22/6118. An Carl Friedrich Zelter
Von dem berühmten ersten Sekretär der Londoner Societät, Oldenburg, habe ich gelesen, daß er niemals einen Brief eröffnet, als bis er Feder, Tinte und Papier vor sich gestellt, alsdann aber auch, sogleich nach dem ersten Lesen, seine Antwort aufgesetzt. So habe er eine ungeheure Correspondenz mit Bequemlichkeit bestritten. Hätte ich diese Tugend nachahmen können, so würden sich nicht so viele Menschen über mein Stillschweigen zu beschweren haben. Dießmal 47 aber erregt Ihr lieber angekommner Brief mir eine solche Lust zu antworten, indem er mir die ganze Fülle unsres Sommerlebens wieder vor die Gedanken bringt, daß wo nicht gleich beym ersten Lesen, doch wenigstens beym Erwachen des nächsten Morgens, diese Zeilen an Sie gerichtet werden.
Zuvörderst also bedaure ich Sie, daß Sie schreiben müssen, da wo Sie thun und wirken sollten. Die Geschäfte haben sich überall, besonders aber bey euch, seit langer Zeit ins Papier gezogen, und die Geschäftsleute bedenken nicht, daß Acten, vom lateinischen Acta hergeleitet, so viel heißt als Gethanes, und daß also darin keineswegs eingeheftet werden dürfe, was man thun werde oder wolle. Wenn es mir noch manchmal Spaß macht, ein Fascikel selbst zu heften, so ist es nur im Gange einer Sache, die zu ihrem Ende hineilt.
Daß die gute Pandora etwas zaudern würde, wenn sie wieder nach Hause käme, glaubte ich vorauszusehen. Das Leben in Teplitz war zu dieser Arbeit gar zu günstig, und Ihr Sinnen und Trachten darauf so anhaltend und aus dem Ganzen, daß eine Unterbrechung nothwendig auch eine Pause hervorbringen mußte. Doch lassen Sie es nur gut seyn; es ist schon so viel daran gethan, daß das Übrige, bey gelegener Zeit, wohl von selbst hervortreten wird.
[ Gräf Nr. 1115: Daß Sie ablehnen die Musik zum Faust zu componiren , kann ich Ihnen nicht verargen. Mein Antrag 48 war etwas leichtsinnig, wie das Unternehmen selbst. Das mag denn auch noch ein Jahr lang ruhen: denn ich habe durch die Bemühung, welche mir die Vorstellung des standhaften Prinzen gemacht, ziemlich die Lust erschöpft, die man zu solchen Dingen mitbringen muß. ] Genanntes Stück ist freylich über alle Erwartung gut ausgefallen, und hat mir und andern viel Vergnügen gemacht. Es will schon etwas heißen, ein beynahe 200 Jahr altes, für einen ganz andern Himmelsstrich, für ein Volk von ganz andern Sitten, Religion und Cultur geschriebenes Werk wieder so hervorzuzaubern, daß es wie frisch und neu einem Zuschauer entgegen komme. Denn nirgends fühlt sich geschwinder das Veraltete und nicht unmittelbar Ansprechende als auf der Bühne.
Was meine Werke betrifft, sollen Sie vor allen Dingen den 13. Band zweymal erhalten, Velin und ordinär. Sie haben sehr wohl gethan, die Wurst an die Speckseite zu wenden. Ein anderes Exemplar für Sie wird sich schon finden.
Es ist sehr hübsch von Ihnen, daß Sie die Farbenlehre nicht außer Acht lassen; und daß Sie solche in kleinen Dosen zu sich nehmen, wird sehr gute Wirkung thun. Ich weiß recht gut, daß meine Art die Sache zu behandeln, so natürlich sie ist, sehr weit von der gewöhnlichen abweicht, und ich kann nicht verlangen, daß Jedermann die Vortheile sogleich gewahr werden und sich zueignen solle. Die Mathematiker sind närrische 49 Kerls, und sind so weit entfernt auch nur zu ahnden, worauf es ankommt, daß man ihnen ihren Dünkel nachsehen muß. Ich bin sehr neugierig auf den ersten, der die Sache einsieht und sich redlich dabey benimmt: denn sie haben doch nicht alle ein Brett vor dem Kopfe, und nicht alle haben bösen Willen. Übrigens wird mir denn doch bey dieser Gelegenheit immer deutlicher, was ich schon lange im Stillen weiß, daß diejenige Cultur, welche die Mathematik dem Geiste giebt, äußerst einseitig und beschränkt ist. Ja, Voltaire erkühnt sich irgendwo zu sagen: j'ai toujours remarqué que la Géometrie laisse l'esprit ou elle le trouve. – Auch hat schon Franklin eine besondre Aversion gegen die Mathematiker, in Absicht auf geselligen Umgang, klar und deutlich ausgedrückt, wo er ihren Kleinigkeits- und Widerspruchsgeist unerträglich findet.
Was die eigentlichen Newtonianer betrifft, so sind sie im Fall der alten Preußen im October 1806.
Sie glaubten noch tactisch zu siegen, da sie strategisch lange überwunden waren. Wenn ihnen einmal die Augen aufgehen, werden sie erschrecken, daß ich schon in Naumburg und Leipzig bin, mittlerweile sie noch bey Weimar und Blankenhan herumkröpeln. Jene Schlacht war schon vorher verloren, und so ist es hier auch. Jene Lehre ist schon ausgelöscht, indem die Herren noch glauben, ihren Gegner verachten zu dürfen. Verzeihen Sie mir das Großthun, ich schäme 50 mich dessen so wenig als die Herren sich ihres Kleinthuns.
Mit Kügelgen geht es mir recht wunderlich, wie es mir mit mehrern ergangen ist. Ich dachte ihm das Freundlichste zu sagen: denn wirklich war Bild und Rahmen recht wünschenswerth ausgefallen, und nun stößt sich der gute Mann an ein äußeres Höflichkeitszeichen das man denn doch nicht versäumen soll, indem man durch Vernachlässigung desselben manche Personen verletzt. Man hat mir einen gewissen Leichtsinn in diesen Dingen oft übel genommen, und jetzt betrübe ich gute Menschen durch die Förmlichkeit. Legen Sie ja, mein lieber Freund, keinen alten Fehler ab. Sie fallen entweder in einen neuen, oder man hält Ihre neue Tugend für einen Fehler; und Sie mögen sich stellen, wie Sie wollen, so kommen Sie weder mit sich noch mit andern ganz ins Gleiche. Es ist mir indessen lieb, daß ich es weiß: denn ich wünsche mit diesem braven Manne in einem guten Verhältniß zu stehen.
Was den antiken Stier betrifft, so wäre mein Vorschlag, man packte ihn sorgfältig in ein starkes Kästchen und sendete ihn mir zur Ansicht. Dergleichen Dinge sind im Alterthum oft wiederholt und die Exemplare von sehr verschiedenem Werth. Herr Friedländer, den ich schönstens grüße, zeigte mir zu gleicher Zeit an, was er etwa für Liebhabereyen hat, und womit man ihm dagegen dienen könnte: denn 51 irgend eine gute Bronze in den Tausch zu geben, würde schwer halten, da es unter diesen Dingen kaum Dubletten giebt, und die etwanigen, wegen Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, doppelt interessant werden. Was ich aber vorläufig anbieten könnte, wäre folgendes. Ich besitze eine sehr schöne Medaillensammlung meist in Bronze, von der Hälfte des 15. Jahrhunderts an bis auf unsere Zeit. Sie ist hauptsächlich gesammlet, um den Gang der Kunst im Plastischen, dessen Wiederschein man immer in den Medaillen sieht, dem Freund und Kenner vor Augen zu bringen. Hier habe ich nun schöne, bedeutende Dubletten, so daß ich wohl eine unterrichtende Reihe zusammenstellen und abgeben könnte. Ein Kunstliebhaber, der auch noch nichts von dieser Art besitzt, erhielte dadurch schon einen schönen Grund und einen hinreichenden Anlaß weiter zu gehen. Auch giebt eine solche Sammlung Gelegenheit zu sehr interessanten Betrachtungen, so gut als die Suiten griechischer und römischer Münzen, ja sie ergänzt den Begriff, den uns jene geben, und läßt ihn bis auf die neueren Zeiten verfolgen. Ich darf wohl sagen, jener Stier müßte sehr vollkommen seyn, wenn ich nicht bey dem hier vorläufig angebotenen Tausche noch im Credit bleiben sollte. Lassen Sie mich das Nähere erfahren.
Da ich noch hübsches Papier vor mir sehe, so will ich noch hinzufügen, daß mir dieser Tage etwas sehr erfreuliches widerfahren, indem mir von Seiten der 52 Kaiserinn von Östreich Maj. eine schöne goldne Dose, mit einem brillantenen Kranz und dem darin nach allen Buchstaben ausgedruckten Namen Luise, zugestellt worden. Ich weiß, Sie nehmen auch Antheil an diesem Ereigniß, da uns nicht leicht ein so unerwartetes und belebendes Gute begegnet. Nun leben Sie recht wohl, liebe Sonne, und fahren Sie fort zu erwärmen und zu erleuchten.
Weimar den 28. Februar 1811.
G.