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Über die Ausgabe der Goethe'schen Werke. Morgenblatt 1816. Nr. 101.

Schon lange Jahre genießt der Verfasser das Glück, daß die Nation an seinen Arbeiten nicht nur freundlich Theil nimmt, sondern daß auch mancher Leser, den Schriftsteller in den Schriften aufsuchend, die stufenweise Entwicklung seiner geistigen Bildung zu entdecken bemüht ist. Wie sehr er dieses zu schätzen weiß, ist mehrern verehrten Personen bekannt, die mit ihm in nähern Verhältnissen stehen, aber auch Entfernte können daraus abnehmen, daß ihm ihre Theilnahme lieb und werth ist, da er für sie die Darstellung seines Lebens unternommen hat, deren Hauptzweck es ist, die Entwicklung schriftstellerischer und künstlerischer Fähigkeiten aus natürlichen und menschlichen Anlagen faßlich zu machen.

Wenn er nun aber vernimmt, daß man in gleicher Ansicht den Wunsch hegt, die neue Ausgabe seiner Schriften möchte chronologisch geordnet werden, so 78 hält er es für Schuldigkeit, umständlich anzuzeigen, warum dieses nicht geschehen könne.

Wir haben zwar an der Ausgabe Schiller'scher Werke ein Beispiel solcher Anordnung; allein der Herausgeber derselben war in einem ganz andern Falle als der ist, in welchem wir uns gegenwärtig befinden. Bei einem sehr weiten Gesichtskreise hatte Schiller seinen Arbeitskreis nicht übermäßig ausgedehnt. Die Epochen seiner Bildung sind entschieden und deutlich; die Werke, die er zu Stande gebracht, wurden in einem kurzen Zeitraume vollendet. Sein Leben war leider nur zu kurz, und der Herausgeber übersah die vollbrachte Bahn seines Autors. Die Goethe'schen Arbeiten hingegen sind Erzeugnisse eines Talents, das sich nicht stufenweis entwickelt und auch nicht umherschwärmt, sondern gleichzeitig aus einem gewissen Mittelpuncte sich nach allen Seiten hin versucht und in der Nähe sowohl als in der Ferne zu wirken strebt, manchen eingeschlagenen Weg für immer verläßt, auf andern lange beharrt. Wer sieht nicht, daß hier das wunderlichste Gemisch erscheinen müßte, wenn man das, was den Verfasser gleichzeitig beschäftigte, in Einen Band zusammenbringen wollte, wenn es auch möglich wäre, die verschiedensten Productionen dergestalt zu sondern, daß sie sich alsdann wieder der Zeit ihres Ursprungs nach neben einander stellen ließen?

Dieses ist aber deßhalb nicht thunlich, weil zwischen Entwurf, Beginnen und Vollendung größerer, ja selbst 79 kleinerer Arbeiten oft viele Zeit hinging, sogar bei der Herausgabe die Productionen theilweise umgearbeitet, Lücken derselben ausgefüllt, durch Redaction und Revision erst eine Gestalt entschieden wurde, wie sie der Augenblick gewährte, in welchem sie den Weg einer öffentlichen Erscheinung betraten. Diese Verfahrungsart, die theils aus einem unruhigen Naturell, theils aus einem sehr bewegten Leben hervorging, kann auf keinem andern als dem angefangenen Wege deutlich gemacht werden, wenn dem Verfasser nämlich gewährt ist, seine Bekenntnisse fortzusetzen. Alsdann wird der vierte Band, welcher bis zu Ende von 1775 reicht, die bedeutendsten Anfänge vorlegen; durch die Reise nach Italien wird sodann die erste Ausgabe bei Göschen und was bis dahin vollbracht worden, in's Klare gesetzt, woraus denn hervorgehen dürfte, daß eine Zusammenstellung nach Jahren und Epochen keineswegs zu leisten sei.

Noch andere Betrachtungen treten ein, welche nicht abzuweisen sind. Die Mehrzahl der Leser verlangt die Schrift und nicht den Schriftsteller; ihr ist darum zu thun, daß sie die Arbeiten, verschiedener Art und Natur gemäß, in Gruppen und Massen beisammen finde, auch in diesem Sinne einen und den andern Band zu irgend einem Gebrauch sich wähle. Der Componist, Sänger, Declamator will die Lieder, die kürzern Gedichte beisammen, um sich deren auf Reisen, in Gesellschaften bedienen zu können. Diese 80 sämmtlichen Freunde würden unzufrieden sein, wenn sie solche Productionen, die sie vorzüglich interessiren, in viele Bände zerstreut sähen. Ja es dürften nicht einmal mehrere spätere Lieder, die schon componirt und gedruckt sind, in diese Ausgabe aufgenommen werden, weil sie einer Epoche angehören, deren völliger Abschluß den Nachkommen überlassen bleibt.

Und so wird man denn auch dem Verleger Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn er die Einrichtung traf, daß die erste Ausgabe vollkommen brauchbar bleiben und mit wenigem Aufwande der zweiten völlig gleich ergänzt werden könnte.

Damit man aber des Verfassers Bereitwilligkeit sehe, allen billigen Wünschen entgegen zu kommen, so wird er dieser neuen Ausgabe einen Aufsatz hinzufügen, der dasjenige, was in den Bekenntnissen schon gesagt worden, im kurzen wiederholen und das, was noch zu sagen übrig bleibt, gleichfalls kurz, jedoch wesentlich darlegen wird.

Sind die versprochenen zwanzig Bände durch die Gunst des Publicums beendigt und herausgegeben, alsdann wird eher die Frage zu beantworten sein, in wie fern eine Fortsetzung, ja vielleicht auch eine Ausgabe der wissenschaftlichen Arbeiten zu wünschen sei.

Und so glaubt man durch aufrichtige Darlegung der Umstände dem theilnehmenden wohlwollenden Leser so viel als möglich genug gethan zu haben.

Weimar, März 1816.

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So lauteten Erklärung und Vorsatz, wie das Morgenblatt solche vor drei Jahren mittheilte, als man eine chronologisch-folgerechte Ausgabe meiner Druckschriften abzulehnen für nöthig fand. Die Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens spricht sich im Vorstehenden genug aus.

Jetzt aber, da man beabsichtigte, von jenen schriftstellerischen Arbeiten eine chronologische, auch nur flüchtig verknüpfte Darstellung zu geben, tritt eben derselbe Fall ein. Dasjenige, was von meinen Bemühungen im Drucke erschienen, sind nur Einzelnheiten, die auf einem Lebensboden wurzelten und wuchsen, wo Thun und Lernen, Reden und Schreiben unablässig wirkend einen schwer zu entwirrenden Knaul bildeten.

Man begegnete daher vielfachen Schwierigkeiten, als man jener Zusage nur einigermaßen nachleben wollte. Man hatte versucht, die Anlässe, die Anregungen zu bezeichnen, das Offenbare mit dem Verborgenen, das Mitgetheilte mit dem Zurückgebliebenen durch ästhetische und sittliche Bekenntnisse zusammenzuknüpfen, man hatte getrachtet, Lücken auszufüllen, Gelungenes und Mißlungenes, nicht weniger Vorarbeiten bekannt zu machen, dabei anzudeuten, wie manches zu einem Zweck Gesammeltes zu andern verwendet, ja wohl auch verschwendet worden. Kaum aber war man mit solchen Bemühungen, den Lebensgang folgerecht darzustellen, einige Lustra vorgeschritten, 82 als nur allzu deutlich ward, hier dürfe keine cursorische Behandlung stattfinden, sie müsse vielmehr derjenigen gleichen, wie sie schon in den fünf biographischen Bänden mehr oder weniger durchgesetzt worden.

Daher mußte man sich gegenwärtig zu einem summarisch-chronologischen Verzeichniß entschließen, wie es hier zunächst mit dem Wunsche erfolgt: es möge einstweilen zum Faden allgemeiner Betrachtung dienen, an welchem auch künftig der freundliche Leser einer ausgeführteren Darstellung folgen möchte.

Weimar, März 1819.

1769.

Die Laune des Verliebten; die Mitschuldigen.

Von 1769 bis 1775.

[ Gräf Nr. 1204: Werther; Götz von Berlichingen; Clavigo; Stella; Erwin und Elmire; Claudine von Villa bella; Faust; die Puppenspiele; Prolog zu Bahrdt; Fragmente des ewigen Juden; Antheil an den Frankfurter gelehrten Anzeigen und Recensionen dahin. ]

Von 1775 bis 1780.

Lila; die Geschwister; Iphigenia; Proserpina; Triumph der Empfindsamkeit; Hans Sachs; Anfänge des Wilhelm Meister; Wanderung von Genf auf den Gotthard; Jery und Bätely.

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Von 1780 bis 1786.

Elpenor; die Vögel; Scherz, List und Rache; Wilhelm Meister fortgesetzt.

1787 und 1788.

Ausgabe meiner Schriften bei Göschen in acht Bänden; Iphigenia, Egmont, Tasso umgearbeitet und abgeschlossen; Claudine von Villa bella, Erwin und Elmire in reinere Opernform gebracht.

1789.

Der Groß-Cophta; die ungleichen Hausgenossen, unvollendet; das römische Carneval; Stammbaum Cagliostro's.

1790.

Metamorphose der Pflanzen; römische Elegien; venetianische Epigramme; vergleichende Anatomie; Abhandlung über den Zwischenknochen.

1791.

Optischer Beiträge erstes Stück; Bearbeitung italiänischer und französischer Opern.

1792.

Optischer Beiträge zweites Stück.

1793.

Reineke Fuchs; der Bürgergeneral; die Aufgeregten; die Unterhaltung der Ausgewanderten mit dem angefügten Mährchen.

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1794.

Vorbereitung zu den Horen.

1795.

Abdruck derselben und Theilnahme daran; Grundschema einer vergleichenden Knochenlehre; Wilhelm Meister vollständig.

1796.

Alexis und Dora, der neue Pausias, Braut von Korinth, Gott und Bajadere, die Xenien, sämmtlich für den Schiller'schen Musenalmanach; Hermann und Dorothea begonnen.

1797.

Dasselbe vollendet und herausgegeben; Euphrosyne, Trauergedicht.

1798.

Weissagungen des Bakis; Achilleis; Cellini's Leben für die Horen; Diderot von den Farben und der Sammler für die Propyläen.

1799.

Mahomet übersetzt; Plan zur natürlichen Tochter.

1800.

Paläophron und Neoterpe; neuere kleinere Gedichte bei Unger herausgegeben; die guten Frauen für den Damenkalender; Tancred übersetzt.

1801.

Theophrast von den Farben; Geschichte der Farbenlehre.

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1802.

Was wir bringen, Vorspiel.

1803.

Der natürlichen Tochter erster Theil abgeschlossen; Entwurf der beiden andern; Cellini vollständig, mit kunstgeschichtlichen Bemerkungen.

1804.

Antheil an der jenaischen allgemeinen Literaturzeitung und Recensionen dahin; Götz von Berlichingen für's Theater; Winckelmanns Briefe herausgegeben.

1805.

Übersetzung von Rameau's Neffen; Ausgabe meiner Werke in 12 Bänden bei Cotta; zugleich Druck der Farbenlehre begonnen.

1806.

Vorstehendes fortgesetzt.

1807.

St. Joseph der Zweite; die neue Melusine; die gefährliche Wette; der Mann von funfzig Jahren; die pilgernde Thörin; methodischer Katalog der Karlsbader Mineraliensammlung.

1808.

Pandora, erster Theil; das nußbraune Mädchen; Beschreibung des Kammerbergs bei Eger.

1809.

Die Wahlverwandtschaften.

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1810.

Die romantische Poesie, Maskenzug, ausgelegt in Stanzen; russischer Völkerzug, begleitet von Liedern; J. M. der Kaiserin von Österreich gewidmete Gedichte in Karlsbad; Ausgabe der Farbenlehre in zwei Bänden, nebst einem Heft dazu gehöriger Tafeln und deren Auslegung.

1811.

Erster Band der Biographie; Romeo und Julie für's deutsche Theater; Rinaldo, Cantate.

1812.

Zweiter Band der Biographie; drei Gedichte an die Majestäten im Namen der Karlsbader Bürger.

1813.

Über Ruysdaels Landschaften; Beschreibung der Berghöhen als landschaftliches Bild; Romanzen: der Todtentanz, der getreue Eckart, die wandelnde Glocke; Epilog zum Essex; zu Wielands Todtenfeier.

1814.

Dritter Band der Biographie; Vorspiel für Halle, Todtenopfer für Reil; Epimenides Erwachen; Gastmahl der Weisen; Gedichte, dem Großherzog zum Willkommen.

1815.

Neue Ausgabe meiner Werke in der Cotta'schen Buchhandlung beginnt.

1816.

Kunst und Alterthum, erstes Heft; Rochusfest geschrieben; italiänische Reise, erster Band.

1817.

Kunst und Alterthum, zweites Heft; italiänische Reise, zweiter Band; Morphologie, erstes Heft.

1818.

Kunst und Alterthum, drittes Heft; der Abdruck des Divans mit einem Nachtrag zu besserem Verständniß, des vierten Hefts von Kunst und Alterthum, der Festgedichte bei Anwesenheit Ihro der Kaiserin Mutter Majestät in Weimar und die Ablieferung der beiden letzten Bände der neuen Ausgabe meiner Werke verzieht sich bis in's Jahr 1819.