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Ein Besuch bei Goethe.

Mitgeteilt von Richard Maria Werner in Lemberg.

Schon vor längeren Jahren schickte ich dem Freiherrn von Biedermann den nachstehenden Bericht über einen Besuch bei Goethe für die Nachträge zu seinen „Gesprächen“; da diese aber auf sich warten lassen, möchte ich ihn doch nicht länger der allgemeinen Benutzung entziehen. Er steht in der Zeitschrift „Der Salon“ . . . herausgegeben von Sigm. Engländer, III. Wien 1847. S. 78–82 unter dem Titel „Norddeutsche Städte. I. Weimar 1830“. Der Verfasser hat sich nicht genannt. Ich teile das Wichtigste aus dem Aufsatz mit, ohne die schauderhafte Orthographie des „Salon“ beizubehalten:

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Mit einem Empfehlungsbrief von Rosa Maria in Hamburg und einem ditto von Rath Ludwig daselbst, begab ich mich zu Riemer, einem alten, unbehilflichen, gar nicht hübschen Herrn, der mich aber sehr gutmüthig empfing, jedoch drei Schritte zurückprallte, als er erfuhr, weshalb ich eigentlich nach Weimar gekommen sei. „Goethe sehen? – Unmöglich! Er ist fast für Niemanden mehr sichtbar, verläßt kaum sein Arbeitszimmer, ist überhaupt alt geworden seit dem Tode seines Sohnes“ – das war die Antwort, die ich am ersten Tage von Riemer erhielt, und St. Schütze und mein guter, alter, dicker Hummel sprachen ganz dasselbe.

„Da bist du denn an die 70 Meilen umsonst per pedes gewandert, sagte ich mir und wanderte ziemlich verdrossen in mein Quartier Ich wohnte am Elephantenthor und der ewig selige Wirth, als er glücklich von mir herausexaminirt hatte, daß ich ein der Redensarten Kundiger und des Schreibens Beflissener sei, versicherte mir mit schwerer Zunge, das Stübchen, welches ich bewohne, sei dasselbe, in welchem die berühmte Frau von Arnim (Bettina) immer gewohnt habe ..... Wer von Dresden und Leipzig kommend noch eine miserablere Table d’hôte, als sie dort existirt, finden will, der gehe getrost nach Weimar und der Himmel weiß es, wie ich, der ich sonst in diesem Punkte sehr schen bin, mich bei Hummel und meiner alter Jugendfreundin, der nun auch verstorbenen Hofschauspielerin Zischka, nicht vergeblich zu Tische bitten ließ. Auch bei dem Schauspieler Graf war ich einige Male zu Tische, und dieser erste Wallenstein erzählte mir viel Schönes von der schönen, weimarschen Zeit, die nun schon so lange vorüber sei und merkwürdig war für mich sein Ausspruch: „Seit Schiller starb, ist zeitlich auch Goethe für uns andere todt, er lebt nur noch für sich selbst.“ Das war, wie ich später erkannte und wie auch Andere mir bestätigten, eine furchtbare Wahrheit .....

Abends besuchte ich das Theater. Es wurde Marschners Vampyr gegeben, ein selbständiges, geniales Werk, wenn auch ganz im Genre des Freischütz, die Kapelle unter Hummels Leitung .... war ausgezeichnet brav ....; Genast als Vampyr, er ist der erste Darsteller dieser Parthie, war wahrhaft groß .... alles Andere war ziemlich mittelmäßig und der Chor geradezu schlecht; als ich meinem dicken Hummel dieses vorwarf, erwiderte er: einen guten Chor in Weimar zu Stande zu bringen, ist eine Unmöglichkeit, es wird den Leuten zu viel zugemuthet und sie haben dafür nichts als Knakwürste und Butterbemchen . . . Der Elephantenwirth verkündigte [am andern Morgen]: „bei mir sitzt der Herr Hofrath Riemer und will Sie sprechen gleich.“ – Ich flog in den Elephanten, Riemer saß am Fenster und betrachtete sich die eben vorübergehenden, zweifarbig gekleideten Karrensträflinge.

„Hören Sie Kind – ich zählte damals schon 31, – rief er mir zu – hören Sie, diesen Nachmittag können Sie mit mir zu Goethe gehen.“ Ich fiel ihm um den Hals. – „Nu, nu! gesetzt, nur nur hübsch gesetzt, sie sind ein Glückskind, aber gesetzt nur!“ –

Nachmittags zwischen 3 und 4 trat ich mit Riemer in Goethes Haus. Er hatte mich gefragt, ob ich den Damen vorgestellt zu sein wünsche; ich Bär hatte es abgelehnt und so sah ich Ottilien nur flüchtig, die eben die schöne, breite Treppe herabkam, als wir selbe hinaufstiegen. Im Empfangszimmer trafen wir Goethes Liebling, die kleine Alma, das holde Kind sprang dem alten Freunde ihres Großvaters entgegen und da der alte Herr etwas lange auf sich warten ließ, so machte ich unterdeß mit dem lieblichen Kinde gute Bekanntschaft, das mir bald ohne Umstände auf den Schooß stieg und treuherzig sprach: „erzähle mir auch was.“ Ich erzählte der Kleinen eines meiner Märchen, (irr’ ich nicht, so war es das vom Findelhanschen) und das Kind, sein liebliches Lockenköpfchen an meine Brust lehnend und meine rechte Hand mit seinen beiden Händchen festhaltend und von Zeit zu Zeit drückend, lauschte mir mit einer Andacht, wie sie sich nur bei 340Kindern findet; mitten in meiner Erzählung trat Goethe ein – Riemer erhob sich, ich wollte es, allein Alma hing sich wie ein kleiner Bleiklumpen an meinen Hals und rief: „Du sollst mir alles erzählen, wie es geworden ist.“ – „Da muß ich mit zuhören!“ sprach der Gewaltige mit freundlichem Lächeln, „erzählen Sie zu Ende.“ Somit setzte er sich, Riemern stumm begrüßend. Es läßt sich denken, daß ich mein Märchen so schnell wie möglich zu Ende brachte, aber doch besaß ich Eitelkeit genug, mir Mühe zu geben, gut zu erzählen. Es mochte mir gelungen sein, denn Goethe sagte:

Von wem ist das Märchen?
Von mir –
Hat es dir gefallen, Alma?
Ja wohl!

„Schön!“ und nun begannen die gewöhnlichen Fragen, was? woher? wohin? [ Gräf Nr. 1897: Geistreich, das muß ich sagen, war meine Unterhaltung mit Goethe aber nicht, bis ich meine mitgebrachten Mefistoskizzen auskramte. Diese schienen den alten Herrn zu interessiren, allein er tadelte mich, daß ich nur den Teufel mir zum Helden erwählte; „das Böse,“ dies sind Goethes eigene Worte, „steht dem Guten gegenüber, mithin darf nie der Gegensatz zum Bösen, nämlich das Gute, fehlen Wie wäre es, wenn Sie einen modernen Faust zeichneten, einen Destillator des unsichtbar Dämonischen in jeglichem Leben und Treiben? Einen Aufdecker schlimmer Zukunft und gut scheinender Gegenwart, und so umgekehrt! – einen gewaltigen Prediger des ‚Richtet nicht!’ – Maler Faust! – was sagen wir dazu?“ – Ich wußte denn freilich damals nichts zu sagen, und mag dem großen alten Herrn wohl mit einem echten Schafsgesichte ins große braune Auge gestiert haben, der aber wußte wohl, wie er das zu nehmen habe, nickte mir freundlich zu, sprach noch einige Worte mit Riemer, und gab dann durch Aufstehen das Zeichen, daß wir uns trollen könnten, ] jedoch nicht, ohne mich aufzufordern, ihn wieder zu besuchen, wenn ich nach Weimar zurückkäme. Als ich mich dann trollte, hing Alma sich an meinen Hals, und ich mußte die kleine Elfe so die Treppe hinabtragen, was dem alten Herrn gar sehr zu gefallen schien.

Wie ich den gräßlichen Fehl beging, den Dichterfürsten mit Goethe schlechtweg anzureden, wie mich Riemer deshalb noch vor der Hausthüre grimmig anfiel, das ist schon an anderen Orten genugsam erwähnt und bewitzelt worden, ich kann aber versichern, daß Goethe meine Treuherzigkeit nicht im Mindesten übel vermerkte, und ich mag es nicht wieder sagen, was mir später Graff, Hummel und St. Schütze darüber sagten, weil es arrogant klingen würde, obwohl es nur einfache Wahrheit ist. Ich muß aber darauf aufmerksam machen, daß Goethe den Menschen stets nahm, wie er sich gab, gab er sich anders nur wie er wirklich war ......

..... Ich habe mein Ziel erreicht, Goethen gesehen, gesprochen, hatte Schillers und Herders Haus besucht, in der Tafelloge nach Kräften gefeiert, und somit in Weimar nichts mehr zu thun ....“

Für mich unterliegt es keinem Zweifel, daß dieser Aufsatz, wie ein paar ähnliche über Hamburg (mit einem Briefe Heines) und Berlin (mit Erinnerungen an E. T. A. Hoffmann) Johann Peter Lyser verfaßt habe; einige Aufsätze des „Salon“ hat er mit seinem Namen versehen, und vieles in der Erinnerung an den Besuch bei Goethe stimmt mit Lysers Biographie, nur das Alter nicht, denn nach Brümmer 14, S. 458 ist Lyser erst 1804 in Flensburg geboren, während er nach seiner Angabe 1799 geboren sein müßte. Aber sonst: Lyser war ursprünglich zum Musiker bestimmt, ging dann zu Schiff, wurde Dekorationsmaler, zeichnete und lithographierte, begann zu schriftstellern und verfaßte Märchen; er stammte aus einer Schauspielerfamilie, die Skizze über Weimar schließt mit einem Zusammentreffen zwischen dem Autor und dem Schauspieler Leo (Karl Ferdinand). In Goethes Tagebuch findet sich allerdings keine Spur von Lysers Besuch bis zum Ende des Jahres 1830, ebensowenig vermag ich die Witzeleien über die Ansprache mit „Goethe schlechtweg“ nachzuweisen.