr es vormals doch mit uns
997Gar mancher steht lebendig hier,
998Den euer Vater noch zuletzt
999Der heißen Fieberwuth entriß,
1000Als er der Seuche Ziel gesetzt.
1001Auch damals ihr, ein junger Mann,
1002Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
1003Gar manche Leiche trug man fort,
1004Ihr aber kamt gesund heraus,
1005Bestandet manche harte Proben;
1006Dem Helfer half der Helfer droben.
∞Er geht mit Wagnern
weiter.
∞Wagner
1011Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann!
1012Bey der Verehrung dieser Menge haben!
1013O! glücklich! wer von seinen Gaben
1014Solch einen Vortheil ziehen kann.
1015Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
1016Ein jeder fragt und drängt und eilt,
1017Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
1018Du gehst, in Reihen stehen sie,
1019Die Mützen fliegen in die Höh’;
1020Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
1021Als käm’ das Venerabile.
∞Faust
1022Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
1023Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
1024Hier saß ich oft gedankenvoll allein
1025Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
1026An Hoffnung reich, im Glauben fest,
1027Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
1028Dacht’ ich das Ende jener Pest
1029Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
1030Der Menge Beyfall tönt mir nun wie Hohn.
1031O könntest du in meinem Innern lesen,
1032Wie wenig Vater und Sohn
1033Solch eines Ruhmes werth gewesen!
1034Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
1035Der über die Natur und ihre heilgen Kreise,
1036In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
1037Mit grillenhafter Mühe sann.
1038Der, in Gesellschaft von Adepten,
1039Sich in die schwarze Küche schloß,
1040Und, nach unendlichen Recepten,
1041Das Widrige zusammengoß.
1042Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer,
1043Im lauen Bad, der Lilie vermählt
1044Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer,
1045Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
1046Erschien darauf, mit bunten Farben,
1047Die junge Königin im Glas,
1048Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
1049Und niemand fragte: wer genas?
1050So haben wir, mit höllischen Latwergen,
1051In diesen Thälern, diesen Bergen,
1052Weit schlimmer als die Pest getobt.
1053Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,
1054Sie welkten hin, ich muß erleben
1055Daß man die frechen Mörder lobt.
∞Wagner
1056Wie könnt ihr euch darum betrüben!
1057Thut nicht ein braver Mann genug;
1058Die Kunst, die man ihm übertrug,
1059Gewissenhaft und pünctlich auszuüben.
1060Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
1061So wirst du gern von ihm empfangen;
1062Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
1063So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.
∞Faust
1064O! glücklich! wer noch hoffen kann
1065Aus diesem Meer des Irrthums aufzutauchen.
1066Was man nicht weiß das eben brauchte man,
1067Und was man weiß kann man nicht brauchen.
1068Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut,
1069Durch solchen Trübsinn, nicht verkümmern!
1070Betrachte wie, in Abendsonne-Glut,
1071Die grünumgebnen Hütten schimmern.
1072Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
1073Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
1074O! daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
1075Ihr nach und immer nach zu streben.
1076Ich säh’ im ewigen Abendstrahl
1077Die stille Welt zu meinen Füßen,
1078Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Thal,
1079Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
1080Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
1081Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
1082Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
1083Vor den erstaunten Augen auf.
1085Allein der neue Trieb erwacht,
1086Ich eile fort ihr ew’ges Licht zu trinken,
1087Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,
1088Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
1089Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
1090Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
1091Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
1093Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
1094Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
1095Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
1096Wenn über schroffen Fichtenhöhen
1097Der Adler ausgebreitet schwebt,
1098Und über Flächen, über Seen,
1099Der Kranich nach der Heimat strebt.
∞Wagner
1100Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
1101Doch solchen Trieb hab’ ich noch nie empfunden.
1102Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt,
1103Des Vogels Fittig werd’ ich nie beneiden.
1104Wie anders tragen uns die Geistesfreuden,
1105Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
1106Da werden Winternächte hold und schön,
1107Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
1108Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen;
1109So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.
∞Faust
1110Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,
1111O lerne nie den andern kennen!
1112Zwey Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
1113Die eine will sich von der andern trennen;
1114Die eine hält, in derber Liebeslust,
1115Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
1116Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust,
1117Zu den Gefilden hoher Ahnen.
1118O giebt es Geister in der Luft,
1119Die zwischen Erd’ und Himmel herrschend weben,
1120So steiget nieder aus dem goldnen Duft
1121Und führt mich weg, zu neuem buntem Leben!
1122Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!
1123Und trüg’ er mich in fremde Länder,
1124Mir sollt’ er, um die köstlichsten Gewänder,
1125Nicht feil um einen Königsmantel seyn.
∞Wagner
1126Berufe nicht die wohlbekannte Schaar,
1127Die, strömend, sich im Dunstkreis überbreitet,
1128Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
1129Von allen Enden her, bereitet.
1130Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
1131Auf dich herbey, mit pfeilgespitzten Zungen;
1132Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
1133Und nähren sich von deinen Lungen;
1134Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
1135Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,
1136So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,
1137Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
1138Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
1139Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen,
1140Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
1141Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
1142Doch gehen wir! ergraut ist schon die Welt,
1143Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
1144Am Abend schätzt man erst das Haus. –
1145Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?
1146Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?
∞Faust
1152Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
1153Er um uns her und immer näher jagt?
1154Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
1155Auf seinen Pfaden hinterdrein.
∞Wagner
1156Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel,
1157Es mag bey euch wohl Augentäuschung seyn.
∞Wagner
1160Ich seh’ ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,
1161Weil er, statt seines Herrn, zwey Unbekannte sieht.
∞Wagner
1163Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
1164Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
1165Er wedelt. Alles Hunde Brauch.
∞Wagner
1167Es ist ein pudelnärrisch Thier.
1168Du stehest still, er wartet auf;
1169Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;
1170Verliere was, er wird es bringen,
1171Nach deinem Stock ins Wasser springen.
∞Wagner
1174Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
1175Wird selbst ein weiser Mann gewogen.
1176Ja deine Gunst verdient er ganz und gar
1177Er, der Studenten trefflicher Scolar.
∞Sie gehen in das
Stadt-Thor.
∞
∞Studirzimmer
∞Faust
∞mit dem
Pudel
hereintretend
1178Verlassen hab’ ich Feld und Auen,
1179Die eine tiefe Nacht bedeckt,
1181In uns die bessre Seele weckt.
1182Entschlafen sind nun wilde Triebe,
1183Mit jedem ungestümen Thun;
1184Es reget sich die Menschenliebe,
1185Die Liebe Gottes regt sich nun.
1186Sey ruhig Pudel! renne nicht hin und wieder!
1188Lege dich hinter den Ofen nieder,
1189Mein bestes Kissen geb’ ich dir.
1190Wie du draußen auf dem bergigen Wege,
1191Durch Rennen und Springen, ergetzt uns hast,
1192So nimm nun auch von mir die Pflege,
1193Als ein willkommner stiller Gast.
1194Ach wenn in unsrer engen Zelle
1195Die Lampe freundlich wieder brennt,
1196Dann wird’s in unserm Busen helle,
1197Im Herzen, das sich selber kennt.
1198Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
1199Und Hoffnung wieder an zu blühn,
1200Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
1201Ach! nach des Lebens Quelle hin.
1202Knurre nicht Pudel! Zu den heiligen Tönen,
1203Die jetzt meine ganze Seel’ umfassen,
1204Will der thierische Laut nicht passen.
1205Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen
1206Was sie nicht verstehn,
1207Daß sie vor dem Guten und Schönen,
1208Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;
1209Will es der Hund, wie sie, beknurren?
1210Aber ach! schon fühl’ ich, bey dem besten
Willen,
1211Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
1212Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
1213Und wir wieder im Durste liegen?
1214Davon hab’ ich so viel Erfahrung.
1215Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,
1216Wir lernen das Überirdische schätzen,
1217Wir sehnen uns nach Offenbarung,
1218Die nirgends würd’ger und schöner brennt,
1219Als in dem neuen Testament.
1220Mich drängt’s den Grundtext aufzuschlagen,
1221Mit redlichem Gefühl einmal
1222Das heilige Original
1223In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.
∞Er schlägt ein
Volum auf und schickt sich an.
1224Geschrieben steht: „im Anfang war das Wort!“
1225Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter
fort?
1226Ich kann das Wort
so hoch unmöglich schätzen,
1227Ich muß es anders übersetzen,
1228Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
1229Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.
1230Bedenke wohl die erste Zeile,
1231Daß deine Feder sich nicht übereile!
1233Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft!
1234Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
1235Schon warnt mich was, daß ich dabey nicht
bleibe.
1236Mir hilft der Geist! auf einmal seh’ ich Rath
1237Und schreibe getrost: im Anfang war die That!
1238Soll ich mit dir das Zimmer theilen,
1239Pudel, so laß das Heulen,
1240So laß das Bellen!
1241Solch einen störenden Gesellen
1242Mag ich nicht in der Nähe leiden.
1243Einer von uns beyden
1244Muß die Zelle meiden.
1245Ungern heb’ ich das Gastrecht auf,
1246Die Thür’ ist offen, hast freyen Lauf.
1247Aber was muß ich sehen!
1248Kann das natürlich geschehen?
1249Ist es Schatten? ist’s Wirklichkeit?
1250Wie wird mein Pudel lang und breit!
1251Er hebt sich mit Gewalt,
1252Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
1253Welch ein Gespenst bracht’ ich ins Haus!
1254Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
1255Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
1256O! du bist mir gewiß!
1257Für solche halbe Höllenbrut
1258Ist Salomonis Schlüssel gut.
∞Geister
∞auf dem Gange
1259Drinnen gefangen ist einer!
1260Bleibet haußen, folg’ ihm keiner!
1261Wie im Eisen der Fuchs,
1262Zagt ein alter Höllenluchs.
1263Aber gebt Acht!
1264Schwebet hin, schwebet wieder,
1265Auf und nieder,
1266Und er hat sich losgemacht.
1267Könnt ihr ihm nützen,
1268Laßt ihn nicht sitzen!
1269Denn er that uns allen
1270Schon viel zu Gefallen.
∞Faust
1277Wer sie nicht kennte
1278Die Elemente,
1279Ihre Kraft
1280Und Eigenschaft,
1281Wäre kein Meister
1282Über die Geister.
1283Verschwind’ in Flammen
1284Salamander!
1285Rauschend fließe zusammen
1286Undene!
1287Leucht’ in Meteoren-Schöne
1288Silphe!
1290
Incubus! incubus!
1291Tritt hervor und mache den Schluß.
1292Keines der Viere
1293Steckt in dem Thiere.
1294Es liegt ganz ruhig und grins’t mich an,
1295Ich hab’ ihm noch nicht weh gethan.
1296Du sollst mich hören
1297Stärker beschwören.
1298Bist du Geselle
1299Ein Flüchtling der Hölle?
1300So sieh dies Zeichen!
1301Dem sie sich beugen
1302Die schwarzen Schaaren.
1303Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
1310Hinter den Ofen gebannt
1311Schwillt es wie ein Elephant,
1312Den ganzen Raum füllt es an,
1313Es will zum Nebel zerfließen.
1314Steige nicht zur Decke hinan!
1315Lege dich zu des Meisters Füßen!
1316Du siehst daß ich nicht vergebens drohe.
1317Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
1318Erwarte nicht
1319Das dreymal glühende Licht!
1320Erwarte nicht
1321Die stärkste von meinen Künsten!
∞Mephistopheles
∞tritt, indem der
Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender
Scholastikus, hinter dem Ofen hervor
1322Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?
∞Mephistopheles
1328Für einen der das Wort so sehr verachtet,
1329Der, weit entfernt von allem Schein,
1330Nur in der Wesen Tiefe trachtet.
∞Faust
1331Bey euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
1332Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
1333Wo es sich allzudeutlich weis’t,
1334Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.
1335Nun gut wer bist du denn?
∞Mephistopheles
1335Ein Theil von jener Kraft,
1336Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
∞Mephistopheles
1338Ich bin der Geist der stets verneint!
1339Und das mit Recht; denn alles was entsteht
1340Ist werth daß es zu Grunde geht;
1341Drum besser wär’s daß nichts entstünde.
1342So ist denn alles was ihr Sünde,
1343Zerstörung, kurz das Böse nennt,
1344Mein eigentliches Element.
∞Mephistopheles
1346Bescheidne Wahrheit sprech’ ich dir.
1347Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
1348Gewöhnlich für ein Ganzes hält;
1349Ich bin ein Theil des Theils, der Anfangs alles war,
1350Ein Theil der Finsterniß, die sich das Licht gebar,
1351Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
1352Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
1353Und doch gelingt’s ihm nicht, da es, so viel es
strebt,
1354Verhaftet an den Körpern klebt.
1355Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön,
1356Ein Körper hemmt’s auf seinem Gange,
1357So, hoff’ ich, dauert es nicht lange
1358Und mit den Körpern wird’s zu Grunde gehn.
∞Faust
1359Nun kenn’ ich deine würd’gen Pflichten!
1360Du kannst im Großen nichts vernichten
1361Und fängst es nun im Kleinen an.
∞Mephistopheles
1362Und freylich ist nicht viel damit gethan.
1363Was sich dem Nichts entgegenstellt,
1364Das Etwas, diese plumpe Welt,
1365So viel als ich schon unternommen
1366Ich wußte nicht ihr beyzukommen,
1367Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand,
1368Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
1369Und dem verdammten Zeug, der Thier- und
Menschenbrut,
1370Dem ist nun gar nichts anzuhaben,
1371Wie viele hab’ ich schon begraben!
1372Und immer zirkulirt ein neues, frisches Blut.
1373So geht es fort, man möchte rasend werden!
1374Der Luft, dem Wasser, wie der Erden
1375Entwinden tausend Keime sich,
1376Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
1377Hätt’ ich mir nicht die Flamme vorbehalten;
1378Ich hätte nichts apart’s für mich.
∞Faust
1379So setzest du der ewig regen,
1380Der heilsam schaffenden Gewalt
1381Die kalte Teufelsfaust entgegen,
1382Die sich vergebens tückisch ballt!
1383Was anders suche zu beginnen
1384Des Chaos wunderlicher Sohn!
∞Mephistopheles
1385Wir wollen wirklich uns besinnen,
1386Die nächstenmale mehr davon!
1387Dürft’ ich wohl diesmal mich entfernen?
∞Faust
1388Ich sehe nicht warum du fragst.
1389Ich habe jetzt dich kennen lernen,
1390Besuche nun mich wie du magst.
1391Hier ist das Fenster, hier die Thüre,
1392Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.
∞Faust
1396Das Pentagramma macht dir Pein?
1397Ey sage mir, du Sohn der Hölle,
1398Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
1399Wie ward ein solcher Geist betrogen?
∞Mephistopheles
1400Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen;
1401Der eine Winkel, der nach außen zu,
1402Ist, wie du siehst, ein wenig offen.
∞Faust
1403Das hat der Zufall gut getroffen!
1404Und mein Gefangner wärst denn du?
1405Das ist von ohngefähr gelungen!
∞Mephistopheles
1406Der Pudel merkte nichts als er hereingesprungen,
1407Die Sache sieht jetzt anders aus;
1408Der Teufel kann nicht aus dem Haus.
∞Mephistopheles
1410’s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
1411Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
1412Das erste steht uns frey, beym zweyten sind wir
Knechte.
∞Faust
1413Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
1414Das find’ ich gut, da ließe sich ein Packt,
1415Und sicher wohl, mit euch ihr Herren schließen?
∞Mephistopheles
1416Was man verspricht, das sollst du rein genießen,
1417Dir wird davon nichts abgezwackt.
1418Doch das ist nicht so kurz zu fassen,
1419Und wir besprechen das zunächst;
1420Doch jetzo bitt’ ich, hoch und höchst,
1421Für diesesmal mich zu entlassen.
∞Mephistopheles
1424Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück,
1425Dann magst du nach Belieben fragen.
∞Faust
1426Ich habe dir nicht nachgestellt,
1427Bist du doch selbst ins Garn gegangen.
1428Den Teufel halte wer ihn hält!
1429Er wird ihn nicht sobald zum zweytenmale fangen.
∞Mephistopheles
1430Wenn dir’s beliebt, so bin ich auch bereit
1431Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben;
1432Doch mit Bedingniß, dir die Zeit,
1433Durch meine Künste, würdig zu vertreiben.
∞Mephistopheles
1436Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen,
1437In dieser Stunde mehr gewinnen,
1438Als in des Jahres Einerley.
1439Was dir die zarten Geister singen,
1440Die schönen Bilder die sie bringen,
1441Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
1442Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
1443Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
1444Und dann entzückt sich dein Gefühl.
1445Bereitung braucht es nicht voran,
1446Beysammen sind wir, fanget an!
∞Geister
1447Schwindet ihr dunkeln
1448Wölbungen droben!
1449Reizender schaue,
1450Freundlich, der blaue
1451Äther herein!
1452Wären die dunkeln
1453Wolken zerronnen!
1454Sternelein funkeln,
1455Mildere Sonnen
1456Scheinen darein.
1457Himmlischer Söhne
1458Geistige Schöne,
1459Schwankende Beugung
1460Schwebet vorüber.
1461Sehnende Neigung
1462Folget hinüber;
1463Und der Gewänder
1464Flatternde Bänder
1465Decken die Länder,
1466Decken die Laube,
1467Wo sich für’s Leben,
1468Tief in Gedanken,
1469Liebende geben.
1470Laube bey Laube!
1471Sprossende Ranken!
1472Lastende Traube
1473Stürzt in’s Behälter
1474Drängender Kelter,
1475Stürzen in Bächen
1476Schäumende Weine,
1477Rieseln durch reine,
1478Edle Gesteine,
1479Lassen die Höhen
1480Hinter sich liegen,
1481Breiten zu Seen
1482Sich ums Genügen
1483Grünender Hügel.
1484Und das Geflügel
1485Schlürfet sich Wonne,
1486Flieget der Sonne,
1487Flieget den hellen
1488Inseln entgegen,
1489Die sich auf Wellen
1490Gauklend bewegen;
1491Wo wir in Chören
1492Jauchzende hören,
1493Über den Auen
1494Tanzende schauen,
1495Die sich im Freyen
1496Alle zerstreuen.
1498Über die Höhen,
1499Andere schwimmen
1500Über die Seen,
1501Andere schweben;
1502Alle zum Leben,
1503Alle zur Ferne
1504Liebender Sterne
1505Seliger Huld.
∞Mephistopheles
1506Er schläft! So recht, ihr luft’gen, zarten
Jungen!
1507Ihr habt ihn treulich eingesungen!
1508Für dies Concert bin ich in eurer Schuld.
1509Du bist noch nicht der Mann den Teufel fest zu
halten!
1510Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten,
1511Versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
1512Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten
1513Bedarf ich eines Rattenzahns.
1514Nicht lange brauch’ ich zu beschwören,
1515Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich
hören.
1516Der Herr der Ratten und der
Mäuse,
1517Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse,
1518Befiehlt dir dich hervor zu wagen
1519Und diese Schwelle zu benagen,
1520So wie er sie mit Öl betupft –
1521Da kommst du schon hervorgehupft!
1522Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich
bannte,
1523Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
1524Noch einen Biß, so ist’s geschehn. –
1525Nun Fauste träume fort, bis wir uns wiedersehn.
∞
∞Studirzimmer
∞Faust.
Mephistopheles
∞Mephistopheles
1532So gefällst du mir.
1533Wir werden, hoff’ ich, uns vertragen;
1534Denn dir die Grillen zu verjagen
1535Bin ich, als edler Junker, hier,
1536In rothem goldverbrämten Kleide,
1537Das Mäntelchen von starrer Seide,
1538Die Hahnenfeder auf dem Hut,
1539Mit einem langen, spitzen Degen,
1540Und rathe nun dir, kurz und gut,
1541Dergleichen gleichfalls anzulegen;
1542Damit du, losgebunden, frey,
1543Erfahrest was das Leben sey.
∞Faust
1544In jedem Kleide werd’ ich wohl die Pein
1545Des engen Erdelebens fühlen.
1546Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
1547Zu jung, um ohne Wunsch zu seyn.
1548Was kann die Welt mir wohl gewähren?
1549Entbehren sollst du! sollst entbehren!
1550Das ist der ewige Gesang,
1551Der jedem an die Ohren klingt,
1552Den, unser ganzes Leben lang,
1553Uns heiser jede Stunde singt.
1554Nur mit Entsetzen wach’ ich Morgens auf,
1555Ich möchte bittre Thränen weinen,
1556Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
1557Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,
1559Mit eigensinnigem Krittel mindert,
1560Die Schöpfung meiner regen Brust
1561Mit tausend Lebensfratzen hindert.
1562Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
1563Mich ängstlich auf das Lager strecken,
1564Auch da wird keine Rast geschenkt,
1565Mich werden wilde Träume schrecken.
1566Der Gott, der mir im Busen wohnt,
1567Kann tief mein Innerstes erregen,
1568Der über allen meinen Kräften thront,
1569Er kann nach außen nichts bewegen;
1570Und so ist mir das Daseyn eine Last,
1571Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.
∞Faust
1574Die blutgen Lorbeern um die Schläfe windet,1574 blutgen ] A blut’gen D.1
blut’gen B B.a
(IV a)1574 Lorbeern ] A Lorber’n B
Lorbern B.a
(IV a)
1575Den er, nach rasch durchrastem Tanze,
1576In eines Mädchens Armen findet.
1577O wär’ ich vor des hohen Geistes Kraft
1578Entzückt, entseelt dahin gesunken!
∞Faust
1583Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
1584Ein süß bekannter Ton mich zog,
1585Den Rest von kindlichem Gefühle
1586Mit Anklang froher Zeit betrog;
1587So fluch’ ich allem was die Seele
1588Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt,
1590Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt!
1591Verflucht voraus die hohe Meinung,
1592Womit der Geist sich selbst umfängt!
1593Verflucht das Blenden der Erscheinung,
1594Die sich an unsre Sinne drängt!
1595Verflucht was uns in Träumen heuchelt,
1596Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
1597Verflucht was als Besitz uns schmeichelt,
1598Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
1599Verflucht sey Mammon, wenn mit Schätzen
1600Er uns zu kühnen Thaten regt,
1601Wenn er zu müßigem Ergetzen
1602Die Polster uns zurechte legt!
1603Fluch sey dem Balsamsaft der Trauben!
1604Fluch jener höchsten Liebeshuld!
1605Fluch sey der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
1606Und Fluch vor allen der Geduld!
∞Geisterchor
∞unsichtbar
1607Weh! weh!
1608Du hast sie zerstört,
1609Die schöne Welt,
1610Mit mächtiger Faust,
1611Sie stürzt, sie zerfällt!
1612Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
1613Wir tragen
1614Die Trümmern ins Nichts hinüber,
1615Und klagen
1616Über die verlorne Schöne.
1617Mächtiger
1618Der Erdensöhne,
1619Prächtiger
1620Baue sie wieder,
1621In deinem Busen baue sie auf!
1622Neuen Lebenslauf
1623Beginne,
1624Mit hellem Sinne,
1625Und neue Lieder
1626Tönen darauf!
∞Mephistopheles
1627Dies sind die kleinen
1628Von den Meinen.
1629Höre, wie zu Lust und Thaten
1630Altklug sie rathen!
1631In die Welt weit,
1632Aus der Einsamkeit,
1633Wo Sinnen und Säfte stocken,
1634Wollen sie dich locken.
1635Hör’ auf mit deinem Gram zu spielen,
1636Der, wie ein Geyer, dir am Leben frißt;
1637Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen
1638Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
1640Dich unter das Pack zu stoßen.
1641Ich bin keiner von den Großen;
1642Doch willst du, mit mir vereint,
1643Deine Schritte durchs Leben nehmen;
1644So will ich mich gern bequemen
1645Dein zu seyn, auf der Stelle.
1646Ich bin dein Geselle
1647Und, mach’ ich dir’s recht,
1648Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!
∞Faust
1651Nein nein! der Teufel ist ein Egoist
1652Und thut nicht leicht um Gottes Willen
1654Sprich die Bedingung deutlich aus;
1655Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.
∞Mephistopheles
1656Ich will mich hier zu
deinem Dienst verbinden,
1657Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
1658Wenn wir uns drüben
wieder finden,
1659So sollst du mir das Gleiche thun.
∞Faust
1660Das Drüben kann mich wenig kümmern,
1661Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
1662Die andre mag darnach entstehn.
1663Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
1664Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
1665Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
1666Dann mag was will und kann geschehn.
1667Davon will ich nichts weiter hören,
1668Ob man auch künftig haßt und liebt,
1669Und ob es auch in jenen Sphären
1670Ein Oben oder Unten giebt.
∞Mephistopheles
1671In diesem Sinne kannst du’s wagen.
1672Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
1673Mit Freuden meine Künste sehn,
1674Ich gebe dir was noch kein Mensch gesehn.
∞Faust
1675Was willst du armer Teufel geben?
1676Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
1677Von deines Gleichen je gefaßt?
1678Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast
1679Du rothes Gold, das ohne Rast,
1680Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
1681Ein Spiel, bey dem man nie gewinnt,
1682Ein Mädchen, das an meiner Brust
1683Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
1684Der Ehre schöne Götterlust,
1685Die, wie ein Meteor, verschwindet.
1686Zeig mir die Frucht die fault, eh’ man sie bricht,
1687Und Bäume die sich täglich neu begrünen!
∞Mephistopheles
1688Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
1689Mit solchen Schätzen kann ich dienen.
1690Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran
1691Wo wir was Gut’s in Ruhe schmausen mögen.
∞Faust
1692Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen;
1693So sey es gleich um mich gethan!
1694Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
1695Daß ich mir selbst gefallen mag,
1696Kannst du mich mit Genuß betrügen;
1697Das sey für mich der letzte Tag!
1698Die Wette biet’ ich!
∞Faust
1698Und Schlag auf Schlag!
1699Werd’ ich zum Augenblicke sagen:
1700Verweile doch! du bist so schön!
1701Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
1702Dann will ich gern zu Grunde gehn!
1703Dann mag die Todtenglocke schallen,
1704Dann bist du deines Dienstes frey,
1705Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
1706Es sey die Zeit für mich vorbey!
∞Faust
1708Dazu hast du ein volles Recht;
1709Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
1710Wie ich beharre bin ich Knecht,
1711Ob dein, was frag’ ich, oder wessen.
∞Mephistopheles
1712Ich werde heute gleich, beym Doctorschmaus,
1713Als Diener, meine Pflicht erfüllen.
1714Nur eins! – um Lebens oder Sterbens willen,
1715Bitt’ ich mir ein Paar Zeilen aus.
∞Faust
1716Auch was geschriebnes forderst du Pedant?
1717Hast du noch keinen Mann, nicht Mannes-Wort gekannt?
1718Ist’s nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
1719Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
1720Ras’t nicht die Welt in allen Strömen fort,
1721Und mich soll ein Versprechen halten?
1722Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
1723Wer mag sich gern davon befreyen?
1724Beglückt wer Treue rein im Busen trägt,
1725Kein Opfer wird ihn je gereuen!
1726Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
1728Das Wort erstirbt schon in der Feder,
1729Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
1730Was willst du böser Geist von mir?
1731Erz, Marmor, Pergament, Papier?
1732Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
1733Ich gebe jede Wahl dir frey.
∞Mephistopheles
1734Wie magst du deine Rednerey
1735Nur gleich so hitzig übertreiben?
1736Ist doch ein jedes Blättchen gut.
1737Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.
∞Faust
1741Nur keine Furcht, daß ich dieß Bündniß breche!
1742Das Streben meiner ganzen Kraft
1743Ist g’rade das was ich verspreche.
1744Ich habe mich zu hoch gebläht,
1745In deinen Rang gehör’ ich nur.
1746Der große Geist hat mich verschmäht,
1747Vor mir verschließt sich die Natur.
1748Des Denkens Faden ist zerrissen,
1749Mir ekelt lange vor allem Wissen.
1750Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
1751Uns glühende Leidenschaften stillen!
1752In undurchdrungnen Zauberhüllen
1753Sey jedes Wunder gleich bereit!
1754Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit
1755In’s Rollen der Begebenheit!
1756Da mag denn Schmerz und Genuß,
1757Gelingen und Verdruß,
1758Mit einander wechseln wie es kann;
1759Nur rastlos bethätigt sich der Mann.
∞Mephistopheles
1760Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
1761Beliebt’s euch überall zu naschen,
1762Im Fliehen etwas zu erhaschen;
1763Bekomm euch wohl was euch ergetzt.
1764Nur greift mir zu und seyd nicht blöde!
∞Faust
1765Du hörest ja, von Freud’ ist nicht die Rede.
1766Dem Taumel weih’ ich mich, dem schmerzlichsten
Genuß,
1767Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
1768Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
1769Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
1770Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
1771Will ich in meinem innern Selbst genießen,
1772Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
1773Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
1774Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
1775Und, wie sie selbst, am End’ auch ich zerscheitern.
∞Mephistopheles
1776O glaube mir, der manche tausend Jahre
1777An dieser harten Speise kaut,
1778Daß von der Wiege bis zur Bahre
1779Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
1780Glaub’ unser einem, dieses Ganze
1781Ist nur für einen Gott gemacht!
1782Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
1783Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
1784Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
∞Mephistopheles
1785Das läßt sich hören!
1786Doch nur vor Einem ist mir bang’;
1787Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
1788Ich dächt’, ihr ließet euch belehren.
1789Associirt euch mit einem Poeten,
1790Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
1791Und alle edlen Qualitäten
1792Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
1793Des Löwen Muth,
1794Des Hirsches Schnelligkeit,
1795Des Italiäners feurig Blut,
1796Des Nordens Dau’rbarkeit.
1797Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
1798Großmuth und Arglist zu verbinden,
1799Und euch, mit warmen Jugendtrieben,
1800Nach einem Plane, zu verlieben.
1801Möchte selbst solch einen Herren kennen,
1802Würd’ ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
∞Faust
1803Was bin ich denn? wenn es nicht möglich ist
1804Der Menschheit Krone zu erringen,
1805Nach der sich alle Sinne dringen.
∞Mephistopheles
1806Du bist am Ende – was du bist.
1807Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
1808Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
1809Du bleibst doch immer was du bist.
∞Faust
1810Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
1811Des Menschengeist’s auf mich herbeygerafft,
1812Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
1813Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
1814Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
1815Bin dem Unendlichen nicht näher.
∞Mephistopheles
1816Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
1817Wie man die Sachen eben sieht;
1818Wir müssen das gescheidter machen,
1819Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
1820Was Henker! freylich Händ’ und Füße
1821Und Kopf und H — — die sind dein;
1822Doch alles was ich frisch genieße,
1823Ist das drum weniger mein?
1824Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
1825Sind ihre Kräfte nicht die meine?
1826Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
1827Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
1828Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
1829Und g’rad’ mit in die Welt hinein!
1831Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
1832Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
1833Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
∞Mephistopheles
1834Wir gehen eben fort.
1835Was ist das für ein Marterort?
1836Was heißt das für ein Leben führen,
1837Sich und die Jungens ennuyiren?
1838Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
1839Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
1841Darfst du den Buben doch nicht sagen.
1842Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
∞Mephistopheles
1844Der arme Knabe wartet lange,
1845Der darf nicht ungetröstet gehn.
1846Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
1847Die Maske muß mir köstlich stehn.
∞Er kleidet sich
um.
1848Nun überlaß es meinem Witze!
1849Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
1850Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
∞
Faust ab
∞Mephistopheles
∞in Faust’s langem
Kleide
1851Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
1852Des Menschen allerhöchste Kraft,
1853Laß nur in Blend- und Zauberwerken
1854Dich von dem Lügengeist bestärken,
1855So hab’ ich dich schon unbedingt –
1856Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
1857Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
1858Und dessen übereiltes Streben
1859Der Erde Freuden überspringt.
1860Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
1861Durch flache Unbedeutenheit,
1862Er soll mir zappeln, starren, kleben,
1863Und seiner Unersättlichkeit
1864Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
1865Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
1866Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
1867Er müßte doch zu Grunde gehn!
∞Ein Schüler tritt auf
∞Mephistopheles
1872Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
1873Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
1874Habt ihr euch sonst schon umgethan?
∞Schüler
1875Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an!
1876Ich komme mit allem guten Muth,
1877Leidlichem Geld und frischem Blut;
1878Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
∞Schüler
1881Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
1882In diesen Mauern, diesen Hallen,
1883Will es mir keineswegs gefallen.
1884Es ist ein gar beschränkter Raum,
1885Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
1886Und in den Sälen, auf den Bänken,
1887Vergeht mir Hören, Seh’n und Denken.
∞Mephistopheles
1888Das kommt nur auf Gewohnheit an.
1889So nimmt ein Kind der Mutter Brust
1890Nicht gleich im Anfang willig an,
1891Doch bald ernährt es sich mit Lust.
1892So wird’s euch an der Weisheit Brüsten
1893Mit jedem Tage mehr gelüsten.
∞Schüler
1894An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
1895Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
∞Schüler
1898Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
1899Und möchte gern, was auf der Erden1899–1900 gern, bis ist, ] A B.a gern, bis den Himmel ist, S
gern‸ bis ist‸ B
(IV c)
1900Und in dem Himmel ist, erfassen,
1901Die Wissenschaft und die Natur.
∞Mephistopheles
1902Da seyd ihr auf der rechten Spur;
1903Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.
∞Schüler
1904Ich bin dabey mit Seel’ und Leib;
1905Doch freylich würde mir behagen
1906Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib,1906 Zeitvertreib, ] A B.a Zeitvertreib‸ S
Zeitvertreib‸ B
(IV c)
1907An schönen Sommerfeiertagen.
∞Mephistopheles
1908Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
1909Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
1910Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
1911Zuerst Collegium Logicum.
1912Da wird der Geist euch wohl dressirt,
1913In spanische Stiefeln eingeschnürt,
1914Daß er bedächtiger so fort an
1915Hinschleiche die Gedankenbahn,
1917Irlichtelire hin und her.1917 Irlichtelire ] S A B.a Irrlichtelire 1 H.5
Irrlichtelire B
(II b*)
1918Dann lehret man euch manchen Tag,
1919Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
1920Getrieben, wie Essen und Trinken frey,
1922Zwar ist’s mit der Gedanken-Fabrik
1923Wie mit einem Weber-Meisterstück,
1924Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
1925Die Schifflein herüber hinüber schießen,
1926Die Fäden ungesehen fließen,
1927Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
1928Der Philosoph der tritt herein,
1929Und beweis’t euch, es müßt’ so seyn:
1930Das Erst’ wär’ so, das Zweyte so,
1931Und drum das Dritt’ und Vierte so;
1932Und wenn das Erst’ und Zweyt’ nicht wär’,
1933Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
1934Das preisen die Schüler aller Orten,
1935Sind aber keine Weber geworden.
1936Wer will was lebendig’s erkennen und beschreiben,
1937Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
1938Dann hat er die Theile in seiner Hand,
1939Fehlt leider! nur das geistige Band.
1940Encheiresin naturae nennt’s die
Chimie,
1941Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
∞Mephistopheles
1943Das wird nächstens schon besser gehen,
1944Wenn ihr lernt alles reduciren
1945Und gehörig klassificiren.
∞Mephistopheles
1948Nachher, vor allen andern Sachen
1949Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
1951Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
1953Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
1954Doch vorerst dieses halbe Jahr
1955Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
1956Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
1958Habt euch vorher wohl präparirt,
1959Paragraphos wohl einstudirt,
1960Damit ihr nachher besser seht,
1961Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
1962Doch euch des Schreibens ja befleißt,
1963Als dictirt’ euch der Heilig’ Geist!
∞Schüler
1964Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!
1965Ich denke mir wie viel es nützt;
1966Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
1967Kann man getrost nach Hause tragen.
∞Mephistopheles
1970Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
1971Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
1972Es erben sich Gesetz’ und Rechte
1973Wie eine ew’ge Krankheit fort,
1974Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
1975Und rücken sacht von Ort zu Ort.
1976Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
1977Weh dir, daß du ein Enkel bist!
1978Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
1979Von dem ist leider! nie die Frage.
∞Schüler
1980Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
1981O glücklich der! den ihr belehrt.
1982Fast möcht’ ich nun Theologie studiren.
∞Mephistopheles
1983Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
1984Was diese Wissenschaft betrifft,
1985Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
1986Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
1988Am besten ist’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
1989Und auf des Meisters Worte schwört.
1990Im Ganzen – haltet euch an Worte!
1991Dann geht ihr durch die sichre Pforte
1992Zum Tempel der Gewißheit ein.
∞Mephistopheles
1994Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich
quälen;
1995Denn eben wo Begriffe fehlen,
1996Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
1997Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
1998Mit Worten ein System bereiten,
1999An Worte läßt sich trefflich glauben,
2000Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
∞Schüler
2001Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
2003Wollt ihr mir von der Medicin
2004Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
2005Drey Jahr’ ist eine kurze Zeit,
2006Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
2007Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
2008Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.
∞Mephistopheles
∞für sich
2009Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2010Muß wieder recht den Teufel spielen.
∞Laut
2011Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
2012Ihr durchstudirt die groß’ und kleine Welt,
2013Um es am Ende gehn zu lassen,
2014Wie’s Gott gefällt.
2015Vergebens daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
2016Ein jeder lernt nur was er lernen kann;
2017Doch der den Augenblick ergreift,
2018Das ist der rechte Mann.
2019Ihr seyd noch ziemlich wohlgebaut,
2020An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
2021Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
2022Vertrauen euch die andern Seelen.
2023Besonders lernt die Weiber führen;
2024Es ist ihr ewig Weh und Ach
2025So tausendfach
2026Aus Einem Puncte zu curiren,
2027Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
2029Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
2030Daß eure Kunst viel Künste übersteigt;
2031Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach allen
Siebensachen,
2032Um die ein andrer viele Jahre streicht,
2033Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
2034Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
2035Wohl um die schlanke Hüfte frey,
2036Zu seh’n, wie fest geschnürt sie sey.
∞Schüler
2040Ich schwör’ euch zu, mir ist’s als wie ein Traum.
2041Dürft’ ich euch wohl ein andermal beschweren,
2042Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
∞Schüler
2044Ich kann unmöglich wieder gehn,
2045Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen.
2046Gönn’ eure Gunst mir dieses Zeichen!
∞Er schreibt und
giebt’s.
∞Macht’s ehrerbietig zu und empfiehlt sich.nach 2048 ehrerbietig ] ehrbietig 1 H.5
ehrerbiethig S
ehrerbietieg A D.1
ehrerbietig B
ehrerbiethig B.a
(I a)
∞Mephistopheles
2049Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muhme der
Schlange,
2050Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähnlichkeit
bange!
∞Faust tritt auf
∞Mephistopheles
2051Wohin es dir gefällt.
2052Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
2053Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
2054Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
∞Faust
2055Allein bey meinem langen Bart
2056Fehlt mir die leichte Lebensart.
2057Es wird mir der Versuch nicht glücken;
2058Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken,
2059Vor andern fühl’ ich mich so klein;
2060Ich werde stets verlegen seyn.
∞Mephistopheles
2061Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
2062Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
∞Mephistopheles
2065Wir breiten nur den Mantel aus,
2066Der soll uns durch die Lüfte tragen.
2067Du nimmst bey diesem kühnen Schritt
2068Nur keinen großen Bündel mit.
2069Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
2070Hebt uns behend von dieser Erde.
2071Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
2072Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf!
∞
∞Auerbachs Keller in Leipzig
∞Zeche
lustiger Gesellen
∞Frosch
2073Will keiner trinken? keiner lachen?
2074Ich will euch lehren Gesichter machen!
2075Ihr seyd ja heut wie nasses Stroh,
2076Und brennt sonst immer lichterloh.
∞Siebel
2081Zur Thür hinaus wer sich entzweyt!
2082Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreyt!
2083Auf! Holla! Ho!
∞Brander
2092Ein garstig Lied! Pfuy! ein politisch Lied!2092 politisch Lied! ] A B B.a politisch Lied, 1 H.5
politisch Lied‸ S
(II a*)
2093Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen
2094Daß ihr nicht braucht für’s Röm’sche Reich zu
sorgen!
2095Ich halt’ es wenigstens für reichlichen Gewinn,
2096Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
2097Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
2098Wir wollen einen Papst erwählen.
2099Ihr wißt, welch eine Qualität
∞Siebel
2108Ja, singe, singe nur, und lob’ und rühme sie!
2109Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
2110Sie hat mich angeführt, dir wird sie’s auch so
machen.
2112Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
2113Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
2114Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
2115Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
2116Ist für die Dirne viel zu gut.
2117Ich will von keinem Gruße wissen,
2118Als ihr die Fenster eingeschmissen!
∞Brander
∞auf den Tisch
schlagend
2119Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
2120Ihr Herrn gesteht, ich weiß zu leben,
2121Verliebte Leute sitzen hier,
2122Und diesen muß, nach Standsgebühr,
2123Zur guten Nacht ich was zum Besten geben.
2124Gebt Acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
2125Und singt den Rundreim kräftig mit!
∞Er singt.
∞Brander
∞Brander
∞Siebel
2150Wie sich die platten Bursche freuen!
2151Es ist mir eine rechte Kunst,
2152Den armen Ratten Gift zu streuen!
∞Altmayer
2154Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
2155Das Unglück macht ihn zahm und mild;
2156Er sieht in der geschwollnen Ratte
2157Sein ganz natürlich Ebenbild.
∞Mephistopheles
2158Ich muß dich nun vor allen Dingen
2159In lustige Gesellschaft bringen,
2161Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
2162Mit wenig Witz und viel Behagen
2163Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
2164Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
2165Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
2166So lang’ der Wirth nur weiter borgt,
2167Sind sie vergnügt und unbesorgt.
∞Brander
2168Die kommen eben von der Reise,
2169Man sieht’s an ihrer wunderlichen Weise;
2170Sie sind nicht eine Stunde hier.
∞Frosch
2171Wahrhaftig du hast Recht! Mein Leipzig lob’ ich mir!
2172Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.
∞Frosch
2174Laßt mich nur gehn! bey einem vollen Glase,
2175Zieh’ ich, wie einen Kinderzahn,
2176Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
2177Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
2178Sie sehen stolz und unzufrieden aus.
∞Mephistopheles
∞zu Faust
2181Den Teufel spürt das Völkchen nie,
2182Und wenn er sie beym Kragen hätte.
∞Siebel
2183Viel Dank zum Gegengruß.
∞Leise, Mephistopheles von der Seite ansehendvor 2184 ansehend ] ansehend. S
ansehend‸ A
ansehend. D.1
ansehend. B B.a
(VIII)
2184Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß?
∞Mephistopheles
2185Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?
2186Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
2187Soll die Gesellschaft uns ergetzen.
∞Frosch
2189Ihr seyd wohl spät von Rippach aufgebrochen?
2190Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht
gespeis’t?
∞Mephistopheles
2191Heut sind wir ihn vorbey gereis’t;
2192Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
2193Von seinen Vettern wußt’ er viel zu sagen,
2194Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
∞Er neigt sich gegen
Frosch.
∞Altmayervor 2195 Altmayer leise ] Altmayer‸ leise. S
Altmayer. leise‸ A
Altmayer‸ leise. D.1
Altmayer‸ leise. B
Altmayer‸ (leise). B.a
(VIII)
∞leise
2195Da hast du’s! der versteht’s!
∞Mephistopheles
2197Wenn ich nicht irrte, hörten wir
2198Geübte Stimmen Chorus singen?
2199Gewiß, Gesang muß trefflich hier
2200Von dieser Wölbung wiederklingen!
∞Mephistopheles
∞Mephistopheles
∞Brander
2219Vergeßt nur nicht dem Schneider einzuschärfen,
2220Daß er mir auf’s genauste mißt,
2221Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
2222Die Hosen keine Falten werfen!
∞Mephistopheles
∞Chorus
∞Mephistopheles
2245Ich tränke gern ein Glas, die Freyheit hoch zu
ehren,
2246Wenn eure Weine nur ein Bißchen besser wären.
∞Mephistopheles
2248Ich fürchte nur der Wirth beschweret sich,
2249Sonst gäb’ ich diesen werthen Gästen
2250Aus unserm Keller was zum Besten.
∞Frosch
2252Schafft ihr ein gutes Glas, so wollen wir euch
loben.
2253Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;
2254Denn wenn ich judiciren soll,
2255Verlang’ ich auch das Maul recht voll.
∞Mephistopheles
∞nimmt den
Bohrervor 2260 nimmt bis Bohrer / zu Frosch ] nimmt bis Bohrer. / Zu Frosch. S
nimmt bis Bohrer‸ / zu Frosch‸ A
nimmt bis Bohrer. / zu Frosch‸ D.1
nimmt bis Bohrer. / Zu Frosch. B
(nimmt bis Bohrer, zu Frosch). B.a
(VIII)
∞zu Frosch
2260Nun sagt, was wünschet ihr zu schmecken?
∞Altmayer
∞zu Froschvor 2263 zu Frosch ] zu Frosch. S
zu Frosch‸ A
zu Frosch. D.1
zu Frosch. B
(zu Frosch). B.a
(VIII)
2263Aha! du fängst schon an die Lippen abzulecken.
∞Frosch
2264Gut! wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein
haben.
2265Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.
∞Mephistophelesvor 2266 Mephistopheles indem bis bohrt ] Mephistopheles‸ / indem bis bohrt. S
Mephistopheles. / (indem bis bohrt.) A
Mephistopheles. / indem bis bohrt. D.1
Mephistopheles, / indem bis bohrt. B
Mephistopheles‸ / (indem bis bohrt). B.a
(VIII)
∞indem er an dem
Platz, wo Frosch sitzt, ein Loch in den
Tischrand bohrt
2266Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu
machen!
∞Mephistopheles
∞zu Brandervor 2268 zu Brander ] zu Brander. S
(zu Brander)‸ A
zu Brander. D.1
zu Brander. B
(zu Brander). B.a
(VIII)
2268Und ihr?
∞Mephistopheles bohrt, einer hat indessen die Wachspfropfen gemacht und verstopft.vor 2270 Wachspfropfen ] S Wachspropfen A D.1
Wachspfropfen B B.a
(II a)nach 2269 MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft ] MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft. S
MEPHIsTOPHELES. / (bohrt, bis verstopft.) A
MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft. D.1
MEPHIsTOPHELES / bohrt, bis verstopft. B
MEPHIsTOPHELES / (bohrt, bis verstopft). B.a
(VIII)
∞Brander
2270Man kann nicht stets das Fremde meiden,
2271Das Gute liegt uns oft so fern.
2272Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
2273Doch ihre Weine trinkt er gern.
∞Siebelvor 2274 Siebel / indem bis nähert ] Siebel‸ / indem bis nähert. S
Siebel. / (indem bis nähert.) A
Siebel. / indem bis nähert. D.1
Siebel, / indem bis nähert. B
Siebel‸ / (indem bis nähert). B.a
(VIII)
∞indem sich Mephistopheles seinem Platze nähert
2274Ich muß gestehn, den sauren mag ich nicht,
2275Gebt mir ein Glas vom echten süßen!
∞Altmayer
2277Nein, Herren, seht mir in’s Gesicht!
2278Ich seh’ es ein, ihr habt uns nur zum Besten.
∞Mephistopheles
2279Ey! Ey! Mit solchen edlen Gästen
2280Wär’ es ein Bißchen viel gewagt.
2282Mit welchem Weine kann ich dienen?
∞Nachdem die Löcher alle gebohrt und verstopft sind,vor 2284 Nachdem bis sind, ] S (Nachdem bis sind,) A
Nachdem bis sind, D.1
Nachdem bis sind, B
(Nachdem bis sind.) B.a
(VIII)
∞Mephistopheles
∞mit seltsamen Geberdenvor 2284 mit bis Geberden ] mit bis Geberden. S
(mit bis Geberden)‸ A
mit bis Geberden. D.1
mit bis Geberden‸ B
(mit bis Geberden). B.a
(VIII)
2284Trauben trägt der Weinstock!
2285Hörner der Ziegenbock;
2286Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
2287Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
2288Ein tiefer Blick in die Natur!
2289Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
2290Nun zieht die Pfropfen und genießt!
∞Allevor 2291 Alle / indem bis läuft ] Alle‸ / indem bis läuft. S
Alle. / (indem bis läuft)‸ A
Alle. / indem bis läuft. D.1
Alle‸ / indem bis läuft. B
Alle‸ / (indem bis läuft). B.a
(VIII)
∞indem sie die
Pfropfen ziehen, und jedem der verlangte Wein in’s Glas
läuft
2291O schöner Brunnen, der uns fließt!
∞Sie trinken wiederholt.vor 2293 Sie bis wiederholt. ] D.1 Sie bis wiederhohlt. S
(Sie bis wiederholt.) A
Sie bis wiederholt. B
(Sie bis wiederhohlt.) B.a
(VIII)
∞Alle
∞Siebel
∞trinkt unvorsichtig,
der Wein fließt auf die Erde, und wird zur Flamme.vor 2299 Siebel‸ / trinkt bis Flamme. ] S Siebel. / trinkt bis Flamme. A D.1
Siebel‸ / trinkt bis Flamme. B
Siebel‸ / (trinkt bis Flamme). B.a
(VIII)
2299Helft! Feuer! helft! die Hölle brennt!
∞Mephistopheles
∞die Flamme
besprechend
2300Sey ruhig, freundlich Element!
∞zu dem
Gesellenvor 2301 zu bis Gesellen ] Zu bis Gesellen. S
zu bis Gesellen. A D.1 B
Zu bis Gesellen. D.2
(Zu bis Gesellen.) B.a
(VIII)
2301Für dießmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.
∞Altmayer
∞zieht einen Pfropf
aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen.vor 2311 Altmayer / zieht bis entgegen. ] Altmayer‸ / zieht bis entgegen. S
Altmayer. / zieht bis entgegen‸ A
Altmayer. / zieht bis entgegen. D.1
Altmayer‸ / zieht bis entgegen. B
Altmayer‸ / (zieht bis entgegen). B.a
(VIII)
2311Ich brenne! ich brenne!
∞Sie ziehen die Messer und
gehn auf Mephistopheles los.
∞Mephistopheles
∞mit ernsthafter
Geberdevor 2313 mit bis Geberde ] mit bis Geberde. S
mit bis Geberde‸ A
mit bis Geberde. D.1
mit bis Geberde. B
(mit bis Geberde). B.a
(VIII)
2313Falsch Gebild und Wort
2314Verändern Sinn und Ort!
2315Seyd hier und dort!
∞Sie stehn erstaunt und
sehn einander an.
∞Er faßt Siebeln bey der Nase. Die andern thun es wechselseitig und heben die Messer.nach 2319 bey ] 1 H.5 S bei A D.1
bey B B.a
(II a)
∞Mephistopheles
∞wie obenvor 2320 wie oben ] wie oben. S
wie oben‸ A
wie oben. D.1
wie oben. B
(wie oben). B.a
(VIII)
2320Irrthum, laß los der Augen Band!
∞Er verschwindet mit
Faust, die Gesellen fahren aus einander.
∞Altmayer
∞Altmayer
2324Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
2325Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!
∞Altmayer
2329Ich hab’ ihn selbst hinaus zur Kellerthüre –
2330Auf einem Fasse reiten sehn – –
2331Es liegt mir bleyschwer in den Füßen.
∞Sich nach dem Tische
wendendvor 2332 Sich bis wendend ] Sich bis wendend. S
(Sich bis wendend.) A B.a
Sich bis wendend. D.1
Sich bis wendend. B
(VIII)
2332Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?
∞
vor 2465 Die Hexe wird in A
B C.1 12 C.3 12 nicht als Auftritt markiert (S
unterscheidet typographisch nicht zwischen Auftritten und
Sprecherangaben).
(I c)
∞Hexenküchevor 2337 Hexenküche ] Hexenküche. S Hexenküche‸ A Hexenküche. D.1 Hexenküche. B B.a (VIII)
∞ Auf einem
niedrigen Herde steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem
Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich
verschiedne Gestalten. Eine
Meerkatze sitzt bey dem Kessel und schäumt ihn, und
sorgt daß er nicht überläuft. Der
Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich.
Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrath
ausgeschmückt.
∞Faust.
Mephistopheles
∞Faust
2337Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
2338Versprichst du mir, ich soll genesen,
2339In diesem Wust von Raserey?
2340Verlang’ ich Rath von einem alten Weibe?
2341Und schafft die Sudelköcherey
2342Wohl dreyßig Jahre mir vom Leibe?
2343Weh mir, wenn du nichts bessers weißt!
2344Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
2345Hat die Natur und hat ein edler Geist
2346Nicht irgend einen Balsam ausgefunden?
∞Mephistopheles
2347Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
2348Dich zu verjüngen, gibt’s auch ein natürlich Mittel;2348 Dich
] 1 H.2 Dich S
Doch
A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II a, II c)2348 verjüngen, ] S A B.a verjüngen‸ B
(IV c)
2349Allein es steht in einem andern Buch,
2350Und ist ein wunderlich Capitel.
∞Mephistopheles
2351Gut! Ein Mittel, ohne Geld
2352Und Arzt und Zauberey, zu haben:
2354Fang’ an zu hacken und zu graben,
2355Erhalte dich und deinen Sinn
2356In einem ganz beschränkten Kreise,
2357Ernähre dich mit ungemischter Speise,
2358Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht für
Raub,
2359Den Acker, den du ärndest, selbst zu düngen;2359 ärndest ] A erndest S
ärntest B
erntest B.a
(IV a)
2360Das ist das beste Mittel, glaub’,
2361Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen!
∞Faust
2362Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht
bequemen,
2363Den Spaten in die Hand zu nehmen,
2364Das enge Leben steht mir gar nicht an.
∞Mephistopheles
2368Das wär’ ein schöner Zeitvertreib!
2369Ich wollt’ indeß wohl tausend Brücken bauen.
2370Nicht Kunst und Wissenschaft allein,
2371Geduld will bey dem Werke seyn.
2372Ein stiller Geist ist Jahre lang geschäftig,
2373Die Zeit nur macht die feine Gährung kräftig.
2374Und alles was dazu gehört
2375Es sind gar wunderbare Sachen!
2376Der Teufel hat sie’s zwar gelehrt;
2377Allein der Teufel kann’s nicht machen.
∞Die Thiere
erblickend
2378Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
2379Das ist die Magd! das ist der Knecht!
∞Zu den Thieren
2380Es scheint, die Frau ist nicht zu Hause?
∞Die
Thiere
∞Faust
∞Mephistopheles
2388Nein, ein Discours wie dieser da,
∞Zu den Thieren
2390So sagt mir doch, verfluchte Puppen!
2391Was quirlt ihr in dem Brey herum?
∞Thierevor 2390, 2390–2393 Die Bühnenanweisung und die vier nachfolgenden Verse sind in S nicht enthalten.
(VII)vor 2392 Thiere ] A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12 Die Thiere konj Schröer (III *)
2392Wir kochen breite Bettelsuppen.
∞Der
Kater
∞macht sich herbey und
schmeichelt dem Mephistopheles
2394O würfle nur gleich,
2395Und mache mich reich,
2396Und laß mich gewinnen!
2397Gar schlecht ist’s bestellt,
2398Und wär’ ich bey Geld,
2399So wär’ ich bey Sinnen.
∞Indessen haben die jungen
Meerkätzchen mit einer großen Kugel gespielt und rollen sie
hervor.
∞Der
Kater
2402Das ist die Welt;
2403Sie steigt und fällt
2404Und rollt beständig;
2405Sie klingt wie Glas;
2406Wie bald bricht das?
2408Hier glänzt sie sehr,
2409Und hier noch mehr,
2410Ich bin lebendig!
2411Mein lieber Sohn,
2412Halt dich davon!
2413Du mußt sterben!
2414Sie ist von Thon,
∞Der
Kater
∞holt es
herunter
2417Wärst du ein Dieb,
2418Wollt’ ich dich gleich erkennen.
∞Er läuft zur Kätzinn
und läßt sie durchsehen.
2419Sieh durch das Sieb!
2420Erkennst du den Dieb,
2421Und darfst ihn nicht nennen?
∞Er nöthigt den
Mephistopheles zu sitzen.
∞welcher diese Zeit
über vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald genähert, bald sich von ihm entfernt
hat
2429Was seh’ ich? Welch ein himmlisch Bild
2430Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
2431O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
2432Und führe mich in ihr Gefild!
2433Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
2434Wenn ich es wage nah’ zu gehn,
2435Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! –
2436Das schönste Bild von einem Weibe!
2437Ist’s möglich, ist das Weib so schön?
2439Den Inbegriff von allen Himmeln sehn?
2440So etwas findet sich auf Erden?
∞Mephistopheles
2441Natürlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
2442Und selbst am Ende Bravo sagt,
2443Da muß es was gescheidtes werden.
2444Für dießmal sieh dich immer satt;
2445Ich weiß dir so ein Schätzchen auszuspüren,
2446Und selig wer das gute Schicksal hat,
2447Als Bräutigam sie heim zu führen!
∞Faust sieht immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in dem Sessel dehnend und mit dem Wedel spielend,
fährt fort zu sprechen.vor 2448 immerfort ] immerfort S
immmerfort A
immerfort D.1
immerfort B B.a
(I a)
2448Hier sitz’ ich wie der König auf dem Throne,
2449Den Zepter halt’ ich hier, es fehlt nur noch die
Krone.
∞welche bisher
allerley wunderliche Bewegungen durch einander
gemacht haben, bringen dem Mephistopheles eine Krone mit
großem Geschrey
2450O sey doch so gut,
2451Mit Schweiß und mit Blut
2452Die Krone zu leimen!
∞Sie gehn ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie in zwey Stücke, mit welchen
sie herumspringen.vor 2453 herumspringen ] A B B.a herum springen S
(II a*)
2453Nun ist es geschehn!
2454Wir reden und sehn,
∞Mephistopheles
∞in obiger
Stellung
2463Nun, wenigstens muß man bekennen,
2464Daß es aufrichtige Poeten sind.
∞Der Kessel, welchen die Kätzinn bisher außer Acht gelassen, fängt an überzulaufen; es entsteht eine große Flamme, welche zum Schornstein hinaus schlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme mit entsetzlichem Geschrey herunter gefahren.vor 2465 außer ] S ausser A D.1
außer B B.a
(II a)vor 2465 große ] S grosse A D.1 B
große B.a
(II a)vor 2465 Schornstein ] A B B.a Schorstein S
(II a*)vor 2465 hinaus schlägt ] A B hinausschlägt S
hinausschlägt B.a
(II a*)
∞Die
Hexe
2465Au! Au! Au! Au!
2466Verdammtes Thier! verfluchte Sau!
2467Versäumst den Kessel, versengst die Frau!
2468Verfluchtes Thier!
∞Faust und
Mephistopheles erblickend
2469Was ist das hier?
2470Wer seyd ihr hier?
2471Was wollt ihr da?
2472Wer schlich sich ein?
2473Die Feuerpein
2474Euch in’s Gebein!
∞Sie fährt mit dem
Schaumlöffel in den Kessel, und spritzt Flammen nach Faust,
Mephistopheles und den Thieren. Die Thiere winseln.
∞Mephistophelesvor 2475 Mephistopheles ] Mephistopheles, S
Mephistopheles. A
D.1
Mephistopheles, B
Mephistopheles‸ B.a
(VIII)
∞welcher den Wedel,
den er in der Hand hält, umkehrt, und unter die Gläser und
Töpfe schlägt
2475Entzwey! entzwey!
2476Da liegt der Brey!
2477Da liegt das Glas!
2478Es ist nur Spaß,
2479Der Tact, du Aas,
2480Zu deiner Melodey.
∞Indem die Hexe voll
Grimm und Entsetzen zurücktritt.
2481Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du!
2482Erkennst du deinen Herrn und Meister?
2483Was hält mich ab, so schlag’ ich zu,
2484Zerschmettre dich und deine Katzen-Geister!
2485Hast du vor’m rothen Wamms nicht mehr Respect?
2486Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
2487Hab’ ich dieß Angesicht versteckt?
2488Soll ich mich etwa selber nennen?
∞Die
Hexe
2489O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
2490Seh’ ich doch keinen Pferdefuß.2490/2492 Seh’ bis kommst ] S B Sah’ bis kamst A
Seh’ bis dieß Mahl kommst B.a
(IV b)
2491Wo sind denn eure beyden Raben?
∞Mephistopheles
2492Für dießmal kommst du so davon;
2493Denn freylich ist es eine Weile schon,
2494Daß wir uns nicht gesehen haben.
2495Auch die Cultur, die alle Welt beleckt,
2496Hat auf den Teufel sich erstreckt;
2497Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
2498Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
2499Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,
2500Der würde mir bey Leuten schaden;
2501Darum bedien’ ich mich, wie mancher junge Mann,
2502Seit vielen Jahren falscher Waden.
∞Die
Hexe
∞tanzend
2503Sinn und Verstand verlier’ ich schier,
2504Seh’ ich den Junker Satan wieder hier!
∞Mephistopheles
2507Er ist schon lang’ in’s Fabelbuch geschrieben;
2508Allein die Menschen sind nichts besser dran,
2509Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.
2510Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
2511Ich bin ein Cavalier, wie andre Cavaliere.
2512Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
2513Sieh her, das ist das Wapen, das ich führe!
∞Die
Hexe
∞lacht unmäßig
2514Ha! Ha! Das ist in eurer Art!
2515Ihr seyd ein Schelm, wie ihr nur immer war’t!
∞Mephistopheles
∞zu Faust
2516Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
2517Dieß ist die Art mit Hexen umzugehn.
∞Mephistopheles
2519Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
2520Doch muß ich euch um’s ält’ste bitten;
2521Die Jahre doppeln seine Kraft.
∞Die
Hexe
2522Gar gern! Hier hab’ ich eine Flasche,
2523Aus der ich selbst zuweilen nasche,
2524Die auch nicht mehr im mind’sten stinkt;
2525Ich will euch gern ein Gläschen geben.
∞Leise
2526Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt,
2527So kann er, wißt ihr wohl, nicht eine Stunde leben.
∞Mephistopheles
2528Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;
2530Zieh deinen Kreis, sprich deine Sprüche,
∞Die Hexe mit seltsamen Geberden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein; indessen
fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und machen Musik. Zuletzt bringt
sie ein großes Buch, stellt die Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und
die Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zu treten.vor 2532 Hexe ] Hexe‸ S
Hexe. A D.1
Hexe‸ B B.a
(VIII)
∞Faust
∞zu
Mephistopheles
2532Nein, sage mir, was soll das werden?
2533Das tolle Zeug, die rasenden Geberden,
2534Der abgeschmackteste Betrug
2535Sind mir bekannt, verhaßt genug.
∞Mephistopheles
2536Ey Possen! Das ist nur zum Lachen;
2537Sey nur nicht ein so strenger Mann!
2538Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
2539Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
∞Er nöthigt Fausten in den
Kreis zu treten.
∞mit großer Emphase
fängt an aus dem Buche zu declamiren
2541Aus Eins mach’ Zehn,
2542Und Zwey laß gehn,
2543Und Drey mach’ gleich,
2544So bist du reich.
2545Verlier’ die Vier!
2546Aus Fünf und Sechs,
2547So sagt die Hex’,
2548Mach’ Sieben und Acht,
2549So ist’s vollbracht:
2550Und Neun ist Eins,
2551Und Zehn ist keins.
2552Das ist das Hexen-Einmal-Eins!
∞Mephistopheles
2554Das ist noch lange nicht vorüber,
2555Ich kenn’ es wohl, so klingt das ganze Buch;
2556Ich habe manche Zeit damit verloren,
2557Denn ein vollkommner Widerspruch
2558Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie für
Thoren.
2559Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
2560Es war die Art zu allen Zeiten,
2561Durch Drey und Eins, und Eins und Drey
2562Irrthum statt Wahrheit zu verbreiten.
2563So schwätzt und lehrt man ungestört;
2564Wer will sich mit den Narr’n befassen?
2565Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte
hört,
2566Es müsse sich dabey doch auch was denken lassen.
∞Faust
2573Was sagt sie uns für Unsinn vor?
2574Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
2575Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor
2576Von hundert tausend Narren sprechen.
∞Mephistopheles
2577Genug, genug, o treffliche Sibylle!
2578Gib deinen Trank herbey, und fülle
2579Die Schale rasch bis an den Rand hinan;
2580Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:
2581Er ist ein Mann von vielen Graden,
2582Der manchen guten Schluck gethan.
∞Die Hexe mit vielen Ceremonien, schenkt den Trank in eine Schale; wie sie Faust an den Mund
bringt, entsteht eine leichte Flamme.vor 2583 Hexe ] Hexe‸ S
Hexe. A D.1
Hexe‸ B B.a
(VIII)
∞Mephistopheles
2583Nur frisch hinunter! Immer zu!
2584Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
2585Bist mit dem Teufel du und du,
2586Und willst dich vor der Flamme scheuen?
∞Die Hexe lös’t den
Kreis
∞Faust tritt heraus
∞Mephistopheles
∞zur Hexe
2589Und kann ich dir was zu Gefallen thun;
2590So darfst du mir’s nur auf Walpurgis sagen.
∞Mephistopheles
∞zu Faust
2593Komm nur geschwind und laß dich führen;
2594Du mußt nothwendig transpiriren,
2595Damit die Kraft durch inn- und äußres dringt.
2596Den edlen Müßiggang lehr’ ich hernach dich schätzen,
2597Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
2598Wie sich Cupido regt und hin und wieder springt.
∞
∞Straße
∞Faust. Margarete vorüber
gehend
∞Sie macht sich los und
ab.
∞Faust
2609Beym Himmel, dieses Kind ist schön!
2610So etwas hab’ ich nie gesehn.
2611Sie ist so sitt- und tugendreich,
2612Und etwas schnippisch doch zugleich.
2613Der Lippe Roth, der Wange Licht,
2614Die Tage der Welt vergess’ ich’s nicht!
2615Wie sie die Augen niederschlägt,
2616Hat tief sich in mein Herz geprägt;
2617Wie sie kurz angebunden war,
2618Das ist nun zum Entzücken gar!
∞Mephistopheles tritt auf
∞Mephistopheles
2621Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
2622Der sprach sie aller Sünden frey;
2623Ich schlich mich hart am Stuhl vorbey,
2624Es ist ein gar unschuldig Ding,
2625Das eben für nichts zur Beichte ging;
2626Über die hab’ ich keine Gewalt!
∞Mephistopheles
2628Du sprichst ja wie Hans Liederlich,
2629Der begehrt jede liebe Blum’ für sich,
2632Geht aber doch nicht immer an.
∞Faust
2633Mein Herr Magister Lobesan,2633 Lobesan ] A B B.a Lobesan 1 H.5
lobesan S emend Carrière
(II a*)
2634Laß er mich mit dem Gesetz in Frieden!
2635Und das sag’ ich ihm kurz und gut,
2636Wenn nicht das süße junge Blut
2637Heut’ Nacht in meinen Armen ruht;
2638So sind wir um Mitternacht geschieden.
∞Mephistopheles
2639Bedenkt was gehn und stehen mag!
2640Ich brauche wenigstens vierzehn Tag’
2641Nur die Gelegenheit auszuspüren.
∞Faust
2642Hätt’ ich nur sieben Stunden Ruh,
2643Brauchte den Teufel nicht dazu,
2644So ein Geschöpfchen zu verführen.
∞Mephistopheles
2645Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos;
2647Was hilft’s nur g’rade zu genießen?
2648Die Freud’ ist lange nicht so groß,
2649Als wenn ihr erst herauf, herum,
2650Durch allerley Brimborium,
2651Das Püppchen geknetet und zugericht’t,
2652Wie’s lehret manche welsche Geschicht’.
∞Mephistopheles
2654Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß.
2655Ich sag’ euch, mit dem schönen Kind
2656Geht’s ein- für allemal nicht geschwind.2656 ein- für allemal ] einvorallmal 1 H.5
ein- vor allemal S
ein-für allemal A D.1
ein- für allemal B B.a
(I c)
2657Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
2658Wir müssen uns zur List bequemen.
∞Faust
2659Schaff’ mir etwas vom Engelsschatz!
2660Führ’ mich an ihren Ruheplatz!
2661Schaff’ mir ein Halstuch von ihrer Brust,
2662Ein Strumpfband meiner Liebeslust!
∞Mephistopheles
2663Damit ihr seht, daß ich eurer Pein
2664Will förderlich und dienstlich seyn;
2665Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
2666Will euch noch heut’ in ihr Zimmer führen.
∞Mephistopheles
2667Nein!
2668Sie wird bey einer Nachbarinn seyn.
2669Indessen könnt ihr ganz allein
2670An aller Hoffnung künft’ger Freuden
2671In ihrem Dunstkreis satt euch weiden.
∞ab
∞Mephistopheles
2674Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssiren!
2675Ich kenne manchen schönen Platz
2676Und manchen alt vergrabnen Schatz,
2677Ich muß ein Bißchen revidiren.
∞ab
∞
∞Abend
∞Ein kleines
reinliches Zimmer
∞ihre Zöpfe flechtend und aufbindend
2679Wer heut der Herr gewesen ist!
2680Er sah gewiß recht wacker aus,
2681Und ist aus einem edlen Haus;
2682Das konnt’ ich ihm an der Stirne lesen –
2683Er wär’ auch sonst nicht so keck gewesen.
∞ab
∞Mephistopheles. Faust
∞ab
∞Faust
∞rings
aufschauend
2687Willkommen süßer Dämmerschein!
2688Der du dieß Heiligthum durchwebst.
2689Ergreif mein Herz, du süße Liebespein!
2690Die du vom Thau der Hoffnung schmachtend lebst.
2691Wie athmet rings Gefühl der Stille,
2692Der Ordnung, der Zufriedenheit!
2693In dieser Armuth welche Fülle!
2694In diesem Kerker welche Seligkeit!
∞Er wirft sich auf
den ledernen Sessel am Bette.
2695O nimm mich auf! der du die Vorwelt schon
2697Wie oft, ach! hat an diesem Väter-Thron
2698Schon eine Schaar von Kindern rings gehangen!
2699Vielleicht hat, dankbar für den heil’gen Christ,
2700Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
2701Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
2702Ich fühl’, o Mädchen, deinen Geist
2703Der Füll’ und Ordnung um mich säuseln,
2704Der mütterlich dich täglich unterweis’t,
2705Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten
heißt,
2706Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
2707O liebe Hand! so göttergleich!
2708Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
∞Er hebt einen
Bettvorhang auf.
2709Was faßt mich für ein Wonnegraus!
2710Hier möcht’ ich volle Stunden säumen.
2711Natur! Hier bildetest in leichten Träumen
2712Den eingebornen Engel aus;
2713Hier lag das Kind! mit warmem Leben
2714Den zarten Busen angefüllt,
2715Und hier mit heilig reinem Weben
2716Entwirkte sich das Götterbild!
2717Und du! Was hat dich hergeführt?
2718Wie innig fühl’ ich mich gerührt!
2719Was willst du hier? Was wird das Herz dir
schwer?
2720Armsel’ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
∞Mephistopheles
2731Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
2732Ich hab’s wo anders hergenommen.
2733Stellt’s hier nur immer in den Schrein,
2734Ich schwör’ euch, ihr vergehn die Sinnen;
2735Ich that euch Sächelchen hinein,
2736Um eine andre zu gewinnen.
2737Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.
∞Mephistopheles
2738Fragt ihr viel?
2739Meint ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
2740Dann rath’ ich eurer Lüsternheit2740–2741 Lüsternheit‸ bis Tageszeit, ] S A B.a Lüsternheit‸ bis TagesZeit‸ 1 H.5
Lüsternheit, bis Tageszeit‸ B
(IV c)
2741Die liebe schöne Tageszeit,
2742Und mir die weitre Müh’ zu sparen.
2743Ich hoff’ nicht daß ihr geitzig seyd!
2744Ich kratz’ den Kopf, reib’ an den Händen –
∞Er stellt das Kästchen
in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu.
2745Nur fort! geschwind! –
2746Um euch das süße junge Kind
2747Nach Herzens Wunsch und Will’ zu wenden;
2748Und ihr seht drein,
2749Als solltet ihr in den Hörsal hinein,
2750Als stünden grau leibhaftig vor euch da2750 stünden grau ] 1 H.5 B stünd’ S A
standen grau B.a
(IV b)
2751Physik und Metaphysika!
2752Nur fort! –
∞ab
∞Margarete
∞mit einer
Lampe
2753Es ist so schwül, so dumpfig hie,
∞Sie macht das
Fenster auf.
2754Und ist doch eben so warm nicht drauß’.
2756Ich wollt’, die Mutter käm’ nach Haus.
2757Mir läuft ein Schauer über’n ganzen Leib –2757 über’n ganzen Leib ] B B.a am ganzen Leib 1 H.5
über’n Leib S A
(IV b)
2758Bin doch ein thöricht furchtsam Weib!
∞Sie fängt an zu singen,
indem sie sich auszieht.
2759Es war ein König in Thule
2760Gar treu bis an das Grab,
2761Dem sterbend seine Buhle
2762Einen goldnen Becher gab.
2767Und als er kam zu sterben,
2768Zählt’ er seine Städt’ im Reich,
2769Gönnt’ alles seinem Erben,2769 seinem ] S 1 H.9 A B D.2 B.a
seinen 1 H.5 1 H.7 1 H.8
seinen J.1
seinen D3 D4 (II b*)
2770Den Becher nicht zugleich.
2771Er saß beym Königsmahle,
2772Die Ritter um ihn her,
2773Auf hohem Väter-Saale,
2774Dort auf dem Schloß am Meer.
2775Dort stand der alte Zecher,
2776Trank letzte Lebensgluth,
2777Und warf den heiligen Becher
2778Hinunter in die Fluth.
2779Er sah ihn stürzen, trinken
2780Und sinken tief ins Meer,
2781Die Augen thäten ihm sinken,
2782Trank nie einen Tropfen mehr.
∞Sie eröffnet den
Schrein, ihre Kleider einzuräumen, und erblickt
das Schmuckkästchen.
2783Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
2784Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
2785Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne seyn?
2786Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand,
2787Und meine Mutter lieh darauf.
2788Da hängt ein Schlüsselchen am Band,
2790Was ist das? Gott im Himmel! schau,
2791So was hab’ ich mein’ Tage nicht gesehn!2791 mein’ Tage ] S A B B.a mein Tage 1 H.5
mein Tage konj Schröer (II b*)
2792Ein Schmuck! Mit dem könnt’ eine Edelfrau
2793Am höchsten Feiertage gehn.
2794Wie sollte mir die Kette stehn?
2795Wem mag die Herrlichkeit gehören?
∞Sie putzt sich
damit auf und tritt vor den Spiegel.
2796Wenn nur die Ohrring’ meine wären!
2797Man sieht doch gleich ganz anders drein.
2798Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
2799Das ist wohl alles schön und gut,
2800Allein man läßt’s auch alles seyn;
2801Man lobt euch halb mit Erbarmen.
2802Nach Golde drängt,
2803Am Golde hängt
∞
∞Spazirgangvor 2805 Spazirgang ] A Spatziergang S Spaziergang B Spatziergang B.a (IV a)
∞Mephistopheles
2809Ich möcht’ mich gleich dem Teufel übergeben,
2810Wenn ich nur selbst kein Teufel wär’!
∞Mephistopheles
2813Denkt nur, den Schmuck für Gretchen angeschafft,
2815Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,
2816Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen:
2817Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
2818Schnuffelt immer im Gebetbuch,
2819Und riecht’s einem jeden Möbel an,
2820Ob das Ding heilig ist oder profan;
2821Und an dem Schmuck da spürt sie’s klar,
2822Daß dabey nicht viel Segen war.
2823Mein Kind, rief sie, ungerechtes Gut
2824Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.
2825Wollen’s der Mutter Gottes weihen,
2826Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
2827Margretlein zog ein schiefes Maul,
2828Ist halt, dacht’ sie, ein geschenkter Gaul,
2829Und wahrlich! gottlos ist nicht der,
2830Der ihn so fein gebracht hierher.
2831Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
2832Der hatte kaum den Spaß vernommen,
2833Ließ sich den Anblick wohl behagen.
2834Er sprach: So ist man recht gesinnt!
2835Wer überwindet der gewinnt.
2836Die Kirche hat einen guten Magen,
2837Hat ganze Länder aufgefressen,
2838Und doch noch nie sich übergessen;
2839Die Kirch’ allein, meine lieben Frauen,
2840Kann ungerechtes Gut verdauen.
∞Mephistopheles
2843Strich drauf ein Spange, Kett’ und Ring,2843 Kett’ und Ring ] S Kett und Ring 1 H.5
Kett’ und Ring’ A B B.a
(II a)
2844Als wären’s eben Pfifferling’,
2845Dankt’ nicht weniger und nicht mehr,
2846Als ob’s ein Korb voll Nüsse wär’,
2847Versprach ihnen allen himmlischen Lohn –
2848Und sie waren sehr erbaut davon.
∞Mephistopheles
2849Sitzt nun unruhvoll,
2850Weiß weder was sie will noch soll,
2851Denkt an’s Geschmeide Tag und Nacht,
∞Faust
2853Des Liebchens Kummer thut mir leid.
2854Schaff’ du ihr gleich ein neu Geschmeid’!
2855Am ersten war ja so nicht viel.
∞Faust
2857Und mach’, und richt’s nach meinem Sinn!
2858Häng’ dich an ihre Nachbarinn.
2859Sey Teufel doch nur nicht wie Brey,
2860Und schaff’ einen neuen Schmuck herbey!
∞Faust ab
∞Mephistopheles
2862So ein verliebter Thor verpufft
2863Euch Sonne, Mond und alle Sterne
2864Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
∞ab
∞
∞Der Nachbarinn Haus
∞Marthe
∞allein
2865Gott verzeih’s meinem lieben Mann,
2866Er hat an mir nicht wohl gethan!
2867Geht da stracks in die Welt hinein,
2868Und läßt mich auf dem Stroh allein.
∞Sie weint.
2871Vielleicht ist er gar todt! – O Pein! – –
2872Hätt’ ich nur einen Todtenschein!
∞Margarete kommt
∞Margarete
2874Fast sinken mir die Kniee nieder!
2875Da find’ ich so ein Kästchen wieder
2876In meinem Schrein, von Ebenholz,
2877Und Sachen herrlich ganz und gar,
2878Weit reicher als das erste war.
∞Marthe
2885Komm du nur oft zu mir herüber,
2886Und leg’ den Schmuck hier heimlich an;
2887Spazier’ ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
2888Wir haben unsre Freude dran;
2889Und dann gibt’s einen Anlaß, gibt’s ein Fest,
2890Wo man’s so nach und nach den Leuten sehen läßt.
2891Ein Kettchen erst, die Perle dann in’s Ohr;
2892Die Mutter sieht’s wohl nicht, man macht ihr auch was
vor.
∞Es klopft.
∞
Mephistopheles tritt auf
∞Mephistopheles
2897Bin so frey g’rad’ herein zu treten,
2898Muß bey den Frauen Verzeihn erbeten.
∞Tritt ehrerbietig vor
Margareten zurück
∞Mephistopheles
∞leise zu ihr
2901Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
2902Sie hat da gar vornehmen Besuch.
2903Verzeiht die Freyheit die ich genommen,
∞Margarete
2907Ich bin ein armes junges Blut;
2908Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:
2909Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.
∞Mephistopheles
2910Ach, es ist nicht der Schmuck allein;
2911Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
2912Wie freut mich’s, daß ich bleiben darf.
∞Mephistopheles
2914Ich wollt’ ich hätt’ eine frohere Mähr’!
2916Ihr Mann ist todt und läßt Sie grüßen.
∞Margarete
2921Ich möchte drum mein’ Tag’ nicht lieben,2921 mein’ Tag’ ] S A B B.a mein tag 1 H.5
mein Tag konj Schröer (II b*)
2922Würde mich Verlust zu Tode betrüben.
∞Mephistopheles
2925Er liegt in Padua begraben
2926Bey’m heiligen Antonius,
2927An einer wohlgeweihten Stätte
2928Zum ewig kühlen Ruhebette.
∞Mephistopheles
2930Ja, eine Bitte, groß und schwer;
2931Laß Sie doch ja für ihn dreyhundert Messen singen!
2932Im übrigen sind meine Taschen leer.
∞Marthe
2933Was! nicht ein Schaustück? Kein Geschmeid’?
2934Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels
spart,
2935Zum Angedenken aufbewahrt,
∞Mephistopheles
2937Madam, es thut mir herzlich leid;
2938Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
2939Auch er bereute seine Fehler sehr,
2940Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.
∞Margarete
2941Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
2942Gewiß ich will für ihn manch Requiem noch beten.
∞Mephistopheles
2943Ihr wäret werth, gleich in die Eh’ zu treten:
2944Ihr seyd ein liebenswürdig Kind.
∞Mephistopheles
2951Ich stand an seinem Sterbebette,
2952Es war was besser als von Mist,
2953Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ,2953 halbgefaultem ] A B B.a halb gefaulten 1 H.5
halb gefaultem S
(II a*)
2955Wie, rief er, muß ich mich von Grund aus hassen,
2956So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
2957Ach! die Erinnerung tödtet mich.
2958Vergäb’ sie mir nur noch in diesem Leben! –
∞Mephistopheles
2962Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
2963Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
2964Ich hatte, sprach er, nicht zum Zeitvertreib zu
gaffen,
2965Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,
2966Und Brot im allerweit’sten Sinn,
2967Und konnte nicht einmal mein Theil in Frieden essen.
∞Mephistopheles
2970Nicht doch, er hat recht herzlich dran gedacht.2970 recht ] 1 H.5 euch S A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II b)
2971Er sprach: Als ich nun weg von Malta ging,
2972Da betet’ ich für Frau und Kinder brünstig;
2973Uns war denn auch der Himmel günstig,
2974Daß unser Schiff ein Türkisch Fahrzeug fing,
2975Das einen Schatz des großen Sultans führte.
2976Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
2977Und ich empfing denn auch, wie sich’s gebührte,
2978Mein wohlgemess’nes Theil davon.
∞Mephistopheles
2980Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
2981Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
2982Als er in Napel fremd umher spazirte;2982 spazirte ] A spazierte 1 H.5
spatzierte S
spazierte B
spatzierte B.a
(IV a)
2983Sie hat an ihm viel Lieb’s und Treu’s gethan,
2984Daß er’s bis an sein selig Ende spürte.
∞Marthe
2985Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!
2986Auch alles Elend, alle Noth
2987Konnt’ nicht sein schändlich Leben hindern!
∞Mephistopheles
2988Ja seht! dafür ist er nun todt.
2989Wär’ ich nun jetzt an eurem Platze;
2990Betraurt’ ich ihn ein züchtig Jahr,
2991Visirte dann unterweil’ nach einem neuen Schatze.
∞Marthe
2992Ach Gott! wie doch mein erster war,
2993Find’ ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
2994Es konnte kaum ein herziger Närrchen seyn.
2995Er liebte nur das allzuviele Wandern,
2996Und fremde Weiber, und fremden Wein,
2997Und das verfluchte Würfelspiel.
∞Mephistopheles
2998Nun, nun, so konnt’ es gehn und stehen,
2999Wenn er euch ungefähr so viel
3000Von seiner Seite nachgesehen.
3001Ich schwör’ euch zu, mit dem Beding
3002Wechselt’ ich selbst mit euch den Ring!
∞Mephistopheles
∞für sich
3004Nun mach’ ich mich bey Zeiten fort!
3005Die hielte wohl den Teufel selbst beym Wort.
∞zu Gretchen
3006Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?
∞Marthe
3008O sagt mir doch geschwind!
3009Ich möchte gern ein Zeugniß haben,
3011Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
3012Möcht’ ihn auch todt im Wochenblättchen lesen.
∞Mephistopheles
3013Ja, gute Frau, durch zweyer Zeugen Mund
3014Wird allerwegs die Wahrheit kund;
3015Habe noch gar einen feinen Gesellen,
3016Den will ich euch vor den Richter stellen.
3017Ich bring’ ihn her.
∞
∞Straße
∞Faust.
Mephistopheles
∞Mephistopheles
3027In kurzer Zeit ist Gretchen euer.
3028Heut’ Abend sollt ihr sie bey Nachbar’ Marthen sehn:3028 Nachbar’ ] A B B.a Nachbaar 1 H.5
Nachbars S
(VII)
3029Das ist ein Weib wie auserlesen
3030Zum Kuppler- und Zigeunerwesen!
∞Mephistopheles
3033Wir legen nur ein gültig Zeugniß nieder,
3034Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder
3035In Padua an heil’ger Stätte ruhn.
∞Mephistopheles
3037Sancta Simplicitas! darum ist’s
nicht zu thun;
3038Bezeugt nur ohne viel zu wissen.
∞Mephistopheles
3040O heil’ger Mann! Da wär’t ihr’s nun!
3041Ist es das erstemal in eurem Leben,
3042Daß ihr falsch Zeugniß abgelegt?
3043Habt ihr von Gott, der Welt und was sich d’rin
bewegt,
3044Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,
3045Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben?
3046Mit frecher Stirne, kühner Brust?
3047Und wollt ihr recht in’s Innre gehen,
3048Habt ihr davon, ihr müßt es g’rad’ gestehen,
∞Mephistopheles
3051Ja, wenn man’s nicht ein Bißchen tiefer wüßte.
3052Denn morgen wirst in allen Ehren3052 wirst‸ bis Ehren‸ ] 1 H.5 S A wirst, bis Ehren, B B.a
(IV a)
3053Das arme Gretchen nicht bethören,
3054Und alle Seelenlieb’ ihr schwören?
∞Mephistopheles
3055Gut und schön!
3056Dann wird von ewiger Treu’ und Liebe,
3057Von einzig überallmächt’gem Triebe –
3058Wird das auch so von Herzen gehn?
∞Faust
3059Laß das! Es wird! – Wenn ich empfinde,
3060Für das Gefühl, für das Gewühl
3061Nach Namen suche, keinen finde,
3062Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
3063Nach allen höchsten Worten greife,
3064Und diese Gluth, von der ich brenne,
3065Unendlich, ewig, ewig nenne,
3066Ist das ein teuflisch Lügenspiel?
∞
∞Garten
∞ Margarete an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles auf und ab spazirendvor 3073 spazirend ] A spazierend 1 H.5
spazierend B
spatzierend B.a
(IV a)
∞Margarete
3073Ich fühl’ es wohl, daß mich der Herr nur schont,
3074Herab sich läßt, mich zu beschämen.
3075Ein Reisender ist so gewohnt
3076Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen,
3078Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.
∞Er küßt ihre
Hand.
∞Margarete
3081Incommodirt euch nicht! Wie könnt ihr sie nur
küssen?
3082Sie ist so garstig, ist so rauh!
3083Was hab’ ich nicht schon alles schaffen müssen!
3084Die Mutter ist gar zu genau.
∞Gehn vorüber
∞Mephistopheles
3086Ach, daß Gewerb’ und Pflicht uns dazu treiben!
3087Mit wie viel Schmerz verläßt man manchen Ort,
3088Und darf doch nun einmal nicht bleiben!
∞Marthe
3089In raschen Jahren geht’s wohl an,
3090So um und um frey durch die Welt zu streifen;
3091Doch kömmt die böse Zeit heran,
3092Und sich als Hagestolz allein zum Grab’ zu
schleifen,
∞Marthe
∞Gehn vorüber
∞Margarete
3096Ja, aus den Augen aus dem Sinn!
3097Die Höflichkeit ist euch geläufig;
3098Allein ihr habt der Freunde häufig,
3099Sie sind verständiger als ich bin.
∞Faust
3102Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
3103Sich selbst und ihren heil’gen Werth erkennt!
3104Daß Demuth, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
3105Der liebevoll austheilenden Natur –
∞Margarete
3106Denkt ihr an mich ein Augenblickchen nur,
3107Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben.
∞Margarete
3109Ja, unsre Wirthschaft ist nur klein,
3110Und doch will sie versehen seyn.
3111Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken
3112Und nähn, und laufen früh und spat;
3113Und meine Mutter ist in allen Stücken
3114So accurat!
3115Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat;
3117Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
3118Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
3119Doch hab’ ich jetzt so ziemlich stille Tage;
3120Mein Bruder ist Soldat,
3121Mein Schwesterchen ist todt.
3122Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Noth;
3123Doch übernähm’ ich gern noch einmal alle Plage,
3124So lieb war mir das Kind.
∞Margarete
3125Ich zog es auf, und herzlich liebt’ es mich.
3126Es war nach meines Vaters Tod geboren.
3127Die Mutter gaben wir verloren,
3128So elend wie sie damals lag,
3129Und sie erholte sich sehr langsam, nach und nach.
3130Da konnte sie nun nicht d’ran denken
3131Das arme Würmchen selbst zu tränken,
3132Und so erzog ich’s ganz allein,
3133Mit Milch und Wasser; so ward’s mein.
3135War’s freundlich, zappelte, ward groß.
∞Margarete
3137Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
3138Des Kleinen Wiege stand zu Nacht
3139An meinem Bett’, es durfte kaum sich regen,
3140War ich erwacht;
3141Bald mußt’ ich’s tränken, bald es zu mir legen,
3142Bald, wenn’s nicht schwieg, vom Bett’ aufstehn,
3143Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn,
3144Und früh am Tage schon am Waschtrog stehn;
3145Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,
3146Und immer fort wie heut so morgen.
3147Da geht’s, mein Herr, nicht immer muthig zu;
3148Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh.
∞Gehn vorüber
∞Marthe3149–3152 Ergänzung in der Vorlage für A. Die Verse finden sich noch nicht in 1 H.5 S, sie sind in 1 H.10 auch eigenhändig überliefert.
3149Die armen Weiber sind doch übel dran:
3150Ein Hagestolz ist schwerlich zu bekehren.
∞Marthe
3153Sagt g’rad’, mein Herr, habt ihr noch nichts
gefunden?
3154Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?
∞Mephistopheles
3155Das Sprichwort sagt: Ein eigner Herd,
3156Ein braves Weib, sind Gold und Perlen werth.
∞Gehn vorüber
∞Faust
3166Und du verzeihst die Freyheit, die ich nahm?
3167Was sich die Frechheit unterfangen,
3168Als du jüngst aus dem Dom gegangen.
∞Margarete
3169Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
3170Es konnte niemand von mir übels sagen.
3171Ach, dacht’ ich, hat er in deinem Betragen
3172Was freches, unanständiges gesehn?
3173Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
3174Mit dieser Dirne g’rade hin zu handeln.
3175Gesteh’ ich’s doch! Ich wußte nicht was sich
3176Zu eurem Vortheil hier zu regen gleich begonnte;
3177Allein gewiß, ich war recht bös’ auf mich,
3178Daß ich auf euch nicht böser werden konnte.
∞Sie pflückt eine
Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach
dem andern.
∞Faust
∞Sie rupft und
murmelt.
∞Margaretevor 3183 Margarete fährt fort ] Margr: fährt fort) 1 H.5
Margarethe fährt fort. S
Margarete fährt fort‸ A
Margarete fährt fort. D.1
Margarete fährt fort. B
Margarethe (fährt fort). B.a
(VIII)
∞fährt fort
3183Liebt mich – Nicht – Liebt mich – Nicht –
∞Faust
3184Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
3185Dir Götter-Ausspruch seyn. Er liebt dich!
3186Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
∞Faust
3188O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
3189Laß diesen Händedruck dir sagen,
3190Was unaussprechlich ist:
3191Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
3192Zu fühlen, die ewig seyn muß!
3193Ewig! – Ihr Ende würde Verzweiflung seyn.
3194Nein, kein Ende! Kein Ende!
∞Margarete drückt ihm die
Hände, macht sich los und läuft weg. Er steht einen Augenblick
in Gedanken, dann folgt er ihr.
∞
∞Ein Gartenhäuschen
∞Margarete springt herein, steckt
sich hinter die Thür, hält die Fingerspitze an die Lippen, und
guckt durch die Ritze.
∞Er küßt sie.
∞ihn fassend und den Kuß zurück gebendvor 3206 zurück gebend ] S A zurückgebend 1 H.5
zurückgebend B B.a
(IV a)
3206Bester Mann! von Herzen lieb’ ich dich!
∞
Mephistopheles klopft an
∞Faust und Mephistopheles
ab
∞Margarete
3211Du lieber Gott! was so ein Mann
3212Nicht alles alles denken kann!
3213Beschämt nur steh’ ich vor ihm da,
3214Und sag’ zu allen Sachen ja.
3215Bin doch ein arm unwissend Kind,
3216Begreife nicht was er an mir find’t.
∞ab
∞
∞Wald und Höhle
∞Faust
∞allein
3218Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
3219Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
3220Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
3221Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
3222Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
3223Vergönnest mir in ihre tiefe Brust,
3224Wie in den Busen eines Freund’s, zu schauen.
3225Du führst die Reihe der Lebendigen
3226Vor mir vorbey, und lehrst mich meine Brüder
3227Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
3228Und wenn der Sturm im Walde braus’t und knarrt,
3229Die Riesenfichte, stürzend, Nachbaräste
3230Und Nachbarstämme, quetschend, nieder streift,
3231Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert;
3232Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
3233Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
3234Geheime tiefe Wunder öffnen sich.
3235Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
3236Besänftigend herüber; schweben mir
3237Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch,
3238Der Vorwelt silberne Gestalten auf,
3239Und lindern der Betrachtung strenge Lust.
3240O daß dem Menschen nichts
Vollkomm’nes wird,
3241Empfind’ ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
3242Die mich den Göttern nah’ und näher bringt,
3243Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
3244Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,
3245Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts,
3246Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
3247Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
3248Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
3249So tauml’ ich von Begierde zu Genuß,
3250Und im Genuß verschmacht’ ich nach Begierde.
∞Mephistopheles tritt auf
∞Mephistopheles
3251Habt ihr nun bald das Leben g’nug geführt?
3252Wie kann’s euch in die Länge freuen?
3253Es ist wohl gut, daß man’s einmal probirt;
∞Mephistopheles
3257Nun nun! ich laß’ dich gerne ruhn,
3258Du darfst mir’s nicht im Ernste sagen.
3259An dir Gesellen unhold, barsch und toll,
3260Ist wahrlich wenig zu verlieren.
3261Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
3262Was ihm gefällt und was man lassen soll,
3263Kann man dem Herrn nie an der Nase spüren.
∞Mephistopheles
3266Wie hätt’st du, armer Erdensohn,
3267Dein Leben ohne mich geführt?
3268Vom Kribskrabs der Imagination
3269Hab’ ich dich doch auf Zeiten lang curirt;
3270Und wär’ ich nicht, so wär’st du schon
3271Von diesem Erdball abspazirt.
3272Was hast du da in Höhlen, Felsenritzen
3273Dich wie ein Schuhu zu versitzen?
3274Was schlurfst aus dumpfem Moos und triefendem
Gestein,
3275Wie eine Kröte, Nahrung ein?
3276Ein schöner, süßer Zeitvertreib!
3277Dir steckt der Doctor noch im Leib.
∞Faust
3278Verstehst du, was für neue Lebenskraft
3279Mir dieser Wandel in der Öde schafft?
3281Du wärest Teufel g’nug mein Glück mir nicht zu
gönnen.
∞Mephistopheles
3282Ein überirdisches Vergnügen!
3283In Nacht und Thau auf den Gebirgen liegen,
3285Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen,
3287Alle sechs Tagewerk’ im Busen fühlen,
3288In stolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
3290Verschwunden ganz der Erdensohn,
3291Und dann die hohe Intuition –
∞Mit einer
Geberde
3292Ich darf nicht sagen wie – zu schließen.
∞Mephistopheles
3293Das will euch nicht behagen;
3294Ihr habt das Recht gesittet pfuy zu sagen.
3295Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,
3296Was keusche Herzen nicht entbehren können.
3297Und kurz und gut, ich gönn’ Ihm das Vergnügen,
3298Gelegentlich sich etwas vorzulügen;
3299Doch lange hält Er das nicht aus.
3300Du bist schon wieder abgetrieben,
3301Und, währt es länger, aufgerieben
3302In Tollheit oder Angst und Graus.
3303Genug damit! dein Liebchen sitzt dadrinne,
3304Und alles wird ihr eng’ und trüb’.
3305Du kommst ihr gar nicht aus dem Sinne,
3306Sie hat dich übermächtig lieb.
3307Erst kam deine Liebeswuth übergeflossen,
3308Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt;
3309Du hast sie ihr in’s Herz gegossen,
3310Nun ist dein Bächlein wieder seicht.
3311Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen,
3312Ließ es dem großen Herren gut,
3313Das arme affenjunge Blut
3314Für seine Liebe zu belohnen.
3315Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
3316Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn
3317Über die alte Stadtmauer hin.
3318Wenn ich ein Vöglein wär’! so geht ihr Gesang
3320Einmal ist sie munter, meist betrübt,
3321Einmal recht ausgeweint,
3322Dann wieder ruhig, wie’s scheint,
3323Und immer verliebt.
∞Faust
3326Verruchter! hebe dich von hinnen,
3327Und nenne nicht das schöne Weib!
3328Bring’ die Begier zu ihrem süßen Leib
3329Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!
∞Mephistopheles
3330Was soll es denn? Sie meint, du seyst entfloh’n,
3331Und halb und halb bist du es schon.
∞Faust
3332Ich bin ihr nah’, und wär’ ich noch so fern,
3333Ich kann sie nie vergessen, nie verlieren;
3334Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,
3335Wenn ihre Lippen ihn indeß berühren.
∞Mephistopheles
3336Gar wohl, mein Freund! Ich hab’ euch oft beneidet
3337Um’s Zwillingspaar, das unter Rosen weidet.
∞Mephistopheles
3338Schön! Ihr schimpft und ich muß lachen.
3339Der Gott, der Bub’ und Mädchen schuf,
3340Erkannte gleich den edelsten Beruf,
3341Auch selbst Gelegenheit zu machen.
3342Nur fort, es ist ein großer Jammer!
3343Ihr sollt in eures Liebchens Kammer,
3344Nicht etwa in den Tod.
∞Faust
3345Was ist die Himmelsfreud’ in ihren Armen?
3346Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
3347Fühl’ ich nicht immer ihre Noth?
3348Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehaus’te?
3349Der Unmensch ohne Zweck und Ruh?
3350Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus’te
3351Begierig wüthend nach dem Abgrund zu.
3352Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,
3353Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
3354Und all ihr häusliches Beginnen
3355Umfangen in der kleinen Welt.
33563356–3357 zwei Verse 1 H.5
∞Und ich, der Gottverhaßte, hatte nicht genug,
S A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II b)Und ich, der Gottverhaßte,3357Hatte nicht genug,
3358Daß ich die Felsen faßte
3359Und sie zu Trümmern schlug!
3360Sie, ihren Frieden mußt’ ich untergraben!
3361Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!
3362Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen,
3363Was muß geschehn, mag’s gleich geschehn!
3364Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen
3365Und sie mit mir zu Grunde gehn!
∞Mephistopheles
3366Wie’s wieder siedet, wieder glüht!
3367Geh’ ein und tröste sie, du Thor!
3368Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
3370Es lebe wer sich tapfer hält!
3371Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
3372Nichts abgeschmackters find’ ich auf der Welt,3372 abgeschmackters ] S A Abgeschmackters B B.a
(IV a)
3373Als einen Teufel der verzweifelt.
∞
∞Gretchens Stube
∞
∞Marthens Garten
∞Margarete.
Faust
∞Faust
3418Laß das, mein Kind! du fühlst, ich bin dir gut;
3420Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
∞Margarete
3422Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
3423Du ehrst auch nicht die heil’gen Sacramente.
∞Margarete
3424Doch ohne Verlangen.
3425Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
3426Glaubst du an Gott?
∞Faust
3426Mein Liebchen, wer darf sagen,
3427Ich glaub’ an Gott?
3428Magst Priester oder Weise fragen,
3429Und ihre Antwort scheint nur Spott
3430Über den Frager zu seyn.
∞Faust
3431Mißhör’ mich nicht, du holdes Angesicht!
3432Wer darf ihn nennen?
3433Und wer bekennen:
3434Ich glaub’ ihn.
3435Wer empfinden?
3436Und sich unterwinden
3437Zu sagen: ich glaub’ ihn nicht.
3438Der Allumfasser,
3439Der Allerhalter,
3440Faßt und erhält er nicht
3441Dich, mich, sich selbst?
3442Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?
3443Liegt die Erde nicht hierunten fest?
3444Und steigen freundlich blickend
3445Ewige Sterne nicht herauf?
3446Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir,
3447Und drängt nicht alles
3448Nach Haupt und Herzen dir,
3449Und webt in ewigem Geheimniß
3450Unsichtbar sichtbar neben dir?
3451Erfüll’ davon dein Herz, so groß es ist,
3452Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
3453Nenn’ es dann wie du willst,
3454Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
3455Ich habe keinen Nahmen
3457Name ist Schall und Rauch,
3458Umnebelnd Himmelsgluth.
∞Margarete
3459Das ist alles recht schön und gut;
3460Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
3461Nur mit ein Bißchen andern Worten.
∞Faust
3462Es sagen’s aller Orten
3463Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
3464Jedes in seiner Sprache;
3465Warum nicht ich in der meinen?
∞Margarete
3466Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen,
3467Steht aber doch immer schief darum;
3468Denn du hast kein Christenthum.
∞Margarete
3471Der Mensch, den du da bey dir hast,
3472Ist mir in tiefer inn’rer Seele verhaßt:
3473Es hat mir in meinem Leben
3474So nichts einen Stich in’s Herz gegeben,
3475Als des Menschen widrig Gesicht.
∞Margarete
3477Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
3478Ich bin sonst allen Menschen gut;
3479Aber, wie ich mich sehne dich zu schauen,
3480Hab’ ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
3481Und halt’ ihn für einen Schelm dazu!
3482Gott verzeih’ mir’s, wenn ich ihm Unrecht thu’!
∞Margarete
3484Wollte nicht mit seines Gleichen leben!
3485Kommt er einmal zur Thür herein,
3486Sieht er immer so spöttisch drein,
3487Und halb ergrimmt;
3488Man sieht, daß er an nichts keinen Antheil nimmt;
3489Es steht ihm an der Stirn’ geschrieben,
3490Daß er nicht mag eine Seele lieben.
3491Mir wird’s so wohl in deinem Arm,
3492So frey, so hingegeben warm,
3493Und seine Gegenwart schnürt mir das Inn’re zu.
∞Margarete
3495Das übermannt mich so sehr,
3496Daß, wo er nur mag zu uns treten,
3497Meyn’ ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.3497 Meyn’ ] A Meyn 1 H.5
Mein’ S
Mein’ B B.a
(IV a)3497 liebte dich ] A B B.a liebte dich 1 H.5
liebte dich S
(II a*)
3498Auch wenn er da ist, könnt’ ich nimmer beten,
3499Und das frißt mir in’s Herz hinein;
3500Dir, Heinrich, muß es auch so seyn.
∞Faust
3502Ach kann ich nie
3503Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen,
3504Und Brust an Brust und Seel’ in Seele drängen?
∞Margarete
3505Ach wenn ich nur alleine schlief!
3506Ich ließ dir gern heut Nacht den Riegel offen;
3507Doch meine Mutter schläft nicht tief,
3508Und würden wir von ihr betroffen,
3509Ich wär’ gleich auf der Stelle todt!
∞Faust
3510Du Engel, das hat keine Noth.
3511Hier ist ein Fläschchen! Drey Tropfen nur
3512In ihren Trank umhüllen
3513Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.
∞Margarete
3517Seh’ ich dich, bester Mann, nur an,
3518Weiß nicht was mich nach deinem Willen treibt,
3519Ich habe schon so viel für dich gethan,
3520Daß mir zu thun fast nichts mehr übrig bleibt.
∞ab
∞
Mephistopheles tritt auf
∞Mephistopheles
3522Ich hab’s ausführlich wohl vernommen.
3523Herr Doctor wurden da katechisirt;
3524Hoff’ es soll Ihnen wohl bekommen.
3525Die Mädels sind doch sehr interessirt,
3526Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
3527Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben auch.
∞Faust
3528Du Ungeheuer siehst nicht ein,
3529Wie diese treue liebe Seele
3530Von ihrem Glauben voll,
3531Der ganz allein
3532Ihr selig machend ist, sich heilig quäle,
3533Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.
∞
∞Am Brunnen
∞Gretchen und Lieschen mit Krügenvor 3544 Lieschen ] Lieschen‸ S
Liesgen‸ 1 H.5
Lieschen. A D.1
Lieschen‸ B B.a
(VIII)
∞Lieschen
3546Gewiß, Sibylle sagt’ mir’s heute!
3547Die hat sich endlich auch bethört.
3548Das ist das Vornehmthun!
∞Lieschen
3551So ist’s ihr endlich recht ergangen.3550–3551 In 1 H.5 bilden die beiden Repliken einen
antilabischen Vers:
(II d*)
3552Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
3553Das war ein Spaziren,3553 Spaziren ] A gespazieren 1 H.5
Spatzieren S
Spazieren B
Spatzieren B.a
(IV a)
3554Auf Dorf und Tanzplatz Führen,
3555Mußt’ überall die erste seyn,
3556Curtesirt’ ihr immer mit Pastetchen und Wein;
3557Bild’t sich was auf ihre Schönheit ein,3557 Bild’t ] S A B B.a Bildt 1 H.5
Bild’t’ konj Holland (III *)
3558War doch so ehrlos sich nicht zu schämen
3559Geschenke von ihm anzunehmen.
3560War ein Gekos’ und ein Geschleck’;
3561Da ist denn auch das Blümchen weg!
∞Lieschen
3562Bedauerst sie noch gar!
3563Wenn unser eins am Spinnen war,
3564Uns Nachts die Mutter nicht hinunterließ;3564 hinunterließ ] A B n’abe lies 1 H.5
hinunter ließ S
hinunter ließ B.a
(II a*)
3565Stand sie bey ihrem Buhlen süß,
3566Auf der Thürbank und im dunkeln Gang
3567Ward ihnen keine Stunde zu lang.3567 Ward ] Ward 1 H.5 S
Ward’ A B B.a 1 H.1
Ward C.1 12 C.3 12
(I b)
3568Da mag sie denn sich ducken nun,
3569Im Sünderhemdchen Kirchbuß’ thun!
∞Lieschen
3571Er wär’ ein Narr! Ein flinker Jung’
3572Hat anderwärts noch Luft genung.
3573Er ist auch fort.
∞Lieschen
3574Kriegt sie ihn, soll’s ihr übel gehn.
3575Das Kränzel reißen die Buben ihr,
3576Und Häckerling streuen wir vor die Thür!
∞ab
∞nach Hause
gehend
3577Wie konnt’ ich sonst so tapfer schmählen,
3578Wenn thät ein armes Mägdlein fehlen!3578 Wenn thät ] B Wen thät 1 H.5
Sah ich S A
Wenn thät’ B.a
(IV b)
3579Wie konnt’ ich über andrer Sünden
3580Nicht Worte g’nug der Zunge finden!
3581Wie schien mir’s schwarz, und schwärzt’s noch gar,
3582Mir’s immer doch nicht schwarz g’nug war,
3583Und segnet’ mich und that so groß,
3584Und bin nun selbst der Sünde bloß!
3585Doch – alles was dazu mich trieb,
3586Gott! war so gut! ach war so lieb!
∞
∞Zwinger
∞In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkrüge davor
∞steckt frische Blumen in die Krüge
3596Wer fühlet,
3597Wie wühlet
3598Der Schmerz mir im Gebein?
3599Was mein armes Herz hier banget,
3600Was es zittert, was verlanget,
3601Weißt nur du, nur du allein!
3602Wohin ich immer gehe,
3603Wie weh, wie weh, wie wehe
3604Wird mir im Busen hier!
3605Ich bin ach kaum alleine,
3606Ich wein’, ich wein’, ich weine,
3607Das Herz zerbricht in mir.
3608Die Scherben vor meinem Fenster
3609Bethaut’ ich mit Thränen, ach!
3610Als ich am frühen Morgen
3611Dir diese Blumen brach.
∞
∞Nacht
∞Straße vor
Gretchens Thüre
∞Valentin
∞Soldat, Gretchens
Bruder
3621Wo mancher sich berühmen mag,
3622Und die Gesellen mir den Flor
3623Der Mägdlein laut gepriesen vor,
3624Mit vollem Glas das Lob verschwemmt,
3625Den Ellenbogen aufgestemmt;3625 aufgestemmt; ] A aufgestemmt‸ 1 H.5 1 H.12
aufgestemmt‸ B B.a
(II a*)
3628Und streiche lächelnd meinen Bart,
3629Und kriege das volle Glas zur Hand
3631Aber ist eine im ganzen Land,
3632Die meiner trauten Gretel gleicht,
3633Die meiner Schwester das Wasser reicht?
3634Top! Top! Kling! Klang! das ging herum!
3635Die einen schrieen: er hat Recht,
3636Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht!
3637Da saßen alle die Lober stumm.
3638Und nun! – um’s Haar sich auszuraufen
3639Und an den Wänden hinauf zu laufen! –
3640Mit Stichelreden, Naserümpfen
3641Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
3642Soll wie ein böser Schuldner sitzen,
3643Bey jedem Zufallswörtchen schwitzen!
3644Und möcht’ ich sie zusammenschmeißen;
3645Könnt’ ich sie doch nicht Lügner heißen.
∞Faust.
Mephistopheles
∞Faust
3650Wie von dem Fenster dort der Sakristey
3651Aufwärts der Schein des ewigen Lämpchens flämmert
3652Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
3653Und Finsterniß drängt ringsum bey!
3654So sieht’s in meinem Busen nächtig.
∞Mephistopheles
3655Und mir ist’s wie dem Kätzlein schmächtig,
3656Das an den Feuerleitern schleicht,
3658Mir ist’s ganz tugendlich dabey,
3659Ein Bißchen Diebsgelüst, ein Bißchen Rammeley.
3660So spukt mir schon durch alle Glieder
3661Die herrliche Walpurgisnacht.
3662Die kommt uns übermorgen wieder,
3663Da weiß man doch warum man wacht.
∞Mephistopheles
3666Du kannst die Freude bald erleben,
3667Das Kesselchen herauszuheben.
3668Ich schielte neulich so hinein,
3669Sind herrliche Löwenthaler drein.
∞Mephistopheles
3676Es sollt’ euch eben nicht verdrießen
3677Umsonst auch etwas zu genießen.
3678Jetzt da der Himmel voller Sterne glüht,
3679Sollt ihr ein wahres Kunststück hören:
3680Ich sing’ ihr ein moralisch Lied,
3681Um sie gewisser zu bethören.
∞Singt zur
Zither
∞Valentin
∞tritt vor
3698Wen lockst du hier? beym Element!
3699Vermaledeyter Rattenfänger!
3700Zum Teufel erst das Instrument!
3701Zum Teufel hinter drein den Sänger!
∞Mephistopheles
∞zu Faust
3704Herr Doctor nicht gewichen! Frisch!
3705Hart an mich an, wie ich euch führe.
3706Heraus mit eurem Flederwisch!
3707Nur zugestoßen! ich parire.
∞Mephistopheles
3711Nun ist der Lümmel zahm!
3712Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden:
3713Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrey.
3714Ich weiß mich trefflich mit der Polizey,
3715Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.
∞Valentin
3722Ich sterbe! das ist bald gesagt
3723Und bälder noch gethan.
3724Was steht ihr Weiber, heult und klagt?
3725Kommt her und hört mich an!
∞Alle treten um
ihn.
3726Mein Gretchen sieh! du bist noch jung,
3727Bist gar noch nicht gescheidt genung,
3728Machst deine Sachen schlecht.
3729Ich sag’ dir’s im Vertrauen nur:
3730Du bist doch nun einmal eine Hur’;
3731So sey’s auch eben recht.
∞Valentin
3733Laßt unsern Herr Gott aus dem Spaß.
3734Geschehn ist leider nun geschehn,
3735Und wie es gehn kann, so wird’s gehn.
3736Du fingst mit Einem heimlich an,
3737Bald kommen ihrer mehre dran,
3738Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
3739So hat dich auch die ganze Stadt.
3740Wenn erst die Schande wird
geboren,
3741Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
3742Und man zieht den Schleyer der Nacht
3743Ihr über Kopf und Ohren;
3744Ja, man möchte sie gern ermorden.
3745Wächst sie aber und macht sich groß,
3746Dann geht sie auch bey Tage bloß,
3747Und ist doch nicht schöner geworden.
3748Je häßlicher wird ihr Gesicht,
3750Ich seh’ wahrhaftig schon die
Zeit,
3751Daß alle brave Bürgersleut’3751 Bürgersleut’‸ ] A Bürgersleut‸ 1 H.12
Bürgersleut’, B B.a
(IV a)
3753Von dir, du Metze! seitab weichen.
3754Dir soll das Herz im Leib verzagen!
3755Wenn sie dir in die Augen sehn.
3756Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
3757In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!
3758In einem schönen Spitzenkragen
3759Dich nicht beym Tanze wohlbehagen!
3760In eine finstre Jammerecken
3762Und wenn dir denn auch Gott verzeiht,
3763Auf Erden seyn vermaledeyt!
∞Valentin
3766Könnt’ ich dir nur an den dürren Leib
3767Du schändlich kupplerisches Weib!
3768Da hofft’ ich aller meiner Sünden
3769Vergebung reiche Maß zu finden.
∞Valentin
3771Ich sage, laß die Thränen seyn!
3772Da du dich sprachst der Ehre los,
3773Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
3774Ich gehe durch den Todesschlaf
3775Zu Gott ein als Soldat und brav.
∞stirbt
∞
∞Dom
∞Amt, Orgel und Gesang
∞Böser
Geist
3776Wie anders, Gretchen, war dir’s,
3777Als du noch voll Unschuld
3778Hier zum Altar trat’st,
3779Aus dem vergriffnen Büchelchen
3780Gebete lalltest,
3781Halb Kinderspiele,
3782Halb Gott im Herzen!
3783Gretchen!
3784Wo steht dein Kopf?
3785In deinem Herzen,
3786Welche Missethat?
3787Bet’st du für deiner Mutter Seele? die3787–3788
3787Betest du für deiner Mutter Seel
3788Die durch dich sich in die Pein hinüberschlief.
1 H.5
(VII)3788Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief.3788 hinüberschlief ] A B hinüberschlief 1 H.5
hinüber schlief S 1 H.13
hinüber schlief B.a
(II a*)
3790– Und unter deinem Herzen
3791Regt sich’s nicht quillend schon,
3792Und ängstet dich und sich
∞Gretchen
3794Weh! Weh!
3795Wär’ ich der Gedanken los,
3796Die mir herüber und hinüber gehen
3797Wider mich!
∞Orgelton
∞Böser
Geist
3800Grimm faßt dich!
3801Die Posaune tönt!
3802Die Gräber beben!
3803Und dein Herz,
3804Aus Aschenruh’
3805Zu Flammenqualen
3806Wieder aufgeschaffen,
3807Bebt auf!
∞Gretchen
3808Wär’ ich hier weg!
3809Mir ist als ob die Orgel mir
3810Den Athem versetzte,
3811Gesang mein Herz
3812Im Tiefsten lös’te.
∞Gretchen
3816Mir wird so eng’!
3817Die Mauern Pfeiler3817 Mauern Pfeiler ] 1 H.5 Mauern-Pfeiler S 1 H.13 A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II b)
3818Befangen mich!
3819Das Gewölbe
3820Drängt mich! – Luft!
∞Böser
Geist
3821Verbirg dich! Sünd’ und Schande3821 Verbirg ] Verbirgst 1 H.5
Verbirg S 1 H.13
Verbirg’ A B B.a
(I b)
3823Luft? Licht?
3824Weh dir!
∞Chor
3825
Quid sum miser tunc dicturus?
3826
Quem patronum rogaturus?
3827
Cum vix justus sit securus.
∞Böser
Geist
3828Ihr Antlitz wenden
3829Verklärte von dir ab.
3830Die Hände dir zu reichen,
3831Schauert’s den Reinen.
3832Weh!
∞Sie fällt in
Ohnmacht.
∞
∞Walpurgisnacht
∞Harzgebirg
∞Gegend von
Schirke und Elend
∞Faust.
Mephistopheles
∞Mephistopheles
3835Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
3836Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.
3837Auf diesem Weg sind wir noch weit vom Ziele.
∞Faust
3838So lang’ ich mich noch frisch auf meinen Beinen
fühle,
3839Genügt mir dieser Knotenstock.
3840Was hilft’s daß man den Weg verkürzt! –
3841Im Labyrinth der Thäler hinzuschleichen,
3842Dann diesen Felsen zu ersteigen,
3843Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt,
3844Das ist die Lust, die solche Pfade würzt!
3845Der Frühling webt schon in den Birken
3846Und selbst die Fichte fühlt ihn schon,
3847Sollt’ er nicht auch auf unsre Glieder wirken?
∞Mephistopheles
3848Fürwahr ich spüre nichts davon!
3849Mir ist es winterlich im Leibe,
3850Ich wünschte Schnee und Frost auf meiner Bahn.
3851Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe
3852Des rothen Monds mit später Gluth heran!
3853Und leuchtet schlecht, daß man bey jedem Schritte,
3854Vor einen Baum, vor einen Felsen rennt!
3855Erlaub’ daß ich ein Irrlicht bitte!
3856Dort seh’ ich eins, das eben lustig brennt.
3857He da! mein Freund! darf ich dich zu uns fodern?
3858Was willst du so vergebens lodern?
3859Sey doch so gut und leucht’ uns da hinauf!
∞Irrlicht
3860Aus Ehrfurcht, hoff’ ich, soll es mir gelingen
3861Mein leichtes Naturell zu zwingen,
3862Nur Zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.
∞Mephistopheles
3863Ei! Ei! er denkt’s den Menschen nachzuahmen.
3864Geh er nur g’rad’, in’s Teufels Nahmen!
3865Sonst blas’ ich ihm sein Flacker-Leben aus.
∞Irrlicht
3866Ich merke wohl, ihr seyd der Herr vom Haus,
3867Und will mich gern nach euch bequemen.
3868Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll,
3869Und wenn ein Irrlicht euch die Wege weisen soll,
3870So müßt ihr’s so genau nicht nehmen.
∞Faust,
Mephistopheles, Irrlicht
∞im
Wechselgesang
3871In die Traum- und Zaubersphäre3871–3911 Die Verse stehen in 1 H.14 A B B.a 1 H.1 linksbündig, in C.1 12 C.3 12 sind sie eingerückt.
(VII)
3872Sind wir, scheint es, eingegangen.
3873Führ’ uns gut und mach’ dir Ehre!
3874Daß wir vorwärts bald gelangen,
3875In den weiten, öden Räumen.
3876Seh’ die Bäume hinter Bäumen,
3877Wie sie schnell vorüber rücken,
3878Und die Klippen, die sich bücken,
3879Und die langen Felsennasen,
3880Wie sie schnarchen, wie sie blasen!
3881Durch die Steine, durch den
Rasen
3882Eilet Bach und Bächlein nieder.
3883Hör’ ich Rauschen? hör’ ich Lieder?
3884Hör’ ich holde Liebesklage,
3885Stimmen jener Himmelstage?
3886Was wir hoffen, was wir lieben!
3887Und das Echo, wie die Sage
3888Alter Zeiten, hallet wieder.
3889Uhu! Schuhu! tönt es näher,
3890Kauz und Kibitz und der Häher,
3891Sind sie alle wach geblieben?
3893Lange Beine, dicke Bäuche.
3894Und die Wurzeln, wie die Schlangen,
3895Winden sich aus Fels und Sande;
3896Strecken wunderliche Bande,
3897Uns zu schrecken, uns zu fangen;
3898Aus belebten, derben Masern
3899Strecken sie Polypenfasern3899 Strecken ] 1 H.14 Stecken A B B.a
Strecken vorschl Gö 1 H.6
Stecken : Strecken
G 1 H.1
Strecken C.1 12 C.3 12
(II a)
3900Nach dem Wandrer. Und die Mäuse
3901Tausendfärbig, schaarenweise,
3902Durch das Moos und durch die Heide!
3903Und die Funkenwürmer fliegen,
3904Mit gedrängten Schwärme-Zügen,
3905Zum verwirrenden Geleite.
∞Mephistopheles
3912Fasse wacker meinen Zipfel!
3913Hier ist so ein Mittelgipfel,
3914Wo man mit Erstaunen sieht,
3915Wie im Berg der Mammon glüht.
∞Faust
3916Wie seltsam glimmet durch die Gründe3916 glimmet ] 1 H.14 glimmert A B B.a 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II a)
3917Ein morgenröthlich trüber Schein!
3918Und selbst bis in die tiefen Schlünde
3919Des Abgrunds wittert er hinein.
3920Da steigt ein Dampf, dort ziehen Schwaden,
3921Hier leuchtet Glut aus Dunst und Flor,
3922Dann schleicht sie wie ein zarter Faden,
3923Dann bricht sie wie ein Quell hervor.
3924Hier schlingt sie eine ganze Strecke,
3926Und hier in der gedrängten Ecke
3927Vereinzelt sie sich auf einmal.
3928Da sprühen Funken in der Nähe,
3929Wie ausgestreuter goldner Sand.
3930Doch schau! in ihrer ganzen Höhe
3931Entzündet sich die Felsenwand.
∞Mephistopheles
3932Erleuchtet nicht zu diesem Feste
3933Herr Mammon prächtig den Pallast?
3934Ein Glück daß du’s gesehen hast;
3935Ich spüre schon die ungestümen Gäste.
∞Faust
3936Wie ras’t die Windsbraut durch die Luft!
3937Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken!
∞Mephistopheles
3938Du mußt des Felsens alte Rippen packen,
3939Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde
Gruft.
3940Ein Nebel verdichtet die Nacht.
3941Höre wie’s durch die Wälder kracht!
3942Aufgescheucht fliegen die Eulen.
3943Hör’ es splittern die Säulen
3944Ewig grüner Palläste.
3946Der Stämme mächtiges Dröhnen!
3947Der Wurzeln Knarren und Gähnen!
3948Im fürchterlich verworrenen Falle
3949Über einander krachen sie alle,
3950Und durch die übertrümmerten Klüfte
3951Zischen und heulen die Lüfte.
3952Hörst du Stimmen in der Höhe?
3953In der Ferne in der Nähe?
3954Ja, den ganzen Berg entlang
3955Strömt ein wüthender Zaubergesang.
∞Hexen
∞im Chor
∞Chor
∞Stimme
3968Über’n Ilsenstein!
3969Da guckt’ ich der Eule ins Nest hinein.
3970Die macht ein Paar Augen!
∞Hexen
∞Chor
3974Der Weg ist breit, der Weg ist lang,3974–3977 Die Verse sind in
1 H.14 A D.1 B B.a 1 H.1
C.1 12 C.3 12 nicht eingerückt, in D.2 D3
D4 sind sie auf derselben Höhe wie die Verse 3972–3973 eingerückt; in Q stehen 3972–3973 linksbündig, 3974–3977 sind eingerückt.
(VII)
3975Was ist das für ein toller Drang?
3976Die Gabel sticht, der Besen kratzt,
3977Das Kind erstickt, die Mutter platzt.
∞Hexenmeister
∞Andre
Hälfte
∞Stimmen
∞von unten
3987Wir möchten gerne mit in die Höh’.
3988Wir waschen und blank sind wir ganz und gar;
3989Aber auch ewig unfruchtbar.
∞Beyde
Chöre
3990Es schweigt der Wind, es flieht der Stern,3990–4015 Die Verse sind im Druck zweistufig eingerückt
( A, S. 198–199): 3990–3995 um 5 mm, was für Kurzverse normal
ist; 3996–3999 auf Seite 198 um 10 mm; ebenso 4000–4003 und 4008–4015 (beidemale
wohl versehentlich) sowie 4004–4007 (wohl korrekt) auf Seite 199 um 10 mm.
(VII, I c)
3991Der trübe Mond verbirgt sich gern.
3992Im Sausen sprüht das Zauberchor
3993Viel tausend Feuerfunken hervor.
∞Beyde
Chöre
∞Chor der
Hexen
∞Beyde
Chöre
∞Sie lassen sich
nieder.
∞Mephistopheles
4016Das drängt und stößt, das ruscht und klappert!
4017Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
4018Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
4019Ein wahres Hexenelement!
4020Nur fest an mir! sonst sind wir gleich getrennt.
4021Wo bist du?
∞Mephistopheles
4021Was! dort schon hingerissen?
4022Da werd’ ich Hausrecht brauchen müssen.
4023Platz! Junker Voland kommt. Platz! süßer Pöbel,
Platz!
4024Hier, Doctor, fasse mich! und nun, in Einem Satz,
4025Laß uns aus dem Gedräng’ entweichen;
4026Es ist zu toll, sogar für meines gleichen.
4027Dort neben leuchtet was mit ganz besond’rem Schein,
4028Es zieht mich was nach jenen Sträuchen.
4029Komm, komm! wir schlupfen da hinein.
∞Faust
4030Du Geist des Widerspruchs! Nur zu! du magst mich
führen.
4032Zum Brocken wandlen wir in der Walpurgisnacht,
4033Um uns beliebig nun hieselbst zu isoliren.
∞Mephistopheles
4034Da sieh nur welche bunten Flammen!
4035Es ist ein muntrer Klub beysammen.
4036Im Kleinen ist man nicht allein.
∞Faust
4037Doch droben möcht’ ich lieber seyn!
4038Schon seh’ ich Glut und Wirbelrauch.
4039Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
4040Da muß sich manches Räthsel lösen.
∞Mephistopheles
4041Doch manches Räthsel knüpft sich auch.
4042Laß du die große Welt nur sausen,
4043Wir wollen hier im Stillen hausen.
4044Es ist doch lange hergebracht,
4045Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.
4047Und alte die sich klug verhüllen.
4048Seyd freundlich, nur um meinetwillen,
4049Die Müh’ ist klein, der Spaß ist groß.
4050Ich höre was von Instrumenten tönen!
4051Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewöhnen.4051
Faust
4051Verflucht Geschnarr!
Mephistopheles
konj Resenhöfft (III *)4051Man muß sich dran gewöhnen.
4052Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders seyn,
4053Ich tret’ heran und führe dich herein,
4055Was sagst du Freund? das ist kein kleiner Raum.
4056Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
4057Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe;
∞Mephistopheles
4062Zwar bin ich sehr gewohnt incognito zu gehn;
4063Doch läßt am Galatag man seinen Orden sehn.
4064Ein Knieband zeichnet mich nicht aus,
4065Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.
4066Siehst du die Schnecke da! sie kommt herangekrochen;
4067Mit ihrem tastenden Gesicht
4068Hat sie mir schon was abgerochen.
4069Wenn ich auch will, verläugn’ ich hier mich nicht.
4070Komm nur! von Feuer gehen wir zu Feuer,
4071Ich bin der Werber und du bist der Freyer.
4072Ihr alten Herrn, was macht ihr hier am Ende?
4073Ich lobt’ euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte
fände,
4074Von Saus umzirkt und Jugendbraus.
4075Genug allein ist jeder ja zu Haus.
∞General
4076Wer mag auf Nationen trauen!
4077Man habe noch so viel für sie gethan;
4078Denn bey dem Volk, wie bey den Frauen,
4079Steht immerfort die Jugend oben an.
∞Minister
4080Jetzt ist man von dem Rechten allzuweit,
4081Ich lobe mir die guten Alten;
4083Da war die rechte goldne Zeit.
∞Parvenü
4084Wir waren wahrlich auch nicht dumm,
4085Und thaten oft was wir nicht sollten;
4087Und eben da wir’s fest erhalten wollten.
∞Autor
4088Wer mag wohl überhaupt jetzt eine Schrift
4089Von mäßig klugem Inhalt lesen!
4090Und was das liebe junge Volk betrifft,
4091Das ist noch nie so naseweis gewesen.
∞Mephistophelesvor 4092 Mephistopheles ] Mephistopheles 1 H.14
Mephistopheles. A
Mephistopheles, B
Mephistopheles‸ B.a
(VIII)
4092Zum jüngsten Tag fühl’ ich das Volk gereift;
4093Da ich zum letztenmal den Hexenberg ersteige,
4094Und, weil mein Fäßchen trübe läuft;
4095So ist die Welt auch auf der Neige.
∞Trödelhexe
4096Ihr Herren geht nicht so vorbey!
4097Laßt die Gelegenheit nicht fahren!
4098Aufmerksam blickt nach meinen Waaren,
4099Es steht dahier gar mancherley.
4100Und doch ist nichts in meinem Laden,
4101Dem keiner auf der Erde gleicht,
4102Das nicht einmal zum tücht’gen Schaden
4103Der Menschen und der Welt gereicht.
4104Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen,
4105Kein Kelch, aus dem sich nicht, in ganz gesunden
Leib,
4106Verzehrend heißes Gift ergossen.
4107Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib
4108Verführt, kein Schwerdt das nicht den Bund gebrochen,4108 Schwerdt ] 1 H.14 A Schwert B B.a
(IV a)
4109Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen.
∞Mephistopheles
4110Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten.
4111Gethan geschehn! Geschehn gethan!
4112Verleg’ sie sich auf Neuigkeiten,
4113Nur Neuigkeiten ziehn uns an.
∞Mephistopheles
4116Der ganze Strudel strebt nach oben;
4117Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben.
∞Mephistopheles
4119Adams erste Frau.
4120Nimm dich in Acht vor ihren schönen Haaren,
4121Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
4122Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
4123So läßt sie ihn sobald nicht wieder fahren.
∞Mephistopheles
4126Das hat nun heute keine Ruh.
4127Es geht zum neuen Tanz, nun komm! wir greifen zu.
∞Faust
∞mit der jungen
tanzend
4128Einst hatt’ ich einen schönen Traum;
4129Da sah ich einen Apfelbaum,
4130Zwey schöne Äpfel glänzten dran,
4131Sie reizten mich, ich stieg hinan.
∞Die
Schöne
4132Der Äpfelchen begehrt ihr sehr
4133Und schon vom Paradiese her.
4134Von Freuden fühl’ ich mich bewegt,
∞Mephistopheles
∞mit der Alten
4136Einst hatt’ ich einen wüsten Traum;
∞Proktophantasmistvor 4144 Proktophantasmist ] 1 H.2 Brocktophantasmist 1 H.14 A
Procktophantasmist B B.a
Procktophantasmist : Proktophantasmist Gö 1 H.1
Proktophantasmist C.1 12 C.3 12
(II c)
4144Verfluchtes Volk! was untersteht ihr
euch?
4145Hat man euch lange nicht bewiesen?
4146Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen;
4147Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!
∞Faust
∞tanzend
4149Ey! der ist eben überall.
4151Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen;
4152So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
4153Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehn.
4154Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
4155Wie er’s in seiner alten Mühle thut,
4156Das hieß er allenfalls noch gut;
4157Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.
∞Proktophantasmistvor 4158 Proktophantasmist ] 1 H.2 Brocktophantasmist 1 H.14 A
Procktophantasmist B B.a
Proktophantasmist 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II c)
4158Ihr seyd noch immer da! nein das ist unerhört.
4160Das Teufelspack es fragt nach keiner Regel.
4161Wir sind so klug und dennoch spukt’s in Tegel.
4162Wie lange hab’ ich nicht am Wahn hinausgekehrt
4163Und nie wird’s rein, das ist doch unerhört!
∞Proktophantasmistvor 4165 Proktophantasmist ] 1 H.2 Brocktophantasmist 1 H.14 A
Procktophantasmist B B.a
Proktophantasmist 1 H.1 C.1 12 C.3 12
(II c)
4165Ich sag’s euch Geistern in’s Gesicht,
4166Den Geistesdespotismus leid’ ich nicht;
4168Heut, seh’ ich, will mir nichts gelingen,
4169Doch eine Reise nehm’ ich immer mit
4170Und hoffe noch, vor meinem letzten Schritt,
4171Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.
∞Mephistopheles
4172Er wird sich gleich in eine Pfütze
setzen,
4173Das ist die Art wie er sich soulagirt,
4176Was lässest du das schöne Mädchen fahren?
4177Das dir zum Tanz so lieblich sang.
∞Mephistopheles
4180Das ist was rechts! Das nimmt man nicht genau.
4181Genug die Maus war doch nicht grau.
4182Wer fragt darnach in einer Schäferstunde?
∞Faust
4183Mephisto siehst du dort
4184Ein blasses, schönes Kind allein und ferne stehen?
4185Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,
4186Sie scheint mit geschloßnen Füßen zu gehen.
4187Ich muß bekennen, daß mir däucht,
4188Daß sie dem guten Gretchen gleicht.
∞Mephistopheles
4190Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.
4191Ihm zu begegnen ist nicht gut,
4192Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
4193Und er wird fast in Stein verkehrt,
∞Faust
4196Die eine liebende Hand nicht schloß.
4197Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,
4198Das ist der süße Leib, den ich genoß.
∞Faust
4201Welch eine Wonne! welch ein Leiden!
4202Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.
4203Wie sonderbar muß diesen schönen Hals
4204Ein einzig rothes Schnürchen schmücken,
4205Nicht breiter als ein Messerrücken!
∞Mephistopheles
4206Ganz recht! ich seh’ es ebenfalls.
4207Sie kann das Haupt auch unterm Arme tragen;
4209Nur immer diese Lust zum Wahn!
4210Komm doch das Hügelchen heran,
4211Hier ist’s so lustig wie im Prater;
4212Und hat man mir’s nicht angethan,
4213So seh’ ich wahrlich ein Theater.
∞Servibilis
4214Gleich fängt man wieder an.
4215Ein neues Stück, das letzte Stück von sieben,
4216Soviel zu geben ist allhier der Brauch.
4217Ein Dilettant hat es geschrieben,
4218Und Dilettanten spielen’s auch.
4219Verzeiht ihr Herrn, wenn ich verschwinde;
4220Mich dilettirt’s den Vorhang aufzuziehn.
∞
∞ Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne Hochzeitvor 4223 Oberons und Titanias goldne Hochzeit ] Oberons und Titanias goldne Hochzeit A B B.a 1 H.1 Oberons und Titanias goldne Hochzeit C.1 12 C.3 12 (VII)
∞Intermezzo
∞Theatermeister
∞Herold
∞Oberon
∞Puck
∞Ariel
∞Oberon
∞Titania
∞Solo
∞Geist der
sich erst bildet
∞Ein
Pärchen
∞Neugieriger
Reisender
∞Orthodox
∞Nordischer
Künstler
∞Purist
∞Junge
Hexe
∞Matrone
∞Capellmeister
∞Xenien
∞Hennings
∞Musaget
∞
Ci-devant
Genius der Zeit
∞Neugieriger
Reisender
∞Kranich
∞Weltkind
∞Tänzer
∞Dogmatikernach 4334 In 1 H.1
C.1 12
C.3 12 folgen die (ganz oder teilweise auch in 1 H.16 und
1 H.17 enthaltenen) Verse 4335–4342 (hier nach
1 H.1):
(V *)
∞Idealist
∞Realist
∞Supernaturalist
∞Skeptiker
∞Capellmeister
∞Die
Gewandten
∞Die
Unbehülflichen
∞Irrlichter
∞Sternschnuppe
∞Die
Massiven
∞Puck
∞Ariel
∞
∞Trüber Tag Feld
∞Faust.
Mephistopheles
∞Faust
∞Im
Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange
∞verirrt und nun
gefangen! Als Missethäterinn im Kerker
∞zu entsetzlichen Qualen
eingesperrt das holde unselige Geschöpf!
∞Bis dahin! dahin! – Verräthrischer4 Verräthrischer ] 1 H.5 A J.2 Verrätherischer B
Verräth’rischer B.a
(IV a), nichtswürdiger
∞Geist, und das hast du mir
verheimlicht! – Steh nur,
∞steh! wälze die teuflischen Augen ingrimmend im
Kopf herum!
∞Steh und trutze mir durch deine unerträgliche Gegenwart!
∞Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen
∞Geistern übergeben und der
richtenden gefühllosen Menschheit!
∞Und mich wiegst du indeß in
abgeschmackten Zerstreuungen,
∞verbirgst mir ihren wachsenden
Jammer und lässest
∞sie hülflos verderben!
∞Faust
∞Hund! abscheuliches Unthier! – Wandle ihn, du unendlicher
∞Geist! wandle den Wurm wieder in seine Hundsgestalt,
∞wie er sich oft nächtlicher Weise16 Weise ] A B B.a Weile 1 H.5
Weile J.2
Weile konj Düntzer (VII) gefiel vor mir herzutrotten,
∞dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu kollern
und sich
∞dem
niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl’
∞ihn wieder in
seine Lieblingsbildung, daß er vor mir im
∞Sand auf dem Bauch krieche, ich
ihn mit Füßen trete, den
∞Verworfnen! – die erste nicht! – Jammer! Jammer!
∞von keiner
Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf
∞in die Tiefe
dieses Elendes versank, daß nicht das erste
∞genugthat für die Schuld aller
übrigen in seiner windenden
∞Todesnoth vor den Augen des ewig Verzeihenden!
Mir
∞wühlt es Mark und
Leben durch das Elend dieser einzigen,
∞du grinsest gelassen über das
Schicksal von Tausenden hin.
∞Mephistopheles
∞Nun sind wir schon wieder an der Gränze unsres Witzes,
∞da wo euch
Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst
∞du Gemeinschaft mit uns, wenn du
sie nicht durchführen
∞kannst? Willst fliegen und bist vorm31 vorm ] 1 H.5 A vor’m J.2
vor’m B B.a
(IV a) Schwindel nicht sicher?
∞Drangen wir uns
dir auf, oder du dich uns?
∞Faust
∞Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir
∞eckelts34 eckelts ] 1 H.5 A J.2 ekelts B B.a
(IV a)! – Großer herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen
∞würdigtest, der du mein Herz
kennest und meine Seele,
∞warum an den Schandgesellen mich schmieden? der
sich am
∞Schaden
weidet und am Verderben sich letzt.
∞Mephistopheles
∞
Faust blickt wild
umher
∞Mephistopheles
∞Mephistopheles
∞Faust
∞Mephistopheles
∞
∞Kerker
∞Faust,
∞mit einem Bund
Schlüssel und einer Lampe, vor einem eisernen
Thürchen
4405Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,
4406Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.
4407Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer,
4408Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
4409Du zauderst zu ihr zu gehen!
4410Du fürchtest sie wieder zu sehen!
4411Fort! dein Zagen zögert den Tod heran.
∞Margarete
∞auf den Knieen
4427Wer hat dir Henker diese Macht
4428Über mich gegeben!
4429Du holst mich schon um Mitternacht.
4430Erbarme dich und laß mich leben!
4431Ist’s morgen früh nicht zeitig genung?
4432Bin ich doch noch so jung, so jung!
4433Und soll schon sterben!
4434Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
4435Nah war der Freund, nun ist er weit,
4437Fasse mich nicht so gewaltsam an!
4438Schone mich! Was hab’ ich dir gethan?
4439Laß mich nicht vergebens flehen,
4440Hab’ ich dich doch mein Tage nicht gesehen!
∞Margarete
4442Ich bin nun ganz in deiner Macht.
4443Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
4444Ich herzt’ es diese ganze Nacht;
4445Sie nahmen mir’s um mich zu kränken
4446Und sagen nun, ich hätt’ es umgebracht.
4447Und niemals werd’ ich wieder froh.
4448Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den
Leuten!
4449Ein altes Mährchen endigt so,
4450Wer heißt sie’s deuten?
∞Faust
∞wirft sich
nieder
4451Ein Liebender liegt dir zu Füßen
4452Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.
∞Margarete
∞wirft sich zu
ihm
4453O laß uns knien die Heil’gen anzurufen!
4454Sieh! unter diesen Stufen,
4455Unter der Schwelle
4456Siedet die Hölle!
4457Der Böse,
4458Mit furchtbarem Grimme,
4459Macht ein Getöse!
∞Margarete
∞aufmerksam
4461Das war des Freundes Stimme!
∞Sie springt auf. Die
Ketten fallen ab.
4462Wo ist er? ich hab’ ihn rufen hören.
4464An seinen Hals will ich fliegen,
4465An seinem Busen liegen!
4466Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
4467Mitten durch’s Heulen und Klappen der Hölle,
4468Durch den grimmigen, teuflischen Hohn,
4469Erkannt’ ich den süßen, den liebenden Ton.
∞Margarete
4470Du bist’s! O sag’ es noch einmal!
4471Er ist’s! Er ist’s! Wohin ist alle Qual?
4472Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
4473Du bist’s! Kommst mich zu retten.
4474Ich bin gerettet! –
4475Schon ist die Straße wieder da,
4476Auf der ich dich zum erstenmale sah.
4477Und der heitere Garten,
4478Wo ich und Marthe deiner warten.
∞Margarete
4484Wie? du kannst nicht mehr küssen?
4485Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
4486Und hast’s Küssen verlernt?
4487Warum wird mir an deinem Halse so bang?
4488Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
4489Ein ganzer Himmel mich überdrang,
4490Und du mich küßtest als wolltest du mich ersticken.
4491Küsse mich!
4492Sonst küss’ ich dich!
∞Sie umfaßt ihn.
4493O weh! deine Lippen sind kalt,
4494Sind stumm.
4495Wo ist dein Lieben
4496Geblieben?
4497Wer brachte mich drum?
∞Faust
4498Komm! Folge mir! Liebchen fasse Muth!
4499Ich herze dich mit tausendfacher Glut,
4500Nur folge mir! Ich bitte dich nur dieß!
∞Margarete
4502Du machst die Fesseln los,
4504Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? –
4505Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreyst?
∞Margarete
4507Meine Mutter hab’ ich umgebracht,
4508Mein Kind hab’ ich ertränkt.
4509War es nicht dir und mir geschenkt?
4510Dir auch – Du bist’s! ich glaub’ es kaum.
4512Deine liebe Hand! – Ach aber sie ist feucht!
4513Wische sie ab! Wie mich däucht
4514Ist Blut dran.
4515Ach Gott! was hast du gethan!
4516Stecke den Degen ein,
4517Ich bitte dich drum!
∞Margarete
4520Nein, du mußt übrig bleiben!
4521Ich will dir die Gräber beschreiben,
4522Für die mußt du sorgen
4523Gleich morgen;
4524Der Mutter den besten Platz geben,
4525Meinen Bruder sogleich darneben,
4526Mich ein wenig bey Seit’,
4527Nur nicht gar zu weit!
4528Und das Kleine mir an die rechte Brust.
4529Niemand wird sonst bey mir liegen! –
4530Mich an deine Seite zu schmiegen
4531Das war ein süßes, ein holdes Glück!
4532Aber es will mir nicht mehr gelingen,
4533Mir ist’s als müßt’ ich mich zu dir zwingen,
4534Als stießest du mich von dir zurück.
4535Und doch bist du’s und blickst so gut, so fromm.
∞Margarete
4538Ist das Grab drauß’,
4539Lauert der Tod; so komm!
4540Von hier in’s ewige Ruhebett
4541Und weiter keinen Schritt –
4542Du gehst nun fort? O Heinrich könnt’ ich mit!
∞Margarete
4544Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
4545Was hilft es fliehn? sie lauern doch mir auf.
4546Es ist so elend betteln zu müssen,
4547Und noch dazu mit bösem Gewissen!
4548Es ist so elend in der Fremde schweifen
4549Und sie werden mich doch ergreifen!
∞Margarete
4551Geschwind! Geschwind!
4552Rette dein armes Kind.
4553Fort! immer den Weg
4554Am Bach hinauf,
4555Über den Steg,
4556In den Wald hinein,
4557Links wo die Planke steht,
4558Im Teich.
4559Faß es nur gleich!
4560Es will sich heben,
4561Es zappelt noch,
4562Rette! rette!
∞Margarete
4565Wären wir nur den Berg vorbey!
4566Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
4567Es faßt mich kalt beym Schopfe!
4569Und wackelt mit dem Kopfe;
4570Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr
schwer,
4571Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
4572Sie schlief damit wir uns freuten.
4573Es waren glückliche Zeiten!
∞Margarete
4580Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein!
4581Mein Hochzeittag sollt’ es seyn!
4582Sag Niemand daß du schon bey Gretchen warst.
4583Weh meinem Kranze!
4584Es ist eben geschehn!
4585Wir werden uns wiedersehn;
4586Aber nicht beym Tanze.
4587Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
4588Der Platz, die Gassen
4589Können sie nicht fassen.
4590Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
4591Wie sie mich binden und packen!
4592Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
4593Schon zuckt nach jedem Nacken
4594Die Schärfe die nach meinem zückt.
4595Stumm liegt die Welt wie das Grab!
∞Mephistopheles
∞erscheint
draußen
4597Auf! oder ihr seyd verloren.
4598Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
4599Meine Pferde schaudern,
4600Der Morgen dämmert auf.
∞Margarete
4601Was steigt aus dem Boden herauf?
4602Der! der! Schicke ihn fort!
4603Was will der an dem heiligen Ort?
4604Er will mich!