10. Humboldt an Schiller.
Tegel, 17. Julius 95.
Ihr Brief ist, und zwar bis Berlin (denn von dort habe ich ihn unmittelbar erhalten) unbegreiflich lang unterwegs gewesen. Ich bekam ihn erst am 15ten, also 9 Tage, nachdem Sie ihn abgeschickt hatten. Je größer indeß meine Sehnsucht war, wieder etwas von Ihnen zu hören, desto innigere Freude hat er mir auch gemacht. Meine beiden haben Sie nun wohl schon erhalten.
Nach Lottchens Brief an die Li, die Sie beide herzlich umarmt, aber schwerlich selbst wird schreiben können, da sie ein Gerstenkorn am einen Auge hat, müßte ich beinah fürchten, Sie 58litten wieder an Ihrem gewöhnlichen Uebel, liebster Freund, und wenn das Wetter bei Ihnen wie hier ist, sollte es mich wenig wundern. Möge doch der Himmel Ihnen bald wieder recht heitre Stunden, und völlig freie Stimmung geben.
Die Epistel der Oßmannstädtischen Majestät ist ihrer ganz würdig. Verbissener Aerger, sogenannte feine Ironie, und eine gute Dosis recht eigentlicher Grobheit haben mir so die Ingredienzien dieser treflichen Mixtur geschienen. Den philosophischen Theil bescheide ich mich gern, nicht zu verstehen. Die Philosophie soll aus lauter Geist bestehen. Wenn das den Sinn haben soll, daß sie gar keines Buchstabens fähig ist, so ist niemand so schlimm daran, als die Philosophen, die doch nun einmal als endliche Wesen einen Buchstaben brauchen. Soviel ich einzusehen vermag, besteht Ihr freilich unverzeihliches Verbrechen darin, daß Sie Geist der Philosophie und nicht in der Philosophie gesetzt haben. Denn daß der letztere Ausdruck vom Meister selbst gebraucht wird, kann ich bezeugen, und da er sich auf mich, als auf einen Jünger bezieht, so muß er mein Zeugniß gelten lassen. Auf der 4ten Seite des Briefes hat er sich indeß selbst jenen ketzerischen Ausdruck entfahren lassen. In der That begreife ich nicht, wie man eine so simple Sache, daß jedes Ding, das auf Ideen beruht und von Menschen behandelt wird, außer seinem eigentlichen Gehalt eine äußere Form haben muß, und daß es unmöglich ist, einseitig bei der letzteren stehen zu bleiben, so ungeheuer verdrehen kann, und wie es nothwendig seyn soll, um vom Geist in der Philosophie zu reden, den Geist in den schönen Künsten abzuhandeln, man müßte denn psychologisch das Kleben am Buchstaben überhaupt untersuchen wollen, was aber freilich in ein ganz anderes Fach gehört, und einen noch weit andern Umfang erfodert. Daß die philosophische und ästhetische Urtheilskraft am Ende aus Einer Quelle entspringt, daß es beiden nur um Vorstellung zu thun ist, ist freilich wahr, scheint mir auch im geringsten nicht so neu; aber ich begreife immer nicht, warum man nun auch immer beide zugleich abhandeln müsse? Das von den Trieben Gesagte ist mir durchaus dunkel gewesen. Ueberhaupt zeigen sich diese Raisonnements so ab 59gebrochen, und durch Unwillen herausgestoßen in dem Briefe, daß man wohl vergebens nach ihrem Zusammenhang forschen würde. Die Stelle über Ihren Styl ist in der That groß. Auf der einen Seite Fichte an der Spitze aller alten und neuern Schriftsteller; auf der andern Sie allein. Jene verkannt, angegriffen, aber gelesen, verstanden und nachgesprochen, Sie gepriesen und bewundert, aber unverstanden und kaum gelesen. Wäre dieß ganze Urtheil über Ihre Manier zu schreiben bloß Folge der Animosität, so würde es mich keinen Augenblick wundern, allein wenn ich manche dunkle Aeußerungen, die ich sonst hörte, mit diesem Briefe zusammennehme, so muß ich schließen, daß das Resultat schon viel früher in ihm ebenso da war, und nun ist es in der That schwer etwas über diesen Gegenstand zu sagen. Was mich aber eigentlich indignirt, ist daß es dieser ganzen Tirade so an allem Geist und selbst an allem Scharfsinn fehlt. Uebersetzt man sie in simple Worte, so ist es das alte abgeschmackte Urtheil, daß Sie zu dichterisch schrieben, und schlechterdings nichts weiter. War es einmal darauf angesehen, ungerechter Weise zu schimpfen, so ließ es sich noch immer anders angreifen. Laut aufgelacht habe ich über die Stelle, daß man seine Perioden ihn selbst declamiren hören müsse. Unter allen Hofchargen wäre doch ein Hofdeclamateur, der zugleich HofApostel wäre, die nothwendigste, und das Subject dazu ist so nah. Gar lustig ist auch noch der Bückling, den die Belagerung so im Vorbeigehn erhält. Ich glaube wirklich, er meint, er könne Sie mit solchem Lobe, von der Philosophie weg, in die Poesie und Geschichte hinüberschieben. Wie billig man auch urtheilen möchte, so hat sich Fichte doch höchst unmännlich betragen. In ein solches und so weitläuftiges Geschwätz zu verfallen, ist in der That wie ein altes Weib, das Lust hat, sich einmal recht auszukeifen. Merkwürdig ist es auch, wie der Ton gegen das Ende zu immer ärger wird, und wie immer mehr das Nicht-Ich über das schwache Ich siegt.
[ Pniower Nr. 85: Für die ausführliche Nachricht von Göthens Faust meinen herzlichen Dank. Der Plan ist ungeheuer, schade nur, daß er ebendarum wohl nur Plan bleiben wird. ] An dem Hymnus 60haben Sie gewiß eine gute Acquisition gemacht, und es ist recht gut, daß es nicht der ganze ist. Denn dieser Hymnus besteht offenbar, obgleich Göthe es nicht finden will, aus zwei ganz verschiedenen Stücken, einem an den Delischen und einem an den Pythischen Apoll. Wahrscheinlich hat doch Göthe das ganze erste Stück übersetzt, und nur dieß ist sehr schön, das andre ist wirklich mittelmäßig.
Woltmann ist doch immer noch brauchbar, wie ich sehe. Bei Gelegenheit seines Romans fällt mir ein, daß er den der Mereau neuerlich recensirt hat, und daß Sie die Recension lesen müssen. Sie steht im 180. Stück der Allgemeinen Literatur-Zeitung. Sie werden einige Ideen aus Ihrer Matthissonschen Recension und ein Stück aus einer Theorie der Idylle, das mich sehr erbaut hat, darin finden. In Einer Stelle scheint er sich und Mademoiselle . . . geschildert zu haben. Aus dem Buch selbst ist eine philosophische Stelle angeführt, die in der That sublim ist und in der das Ich göttlich prangt.
Wegen Gros habe ich mit Hardenberg gesprochen. Er ist noch immer der Meynung, ihn anzustellen. Da mich Gros immer mit Hardenberg quält und gegen andre von einer Anstellung in Göttingen spricht, so vermuthe ich fast, er will den Ruf nach Erlangen als ein Mittel, etwas in Göttingen zu erhalten, brauchen.
Ich war indeß Einen Tag in Berlin und melde Ihnen doch einige possierliche Dinge.
Zuerst über die Horen. Nichts als was wir längst hörten. Die Unterhaltungen misfallen durchaus und total, auch der Procurator. Man klagt im Ganzen über Mangel an Leichtigkeit. Selbst die Epistel ist nicht verstanden worden. (!!) Der Dante gefällt nur mittelmäßig, Herder gar nicht. Entschiednes und allgemeines Glück hat bloß Ihre Belagerung gemacht. Doch scheint auch Körner und überhaupt das 5te Stück gefallen zu haben. Der Nationalcharakter soll recht hübsch seyn, einige trefliche Ideen haben, und nur hie und da ungleich geschrieben seyn. Ueber die Verfasser ist man in der größesten Verwirrung gewesen. Die Unterhaltungen hat man Göthe, den Fichtischen 61und Woltmannschen Aufsatz mir, meinen zweiten einem Unbekannten, der einige Ideen aus meinem ersten weiter ausgesponnen habe, die Belagerung Woltmannen (!) zugeschrieben. Eine Dame hat Ihre Belagerung zu taktisch gefunden. Herz hat über Ihre Briefe und über Anmuth und Würde ein eignes Gleichniß gebraucht. Man soll ein Gericht haben, wo Bambus-Rohr in Zucker und Gewürz eingemacht wird. Diesem gleichen Ihre philosophischen Schriften. Erst schmecken sie süß und zart, aber endlich bleibt etwas zurück, mit dem nun freilich nichts weiter anzufangen ist, weil es das bloße Holz ist. Das Prächtigste aber hat über Ihre Briefe Dyck, der Buchhändler, und noch dazu im Druck ausgehen lassen. Es soll in einem Buch stehn, dessen Titel man mir nur ohngefähr so angab: Politische Bemerkungen von einem Freunde der Wahrheit. In diesem Buche soll er sich wohl 4 Seiten lang über Ihre Briefe verbreiten, vorzüglich über die 3 Triebe. Die Kernstelle ist denn endlich die, daß man in 2–300 Jahren ebenso über diese Benennungen lachen werde, als man jetzt über Arends wahres Christenthum und Schmolkens Gebetbuch lache. Denn religiöse und philosophische Schwärmerei kommen doch am Ende auf Eins hinaus. Hennings hat schon vor Monaten ich glaube im Archiv der Zeit eine Recension der Schützischen Recension der Horen abdrucken lassen, die mit den Horen ganz honnett, aber mit dem Recensenten desto ärger umgehn soll.
Ein Urtheil von Jenisch über den Meister: „ich habe den Meister auf meiner Frau ihrer Toilette liegen sehn, stellen Sie Sich vor, der Mensch, der Göthe, spricht 5 Seiten lang von Puppenspielen.“
Göckingk empfiehlt sich Ihnen und findet sich durch Ihre Bitte um Beiträge zum Almanach sehr geehrt. Reinhard ist aber eben auf einer eigentlichen Reise nach Beiträgen in Berlin gewesen, und hat ihn ganz erschöpft. Ramler und Meyer fand ich noch nicht, allein wahrscheinlich gehören sie auch zu den Ausgesogenen.
Klopstock hat, ich denke auch im Archiv der Zeit, wieder ein grammatisches Gespräch erscheinen lassen, in welchem er die Kantische Terminologie durchzieht. Teleologische Urtheilskraft sey nach dem Object gemacht. Man werde bald sagen: das baumische Auge. Als parodie aller Kantischen Wörter hat er ein langes Wort gebildet. Es giebt nemlich im Aristophanes ein Wort, das aus lauter einzelnen Essen zusammengesetzt ist und ein Paar Zeilen einnimmt. So ist auch dieß Klopstockische. Das Ende soll heißen: ....
Die Inlagen bitte ich Sie zu besorgen. Den Brief mit den 10 Friedrichsd’or sind Sie wohl so gütig, mir aufzuheben.