131

52. Merck an Ricolai.

Darmstadt, 19. Januar 1776.

Ich danke Ihnen, liebster Fr., für Ihre gütige Anfrage, wodurch Sie mich beschämt machen und mir zeigen, daß ich schon so lange Ihr Schuldner bin. Im Ganzen will ichs aber nun nicht länger bleiben, und nehmen Sie diese Plauderey einstweilen à compte an. Ihre Recension bekommen Sie sicher noch vor Anfang der Frankfurter Messe. Der Quark, der noch von 1773 zurück ist, ist Nichts als eine Anzeige über einen noch kleinern Quark, der Journal der Literatur heißt und aus Nichts als Knaben-Exercitien besteht. Haben Sie’s absolut zu Ihrem Anhange noch eher nöthig, so nehmen Sie’s selbst von irgend einem Waaren-Lager auf, und brandmarken es mit 3 Strichen. Sie brauchen es auch nicht einmal gesehn zu haben. Und nun zu etwas Besserm.

Mir thuts leid, daß Sie von Einem meiner Freunde gekränkt werden und daß dies durch die niederträchtige Hände von Zuträgern und Anekdoten-Sammlern geschieht. Haben Sie denn nicht schon längstens den Menschen verachtet, der so Etwas fähig ist? Entweder ist es Schaden-Freude, oder Willen, Goethen zu schaden. – Freundschaft kanns nicht seyn, die Mährchen und Tischreden zuträgt. Was wird von dem sonderbaren Menschen nicht Alles erzählt! Wär’ Er Ich, so 132hätt’ ich ihm längst die Imputation gemacht, so aber kann ich von ihm auch gegen mich nichts Anderes sagen als: Dies thut wohl, und jenes weh. Er folgt ganz seiner Laune, unbekümmert über die Folge Ihrer Moralität, allein was er auch über Sie gesprochen und geschrieben haben mag, so ists Nichts als faunischer Muthwillen. – Zu rachsüchtigen Absichten, deren Ausgang Pasquillen und Trätschereyen wären, dazu hat er erstlich nicht die Seele, und 2tens nicht die Zeit, weil sein Kopf voll immer neuer Träumereyen schwirbelt. Von dem neuen Pasquill hab’ ich nirgends kein

*) Sprechweise wie in Schiller’s Wallenstein’s Tod III, 15, 157: „Alles ist Partei und nirgends kein Richter!“ oder in Goethe’s Meeresstille: „Keine Luft von keiner Seite.“

Wort gehört, und kann auf meine Ehre versichern, daß ich Nichts davon weiß. Ein Buch ließ sich von allen dem Thörichten und Bösen schreiben, was seine Landsleute selbst in Frankfurt und 3 Meilen von da mir selbst als Geheimnisse anvertraut haben, die wenn sie wahr wären, ihn seines Bürger-Rechts verlustig und vogelfrey erklärten; wovon aber Gottlob kein Jota wahr ist. Ich habe mich (ich will es denn einmal gestehen) für Sie, weil ich Sie kenne, gegen Andre die im Irrthum waren, oft heischer gepredigt, und am Ende Nichts als Undank verdient. Ich mag nun für Goethe die Litaney nicht wieder anfangen, allein das muß ich Ihnen doch aufrichtig versichern, daß er mit Wieland nicht spielt, daß er vielen Muthwillens, aber keiner Duplicität

**) Duplex Ulixes. Horat. od. I, 6, 7.

fähig ist, und daß wenn Sie mit ihm auf einige Abende nur so nahe wie Wieland zusammengesperrt würden, sie einander eben so lieb gewinnen würden, wie zwey Eheleute, die sich scheiden wollten, die aber der kluge Amtmann zum Schlafengehn mit einander beredet hat. Darf ich Sie im Namen Ihres Freundes Eberhard und Aller, die Sie lieb haben, bitten, 133so erneuren Sie niemals öffentlich die Fehde in der Bibliothek. Derjenige der schweigt, hat nach aller Erfahrung in den Augen des Publikums nie Unrecht, aber sehr oft derjenige, der zwar mit Nachdruck, allein als beleidigter Theil redet. Alles was diesen Menschen angeht, lassen Sie lieber durch Andre recensiren, und man wirds Ihnen als eine herrliche Großmuth zu Gut schreiben. Ich will nun einmal zwischen Euch Allen den Abbé de St. Pierre nicht machen, aber das ist gewiß, daß Ihr Alle soviel ich Euch kenne Jeder in seiner Art rechtschaffne und würdige Leute seyd, Ihr mögt auch Schwefel und Feuer einer auf den andern regnen lassen. Das Beste ist, daß ich an dem Herzen niemals bey einem wahren Kopf habe zweifeln dürfen. Eure Irrungen liegen alle im Kopf, und die mag eben der, der alle Farben-Brechungen in Einen Licht-Strahl zu ordnen weiß, zum Besten der Welt leiten. Es wird aber die Natur ewig bunt spielen. Amen! und zwar von Rechtswegen.

Sobald Sie die Stella als Charakterstück betrachten, haben Sie vollkommen Recht. Mir ist sie Nichts als Anlage von Situationen und gelungenen Situationen, wenigstens auf den Theater-Brettern, wo man durch den Schimmer des Détail nicht Zeit hat wahrzunehmen, daß das Grün des Hayns Wasserfarbe und das Sonnenlicht Talg ist. Die am Ende angebrachte Inscription der Griechischen Historie ist Einer von seinen großen Marktschreyerstreichen, womit er den Klugen einen Wink giebt, was er von der ganzen Fresko-Arbeit menschlicher Geschichte, die man Drama nennt, eigentlich selbst hält. Wenn Sie wüßten, wie ich oft mit ihm über Rationem artis disputire, und Sie sähen den Burschen im Schlaf-Rock und Nachtwamms der bonhommie, er würde Ihnen gefallen. [ Pniower Nr. 27: Sein Faust ist aber ein Werk, das mit der größten Treue der Natur abgestohlen ist, und die Stella wie Clavigo sind aufrichtig Nichts weiter als Nebenstun 134den

*) Operae subsecivae. Man erinnere sich der classischen Worte Merck’s über Clavigo, die er dem Verf. entgegenbrachte: „Solch einen Quark mußt Du mir künftig nicht mehr schreiben; das können die Andern auch.“

. Ich erstaune, so oft ich Ein neu Stück zu Fausten zu sehn bekomme, wie der Kerl zusehends wächst, und Dinge macht, die ohne den großen Glauben an sich selbst, und den damit verbundenen Muthwillen ohnmöglich wären. ] Dies Alles, was ihn angeht, sub rosa.

Und nun Eine Bitte, liebster Fr.! Könnten Sie nicht bei Hrn. Chodowieki und durch ihn verschaffen ein Verzeichniß von allen Werken, die er vor die seinige erkennt? Ferner bitten Sie Hrn. Mylius, daß er mir von der Stella einige Exemplare beylegt. Einige Weibleins und große Herrn warten mit Schmerzen darauf, und dieser Creaturen muß man sich erbarmen. Für die Fantasien Möser’s danke ich ergebenst. Die Anblicke von den Produkten eines solchen Kopfs sind wahre Herzensweyden, und ich weiß nicht, was ich mehr daran bewundern soll, die feurige Einbildungskraft, den baumstarken bonsens, oder den lebhaften Witz. Es ist Alles gesund an dem Menschen. Sodann meinen herzl. Gruß an das ganze Haus. Ich hoffe, Mdme. Nicolai hat sich in ihrer Gesundheit wieder erholt. Sie müssen nicht sogleich verzagen, wenn das Flämmchen ihrer zarten Lebensgeister zuweilen zittert. Es wird hoff’ ich für Sie und Ihre Kleinen zum Trost lange noch nicht verlöschen. Ein Bischen Distraction, und Nahrung der Einbildungs-Kraft erhält auch die schwächsten Weiber lange. Ich habe auch immer in meiner Familie dergleichen Anfälle, und noch vorigen Sommer meinen gescheutsten Jungen verloren, ein wahrer Engel, der vor mir hingegangen ist, wo wir Alle seyn werden

**) Siehe Nr. 47.

. Der erste Sturm war gewaltsam. Ich bezahlte der Natur ihren Zoll, aber nun kann ichs nicht begreifen, 135wie man so heftig über Etwas klagen kann, was uns eben so genommen ward, als es gegeben war. Ich mache überhaupt keine Plane, und so lang ich nicht prätendire und calculire, kann ich so gräulich nicht betrogen werden. Claudius kommt hierher, berufen von dem Präsident, auf ganz artige Bedingungen in Ansehung des Gehalts, aber in welcher Bestimmung, davon mag ich nicht reden. Für mich ist mirs lieb, und für ihn auch, daß er Brod hat. Allein sonst wird noch Vieles für ihn zu wünschen übrig bleiben

*) Vgl. Briefe an Merck. S. 112. Briefe von J. H. Voß. I. S. 334. II, 18.

. Leben Sie wohl, grüßen Sie Eberharden und behalten Sie mich ferner lieb.

J. H. M.