42/94. An Carl Friedrich von Reinhard
... erwiderte gar anmuthig ein durch Ober-Baudirector Coudray ihr überreichtes Schreiben, wie denn dieser werthe Mann sich durchaus gut aufgenommen 111 fand und das Vergnügen hatte seine frühern Lehrer und Freunde wieder zu begrüßen; er war zur Zeit jener Höllenexplosion daselbst gewesen.
Ferner hat Herr v. Humboldt mehrere Exemplare meiner Medaille in Paris ausgetheilt, wogegen auch manches Angenehme und Bedeutende zu mir gekommen, besonders ein Brief von Herrn Salvandy, der mich in die innern Zustände dieses merkwürdigen Mannes aus der Ferne hineinblicken läßt.
[ Gräf Nr. 1466: Nun erwarten wir auch die neue Ausgabe des Faust mit Lithographien von Delacroix , davon einige wundersame Probedrücke zu uns gekommen sind. Und so wirkt unser alter Sauerteig immer fort auf neues Backwerk, das wir uns denn wohl mögen gefallen lassen; und da einmal das Einbringen der deutschen Literatur, das sonst so hoch verpönt war, in Frankreich kein Hinderniß findet, so mögen sie denn auch die guten und schlimmen Wirkungen unsrer Productionen, die wir selbst durchgenossen und durchgelitten haben, hinterdrein nachgenießen und erdulden. ]
So weit war ich als mein letztes Schreiben abging gelangt. Nun aber erscheint unverhofft und unerwartet die uns höchst willkommene Übersetzung aus einem wichtigen Stück des, wie bekannt, unter uns hochgefeyerten Dichters. Meine Tochter mag ihren bescheidenen Triumph der ihr dadurch geworden geziemend ausdrücken, ich will nur zum allerbesten danken, daß Sie mich auf dieses Stück, das ich von jeher zum 112 höchsten geschätzt, wieder hingeleitet. Durch dieses Werk zeigt der nur allzufrüh hingeschiedene Freund, daß er nicht nur ein gegründeter, kräftiger und fruchtbarer Dichter sey, der seiner Kühnheit keine Gränzen, seiner Einbildungskraft weder Maaß noch Ziel zu setzen Lust hat, sondern daß er auch in eine strengere und engere Form, sobald er sie anerkennt, sich zu finden wisse.
Wohl ist es bemerkenswerth, daß das dichterische Naturell des außerordentlichen Mannes erst jede Einschränkung verabscheut und sich nur aus sich selbst seine Formen gestaltend endlich doch den Forderungen der französischen Tragödie sich fügt und wenigstens bis auf einen gewissen Grad ihrer Strenge sich unterwirft. Dieß förderte ihn nun ganz besonders bey diesem Stoffe, indem er dadurch veranlaßt wird alles Beywesen zu beseitigen und sich in den Gränzen des Dramas, mehr oder weniger wie es nach dem Vorbilde der Griechen sich einrichtet, auf das mäßigste zu ergehen.
Die Scene die Sie, mein Verehrter, zum Gegenstand Ihrer Aufmerksamkeit gewählt, reiht sich an das Zärteste was Byron geliefert hat. Wie tief empfand er die Situation des Bejahrten, väterlich Liebenden! und wie natur-sittlich hold ist die jugendlich-kindliche Erwiderung.
Müßte ich noch die Lasten eines Theater-Vorstehers tragen, so würde ich sie mir, wie vormals mit trefflichen Dingen, dadurch erleichtern daß ich auch dieß glänzende Meteor auf die Scene brächte. Wie hochwillkommen würde mir dazu Ihre wohlempfundene Übertragung seyn.
Nicht mehr für heute! Die Setzer von Osten und Süden drängen, von der Messe gedrängt, den Autor. Nächstens ein Stück Kunst und Alterthum; Beyliegendes einsweilen zu freundlicher Theilnahme. Ich breche ab um mich zu nächster Fortsetzung zu verpflichten.
treu angehörig
Weimar d. 30. März 1827.
Goethe.