Sorets Erinnerungen.
Sonntag, 31. Januar 1830.
[ Biedermann-Herwig Nr. 6497: Gewöhnlich begleitete ich Sonntag Mittag den Prinzen zum Besuch bei Goethe. Diese Besuche waren nur selten 366interessant; die Kinder lärmten zu sehr, als daß sich eine zusammenhängende Unterhaltung denken ließ. Einigemal empfing er uns in seinem Arbeitszimmer, und um den in einem so engen Raum lästigen Stimmenlärm nicht aufkommen zu lassen, breitete er dann einiges von seinen Schätzen vor uns aus. Bei einem dieser Besuche hörte ich von ihm, daß er von den meisten seiner Werke keine Originalausgaben mehr besitze , im besondern nicht vom „Römischen Carneval“, dessen Kupfer nach seinen eigenen Zeichnungen gestochen waren; er hat auf einer Auktion 6 Taler für das Buch geboten, ohne es zu bekommen.
Am selben Tag holte er aus einem Futteral das Originalmanuskript seines „Götz“, um es uns zu zeigen, ganz so wie es in vierwöchiger Arbeit in einem Zug niedergeschrieben wurde. „Meiner Schwester habe ich es zu danken, daß ich es fertigmachte,“ erzählte Goethe; „ich sprach ihr so oft von dieser Idee, die mich ganz erfüllte, und die ich ausführen wolle; aber sie glaubte nicht daran, und dieser Unglaube stachelte mich an“. Das Manuskript ist eines der saubersten, die Goethe je geschrieben hat; die Buchstaben sind bis auf geringfügige Unterschiede genau so, wie er sie heute schreibt; die Handschrift ist durchaus gleichmäßig; man findet in dem Götz-Manuskript kaum einen Schreibfehler, ganze Seiten weisen nicht die geringste Korrektur auf; es sieht fast wie eine Reinschrift aus, so gleichmäßig, sauber und leserlich ist es. Seitdem hat „Götz“ mancherlei Änderungen durchgemacht1.
Auch „Werther“ wurde in vier Wochen niedergeschrieben, aber dies Manuskript ist verschollen; damals schrieb Goethe nur mit eigener Hand, später pflegte er alles zu diktieren, vereinzelte Gedichte ausgenommen. Er hat fast nie daran gedacht, 367eine Abschrift zurückzubehalten, und mehr als einmal das einzige Exemplar seiner kostbarsten Schriften [zum Verleger Cotta] nach Stuttgart geschickt.
Nachdem Goethe mir den „Götz von Berlichingen“ gezeigt, nahm er aus seinen Schubfächern das Journal seiner Reisen in Italien; es wurde ebenso Tag für Tag geschrieben und zeigt, gleich dem „Götz“, eine Sauberkeit der Ausführung, wie man sie selbst nicht in vereinzelten Gedichten wiedertrifft, die in einem Guß hingeworfen wurden; alles in diesem Tagebuch ist fest, klar und sauber, nirgends eine durchgestrichene Stelle, nichts wechselt, nur Format und Art des Papiers. Der Niederschrift ging offenbar sorgfältige Überlegung vorauf, er hatte „Eile mit Weile“. Wenn mir doch der Himmel auch dazu verhülfe! Das Papier, sagte ich schon, wechselt, je nach dem Ort, in dem sich der Verfasser aufhielt; so ist in Italien der Unterschied besonders auffallend; die Blätter sind klein, und die sehr deutlichen Rippen laufen nicht wie gewöhnlich quer übers Papier, sondern von oben nach unten. Ungefähr am Schluß findet sich eine geistreich hingeworfene Federzeichnung von Goethe: ein Advokat in prächtiger Amtstracht, der [vor Gericht] plädiert, und in der charakteristischsten Haltung, die man sich nur vorstellen kann; man möchte glauben, er wolle so in einem Maskenzug auftreten, und doch ist die Darstellung treu nach dem Leben. Die Spitze des Zeigefingers ruht auf dem Daumen, die übrigen Finger sind gerade ausgestreckt, und diese Bewegung paßt glänzend zu der massigen Gestalt unter der gewaltigen Perücke1.
Hinterher sahen wir noch zweierlei Druckproben für die „Metamorphose“ an, Übersetzung und Originaltext nebeneinander, der eine mit deutschen Buchstaben für den [deutschen] Text, der andere ganz in Antiquaschrift; ich war für den letzteren, der größeren Einheitlichkeit wegen, er wurde denn auch gewählt. ]