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Erzählungen von Johann Daniel Falk
Merkwürdig ist mir immer ein Wort, das Goethe einmal im Gespräch über unsern gemeinschaftlichen edeln Freund, den Maler und Kunstkenner Meyer sagte, und das man vielleicht mit noch größerm Rechte auf ihn selber anwenden könnte. »Wir alle,« hub er an, »soviel wir unser sind, Wieland, Herder, Schiller, haben uns von der Welt doch irgend etwas und von irgend einer Seite weismachen lassen, und ebendeshalb können 340 wir auch noch einmal wiederkommen; sie wird es wenigstens nicht übelnehmen. Dergleichen aber konnte ich an Meyer, solange ich ihn kenne, niemals wahrnehmen. Er ist so klar und in allen Stücken so ruhig, so grundverständig, sieht, was er sieht, so durch und durch, so ohne alle Beimischung irgend einer Leidenschaft oder eines trüben Parteigeistes, daß das Zuunterst (dessous) der Karten, was die Natur hier mit uns spielt, ihm unmöglich verborgen bleiben konnte. Ebendeshalb ist aber auch für seinen Geist an keine Wiederkunft hiesigen Orts zu denken; denn die Natur liebt nun einmal nicht, daß man ihr gleichsam unaufgefordert so tief in die Karten blickt, und wenn auch deshalb von Zeit zu Zeit einer kommt, der ihr eins und das andere von ihren Geheimnissen ablauscht, so sind auch wieder schon zehn andere da, die es geschäftig zudecken.«
Wie er selbst einmal im Gespräche mit mir sehr schön bemerkte: in der Reihe so mannigfaltiger Producte, wodurch die schaffenden Kräfte der Natur sichtbar würden, sei der Mensch gleichsam das erste Gespräch, das die Natur mit Gott halte, ebenso könnte man von ihm selbst sagen, daß bei seinem eigensinnigen Beharren im Reiche der Erfahrung er gleichsam das letzte Product der plastischen Natur darstelle, das mit ihren Geheimnissen zugleich die zwei Richtungen ausplaudere, 341 die von Ewigkeit in ihr verborgen liegen, und die trotz allen scheinbaren Gegensätzen doch erst beide zusammen die eine wahrhafte, ganze und vollständige Welt und Natur ausmachen.
Treu der Natur hingegeben, wie Goethe war, liebte er es auch, mit geheimnißvollen Einleitungen und Andeutungen über ihr Wirken und ihre Producte zu sprechen. So führte er mich einst zu seiner Naturaliensammlung und sagte sodann, indem er mir ein Stück Granit in die Hand gab, das sich durch höchst seltsame Übergänge auszeichnete: »Da, nehmen Sie den alten Stein zum Andenken von mir! Wenn ich je ein älteres Gesetz in der Natur auffinde, als das ist, welches sich in diesem Producte darlegt, so will ich Ihnen auch ein Exemplar davon verehren und dieses hier zurücknehmen. Bis jetzt kenne ich keins, bezweifle auch sehr, daß mir je etwas Ähnliches, geschweige denn Besseres von dieser Art zu Gesichte kommen wird. Betrachten Sie mir ja fleißig diese Übergänge, worauf am Ende alles in der Natur ankommt. Etwas, wie Sie sehen, ist da, was einander aufsucht, durchdringt und, wenn es eins ist, wieder einem Dritten die Entstehung giebt. Glauben Sie nur: hier ist ein Stück von der ältesten Urkunde des Menschengeschlechts. Den Zusammenhang aber müssen Sie selbst entdecken. Wer es nicht findet, dem hilft es auch nichts, wenn man es 342 ihm sagt. [ Gräf Nr. 1026: Unsere Naturforscher lieben ein wenig das Ausführliche. Sie zählen uns den ganzen Bestand der Welt in lauter besondern Theilen zu und haben glücklich für jeden besondern Theil auch einen besondern Namen. Das ist Thonerde! Das ist Kieselerde! Das ist dies und das ist das! Was bin ich nun aber dadurch gebessert, wenn ich auch alle diese Benennungen innehabe? Mir fällt immer, wenn ich dergleichen höre, die alte Lesart aus Faust ein:
Encheirisin naturae nennt's die Chemie;
Bohrt sich selber Esel und weiß nicht wie!
Was helfen mir denn die Theile? was ihre Namen? ] Wissen will ich, was jeden einzelnen Theil im Universum so hoch begeistigt, daß er den andern aufsucht, ihm entweder dient oder ihn beherrscht, je nachdem das allen ein- und aufgeborne Vernunftgesetz in einem höhern oder geringern Grade den zu dieser, jenen zu jener Rolle befähigt. Aber gerade in diesen Punkten herrscht überall das tiefste Stillschweigen.«
Ein treuer Beobachter der Natur, wie Goethe überall ist, macht es ihm keine geringe Freude, wenn er unter seinen Münzen auf ein Gesicht stößt, dessen Züge dem Inhalte einzelner Handlungen, wie sie uns die Geschichte von diesen oder jenen Personen meldete, gleichsam zur Auslegung dienen.
Der kleinste Gegenstand konnte ihm ... merkwürdig werden. Vollends organische Überbleibsel aus einer zum Theil untergegangenen Vorwelt. Wer sich bei ihm für immer empfehlen wollte, brauchte ihm nur eins dergleichen von seinen Reisen mitzubringen: die Pratze eines Seebären oder Bibers, der Zahn eines Löwen, das seltsam geringelte Horn einer Gemse, eines Steinbocks, oder irgend einer andern, von dem jetzigen Zustande zum Theil oder ganz abweichenden Bildung konnte ihn tage- ja wochenlang durch wiederholte Betrachtung glücklich machen. Es war nicht anders in dem Augenblicke, wo er eines solchen Schatzes theilhaftig wurde, als ob er einen Brief von einem Freunde aus einem ganz entfernten Welttheile erhalten hätte; er eilte sodann in der Freude seines Herzens, mit der größten Liebenswürdigkeit den Inhalt desselben, auf den er sich trefflich verstand, auch andern mitzutheilen. Zugleich stellte er den Grundsatz auf, daß die Natur gelegentlich und gleichsam wider Willen manches von ihren Geheimnissen ausplaudere. Gesagt sei alles irgendeinmal, nur nicht auf der nämlichen Stelle, wo wir es vermutheten; wir müssen es eben hier und da aus allen Winkeln, wo sie es habe fallen lassen, zusammensuchen. Daher das Räthselhafte, Sibyllinische, Unzusammenhängende in unserer Naturbetrachtung! Sie sei ein Buch von dem ungeheuersten, seltsamsten Inhalte, 344 wovon man aber annehmen könne, daß gar viele Blätter desselben auf dem Jupiter, auf dem Uranus und andern Planeten zerstreut umherlägen. Zu einem Ganzen zu gelangen, sei schwer, wo nicht völlig unmöglich. An dieser Aufgabe müßten eben darum alle Systeme scheitern.
Wie Goethe... alles An- und Eingelernte nicht liebte, so behauptete er auch, alle Philosophie müsse geliebt und gelebt werden, wenn sie für das Leben Bedeutsamkeit gewinnen wolle. »Lebt man denn aber überhaupt noch in diesem Zeitalter?« fügte er hinzu, »der Stoiker, der Platoniker, der Epikuräer, jeder muß auf seine Weise mit der Welt fertig werden; das ist ja eben die Aufgabe des Lebens, die keinem, zu welcher Schule er sich auch zähle, erlassen wird. Die Philosophen können uns ihrerseits nichts, als Lebensformen darbieten. Wie diese nun für uns passen, ob wir, unsrer Natur oder unsern Anlagen nach, ihnen den erforderlichen Gehalt zu geben imstande sind, das ist unsre Sache. Wir müssen uns prüfen und alles, was wir von Außen in uns hereinnehmen, wie Nahrungsmittel auf das Sorgsamste untersuchen; sonst gehen entweder wir an der Philosophie oder die Philosophie geht an uns zugrunde.
Die strenge Mäßigkeit, z.B. Kant's, forderte eine Philosophie, die diesen seinen angebornen Neigungen gemäß war. Leset sein Leben, und Ihr werdet bald finden, wie artig er seinem Stoicismus, der eigentlich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen einen schneidenden Gegensatz bildete, die Schärfe nahm, ihn zurechtlegte und mit der Welt ins Gleichgewicht setzte. Jedes Individuum hat vermittelst seiner Neigungen ein Recht zu Grundsätzen, die es als Individuum nicht aufheben. Hier oder nirgends wird wohl der Ursprung aller Philosophie zu suchen sein. Zeno und die Stoiker waren längst in Rom vorhanden, eh' ihre Schriften dahin kamen. Dieselbe rauhe Denkart der Römer, die ihnen zu großen Helden und Waffenthaten den Weg bahnte und sie allen Schmerz, jede Aufopferung verachten lehrte, mußte auch Grundsätzen, die gleichverwandte Forderungen an die Natur des Menschen aufstellten, bei ihnen ein geneigtes und williges Gehör verschaffen. Es gelingt jedem Systeme, sogar dem Cynismus, sobald nur der rechte Held darin auftritt, mit der Welt fertig zu werden. Nur das Angelernte der menschlichen Natur scheitert meist am Widerspruche; das ihr Angeborne weiß sich überall Eingang zu verschaffen und besiegt sogar nicht selten mit dem glücklichsten Erfolge seinen Gegensatz. Es ist sonach kein Wunder, daß die zarte Natur von Wieland sich der aristippischen Philosophie zuneigt, sowie auf der an dern Seite seine so entschiedene Abneigung gegen Diogenes und allen Cyinismus aus der nämlichen Ursache sich sehr befriedigend erklären läßt. Ein Sinn, mit dem 346 die Zierlichkeit aller Formen, wie bei Wieland, geboren ist, kann unmöglich an einer beständigen Verletzung derselben als System Wohlgefallen finden. Erst müssen wir im Einklange mit uns selbst sein, ehe wir Disharmonien, die von außen auf uns zudringen, wo nicht zu heben, doch wenigstens einigermaßen auszugleichen imstande sind. Ich behaupte, daß sogar Eklektiker in der Philosophie geboren werden, und wo der Eklekticismus aus der innern Natur des Menschen hervorgeht, ist er ebenfalls gut und ich werde ihm nie einen Vorwurf machen. Wie oft giebt es Menschen, die ihren angebornen Neigungen nach halb Stoiker und halb Epikuräer sind! Es wird mich daher auch keineswegs befremden, wenn diese die Grundsätze beider Systeme in sich aufnehmen, ja sie miteinander möglichst zu vereinigen suchen. Etwas anderes ist diejenige Geistlosigkeit, die aus Mangel an aller eigenen innern Bestimmung wie Dohlen, alles zu Neste trägt, was ihr von irgend einer Seite zufällig dargeboten wird, und sich eben dadurch als ein ursprünglich Todtes außer aller Beziehung mit einem lebensvollen Ganzen setzt. Alle diese Philosophien taugen in der Welt nichts; denn weil sie aus keinen Resultaten hervorgehen, so führen sie auch zu keinem Resultate.
Von der Popularphilosophie bin ich ebenso wenig ein Liebhaber. Es giebt ein Mysterium so gut in der Philosophie wie in der Religion. Damit soll man das Volk billig verschonen, am wenigsten aber dasselbe in Untersuchung solcher Stoffe gleichsam mit Gewalt hereinziehen. Epikur sagt irgendwo: das ist recht, eben weil sich das Volk daran ärgert. Noch läßt sich das Ende von jenen unerfreulichen Geistesverirrungen schwerlich ab- und voraussehen, die seit der Reformation dadurch bei uns entstanden, daß man die Mysterien derselben dem Volke preisgab und sie ebendadurch der Spitzfindigkeit aller einseitigen Verstandesurtheile bloßstellte. Das Maß des gemeinen Menschenverstandes ist wahrlich nicht so groß, daß man ihm eine solche ungeheure Aufgabe zumuthen könnte, es zum Schiedsrichter in solchen Dingen zu erwählen. Die Mysterien, besonders die Dogmen der christlichen Religion, eignen sich zu Gegenständen der tiefsten Philosophie, und nur eine positive Einkleidung ist es, die sie von diesen unterscheidet. Deshalb wird auch häufig genug, je nachdem man seinen Standpunkt nimmt, die Theologie eine verirrte Metaphysik, oder Metaphysik eine verirrte platonische Theologie genannt. Beide aber stehen zu hoch, als daß der Verstand in seiner gewöhnlichen Sphäre ihr Kleinod zu erlangen sich schmeicheln dürfte. Die Aufklärung desselben beschränkt sich zuvörderst auf einen sehr engen praktischen Wirkungskreis. Das Volk aber begnügt sich meist damit, einigen recht lauten Vorsprechern das, was es von ihnen gehört hat, ebenso laut wieder nachzusprechen. Dadurch werden dann freilich die seltsamsten Erscheinungen herbeigeführt, und die Anmaßungen nehmen kein Ende. Ein aufgeklärter, 348 ziemlich roher Mensch verspottet oft in seiner Seichtigkeit einen Gegenstand, vor dem sich ein Jacobi, ein Kant, die man billig zu den ersten Zierden der Nation rechnet, mit Ehrfurcht verneigen würden. Die Resultate der Philosophie, der Politik und der Religion sollen billig dem Volke zugute kommen, das Volk selbst aber soll man weder zu Philosophen, noch zu Priestern, noch zu Politikern erheben wollen. Es taugt nichts! Gewiß! suchte man, was geliebt, gelebt und gelehrt werden soll, besser im Protestantismus auseinander zu halten, legte man sich über die Mysterien ein unverbrüchliches, ehrerbietiges Stillschweigen auf, ohne die Dogmen mit verdrießlicher Anmaßung, nach dieser oder jener Linie verkünstelt, irgend jemandem widerwillen aufzunöthigen, oder sie wohl gar durch unzeitigen Spott, oder vorwitziges Ableugnen bei der Menge zu entehren und in Gefahr zu bringen, so wollte ich selbst der erste sein, der die Kirche meiner Religionsverwandten mit ehrlichem Herzen besuchte und sich dem allgemeinen praktischen Bekenntniß eines Glaubens, der sich unmittelbar an das Thätige knüpfte, mit vergnüglicher Erbauung unterordnete.«
Ein andermal verglich er die Professoren und ihre mit Citaten und Noten überfüllten Abhandlungen, wo sie rechts und links abschweifen und die Hauptsache vergessen machen, mit Zughunden, die, wenn sie kaum 349 ein paarmal angezogen hätten, auch schon wieder ein Bein zu allerlei bedenklichen Verrichtungen aufhöben, sodaß manmit den Bestien gar nicht vom Flecke komme, sondern über Wegstunden tagelang zubringe.
»Da sitzt das Ungethüm mit langen Ärmeln da und bohrt mir Esel, daß ich noch so ein alter Narr bin und mich über die Welt ärgere, als ob ich nicht wüßte, wie es mit ihr bestellt, und daß alles in und auf ihr mit D – versiegelt ist!« Mit diesen Worten empfing mich Goethe, als ich eines Nachmittags in seinen Garten trat und ihn in einer weißen Sommerweste unter den grünen Bäumen auf einem schattigen Rasenplätzchen sitzen fand. Es war Freitag; Sonnabend sollte Theater sein, und eben hatte ein Schauspieler, der spielen sollte, abgesagt, wodurch denn freilich das ganze morgende Stück zerrissen wurde. Die späte Meldung war's besonders, die Goethe verdroß, dem nun freilich die Sache mit derselben Hast über den Hals kam, wie sie sich der Schauspieler von dem seinen herunterschaffte. Wie bekannt, muß nämlich jede Direction dafür sorgen, erstlich, daß regelmäßig gespielt, und sodann, daß das Publicum womöglich mit lauter vortrefflichen Sachen unterhalten wird.
»Solche Avanien« – hub Goethe an, indem er noch immer grimmig ein Glas rothen Wein einschenkte und mich zugleich nöthigte, neben ihm auf einem Gartensitze 350 Platz zu nehmen, »muß ich mir nun von Leuten gefallen lassen, die, wenn sie zu dem einen Thore von Weimar hereinkommen, sich schon wieder nach dem andern umsehen, wo sie wieder herauswollen. Dafür bin ich nun funfzig Jahr 1 ein beliebter Schriftsteller der Nation gewesen, die Ihr die deutsche zu nennen beliebt, habe zwanzig oder dreißig Jahre als Geheimerath zu Weimar Sitz und Stimme gehabt 2 , um mir amende solche Gesellen über den Kopf wachsen zu lassen. Zum Teufel auch! Daß ich noch in meinem Alter eine solche Tragikomödie spielen und darin die Hauptperson abgeben sollte, hätte ich mir zeitlebens nicht träumen lassen. Ihr werdet mir freilich sagen, daß es mit dem ganzen Theaterwesen imgrunde nichts als D-ck ist; denn Ihr habt tief genug hinter den Vorhang geguckt, und daß ich daher wohl thun würde, den ganzen Bettel sobald als möglich fahren zu lassen; aber ich werde Euch zur Antwort geben: die Schanze, die ein tüchtiger General vertheidigt, ist auch D-ck, aber er darf sie doch nicht schimpflich im Stiche lassen, wenn er nicht seine eigne Ehre in den D-ck treten will. Deshalb wollen wir ihm keine besondere Prädilection für den D-ck beilegen und so hoff' ich denn, werdet Ihr mich auch in diesem Punkte freisprechen.«
»Die gerechtere Nachwelt –« nahm ich das 351 Wort, aber [ Gräf Nr. 1174: Goethe, ohne abzuwarten, was ich eigentlich von der Nachwelt sagen wollte, entgegnete mir mit ungemeiner Hastigkeit: »Ich will nichts davon hören, weder von dem Publicum, noch von der Nachwelt, noch von der Gerechtigkeit, wie sie es nennen, die sie einst meinem Bestreben widerfahren lassen. Ich verwünsche den ›Tasso‹ blos deshalb, weil man sagt, daß er auf die Nachwelt kommen wird; ich verwünsche die ›Iphigenie‹, mit einem Worte, ich verwünsche alles, was diesem Publicum irgend an mir gefällt. Ich weiß, daß es dem Tag, und daß der Tag ihm angehört; aber ich will nun einmal nicht für den Tag leben. Eben deshalb soll mir auch dieser Kotzebue vom Leibe bleiben 3 , weil ich fest entschlossen bin, auch nicht eine Stunde mit Menschen zu verlieren, von denen ich weiß, daß sie nicht zu mir, und daß ich nicht zu ihnen gehöre. Ja, wenn ich es nur je dahin noch bringen könnte, daß ich ein Werk verfaßte – aber ich bin zu alt dazu – daß die Deutschen mich so ein funfzig, oder hundert Jahre hintereinander recht gründlich verwünschten und aller Orten und Enden mir nichts als Übels nachsagten; das sollte mich außermaßen ergötzen. Es müßte ein prächtiges Product sein, was solche Effecte bei einem von Natur völlig gleichgültigen Publicum wie das unsere hervorbrächte. Es ist doch wenigstens Charakter im Haß, und wenn wir nur erst 352 wieder anfingen und in irgend etwas, sei es, was es wolle, einen gründlichen Charakter bezeigten, so wären wir auch wieder halb auf dem Wege ein Volk zu werden. Im Grunde verstehen die meisten unter uns weder zu hassen, noch zu lieben. Sie mögen mich nicht! Das matte Wort! Ich mag sie auch nicht! Ich habe es ihnen nie recht zudanke gemacht! Vollends, wenn mein Walpurgissack nach meinem Tode sich einmal eröffnen und alle bis dahin verschlossenen stygischen Plagegeister, wie sie mich geplagt, so auch zur Plage für andere wieder loslassen sollte; oder wenn sie in der Fortsetzung von ›Faust‹ etwa zufällig an die Stelle kämen, wo der Teufel selbst Gnad' und Erbarmen vor Gott findet; das, denke ich doch, vergeben sie mir sobald nicht! Dreißig Jahre haben sie sich nun fast mit den Besenstielen des Blocksberges und den Katzengesprächen in der Hexenküche, die im ›Faust‹ vorkommen, herumgeplagt 4 , und es hat mit dem Interpretiren und dem Allegorisiren dieses dramatisch-humoristischen Unsinns nie so recht fortgewollt. Wahrlich, man sollte sich in seiner Jugend öfter den Spaß machen und ihnen solche Brocken, wie den Brocken, hinwerfen! Nahm doch selbst die geistreiche Frau v. Stael es übel, daß ich in dem Engelgesang Gott-Vater gegenüber den Teufel so gutmüthig gehalten hätte! sie wollte ihn durchaus 353 grimmiger. Was soll es nun werden, wenn sie ihm auf einer noch höhern Staffel und vielleicht gar einmal im Himmel wiederbegegnet!«
»Um Verzeihung!« nahm ich hier das Wort: »Sie sprachen vorhin von einem Walpurgissacke; es ist das erste Wort, was ich heute darüber aus Ihrem Munde höre. Darf ich wissen, was es mit demselben eigentlich für ein Bewenden hat?« – » Der Walpurgissack« – gab mir Goethe mit dem angenommenen feierlichen Ernste eines Höllenrichters zur Antwort – »ist eine Art von infernalischem Schlauch, Behältniß, Sack, oder wie Ihr's sonst nennen wollt, ursprünglich zur Aufnahme einiger Gedichte bestimmt, die auf Hexenscenen im ›Faust‹, wo nicht auf dem Blocksberg selbst einen nähern Bezug hatten. Nach diesem, wie es zu gehen pflegt, erweiterte sich diese Bestimmung ungefähr so, wie die Hölle auch von Anfang herein nur Einen Aufenthalt hatte, späterhin aber die Limbusse und das Fegefeuer als Unterabtheilungen in sich aufnahm. Jedes Papier, daß in meinen Walpur gissack herunterfällt, fällt in die Hölle; und aus der Hölle, wie Ihr wißt, giebt's keine Erlösung. Ja, wenn es mir einmal einfällt, wozu ich eben heute nicht übel gelaunt bin, und ich nehme mich selbst beim Schopf und werfe mich in den Walpurgissack. Bei meinem Eid! was da unten steckt, das steckt unten und kommt nicht wieder an den Tag, und wenn ich es selbst wäre! So streng, sollt Ihr wissen, halte ich über meinen Walpurgissack und die höllische 354 Constitution, die ich ihm gegeben habe. Es brennt da unten ein unverlöschliches Fegefeuer, was, wenn es um sich greift, weder Freund noch Feind verschont. Ich wenigstens will niemand rathen, ihm allzunahe zu kommen: ich fürchte mich selbst davor.« ]
Von Lessing's Verdienst, Talent und Scharfsinn, und wie derselbe allem höhern Bestreben in Deutschland, Friedrich dem Großen, Voltaire, Gottsched und allen Verehrern des französischen Theaters gegenüber in seiner »Hamburgischen Dramaturgie« die Bahn brach und zugleich durch Einführung des Shakespeare eine neue Periode begründete, die mit dem künftigen Aufschwunge unserer Litteratur auf's Innigste zusammenhing, sprach Goethe mit der größten Anerkennung. Als Exposition habe vielleicht die ganze neue dramatische Kunst nichts so Unvergleichliches aufzuweisen, als die ersten beiden Aufzüge der »Minna von Barnhelm«, wo Schärfe des Charakters, ursprünglich deutsche Sitte mit einem raschen Gange in der Handlung auf's Innigste verbunden sei. Nachher sinke freilich das Stück und vermöge kaum nach dem einmal angelegten Plane sich in solcher Höhe zu behaupten; das könne aber dies Lob weder schmälern, noch solle man es deshalb zurücknehmen. In der »Emilia Galotti« sei ebenfalls das Motiv meisterhaft und zugleich höchst charakteristisch, daß der Kammerherr dem Prinzen Emilia Galotti 355 sicher auf seinem Wege zugeführt haben würde, daß aber der Prinz dadurch, daß er in die Kirche geht und in den Handel hineinpfuscht, dem Marinelli und sich selber das Spiel verdirbt. Nicht immerdar schön sei die Art, wie Lessing das Schicksal in der »Emilia Galotti« einführt. Ein Billet, das der Prinz an seine ehemalige Geliebte, die Gräfin Orsina, schrieb, und worin er sich ihren Besuch auf morgen verbittet, wird eben dadurch daß es zufällig liegen blieb, – wenn Zufall, wie die Gräfin selbst sogleich hinzusetzt, in solchen Dingen nicht Gotteslästerung genannt werden müßte – die gelegentliche Ursache, daß die gefürchtete Nebenbuhlerin, weil man ihr nicht abgesagt, gerade in demselben Augenblicke ankommt, wo Graf Appiani erschossen, die Braut in das Lustschloß des Fürsten durch Marinelli eingeführt und so dem Mörder ihres Bräutigams in die Hände geliefert wird. »Dies sind Züge einer Meisterhand, welche hinlänglich beurkunden, wie tiefe Blicke Lessing in das Wesen der dramatischen Kunst vergönnt waren. Auch seid versichert: wir wissen recht wohl, was wir ihm und seinesgleichen, insbesondere Winckelmann schuldig sind.«
Bekanntlich war Klinger Goethes Landsmann. Eines Morgens (so erzählte mir einst, als von Klinger, seinen Schriften, seinem Aufenthalte in Weimar und seinem Abgange nach Petersburg die Rede war, ein Freund) 356 sei Klinger zu Goethe gekommen, habe ein groß Packet mit Manuscripten aus der Tasche gezogen und ihm daraus vorgelesen. Eine Weile habe er's ausgehalten, dann aber sei er mit dem Ausruf: »Was für verfluchtes Zeug ist's, was Du da wieder einmal geschrieben hast! Das halte der Teufel aus!« von seinem Stuhle aufgesprungen und davongelaufen. Dadurch aber habe Klinger sich nicht im Geringsten irre machen oder aus seiner Fassung bringen lassen, sondern, nachdem er ganz ruhig aufgestanden und das Manuscript in die Tasche gesteckt, habe er weiter nichts gesagt, als: »Kurios! Das ist nun schon der zweite, mit dem mir das heute begegnet ist!« Wieland versicherte, in solchem Falle würde er schwerlich so gleichgültig geblieben sein. Goethe nahm mit großer Gelassenheit das Wort und sagte: »Ich auch nicht! Aber daraus seht Ihr eben, daß der Klinger durchaus zu einem Generale geboren ist, weil er eine so verteufelte Contenance hat. Ich habe es Euch schon damals vorausgesagt.«
1 Keine genaue Zahl! 1823 war Goethe nicht mehr Leiter der Bühne.
2 Genau genommen also 1796 oder 1806!
3 Das klingt wie aus 1802
4 Das wäre also nach der Hexenküche berechnet 1820, nach dem Blocksberg 1838 von Goethe gesprochen worden!