9/2673. An Johann Gottfried Herder
Nun, lieber Bruder, sollst du auch einmal etwas von mir finden. Ich habe mich der Briefe an deine Frau sehr gefreut. Mögest du immer gleich vergnügt und empfänglich immer weiter reisen.
Des Herzogs böser Fuß hält ihn wider seinen Willen hier und auf dem Canapee; er nimmt sich jetzt, da er die Nothwendigkeit sieht, sehr zusammen und läßt sich nicht merken, wie fatal es ihm ist; innerlich aber ist er in einer schlimmen Lage. Er hat sich in der Neigung zu dem Mädchen so ganz indulgirt, wie in seinem politischen Getreibe: beides hat keinen Zweck; wie soll es Zufriedenheit gewähren? Die Herzogin leistet ihm treue Gesellschaft mit guter Laune und Geduld. Ich esse alle Mittage mit ihnen und bin auch einen großen Theil des Tages dorten, wenn niemand anders da ist. So vergeht eine Zeit nach der andern; man wird des Lebens weder gewahr noch froh.
18 Deinen vierten Band habe ich größtentheils gelesen. Im 16. Buche habe ich mich sehr gefreut zu sehen, wie du die Völkerwanderungen von dem beginnst, was noch geblieben ist, von den ersten in die Gebirge getriebenen Völkern. Es giebt ein gar gutes und faßliches Bild. Das Christenthum hast du nach Würden behandelt; ich danke dir für mein Theil. Ich habe nun auch Gelegenheit, von der Kunstseite es näher anzusehen, und da wirds auch recht erbärmlich. Überhaupt sind mir bei dieser Gelegenheit so manche Gravamina wieder rege geworden. Es bleibt wahr: das Mährchen von Christus ist Ursache, daß die Welt noch 10/m Jahre stehen kann und niemand recht zu Verstand kommt, weil es ebenso viel Kraft des Wissens, des Verstandes, des Begriffs braucht, um es zu vertheidigen als es zu bestreiten. Nun gehn die Generationen durch einander, das Individuum ist ein armes Ding, es erkläre sich für welche Partei es wolle, das Ganze ist nie ein Ganzes, und so schwankt das Menschengeschlecht in einer Lumperei hin und wieder, das alles nichts zu sagen hätte, wenn es nur nicht auf Punkte, die dem Menschen so wesentlich sind, so großen Einfluß hätte. Wir wollen es gut sein lassen. Sieh du dich nur in der Römischen Kirche recht um, und ergötze dich an dem, was in ihr ergötzlich ist.
[ Gräf Nr. 880a: In meinen Schriften bin ich nur wenig vorgerückt. Der achte Band ist beinahe zusammen. Wieland hat ihn gegenwärtig in der Revision. Es sind 19 noch einige Kleinigkeiten dazu gekommen, das Übrige kennst Du. ]
Sonst weiß ich dir beinahe nichts zu sagen. Daß Frau und Kinder wohl sind, erfährst du von ihnen selbst; sie haben mich mit einer Bisquitetorte und ein Paar Kränzen, nebst fremden Früchten, zum Geburtstage erfreut.
Das Wetter ist immer sehr betrübt und ertödtet meinen Geist; wenn das Barometer tief steht und die Landschaft keine Farben hat, wie kann man leben?
Lebe wohl und glücklich! Du hast ja unerwartet eine Reisegefährtin gefunden; möge das Eurer Reise nicht schaden!
Fast hätte ich vergessen, dir für die Meistersängersprüche zu danken. Es ist sehr artig zu sehen, wie sie mit den platten Lebens- und Handwerksbegriffen gespielt haben.
Den 4. September.
Prinz August ist gekommen, mit dem ich vielleicht die nächste Woche nach Gotha gehe. Morgen fahre ich mit deiner Frau und der kleinen Schardt nach Kochberg. Es scheint, wir werden gut Wetter haben. Übrigens drücken wir uns unter dem cimmerischen Himmel, der unglaublich auf mich lastet. Alles wollte ich gerne übertragen, wenn es nur immer heiter wäre.
Lebe wohl. Du wirst nun wissen, was eine reine Atmosphäre ist, und wirst es noch mehr erfahren. Grüße deine Reisegesellschaft. Wie der Mensch ist, 20 muß es ihm werden. Da hast du nun gar noch ein zierlich Weibchen im Wagen.
Lebe wohl. Gedenke mein! Du brauchst mir nicht zu schreiben. Die Briefe an die Frau werden mir ganz oder zum Theil mitgetheilt.
Grüße Dalberg. In Rom findest du die versprochene Nachricht über die Deutschen Künstler zu Eurem Gebrauch.
W. den 4. September 88.
G.