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1368.

1831, um Mitte April.

Mit Johann Jakob Schmied

Von Gotha ging es folgenden Tages über Erfurt, wo die größte Glocke in ganz Deutschland zu sehen ist, nach Weimar. Nun muß ich lachen über meine ans Freche grenzende Kühnheit. Dem ausgesprochenen Grundsatze zufolge mußte ich bei Goethe anfragen lassen. Ich that es nur aus Grundsätzlichkeit und hätte Tausende gegen Eins gewettet, daß man mich zurückwiese. Daher war ich wirklich wie aus den Wolken gefallen, als der Bediente mir die Antwort brachte: Se. Excellenz, der Herr Staatsrath von Goethe, läßt sich Ihnen empfehlen, und Sie möchten gleich zu ihm kommen. Man spricht in ganz Deutschland von der Unzugänglichkeit Goethe's, und ich bengelhafter Candidat, der nicht würdig ist, ihm seine poetischen Schuhriemen aufzulösen, ich sollte so hoch begnadigt werden. Zum Glück hatte ich, wie Du [Schwester Anna] weißt, schon mehrere wichtige Besuche bei hohen Personen gemacht; ohne diesen Umstand hätte ich es kaum wagen dürfen, die unvermuthete Einladung anzunehmen. Ich hatte freilich immer im Plan Goethe zu besuchen, aber je näher ich nach Weimar kam, desto stärker schlug mir das Herz vor dem kühnen Wagniß. Endlich löste sich meine Bestürzung in Jubel auf, ich stellte mich in Wix, Chemise, Schuh, seidene Strümpfe (wozu freilich meine Reisemütze schlecht paßte), und so ausstaffirt begab ich mich nach seinem Hause. Beim Eintritt in dasselbe stellten sich einige Statuen in Lebensgröße meinem Blicke entgegen: Alles in altem griechischen Geschmacke. Der erste Lakai meldete mich beim zweiten, und nachdem ich einige Secunden in einem antik gezierten Vorsaal verweilte und mich über den Mißton, in welchem die Lakaien zum übrigen stimmten, ärgern wollte, – hieß es: Ich möchte eintreten. – Hin waren alle wohlausgedachten Phrasen – hin mein einstudirter Gruß – hin mein Kopf! An diesem allen ist seine Stirne Schuld. Vor dieser kann nichts pariren, was nicht aus dem lebendigen Quell des Busens hervorströmt, – und jede Maske fällt. – So stand ich da, wie mich Gott erschaffen hat – aber in einem so exaltirten Zustande, verbunden mit einer gewissen Geistesgegenwart, die ich gar nicht hinter mir gesucht hätte. Zuerst (eben als ich alles verloren hatte) fand ich nicht gleich Worte, und es mag so etwa vier Pulsschläge gedauert haben, bis der geöffnete Mund zum Sprechen kam. Da ging es aber frisch und lebhaft, und das Herz rächte sich auf die schönste Art an meinem Verstande, den ich vorher allein um sein Gutachten in Beziehung auf die Anrede an Goethe gefragt hatte. Ich weiß recht gut, daß ich keine Dummheiten sagte und auch gar nicht mehr verlegen schien; Goethe selbst mag meinen ganzen Zustand bemerkt haben, und erwiederte mir mit attischer Urbanität. Nun hatte für mich die große Stunde geschlagen, in welcher es mir vergönnt war, vor dem größten Herren zweier Jahrhunderte zu stehen, und von Angesicht zu Angesicht den Mann zu sehen, der als Stern erster Größe der Menschheit voranleuchtet und ihr den Pfad zu ihrer Bestimmung erhellt, und wahrlich! knüpfen sich nicht an den Namen Goethe alle die Ideen, zu deren Entwickelung und Realisirung der Mensch geboren ist? giebt es ein Gefühl, das er nicht fühlte, ein Gut, das er nicht suchte, eine Lebenswahrheit, 80 die nicht vor sein Bewußtsein trat und sein Eigenthum wurde? Und ist nicht er es, aus welchem Tausende von edlen Menschen die Befriedigung ihrer höchsten Bedürfnisse schöpfen? Diesen Mann zu sehen, über Gegenstände ewigen Interesses mit ihm zu sprechen, und ihn mehr als eine halbe Stunde eigen zu besitzen, gewürdigt werden, in freiem, wenn auch bescheidenem, Urtheile über ihn sich gegen ihn selbst äußern zu dürfen und mit Liebe behandelt zu werden, das, meine Theure, ist ein Glück, welches unter Millionen von den Mitlebenden kaum Einem vom Vater gegeben ist, und dieser eine Glück liche bin ich. Und nun, meine Theilnehmende, nun mache ich Dich noch, damit Du ungefähr wissest, wie wichtig unser Thema war, mit einem Punkte bekannt, den ich seit meinem Besuche bei Goethe gegen gar niemand äußerte, indem man mir ununtersucht den Vorwurf der Eitelkeit machen würde. Denke Dir, wie ernst bei aller Heiterkeit Goethe und ich gestimmt waren. [ Gräf Nr. 1896: Als ich mit aller Wärme von dem Eindruck sprach, welchen sein ›Faust‹ auf mich machte und immer noch macht, da traten ihm, dem greisen Goethe, helle Thränen in sein offenes, schönes Auge, und seine Stimme zeugte von seiner Rührung. ] Auch mich überwältigte mein Gefühl und mein Gemüth feierte, als er wieder die Rede ergriff. Dieß ist der dritte Sohn Gottes, der in mein Gemüth herabstieg; der erste war – o den vergeß ich nicht –! der Augenblick der Confirmation, der zweite – der Augenblick, als ich das Gebet vor meiner ersten Predigt begann, und der dritte – jene Minute auf eine solche Weise Goethe gegenüber. Beim Abschied ergriff er meine Hand, drückte sie mit den beiden seinigen und sprach: »Leben Sie wohl, geleitet von Gott und Ihrem Genius des Guten. Fügt es sich, daß Sie bei meinem Leben noch einmal nach Weimar kommen, so besuchen Sie mich, ohne sich vorher anmelden zu lassen.« Eine solche Auszeichnung war nun noch die Krone des Ganzen und, ebenso stolz als demüthig, begab ich mich zu meiner Reisegesellschaft, die aus lauter gemeinen Menschen bestund. O wollte Gott, daß ich nur noch ein einziges Mal seine Stirne sehen könnte und mein Geist sich weidete am Anblicke seines herrlichen Geistes!