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1822, 2. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner u.a.
[ Gräf Nr. 1245: Goethe besah meine Bibliothek, hielt sich einige Zeit bei meinen französischen und englischen Werken auf, nahm manchen Band heraus, um die Auflage zu besehen; endlich nahm er auch einen Band von seinen Werken. Es war der erste Theil, betitelt: »Theater 175 von Goethe«, enthaltend: Faust , die Laune des Verliebten und die natürliche Tochter. Wien, gedruckt bei Anton Strauß, 1810, in Commission bei Geistiger. Da es ein Nachdruck war, befürchtete ich, Goethe werde sich etwas bitter äußern. Er aber betrachtete die Umrisse, die statt der Kupferstiche beigegeben waren, und sagte, nachdem er noch einige Bände angesehen hatte, daß diese Auflage unter die guten zu zählen sei, – ohne eine Miene zu machen, daß der Nachdruck ihm unangenehm wäre. ] Dann verweilte er längere Zeit bei meiner schon erwähnten Mosaik.
Nachmittags besuchten wir den Prior im Dominikanerkloster, um die Bibliothek und das Mineralien-und Conchylienkabinet zu besehen. Goethe fand beide unbedeutend. Die Bibliothek enthielt meist Werke theologischen Inhaltes. Ich machte ihn bloß auf ein Manuscript des Priors Wilhelm aufmerksam, der zur Zeit, als Stadt und Gebiet Eger im Jahre 1565 zum protestantischen Bekenntnisse übertrat, allein im Kloster sich erhielt, den Predigten der Prädicanten beiwohnte, und Alles aufzeichnete, was sie wider den Papst und die katholische Religion predigten, dieses dem Bischofe von Regensburg anzeigte, und sich dadurch manche Verfolgung zuzog, bis endlich auf Andringen des Bischofs den Lutheranern zu Eger durch ein kaiserliches Rescript Einhalt gethan wurde.
Goethe sagte: »Gegenseitige Schimpfereien waren damals im Schwange, und entzweiten die Gemüther 176 noch mehr, und der kräftige Luther, wie Sie wissen, hatte doch bedeutende Anhaltspunkte.«
Ich sprach meine Ansicht dahin aus, daß, wenn die katholischen Regenten gleich zu Anfang kräftig eingeschritten wären und einige Mißbräuche abgestellt hätten, die Umwälzung nicht in so großem Umfange stattgefunden, der dreißigjährige Krieg Deutschland nicht so tiefe Wunden geschlagen haben würde.
»Sie können recht haben,« entgegnete Goethe, »allein ich sage Ihnen, daß die Lehre bei Ihnen besser ausgedacht ist, und mehr zum Ganzen zusammengreift als bei uns. Wir haben gute Prediger, sie werden aber wenig besucht; in jeder bedeutenden Stadt fängt man an, neue Grundsätze aufstellen zu wollen. Wenn wir nur ein Original hätten!«
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