Dessau, 6. Dec. 1775 Abends.
Auf dieser ganzen Reise hat mir, außer der Schweiz, und freilich auch Hamburg ausgenommen, kein Ort so gefallen, wie Weimar. Ich will Dir die Hauptpersonen beschreiben. Der Herzog ist ein herrlicher achtzehnjähriger Junge, voll Herzens-Feuers, voll deutschen Geistes, gut, treuherzig, dabei viel Verstand. Engel Luischen ist Engel Luischen. Die verwittwete Herzogin, eine noch schöne Frau von sechsunddreißig Jahren, hat viel Verstand, viel Würde, eine in die Augen fallende Güte, so ganz ungleich den fürst 63lichen Personen, die im Steifsein Würde suchen; sie ist charmant im Umgang, spricht sehr gut, scherzt fein und weiß auf die schönste Art einem etwas Angenehmes zu sagen. Prinz Constantin ist ein herziges feines Bübchen. Eine Frau von Stein, Oberstallmeisterin, ist ein allerliebstes, schönes Weibchen. Wir waren gleich auf dem angenehmsten Fuß dort; es ward uns sehr wohl und ihnen ward auch wohl bei uns. Den Vormittag waren wir entweder bei Göthe oder Wieland, oder ritten mit dem Herzog auf die Jagd oder spazieren. Von zwei bis fünf Uhr waren wir bei Hof. Nach Tisch wurden kleine Spiele gespielt, blinde Kuh und Plumpsack. Von sieben bis neun Uhr war Concert oder ward vingt-un gespielt. Einmal war Maskerade. [ Pniower Nr. 26: Einen Nachmittag las Göthe seinen halbfertigen Faust vor. Es ist ein herrliches Stück. Die Herzoginnen waren gewaltig gerührt bei einigen Scenen. ] Den vorletzten Abend (d. 2.) waren wir bei Prinz Constantin; der Herzog, der Statthalter von Erfurt, ein trefflicher Mann von Verstand, Göthe und viele Cavaliere vom Hofe aßen mit uns. Da wir bald abgegessen hatten und recht guter Dinge waren, öffnete sich plötzlich die Thüre und siehe, die Herzogin Mutter mit der schönen Frau von Stein traten feierlich in die Stube, jede ein drei Ellen langes Schwert aus dem Zeughause in der Hand, um uns zu Rittern zu schlagen. Wir setzten uns nieder und die beiden Damen gingen vertraut um den Tisch herum, von einem zum andern. Nach Tisch wurde lange blinde Kuh gespielt. Einigen steifen Hofleuten waren wir, glaub’ ich, ein Dorn im Auge, aber alle guten waren uns herzlich gut. Den letzten Abend, nachdem wir uns schon bei Hofe beurlaubt hatten, aßen wir mit Göthe und Wieland allein. Unterdessen hatte Jemand dem Herzog bei Tisch ein Exemplar meines Frei 64heitsgesangs gezeigt, welcher ihm sehr gefiel. Er schickte mir das Exemplar und ließ mich fragen, ob ich’s nicht ‚dem großen Friedrich‘ dediciren wollte. Ich schrieb auf der einen Seite des Titelblatts eine ziemlich bittere Dedication an ‚den großen Friedrich‘ in Knittelversen, welche gut soll aufgenommen worden sein, obgleich die Herzogin Mutter leibliche Nichte des ‚großen Friedrich‘ ist. Wieland haben wir versprechen müssen, zuweilen Gedichte in den Merkur zu geben, dagegen versprach er künftig kein schlechtes Zeug in den Merkur zu nehmen. Göthe hab’ ich dießmal noch lieber gekriegt. Zwischen Weimar und Halle haben wir an der Saale herrliche Gegenden gehabt. Mit Empfindung habe ich Halle wiedergesehen; wir besuchten zwei Professoren, Vertram und Eberhard. Hier sprachen wir noch gestern Abend den braven Basedow. Ich hab’ ihn sehr lieb, den Dürster nach Wahrheit, den von Liebe der Menschheit durchglühten Mann! Von seinen Ideen ist er randvoll und läuft alle Augenblicke über. Heut’ Morgen waren wir in seiner Anstalt, welche aus fünfzehn Kindern besteht; wir erstaunten, Kinder von sechs Jahren zu sehen, welche jedes deutsche Buch, so wir ihnen vorlegten, ohne Anstoß in Latein übersetzten. Sie schwatzen und lesen Latein wie Deutsch. Und sind so froh und glücklich dabei! Nach seinen Planen muß ein Junge, wenn er fünfzehn Jahre alt ist, so weit sein, daß er studiren kann; dabei lernt jeder ein Handwerk oder die Handlung oder eine Kunst, damit er nicht nöthig habe, Brods halber zu studiren.
Den Mittag waren wir bei Hof. Der Fürst ist ein sehr braver Mann, den ich schon seit langer Zeit habe rühmen hören. Er hat dabei Verstand, ist sehr höflich, aber etwas kalt. Die Fürstin ist eine schöne junge Frau von fünfundzwanzig Jahren, sehr artig im Wesen. Den Nachmittag sahen wir auf einem gesellschaftlichen Theater eine Komödie aufführen, den Abend spielten und aßen wir wieder bei Hof. Basedow ist auf einem guten Fuße hier. Er ist aber traurig, weil sein Philanthropin nicht wird bestehen können. Er braucht nothwendig eine Summe von 10,000 Ducaten, hat in einem schönen freimüthigen Brief ganz Europa um diese Summe gebeten, aber noch erst etliche 100 bekommen, welche er nach Ostern zurückschicken muß, wenn die Summe nicht voll wird. Ist’s doch traurig, daß in ganz Europa sich so wenig Menschen für das Menschlichste Institut interessiren.