[ Gräf Nr. 1188: Eine Probe aus diesem Walpurgissacke und zugleich des Goethe’schen Humors sei die in dem gedruckten „Faust“ unterdrückte Scene , welche hier mitgetheilt werden soll.
Es wird nämlich dem Faust, weil er die ganze Welt kennen lernen will, vom Mephistopheles unter Anderm auch der Antrag gemacht, beim Kaiser um eine Au dienz nachzusuchen. Es ist gerade Krönungszeit. Faust und Mephistopheles kommen glücklich nach Frankfurt. Nun sollen sie gemeldet werden. Faust will nicht daran, weil er nicht weiß, was er dem Kaiser sagen, oder wovon er sich mit ihm unterhalten soll. Mephistopheles aber heißt ihn gutes Muthes seyn; er wolle ihm schon zu gehöriger Zeit an die Hand gehn, ihn, wo die Unterhaltung stocke, unterstützen und, im Fall es gar nicht fort wolle, mit dem Gespräche zugleich auch seine Person übernehmen, sodaß der Kaiser gar nicht inne zu werden brauche, mit wem er eigentlich gesprochen oder nicht gesprochen habe. So läßt sich denn Faust zuletzt den Vorschlag gefallen. Beide gehen ins Audienzzimmer und werden auch wirklich vorgelassen. Faust seinerseits, um sich dieser Gnade werth zu machen, nimmt Alles, was irgend von Geist und Kenntniß in seinem Kopfe ist, zusammen und spricht von den erhabensten Gegenständen. Sein Feuer indessen wärmt nur ihn; den Kaiser selbst läßt es kalt. Er gähnt einmal über das andere und steht sogar auf dem Punkte, die ganze Unterhaltung abzubrechen. Dies wird Mephistophiles noch zur rechten Zeit gewahr und kommt dem armen Faust ver 96sprochnermaßen zu Hülfe. Er nimmt zu dem Ende dessen Gestalt an und steht mit Mantel, Koller und Kragen, den Degen an seiner Seite, leibhaftig wie Faust vor dem Kaiser da. Nun setzt er das Gespräch genau da fort, wo Faust geendigt hatte; nur mit einem ganz andern und weit glänzendern Erfolge. Er raisonnirt nämlich, schwadronirt und radotirt so links und rechts, so kreuz und quer, so in die Welt hinein und aus der Welt heraus, daß der Kaiser vor Erstaunen ganz außer sich geräth und die umstehenden Herren von seinem Hofe versichert, das sei ein grundgelehrter Mann, dem möchte er wol tage- und wochenlang zuhören, ohne jemals müde zu werden. Anfangs sei es ihm freilich nicht recht von Statten gegangen, aber nach diesem, und wie er gehörig in Fluß gekommen, da lasse sich kaum etwas Prächtigeres denken, als die Art, wie er Alles so kurz, und doch zugleich so zierlich und gründlich vortrage. Er als Kaiser müsse bekennen, einen solchen Schatz von Gedanken, Menschenkenntniß und tiefen Erfahrungen nie in einer Person, selbst nicht bei den weisesten von seinen Räthen, vereinigt gefunden zu haben.
Ob der Kaiser mit diesem Lobe zugleich den Vor 97schlag verbindet, daß Faust-Mephistopheles in seine Dienste treten, oder die Stelle eines dirigirenden Ministers annehmen soll, ist mir unbekannt. Wahrscheinlich aber hat Faust einen solchen Antrag aus guten Gründen abgelehnt. ]