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1054.

1826, 14. September.

Mit Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau

Diesen Abend stattete ich Goethe meinen Besuch ab. Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stube, deren clair obscur nicht ohne einige künstlerische Coquetterie arrangirt war. Auch nahm sich der schöne Greis mit seinem Jupiterantlitz gar stattlich aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum geschwächt; er ist vielleicht weniger lebhaft als sonst, aber desto gleicher und milder, und seine Unterhaltung mehr von erhabener Ruhe, als jenem blitzenden Feuer durchdrungen, das ihn ehemals bei aller Grandezza wohl zuweilen überraschte. Ich freute mich herzlich über seine gute Gesundheit und äußerte scherzend, wie froh es mich mache, unsern Geisterkönig immer gleich majestätisch und wohlauf zu finden. »O! Sie sind zu gnädig,« sagte er mit seiner immer noch nicht verwischten süddeutschen Weise und lächelte norddeutsch, satyrisch dazu, »mir einen solchen Namen zu geben.« Nein! erwiederte ich, wahrlich aus vollem Herzen: nicht nur König, sondern sogar Despot; denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltsam mit sich fort. Er verbeugte sich höflich und befrug mich nun über einige Dinge, die meinen früheren Aufenthalt in Weimar betrafen, sagte mir dann auch viel Gütiges über Muskau und mein dortiges Streben, mild äußernd, wie verdienstlich er es überall finde, den Schönheitssinn zu erwecken, es sei auf welche Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer auch das Gute und alles Edle sich mannigfach von selbst entwickelt, und gab mir zuletzt sogar auf meine Bitte, uns dort einmal zu besuchen, einige aufmunternde Hoffnung. Du [Lucie Fürstin Pückler?] kannst Dir vorstellen, Liebste, mit welchem Empressement ich dies aufgriff, wenn es gleich 305 nur eine façon de parler sein mochte. Im fernern Verlauf des Gesprächs kamen wir auf Sir Walter Scott. Goethe war eben nicht sehr enthusiasmirt für den großen Unbekannten eingenommen. Er zweifle gar nicht, sagte er, daß er seine Romane schreibe, wie die alten Maler mit ihren Schülern gemeinschaftlich gemalt hätten, nämlich: er gäbe Plan und Hauptgedanken, das Skelett der Scenen an, lasse aber die Schüler dann ausführen und retouchire nur zuletzt. Es schien fast, als wäre er der Meinung, daß es gar nicht der Mühe werth sei, für einen Mann von Walter Scott's Eminenz, seine Zeit zu soviel fastidieusen Details herzugeben. 1 »Hätte ich« – setzte er hinzu – »mich zu bloßem Gewinnsuchen verstehen mögen, ich hätte früher mit Lenz und andern, ja ich wollte noch jetzt Dinge anonym in die Welt schicken, über welche die Leute nicht wenig erstaunen und sich den Kopf über den Autor zerbrechen sollten; aber am Ende würden es doch nur Fabrikarbeiten bleiben.«

Ich äußerte später, daß es wohlthuend für die Deutschen sei, zu sehen, wie jetzt unsere Literatur die fremden Nationen gleichsam erobere und hierbei – fuhr ich fort – wird unser Napoleon kein Waterloo erleben, »Gewiß!« erwiederte er, mein etwas fades Compliment überhörend, »ganz abgesehen von unsern 306 eignen Productionen, stehen wir schon durch das Aufnehmen und völlige Aneignen des Fremden auf einer sehr hohen Stufe der Bildung. Die andern Nationen werden bald schon deshalb deutsch lernen, weil sie inne werden müssen, daß sie sich damit das Lernen fast aller andern Sprachen gewissermaßen ersparen können; denn von welcher besitzen wir nicht die gediegensten Werke in vortrefflichen deutschen Übersetzungen? Die alten Classiker, die Meisterwerke des neueren Europas, indische und morgenländische Literatur – hat sie nicht alle der Reichthum und die Vielseitigkeit der deutschen Sprache, wie der treue deutsche Fleiß und tief in sie eindringende Genius besser wiedergegeben, als es in andern Sprachen der Fall ist? Frankreich« – fuhr er fort – »hat gar viel seines einstigen Übergewichts in der Literatur dem Umstande zu verdanken gehabt, daß es am frühesten aus dem Griechischen und Lateinischen leidliche Übersetzungen lieferte; aber wie vollständig hat Deutschland es seitdem übertroffen!«

Im politischen Felde schien er nicht viel auf die so beliebten Constitutionstheorien zu geben. Ich vertheidigte mich und meine Meinung indeß ziemlich warm. Er kam hier auf seine Lieblingsidee, die er mehrmals wiederholte, nämlich daß jeder nur darum bekümmert sein solle, in seiner speciellen Sphäre, groß oder klein, recht treu und mit Liebe fortzuwirken, so werde der allgemeine Segen auch unter keiner Regierungsform 307 ausbleiben. Er für seine Person habe es nicht anders gemacht, und ich mache es in Muskau ja ebenfalls so – setzte er gutmüthig hinzu – unbekümmert, was andere Interessen geböten. Ich meinte nun freilich mit aller Bescheidenheit, daß, so wahr und herrlich dieser Grundsatz sei, ich doch glaube, eine constitutionelle Regierungsform müsse ihn eben erst recht ins Leben rufen, weil sie offenbar in jedem Individuum die Überzeugung größerer Sicherheit für Person und Eigenthum, folglich die freudigste Thatkraft und zugleich damit die zuverlässigste Vaterlandsliebe begründe, hierdurch aber dem stillen Wirken in eines jeden Kreise eben eine weit solidere, allgemeine Basis gegeben werde, und führte endlich, vielleicht ungeschickt, England als Beleg für meine Behauptung an. Er erwiederte gleich: das Beispiel sei nicht zum besten gewählt; denn in keinem Lande herrsche eben Egoismus mehr vor, kein Volk sei vielleicht wesentlich inhumaner in politischen und Privatverhältnissen; 2 nicht von außen herein durch Regierungsform käme das Heil, sondern von innen heraus durch weise Beschränkung und bescheidene Thätigkeit eines jeden in seinem Kreise. Dies bleibe immer die Hauptsache zum menschlichen Glück und sei am leichtesten und einfachsten zu erlangen.

308 Von Lord Byron redete er nachher mit vieler Liebe, fast wie ein Vater von seinem Sohne, was meinem hohen Enthusiasmus für diesen großen Dichter sehr wohl that. [ Gräf Nr. 1410: Er widersprach unter andern auch der albernen Behauptung, daß »Manfred« eine Nachbetung seines »Faust« sei; doch sei es ihm allerdings als etwas Interessantes aufgefallen, daß Byron unbewußt sich derselben Maske des Mephistopheles wie er bedient habe, obgleich freilich Byron sie ganz anders spielen lasse. Er bedauerte es sehr, den Lord nie persönlich kennen gelernt zu haben, und er tadelte streng und gewiß mit dem höchsten Rechte die englische Nation, daß sie ihren großen Landsmann so kleinlich beurtheilte und im Allgemeinen so wenig verstanden habe. Doch hierüber hat sich Goethe so genügend und schon öffentlich ausgesprochen, daß ich nichts weiter hinzuzufügen brauche.

Ich erwähnte zuletzt der Aufführung des »Faust« auf einem Privattheater zu Berlin mit Musik vom Fürsten Radzivil und lobte den ergreifenden Effect einiger Theile dieser Darstellung. »Nun!« sagte Goethe gravitätisch, »es ist ein eigenes Unternehmen, aber alle Ansichten und Versuche sind zu ehren.« ]

Ich grolle meinem schlechten Gedächtniß, daß ich mich nicht mehr aus unsrer ziemlich belebten Unterhaltung eben erinnern kann. Mit hoher Ehrfurcht und Liebe verließ ich den großen Mann.

1 Sir Walter's officielle Erklärung, daß alle jene Schriften von ihm allein seien, war damals noch nicht gegeben.

2 Hier habe ich meinen Freund fast in Verdacht, daß er Goethen nur seine eigene Meinung in den Mund gelegt hat. – A. d. H. [d.h. Pückler's selbst.