546. An Henrietten.
Jena den 30. Juni 1811.
Ich muß sagen, daß mir an dem gestrigen Tage das Gefühl Deiner weitern Entfernung etwas empfindlicher war. Nicht daß ich Dich eben nach Weimar zurückgewünscht hätte, aber wenigstens eine beque 549mere Nähe für meine Wünsche. Sei’s doch, wenn es nicht anders wohl sein kann! Wir müssen uns nach den Umständen fügen, wenn die Umstände sich nicht nach uns fügen wollen. Der Tag war mir indessen heiter aufgegangen. – Meine Frau hatte eine Gesellschaft, die sich schon seit mehrern Tagen bei uns anmeldete, zum Mittagessen gebeten. Dies waren die Ziegesarischen aus Drackendorf, wozu der alte Geheimerath, der mich vor kurzem besucht hatte, auch kommen wollte, aber sich diesmal wegen Geschäfte entschuldigte. Es kam also nur seine Tochter Silvie allein mit zwei ihrer Gespielinnen, nämlich die Pauline Gotter und die Mademoiselle Schlick aus Gotha. Letztere ist ein treffliches Mädchen, zwar nicht hübsch und etwas von Blattern entstellt, doch wohl gewachsen und voll guten Sinnes und ausgezeichneten Eigenschaften. Sie ist zur Musik gebildet, und singt und spielt trefflich auf dem Klavier. Sie brachte mit ihren Eltern zwei Jahre in Rom und Neapel zu, und hat sich sehr gebildet. Noch baten wir – denn ich muß des Tages wegen alle die Namen nennen – den Hofrath Stark und seine Frau, den Präsident Müffling, der eben hier war, und Herrn von Münchow, dann noch Dr. Gries, den Prof. Voigt, Köthe, meist lauter drackendorfer Freunde, so daß wir in allem 13 waren. Man muß es der Silvie und ihren Freundinnen lassen, daß sie die Gesellschaft angenehm zu unterhalten wissen, und daß zumal jener der leichte, gute Humor nicht ausgeht. Es war durchaus alles wohlgestimmt, die Mahlzeit war gut, das Wetter noch immer ganz hübsch, bis gegen Ende der Mahlzeit, wo sich ein schweres Gewitter heraufzog und zum Theil mit Blitz, Hagel und Gußregen – doch hier in der Nähe meines Gartens weniger – niederfiel. Manche von den weiblichen Gemüthern zumal waren über das Ungewitter etwas betroffen, doch der muntere Muth ließ nicht viel Schweres aufkommen, und das Gewitter endigte, ehe wir vom Tische aufstanden. Da wurde denn auch der lieben Mecklenburger gedacht und Deines Geburtstages nicht vergessen. Nach dem Essen wurde, weil die Saalfahrt der Nässe wegen nicht gut ging, auf dem Klavier gespielt und gesungen, wo mir der Gesang und die Methode der Mademoiselle Schlick sehr wohl gefiel. Diese tanzte auch die Tarantella höchst zierlich, wobei ich mich der Grazie unsrer holden Prinzessin erinnerte. Auch die Silvie sang einige Tirolerliedchen sehr naiv. So ging es 550fort bis den Abend, wo sie sämmtlich wieder Abschied nahmen, und ich mit Voigt noch ein Weilchen spazieren ging, so daß kein trüber Gedanke den ganzen Tag befleckte.
Nun kamen Abends später die Briefe von den Freundinnen aus Weimar an, wo mir Frau von Stein recht herzliche Zeilen schrieb, und mir unter anderm die Hochzeit ihres Bruders, des Kammerherrn Schardt, der nun in Ilmenau lebt, mit Fräulein Fefri von Beust verkündigte!! – Sie, die Frau von Stein, geht morgen ins Schlackenbad nach Amt Gehren bei Ilmenau, wo sie 3 bis 4 Wochen zuzubringen gedenkt. – Dann erhielt ich auch einen guten Brief von unsrer Emilie Gore, die sich noch immer der Hoffnung tröstet, einen Besuch in Ludwigslust abstatten zu können, ob sie gleich nicht weiß, wie es sich wohl fügen könnte, da sie mir schreibt: Dans ce moment nos affaires d’argent trouvent plus d’entraves que jamais. Doch hat sie beschlossen, den Winter noch in Weimar zuzubringen; wie und warum, kann ich nicht ganz einsehen. – In der That ist sie zu einsam. Ich werde sie doch nächstens auf einen Tag zu uns herüber bitten. Noch schreibt sie: J’ai recue une lettre de la Duchesse qui se plaint bien tristement de son sort. – Sa plus grande consolation sans doute sera la présence de son frère le Prince Chrétien de Darmstadt. – Auch habe ich diesen Morgen einen etwas theuren Brief von Wilhelm Blomberg aus Lemgo erhalten, der mir einen ganzen Band seiner „Satiren*)“ überschickt, und von seiner Mutter grüßt. Noch hab’ ich jene nicht angesehen, ich vermuthe mir aber nicht gar zu viel. –
Den 1. Juli. – Ich war gestern noch bei Griesbachs, und erfreute mich doch, ihn wohler zu finden, als er bisher aussah. Der letzte Landtag in Weimar ist ihm physisch und moralisch sehr zuwider gewesen. Ich danke dem Himmel, beinahe so oft ich Morgens aufstehe, daß ich mit diesen Geschäften nichts zu thun habe. Dieses kleine deutsche Fürstenwesen, so viel Gutes es sonst haben könnte, versinkt aber täglich mehr, weil die Fürsten es nicht halten können. Sie müßten auf die simpelsten Grundsätze der Regierung und des eignen persönlichen Werthes zurückkehren können, um den Dingen, die unter ihnen stehen, einige 551Dauer zu geben. Dieses vermögen sie aber nicht, hängen an ihren alten Vorurtheilen und verdorbenen Leidenschaften und Geschmack, wollen dabei doch etwas wirken und schaffen, und setzen dadurch die Dinge nur aus allem Zusammenhang und aller Harmonie.
Es ist den Freunden unsrer theuren Prinzeß dennoch sehr aufgefallen, daß man sie die kleine Lustreise nach Dobberan nicht konnte machen lassen. Wie ich höre, so hängt das von Umständen ab, daß man daselbst großen Aufwand machen müsse. Wer gebietet aber das? Ich bin versichert, an welcher Tafel und in welcher Gesellschaft sich unsre verehrte Prinzessin befinden würde, so würde man ihr nirgend die Zeichen der Ehrfurcht und Hochachtung versagen, die man ihr schuldig ist. Ja, sie würde überall durch ihre Person noch gewinnen. Aber die alten Vorurtheile! Das deutsche Unwesen, und der deutsche Unbegriff, durch den diejenigen gerade unglücklich werden, die die glücklichsten sein könnten! Ach, wahrlich die Menschen sind bei weitem so unglücklich nicht, als sie sich selbst machen! Dieses ist freilich schon lange gepredigt, aber was hilft’s! Der Lehre zu folgen, braucht es freilich Vernunft – und wie schwer erlangt man diese! Selbst der sie nur für sich gebrauchen wollte, findet überall Widerstand. Der Mensch ist ein Heerdenthier – mehr Thier, als er denkt. Was die meisten thun, das thut er auch. Diese ahmen den Führer nach, der selbst von Leidenschaften, Wahn und Thorheit geführet wird – und so irren sie nun in der Wüste umher, keiner weiß, was er will. –
Den 3. Juli. Ich kam gestern nicht mehr zum Schreiben. Goethe *) fand ich ein wenig hypochonder. Der Zufall der Herzogin geht ihm sehr nahe, auch scheint es, daß die Badewelt kein sonderliches Interesse ihm mehr giebt. Man hört jetzt nirgends mehr viel Gutes, und der Leichtsinn der Menschen thut auch eben keine sonderliche Wirkung. Man ist besser zu Hause und bei sich, wo ein vernünftiger Mann noch immer Ressourcen genug findet. Goethe wird sich wahrscheinlich einige Zeit hier aufhalten, wenigstens bis zur Rückkunft der Fürstinnen nach Weimar. [ Gräf Nr. 1131: Ich sagte ihm, daß die Prinzessin die Zeichnungen des ratzeburgers Künstlers wohl aufnehmen würde. Er fand einen Augenblick Anstand, der Prinzessin Kosten dadurch zu verursachen, doch glaubte 552er nachher, sie könnten in keine bessere Hand kommen, zumal da der Künstler ein mecklenburger Landskind, und es ihn desto mehr erfreuen würde, seine Arbeiten in den Händen seiner Fürstin zu wissen. Allerdings verdient der geschickte und sorgfältige Künstler alle Aufmunterung. Goethe will also die Zeichnungen absenden, sobald er nach Weimar zurückkommt. ] Auch bracht’ er mir einen Brief von Werner aus Rom mit. Dieser bekennet, daß er daselbst zur katholischen Religion übergetreten sei, und daß sein Gemüth, das sich seitdem in beständiger Pein und Unruhe befunden habe, nun völlig geheilt sei und sich in vollkommner Zufriedenheit und Ruhe befinde, und daß er dieser treu anhängen wolle. – Er hat mir auch einige Sonetten von sich geschickt; es ist aber keines darunter, das ich Dir eben abschreiben möchte. Sein neuer Glaube hat ihn eben nicht zum größern Poeten gemacht, ja man fühlt sogar ein innres Abfallen des Gemüthes. –
Den 5. früh. Den gestrigen Abend brachte Goethe mit Riemern bei uns zu. Wir waren sehr heiter; auch lieferten uns die neusten Stadt- und Landgeschichten – unter anderm die Heirat vom Schardt – Unterhaltung zum Spaß. Herr von Ende hat sich mit Graf Krokow der bekannten G eschichte halber schlagen müssen. Ich weiß nicht, was herausgekommen. So muß die Tollheit der Menschen zuweilen noch zur Lust dienen. Goethe läßt an seiner eignen Biographie schon hier drucken, und zwei Bändchen sollen bis Ostern herauskommen. Die Gore glaubt ganz gewiß, daß die kleine Schardt noch katholisch werden würde, wenn Werner erst wieder nach Weimar kommen sollte, und wir glauben es fast auch. Sie sieht sie schon im Geist mit einander in die Messe gehen. Die Menschen wissen nun nicht mehr, wo sie sich mit ihrem bißchen Gemüth hinflüchten sollen, und fallen also auf Grimassen. –