Innerlich hatte ich mich indessen schon wieder so gestaltet, daß am 19. Januar die Langeweile des Zustandes mir eine mäßige Thätigkeit abforderte, und so wendete ich mich zur Übersetzung des Theophrastischen Büchleins von den Farben, die ich schon längst im Sinne gehabt. Die nächsten Freunde, Schiller, Herder, Voigt, Einsiedel und Loder waren thätig, mich über fernere böse Stunden hinauszuheben. Am 22. war schon bei mir ein Concert veranstaltet, und Durchlaucht dem Herzog konnt' ich am 24., als am Tage, wo er nach Berlin reis'te, für die bis zuletzt ununterbrochene Sorgfalt mit erheitertem Geiste danken: denn an diesem Tage hatte sich das Auge wieder geöffnet, und man durfte hoffen, frei und vollständig abermals in die Welt zu schauen. Auch konnte 90 ich zunächst mit genesendem Blick die Gegenwart der durchlauchtigsten Herzogin Amalia und Ihrer freundlich geistreichen Umgebung bei mir verehren.
Am 29. durchging ich die Rolle der Amenaide mit Demoiselle Caspers, einer sich heranbildenden Schauspielerin. Freund Schiller leitete die Proben, und so gab er mir denn auch den 30. Abends nach der Aufführung Nachricht von dem Gelingen. So ging ich ferner dieselbe Rolle mit Demoiselle Jagemann durch, deren Naturell und Verdienst als Schauspielerin und Sängerin damals ein Verehrer nach unmittelbaren Eindrücken hätte schildern sollen.
Brauchbar und angenehm in manchen Rollen war Ehlers als Schauspieler und Sänger, besonders in dieser letzten Eigenschaft geselliger Unterhaltung höchst willkommen, indem er Balladen und andere Lieder der Art zur Guitarre mit genauester Präcision der Textworte, ganz unvergleichlich vortrug. Er war unermüdet im Studiren des eigentlichsten Ausdrucks, der darin besteht, daß der Sänger nach Einer Melodie die verschiedenste Bedeutung der einzelnen Strophen hervorzuheben und so die Pflicht des Lyrikers und Epikers zugleich zu erfüllen weiß. Hievon durchdrungen ließ er sich's gern gefallen, wenn ich ihm zumuthete, mehrere Abendstunden, ja bis tief in die Nacht hinein, dasselbe Lied mit allen Schattirungen auf's pünctlichste zu wiederholen: denn bei der gelungenen Praxis überzeugte er sich, wie verwerflich alles sogenannte Durchcomponiren der Lieder sei, wodurch der allgemein lyrische Charakter ganz aufgehoben und eine falsche Theilnahme am Einzelnen gefordert und erregt wird.
[ Gräf Nr. 1322: Schon am 7. Februar regte sich in mir die productive Ungeduld, ich nahm den Faust wieder vor und führte stellenweise dasjenige aus, was in Zeichnung und Umriß schon längst vor mir lag. ]
Als ich zu Ende vorigen Jahrs in Jena den Tancred bearbeitete, ließen meine dortigen geistreichen Freunde den Vorwurf laut werden, daß ich mich mit französischen Stücken, welche bei der jetzigen Gesinnung von Deutschland nicht wohl Gunst erlangen könnten, so emsig beschäftige und nichts Eigenes vornähme, wovon ich doch so manches hatte merken lassen. Ich rief mir daher die Natürliche Tochter vor die Seele, deren ganz ausgeführtes Schema schon seit einigen Jahren unter meinen Papieren lag.
Gelegentlich dacht' ich an das Weitere; allein durch einen auf Erfahrung gestützten Aberglauben, daß ich ein Unternehmen nicht aussprechen dürfe, wenn es gelingen solle, verschwieg ich selbst Schillern diese Arbeit und erschien ihm daher als untheilnehmend, glauben- und thatlos. Ende December find' ich bemerkt, daß der erste Act der Natürlichen Tochter vollendet worden.