1141.
1828, Januar oder Februar.
Mit Karl von Holtei
So begab es sich denn, daß er [Goethe] mich einmal nach dem Mittagsessen in eine Fensterbrüstung manoeuvrirte und in seiner eigenthümlichen unbeschreiblichen Manier also sprach: »Nun, Sie haben sich ja bisher [beim Vorlesen von Dramen] recht brav gehalten, wie ich hörte. Sie müssen sich nicht wundern, daß ich Sie noch nicht gebeten habe, mir Ihre Sachen vorzumachen; ich habe Gründe dazu. Ihnen wird nicht fremd sein, daß wir zu unserer 266 Zeit uns auch mit dergleichen beschäftigt und viel darüber gedacht haben; nun hat man sich denn seine Ansichten über Declamation, Recitation, theatralischen Vortrag und besonders über die scharfen Unterscheidungen, die den Vorleser von Darsteller trennen, festgestellt, und da kommen denn die jungen Leute und werfen das alles über den Haufen. Nun, das ist ja recht schön! aber von uns Alten könnt Ihr nicht verlangen, daß wir sogleich ohne weiteres nachgeben sollen. Also ich sehe nur zwei Auswege: entweder Sie gewinnen mich für Ihre Künste – dann zwingen Sie mich, auf's neue darüber zu denken, und das würde mich stören; denn wir haben noch viel zu thun; oder es gelingt Ihnen nicht, mich irre zu machen und Sie befriedigen mich nicht – dann hätten wir beide keine Freude davon. Also denk ich, es sei besser, es bleibt, wie es ist. – Nun, wie gefällt es Ihnen in Weimar? Nicht wahr, es stickt (sic!) viel Bildung in dem Orte? Wir haben denn auch wohl das unsere dazu gethan.«
[ Gräf Nr. 1599: »Ew. Excellenz!« sagte ich fest; denn jetzt wollte ich doch etwas Positives mitnehmen: »ich soll morgen, die zu ›Faust‹ gehörige ›Helena‹ vorlesen : ich habe mir zwar alle Mühe damit gegeben, aber alles verstehe ich doch nicht. Möchten Sie mir nicht z.B. erklären, was eigentlich damit gemeint sei, wenn Faust an Helena's Seite die Landgebiete an einzelne Heerführer vertheilt? Ob eine bestimmte Andeutung. –« Er 267 ließ mich nicht ausreden, sondern unterbrach mich sehr freundlich: »Ja, ja, ihr guten Kinder! wenn Ihr nur nicht so dumm wäret!« Hierauf ließ er mich stehen. ]
Seine [Goethes] Pietät für Schiller war eine so innerlich tiefe, daß man davon wahrhaft ergriffen werden mußte. Ich hatte, als über ›Egmont‹ gesprochen wurde, einst die Bearbeitung, die Schiller für's Theater unternommen, zu tadeln gewagt und mein Erstaunen geäußert, daß sie noch immer auf der Weimarischen Bühne gelte. Den Blick des Alten werd' ich nie vergessen, mit dem er mich anblitzte und fast grimmig sagte: »Was wißt Ihr, Kinder! Das hat unser großer Freund besser verstanden, als wir.«