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Weimar 2. Sept.

Die 2 lezten Worte kan ich hier gar nicht zu mir sagen – ich wolte heute – dan morgen – jezt erst übermorgen.

Ich wil wieder in die obige Chronologie zurük. Bei Wieland must’ ich wegen meines weitgegitterten Sommerornats in der häslichen Kälte seinen Rok anziehen – den mir beim 2ten Dortsein der gute Patriarch sogleich selber brachte, heute fuhr ich mit ihm zurük – und seine rothe Nabelgurt umschnüren und gieng wie der Alte im Haus herum. Gott schenke jedem Dichter eine so anstellige, weich-anfassende, feste, nachsehende und nachlaufende biedere, klare Frau. Da im Reichsanzeiger über die Ruhr von Erkältung gelesen wurde: brachte sie mir warme Strümpfe aus Angst. Wieland stürbe an ihrem, wie sie an seinem Tode. Er hat mir seine Liebesgeschichten erzählt und also auch die lezte. Ach was hätt ich nicht alles vor dein Ohr und Herz zu bringen? In seinen Cölibats- und Witwen-Töchtern liegen schöne Herzen, aber mit den Gesichtern wils nicht fort. Und doch – Aber anders: nämlich sie sagte ihm 78Mittags den Vorschlag (und er behauptete ihn schon am Morgen gedacht zu haben) daß ich im entgegengesezten Hause wohnen (von Leipzig wegziehen) und bei ihnen essen solte (für Geld) – er sagte, er bekomme neues Leben durch mich – und alle liebten mich; – natürlich weil ich sie immer lachen mache und weil man die ganze Familie lieben mus. Ich verhies, in Weimar nachzusinnen. Allein das geht nicht, weil zwei Dichter nicht ewig zusammenpassen – weil ich keine Kette, und wäre sie aus Duft an der blassen Mondsgluth geschmiedet, anhaben wil – und weil ich gewis weis, daß ich in der Einsamkeit und in der Geselschaft darauf am Ende eine von seinen Töchtern heirathen würde, welches gegen meinen Plan ist. –

Ich wolte nach Gotha reisen, es wurde mir von mir und andern ausgeredet.

Ich durfte Sonabends nicht fort, war schon auf den Sontag beredet, als Merkel kam und mich im Wagen mitnahm. Bei Herder Sontags abends sah ich Falk – lang, schlank, mit wenig gebogner Nase, festsprechend, mehr mit den Personalien der Erde befangen, und angenehm – und Professor Meier, den tiefen Maler und Kunstkenner, aussen und als Mensch unbedeutend. – Am Sontage der Abwesenheit solt’ ich bei der Herzogin und bei der Wohlzogen essen. Montags Mittags – Diner bei Lichtenberg – abends bei Herder – Dienstags Mittags hoff ich hier. – Aber jezt lässet meine Memorie nach; kurz ich as nur 2mal im Gasthof und jeden Abend bei Herder, 2 ausgenommen, den am Donnerstag bei der Wohlzogen, wo es einen Puntsch ohne Gleichen gab, weil Rum stat Arrak seine Seele war und wo die Herren bei jeder Bowle sich zu einer neuen entschlossen. –

– – Ich komme eben wieder vom diner bei Herder und sas mehrere Stunden mit ihm allein in einer Laube. O lieber Otto, wie sol ich dir diesen grossen Geist auf der rechten Anhöhe zeigen, vor dem mein kleiner sich spanisch und türkisch beugt – diesen durchgötterten Menschen, der den Fus auf dieser Welt, und Kopf und Brust in der anderen hat – sein Wiegen der Arme, wenn ihn Gesang und Musik auflösen, und sein trunknes schwimmendes Auge – sein Erfassen aller Zweige des Baumes der Erkentnis – wiewohl er nur Massen, nicht Theile ergreift und stat des Baumes den Boden 79schüttelt, worauf dieser steht. Ich habe schon oft abends mit Thränen Abschied genommen; und er liebt mich gewis. – Er schreibt nächstens eine Metakritik Kants, der sich, wie er sagt, vor Haman tief gebogen haben sol.

Apropos ich war auch bei Goethe, der mich mit ganz stärkerer Verbindlichkeit und Freundlichkeit aufnahm als das erstemal: ich war dafür freier, kühner und weniger vol Liebe und darum in mich gegründeter. Er fragte mich nach der Art meiner Arbeiten, weil es völlig seinen Kreis überschreite, – wie mir Fichte gefallen. Auf lezteres: „es ist der gröste neue Scholastiker – zum Poeten wird man geboren, aber zum Philosophen kan man sich machen, wenn man irgend eine Idee zur transzendenten, fixen macht – Die Neueren machen das Licht zum Gegenstand, den es doch nur zeigen sol.“ – [ Gräf Nr. 945: Er wird nach 4 Monaten den Faust volenden; er sagt, „er könne 6 Monate seine Arbeit voraussagen, weil er sich zu einer solchen Stimmung der Stimmung durch gesch[eute] leibliche Diätetik vorbereite.“ ] – Schiller säuft 6 Loth Kaffee auf 1 Tasse und braucht Malaga und alles – nicht jeder ist im Kaffee so mässig als ich.

Auch bei der schönen, malenden und malerischen und dichterischen lmhof war ich, so bei Corona Schroeter – Bei der Herzogin Mutter as ich einmal Mittags, die unbefangen ist und macht. Sie und ihre Hofdamen lesen meine Sachen; ich machte viel Spas über Schlegel und sie hätte gern, daß ich ernsthaft gegen ihn schriebe. –

Morgen ess ich bei dem zurükgekehrten Böttiger. Ich war bei Wieland das zweitemal und liebte sein leichtes spielendes, bescheidenes und doch selbstrühmendes Wesen immer mehr und sagte ihm die Antwort: ich würde nämlich im Winter, oft in 14 Tagen 1 mal zu ihm kommen.

„Wie, was, wenn?“ sagst du. Ich ziehe nämlich hieher, im Oktober. Daher besah ich Gotha gar nicht. Ich müste des Teufels und des Henkers sein, wenn ich in der platgetretenen Leipziger Gegend und unter sonst lieben Menschen, worunter ich aber bei keinem eine Anspannung oder ein Verständnis hatte wie jeden Tag bei Herder, bleiben wolte, (und unter den abgegriffenen Krämern) da ich hier lauter ofne Häuser und fast Herzen vor mir 80habe – die beste Musik – den Adel – den Wechsel – ein Ansehen und einen bestimten Rang ohne Adreskalender – einen ewigen Sporn – und den Park – und meine Lust. Ach mehr! – Etwas thut dazu, daß mir mein sonst treflicher Hausherr ausbot, weil seine histerische Frau nach meiner Stube lechzete – und weil mein Bruder mir alles erleichtert, den ich jezt, wil er studieren, nach Jena schicken kan. – Ach ich habe 100 Gründe! Auch hätten gewisse Blumenketten in Leipzig in meine Brusthaut eingesägt, aus denen ich jezt mit verleztem Herzen treten werde. Siehst du, diese Ungewisheit des Orts und Bleibens, (daher ich Halberstadt besah,) quälte mich in der Leipziger bruderlosen Klause. Auch der Ort ist kleiner und am Herzen näher. In Halberstadt verhies ich, nach Halberstadt zu gehen. – Corona Schroeter und Einsiedel und Böttiger besorgen mein Quartier.

Eia, wären wir da!

Aber dan liebes Geschik, treibe mich nicht wieder aus, binde mich an meine Frau und an meinen Stuhl und führe mich in die Ruhe, die ich sonst so mied. – Sieh mein guter Otto, wie ich ohne dein Mitwissen nicht leben kan, und mach’ es auch so und lasse dein Leben nicht durchsichtig vor mir vorüberstreichen und entsühne meine Kleinigkeiten durch deine.

Die halbblinde Kalb ist leider nicht hier, aber der Winter bringt uns aneinander. – Mit hoher heiterer Stille erduldet sie ihre lange Nacht; aber oft auf einmal bricht nach Herders Versicherung, aus dieser bedekten Seele ein breiter glühender Strom.

Als einen Begrif der höhern Libertinage führ’ ich folgendes an: der Herr v. Wolzogen (der gegen die Pohlen diente, wovon ich 1000 Anekdoten hörte und vergas) sagte im Beisein der Verfasserin der Agnes von Lilien: „Die Hetären in Frankreich fodern sogleich nach der Befriedigung ihres Temperaments ihr Geld (sein Ausdruk) – hingegen die Italienerinnen küssen einen darauf noch sehr – und die Engl[änderinnen] passen phlegmatisch auf den Lohn.“ – Er gehörte in Paris zum corps diplomatique. Auf die Verfasserin der Agnes macht’ es keinen Effekt.

Auf der einen Seite bin ich euch allen jezt näher (ich brauche nur Einen längsten Tag zur Reise); auf der andern ferner, wegen 81des längern Laufs der Briefe, wiewohl deine nie einen sonderlichschnellen nach Leipzig hatten und ich also durch Weimar nichts verliere als den Datum – Nach Hof komm ich so diesen Herbst schwerlich – im Frühling gewis – im Winter vielleicht. –

Montags früh. Eben komm ich aus meinem schönen gemietheten Logis für 50 Rhtlr. mit Meublen und Bett, auf dem Markte.

Meinem Bruder werd’ ich, fals er am Parnas seinen Weinberg anlegen wil, jährlich etwas Festes auf 3 Jahr aussezen und keinen Dreier darüber. Ist er schlecht: zieh’ ich die Pension ein, die man z. B. Herder hier nicht französisch, [darüber: pangsion] sondern lateinisch ausspricht, so wie Orchester, [über „ch“ „g“] Projekt.

Eben empfang’ ich von meinem pastor fido Thieriot deine und andere Briefe. O dieses Verpflanzen nach Hof mitten in der Fremde quilt wie laue Frühlingsluft ins Herz! – Alle meine Standhaftigkeit und alle meine Liebe für den Schreibtisch gehört dazu, daß ich Euch entbehre in dieser Nähe.

Dein Kontra-Aviso ist treflich, wizig und recht; obwohl zu hart gegen den unschuldigen Verfasser.

Oertel hat unter seinem Namen etwas gegen Schlegel in den Merkur für mich eingesandt, das der alles duldende Böttiger (der Unter-Redakteur des Merkurs,) nicht recht haben wolte, das er aber auf Wielands Befehl einrücken mus, dem es sehr gefiel und der mirs vorlas.

Lieber Otto! Wie schreibst du mir so wenig, zumal von dir? Mit welchem Rechte oder Lohne geb ich dir meine Personalien wenns nicht die Hofnung auf die deinige ist? Schreibe mir bald das was dich so ruhig macht, [darüber:] nämlich „die neu entdekte unversiegliche Quelle.“ Erräth es denn niemand, daß es für einen fernen sehnsüchtigen Freund eine Gabe ist, wenn man ihm schreibt, wie oft man nieset, gähnt, lacht und weint? – Du hältst mich in Rüksicht der Ansichten und der Menschenliebe für veränderter als ich bin; ich bin der Alte in neuen Lagen; und bin den Menschen so gut wie sonst und ich habe nichts verloren als einige – Hoffnungen oder Träume.

Ich kam eben von Falk; wir können einander in die Fenster sehen und wir werden denk ich einander lieben.

Es ist eine Schwelgerei des Herzens, daß ich durchaus diesen Brief als den ersten jezt schon an dich endige – wiewohl ich ihn in meinen Schuhen nach Leipzig trage. – Grüsse deinen Albrecht, deinen lieben herzlichen Albrecht und deine Schwester und alle – und die Kranke, wenn sie nicht bleich ist – und dich. Wie komt es, daß ich Euch alle immer mehr liebe, je besser ich es habe und je mehr ich andere Liebende und Geliebte finde?