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1825, 9. November.
Mittag bei Goethe
Für den 9. November war ich [Förster] von Goethe zu Mittag geladen. »Ich hoffe,« sagte er mir beim Eintritt, »Sie heute mit den Männern bekannt zu machen, die bei uns die Kunst repräsentiren.« Und in der That war bald eine zahlreiche und höchst interessante Gesellschaft versammelt. Goethe stellte mich dem Oberbaurath. Coudray vor, der den Gedanken des Großherzogs in Betreff der Fresken [die in Weimar ausgeführt werden sollten] begierig auffaßte und, von Goethe lebhaft secundirt, alsbald die neue Begräbnißhalle als den Ort bezeichnete, wo der Malerei eine bedeutsame Thätigkeit angewiesen werden könne.
Man setzte sich nach angewiesenen Plätzen zu Tisch. Der meinige war zwischen Oberbaurath Coudray und 242 Hofrath Heinrich Meyer, bekannt bei den Künstlern unter dem Namen »Kunschtmeyer«, den ihm seine alemannisch-schweizerische Aussprache zugezogen. Weiter links saß Goethes Schwiegertochter Ottilie, mir gegenüber ihre reizende Schwester, eine junge Dame voll Geist und Lebendigkeit im Gespräch, zwischen Goethe Vater und Sohn. Kein Wort und keine Miene des Mannes konnte mir entgehen, der heute mir bald wie der olympische Zeus, bald wie der Musengott erschien, der alle Herzen fesselte und alle Gedanken entfesselte.
[ Gräf Nr. 1331: Er lenkte zuerst das Gespräch auf den Maler Asmus Carstens, und als ich das Entzücken nicht zurückhielt, das mir dessen Zeichnungen eingeflößt, die ich in der großherzoglichen Kunstsammlung gesehen, sagte er: »Es geht alles seinen geordneten Gang, und so war es gewiß von guter Vorbedeutung, daß dieser Genius, mit dem man so gern die neue Epoche deutscher Kunst beginnt, sich vor allem an die Dichter und Denker des classischen Alterthums gehalten hat.« – »'Das hat ihn auch'« – fiel der Hofrath ein – »vor der unglücklichen Nachahmung der altdeutschen Manier bewahrt, die seine Nachfolger sich zur angelegentlichen Pflicht gemacht haben.« – »Und doch« – bemerkte ich – »ward er angefeindet, wie seine Nachfolger, ja, er blieb unbekannt im Vaterlande und erst Cornelius wußte das Herz des Volkes zu treffen, indem er ihm den ›Faust‹ vor Augen stellte.«
243 Goethe nahm die Bemerkung sichtbar wohlgefällig auf, doch fügte er hinzu: Cornelius habe recht gethan, die in seinem »Faust« gebrauchten, der altdeutschen Kunst entlehnten Formen zu verlassen, um sich in seinen jetzigen mythologischen Aufgaben freier bewegen zu können. Da Cornelius sich selbst einmal gegen mich dahin geäußert, daß der Stil durch den Gegenstand bedingt sei, und daß er Faust und Nibelungen auch jetzt in keiner andern Ausdrucksweise wiedergeben würde, als früher, so theilte ich diese Äußerung mit. Aber Eckermann fiel mir ins Wort: »Diese Ansicht scheint auf Verwechslung der dichtenden und bildenden Kunst zu beruhen. Bei der unmittelbaren Einwirkung der letztern auf die Sinne machen sich doch sicher andere Gesetze geltend, als wenn nur Phantasie und Vorstellungsvermögen beschäftigt werden.« – »Es ist ein Unterschied,« bemerkte Goethe; »doch muß ich hier Cornelius beistimmen; denn auch ich hätte ›Iphigenie‹ und ›Tasso‹ nicht im Stil von ›Faust‹ und ›Götz‹ schreiben können, so wenig wie umgekehrt.« ]
Das Gespräch wurde auf eine – vielleicht nur für mich – überraschende Weise unterbrochen. An dem einen Ende der Tafel wurde es unruhig; man räusperte sich, gab ein leichtes Zeichen am Glas, und ein vierstimmiger Gesang ward angestimmt. Es gehörte die schöne Sitte, das Mahl mit Gesängen zu würzen – wie mir Eckermann vertraute – zu Goethes besonderen Tafelfreuden bei festlichen Gelegenheiten, und so folgte 244 auch heute nach jedem Gange ein Gesang. Unter andern war das Lied angestimmt worden:
Mich ergreift, ich weiß nicht wie?
Himmlisches Behagen;
nach Beendigung desselben hub Goethe an: »Man schreibt sonst den Gerüchen die besondere Kraft zu, Erinnerungen zu wecken: Musik und Gesang wirken ebenso nachdrücklich in der gleichen Richtung. So steht jetzt lebhaft der Abend vor mir, für welchen ich das Lied, das man eben sang, gedichtet habe. Es war vor der Abreise unseres Erbprinzen nach Paris, als ein Freundekreis um ihn versammelt war. Schiller hatte für denselben Abend sein bekanntes Lied an den Erbprinzen geschrieben, das wir nach der Rheinweinliedmelodie sangen; und nun steht der Abend, Schiller, der Kreis der Freunde, der Abschied – alles bis auf den kleinsten Zug vor meiner Seele.«
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Bisher hatte er [Meyer] die feindliche Stellung, die er der neuen deutschen Kunst gegenüber eingenommen, wenn auch nicht aufgedeckt, doch behauptet. Ich weiß nicht: mochte ihm der Gedanke gekommen sein, daß doch nicht alle, die der neuen Fahne folgten, zu den verhaßten Nazarenern gehören dürften – mochten die letztern Mittheilungen ihn milder gestimmt haben – kurz, als jetzt der Champagner eingeschenkt wurde, Goethe das Glas erhob und gegen mich gewendet sagte: »Lassen Sie uns auf das Wohl Ihres Meisters und 245 einen segensreichen Erfolg seines Wirkens anstoßen!« – und nun Eckermann und mehrere Nahesitzende dem gegebenen Beispiele folgten, und da Goethe hinzufügte: »Grüßen Sie Ihren Meister herzlich von mir und sagen Sie ihm, daß mich alles gefreut habe, was ich durch Sie von ihm und seiner Schule erfahren« – wandte sich auch Meyer mit seinem Glase zu mir, stieß an und fügte – wie mir schien, in einem andern, als dem bisher gebrauchten trocknen und harten Tone – hinzu: »Sagen Sie's Ihrem Meister, daß ich mit Ihnen hier auf sein Wohl ein Glas Champagner geleert; 's ist ernstlich gemeint.«... Und so hatte es den Anschein, als ob es der Rede und Widerrede gelungen sei, Vorurtheile zu zerstreuen, wo sie am festesten Fuß gefaßt.
Nach dem Dessert setzte sich Hummel ans Instrument und gab dem kleinen Feste mit einer heitern und reichen Phantasie einen glänzenden Schluß.
Schon über Tische hatte es mich vielfach beschäftigt, wie ich mich wohl für so viel auszeichnende Güte dankbar beweisen könnte, und so war ich auf den Gedanken gekommen, die Enkel Goethes zu zeichnen. Ich wandte mich deshalb an Frau Ottilie v. Goethe und fand für meinen Antrag die freundlichste Aufnahme; schon am nächsten Morgen konnte ich die Arbeit beginnen.
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