Darmstadt, Freitags den 30. Januar 1778.
... Wieland ist etliche Tage hier bey Merck gewesen, hat sich einen Tag bey dem Baron Groschlag (dem berühmten Mainzischen Exminister) zu Dieburg (4 Stunden von hier) aufgehalten, und hat nach seiner Zurückkunft hierher sofort seine Rückreise nach Weimar angetreten, auf welcher ihn Merck biß Frankfurt begleitet hat. Da haben sie zusammen (wie bey Wielands Herreise, da ihm Merck entgegengereiset ist biß Frankfurt) in dem Hause des Herrn Rath Göthe (Vaters des Weimarschen Göthe) einige Tage sehr vergnügt zugebracht.
... [ Zeugnis Nr. 39: Göthe hat das Manuscript von seinem Doctor Faust seiner Mutter in Frankfurt geschickt, die es, wie ein Heiligtum, verwahret. Einige Göthe-Freunde, die zu Frankfurt darin geblättert haben, können verschiedene Sachen darin nicht genug preisen. ]
Wieland soll in Mannheim mehr gefallen als Lessing. Sie, die Sie beyde kennen, werden wissen warum? Ich kenne Lessingen nicht persönlich, wohl aber Wieland. [von Nicolais Hand: Ja, Ja! Ich kenne aber Mannheim nicht!]
Wieland hat kürzlich einen Sohn bekommen und Mercken zum Gevatter gebäten, und so auch Merck Wielanden zum Pathen seines Jüngstgebohrnen. Beyde haben in Frankfurt in dem großen Saale im rothen Hause (einem der berühmtesten Gasthöfe) das Ihnen vermuthlich bekannte Gelese eines gewissen Biel’s, der die Messiade declamieren will, gehört; – aber mehr als unausstehlich gefunden. Wieland wollte aus Verdruß weggehen; aber auf Zureden Mercks, der ihm vorgestellt, daß es dem armen Teufel großen Schaden thun würde, wenn es in Frankfurt bekannt werden sollte, daß er weggegangen wäre, ist er geblieben; – beyde aber haben sich an den Ofen gesezt und zusammen biß zum ite! missa est! geschwätzt. Dieser Biel (ein wegen Sünde gegen das sechste Gebot verunglückter candidatus theol.) hat sich kürzlich auch hier in dem Saale des Herrn Geheimrath von Hesse, in Gegenwart vieler Durchlauchten, Excellenzen, Wohlgebohrnen, Hochedelgebohrnen, Hoch- und wohledlen Herren und Damens, hören lassen. Wenn ich es auch eher gewußt hätte, (da ich es erst erfahren habe, als das Gelese bereits dem Ende nahe war): so würde ich es doch, vorher von seinem Gehalte unterrichtet, nicht angehört haben. Morgen heißt es, werde er ein Stück aus der Hermannschlacht hier declamieren. Mich bekömmt er nicht.
Sie haben indes Brockmann bey sich gehabt. Hier ist seit 9 Monathen die Nestrich’sche Gesellschaft. Wenn die Glieder derselben auch lauter Brockmanns, Sacco u. dergl. wären, – wie sie nicht sind und nie seyn werden, – so würde ich doch aus guten Ursachen das Schauspiel nie besuchen; – wiewohl Herder die Weimarsche Privattheater im grauen Rocke besucht.
... Die Rede (im Teutschen Merkur, Monat November) gegen Lichtenbergs Aufsaz von der Physiognomik (im Göttinger Almanach) ist von Lenz, der seit wenigen Wochen verrückt seyn soll.