Die Musik zum Goethe’schen Faust.
Von K. Eberwein in Weimar.
Am 28. März 1853 wurde im Großherzoglichen Hoftheater zu Weimar der Goethe’sche Faust aufgeführt. Früher Dirigent des Stücks in seinen musikalischen Partien, befand ich mich zum ersten Male unter den Zuschauern und Zuhörern. Die Vorstellung an jenem Abende, über welche ich unten ein Wort der Kritik hinzufügen werde, ließ in meiner Seele einen Entschluß wieder erwachen, zu dessen Ausführung mich so manche Freunde, die da wußten daß ich viele Jahre hindurch in so mannichfachen Beziehungen zu Goethe und zu dem Weimarischen Theater gestanden habe, schon längst und oft angeregt hatten. Der Entschluß soll jetzt zur That werden. Kleine Beiträge will ich liefern zu den Erinnerungen an Goethe, für dessen Denkmal Europa jetzt sammelt; Mittheilungen will ich machen über unser Theater aus einer Zeit, wo dasselbe noch unter dem gewaltigen Einflusse des großen Geistes stand. Ich habe Zeit, habe Muße. Die zum Guten wie zum Schlimmen unerläßlichen Requisiten haben S. Königliche Hoheit der Großherzog mir gnädigst gewährt, wohl wissend daß mein Streben stets dahin gerichtet war, das Schöne mit dem Nützlichen zu einen, und Art nicht von Art läßt. Ich will meine Skizzen beginnen mit Faust.
[ Gräf Nr. 1157: Wolf war es, welcher im Jahr 1816 zuerst den Gedanken anregte bei Goethe, den Faust theilweise für die Bühne einzurichten. „Ich werde damit,“ sagte Goethe zu mir, „in der Weise verfahren, wie die Franzosen sich auszudrücken pflegen;“ – hier gebrauchte er ein französisches Wort, das er gleich hinterher so übersetzte: „Ich werde gleich einer Maus an dem Gedichte nagen und nach und nach ein Ganzes daraus fertigen.“ Die erste Abtheilung sollte vom Faust’schen Monolog bis zum Eintritte des Osterfestes reichen. Öls erhielt die Faustrolle, Graff sollte den Erdgeist spielen, Gretchen und Mephisto waren dem Künstlerpaare Wolf bestimmt. Der Famulus kam meines Wissens nicht zum Vorschein. Mir aber übertrug Goethe die Composition mit dem Wunsche, daß ich diese Abtheilung mit derselben Discretion und Umsicht melodramatisch behandeln möchte, wie das mir bei der Composition der Proserpina – „Monodram aus dem Triumphe der Empfindsamkeit von Goethe“ – gelungen sei.
In einem Garderobezimmer des Theatergebäudes hielt Goethe die erste Leseprobe ab. Er schloß dabei meistentheils die Augen, wie er’s zu thun pflegte, wann er einem Vortrage mit gespannter Aufmerksamkeit folgte. ]
Ich meinerseits war glücklich durch den Auftrag meines von mir hochverehrten Meisters und Beschützers. Ich war eifrig bemüht, dem ehrenvollen Vertrauen würdig zu entsprechen. Indeß, so leicht mir die Musik zur Proserpina geworden war, so schwer wurde es mir jetzt, derselben zu Faust eine des Gedichtes würdige Gestalt zu geben, so daß der Eindruck jenes erhöht würde und der Laie durch’s Gefühl, welches die Musik erweckt, die hohe Bedeutung desselben ahnen könnte, die er mit dem Verstande zu erfassen nicht vermag. Elende Wortmalerei hätte dem Gedichte nur nachtheilig werden können, und solche Sünde wollte und konnte ich nicht auf mich laden. Dessenohngeachtet arbeitete ich mit Fleiß fort, um dem Gedichte eine der Musik günstige Seite abzugewinnen. Vergebens. Ich litt Tantalusqualen. Sie mußten abgeworfen 338werden. Ich begab mich zu Goethe. [ Gräf Nr. 1165: Er empfing mich in seinem Garten mit jener liebenswürdigen Freundlichkeit, die seinen Untergebenen gegenüber ihm eigen war und immer so wohlthätig auf diese wirkte. Auf- und abwandelnd mit ihm in den breiten Gartenwegen, meldete ich ihm daß ich wohl die Ostergesänge zu Faust beendigt hätte, daß aber die melodramatische Composition durchaus nicht gelingen wolle. Die Musik wirksam eintreten zu lassen, sie fortzuführen und zu schließen, dazu scheine mir das Gedicht nicht geeignet. Goethe frug: „Ist denn das für das Melodram kein günstiger Moment, wo Faust das Buch des Nostradamus aufschlägt?“ – Allein ich hatte mich nun einmal so sehr in dem Gedanken verbissen, daß es gerathener sei die Musik schweigen zu lassen; darum verharrte ich in vorgefaßter Meinung. Goethe entließ mich; doch habe ich weder damals, noch später bemerken können daß ihn meine Weigerung, seinem Willen mich zu fügen, verletzt hatte. ]
Ich schrieb dem Professor Zelter den Verlauf der ganzen Begebenheit. Er antwortete mir:
„Ihren angenehmen Brief vom 30. April habe ich erst gestern erhalten und danke schönstens für das freundliche Andenken und die mitgetheilten Nachrichten.
Auf Ihre Proserpina freue ich mich und wünsche nur, daß ich sie noch vor meiner Abreise in’s Bad zu hören bekomme.
Warum ich Sie in vollem Ernste beneide, das ist, nicht an Ihrer Stelle in Weimar gewesen zu sein, als Ihnen der Geh. Rath von Goethe die Scenen des Faust zu componiren aufgetragen hat. Das Glück, unter den Augen eines solchen Dichters, und in der Nähe eines disponibeln Theaters, wie das Ihrige, ein Stück zu arbeiten, stelle ich mir als das Höchste vor, das einem Componisten werden kann. Noch nie hat es ein Componist in der Welt genossen und kommt vielleicht in der Geschichte der Kunst nicht wieder vor, umsomehr, da Sie mir schreiben daß der Geh. Rath den Plan hatte, nach und nach den ganzen Faust auf diese Weise auf die Welt zu bringen: denn der Faust, sowie er jetzt ist, wird wohl niemals ganz vollendet werden und ein Fragment bleiben. Die Welt wird dadurch eines offenbaren Schatzes beraubt.
Was mich betrifft, so würde ich die Arbeit augenblicklich übernehmen, die Musik möchte gerathen oder nicht, nur um das Gedicht vollendet zu sehn, wenn ich nur 3 Monate in Weimar sein könnte.
Sie wünschen ein größeres Gedicht zu einer Oper. Haben Sie sich Claudine von Villabella schon angesehn? Das Gedicht ist der Composition ausnehmend günstig, bequem versificirt und voll Stoff, woraus ein Componist was machen kann, und maches könnte Ihnen der nahe Dichter nach Ihrer Weise und Art der Zeit, zurichten, da Sie ihn neben sich haben.
Betrachten Sie doch was Mozart aus seinen lumpigen Texten gemacht hat, und was er aus diesem Gedichte gemacht haben würde, wenn Ein Mensch so klug gewesen wäre, ihm die Composition aufzutragen.
Mir ist kein italienischer, kein französischer Dichter bekannt, wo der Componist so wenig genirt und so ganz seinem Talente überlassen wäre, als in den Goethischen Gedichten. Möchte aber jemand denken, er sei damit völlig fertig, wenn er diese leichten, luftigen Metra eben so leicht und luftig überblickt hat; dem sind sie wie ein Zauberschloß, in welches keiner den Eingang findet, der nicht mit den Augen des Geistes sieht. Ist es denn mit der Musik wohl anders, die an soviel tausend Ohren vorübergeht, von denen das Beste überhört wird? Da Sie selbst Componist sind, werden Sie ja aus eigener Erfahrung wissen daß das, was Ihnen das Liebste und Gelungenste daran ist, von Andern kaum bemerkt oder wie ein Glas Liqueur verschlungen wird. Leben Sie wohl! Zelter.“ –
Im Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter lautet der hierher gehörige 248 von Goethe wie folgt:
„Eberwein wies mir Deinen Brief vor; auch der hat mir viele Freude gemacht. Des jungen Mannes Talent kennst Du, es ist ein geerbtes, äußeres, und mit nichts gefüttert. Deswegen klebt’s mit Lust an der Erde und begreift nicht, warum es sich nicht vom Boden heben kann. Er hat das allerletzte Elend von Prosa in einer kleinen Oper – das Liebhaberconcert – componirt mit Behagen und Selbstgenügsamkeit. Was ich mit Faust vorhatte, sollte er nicht begreifen, aber er sollte mir folgen und meinen Willen thun, dann hätte er sehen sollen, was es heiße. Diese Menschenrace, die bei so manchen Vorzügen des eigentlich Besten ermangelt, begreift nicht, warum es nicht rucken will; nun suchen sie es durch Intrigue zu erreichen und Augenblicks verletzen sie durch Dünkel und Ungeschicklichkeit den erworbenen Gönner, und so zerstiebt das Mährchen, ja sie sind rückwärts, statt vorwärts gegangen.
Mit unserm Theater sieht’s wunderlich aus, es hat aber etwas zähes, und ein immer sich wieder zusammenfindendes Leben. Keine Einigkeit unter den Gliedern: wie sie aber auf’s Theater kommen, schwebt ihnen ein Gemeinsames vor, an das sie sich halten.“ –
Hierauf antwortet Zelter: „Daß Dir Eberwein meinen Brief vorgezeigt hat, gefällt mir von ihm, weil ich ihm eigentlich den Kopf darin habe waschen wollen über ein verrücktes Raisonnement in seinem Briefe, 339das ein Narr dem andern nachplaudert, ohne dabei einen Gedanken zu haben.
Künftigen Montag haben wir wieder eine Probe vom Faust – Musik vom Fürsten Radzivil. – Meine Prophezeiung scheint eintreffen zu wollen, wir rücken nicht fort. Der gute Componist gefällt sich in dem, was da ist, ja was nebenher ist, so sehr daß sich die Idee des Ganzen in eine Übersättigung des Einzelnen verquellt u. s. w.“ –
Zelter fuhr fort, Goethe über alles in Kenntniß zu setzen, was im Palaste des Fürsten bezüglich des Faust im Beisein der königlichen Familie gethan und unternommen wurde. Daß Goethe aber aus diesen Nachrichten keinen Nutzen für das Weimarische Theater zog, davon scheint der Grund in seiner natürlichen Abneigung zu liegen gegen Alles, was nach Dilettantismus roch.
Wolf, ging nach Berlin. Der Wegzug dieses Künstlers und manche andere Umstände, durch welche Goethe’n die oberste Intendanz des Großherzoglichen Theaters verleidet wurde, ließen Faust ruhen viele Jahre, bis 1829 Klingemann in Braunschweig denselben zum ersten Male auf die deutsche Bühne brachte. Obermarschall und Intendant des Theaters, Freiherr von Spiegel, ließ Klingemann’s Arrangement sammt der Musik kommen. Geh. Hofrath Riemer und Regisseur Durand beriethen über das Werk. Mir wurde der musikalische Theil zur Einsicht und Prüfung vorgelegt. Die Musik war mager, ich mochte sie nicht anenipfehlen. Daraufhin erhielt ich den Auftrag, eine andere Musik zum Werke zu liefern. Freudig nahm ich jenen an und suchte den ersten Act nach Goethe’s Idee auszuführen. Monate verstrichen, ohne daß ein ersprießliches Resultat zum Vorschein gekommen wäre. Und doch drängte die Zeit; denn bis zum 28. August, wo Faust zu Goethe’s Geburtstagfeier über die Weimarische Bühne schreiten sollte, waren nur noch vier Wochen übrig. –
Da in Sonntagsfrühe zog ich mich einst mit meinem unfügsamen Freunde in ein von meiner Familie entferntes Zimmer zurück. Die Glocken riefen die Frommen zum Tempel des Herrn. Die Sonne warf freundlich wohlthätige Strahlen in mein Zimmer. Ich fühlte, ich war in behaglicher Künstlerstimmung. Siehe da bildeten sich, mir unbewußt, die Worte des Erdgeistes:
zur Melodie. Ich erfaßte sie. Ich prüfte vorwärts und rückwärts alle Worte, die der Dichter dem Erdgeiste in den Mund legt. Ich gewann die Überzeugung, daß Besseres zum Gesange nicht erfunden werden könnte. Ja, der singende Erdgeist mitten unter wunderbarer Gewalt der Instrumente mußte Faust gegenüber eine imponirende, erhabene Stellung einnehmen. So mußte sich’s der Dichter gedacht haben. Endlich war aber auf diesem Wege auch der Übergang vom Melodram zum Gesange als ein ganz natürlicher, folgerichtiger gefunden und das Ganze erhielt somit eine kunstmäßige Gestalt.
Binnen zwei Stunden war die Musik von dem Momente an, wo Faust das Buch des Nostradamus aufschlägt bis zum Verschwinden des Erdgeistes entworfen. Glücklich, sie nach Goethe’s Absicht und Willen ausgeführt zu haben, eilte ich zu Durand, ihm die frohe Mähr zu verkünden. Er knurrte, – dieser Ausdruck ist charakteristisch für ihn bei solchen Gelegenheiten – daß ich mit der Composition noch nicht weiter vorgerückt sei. Er hielt mir die Kürze der Zeit vor, die uns noch übrig bliebe bis zum Tage der Vorstellung. Auch konnte er sich Anfangs nicht mit der Idee befreunden, daß der Erdgeist singend auftreten solle. Es wurde daher für den Nachmittag eine Stunde anberaumt, wo wir am Piano die Scene probirten. Gar bald schwanden seine Zweifel. Und noch nach einem Verlaufe von 22 Jahren, wo auch meine Musik unter die Hände des negirenden Geistes der Neuzeit gerieth, und sich eine Opposition gegen dieselbe bemerkbar machte, hat er immerdar für mich gekämpft und ein günstiges Urtheil über meine Compositionen gefällt.
Die Ostergesänge wurden mit Durand’s Hülfe so eingerichtet, daß die heiligfrommen Gefühle, welche sie in Faust’s Seele wieder erwecken, auch vom Zuhörer innerlich mit durchlebt werden könnten, ohne daß der Repräsentant des Faust dadurch zu kurz käme, und in den Schatten gestellt würde. Deshalb sahen wir uns genöthigt, den Chor der Frauen und den dritten Chor der Engel zu überspringen. Damit aber der Effect des letztern nicht verloren ginge, componirte ich ihn für das Orchester, welches nach den Worten: „Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!“ fortissime eintritt. Denn in die Engelkunde: „Christ ist erstanden!“ – stimmt ja ein die ganze Christenheit.
Der Umfang des Gedichts scheint für eine Vorstellung fast zu groß zu sein. Ich schrieb zur Eröffnung eine kurze, der Würde des Inhalts entsprechende Einleitung. Die Musik zur zweiten Abtheilung beginnt mit zwei eintönigen Posaunenstößen. Sie bezeichnen die Stunde wo die kirchliche Sonntagsfeier zu Ende ist, und lebensfrohes Volk zu Fuß, zu Roß und Wagen nun hinausströmt durch die geöffneten Thore, um sich im Freien zu erlustigen. Sodann ertönt unter leierartiger Begleitung der Gesang des Bett 340lers, der im Stücke ausgelassen ist. Doch noch während der Dauer desselben hört man, wie ein Flötist und später ein Hornist ihre Künste produciren. Hieran knüpfen sich Neckereien, welche von den Violinen ausgeführt werden. Durch rapide Tanzmusik, welche mit Wagner’s Worten: „Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben“ – harmonirt, werden jene unterbrochen. Schmachtende Liebe durfte nicht vergessen werden. Allmählig nehmen die Neckereien einen ernstern Charakter an und verlieren sich endlich ganz. Den Schluß bildet die Melodie zu Goethe’s Liede: „Donnerstag nach Belvedere,“ componirt von meiner verehrungswürdigen Schülerin, der Gräfin Caroline von Egloffstein. Fräulein Engels, später an Durand verheirathet, hat es oft mit verdientem Beifalle zu Guitarre gesungen im Goethe’schen Hause.
[ Gräf Nr. 1723: Riemer und Durand hatten das Faustgedicht in acht Abtheilungen gebracht, wahrscheinlich in der Absicht, dem Publicum nicht mit einem Male des Guten zuviel zuzumuthen, sondern ihm mehr Ruhepunkte zum Nachdenken zu gewähren, als sonst geschieht. Als Goethe auf dem Theaterzettel diese Eintheilung gewahrte, rief er aus: „Na, Die haben Courage!“ ] – Dadurch, daß jene Pausen durch eine dem Gedichte entsprechende Musik ausgefüllt werden, tritt das ganze musikalische Element in ein noch innigeres Band mit jenem. Und so nimmt die Musik eine ungewöhnlich hohe Stellung selbst in der Tragödie ein, die ihr der Dichter schon angewiesen hatte im Jahr 1816. Darum trug ich denn auch kein Bedenken, die im Faust verwebten Lieder mit Orchesterbegleitung zu componiren. Ihr Charakter bedingte es. Beethoven in der Composition zu Egmont gab mir ja ein nachahmungswürdiges Beispiel. Überhaupt kommen mir die Klänge begleitender Instrumente im Orchester wie sympathisirende Geister des Gesanges vor. Sie leiten ihn ein, sie heben, tragen und schließen ihn und weder an Ort noch an Zeit gebunden, sind sie deshalb in jeder Gattung des Schauspiels anwendbar.
[ Gräf Nr. 1709: Sobald als meine Composition bis zum zweiten Acte vorgeschritten war, trieb es mich zu Goethe. Ich meldete ihm daß es mir jetzt gelungen sei, im ersten Acte die gewünschte melodramatische Behandlung eintreten zu lassen. So werde der Erdgeist, indem er singend auftrete, in jeder Beziehung einen Gegensatz zu Faust bilden. Goethe genehmigte nicht nur meine ganze Auffassung, sondern versprach auch, er wolle mir noch einige Zusätze schicken, die ich auch bald erhielt. ] Der eine wird da gesungen, wo Faust im Begriff ist, den Contract mit Mephisto abzuschließen; der andere kommt am Schlusse der Vorstellung vor.
In der Domscene sind die vom Dichter ursprünglich eingeflochtenen lateinischen Sätze aus der Mitte der Seelenmesse entlehnt. So aber erscheint das Amt, als schon begonnen, in musikalischer Hinsicht wenigstens wie ein Körper ohne Kopf. Um dieser fragmentarischen Form nachzuhelfen, componirte ich zur Eröffnung dieser Scene die Anfangsworte der Trauermesse: Requiem aeternam dona eis, Domine! Während derselben drängen sich Theilnehmende von der Seite in den Dom und Margarethe tritt auf. Nach Margarethens Worten: „Heinrich, mir graut vor Dir!“ – ertönen Posaunen und später sämmtliche Instrumente, um die grauenvolle Handlung des weltlichen Gerichts anzukündigen. Ein Gesang der Engel, wie Goethe ihn mir eingehändigt hat, gibt dem Ganzen die erforderliche Abrundung.
Im Jahr 1834 erschien der Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. In dem oben angeführten Briefe schleudert Goethe gleich dem Jupiter Blitze gegen mich, die mich zerschmettern sollten. Allein zwischen 1816, wo der Brief geschrieben war, und 1834 lagen viele Jahre. Durch die Compositionen meiner Lieder und der für Kirche und für Theater, besonders der Musik zu Faust im Goethe’schen Sinne, war mir’s bereits durch eigne Kraft gelungen, jene Blitze, wenn andere Hände sie gebrauchen wollten, unwirksam zu machen. Ich hatte gezeigt daß mein allerdings geerbtes Talent wohl fähig war, sich vom Boden zu erheben und nach dem eigentlich Besten zu streben.
Es liegt hier nicht in meiner Absicht, jenen Überfall Goethe’s zu repliciren. Ich halte ihn den Theaterdirectionen als Spiegel hin, falls sie etwa geneigt sein sollten, einer alten verrosteten Idee zu huldigen, nach welcher es in der Tragödie unpassend sein soll, von den Kräften des Orchesters Gebrauch zu machen und lieber ein Kunstwerk zu verstümmeln als ihr Princip des Rückschritts in der Kunst aufzugeben. So ist’s geschehn in der Faustvorstellung im Großherzoglichen Hoftheater.
Das Melodram und der Gesang des Erdgeistes blieben weg. Die Wechselwirkung der Ostergesänge und der Recitation war vernichtet. Denn kaum hatte man die Glockentöne und einige Tacte des Engelchors vernommen, als die Recitation unaufhaltsam vorwärts schritt und den zweiten Engelchor verdunkelte. Der Chor der Jünger mußte wegen Mangel an Raum ausgestoßen werden. Der Soldatenchor wurde ohne charakteristische Begleitung der Hörner und der Trommel gesungen. Der Symmetrie wegen sind im Rattenliede dem Orchester kleine Zwischenspiele zugetheilt und jeder Vers ist nach dem Texte verschieden instrumentirt. – Doch wozu Symmetrie? Wozu verschiedene Behandlung der einzelnen Verse? – Hinweg mit dem Plunder! – Solche Gedanken mögen wohl unsern technischen Director, Herrn Marr bewogen haben, dem genannten Liede auch die begleitenden Instrumente zu entziehn. Das Flohlied hatte gleiches Schicksal. Auch hier schwiegen die Instrumente. Von meiner Melödie sang Herr Marr die ersten zwei Tacte; das Übrige war purer musikalischer Unsinn. Das Lied vom König von Thule wurde recitirt. Die Scene im Dom begann mit dem Requiem; die Musik war aber so weit entfernt, daß man den Dux und Comes von dem kleinen fugirten Satze nicht hören konnte, und daher eine Pause von vier Tacten in der Mitte des Satzes entstand. Die folgenden Sätze desselben, die das Fortschreiten der kirchlichen Handlung bezeichnen, und gar nicht ohne Beziehung zu Margarethens Situation sind, fielen dem Styx zum Opfer. An ihrer Statt wurde das Requiem, wie oben angegeben, wiederholt. Herr Musikdirector Stör dirigirte die Vorstellung. Es war wohl seine Pflicht, nicht allein die Interessen der Musik besser zu wahren, sondern auch Herrn Marr, der kein Musiker zu sein scheint, von Mißgriffen abzuhalten, die seine Verdienste um das Großherzogliche Hoftheater nur schmählern könnten. – Ich schließe mit einer Erinnerung. Die Kunstleistungen eines Durand (Faust), eines La Roche (Mephistopheles), einer Lortzing (Margarethe), einer Durand (Martha), werden ihren Zeitgenossen ein freudiges Andenken lassen immerdar. –