Goethe hatte sich in die Sophaecke zurückgezogen, um nicht von dem Lampenschein geblendet zu werden, gegen welchen er sich außerdem durch einen grünen Schirm zu schützen suchte. Meine Frau sang den „König in Thule,“ „meine Ruh ist hin,“ dann später: „O neige, Du Schmerzensreiche“ u. s. w. Nach einigen freundlichen, „dem seelenvollen und innig leidenschaftlichen“ Vortrage der Sängerin gespendeten Worten, sprach er sich anerkennend und eingehend über die Compositionen des Fürsten Radziwill aus, die ihm ja auch, 203und zwar vorzüglich die Chöre, von unserm gemeinschaftlichen Freunde Zelter als vorzüglich gelungen gerühmt worden seien. Nur damit erklärte er sich nicht einverstanden, daß der Componist auch die Selbstgespräche Faust’s, welche sich wohl ohne musikalische Beihülfe zur Geltung bringen würden, mit Musik ausgestattet habe, wodurch das Drama den zwitterhaften Charakter des Melodrama’s erhalte, welches weder Schauspiel noch Oper, nicht Fisch, nicht Fleisch sei. In dieser Meinung wurde er noch durch die Mittheilung bestärkt, daß, wenn der Fürst die Monologe, welche er sicherer als irgend ein Schauspieler, auch mit Verständniß und tiefgefühlter Empfindung spreche und sich selbst auf dem Cello begleite, das Gedicht zur vollen Geltung gelange; wenn aber der Schauspieler die Rolle spreche, Musik und Rede oft auseinander geriethen, wodurch Zögerung und Fortschreiten an unrechter Stelle unvermeidlich würden. So angemessen der Stimmung die musikalische Begleitung zu Faust’s Monolog: „Verlassen hab’ ich Feld und Auen“ u. s. w. sei, so störe es jedenfalls, daß der Sprechende als abhängig, oft an unpassenden Stellen unterbrochen und aufgehalten von der musikalischen Begleitung erscheint. Er sei immer der Meinung gewesen, daß die bezeichneten Stellen keiner musikalischen Beihülfe bedürften, worin er vollkommen dem geistreichen Coleridge zustimme:
„An orphic tale indeed,
A tale divine of high and passionate thoughts,
To their own music chaunted.“
„Der Faust, ein orphisches Gedicht fürwahr,
Ein göttliches, voll hoher, leidenschaftlicher Gedanken
Ertönend zu der eigenen Musik.“
204Als von einer der anwesenden Damen bemerkt wurde, daß die Musik Beethoven’s zu Egmont’s Monolog im Kerker und zur Erscheinung Clärchen’s als Traumbild von unbeschreiblich rührender Wirkung sei, sagte Goethe: „Nun, da möcht’ ich doch auf den bedeutenden Unterschied der Situation der beiden Scenen aufmerksam machen. Faust kehrt von dem Spaziergange zurück; in ernste Betrachtungen versenkt, verweist er den knurrenden Pudel, der ihn stört, zur Ruh und begiebt sich dann daran, mit Sinnen und Nachdenken sich das Verständniß über die schwerste Stelle des Evangeliums zu erschließen. Dies Alles scheint mir zur musikalischen Begleitung nicht geeignet. Da ist es doch etwas Anderes, wenn Egmont den langentbehrten Schlaf herbeiwünscht.“ Mit einem Ausdrucke tiefempfundenster Wehmuth, die uns Alle zu Thränen rührte, recitirte Goethe die Worte: „Süßer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glück ungebeten, unerfleht am willigsten. Du lösest die Knoten der strengen Gedanken, verwischest alle Bilder der Freude und des Schmerzes: ungehindert fließt der Kreis innerer Harmonieen, und eingehüllt in gefälligen Wahnsinn versinken wir und hören auf zu sein.“ – „„Hier hab’ ich ausdrücklich angegeben, daß Musik seinen Schlummer begleiten soll, sanft während der Erscheinung des Traumbildes, das verschwindet, als die Trommeln der Wache ertönen, welche Egmont zum Blutgerüst begleiten soll. Hierbei ist allerdings die musikalische Begleitung angezeigt und Beethoven ist mit bewundernswerthem Genie in meine Intentionen eingegangen.““
An einem der folgenden Tage, an welchem wir wieder eine Einladung zu Frau von Goethe in den Garten erhalten hatten, fand auch Goethe sich ein und brachte das Gespräch wieder auf die Compositionen des Fürsten Radziwill, theils um meiner Frau, welche von den Verehrerinnen des fürstlichen Componisten nicht der geringsten eine war, etwas Freundliches über ihren Gesang zu sagen, theils – und vielleicht mehr noch – um sie wegen ihrer Schwärmerei für ihre geliebte Vaterstadt Berlin mit dem ihm eigenen liebenswürdigen Humor zu necken, sagte er: „Berlin mag sich, seitdem ich dort war und das ist schon lange her, sehr verändert und verschönert haben; allein zwei Dinge würde ich dort gewiß, eben so wie vordem, alltäglich wiederfinden: unter den Linden Staubwolken und am Himmel Regenwolken.“ – „Was die Staubwolken betrifft,“ entgegnete Laura, „so wissen wir uns zu helfen, entweder wir machen uns nichts aus dem Staube, oder“ – „wir machen uns aus dem Staube,“ unterbrach sie Goethe. – „Dies letztere Mittel,“ fügte Frau Ottilie hinzu, „würde sich doch wohl am meisten empfehlen.“ – „Und was die Regenwolken betrifft,“ nahm Laura ihre Rede wieder auf, „so würden Sie bei unserm Freund Zelter und auch sonst überall den Himmel voller Geigen finden, und das Cello des Fürsten Radziwill würde sich gewiß Ihres Beifalls erfreuen.“ – Meine Frau erging sich aufs Neue in lebhafter Schilderung des fürstlichen Componisten und Virtuosen und fügte dann hinzu: „Wir wollen es schon noch durchsetzen, daß Excellenz nach Berlin kommen, ich habe mit Doris und Rosamunde eine kleine Verschwörung gemacht.“ – „Und wollen Sie mir davon nicht vorher einen kleinen Wink 206geben?“ fragte Goethe. – „Nicht alles, aber etwas will ich davon verrathen. Wir halten die in Aussicht gestellte Sendung der delicaten Teltower Rübchen zurück und liefern sie nur aus, wenn Sie sie selbst abholen.“ – „Da seht ihr guten Kinder nun,“ sagte Goethe, zu den andern Damen gewendet, „wie gefährlich die lieben Berlinerinnen uns sind. Wenn es ihnen mit ihrem Lockvogel auf dem Cello nicht gelingt, so halten sie eine Lockspeise bereit, so daß wir am Ende doch wohl anbeißen.“
Wie angelegentlich aber auch meine Frau bei wiederholter Anwesenheit in Weimar ihre und der Freunde, namentlich des Fürsten Radziwill und Zelter’s, Wünsche und Hoffnungen, den in Aussicht gestellten Besuch Goethe’s in Berlin betreffend, diesem an’s Herz legte, immer wußte er mit irgend einem halb im Ernst, halb im Scherz gemeinten Vorwande auszuweichen. Wir haben ja, was wir früher von Zelter mündlich oft genug hörten, später in dem Briefwechsel gelesen, mit wie herzlichen Worten die Einladungen von Berlin ergingen, und von Weimar die Zusagen mehr zweifelhaft als zusichernd erfolgten. „Komm doch, lieber Junge,“ schreibt Zelter den 21. April 1814 an Goethe, „nur noch ein Mal vor meinem Tode nach Berlin, damit Du noch hier erfährst, wie der Himmel sein muß, wenn ich mich darauf freuen soll.... Lebe wohl, mein Allerliebster, der mein Leben bescheint, begrünt, und laß doch von Dir hören. Wenn ich nicht weiß, wo Du bist, weiß ich auch von mir nichts.“
Durch den General-Intendanten der Königlichen Schauspiele, Grafen Brühl, war Goethe ersucht worden, zur 207Sieges- und Friedensfeier in Berlin ein Festspiel für das Hoftheater zu verfassen, welchem Ersuchen er durch „Epimenides Erwachen“ nachkam. Zelter meldet dem Freunde über den Erfolg der beiden ersten Vorstellungen sehr Erbauliches, theilt ihm jedoch auch mit, daß die Berliner, (welche, wie Goethe nicht unbekannt war, zu seinem preußischpatriotischen Enthusiasmus nicht unbedingtes Zutrauen hatten) sein „Epimenides Erwachen“ verdolmetschten durch: „J, wie nennen sie das Erwachen?“ worauf Goethe erwidert: „Da wir die Berliner nun zum Calembour gebracht haben, so wollen wir es eine Weile dabei bewenden lassen.“ Dessenungeachtet wandelt ihn die Lust an, mit dem Berliner Theater in nähere Verbindung zu treten. „Da ich,“ schreibt er dem Freunde, „mit dem Grafen Brühl, den ich als Knaben gekannt, in gutem Verhältnisse stehe, und da es durch seine Bemühungen mit dem Epimenides so gut abgelaufen ist, so möchte ich ihm gern etwas zu Liebe thun und überhaupt mit dem Berliner Theater im Einverständniß bleiben. Es bedarf nur einiger Anregung, und ich arbeite wohl wieder eine Zeit lang für die Bühne, und da ist denn doch Berlin der einzige Ort in Deutschland, für den man etwas zu unternehmen Muth hat.“
Eine neue Veranlassung, den Freund zur Reise nach Berlin aufzufordern, gaben die schon mehrfach erwähnten Compositionen des Fürsten Radziwill zum „Faust,“ von denen einzelne Arien und Chöre bereits 1815 in einem engern Kreise bei dem Fürsten gesungen wurden: „Du bist eingeladen,“ schreibt Zelter an Goethe den 2. November 1815, „hast Du’s denn angenommen? Hänschen geht und sieht 208sich die Augen matt, willst Du denn nicht kommen? Nimm mir’s nicht übel, aber darin sind die Cäsaren (Napoleon?) ganz andere Leute, die kommen etwas weiter her, ungerufen, mit Sack und Pack und lassen sich keine Mühe verdrießen um unsertwillen. Es muß also doch etwas an uns sein, und Du bist nicht so weit her und wolltest nicht einmal kommen, wenn Du so freundlich und wohlmeinend eingeladen wirst? Da in Deinem Briefe vom 29. October 1815 keine Spur ist von Deinem Willen und Wollen; da Eure jungen Herrschaften hier sind; da mir die Großfürstin (die Gemahlin des Erzherzogs) voriges Jahr selber versprochen hat, nicht ohne Dich, Riemer und Meyer zu kommen, so wird mir bange, weil Gott wissen mag, wann wieder eine so gute Gelegenheit erscheinen soll, Dich hier zu sehen.“
Wie anerkennend auch Zelter die Compositionen des Fürsten und seine Liebenswürdigkeit rühmte, so vermochte er doch nicht den Freund zur Reise nach Berlin zu überreden. – Dieser schreibt ihm (den 21. Mai 1816): „Staatsrath Hufeland (der Lebensverlängerungs-Doctor) hat mich sehr freundlich auf künftigen Winter nach Berlin eingeladen im Namen des Fürsten Radziwill. Dergleichen Expeditionen werden mir immer unmöglicher. Ich würde nur mir selbst und Andern zur Last fallen. Mein Befinden verlangt die größte Gleichheit im Leben und Genießen.“
Zelter’s unbegrenzte Verehrung für Goethe und die durch des Dichters herzliche Zutraulichkeit herbeigeführte Verwöhnung des Berliner Musik- und Maurermeisters gaben Veranlassung, daß der Musiker in seinen Briefen zuweilen einen Ton anschlug, der von dem Hammerschlag des Maurers 209überboten wurde. Wenn er den Freund: „lieber Junge“ anredet und ihm schreibt: „Du bist zum Charfreitag nach Berlin commandirt,“ oder: „nun, mein Alter, raffe Dich auf und strecke Dich nach Berlin; es wär’ ein allerliebster Geniestreich, wenn Du, mir nichts Dir nichts, mit einem Male hier ankämst und nähmest, was so arme Leute geben können,“ – so glauben wir nicht, daß Goethe, der in diesem Jahre den 70. Geburtstag erleben sollte, wenn er auch die derbe Natur seines Freundes liebte und gegen Andere rechtfertigte, diesen allzu cordialen Ton für den angemessensten gehalten habe, zumal wenn es eine Einladung nach Berlin galt und die Einführung in die geselligen Kreise, in welchen Zelter das Wort führte.
*) Im December 1823 machte Eckermann Zelter’s Bekanntschaft bei Goethe, wo die heitern Stunden beim Mittagstisch sehr angenehm vergingen. „Als ich darauf,“ erzählt Eckermann, „mit Goethe allein war, fragte er mich: nun, wie gefällt Ihnen Zelter?“ Ich sprach über das durchaus Wohlthätige seiner Persönlichkeit. „Er kann,“ fügte Goethe hinzu, „bei der ersten Bekanntschaft etwas sehr derb, ja mitunter sogar etwas roh erscheinen; allein das ist nur äußerlich. Ich kenne kaum Jemanden, der zugleich so zart wäre, wie Zelter. Und dabei muß man nicht vergessen, daß er über ein halbes Jahrhundert in Berlin zugebracht hat. Es lebt aber, wie ich an Allem merke, dort ein so verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delicatesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muß, um sich über Wasser zu halten.“ (Gespräche mit Goethe.)
Nichts legt ein beredteres Zeugniß für Goethe’s liebenswürdigen Charakter ab, als die milde freundliche Weise, in welcher er die neuen Anläufe, welche Zelter nimmt, ablehnt. „Soll ich,“ antwortet er den 7. Juni, „an Berlin denken, so macht mir’s eine traurige Empfindung, daß ich 210des Guten, was mir dort zu Theil werden sollte, mich nicht erfreuen darf. Ich habe zwar auf der letzten Reise nach Karlsbad mancherlei gewagt und unternommen und es ist mir Alles geglückt, aber genau besehen, blos deshalb, weil nicht allein jeder Tag, jede Stunde, sondern auch jeder Augenblick von mir abhing; ich konnte bis an das Ende meiner Kräfte gehn und zuletzt ohne Rücksicht rechts, links wenden, oder auch umkehren. Wie ist dies in einem so großen, complicirten Zustand denkbar? Was soll ich nun aber zu Eurer faustischen Darstellung sagen? Die treue Relation, die ich Dir verdanke, versetzt mich ganz klar in die wunderlichste Region. Die Poesie ist doch wirklich eine Klapperschlange, in deren Rachen man sich mit widerwilligem Willen stürzt. Wenn Ihr freilich wie bisher zusammenhaltet, so muß es das seltsamste Werk sein, werden und bleiben, was die Welt gesehen hat.“ –
Nicht sowohl, weil ich als Mitglied der Singakademie in den Chören mitwirkte, vielmehr weil meine Laura die Lieder und das Duett mit Faust-Radziwill sang, erhielten wir zu jeder der Proben und Aufführungen Einladungen und zwar von dem Fürsten persönlich, da er und sein Cello zum Einstudiren der Gesangstücke sich immer zuvor bei uns einfanden, obschon ich im dritten Stockwerk wohnte, welches zu ersteigen dem etwas corpulenten Fürsten einige Anstrengung kostete. Später ließ er sogar eines seiner Instrumente bei uns als „Stammgast“ zurück, und so geschah es, daß, als er starb, dieser verwaiste Gast, von Laura mit einem Trauerflor und einem Lorbeerkranz geschmückt, noch einige Wochen als „Leidtragender“ in ihrem Zimmer vereinsamt dastand.
211Zelter’s Briefe hatten den Wunsch Goethe’s, über die Compositionen und die Aufführungen Näheres zu erfahren, rege gemacht, so daß bei einem unserer Besuche in Weimar, er meine Frau bat, eines oder einiges daraus am Flügel zu singen. Laura konnte dieser Aufforderung nur in einer sehr beschränkten Weise genügen, da die Musik damals noch nicht im Druck erschienen war. Sie sang aus der Erinnerung die Romanze: „Es war ein König in Thule,“ welche Goethe wegen ihrer Einfachheit belobte und dabei bemerkte: Freund Zelter habe sie zwar auch sehr schön, freilich aber nur für einen mit hinreichender Grundgewalt der Baßstimme begabten nordischen Skalden, nicht für das milder gestimmte Naturkind componirt. Ueber eine der unlängst stattgefundenen Aufführungen in dem fürstlich Radziwill’schen Hôtel erstattete ich, von meiner Frau unterstützt, ausführlichen Bericht, welcher etwa Nachstehendes enthalten haben mag:
Die an den Königlichen Hof ergangenen Einladungen lauteten auf 7 Uhr pünktlich; die an die Gäste 6½ Uhr, die an die Mitwirkenden auf 6 Uhr. Die Mitglieder des Hoftheaters unter des Grafen Brühl, die der Singakademie unter Leitung des Professors Zelter, die der Königlichen Kapelle unter der des Kapellmeisters Weber, standen in geordneten Reihen und Gruppen, als der Hof eintrat. (Hierbei will ich nicht unerwähnt lassen, daß der König Friedrich Wilhelm III. nur einer einzigen Vorstellung beigewohnt hat. Wie verlautete, war er nicht nur gegen die Dichtungen Goethe’s, namentlich gegen den Faust, sondern auch gegen den Dichter persönlich eingenommen, was aus einer Begegnung mit ihm in der Rheincampagne sich herschrieb, wo Goethe in einer Anwand lung satirischer Laune – er schrieb damals seinen Reineke Fuchs – sich in Gegenwart des preußischen Kronprinzen mißfällige Anspielungen erlaubt haben soll.) – Die Seele der Vorstellung, das ordnende und bewegende Lebensprincip bei einer solchen Vorstellung war der Fürst mit dem Cello zwischen den Knieen, Ton und Takt angebend, zuweilen die Monologe allein begleitend und recitirend – besonders rührend die Gespräche Gretchens mit Faust –, zuweilen auch hinter der Scene die Worte des Erdgeistes sprechend. Die gelungensten Vorstellungen waren die, bei denen Wolff die Rolle des Faust, der Herzog Karl von Mecklenburg die des Mephistopheles, Frau Stich (später ihre Tochter Clara) die Gretchens, deren Gesangstücke Laura (später die berühmte Sonntag) vortrugen. Wie aber auch noch bei den heutigen Vorstellungen im Theater die Chöre von der allermächtigsten Wirkung sind, so waren sie es bei jener ersten im Radziwill’schen Palais in einem noch höheren Grade. In gestrenger Weise handhabte der Fürst die Ordnung im Saal. Wenn er das Zeichen zum Beginn gegeben, dann wurden die Thüren geschlossen; kein Stuhl durfte gerückt, kein Wort gesprochen werden. Als einmal nach dem Beginn an die geschlossene Thür heftig geklopft wurde und man dem Fürsten meldete: Prinz August Königl. Hoheit habe geklopft, rief der Fürst sehr vernehmlich: „muß warten, bis die Scene zu Ende ist.“ – An demselben Abend gab es noch einen sehr belustigenden Auftritt. Der Herzog Karl hatte als Mephisto die Beschwörung zu sprechen: „Der Herr der Ratten und der Mäuse,“ – bei der folgenden Zeile hielt er an und mit Rücksicht auf die unmittelbar vor ihm in erster Reihe sitzende 213Kronprinzessin, Prinzessin Karl, Wilhelm die ältere und die jüngere, sowie auch andere prinzeßliche Backfische, unterdrückte er die Worte:
und fuhr sogleich fort: „befiehlt dir, dich hervorzuwagen und diese Schwelle zu zernagen.“ Nun hatte der Fürst diese Scene dadurch noch graulicher zu machen gesucht, daß die Beschwörungsworte als ein Echo aus der Hölle von ihm selbst aus einem Versteck mit dröhnender Stimme wiederholt wurden. Als nun Mephisto jene bedenkliche Zeile ausließ, streckte der Fürst sein weißes Haupt mit flammenden Augen aus dem unterirdischen Versteck hervor und rief: „Herzog Karl! ich kann Ihnen die „Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse“ nicht schenken! noch einmal, da capo!“ Unter einem homerischen Gelächter, bei welchem der überlustige Kronprinz es allen Andern zuvorthat, mußte der Herzog von Mecklenburg sich als den Gebieter über all das ekle Ungeziefer bekennen. Zu einem nicht geringeren Ausbruche einer sogenannten „ungeheuern“ Heiterkeit ließ der Kronprinz sich hinreißen, als bei einer späteren Aufführung bei Anwesenheit der Prinzessinnen und ihrer Damen die Scene in Auerbachs Keller zur Darstellung kam und der Königliche Opernsänger Zschiesche mit seines Basses Grundgewalt das Lied von dem großen Floh nach Zelter’s Composition vortrug. Schwerlich aber dürfte jemals auf der deutschen Bühne ein vortrefflicherer Mephisto auftreten, als wir ihn von dem Herzog Karl dargestellt sahen. Dieser wurde hierbei nicht nur durch sein Naturell unterstützt: Ueberlegenheit durch satanischen Humor, Verachtung des weiblichen 214Geschlechtes wegen anderer Gelüste, Freisein von jeder Verlegenheit durch Geistesgegenwart, Schadenfreude, Heuchelei, allerunterthänigster Sclavensinn nach oben, rücksichtslose Tyrannenseele nach unten, – sondern auch das eingelernte und eingeübte feine Benehmen des vornehmen Hofmannes, die Gewandtheit des Weltmannes, der sich immer und in jedem Verhältnisse obenauf zu halten wußte (obschon es auch ihm nicht an offenen Gegnern und heimlichen Feinden fehlte), kamen ihm in dieser Rolle zu Statten*). So großen Beifall auch die berühmten Schauspieler Seydelmann, Dessoir, Döring und andre in dieser Rolle gewonnen haben: keiner von ihnen reichte auch nur im Entferntesten an die Virtuosität, mit welcher Herzog Karl den Mephisto gab. – Nach beendeter Aufführung blieb die gesammte Gesellschaft zum Abendessen beisammen, welches in einem von Schinkel nach dem Ordensrempter der Marienburg in Preußen erbauten, nur von einer Säule getragenen Saale angerichtet wurde. Es wurde an größern und kleinern runden Tischen nach Belieben Platz genommen. Der Fürst und die Fürstin machten in liebenswürdigster Weise die Wirthe und nahmen bald an diesem, bald an jenem Tische Platz bei den Sängern und den Mitgliedern der Kapelle, welche in derselben Weise wie der Königliche Hof, dessen Tafeln sich in demselben Saale befanden, bewirthet und bedient wurden, wobei das bekannte 215Sprichwort: „cantores amant humores“ nicht allein durch fröhlichen Humor, sondern auch bei den schäumenden Feuchtigkeiten des Champagners zu vollkommenster Geltung kam. –
Uebrigens sei hier bemerkt, daß Goethe durch den Fürsten selbst schon 1814 nähere Auskunft über das Vorhaben, den Faust zur Aufführung für die Bühne zu bearbeiten, erhalten hatte. In den Tages- und Jahresheften (Bd. 32 der Werke. Ausgabe 1830) finden wir folgende Notiz: „Der Besuch des Fürsten Radziwill (1814) erregte eine schwer zu befriedigende Sehnsucht; seine genialische, uns glücklich mit fortreißende Composition zu Faust, ließ uns doch nur entfernte Hoffnung sehen, das seltsame Stück auf das Theater zu bringen.“ Hier sei nun auch angeführt, was mir in Weimar durch den Kanzler Müller und Professor Riemer im vertraulichen Gespräch als eine Entschuldigung für Goethe, daß er Zelter’s Einladung wiederholentlich abgelehnt, eröffnet wurde. „Goethe,“ sagte mir der Kanzler Müller, „war nicht in der Lage, nach Berlin ausschließlich als der Freund Zelter’s zu kommen, als großherzoglich weimarischer wirklicher Geheimerath mußte er erwarten, eine Einladung in herkömmlicher Form von dem Könige, dem Kronprinzen oder den Prinzessinnen Wilhelm und Karl, welche er gern seine lieben Schülerinnen nannte, zu erhalten. Eine solche förmliche Einladung hat er nie erhalten; außerdem war ihm nicht unbekannt geblieben, daß er als Dichter sich niemals auch nur der geringsten Anerkennung bei Sr. preußischen Majestät zu erfreuen gehabt, im Gegentheil – – wie dies auch dadurch ihm zu erkennen gegeben worden sei, daß, 216selbst nachdem ihm von dem Kaiser Napoleon, dem Kaiser Franz von Oestreich, dem König Ludwig von Baiern Orden verliehen worden seien, von dem Könige von Preußen weder ihm noch Schiller eine solche Auszeichnung zu Theil geworden sei. Was ihn aber noch mehr als alle andern Rücksichten von einem Besuche Berlins im vorgerückten Alter zurückhielt, war die Befürchtung der Ovationen des Publikums im Theater, was nur die Partei der Gegner – und diese war, wie er wußte, zahlreich vertreten – zu Gegen-Demonstrationen herausgefordert haben würde. – Die wahren Verehrer und Verehrerinnen des großen Dichters waren immer der Ansicht, daß es durchaus nicht gerathen sei, Goethe zu der Reise nach Berlin zu veranlassen.“
[ Gräf Nr. 1617: Die Berichte, welche ich und meine Frau bei unsern öfter wiederholten Besuchen in Weimar dem Dichter persönlich erstatteten, gaben mir erwünschte Veranlassung, über eine und die andere Stelle im Faust mir Aufschluß und Belehrung zu erbitten, wobei ich gelegentlich auch Näheres über den zweiten Theil und über den Abschluß des Ganzen zu erfahren suchte. Ich erhielt nur ausweichende Antworten; ich erinnere mich nur, daß, als ich die Vermuthung aussprach, die Schlußscene werde doch wohl in den Himmel verlegt werden, und Mephisto als überwunden vor den Hörern bekennen, daß „ein guter Mensch in seines Herzens Drange sich des rechten Weges wohl bewußt sei,“ – Goethe kopfschüttelnd sagte: „Das wäre ja Aufklärung. Faust endet als Greis, und im Greisenalter werden wir Mystiker.“ ] [ Gräf Nr. 1948: Bei meinem letzten Besuche (1831) lagen zwei starke Foliobände, Manuscripte enthaltend, auf seinem Arbeitstische, 217und auf diese zeigend, sagte er: „Unter sieben Siegeln liegt hier der zweite Theil des Faust verschlossen; erst aber, wenn ich es nicht mehr im Stande sein werde, mögen Andere ihre Hand daran legen.“ ] Und so geschah es: der zweite Theil des Faust erschien vollständig erst nach des Dichters Tode.
[ Gräf Nr. 1617: Ich suchte das Gespräch wiederum auf die Bearbeitung des Faust für die Bühne zu leiten, und Goethe stimmte meiner Ansicht bei, daß die großen Dramen und Tragödien in alter wie in neuerer und neuester Zeit nur durch die Vorstellungen auf der Bühne zu allgemeinem Verständniß und allgemeiner Anerkennung gelangt wären. „Aber eben die Bearbeitung,“ bemerkte Goethe, „das ist der schwierige Punkt, zumal bei einem Drama wie der Faust, bei welchem der Dichter von Haus aus gar nicht an eine Aufführung auf der Bühne gedacht hat. Hält es doch schwer genug, selbst die gedrungensten Stücke Shakespeare’s, der doch ausdrücklich nur für die Darstellung schrieb, für unser Theater bühnengerecht zu bearbeiten. Sie haben ja das selbst bei Ihrer Bearbeitung Richards III. erfahren, von der ich durch die Aufsätze in Ihrem Berliner Conversationsblatte Kenntniß genommen habe.“ – „Es haben mich,“ entgegnete ich, „bei der Bearbeitung dieses größesten seiner historischen Trauerspiele vornehmlich die von Ihnen in dem Aufsatze: „Shakespeare und kein Ende“ niedergelegten Ansichten geleitet, und würde ich Ew. Excellenz Geduld und Zeit nicht zu sehr in Anspruch nehmen, so bäte ich um die Gunst, Ihnen eine kurze Angabe meines Verfahrens bei dieser Arbeit vortragen zu dürfen.“ – „Ueber das Wesentliche,“ bemerkte 218Goethe, „bin ich durch die publicirten Aufsätze bereits unterrichtet; doch soll es mir lieb sein, von Ihnen darüber auch noch mündliche Mittheilung zu vernehmen. Sie besuchen mich ja wohl morgen um diese Stunde wieder.“ ] Ich empfahl mich und fand mich am nächstfolgenden Tage zur bestimmten Stunde wieder ein. –