45/109. An Carl Friedrich Zelter
Nach Ostern werden meine Leser mit den bekannten, zu guter Jahreszeit herantretenden Wanderern eine Fußreise nach den hohen Alpenthälern anzustellen Belieben tragen, um sich's dort bey Spinnerinnen und Weberinnen einige Zeit gefallen zu lassen. Zu geneigter Vorbereitung melde Folgendes:
Ein wohldenkender einsichtiger Freund, der das Geschäft übernahm, das Manuscript vor dem Abdruck durchzusehen, meldet bey Rücksendung Folgendes:
»Man findet sich gern in den Spinnstuben jener einfachen ehrlichen Gebirgsvölker. Gerade die Beschreibung der letztern war mir doppelt interessant, weil ich bekennen darf, früher nichts Ärmlicheres gekannt zu haben als das Leben städtischer Weber und 131 Spinner, bis mich auf meiner letzten Reise der Haushalt eines ehrlichen Schweizers bey Leuk eines andern belehrte. Ich habe bemerkt, daß diese Weber besser zu reden wissen als andere Handwerker, und erinnere mich noch mit Vergnügen des Gesprächs mit ihnen. Auf meine Verwunderung, wie er im Stande sey, bey so starker Familie – vier Kinder spannen bey der Mutter – in einer so kleinen Stube zu wohnen, antwortete er ganz treuherzig: Und was werdet Ihr sagen, wenn Ihr erfahrt, daß in diesem Neste außer dem Weber noch zwey Handwerker wohnen, ein Schuhmacher und ein Schweinschneider, und alle in demselben Bette liegen und alle auf demselben Stuhle sitzen? Ich bin nämlich selbst diese Dreyeinigkeit, und so begreift Ihr, wie wir uns alle hier recht gut vertragen, da ich selbst ein so gutes Beyspiel gebe.«
Vorstehendes sende zu vorläufiger Unterhaltung, mit Bitte, dieser Scene zu gedenken, wenn man von wandernden Freunden in jene Gegenden geführt wird.
Zugleich wollte schönstens danken, daß meine heilige Familie in Ägypten und deren Wirthin so gut angesehen worden. Ich läugne nicht, mir ist bey diesem Gedicht und seinesgleichen immer, als wenn ich etwas Süßes genösse, Bisquit oder dergleichen; es ist immer noch Speise, aber ein Leckerbissen, welcher also Kindern und Frauen an Ort und Stelle gar wohl munden mag. Überhaupt haben die Kinder in Italien 132 etwas unglaublich Zartes, Attachantes und Anmuthiges, mit diesem Lied Harmonirendes.
[ Gräf Nr. 1686: In diesen Betrachtungen will ich nicht weiter fortfahren, sondern um eine treue Schilderung des v. Holteischen Faust bitten, wie er einem wohldenkenden wohlmeynenden Freunde vorkommt. In der Zeitung erkenn ich meinen alten Theaterfreund nicht mehr; bald ein Schonen und Schwanken, bald ein gebotener Enthusiasmus.
»Also ist es beschaffen, so wird es bleiben« sagt Reinecke Fuchs. ]
Um den noch übrigen Raum zu nutzen, will hiermit anzeigen: daß mir das Bild einer berühmt-schönen Frascatanerin verehrt worden; man befindet sich, vor ihr stehend, wie im wohlthätigen Sonnenschein.
Doch ist es etwas Wunderbares! Diese regelmäßigen Züge, diese vollkommene Gesundheit, diese innerliche selbstzufriedene Heiterkeit hat für uns arme nordische Krüppel etwas Beleidigendes, und man begreift, warum unsre Kunstwerke kränkeln, weil sie ja sonst niemand ansehen möchte.
Vor einigen Tagen stand ein sehr gut gemahltes Ecce homo an dieser Stelle; jeder, der es anblickt, wird sich wohl fühlen, da er jemand vor sich sieht, dem es noch schlechter geht als ihm. Der Raum nöthigt mich zur rechten Zeit abzuschließen.
jedoch so fort an!
Weimar den 18. Januar 1829.
G.