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1258.

1830, 14. Februar.

Nach dem Tode der Großherzogin Luise

Diesen Mittag auf meinem [Eckermann's] Wege zu Goethe, der mich zu Tische eingeladen hatte, traf mich die Nachricht von dem soeben erfolgten Tode der Großherzogin-Mutter. Wie wird das bei seinem hohen Alter auf Goethe wirken? war mein erster Gedanke, und so betrat ich mit einiger Apprehension das Haus. Die Dienerschaft sagte mir, daß seine Schwiegertochter soeben zu ihm gegangen sei, um ihm die betrübende Botschaft mitzutheilen. Seit länger als funfzig Jahren, sagte ich mir, ist er dieser Fürstin verbunden gewesen, er hat ihrer besondern Huld und Gnade sich zu erfreuen gehabt, ihr Tod muß ihn tief berühren. Mit solchen Gedanken trat ich zu ihm ins Zimmer; allein ich war nicht wenig überrascht, ihn vollkommen heiter und kräftig mit seiner Schwiegertochter und seinen Enkeln am Tisch sitzen und seine Suppe essen zu sehen, als ob eben nichts passirt wäre. Wir sprachen ganz heiter fort über gleichgültige Dinge. Nun fingen alle Glocken der Stadt an zu läuten; Frau von Goethe blickte mich an und wir redeten lauter, damit die Töne der Todesglocken sein Inneres nicht berühren und erschüttern möchten; denn wir dachten, er empfände wie wir. Er empfand aber nicht wie wir, es stand in seinem Innern gänzlich anders. Er saß vor uns gleich einem Wesen höherer Art, von irdischen Leiden unberührbar. Hofrath Vogel ließ sich melden; er setzte sich zu uns und erzählte die einzelnen Umstände von dem Hinscheiden der hohen Verewigten, welches Goethe in seiner bisherigen vollkommensten Ruhe und Fassung aufnahm. Vogel ging wieder, und wir setzten unser 208 Mittagsessen und Gespräche fort. Auch vom ›Chaos‹ war viel die Rede und Goethe pries die Betrachtungen über das Spiel in der letzten Nummer als ganz vorzüglich. Als Frau von Goethe mit ihren Söhnen hinaufgegangen war, blieb ich mit Goethe allein. [ Gräf Nr. 1803: Er erzählte mir von seiner ›Classischen Walpurgisnacht‹ , daß er damit jeden Tag weiter komme, und daß ihm wunderbare Dinge über die Erwartung gelängen. ] Dann zeigte er mir einen Brief des Königs von Bayern, den er heute erhalten, und den ich mit großem Interesse las. Die edle treue Gesinnung des Königs sprach sich in jeder Zeile aus, und Goethen schien es besonders wohlzuthun, daß der König gegen ihn sich fortwährend so gleich bleibe. Hofrath Soret ließ sich melden und setzte sich zu uns. Er kam mit beruhigenden Trostesworten der kaiserlichen Hoheit an Goethe, die dazu beitrugen, dessen heiter gefaßte Stimmung noch zu erhöhen. Goethe setzt seine Gespräche fort; er erwähnt die berühmte Ninon de Lenclos, die in ihrem sechzehnten Jahre bei großer Schönheit dem Tode nahe gewesen und die Umstehenden in völliger Fassung mit den Worten getröstet habe: ›Was ist's denn weiter? Lasse ich doch lauter Sterbliche zurück!‹ Übrigens habe sie fortgelebt und sei neunzig Jahre alt geworden, nachdem sie bis in ihr achtzigstes Hunderte von Liebhabern beglückt und zur Verzweiflung gebracht.

Goethe spricht darauf über Gozzi und dessen Theater 209 zu Venedig, wobei die improvisirenden Schauspieler bloß die Sujets erhielten. Gozzi habe die Meinung gehabt, es gebe nur sechsunddreißig tragische Situationen; Schiller habe geglaubt, es gebe mehr, allein es sei ihm nicht einmal gelungen, nur so viele zu finden.

Sodann manches Interessante über Grimm, dessen Geist und Charakter und sehr geringes Vertrauen zum Papiergelde.