44/116. An Kaspar von Sternberg
Bey der vor einigen Tagen erfolgten Abreise meines gnädigsten Herrn nach Berlin gab derselbe mir den Auftrag, auf das freundlichste zu vermelden daß er zwischen dem Juli und August einer fröhlichen Zusammenkunft und Begrüßung in Töplitz hoffnungsvoll entgegensehe. Gegenwärtig begleiten ihn meine Gedanken bey seinen Umgängen in Berlin, wo ihn wirklich ganz neue freudige Verhältnisse, wie sie in so hohen Jahren nur zu wünschen sind, auf das allerschönste erheitern.
129 [ Gräf Nr. 1632: Nun aber habe ich einiges anzukündigen, was nächstens, wohl eingepackt, abgehen wird; es ist die dritte Lieferung meiner Werke, die ich mit dem Alten und Neuen was sie enthält zum besten empfohlen wünsche; ] sodann ein architektonischer Kupferstich zum Andenken des großherzoglichen Jubiläums, von unserm Oberbaudirector Coudray gezeichnet und von Schwerdgeburth gestochen. Ersterer, welcher mir diese Sendung aufgetragen, empfiehlt seine Arbeit zu geneigter Betrachtung.
Sodann habe zu vermelden, daß mich in diesen Tagen des Dresdner Dr. Carus Werk von den Ur-Theilen des Knochen- und Schalengerüstes mit zwölf Kupfertafeln höchlich erfreut hat.
Ein alter Schiffer, der sein ganzes Leben auf dem Ocean der Natur mit Hin- und Widerfahren von Insel zu Insel zugebracht, die seltsamsten Wundergestalten in allen drey Elementen beobachtet und ihre geheim-gemeinsamen Bildungsgesetze geahnet hat, aber, auf sein nothwendigstes Ruder-, Segel- und Steuergeschäft aufmerksam, sich den anlockenden Betrachtungen nicht widmen konnte, der erfährt und schaut nun zuletzt: daß der unermeßliche Abgrund durchforscht, die aus dem Einfachsten in's Unendliche vermannichfaltigten Gestalten in ihren Bezügen an's Tageslicht gehoben und ein so großes und unglaubliches Geschäft wirklich gethan sey. Wie sehr findet er Ursache verwundernd sich zu erfreuen, daß seine Sehnsucht verwirklicht und 130 sein Hoffen über allen Wunsch erfüllt sey. Mehr darf ich nicht sagen, denn ich habe kaum einen Blick in das Werk gethan, der aber schon auf das vollkommenste erhebt und befriedigt.
Vom Herrn Präsidenten Nees v. Esenbeck habe ich einige angenehme Mittheilungen. Auch ihm ward ein Exemplar der bewußten Pflanze zugesendet; er will etwas Asphodelenartiges daran erblicken.
Wie reich aber wird nicht dießmal die Ernte der naturforschenden Zusammenkunft in Berlin sich erweisen! Ich bitte mitzutheilen, wer aus Böhmen und Österreich wohl hingehen möchte. Auch von Berlin einige Worte! und wäre das nicht möglich, nach der Rückkehr!
Ich darf über manches Mühsal mich nicht beschweren, weil ich leichtsinnig mir auflade, was nicht zu tragen ist. Aber das darf ich sagen, daß es mir in der letzten Zeit fast unmöglich war, was ich wünschte und sollte, fortzuführen und zu leisten. Ein neues Heft Kunst und Alterthum wartet nächstens auf.
Ganz unvermeidlich ist auch neuerlichst die Beschäftigung mit den fremden Literaturen, der englischen, französischen und italiänischen geworden; indem sie an uns Antheil nehmen, verlangen sie gegenseitigen Antheil an ihnen; denn gerade die junge Masse der Nationen, die sich nach uns umsieht, lebt mit einer andern, die auf dem alten Eigenen beharrt, in Widerstreit, deshalb suchen sie sich durch uns zu stärken, indem sie, was an uns kräftig seyn mag, gelten lassen. Es ist ein eigenes Verhältniß, das sich erst reinigen und zurecht schicken muß, welches aber mehr Zeit erfordern möchte, als uns zum Mitwirken übrig geblieben ist.
Ist dem verehrten Freunde zu Handen gekommen: L'Eco, Giornale di Scienze, Lettere, Arti, Commerzio e Teatri, Milano? Dieses Zeitblatt hat viele Vorzüge; die 47 Nummern, die man mir gesendet hat, geben schon das beste Zeugniß. Da es in den Kaiserlich Königlichen Landen hervortritt, so dürfte es wohl Böhmen auch nicht fremd seyn.
Die Stücke März, April, May der würdigen Zeitschrift sollen mir sehr willkommen seyn. Nächstens hoffe Zeugniß meiner Studien der vorhergehenden Hefte zu geben.
Und so fortan
unwandelbar angehörig
Weimar den 10. Juni 1828.
J. W. v. Goethe.