∞Hexenküche.
∞Auf einem niedrigen
Herde ſteht ein großer Keſſel über dem Feuer. In dem Dampfe, der
davon in die Höhe ſteigt, zeigen ſich verſchiedne Geſtalten. Eine
Meerkatze ſitzt bey dem Keſſel und
ſchäumt ihn, und ſorgt, daß er nicht überläuft. Der Meerkater
mit den Jungen ſitzt darneben und wärmt ſich. Wände und Decke
ſind mit dem ſeltſamſten Hexenhausrath ausgeſchmückt.
∞Fauſt.
Mephiſtopheles.
∞Fauſt.
2337
Mir widerſteht das tolle Zauberweſen!
2338Verſprichſt du mir, ich ſoll geneſen,
2339In dieſem Wuſt von Raſerey?
2340Verlang’ ich Rath von einem alten Weibe?
64
2341Und ſchafft die Sudelköcherey
2342Wohl dreyßig Jahre mir vom Leibe?
2343Weh mir, wenn du nichts beſſers weißt!
2344Schon iſt die Hoffnung mir verſchwunden.
2345Hat die Natur und hat ein edler Geiſt
2346Nicht irgend einen Balſam ausgefunden?
∞Mephiſtopheles.
2347Mein Freund, nun ſprichſt du wieder klug!
2348Dich zu verjüngen, gibt’s auch ein natürlich Mittel;
2349Allein es ſteht in einem andern Buch,
2350Und iſt ein wunderlich Kapitel.
∞Mephiſtopheles.
2351Gut! Ein Mittel, ohne Geld
2352Und Arzt und Zauberey zu haben:
2353Begib dich gleich hinaus auf’s Feld,
2354Fang’ an zu hacken und zu graben,
2355Erhalte dich und deinen Sinn
65
2356In einem ganz beſchränkten Kreiſe,
2357Ernähre dich mit ungemiſchter Speiſe,
2358Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht für
Raub,
2359Den Acker, den du erndeſt, ſelbſt zu düngen;
2360Das iſt das beſte Mittel, glaub’!
2361Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen.
∞Fauſt.
2362Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht
bequemen,
2363Den Spaten in die Hand zu nehmen,
2364Das enge Leben ſteht mir gar nicht an.
∞Mephiſtopheles.
2365So muß denn doch die Hexe dran.
∞Die Thiere
erblickend.
2378Sieh, welch ein zierliches Geſchlecht!
2379Das iſt die Magd! Das iſt der Knecht!
∞Zu den Thieren.
2380Es ſcheint die Frau iſt nicht zu Hauſe?
∞Mephiſtopheles.
2388Nein, ein Discurs wie dieſer da,
2389Iſt g’rade der, den ich am liebſten führe.
∞Der
Kater
∞macht ſich herbey und
ſchmeichelt dem Mephiſtopheles.
2394O würfle nur gleich,
2395Und mache mich reich,
67
2396Und laß mich gewinnen!
2397Gar ſchlecht iſt’s beſtellt,
2398Und wär’ ich bey Geld,
2399So wär’ ich bey Sinnen.
∞Mephiſtopheles.
2400Wie glücklich würde ſich der Affe ſchätzen,
2401Könnt’ er nur auch in’s Lotto ſetzen!
∞Indeſſen haben die
jungen Meerkätzchen mit einer großen Kugel geſpielt, und rollen ſie
hervor.
∞Der
Kater.
2402Das iſt die Welt;
2403Sie ſteigt und fällt
2404Und rollt beſtändig;
2405Sie klingt wie Glas;
2406Wie bald bricht das?
2407Iſt hohl inwendig.
2408Hier glänzt ſie ſehr,
2409Und hier noch mehr,
2410Ich bin lebendig!
2411Mein lieber Sohn,
2412Halt dich davon!
68
2413Du mußt ſterben!
2414Sie iſt von Thon,
2415Es gibt Scherben.
∞Der
Kater
∞hohlt es herunter.
2417Wärſt du ein Dieb,
2418Wollt’ ich dich gleich erkennen.
∞Er läuft zur Kätzinn und
läßt ſie durchſehen.
2419Sieh durch das Sieb!
2420Erkennſt du den Dieb,
2421Und darfſt ihn nicht nennen?
∞Er nöthigt den Mephiſtopheles
zu ſitzen.
∞Fauſt,
∞welcher dieſe Zeit über
vor einem Spiegel geſtanden, ſich ihm bald genähert, bald ſich
von ihm entfernt hat.
2429Was ſeh’ ich? Welch ein himmliſch Bild
2430Zeigt ſich in dieſem Zauberſpiegel!
2431O Liebe, leihe mir den ſchnellſten deiner Flügel,
2432Und führe mich in ihr Gefild.
2433Ach wenn ich nicht auf dieſer Stelle bleibe,
2434Wenn ich es wage nah’ zu gehn,
2435Kann ich ſie nur als wie im Nebel ſehn! —
2436Das ſchönſte Bild von einem Weibe!
2437Iſt’s möglich, iſt das Weib ſo ſchön?
2438Muß ich an dieſem hingeſtreckten Leibe
2439Den Inbegriff von allen Himmeln ſehn?
2440So etwas findet ſich auf Erden?
∞Mephiſtopheles.
2441Natürlich, wenn ein Gott ſich erſt ſechs Tage plagt,
2442Und ſelbſt am Ende Bravo ſagt,
2443Da mußt’ es ’was geſcheidtes werden.
2444Für dießmal ſieh dich immer ſatt;
2445Ich weiß dir ſo ein Schätzchen auszuſpüren,
2446Und ſelig wer das gute Schickſal hat,
2447Als Bräutigam ſie heim zu führen!
∞Fauſt ſieht
immerfort in den Spiegel. Mephiſtopheles, ſich in
den Seſſel dehnend und mit dem Wedel ſpielend, fährt fort zu
ſprechen.
2448Hier ſitz’ ich wie der König auf dem Throne,
2449Den Zepter halt’ ich hier, es fehlt nur noch die
Krone.
∞Die
Thiere,
∞welche bisher allerley
wunderliche Bewegungen durch einander gemacht haben, bringen dem
Mephiſtopheles eine zerbrochne Krone mit großem
Geſchrey.
2450O ſey doch ſo gut,
2451Mit Schweiß und mit Blut
2452Die Krone zu leimen!
71
∞Sie gehn
ungeſchickt mit der Krone um und zerbrechen ſie in
zwey Stücke, mit welchen ſie herum ſpringen.
2453Nun iſt es geſchehn!
2454Wir reden und ſehn,
2455Wir hören und reimen;
∞Mephiſtopheles
∞in obiger Stellung.
2463Nun wenigſtens muß man bekennen,
2464Daß es aufrichtige Poeten ſind.
∞Der Keſſel, welchen
die Kätzinn bisher außer Acht gelaſſen, fängt an überzulaufen; es
entſteht eine große Flamme, welche zum Schorſtein hinausſchlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme
mit entſetzlichem Geſchrey herunter gefahren.
∞Die
Hexe.
2465Au! Au! Au! Au!
2466Verdammtes Thier! verfluchte Sau!
2467Verſäumſt den Keſſel, verſengſt die Frau!
2468Verfluchtes Thier!
∞Fauſt und Mephiſtopheles
erblickend.
2469Was iſt das hier?
2470Wer ſeyd ihr hier?
2471Was wollt ihr da?
2472Wer ſchlich ſich ein?
2473Die Feuerpein
2474Euch in’s Gebein!
∞Sie fährt mit dem
Schaumlöffel in den Keſſel, und ſpritzt Flammen nach Fauſt,
Mephiſtopheles und den Thieren. Die Thiere winſeln.
∞Mephiſtopheles,
∞welcher den Wedel, den
er in der Hand hält, umkehrt, und unter die Gläſer und Töpfe
ſchlägt.
2475Entzwey! entzwey!
2476Da liegt der Brey,
2477Da liegt das Glas!
2478Es iſt nur Spaß,
2479Der Tact, du Aas,
2480Zu deiner Melodey!
∞Indem die Hexe voll Grimm
und Entſetzen zurücktritt.
2481Erkennſt du mich, Gerippe! Scheuſal du!
2482Erkennſt du deinen Herrn und Meiſter?
2483Was hält mich ab, ſo ſchlag’ ich zu,
2484Zerſchmettre dich und deine Katzen-Geiſter!
2485Haſt du vor’m rothen Wamms nicht mehr Reſpect?
2486Kannſt du die Hahnenfeder nicht erkennen?
2487Hab’ ich dieß Angeſicht verſteckt?
2488Soll ich mich etwa ſelber nennen?
∞Die
Hexe.
2489O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
2490Seh’ ich doch keinen Pferdefuß.
2491Wo ſind denn eure beyden Raben?
∞Mephiſtopheles.
2492Für dießmal kommſt du ſo davon;
2493Denn freylich iſt es eine Weile ſchon,
2494Daß wir uns nicht geſehen haben.
2495Auch die Cultur, die alle Welt beleckt,
2496Hat auf den Teufel ſich erſtreckt;
2497Das Nordiſche Phantom iſt nun nicht mehr zu ſchauen,
2498Wo ſiehſt du Hörner, Schweif und Klauen?
2499Und was den Fuß betrifft, den ich nicht miſſen kann,
2500Der würde mir bey Leuten ſchaden;
2501Darum bedien’ ich mich, wie mancher junge Mann,
2502Seit vielen Jahren falſcher Waden.
∞Die
Hexe
∞tanzend.
2503Sinn und Verſtand verlier’ ich ſchier,
2504Seh’ ich den Junker Satan wieder hier!
∞Mephiſtopheles.
2507Er iſt ſchon lang’ in’s Fabelbuch geſchrieben;
2508Allein die Menſchen ſind nichts beſſer dran,
2509Den Böſen ſind ſie los, die Böſen ſind geblieben.
2510Du nennſt mich Herr Baron, ſo iſt die Sache gut;
2511Ich bin ein Cavalier, wie andre Cavaliere.
2512Du zweifelſt nicht an meinem edlen Blut;
2513Sieh her, das iſt das Wapen, das ich führe.
∞Er macht eine unanſtändige
Geberde.
∞Die
Hexe
∞lacht unmäßig.
2514Ha! Ha! Das iſt in eurer Art!
2515Ihr ſeyd ein Schelm, wie ihr nur immer war’t!
∞Mephiſtopheles
∞zu Fauſt.
2516Mein Freund, das lerne wohl verſtehn!
2517Dieß iſt die Art mit Hexen umzugehn.
∞Mephiſtopheles.
2519Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
2520Doch muß ich euch um’s ält’ſte bitten;
2521Die Jahre doppeln ſeine Kraft.
∞Die
Hexe.
2522Gar gern! Hier hab’ ich eine Flaſche,
2523Aus der ich ſelbſt zuweilen naſche,
2524Die auch nicht mehr im mind’ſten ſtinkt;
2525Ich will euch gern ein Gläschen geben.
∞Leiſe.
2526Doch wenn es dieſer Mann unvorbereitet trinkt,
2527So kann er, wißt ihr wohl, nicht eine Stunde leben.
∞Mephiſtopheles.
2528Es iſt ein guter Freund, dem es gedeihen ſoll;
2529Ich gönn’ ihm gern das beſte deiner Küche.
2530Zieh deinen Kreis, ſprich deine Sprüche,
2531Und gib ihm eine Taſſe voll!
∞Die Hexe mit ſeltſamen
Geberden, zieht einen Kreis und ſtellt wunderbare Sachen hinein;
indeſſen fangen die Gläſer an zu klingen, die Keſſel zu tönen, und
machen Muſik. Zuletzt bringt ſie ein großes Buch, ſtellt die
Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die
Fackel halten müſſen. Sie winkt Fauſten, zu ihr zu treten.
∞Fauſt
∞zu Mephiſtopheles.
2532Nein! ſage mir, was ſoll das werden?
2533Das tolle Zeug, die raſenden Geberden,
2534Der abgeſchmackteſte Betrug,
2535Sind mir bekannt, verhaßt genug.
∞Mephiſtopheles.
2536Ey Poſſen! Das iſt nur zum Lachen;
2537Sey nur nicht ein ſo ſtrenger Mann!
78
2538Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
2539Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
∞Er nöthigt Fauſten in den Kreis zu
treten. Die Hexe mit großer Emphaſe fängt an aus dem Buche
zu declamiren.
2540Du mußt verſtehn!
2541Aus Eins mach’ Zehn,
2542Und Zwey laß gehn,
2543Und Drey mach’ gleich,
2544So biſt du reich.
2545Verlier’ die Vier,
2546Aus Fünf und Sechs,
2547So ſagt die Hex’,
2548Mach’ Sieben und Acht,
2549So iſt’s vollbracht:
2550Und Neun iſt Eins,
2551Und Zehn iſt keins.
2552Das iſt das Hexen-Einmal-Eins!
∞Mephiſtopheles.
2554Das iſt noch lange nicht vorüber,
2555Ich kenn’ es wohl, ſo klingt das ganze Buch;
2556Ich habe manche Zeit damit verloren,
2557Denn ein vollkommner Widerſpruch
2558Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie
für Thoren.
2559Mein Freund, die Kunſt iſt alt und neu.
2560Es war die Art zu allen Zeiten,
2561Durch Drey und Eins, und Eins und Drey
2562Irrthum ſtatt Wahrheit zu verbreiten.
2563So ſchwätzt und lehrt man ungeſtört!
2564Wer will ſich mit den Narr’n befaſſen?
2565Gewöhnlich glaubt der Menſch, wenn er nur Worte
hört,
2566Es müſſe ſich dabey doch auch was denken laſſen.
∞Fauſt.
2573Was ſagt ſie uns für Unſinn vor?
2574Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
2575Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor
2576Von hundert tauſend Narren ſprechen.
∞Mephiſtopheles.
2577Genug, genug, o treffliche Sybille!
2578Gib deinen Trank herbey, und fülle
2579Die Schale raſch bis an den Rand hinan;
2580Denn meinem Freund wird dieſer Trunk nicht ſchaden:
2581Er iſt ein Mann von vielen Graden,
2582Der manchen guten Schluck gethan.
∞
Die Hexe mit vielen
Ceremonien, ſchenkt den Trank in eine Schale; wie ſie Fauſt an den
Mund bringt, entſteht eine leichte Flamme.
81
∞Mephiſtopheles.
2583Nur friſch hinunter! Immer zu!
2584Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
2585Biſt mit dem Teufel du und du,
2586Und willſt dich vor der Flamme ſcheuen?
∞
Die Hexe löſ’t den Kreis.
∞
Fauſt tritt heraus.
∞Mephiſtopheles
∞zur Hexe.
2589Und kann ich dir was zu Gefallen thun,
2590So darfſt du mir’s nur auf Walpurgis ſagen.
∞Die
Hexe.
2591Hier iſt ein Lied! wenn ihr’s zuweilen ſingt,
2592So werdet ihr beſondre Wirkung ſpüren.
∞Mephiſtopheles
∞zu Fauſt.
2593Komm nur geſchwind und laß dich führen,
2594Du mußt nothwendig tranſpiriren,
2595Damit die Kraft durch inn- und äußres dringt.
2596Den edlen Müßiggang lehr’ ich hernach dich ſchätzen,
2597Und bald empfindeſt du mit innigem Ergetzen,
2598Wie ſich Cupido regt und hin und wieder ſpringt.