43/64. An Carl Friedrich Zelter
Sey mir also auch dießmal in München gegrüßt, da deine Reisen für mich durchaus immer so fruchtbar sind. Deinen zweyten Brief erhielt ich am achten Tag und so wird auch dieser dich auf's baldigste finden.
88 Zuvörderst also will ich dir Auftrag geben, die schönsten Grüße auszurichten, erstlich an Herrn Director v. Schelling und ihm dabey für den herrlichen Brief zu danken, den mir Gräfin Fritsch von Carlsbad mitbrachte; ich schreibe ihm, sobald ich zu einiger Fassung komme; denn es wird immer bunter um mich her, je mehr ich wünschen muß, mir selbst und meinen Obliegenheiten zu leben. Sodann erneuere auf die freundlichste Weise mein Andenken bey Herrn v. Martius, dem Botaniker und Brasilianer; du wirst an ihm den herzlichsten trefflichsten Mann finden. Entschuldige mein langes Schweigen, ich darf die Liebe zu der weiten und breiten Natur bey mir nicht aufkommen lassen; ersuche ihn um einige Zeilen. Sodann wirst du Herrn v. Cotta schönstens grüßen; er ist so beschäftigt, daß man sich mit ihm nur von Geschäften unterhalten kann. Herrn v. Klenze sage gleichfalls das Freundlichste; auch versäume es bey Herrn Cornelius nicht; und wo hätte ich überhaupt noch hinzublicken und hinzudeuten.
Gedenke meiner überall im Besten. Wäre der Gruß eines Guelfen an den Ghibellinen nicht immer verdächtig, so würde ich dir auch einen an Herrn v. Buch auftragen. Wie du bist, hast du unter Menschen eine gar schöne Stelle gefunden, verträgst dich mit allen, wehrst dich gegen alle, und so kömmst du denn männlich durch Freud' und Leid.
Nun auch von mir einiges Bedeutende: Höchst 89 erfreulich war mir die Ankunft des Herrn Geheimen Rath Streckfuß; ich machte mit ihm vor Tische eine Spazierfahrt; er speis'te mit uns und Riemer, und da du ihn kennst, so brauche ich nicht zu sagen, wie seine Gegenwart höchst wohlthätig gewesen. Die Schärfe und Besonnenheit des Geschäftsmanns, der als solcher an Welt und Staat durchaus Theil nimmt, die Milde eines poetisch-praktischen Sinnes, der gerade nicht Stoff und Gehalt aus sich selbst nehmen, sondern lieber dem vorhandenen Auswärtigen eine vaterländische Form geben und sich und andere damit gründlich erfreuen will: dieses, in einer Individualität zusammen, macht den angenehmsten Eindruck und hinterläßt eine wohlthätige Erinnerung.
Wenige Zeit vorher war ein junger hessischer Mahler namens Zahn aus Italien, besonders aus Neapel und Pompeji zurückgekommen und brachte einen unglaublichen Schatz von Durch- und Nachzeichnungen der am letzten Orte neuerlich ausgegrabenen Gemählde mit. Frage hiernach in München, dort werden Umrisse im Kleinen lithographirt, wie sie Herr v. Cotta zu verlegen übernommen hat. Betrachte sie ja sämmtlich mit Geist und Ruhe; sie halten sich dem Sinne nach neben allem, was uns aus jenen Paradiesen übrig geblieben.
Hast du dich dem Herrn Grafen Sternberg noch nicht vorgestellt, so thue es alsobald, und gedenke meiner zum schönsten; sprich aus daß ich fortfahre, 90 dankbar zu seyn für die so höchst wohlthätige und wirksame Gegenwart, die er uns vor kurzem genießen ließ. Wenn man bey der Jugend soviel Anmaßlich-Fahriges, bey dem Alter soviel Eigensinnig-Stockendes sich muß gefallen lassen, so ist es erst wahres Leben mit einem Manne, der mit soviel Maaß und Ziel, mit immer gleichem Antheil den edelsten Zwecken entgegengeht.
Merke doch ja auf andere in dieser großen Versammlung und melde, wer dir zusagt, es sey nun im Umgange oder im Vorlesen. Horche doch auch hin, wie sie von einander denken, inwiefern sie sich vertragen, besonders auch, inwiefern einer von dem andern etwas lernen möchte. Nicht weniger sieh dich unter Protestanten und Katholiken um; es sind soviel Elemente in München zusammengerufen, daß nothwendig eine Gährung vorhergehen muß, ehe dieser Most sich zu Wein veredelt. Da ich alle Ursache habe, dem König das schönste Gelingen zu wünschen, so würdest mir mit jeder guten Nachricht die größte Freude machen.
[ Gräf Nr. 1534: Nun kehr ich zu mir in mein beschränktes Wesen zurück und denke gern an meinen vierwöchentlichen Aufenthalt im Garten am Park. Wenn man gleich in frühere Zustände weder zurücktreten kann noch soll, so hätte ich, wenn schon vom Wetter keineswegs begünstigt, dennoch ausgehalten und bessere Tage erwartet, aber die Ankunft des Herrn Grafen veranlaßte 91 mich, in die Nähe der Societät wieder zurückzukehren; und so muß ich denn schon mit dem Gewinn der kurzen dort verbrachten Zeit zufrieden seyn. Davon wirst du denn auch, wenn du, wie Fräulein Ulrike behauptet, auf der Rückreise zu uns kommst, dein reichliches Theil dahin nehmen. Unter anderm wird zur Begleitung eines Liedes ein Chor von Aeolsharfen verlangt. Ob dergleichen schon ausgeführt worden, ist mir nicht bekannt. Diese Gelegenheit aber, etwas Wundersames hervorzubringen , solltest du dir nicht entgehen lassen. ]
Meine Schwiegertochter sieht ihrer Entbindung, und wir mit ihr, um desto sehnsuchtsvoller entgegen, als sie dießmal in ihrem Zustand mehr als billig zu leiden hat. Werden wir von diesem Hauskreuz glücklich erlös't, und du kommst zur rechten Zeit an, so könnten wir noch einmal einer christlich-kirchlichen Function zusammen beywohnen, welches doch auch ein ganz artiger passus in unsrer Lebensgeschichte seyn würde. Und nun zum Schluß: schreibe viel und eilig, wenn du auch manchmal übereilte Stellen wieder auslöschen solltest, und sende jedes Blatt einzeln wie es trocknet.
Also gescheh es!
Der Deine
Weimar den 29. September 1827.
J. W. v. Goethe.
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