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Helena. Zwischenspiel zu Faust.

Fausts Charakter, auf der Höhe, wohin die neue Ausbildung aus dem alten rohen Volksmährchen denselben hervorgehoben hat, stellt einen Mann dar, welcher, in den allgemeinen Erdeschranken sich ungeduldig und unbehaglich fühlend, den Besitz des höchsten Wissens, den Genuß der schönsten Güter für unzulänglich achtet, seine Sehnsucht auch nur im mindesten zu befriedigen, einen Geist, welcher deßhalb, nach allen Seiten hin sich wendend, immer unglücklicher zurückkehrt.

Diese Gesinnung ist dem modernen Wesen so analog, daß mehrere gute Köpfe die Lösung einer solchen Aufgabe zu unternehmen sich gedrungen fühlten. Die Art, wie ich mich dabei benommen, hat sich Beifall erworben; vorzügliche Männer haben darüber gedacht und meinen Text commentirt, welches ich dankbar anerkannte. Darüber aber mußte ich mich wundern, daß diejenigen, welche eine Fortsetzung und Ergänzung meines Fragments unternahmen, nicht auf den so nahe liegenden Gedanken gekommen sind, es müsse 291 die Bearbeitung eines zweiten Theils sich nothwendig aus der bisherigen kümmerlichen Sphäre ganz erheben und einen solchen Mann in höheren Regionen durch würdigere Verhältnisse durchführen.

Wie ich nun von meiner Seite dieses angegriffen, lag im Stillen vor mir, von Zeit zu Zeit mich zu einiger Fortarbeit anregend; wobei ich mein Geheimniß vor allen und jeden sorgfältig verwahrte, immer in Hoffnung, das Werk einem gewünschten Abschluß entgegenzuführen. Jetzt aber darf ich nicht zurückhalten und bei Herausgabe meiner sämmtlichen Bestrebungen kein Geheimniß mehr vor dem Publicum verbergen, vielmehr fühle ich mich verpflichtet, alles mein Bemühen, wenn auch fragmentarisch, nach und nach vorzulegen.

Deßhalb entschließ' ich mich zuvörderst, oben benanntes, in den zweiten Theil des Faust einzupassendes, in sich abgeschlossenes kleineres Drama sogleich bei der ersten Sendung mitzutheilen.

Noch ist die große Kluft zwischen dem bekannten jammervollen Abschluß des ersten Theils und dem Eintritt einer griechischen Heldenfrau nicht überbrückt; man genehmige jedoch vorläufig Nachstehendes mit Freundlichkeit.

Die alte Legende sagt nämlich, und das Puppenspiel verfehlt nicht, die Scene vorzuführen, daß Faust in seinem herrischen Übermuth durch Mephistopheles den Besitz der schönen Helena von Griechenland verlangt und dieser ihm nach einigem Widerstreben willfahrt habe. [ Gräf Nr. 1461: Ein solches bedeutendes Motiv in unserer Ausführung nicht zu versäumen, war uns Pflicht, und wie wir uns derselben zu entledigen gesucht, wird aus dem Zwischenspiel hervorgehen. Was aber zu einer solchen Behandlung die nähere Veranlassung gegeben, und wie nach mannichfaltigen Hindernissen den bekannten magischen Gesellen geglückt, die eigentliche Helena persönlich aus dem Orcus in's Leben heraufzuführen, bleibe vor der Hand noch unausgesprochen. Gegenwärtig ist genug, wenn man zugibt, daß die wahre Helena auf antik-tragischem Kothurn vor ihrer Urwohnung zu Sparta auftreten könne. Sodann aber bittet man, die Art und Weise zu beobachten, wie Faust es unternehmen dürfe, sich um die Gunst der weltberühmten königlichen Schönheit zu bewerben. ]