»Ich fuhr darum gleich nach Tisch zu Goethe mit einer sonderbaren Empfindung – die Du mir nachfühlst. – Vor dem Haus, vor dem wir damals im Mondschein gestanden, und von dem Du ein Stück mitnahmst, hielt ich nun still und ward in der geöffneten Thür von einem Bedienten die Treppe hinaufgewiesen, die bequem und hell genug ist, um verschiedene Büsten und Figuren gehörig zu beleuchten, die in den Nischen der Absätze angebracht sind. Oben an der Thür Castor und Pollux und ein Salve auf einer Steinplatte der Thürschwelle. Frau von Goethe kam mir entgegen mit ihrem Sohn von fünf Jahren, führte mich in ein zweites Zimmer und sagte mir mit einer freundlichen Begrüßung, daß sie mir unterdessen den Enkel vorstelle.
»Wir setzten uns auf ein Sopha in diesem Zimmer mit drei Fenstern, das ganz einfach, aber bequem eingerichtet war, und wo sich außer wenigen Anderen an der Seite des ersten Fensters der Kopf der großen Juno befand, die Du wohl kennst.
»Der Kleine ist ein munteres, schönes Kind, und ich betrachtete eben seine außerordentlich großen schwarzen Augen, in denen etwas vom Großvater sein mußte, als dieser eintrat – die Thür schloß, mich freundlich zum Niedersitzen nöthigte, einen Stuhl nahm und – neben Deiner Schwester saß! Es waren keine Flügelthüren aufgegangen, damit der berühmte Mann eintrete und die große Minute vergönne. Er war da und sprach und dankte für das Mitgebrachte und fragte und nahm alles freundlich auf. Ich betrachtete diese Züge, während er sich in Rösells (richtiger Rösels, des Berliner Malers) Lob aussprach – ich dachte daneben an seine schönsten Stellen, in denen einfach der hohe Genius sich ausspricht – und ich war mir jetzt an diesem Goethe keines anderen Gefühles als nur des Dankes bewußt, daß der Himmel uns, seinen Menschen, soviel gewährt. Jeder Schmerz ist Seelenohnmacht, da wir im Geist über der Erde und über dem Schmerze leben können...... Auf die Grüße der Frau von Kalb war er sehr erfreut, von ihr etwas zu hören, rühmte sie in jeder Art und sagte, sehr angenehme Zeiten mit ihr erlebt zu haben. Er bat in einem recht herzlichen Ton, sie zu grüßen, sowie auch die Generalin Hellwig (Amalie v. Imhoff), von der er selbst anfing, und deren Uebersetzung der nordischen Romanzen rühmte. [ Gräf Nr. 1267: Er erwähnte dann Berlin, die Winter-Unterhaltungen, natürlich auch das Theater, worauf ich erwidern mußte, daß wir das Beste doch gerade aus Weimar hätten, nämlich die Wolff’s, und er nahm es freundlich auf, als ich auf Wolff’s Vorstellung des »Faust« kam und ihm sagte, daß ich demselben die Bekanntschaft dieses seines Werkes verdanke. ] Er wußte davon, und als ich die Schule 286der Wolff’s erwähnt hatte, sagte er, es sei doch auch erfreulich, daneben Talente zu bemerken, die Alles sich selbst verdankten und allein recht viel geworden seien, z. B. Devrient – wie er denn jedesmal leicht hinwegging über Alles, was man ihm schuldig ist. – Besonders interessant sprach er dann über italienische Opern, vorzüglich diejenigen in Italien selbst, und man sah es ihm an, wie sich seine Seele lebhafter bewegte bei dem Gedanken an dies Land. Er rühmte besonders die Art der kleinen Opern, die improvisirt würden von Jedem einzeln und wie denselben an geistiger Lebhaftigkeit nichts gleichkäme, er meinte, daß die Vaudevilles in Frankreich sich ihnen am ersten und am meisten näherten. Von den nordischen Gedichten der Frau von Hellwig oder mehr noch von dem heutigen Improvisator in Holland kam er auf die Literatur dieses Landes und meinte, daß dieselbe doch recht viel Vortreffliches besitze, daß man sie bei uns nicht sehr kenne, weil sie freilich in der Form ganz nach der französischen gebildet sei.
»Er sprach dann auch von Schlesien, von Fischbach, daß er niemals im Gebirge gewesen sei, und als sein kleiner Enkel zu der Mutter sagte, er wolle zu mir kommen, uns dort besuchen, sagte Goethe zu diesem: »Da bitte doch, daß Dein Großpapa auch mitkommen darf.« Das war doch artig! – Als ich endlich, gewiß nach einer Stunde, aufstand, um wegzugehen, gab er mir die Hand; ich war wirklich recht bewegt und bat ihn, ihm nun zuletzt danken zu dürfen für Alles, was er uns gegeben habe. Da schüttelte er meine beiden Hände und sagte: »Nun das freut mich, wenn Ihnen etwas davon wohlgethan hat.« Ich weinte recht von Herzen und freudig vor ihm, sagte, »daß ich einen Bruder hätte, und daß ich ihm den schicken würde.« Darauf sah er mich bejahend an, sagte »Adieu« und noch ein recht freundliches Wort und ging, und ich von der anderen Seite mit seiner Tochter. Der Kleine meinte, ich sei traurig, und ich war doch recht erhoben und stark in der Minute. – Seine schönsten Gedanken waren lebendiger als je in meiner Seele, mir war, als sei Alles gut und Alles ausgeglichen im Leben, es war ein Blick in die Unsterblichkeit. Frau von Goethe war auch recht gut und freundlich. Sie führte mich noch weiter (wir waren in seinem eigenen Zimmer, nicht bei ihr) in ein Zimmer, wo Büsten in zwei Reihen übereinander aufgestellt waren, gegenüber lagen auf Tischen Papiere und Hefte. Unter den Büsten waren Schiller, Jacobi, Winckelmann u. s. w., alle bedeutenden Männer seiner Zeit, und es machte ihm wie ihnen Ehre, sie an diesem Ort zu sehen, in jeder Art. Von Herder stand eine marmorne noch apart, die überaus ähnlich sein soll. Aus dieser Gesellschaft kommt man in ein rundes Cabinet, dessen Thür in den Garten geht und in dem Goethe früher oft gesessen haben soll, allein mit Schiller. Ueberhaupt scheint er diesen immer recht geflissentlich neben sich erheben zu wollen und darzuthun, wie sehr sie Freunde waren, was auch die Tochter öfter aussprach. Der Garten war voller Blumen und Blüthenbäume und außer einer niedrigen Mauer mit großen schattigen Kastanienbäumen umgeben.«