54. Eckermann an Johanne Bertram.
Weimar d. 20.“ July 1826.
– Mein Aufenthalt in Hannover war dießmal gar nicht angenehm. Ohne Dich, Zahnweh, unpäßlich, die große Hitze, keine Ruhe 60und Neigung zu schreiben, so vergingen die 10. Tage nicht zum besten. Besuche habe ich sehr wenige gemacht. Bey Perz fand ich einen Brief von Rehbergs. Der alte Oberst Berger war sehr liebenswürdig, er rieth mir zu, Dich sobald zu heirathen als nur möglich. Das Leben sagte er, sey ein Traum, und so vieler Bedenklichkeiten nicht werth. Er lobte meine Treue. Ich sagte ihm Du seyest gar zu vortrefflich ....
– [ Biedermann-Herwig Nr. 5871: Meine Reise von Hannover bis hier war höchst interessant und angenehm. Den ganzen Weg her hat es nicht an Gesprächen mit den gebildetsten Männern gefehlt.
In Erfurt (4 Stunden von Weimar) auf der Straße als ich von einem Badehause kam, begegnete mir der berühmte Hummel und Moltke, die ein Conzert geben wollten, sie erzählten mir von Weimar, von Goethe, daß der berühmte Zelter aus Berlin bey ihm sey, und baten mich den Tag zum Conzert da zu bleiben. Ich that es und verlebte einen höchst genußreichen Abend. Ich fand den Herrn von Froriep aus Weimar und einige jüngere Freunde.
Am nächsten Tage fuhr ich nach Weimar hinüber. Mitten auf dem Wege begegnete mir Heavyside und die beyden Barone Hops. Die Freude war groß. Unsere Wagen hielten neben einander. Die Nachricht von meiner Anwesenheit in Erfurt war schon nach Weimar gekommen, und die guten Menschen hatten ihre Reise an den Hof nach Wilhelmsthal beschleunigt um mit mir einen Abend in Erfurt zuzubringen. Sie wollten mich bereden wieder mit umzukehren, allein darin konnte ich nicht willigen, mein Herz trieb mich nach Goethe. Sie versprachen in 8. Tagen zurück zu kommen und unsere Wagen trennten sich und verfolgten ihre beyderseitige Richtung.
Gegen Abend in Weimar angekommen, war mein erster Weg zu Goethe. Zelter war bey ihm, wir hatten große Freude uns wieder zu sehen. Ich blieb den ganzen Abend bey Goethe und mußte ihm immer erzählen. Meine Briefe hatte er mit großem Interesse gelesen und er machte mir zärtliche Vorwürfe daß ich mein Tagebuch nicht fortgesetzt. Schon in Erfurt erfuhr ich, daß Er meine Briefe erhalten und seinen Freunden daraus erzählt habe. Er sprach diese Tage noch oft von meinen erlebten Späßen, und lobte gegen Zelter daß ich alles mit so freyem Geiste gesehen.
Am nächsten Morgen machte mir Zelter seinen Besuch, an welchem 61höchst bedeutenden Manne ich, wenn ich einmal nach Berlin komme, einen großen Halt finden werde. Gegen Mittag besuchte ich Frau von Goethe. Sie sagte welche glückliche Hand über meinem Haare gewaltet hätte, die jetzt viel besser aussähen als sonst. Sie meinte Du hättest Einfluß darauf gehabt, ich ließ sie bey dem Glauben, denn sie hatte auch nicht ganz unrecht. Die kurzen Haare sagte sie kleideten mir doch viel besser als die langen, und ich möchte sie jetzt immer so erhalten. Mein Tagebuch hatte sie gelesen.
Der junge Goethe freute sich über Deine Grüße. Mittags bey Tisch waren wir sehr heiter, ich lernte auch die Tochter von Zelter kennen. Ich mußte viel erzählen von unseren Fahrten. Zum Nachtisch gab ich dem jungen Goethe die Münzen von Christian. Sie waren alle gut und machten große Freude, der Alte betrachtete sie mit. Ich sagte dem jungen Goethe daß sie von Christian wären und daß ich ihm also ein Geschenk damit machen könne. Er freut sich und läßt sich auf das schönste bedanken. Ich hoffe daß ich es so recht gemacht habe.
Am nächsten Morgen frühstückte ich mit dem alten Goethe, nachdem ich zuvor seine Helena gelesen hatte, die während meiner Abwesenheit war vollendet worden . Es ist ein großes kaum begreifliches Werk. Ihrer Theilnahme, sagte Goethe, kann ich es doch verdanken, daß das Stück nun vollendet ist.
Am nächsten Morgen wiederholte Zelter seinen Besuch bey mir. Gestern war der Tag von Zelters Abreise. Ich war fast den ganzen Vormittag mit ihm bey Goethe. Ich blieb zu Tische da. Der Wagen fuhr vor um 5. Zelter nahm mit seiner Tochter Abschied. Frau v. Goethe fuhr mit nach Jena.
Ich blieb noch eine Weile mit dem alten Goethe allein. Dann beurlaubte ich mich um zu einer Parthie nach Tiefurt zu gehen wozu ich eingeladen war und auch Frau von Goethe die ich entschuldigen sollte.
Ich ging zunächst bey meinem Hause vor und fand Deinen lieben Brief. Ich war höchst glücklich und nahm ihn mit, um ihn noch unterwegs zu lesen. In Tiefurt fand ich auch die gute Frau des Canzlers von Müller, der ich viel von Dir erzählte. Sie meinte es müsse sich bald machen daß ich Dich hernehmen könne. Nach einer Weile kam auch der junge Goethe nach. Ich trank mit ihm, einem jungen 62Engländer Herrn Childers und Frau und Hrn. Professor Melos Deine Gesundheit. Ich hatte Mittags bey Goethe schon viel herrlichen Würzburger und Johannisberger Elfer getrunken ], hier trank ich wieder viel, die andern tranken Thee. Bald gingen wir nach Weimar zurück. Ich ging mit dem jungen Goethe hinter der Gesellschaft her in trefflichen Gesprächen. Er hatte mir lange sein Herz nicht ausgeschüttet. Wir sprachen auch über heirathen. Töpfer meinte er, könne nicht so leicht heirathen als ich. Ich könne, wenn ich Dir ganz die Regierung überließ, mit 500 . ausreichen. Denn niemand würde von uns verlangen daß wir Gesellschaften geben sollten; wir könnten uns einschränken. Aber Töpfer, als Landes Directionsrath, könne das schon seiner Dienstverhältnisse wegen nicht. Ich freue mich sehr, daß man nach und nach sagt, daß ich heirathen solle.
Professor Melos versprach uns guten Elfer wenn wir abends zum Essen bey ihm bleiben wollten. Der junge Goethe ging mit. Fräulein Natalie von Herder die neben mir saß, trank Deine Gesundheit. Die anderen tranken sie mit. Ich sagte daß ich Dir es schreiben wolle.
Der Canzler ist nicht hier. Töpfern habe ich nur flüchtig gesprochen. Mit Schütz fahre ich Sonntag nach Neudietendorf hinter Erfurt wo die Herrenhuter wohnen. Ich konnte seine Einladung nicht abschlagen. Auch Riemer und alle übrigen hatten große Freude mich wieder zu sehen.
Manche Briefe waren angekommen. Wagner in Leipzig schickte mir sein neuestes Werk Parnaso Italiano mit einem sehr freundlichen Briefe.
Zelter sagte mir, daß die Berliner in der „Schnellpost“ Gutes von mir geschrieben. –